Ostpreußische Nachrichten, Folge 08 vom August 1953

Ostpreußische Nachrichten
Folge 08 vom August 1953

 

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Der Juni-Aufstand in Ostberlin und in der Sowjetzone stellt eine Wendung in der deutschen Frage dar, die auch den Heimatvertriebenen neue Hoffnung geben darf. Die Politik um Deutschland ist in Fluss geraten.

 

Nach dem Juni-Aufstand hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Teilung Deutschlands einen Gefahrenherd sondergleichen bedeutet. Wenn die großen Mächte, von deren Entscheid letzten Endes die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands abhängt, sich nunmehr dringlicher denn je mit dem deutschen Schicksal belassen, dann tun sie das sicherlich auch aus eigenem Interesse. Denn kein Land kann mit Beruhigung und Stabilisierung der internationalen Lage rechnen, solange ein zerrissenes Deutschland als stete Quelle der Unruhe inmitten Europas liegt. Das bedeutet auch Ermutigung für die Heimatvertriebenen.

 

Der Juni-Aufstand hat das Gewissen der Welt wachgerüttelt. Die Gerechtigkeit wird sich durchsetzen. Auch gegenüber den Heimatvertriebenen. Jakob Kaiser Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen

 

„Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat liebt wie Du", sagt der Dichter Fontane in seiner Ballade, in der er das seelische Leid des aus seiner Heimat vertriebenen Archibald Douglas schildert. Treue zur Heimat ist Treue zu einer Idee, unbeschadet materieller Interessen des einzelnen. Der „Tag der Deutschen Heimat" des Berliner Landesverbandes der Heimatvertriebenen ist dieser inneren Verbundenheit des Menschen mit seiner Heimat gewidmet, einer Verbundenheit, aus der der Dienst an Deutschland und einer übergeordneten Idee, Europa, erwächst. Wer seiner Heimat die Treue hält, weiß, dass er sich einsetzen muss für ein freies, friedliches und einiges Deutschland, dessen Leben und Bestand nur möglich sein wird in einem freien und friedlichen Europa.

Ernst Reuter Regierender Bürgermeister von Berlin  

 

Seite 1   Bundestreffen der Schlesier in Westpreußen

Am 25. und 26. Juli fanden die diesjährigen Bundestreffen der Schlesier in Köln und der Westpreußen in Hannover statt. In großen Kundgebungen, in denen neben den Sprechern der Heimatvertriebenen auch führende Staatsmänner das Wort ergriffen, bekannten sich die Heimatvertriebenen erneut zu unverbrüchlicher Treue gegenüber ihrer alten Heimat.

 

Mehr als 400 000 Schlesier waren zum 4. Bundestreffen in Köln, das unter dem Motto „Jugend fordert Schlesien für Europa" stand, zusammengeströmt.

 

Bundeskanzler Dr. Adenauer, der in der Großkundgebung am Sonntag zu den Schlesiern sprach, erklärte u. a.: „Wir wollen in Geduld, in Beharrlichkeit, in Klugheit, in Ausdauer dafür eintreten und dafür sorgen, dass das natürlichste Recht, das der Mensch auf Erden hat, das Recht auf seine

Heimat, gewahrt wird. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass im Laufe der gesamten europäischen Entwicklung auch für Euch der Tag der Rückkehr in die Heimat kommen wird. Haltet fest an Eurem Glauben, haltet fest an Eurer Hoffnung und vor allem hegt und pflegt die Liebe zur schlesischen Heimat in Euren Herzen, damit, wenn der Tag der Rückkehr gekommen ist, es wirklich wieder ein wahres, ein deutsches, ein schönes Schlesien werden möge." Tosender Beifall dankte dem Bundeskanzler für diese zu Herzen gehenden hoffnungsvollen Worte.

 

 In Hannover waren die Westpreußen aus allen Teilen des Bundesgebiets und aus Berlin, zusammengekommen, um ebenfalls ein Bekenntnis zur angestammten Heimat abzulegen. Hier sprach u.a. der niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Kopf in der überfüllten Großhalle auf dem Messegelände zu den Heimatvertriebenen. Seine Ausführungen gipfelten in der Feststellung, dass einer der wichtigsten Artikel eines künftigen Grundgesetzes der Völker lauten müsse: „Das Recht auf die Heimat ist unverletzlich."

 

Als Abschluss der Kundgebung wurde einstimmig folgende Entschließung gefasst: „Acht Jahre nach dem verhängnisvollsten aller Kriege sind Europa und die Welt nicht zur Ruhe gekommen, weil eines der grundlegenden Menschenrechte, das angeborene Recht auf die Heimat, nach wie vor verletzt wird. Wir Westpreußen haben im Einklang mit der Charta der Heimatvertriebenen auf Rache und Vergeltung verzichtet, aber niemals auf das Recht auf unsere Heimat. Wir fühlen uns damit solidarisch, mit allen Heimatvertriebenen der Welt. Westpreußen, seit über 700 Jahren deutscher Kulturboden, kann die Brücke zwischen zwei Völkern im Rahmen einer europäischen Neuordnung werden, wenn diese Neuordnung auf den Boden eines alle Völker umfassenden Rechts gestellt wird, das die Freiheit des einzelnen und sein angestammtes Recht auf Heimat sichert. Wir warnen deshalb vor Lösungen, die alte Missgriffe wiederholen wollen. Wir fordern unsere Heimat Westpreußen für uns in einem neuen Europa des Friedens und der Freiheit."

 

Seite 1   Liebe und Treue zur Heimat

„Am Tag der Deutschen Heimat bekunden die Vertriebenen ihre Liebe, Treue und Verbundenheit zu ihrer unvergesslichen Heimat.

 

Feierlich machen sie vor der Öffentlichkeit ihr Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschen geltend. Alle, die Recht und Gerechtigkeit als wahre Grundlage für das Zusammenleben der Menschen und der Völker anerkennen, stehen mit den Vertriebenen für das Recht auf die Heimat ein.

 

Durch ihre Haltung haben die Vertriebenen bewiesen, dass sie, durch schweres Leid geläutert, auf Rache, Vergeltung und Gewalt verzichten und in unermüdlicher Arbeit am Aufbau eines Europa mitwirken, in welchem freie Völker unter freien Völkern in Frieden und Eintracht leben."

 

Diese Worte, die der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes der Heimatvertriebenen, Dr. Alfred Rojek, für das Programmheft zum diesjährigen „Tag der Deutschen Heimat" als Leitwort geschrieben hat, kennzeichnen klar und eindeutig die Grundeinstellung, mit der die Heimatvertriebenen den Gedenktag an ihre Heimat wieder begehen.

 

Aber nicht nur die Heimatvertriebenen, sondern alle Deutschen sollen an diesem Tage der Heimat gedenken, ganz gleich, ob sie sie zurzeit verloren haben oder ob sie noch in ihr wohnen. Das Wesentliche darüber ist in diesen Spalten bereits mehrfach gesagt worden. Der Berliner Landesverband der Heimatvertriebenen hat daher alle Berliner zur Teilnahme an der Großkundgebung, die am 2. August in der Waldbühne stattfindet, aufgefordert, und es steht zu hoffen, dass dieser Aufforderung gern und freudig Folge geleistet wird.

 

Darüber hinaus Werden es aber auch die Landsmannschaften, die am Nachmittag des gleichen Tages ihre besonderen Veranstaltungen durchführen, lebhaft begrüßen, wenn auch an diesen Zusammenkünften die einheimische Berliner Bevölkerung teilnimmt. Erst dann wird dieser „Tag der Deutschen Heimat" wirklich zu dem werden, was er sein soll, zu einem Gedenktag des ganzen deutschen Volkes.

