im Felde, 16. Mai 1943

Sonntags-Brief mit Bericht zur Familie Schmid

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Meine Erika, Liebste !

Zunächst einmal einen recht lieben Sonntags-
gruß. Vielleicht habe ich Glück, daß Dich der Brief
noch auf nächsten Sonntag erreicht.

Nachdem wir heute morgen den Bunker und
seine Umgebung geputzt haben, ist es nun früh
mittag Sonntag geworden. Nach dem Essen
schlief ich eine Stunde und nun soll das
erste sein, Dir, meiner Liebsten, den versprochenen
Brief zu schreiben. Sicher spürst Du selbst nicht
viel vom Sonntag, ich dachte schon manchmal,
das scheint das Los einer tätigen Frau zu
sein. Ich darf nur an zu Hause denken: die
Familie wollte natürlich am Sonntag das
entsprechende Essen, morgens wurde geputzt,
mittags kam Besuch, da mußte Kaffee
gemacht werden, das Mädchen hatte Ausgang,
und alles blieb an der Mutter hängen.
Aber als junger Bub hatte man da eben
kein Verständnis.

Meiner Mutter werde ich die Grüße von Dir ausrichten.

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Sie ist eigentlich erst im letzten Jahr auf
einmal kränklich geworden, die tatsächliche
Krankheit, der Zucker, brach dann ganz plötzlich
aus. Es ist ziemlich schlimm, doch gibt es
heute schon Mittel dagegen. Du weißt ja,
es ist meine 2. Mutter. Meine wirkliche Mutter
starb ebenfalls an Zuckerkrankheit, ich kannte sie
nicht mehr, denn ich war ein kleiner Junge
von 5 Jahren, als sie starb. Ich habe kaum noch eine
Erinnerung an sie. Dann bekam ich ja
noch 2 Geschwister, sie sind beide noch zu
Haus. Meine ältere Schwester ist verwitwet,
sie hat 2 Kinder, mein älterer Bruder ist
ebenfalls in Rußland.

Wenn mal etwas mehr Zeit hast, mußt
Du mir auch mehr über Deine Geschwister
berichten, wie sie heißen, wie alt, wo sie sind,
usw. Bis jetzt kenne ich ja nur
Frau Kind (schreibe ihr auch mal Grüße von
mir), Berta und Tuta. Ihr seid doch
insgesamt 7 Geschwister, dabei ein Junge
nicht wahr ?

Hoffentlich gehts Dir allmählich doch etwas
besser in Grodno. Es ist eben immer schwer,
bis man sich eingewöhnt hat. Was wird Dir

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denn so oft ..., Erika, Dein Chef, die Schwestern
oder die Kranken. Ich war auch schon im Lazarett,
und weiß, wie schwer oft dort der Stand einer
Schwester ist. Die Soldaten richten oft den größten
Blödsinn an die Schwestern hier, es war bestimmt
nicht immer schön, es gibt da so manchen
gewöhnlichen Bruder. Aber bitte, Erika, nimm
Dir nichts zu Herzen, und denke immer, was
ich Dir im letzten Brief gesagt (habe). Es soll Deine
Stimmung immer hochhalten.

Und dann schreibe mir deutlich wegen Urlaub,
vor allem, an wen ich mich eventuell
zu wenden habe mit der Eingabe wegen
Deinem (Deines) Urlaub(s), damit ich eventuell zeitig etwas
unternehmen kann. Es muß doch unbedingt
klappen, ich muß doch unbedingt mit meinem
Mädel, meiner Liebsten, zusammenkommen. Sonst
säre es kein Urlaub für mich. Wenn aber
alle Stränge reißen, komme ich zu Dir nach
Grodno. Ausnahmsweise wird das schon
gehen, und dann wirst Du schon frei
bekommen. Dann sinds wenigstens ein paar
Tage, während denen ich bei Dir bin. Wirst Du