 

Er ist ein Tag der Selbstbesinnung und des Dankes, ein Tag des Bekenntnisses zu Menschenrecht und Menschenwürde und ein Tag der Mahnung an alle Menschen, sich der Verpflichtungen bewusst zu sein, die das Wort „Heimat" umschließt. Er steht damit im Dienst der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens, wie er auch Ausdruck der Hoffnung ist, dass aus erduldetem Leid und ertragener Not dereinst eine bessere Zukunft erwachsen möge, die das verwirklicht und umschließt, was wir alle erstreben und ersehnen:

Heimat - Deutschland - Europa!

 

Seite 2   100 Ferienplätze für heimatvertriebene Kinder aus Berlin

Der Aufruf des Landesverbandes Niedersachsen des „Bundes der vertriebenen Deutschen" an die Vertriebenen, insbesondere die wieder sesshaft gemachten ostdeutschen Bauern und Landwirte, Ferienfreiplätze für Westberliner Vertriebenenkinder zu spenden, hatte einen überraschend großen Erfolg. Es gingen fast 100 Meldungen ein, ein Beweis, dass diejenigen unter den Vertriebenen, die der größten materiellen Not entrückt sind, die Gemeinschaft mit den schlechter gestellten Schicksalsgefährten nicht aufgeben.

 

Seite 2    Landsmannschaft der Pommern in Argentinien" gegründet

Nachdem kürzlich in der argentinischen Hauptstadt eine „Landsmannschaft der Schlesier in Argentinien" ins Leben gerufen worden ist und auch bereits ihr erstes Schlesiertreffen durchführte, wurde nunmehr auf einer Zusammenkunft heimatvertriebener und früher eingewanderter Pommern eine „Landsmannschaft der Pommern in Argentinien" gegründet. Die Gründungsversammlung erfolgte ebenfalls auf Grund eines in der Vertriebenenzeitschrift „Tatsachen - Realidades" und in der deutschsprachigen Presse Argentiniens veröffentlichten Aufrufes in der „Agencia Periodistica Garza", deren Leiter, Herr Ernesto Kienitz-Garza, zu den erschienenen Pommern über den landsmannschaftlichen Gedanken sprach. Durch einstimmigen Beschluss wurde ein Arbeitsausschuss gebildet, der sich den organisatorischen Aufgaben widmen soll.

 

Seite 2   Die Eingliederungsdarlehen Grundsätze für ihre Gewährung

„Eingliederungsdarlehen - Aufbau- und Arbeitsplatzdarlehen" lautete das Thema des 5. öffentlichen Forums der Vertriebenen, das am 25. Juni 1953 von den „Ostdeutschen Nachrichten" durchgeführt wurde. Der stellvertretende Leiter des Landesausgleichsamtes, Dr. Engelbrecht, sprach im dichtgefüllten Saal des „Hauses der ostdeutschen Heimat" zu den wichtigsten Einzelfragen.

 

Dr. Engelbrecht ging davon aus, dass die Leser der „Ostdeutschen Nachrichten" durch einzelne Artikel über das Thema „Lastenausgleich" bereits grundsätzlich unterrichtet seien. Er  wolle daher nur einen Überblick über die Möglichkeiten bringen, die der Lastenausgleich auf dem Gebiete der Eingliederungsdarlehen biete. Bekannt sei, dass derjenige, der gut durch die Zeiten gekommen sei, im Lastenausgleich etwas zu geben habe. Der Geschädigte solle etwas bekommen. Zunächst müssen die Abgabebescheide ergehen und die Schäden festgestellt werden. In einem späteren Gesetz, das 1957 erlassen werden soll, werden dann die Quoten für die Heimatvertriebenen festgesetzt. Da' Gesetz nenne die Möglichkeit der Eingliederungsdarlehen. Diese sollen es den Geschädigten ermöglichen, sich wieder in den Wirtschaftsprozess einzugliedern. Es müsse aber ein gewisses Verhältnis zwischen dem Vergangenen und dem Zukünftigen bestehen.

 

Aufbaudarlehen gebe es für das Gewerbe und die freie Wirtschaft. Es sei die Möglichkeit, die dem Aufbau zerstörten Hausbesitzes und Grundbesitzes gelte. Ferner gebe es das sogenannte Arbeitsplatzdarlehen, das nicht nur Geschädigte bekommen, sondern auch Betriebsinhaber, die sich verpflichten, Arbeitsplätze mit Geschädigten zu besetzen.

 

Antragsberechtigt für diese Darlehen sei derjenige, der einen Schaden erlitten habe. Die Heimatvertriebenen seien hier alle antragsberechtigt. Der Betreffende muss die persönlichen Voraussetzungen und die Fähigkeit mitbringen, einen Betrieb zu leiten.

 

Als die größte Schwierigkeit bei der Eingliederung der Geschädigten bezeichnete Dr. Engelbrecht, dass die Geschädigten sich erst einen Betrieb suchen müssten, ehe sie ein Darlehen beantragen könnten. Darauf ließe sich selten ein Verkäufer oder Verpächter ein, weil er andere Interessenten, die sofort über Geld verfügten, vorziehe.

 

Wer in der Heimat Grundbesitz für gewerbliche Zwecke oder ein Wohnhaus gehabt habe, könne ein Darlehen bekommen, um hier etwas Ähnliches zu bauen oder zu kaufen. Es müsse aber immer ein angemessenes Verhältnis zwischen dem erlittenen Schaden und dem jetzigen Betrieb bestehen.

 

Für Landwirte lägen die Dinge in Berlin besonders schwierig, weil es geeignete Objekte kaum gäbe. Es könne sich hier nur um Gärtnereien, Mästereien oder Farmen handeln.

 

Dr. Engelbrecht betonte, dass das Geld nicht unvorsichtig ausgegeben werden dürfe. Sicherheiten müssten vorhanden sein. Die Hauptsicherheit für die Heimatvertriebenen seien die späteren Ansprüche aus dem Lastenausgleich, und zwar die Hauptentschädigung. Meist seien aber dafür keine Unterlagen vorhanden, und es sei schwer, den Einheitswert des verlorenen Grundstückes festzustellen. Vielleicht könne mancher über die Heimatauskunftsstellen Zeugen über Größe und Umfang des Grundstückes beibringen, aber über Schulden, die darauf gelegen haben, könne kaum jemand etwas sagen. Dies werde bei der Hauptentschädigung noch manche Schwierigkeiten bereiten.

 

Den Landesausgleichsämtern seien vielfach Bürokratismus und langsames Arbeiten vorgeworfen worden. Das Gesetz bezeichnete Dr. Engelbrecht mit seinen Ausführungsbestimmungen als so kompliziert, dass die Einarbeitung der Bearbeiter lange Zeit in Anspruch nehme.

 

Man bezeichne dieses Lastenausgleichsgesetz oft als das schwierigste seit dem BGB. Dr. Engelbrecht bat die Anwesenden um Verständnis für die Lage. Es werde noch einige Zeit dauern, bis die bestehenden Mängel abgestellt werden könnten.

 

Zum Härtefonds bemerkte der Redner, dass das Landesausgleichsamt die Absicht gehabt habe, am 1. Juli mit der Ausgabe der entsprechenden Formulare zu beginnen. Laut § 301 des Lastenausgleichsgesetzes können bestimmte Personengruppen Mittel aus dem Härtefonds erhalten. Sie würden durch Rechtsverordnung noch näher bezeichnet. In Berlin kämen folgende Personengruppen in Frage. Sowjetzonenflüchtlinge, die ihre Heimat wegen Gefahr an Leib und Leben verlassen mussten (Flüchtlingsschein A) und Vertriebene, die am Stichtag (30. Dezember 1950) noch nicht in Westberlin waren, aber bis zum 30. Dezember 1952 zugezogen sind. Diese können berücksichtigt werden, wenn sie antragsberechtigt sind. Die Leistung aus dem Härtefonds sei eine Leistung ohne Rechtsanspruch Es gebe die „Beihilfe für den Lebensunterhalt" und die „Beihilfe zur Beschaffung von Hausrat".

 

Rechtsanwalt Dr. Matthee und Rechtsanwalt Nehlert ergänzten die Ausfüllungen des Redners in Einzelheiten und brachten berechtigte Wünsche der Heimatvertriebenen zur Sprache.

 

In der anschließenden Aussprache, an der sich zahlreiche Landsleute aus allen Landsmannschaften beteiligten, ergriff  Dr. Engelbrecht noch mehrmals das Wort. Auch Herr Sudek vom Senator für Wirtschaft stellte verschiedene Unklarheiten richtig.

 

Im Ganzen gesehen, war auch dieses fünfte Forum in der Vielseitigkeit der behandelten Probleme und der Lebendigkeit der Aussprache ein Beweis für das brennende Interesse der Heimatvertriebenen an diesen Fragen

 

Seite 2   Was bringt das Bundesvertriebenengesetz?

Von Rechtsanwalt Benno Nehlert, 1. Vorsitzender des Heimatverbandes der Schlesier (Fortsetzung und Schluss)

Über den Rahmen der Eingliederungs- (Aufbau-) Darlehen hinaus ist nach § 72 Vertriebenen- (und Sowjetzonenflüchtlingen) in der Landwirtschaft, im Gewerbe und in freien Berufen durch Gewährung von Krediten aus öffentlichen Mitteln zu günstigen Bedingungen die Möglichkeit zur Begründung und Festigung selbständiger Existenzen zu geben; auch zur Ablösung hochverzinslicher und kurzfristiger Kredite; und auch für Unternehmungen, an denen sie nur wenigstens mit der Hälfte des Kapitals oder auf die Dauer von 10 Jahren nur wenigstens mit 35 v. H. beteiligt sind.  

 

§73 sieht steuerliche Vergünstigungen, § 74 Bevorzugung der Heimatvertriebenen (und Sowjetzonenflüchtlinge) oder Gesellschaften, an denen sie beteiligt sind, bei Vergabe öffentlicher Anfrage vor. Wenn an irgendwelche Betriebe Finanzierungsbeihilfen aus öffentlichen Mitteln vergeben werden, soll die Beihilfe nur mit der Auflage gegeben werden, dass auch diese Betriebe die, Vertriebenen und Flüchtlinge bevorzugt berücksichtigen. Zu § 73 sei bemerkt, dass ein Erlass der Grunderwerbssteuer bei Grundstückskäufen nicht angeordnet ist, dass aber der Bund den Ländern empfiehlt, sie zu erlassen, wenn Vertriebene, die Grundbesitz verloren haben, solchen erwerben.

 

Bei der Anordnung und Durchführung von Kontingenten sind Vertriebene (und Sowjetzonenflüchtlinge) nach § 75 angemessen zu berücksichtigen, ebenso nach § 76 bei Vergebung von Grund und Boden, Räumlichkeiten und Betrieben durch die öffentliche Hand.

 

§ 77 schreibt vor, dass Arbeitnehmer aus den Kreisen der Vertriebenen (und Sowjetzonenflüchtlinge) der Verhältniszahl entsprechend zu beschäftigen sind. Das Gleiche gilt nach § 78 für die Besetzung von Lehr-  und Ausbildungsstellen. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist angewiesen, unter Beteiligung der zuständigen Wirtschaftsorganisationen auf Einhaltung dieser Vorschriften hinzuwirken.

 

Schließlich bestimmt § 80, dass Vertriebenen (und Sowjetzonenflüchtlingen) ein angemessener Teil des vorhandenen und des neu zu schaffenden Wohnraums zuzuteilen ist.

 

Eine sehr wesentliche Sonderbestimmung enthält § 82: Mit dem heimischen Besitz müssen ganz selbstverständlich auch die heimischen Schulden erledigt sein. Vertriebene können wegen der Verbindlichkeiten, die vor der Vertreibung begründet worden sind, grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden.

 

Nur bei unbilligen Härten kann davon abgegangen werden. Ob eine solche vorliegt, richtet sich im Allgemeinen nach den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen des Schuldners am 21. Juni 1948. Selbstverständlich können aus besonderen Gründen spätere Vermögensverbesserungen oder -Verschlechterungen berücksichtigt werden. Der Gläubiger kann in solchen Härtefällen bis zum 31. Dezember 1953 die richterliche Vertragshilfe anrufen.

 

Bezüglich der Sozialversicherung bestimmt § 90, dass Vertriebene (und Sowjetzonenflüchtlinge) in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung den Berliner Berechtigten gleichgestellt werden und ihre Rechte und Anwartschaften auch bei den Berliner Trägern der Sozialversicherung gehend machen können.

Von ganz besonderer Bedeutung für Empfänger von Sozialunterstützungen ist § 91: Gegen Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge und deren unterstützungspflichtige Verwandte sind Ersatzansprüche nach § 4 der VO über Ersatz von Fürsorgekosten nicht geltend zu machen. Ausgenommen hiervon sind nur die Fälle der Doppelleistung, also z. B. der Fall, dass für den gleichen Zeitraum Kriegsschadensrente und Sozialfürsorge bewilligt und geleistet ist. Hier bleibt der Eisatzanspruch unberührt.

 

Zum Abschluss sei der § 94 genannt. Danach darf der Zuzug nach Berlin nicht versagt werden, wenn ein Vertriebener (oder Ostzonenflüchtling) im Wege der Familienzusammenführung den Ehegatten, minderjährige Kinder oder Enkel, hilfsbedürftige Eltern, volljährige in Ausbildung begriffene oder sonst Unterhalts- oder pflegebedürftige Kinder oder elternlose Kinder von Verwandten aufnehmen will.

 

Abschließend darf gesagt werden, dass das Gesetz trotz der einem Kompromiss immer anhaftenden Mängel den Heimatvertriebenen doch wesentliche Rechte, insbesondere volle Gleichstellung mit den Einheimischen auf allen Gebieten, Schutz gegen Inanspruchnahme aus heimischen Verpflichtungen, Sicherung der Familienzusammengehörigkeit bringt. Uns obliegt es, dafür zu sorgen, dass es sich unverkürzt und unverkümmert auswirkt.

 

Seite 3   Unsterbliche Landschaft Ostdeutscher Bilderbogen von Willi Michael Beutel

Vom Kurischen Haff herüber kommt ein schweres Gewitter auf. über die Memelbrücke nach Tilsit hinein jagt, ängstlich zum Himmel blickend, ein russischer Bauer seinen Panjewagen, der laut hallend über das von Panzerketten zerfressene Pflaster hämmert. Die Stadt liegt wie tot da, als das Bäuerlein durch ihre Straßen saust. Immer wieder fliegt die Peitsche über den langmähnigen Trakehner Gaul, bis es vom Himmel herunterbricht und der Bauer, ein entlassener und hier angesiedelter Rotarmist, Gaul und Wagen im Stall des Stadtsowjets unterstellt. Was schert es ihn, dass dieser Stall früher einmal eine Prunkhalle des Tilsiter Rathauses war? „Nitschewo, draußen Regen.. ."