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mich dann auch wieder so früh auf den Besen
verfrachten wollen ?!? Das erste Wiedersehen mit
Dir male ich mir ja tausendmal aus. Aber
immer beginnt es mit einem langen Kuß,
bist Du einverstanden ? Es rückt ja jetzt immer
näher, schon sinds 5 Monate, als ich Dich in
der Bahnhofstraße in Insterburg zum letzten
mal umarmte. Als ich Dich damals zum
letzten mal in den Armen hielt, wußte
ich, daß ich Dich liebe, und daß ich geliebt
werde. Und bis zum Wiedersehen werden es
nur noch 3-4 Monate sein. Der Gedanke
allein macht mich glücklich. Na, und dann
unsere gemeinsame Reise, davon erzähle
ich Dir ja schon viel. Aber am Schönsten male
ich mir immer unseren gemeinsamen Auf-
enthalt an einem hübschen Kurort aus, ganz
für uns, weit weg von allen anderen
Menschen, die Interesse für uns zeigen könnten,
denn Liebe will nicht gestört sein.

Morgens soll mein Mädel ausschlafen, bis
sie die warme Sonne weckt. So gegen 9 Uhr
werden wir dann gemeinsam frühstücken, in
Ruhe, Licht, Luft und Sonne, und bei verliebten

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Leutchen soll es dann vorkommen, daß sie, innig
umschlungen, der eine das andere füttert. Dann
geht es hinaus in den Garten, oder fort in
die Äcker, Wiesen und Wälder. Kommt ein
schönes Plätzchen, wird lang hingelegen, und
Rast gemacht. Dann legt sich mein Liebstes
in meinen Arm und ihr liebes Köpfchen
ruht an meiner Brust, und im innigen
Beisammensein träumen wir beide in den
blauen Himmel. Glaubst Du, daß Du dann
noch an Grodno und seine dummen
Schikanen denkst ? So recht ausgelassen,
wie damals, als Du noch ein kleines
Mädel mit braunen Zöpfen warst, werden wir dann
in's Quartier eilen, und mit Riesenhunger
an's Mittagessen gehen. Am Mittag muß mein
Mädel eine Stunde ruhen, denn sie soll sich ganz
erholen. Später können wir dann eine größere
Wanderung unternehmen, hinaus auf die Höhen,
durch große Wälder an schöne Seen. Aber das
Schönste wird dabei immer die Rast an hübschen,
einsamen Stellen sein, wo ich mein Mädel an
meinem Herzen ruhen habe, und ich ihr in
tausend Zärtlichkeiten, in Worten der Liebe zeige,
was sie mir bedeutet. Es werden die Stunden
des unendlichen Glückes sein, der innigsten Liebe,

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in denen sich unsere Lippen immer wieder und
wieder zur seligen Vereinigung finden. Wie ein
Traum wird es sein, Dich, Du Geliebt, wirklich
und wahrhaftig durch nicht mehr getrennt, ganz
warm am Herzen zu spüren. Traumverloren
werden wir am Abend heimwärts wandern, unsere
Arme werden wir um unsere Schultern legen,
und in der Besinnlichkeit der nächtlichen Ruhe
an unser Glück denken. Im Sommer werden
wir auch das Nachtessen noch draußen einnehmen
können, und dann zusammen lustige Briefe
schreiben, ein Wort Du, eines ich. Immer wirst
Du mir nahe sein, bis zum letzten und
süßesten Kuß, dem Gutenachtkuß. So werden
wir uns Tage schenken, an die wir zwei uns
unser Leben lang mit Rührung erinnern. -

Nun habe ich Dir aber wieder genug vor-
geschwärmt, meine geliebte Erika. Behalte es
im Gedächtnis, wenn es Dir schlecht geht, Geliebte.
Einmal wird es so kommen, wie es hier steht.
Dann wirst Du all das Unangenehme 10 mal
vergessen haben.

Zum Schluß umarmt Dich inniglich
und kußt Dich mit ganzer Zärtlichkeit
Dein Dich liebender Siegfried.

Bleibe gesund, Liebste !


Der nächste Brief erscheint am 19. Mai 2013, 20:00 Uhr
 

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