 

Der Regen peitscht über das weite Land, zwischen die goldgelben Weizenhalme, die sich stolz der Flut entgegenstemmen und dann doch zur Seite geschwemmt werden. Mit tausend kleinen Fäusten trommelt das Wasser über die Ruine eines Bauernhauses auf dem Hügel vor der Stadt; wie ein Sturzbach dringt das Wasser ein, und wieder bricht eine Wand dieses Hauses, in dem einstmals eine ganze Familie glücklich war, und das Gestern sinkt in sich zusammen.

 

„Nitschewo", würde unser kleiner Russe sagen, „nix Kolchos, kaputt..."

 

Die wenigen Kähne auf dem Pregel schaukeln auf dem stürmischen Wasser wie die russischen Torpedoboote auf der Reede von Pillau. Die Häuser um den Königsberger Bootshafen sind weggefegt, an ihrer Stelle stehen neue, schmucklose Militärbauten. Und im einigermaßen wieder aufgebauten „Blutgericht" gibt es nach der russischen Speisekarte Pilaw. Im Zoppoter Casino ist die Roulettekugel eingerostet. Für solche Spiele haben die jetzigen Herren kein Verständnis mehr. Die Arbeiter und polnischen Marineangehörigen haben außerdem sowieso kein Geld. Am Abend setzen sie sich in den elektrischen Zug, der sie mit 60 km/Std. nach Danzig bringt, zu billigen Vergnügungen oder in das polonisierte Stadttheater zur „Pflichtvorstellung". Die Kulisse eines der schönsten Plätze der Welt, des Langen Marktes, ist aus dem Feuersturm 1945 wieder erstanden, zusammen mit dem Rathaus und dem Artushof. Aber hinter den Kulissen? Es tut zu weh, es zu sagen - denn das andere ist kaum mehr Danzig, es ist schon „Gdansk". Und trotzdem wird dieser Flecken Erde immer deutsches Land bleiben.

 

Die Seen und Wälder herunter nach dem Süden sind einsamer als zuvor. Die fröhlichen Kolonnen der Bauerngespanne an den Uferwegen sind selten geworden, und fröhlich sind sie auch nicht mehr. Die Spiegel der Seen sind trüb; nur die Wälder haben ihre majestätische Ruhe, ihr sattes, dunkles Grün und den wunderbaren Duft des Harzes behalten. Das Heidekraut hat mit seinen Ranken die Wege überwachsen. Auf den Feldern arbeiten große Kombinen, aber die Felder der Kornkammer sind schmäler geworden und immer breiter die Wiesen - die Menschen fehlen, die sie bebauen.

 

Gnädig hat die Natur das Todeslager Graudenz zugedeckt. Ein Blitz ließ die alten Baracken in Flammen aufgehen. Heute wächst dichtes Gras über dem Grab von Tausenden; aber auch Blumen, Tausende von Blumen lassen hier die Erde wachsen, für jeden Toten, der unter diesem Rasen ruht, eine...

 

Schüchtern bimmelt die Glocke der Johanniskirche zu Thorn die Mittagsstunde. Unten, auf dem Markt, hört man sie nicht. Hier feilschen die Hausfrauen um jedes Gramm Speck, das ihnen die Bauern verkaufen dürfen. Erst kurz vor dem Mittag wird dieser Platz leer, und zwei lustlose Straßenkehrer fegen den Schmutz zusammen. Durch die altertümlichen, schmalen Straßen rumpeln die Bauernwagen zurück. Breit liegt die Sonne über der Stadt Thorn, und auf dem kurzen Weg zum Seglertor ist der Schatten unter die Fensterbretter zurückgewichen.

 

Dann steht man vor dem mächtigen Schicksalsstrom der Deutschen im Osten - der Weichsel. Träge treibt über sie ein altersschwacher Kahn. Von Bromberg her schnauft ein breiter Schlepper den Fluss aufwärts ...

 

Vor dem Dorf in der weiten Ebene haben sie einen hölzernen Triumphbogen aufgerichtet, Einfahrtstor zum Kolchos. In langer Reihe stehen die Menschen auf den Feldern, sie heben und senken die Arme gleichmäßig, wie auf Kommando, wie Maschinen ... drinnen in den Ställen brüllen die Kühe. Spät erst werden sie heute hinausgetrieben auf die saftige Weide. Die Menschen haben zu viel mit den Maschinen zu tun, und als die Tiere draußen sind auf den Wiesen, fällt schon der Abend ins Land.

 

Schwer dröhnen die Glocken des Domes zu Gnesen über die Hügel vor der Stadt in die Ebene hinaus. Abend für Abend verhallt der Ruf in der Weite. Nur ein paar alte Mütterchen knien täglich in einer der ehrwürdigen Kapellen, hören die polnische Messe, dazwischen die tröstlichen, bekannten lateinischen Worte, und flüstern leise vor sich hin: „ ... Dein Wille geschehe, im Himmel wie also auch auf Erden .. .“

 

Die Wälder in Pommern sind still geworden. In der „Pommerschen Schweiz" gibt es kaum noch Wild. Nur wilde Kaninchen, Hasen und Puten scheucht der laute Schritt auf. Sie und die Fische haben das große Sterben überstanden. Und die Rohrsänger schnarren im Schilf wie früher den ganzen Tag. Varzin, das Stammschloss der Bismarcks, ist heute eine Landwirtschaftsschule und der gepflegte Parkgarten ein Wildpark geworden. Aber wenn die Nacht über dem kleinen Schlossturm steht, dann sieht es beinahe aus wie früher - nur beinahe, denn das leuchtende Weiß seiner Mauern ist schon grau.

 

Über die Wehr von Greifenberg schäumt die Rega wie seit vielen Jahrzehnten. Stundenlang kann man dem Spiel des Wassers zusehen, wenn am frühen Morgen Jeder Wassertropfen am Wehr im Fallen einem Sonnenstrahl begegnet, bis er wieder versinkt in den breiten Fluss und in die Schatten der Uferalleen. Weiter unterhalb des Flusses, an der weitgespannten steinernen Brücke in Treptow, spielen kleine Jungs im Wasser. Sie sprechen polnisch ... vor ein paar Jahren sprachen sie deutsch, und gegenüber der spätgotischen Kirche saßen deren Väter im Wirtshaus. Heute sitzen die Väter der anderen Jungen da.

 

Aber dieser Wechsel ist nicht natürlich wie die Jahreszeiten oder der Übergang vom Tag in die Nacht ...

Der Morgen über Oberschlesien ist grau und rauchig, die Luft dick und schwer wie über jedem „Kohlenpott". Und immer wieder zischen schwarzgraue Wolken aus den roten Schlacken hoch, wenn der leise Nieselregen fällt und helle Rinnen in die schmutzig dunklen Häuserfronten zieht. Die Förderräder drehen sich in stillem Gleichmaß, das nur unterbrochen wird, wenn sich die Schichten ablösen. Dann gehen die langen Fabriktore auf, und die Straße zur Stadt füllt sich mit den schwarzen Gesellen. Eine kleine Gruppe geht abseits - Deutsche. Unter Tage sind sie Arbeitskollegen - nach dem Ausstieg eben Deutsche.

 

In den großen Hallen der Stahlwerke rutschen die Rollen mit den schweren Blechen unter die Walzen. Daneben öffnet sich der Mund eines Siemens-Martin-Ofens, und weißglühend fließt der Stahl heraus. Weiter geht die Arbeit, Takt für Takt, immer im gleichen Rhythmus, wie seit Jahren im „oberschlesischen Ruhrgebiet". Zum Annaberg hinauf, der von einer Nebelkrone umgeben ist, zieht heute kaum noch ein Deutscher, und wenn, dann nur verstohlen. Denn der „heilige Berg der Oberschlesier" ist mit seinem Partisanendenkmal unheiliger Wallfahrtsort der polnischen Miliz geworden. Bei Oppeln ist die Oder noch nicht Grenzfluss, aber trotzdem steht an der Brücke ein gelangweilter Posten der Miliz. Die Vertrautheit der Häuser mit den Dachkämmerchen am Ufer ist verschwunden, die Polen haben den größten Teil abgerissen und neue Mietskasernen gebaut, die kalt und kühl die Türme der Kirche „Zum Heiligen Kreuz" überdecken.

 

Breslau ist auch heute noch eine Stadt der offenen Wunden. Kaum im inneren der Stadt, aber wohl draußen in den Außenvierteln, in den Odervororten, scheint es noch immer so, als ob diese Stadt nicht mehr erstehen könnte. Vielleicht hat man es auch aufgegeben, nachdem man versucht hat, das Rathaus mit seinen gotischen Erkern nachzuformen, und dies nicht gelang. Das sprühende, lebendige Treiben auf den Straßen ist einer etwas gezwungenen Atmosphäre des in-den-Tag-Hineinarbeitens gewichen.

 

Nach Westen zu wird das Land immer lieblicher, freundlicher und waldiger. Breite Kuppen steigen aus der hügeligen Ebene, die spitzen Türme gotischer Dome weichen den breitgeformten Zwiebeltürmchen späterer Epochen. Die Perlenkette schlesischer Kleinstädte reiht sich am Gebirge entlang. Eingekuschelt in eine eigene Bergwelt das Waldenburger Land, breit dahingestreckt die schlesische Lausitz.

 

Wo sich die Ausläufer des Riesen- und Heuscheuergebirges vereinen, liegt das kleine Städtchen Grüssau. So poetisch wie der Name ist auch die Landschaft. Hoch ragt in den blauen Himmel die Klosterkirche Mariengnade, eine der bewundernswertesten Schöpfungen des Barock. Jetzt, in den heißen Sommertagen, liegt die Kirche still im Sonnenlicht, aber an den Festtagen reiht sich trotz der nahen Truppenübungsplätze und der stillen Öde der menschenleer gewordenen kleinen Berggemeinden eine Prozession an die andere. Zwar fehlen dabei die kirchlichen Fahnen, die sonst voranflatterten, aber die Gebete sind die gleichen. Nur die Gläubigen sind andere - und es ist kein Friede über dem Land.

 

Es ist kein Friede über dem Land ... wie oft mag das wohl in den vergangenen Jahren der Berggeist Rübezahl gesagt haben. Er ist unruhig geworden wie die Berge. Schneidender als sonst pfeift jetzt der Wind über den zerzausten Kamm des Riesengebirges und öfter als sonst entlädt sich mit ungeheurer Gewalt eines der gefürchteten Berggewitter, die tagelang in den Bergkesseln zwischen Schlesien und dem Sudetenland stehen.

 

Leitmeritz, die stille sudetendeutsche Provinzstadt an der Elbe, ist noch stiller als jemals zuvor. Die freundlichen weißen Häuser an den sanften Uferhügeln der Elbe lachen nicht mehr alle mit blanken Fenstern. Vor Jahren hatten hier 17 000 Menschen ihre Heimat, heute sieht man neben Soldaten in den Winkelgässchen kaum noch einen Zivilisten. Auch die Rebhänge am Stadtausgang sind bis auf wenige überwachsen vom Unkraut.

 

Die Schwesterstadt Lobositz, am anderen Ufer des träge dahinfließenden Stroms zählt kaum noch einige hundert Einwohner. Die hier angesiedelten tschechischen Bauern, die im fruchtbaren Mittelgebirge, rund um den Donnersberg einige wenige Felder bestellen, kommen alle Monate in diesem verlassenen Städtchen zusammen, um der öde der stillen Dörfer zu entrinnen. Für ein paar Stunden kommt der Lärm auf, um dann bald wieder von der fast unheimlichen Stille aufgeschluckt zu werden.

 

Am Wochenende treffen sich die wenigen Bewohner dieser Stadt in der Apotheke, um beim Stammgetränk des Slivowitz über die gute alte Zeit zu sprechen, in der sie zusammen mit den Deutschen die Felder der Elbniederung bewirtschafteten. Und mancher von ihnen, der früher Landarbeiter war und heute eine enteignete deutsche Wirtschaft führt, würde gern wieder das unrechtmäßige Land abgeben, wenn er dafür Frieden und Freiheit eintauschen könnte.

 

Hin und wieder legt ein Elbdampfer in Leitmeritz an und fährt mit ein paar Urlaubern wieder elbaufwärts, vorbei an den im Frühling so wunderbar erblühenden Ufern, vorbei an der Ruine der Kirche von Salesel, weiter über die Schleuse am Schreckenstein, an der Industriestadt Aussig vorbei - bis nach Tetschen-Bodenbach, wo das Schloss vom Felsen grüßt. Früher fuhr man hier weiter nach Herrnskretschen, der Böhmisch-Sächsischen Schweiz, nach Königsstein und Dresden. Früher - war all dies unsere Heimat. Heute sind wir von ihr vertrieben. Aber so unsterblich diese Landschaft ist, so ewig bleibt sie unsere Heimat...

 

Seite 4   Jubiläumsstädte im Wartheland, von Dr. Ilse Rohde

Nicht nur die Hauptstadt des Warthelandes kann in diesem Jahr auf ein 700-jähriges Bestehen als deutschrechtliche Stadt zurückblicken. Im gleichen Jahr, aber auch schon vorher und kurz nachher wurden eine Reihe anderer Städte zu deutschem Recht gegründet, deren Namen nicht der Vergessenheit anheimfallen sollen. So wurde schon im gleichen Jahr, 1253, die Stadt Schrimm, am Wartheknie gelegen, als deutschrechtliche Stadt gegründet, und zwar, wie es ausdrücklich in der Gründungsurkunde heißt, nach dem gleichen Recht wie die Stadt Posen. Das ist besonders auffallend, weil in den meisten anderen Gründungsurkunden entweder das Magdeburger oder das Neumarkter Recht (nach der schlesischen Stadt Neumarkt) erwähnt wird. Das Magdeburgische Recht, nach dem auch Posen gegründet wurde, war maßgebend für alle Kolonialstädte des Ostens, so für ganz Schlesien und bis weit hinein nach Polen.

 

Was das Magdeburgische Recht bedeutete, welche Befugnisse es den Bürgern gab, wie der vom Grundherrn gewonnene Lokator die Städte anlegte, die Siedler warb, berief und einsetzte, wie aus der Gründung sich eine deutsche Stadt mit Handel und Wandel, Handwerk und Gewerbe entwickelte, schildert uns Hugo Lieske in der Jubiläumsschrift „700 Jahre Posen", die die Landsmannschaft Warthe herausgegeben hat.

 

Wie in Posen, spielte sich das bürgerliche Leben auch in anderen Städten ab. Dass sich diese kleinen Städte nicht immer günstig entwickelt haben wie gleichgeartete Städte in Schlesien oder Pommern und Westpreußen, lag häufig daran, dass der adlige Grundherr, der sie auf seinem Besitz anlegen ließ, sich wenig darum kümmerte, ob das auch wirklich der richtige und geeignete Platz für eine Stadtgründung war, und dass er, besonders in späteren Jahrhunderten, nur bemüht war, möglichst viel aus seiner Stadt herauszuholen, ohne sie nach Kriegsunruhen oder Bränden zu Atem kommen zu lassen. So sind manche kleine Städte von vornherein zum Absterben verurteilt gewesen, etwa wenn neben dem größeren Kurnik die winzige Schwesterstadt Bnin angelegt wurde, oder wenn kleine Landflecken wie Rynarczewo, Rogowo oder andere mit der Würde einer Stadt zu prunken versuchten.

 

Diese kümmerlichen Umstände haben es zum Teil nicht dazu kommen lassen, dass eine Reihe der Posener Städte und Städtchen den behäbigen Wohlstand erlangten, der anderen deutschen Kleinstädten eigen ist und der ihnen auch heute noch den Reiz und die Behaglichkeit verleiht, die wir so lieben. Aber auch unsere Posener Städte und Städtchen haben wir geliebt und lieben sie auch heute noch, und mancher tüchtige Bürger, ja auch Künstler und Gelehrte, ist in ihren engen Straßen, in ihren kleinen Häusern und in der schönen, weiten Seen- und Waldlandschaft, die den Reiz dieser Städte ausmachen, groß geworden.

 

Wie gesagt, Posen ist nicht die älteste deutschrechtliche Stadt im Wartheland. Gleich nach dem Mongoleneinfall 1241 fanden viele deutsche Bürger den Mut, es ebenso wie in Schlesien auch in Posen mit Niederlassungen städtischen Rechtes zu versuchen. Der Posener Historiker Adolf Warschauer, der das Städtebuch der Provinz Posen herausgebracht hat, nennt als erste deutsche Gründung Gnesen. Natürlich bestand Gnesen schon lange vorher und war berühmt als die Ausgangsstätte der polnischen Fürsten (Gniezno, Gniazdo-Nest), zugleich aber auch als kirchlicher Mittelpunkt durch seinen Dom, in dem die Gebeine des heiligen Adalbert ruhten und wohin Otto III. seine Wallfahrt unternahm. Und nun wurde aus der regellosen Siedlung um Dom und Fürstenschloss eine deutsche Stadt wie allerorten mit viereckigem großen Marktplatz und geregelten Straßen. Nicht weit von Gnesen und den Gnesnern bekannt durch seinen herrlichen, langgestreckten See liegt das Städtchen Powidz, das auch schon 1243 zu deutschem Recht gegründet wurde. Westlich von Gnesen entstand um 1250 Kletzko, wie auch die bedeutendere Hauptstadt Kujawiens Jung-Leslau, die zwei Jahrhunderte lang diesen Namen amtlich führte, von den Polen aber dann Inowroclaw genannt wurde. Um diesen Namen hat es noch in unseren Tagen manchen Streit gegeben. Inowroclaw heißt nämlich nichts anderes als Jung- oder Neu-Breslau. Als es im 19. Jahrhundert um die Verdeutschung des schwer auszusprechenden Namens ging, ließ es der Stolz der Bürger nicht zu, dass ihre Stadt gewissermaßen nur ein Ableger der größeren Schwester Breslau sein sollte. So kam es zu dem ganz neuen Namen „Hohensalza", der insofern seine Berechtigung hatte, als der Salzabbau der Stadt zu ihrem Haupterwerb gehörte und die damit verbundene Solequelle ihr den Ruf als Rheumabad gab. Immer mehr entwickelte sich Hohensalza mit manchen schönen modernen Anlagen zu einem neuzeitlichen Kurort und war neben Posen und Gnesen eine der bedeutendsten Städte des Warthelandes.

 

Etwa um 1248 muss Meseritz entstanden sein, das an der Grenze zwischen Posen und Brandenburg von jeher stark nach Brandenburg tendierte. 1251 wurde auch Kostschin gegründet, noch vor 1253 Pudewitz, und nach der Posener Stadtgründung sind im Laufe des 13. Jahrhunderts noch Exin, Wronke,Rogasen. Schwerin/Warthe, Nakel, Zduny, Buk, Kriewen, Gostyn, Jarotschin, Lubin und das vorhin schon erwähnte Rynarzewo entstanden.

 

Wenn wir diese Namen auf der Karte aufsuchen, so sehen wir, dass der Raum zwischen Gnesen und Posen und zwischen Posen und Schrimm besonders dicht besiedelt war, dass aber der südliche und westliche Raum und ebenso die Netzegegenden erst wenig Siedlungen aufwiesen. Nach dem siedlungsfreudigen 13. Jahrhundert brachte die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts die Kolonisation zum Stocken, und erst unter Kasimir dem Großen begann die Anlage der Kolonialstädte wieder. Als eine eigene Stadt und Lieblingsgründung entstand damals, 1346, Bromberg, die Stadt an der Brahe, die 400 Jahre später auch von einem König, Friedrich dem Großen, besonders gefördert wurde. - Weitere Städtegründungen erfolgten auch noch im 17. und 18. Jahrhundert. Die jüngste Stadt im Wartheland und nicht die unbedeutendste, Neutomischel, wurde erst 1786 ins Leben gerufen.

 

Alle Posener, ob sie aus der Stadt selber stammen, ob sie dort zur Schule gegangen sind oder sonst in irgendeiner Verbindung zu ihrer Landeshauptstadt stehen, feiern in diesem Jahr in dankbarer und demütiger Erinnerung das Posener Jubiläum. Aber auch die kleinen Städte, in denen ebenso viel tapferer deutscher Siedlergeist gewirkt hat, sollen nicht vergessen sein. Auch ihnen gelten die Feiern, die in diesem Jahr alle Ostdeutschen mit den Posenern vereinen.

 

 

Seite 5   „Kunst des deutschen Ostens“

Ausstellung in Frankfurt am Main

(Eigenbericht.) Vor dem Hause des Kunsthandwerks auf dem Messegelände in Frankfurt am Main wehen an hohen Masten die Fahnen des deutschen Ostens. Sie bilden die Brücke zwischen der Gegenwart dieser in lebhaftem Wiederaufbau befindlichen Stadt und der Vergangenheit, die uns im Innern des Hauses über sieben Jahrhunderte hinweg umfängt. Die Ausstellung, die hier vom Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen bis zum 16. August gezeigt wird, ist nicht nur ein sichtbares Zeichen deutscher Kultur im osteuropäischen Raum, sondern auch ein Beweis für ihre enge Verbundenheit mit der gesamtdeutschen Kultur und verdient darum stärkste Beachtung.

 

Es ist hier nicht der Platz, die Einzelheiten der Ausstellung vom künstlerischen Standpunkt aus zu beurteilen. Nur das soll erwähnt werden, dass man in ihr eine Fülle von ostdeutschen Kunstwerken zusammengetragen hat, die fast durchweg zu dem Besten gehören, was uns noch aus der Vergangenheit verblieben ist. Wesentlich erscheint für uns bei der Beurteilung die Frage, ob der tiefere Sinn dieser Ausstellung als erfüllt angesehen werden kann. Und das darf rückhaltlos bejaht werden, wenn man in ruhiger Betrachtung durch die Räume gegangen ist.

 

Nicht nur die Vielseitigkeit der künstlerischen Arbeiten aus allen Jahrhunderten, nicht nur die Vielzahl der aus dem deutschen Osten stammenden bekannten und unbekannten Künstler überrascht immer wieder, sondern ebenso die vielfältige Verflechtung auf allen künstlerischen Gebieten zwischen Ost und West und der hohe Stand von Kunsthandwerk und Volkskunst in unserer alten Heimat.

 

So begrenzt der Raum der Ausstellung ist, so bewusst man eine scharfe Auswahl der einzelnen Stücke getroffen hat, so stark ist doch der Eindruck, der aus der Fülle des Gezeigten spricht. Ob es Malerei oder Plastik ist, ob man alte schlesische Keramik oder kunstvolle böhmische Gläser betrachtet, ob man vor dem berühmten Croy-Teppich von Peter Heymanns oder den Vitrinen mit alten Gold- und Silbermünzen steht, immer wird man von der Schönheit und der künstlerischen Vollendung gefangen genommen. Und es bleibt das gleiche, wenn man die wiedergefundenen Prunkgeräte aus dem Rigaer Schwarzhäupterschatz, den vergoldeten Pokal der Elbinger St. Georgs-Bruderschaft, die westpreußische Schrein-Madonna von 1390 oder die Gewänder aus dem Paramentenschatz der Danziger Marienkirche bewundert.

 

Einen breiten Raum nimmt die neuere Kunst, und hier besonders, die Malerei, ein. Es würde zu weit führen, auch nur einige Namen all der Künstler zu nennen, die hier mit ihren Arbeiten vertreten sind. Und man staunt Immer wieder darüber, wie viele deutsche Künstler mit dem Osten in irgendeiner Beziehung oder Verbindung standen, wie viele von ihnen aus diesem deutschen Osten stammen.

 

Dabei kommt auch die Schönheit und Vielfalt der ostdeutschen Landschaft immer wieder zu sichtbarem Ausdruck. Ostpreußisches Fischerdorf und schlesische Kleinstadt, Rigaischer Strand und Riesengebirge, Danzig und Breslau wandern in bunter Folge am Beschauer vorüber.

 

Aber nicht die Erinnerung an die alte Heimat und die bleibenden Werte, die dort von Deutschen geschaffen wurden, erscheint uns als der wesentliche Zweck der Ausstellung. Wichtig ist doch wohl vor allem, dass auch diejenigen, die nicht so eng durch persönliche Beziehungen mit dem deutschen Osten verbunden sind, seine Bedeutung für Gesamtdeutschland erkennen. Auch dem, der in künstlerischen Dingen Laie ist, wird dies in der Ausstellung zum Bewusstsein kommen.

 

Wir Heimatvertriebenen dürfen mit besonderer Dankbarkeit feststellen, dass hier auch dem Fernerstehenden die kulturelle und künstlerische Bedeutung unserer alten Heimat sichtbar vor Augen geführt wird. Und wir können nur dem einen Wunsch Ausdruck geben, diese Ausstellung möge in der gleichen oder ähnlichen Zusammenstellung auch in anderen Städten der Bundesrepublik gezeigt werden, wie es bereits mit der ganz anders gearteten früheren Ausstellung „Deutsche Heimat im Osten" so erfolgreich geschehen ist. Nicht oft genug kann auf die Bedeutung des deutschen Ostens für die gesamtdeutsche Kultur hingewiesen werden. Die unendliche Mühe und Sorgfalt, die die verantwortlichen Mitarbeiter auf das Zustandekommen dieser Ausstellung verwandt haben, rechtfertigt diesen Wunsch vollauf.

 

Seite 6   Zum Tag der deutschen Heimat. Ostpreußische Landschaft

Masuren

Dieses Land der Seen und Wälder ist das ärmste und schönste, aber auch das treueste der Kinder Preußens. Es fand erst in den letzten Jahrzehnten seine „Entdeckung", und keiner der zahllosen Menschen, die es kennenlernten, wird es je vergessen, handelte es sich doch hier um eine Landschaft von einmaliger Schönheit und zugleich voll fortschrittlichen Lebens. Die Jungfräulichkeit seiner weiten dunklen Wälder und der erikafarbenen Heideflächen, die Verträumtheit seiner kleinen Waldseen und die Weite der großen Flächenseen, die Idylle der Flüsschen und der hellen, freundlichen Städte an ihnen prägten das Gesicht Masurens. In seiner Landschaft war das Schweigen zuhause, die Ehrfurcht vor Gottes Wunderwelt, die hier in vielfältiger Einmaligkeit sich noch offenbarte, da entfaltete die Calla ihre keuschen Blüten, die Iris umsäumte sie mit goldenen Streifen. In der Borker Heide fand man die Überreste jener Taxusgewächse, deren Eibenholz vor Jahrhunderten England für seine Bogenschützen begehrte.

 

See- und Steinadler, Kraniche und Reiher, wilde Schwäne und selbst schwarze Störche hatten ihre Horste und große Kolonien an den Waldseen. Das Gebiet der Johannisburger Heide wies den größten zusammenhängenden Wald Preußens auf. Die alten Ordensstädte, die sich jedem Fortschritt so aufgeschlossen zeigten, und in denen ein großzügiges Erwerbs- und Kulturleben blühte, sie waren von Angerburg über Lötzen, Nikolaiken, Johannisburg, Ortelsburg, Sensburg, Treuburg und Lyck die Klammern dieser mehrfachen Kette von Wäldern, Seen und Höhen.

 

In dieser wundersamen, ergreifenden Heimat schlugen die Herzen schlichter, treuer Menschen, die in ihrer siebenhundertjährigen Geschichte das ganze Leid und die Kraft ostdeutschen Grenzschicksals getragen haben. Sie haben im unblutigen, friedlichen Kampf der Volksabstimmung von 1920 ihr deutsches Volkstum am leuchtendsten unter Beweis gestellt.

 

Ermland

Einst zerschnitt dieses Kernland Ostpreußens die Provinz in zwei Teile. Seine Bischöfe hatten dem deutschen Orden gegenüber ihre Selbständigkeit zu wahren gewusst, und es schloss sich auch gegen die ganz Preußen einnehmende Reformation ab. Trotz einiger Jahrhunderte polnischer Oberhoheit ist das Ermland immer deutsch geblieben, und seine aus schlesischen und niederdeutschen Siedlern bestehende Bevölkerung kannte durch alle Jahrhunderte keine trennenden Schranken zu dem größeren protestantischen Teile Preußens. Die Kirche hat den Siedlungen ihr Gepräge gegeben mit Gotteshäusern und Wallfahrtsorten, von denen Heiligenlinde mit seinem prunkvollen Barockbau die Phantasie eines E. T. A. Hoffmann beflügelte. Heilsberg, die ehemalige weltliche Bischofsresidenz, war die Verkörperung des Ermlandes. Bedeutende Bauten aus der Ordens- und nachfolgenden Zeit haben hier inmitten einer schönen Landschaft einen der köstlichsten Orte Ostpreußens geschaffen, der in seinem Stadtbild fast süddeutschen Charakter trug. Frauenburg, in das der Bischof 1836 seinen Sitz verlegte, mit dem wuchtigen Langhause seines Domes, hat das Wirken des deutschen Gelehrten aus schlesischem Stamme, Nikolaus Kopernikus, gesehen. Was Kopernikus in Frauenburg vollbrachte, tat Immanuel Kant In Königsberg, wo er sein System fand, das so revolutionär auf das Erkennen wirkte, wie die Weltenlehre des Kopernikus auf unsere Stellung zur Erde und zum All.

 

Samland

Schon die Phönizier und Römer kamen als Händler in vorgeschichtlicher Zeit an die Bernsteinküste des Samlandes, um das goldene Harz einzutauschen, das die Völker der Antike wertvoller als Edelsteine und Perlen dünkte und dem sie geheimnisvolle Kräfte beimaßen. Im Hinterland dieser sagenumwitterten Küstenlandschaft haben lange vor den Prussen schon die Nordgermanen gesiedelt und um die alten Wallburgen auf dem Galtgarben und den Hausenbergen reihten sich in dichter Folge die Siedlungen der Prussen.

 

Die fruchtbare Grundmoräne des Samlandes wird von dem 110 m hohen Galtgarben, dem Waldberge überragt, der durch Geschichte und Überlieferung, den Ostpreußen zum heiligen Berge geworden war. Ordensburgen und -Kirchen schauten landeinwärts oder über den Küstenwald zum weißen Bernsteinstrand und zur blauen Ostsee, Palmnicken, in dem aus der blauen Eide der Bernstein im Tagebau gewonnen wurde, Brüsterort, wo die zerklüftete Steilküste beginnt, die im Wachtbudenberg ihre höchste und im Zipfelberg ihre seltsamste Erhebung findet. Hier zwischen Wald und See lag eine köstliche Kette reizvoller kleiner Badeorte, von denen Rauschen und Cranz internationale Bedeutung besaßen und in jedem Jahre Hunderttausende Freude und Erholung schenkten. - Samland, das war die Verbindung von geheimnisvollen Wundern aus der Vergangenheit und der Natur zu schönster Landschaft und Lebensfreude in der Gegenwart.

 

Seite 6   Ostpreußen und Schlesier am Rio Igurei

Im Gebiet des Rio Igurei an der Nordgrenze Paraguays sind 30 vorwiegend schlesische und ostpreußische Bauernfamilien eingetroffen und haben sofort mit den Rodungsarbeiten begonnen. Die deutschen Ortschaften Yegros, Barthe und Hohenau hatten, obwohl im Süden des Staates gelegen, die Patenschaft für die neue Vertriebenenkolonie übernommen und im Siedlungsgebiet der Neueinwanderer bereits Blockhütten errichtet. Dies geschah in der Weise, dass diese deutschen Siedlungen Arbeitskolonnen stellten, die sich jeweils alle drei Wochen ablösten.

 

Die paraguyanische Regierung sorgte ihrerseits dafür, dass die Heimatvertriebenen an Ort und Stelle Werkzeuge und sogar Maschinen vorfanden. Der aus Landsberg an der Warthe gebürtige Siedler Werner Scholtz berichtet uns, dass die Rodungsarbeiten infolge dieser Hilfe wohl bereits schon in sechs Monaten beendet sein würden, zumal sich eine Anzahl christlicher Indianer den Siedlern zur Mithilfe zur Verfügung stellte. Deren Rat ist im Urwald für die Einwanderer von größtem Wert.

 

Da die neuen Siedlungen in Chaco Boreal an der bolivianischen Grenze erstehen sollen

haben sich auch Boliviendeutsche aus Auhagen und Schönbrunn bereit erklärt, die Neusiedler mit Rat und Tat zu unterstützen. Die Regierung in Asuncion hat bekanntgegeben, dass sie in den nächsten Jahren mit dem Neuentstehen von nicht weniger als fünf neuen Ortschaften rechnet, die alle von deutschen Neueinwanderern gegründet und etwa zur Hälfte von ihnen besiedelt werden sollen. Die Regierung gab hierzu bekannt, dass sie mit deutschen Einwanderern gute Erfahrungen gemacht und deshalb ein erweitertes Einwanderungsprogramm verabschiedet habe.

 

Seite 6   Wie sieht es heute in Ostpreußen aus?

Verwaiste Bauernhöfe in Ostpreußen „Aus Deutschland hört man immer wieder, dass alles nach geordnetem Leben drängt, hier ist man froh, wenn man sich über Wasser halten kann", heißt es in einem kürzlich aus dem polnisch verwalteten Ostpreußen eingetroffenen Brief. Ausführlich schildern die von einem noch heute in Ostpreußen lebenden Deutschen stammenden Zeilen die Zustände in der Heimat. Viele der Bauernhöfe, die nach der Vertreibung der deutschen Besitzer in die Hände zugewanderter Polen gekommen waren, stehen wieder verwaist. Das Bestreben, den unrechtmäßig erworbenen Besitz wieder loszuwerden, sei überall zu bemerken, berichtet der Ostpreuße, der jetzt seinen enteigneten Besitz mangels Nachfrage wieder zur Bewirtschaftung erhalten hat. Auch auf den in staatlicher Verwaltung befindlichen Gütern werden die Arbeitskräfte fast nur von Deutschen gestellt. Von der Kreisstadt heißt es, dass nicht nur die Mauern der abgebrannten, sondern auch der leerstehenden Häuser abgerissen und die Ziegel nach Osten verfrachtet werden.

 

„ Der Pastor betet polnisch, wir antworten deutsch“

Eine Rückkehrerin aus Ostpreußen gibt eine erschütternde Schilderung von den Zuständen in den ostpreußischen Kirchengemeinden. „Selbstverständlich", so heißt es in diesem Bericht, „singt der Chor die deutschen Lieder in polnischer Sprache. Auch die Kinder lernen im Konfirmandenunterricht nur polnisch oder aus dem «Spiewnik», einem Liederbuch, in dem unsere deutschen Lieder ins Polnische umgedichtet worden sind. Wenn wir im Gottesdienst sind, dann hört sich das recht eigenartig an. Der Pastor betet polnisch und spricht die Lithurgie in polnischer Sprache. Wir Alten antworten auf Deutsch, weil wir nicht anders können, und die Konfirmanden auf Polnisch, weil sie so müssen. Auch mit den Liedern ist es so. Die Alten singen aus dem Gesangbuch deutsch und die Jugend aus dem Spiewnik polnisch. Und doch ist unsere Kirche im Kreis Ortelsburg, zu der acht Ortschaften gehören, jedes Mal, wenn Gottesdienst ist, bis auf den letzten Platz gefüllt, und das sind immer so um 1000 Menschen."

 

Deutscher Konfirmandenunterricht in Ostpreußen

In der ostpreußischen Stadt Bartenstein und ihrer Umgebung wohnt gegenwärtig noch eine größere Anzahl von Deutschen, welchen von polnischer Seite die Ausreise zu ihren Angehörigen in Mittel- und Westdeutschland verweigert wurde. Diese Deutschen leiden, wie aus einem soeben in Berlin eingetroffenen Briefe hervorgeht, nicht nur materielle Not, sondern sie tragen besonders schwer an der seelischen Vereinsamung, in die sie inmitten der polnischen Zuwanderer gestoßen sind. Sie bemühen sich daher um die Aufrechterhaltung eines kirchlichen Lebens aus eigenen Kräften. So wurde für die jugendlichen Deutschen, die bisher noch nicht eingesegnet werden konnten - es befanden sich auch ältere Jahrgänge darunter - ein dreimonatiger Religionsunterricht eingerichtet. Am 1. Pfingstfeiertag konnten so 50 deutsche Jungen und Mädchen konfirmiert werden. Im Übrigen schildert der Briefschreiber die gegenwärtigen Verhältnisse in Bartenstein, dessen Einwohnerschaft gegenüber der Vorkriegszeit nur einen Bruchteil ausmacht. Die Folge ist, dass viele Wohnhäuser seit Jahren leer stehen. Nachdem sie zum großen Teil ausgeplündert wurden, fallen sie nunmehr der Spitzhacke zum Opfer. Die Abbrucharbeiten sind gegenwärtig noch im vollen Gange.

 

Ein Blumenstrauß aus Ostpreußen

Einen Blumenstrauß und einige Zweige sandte eine 75 Jahre alte Ostpreußin, die mit ihrem 79 Jahre alten Mann in Neu-Finken, Kreis Osterode, unter trostlosesten Verhältnissen lebt und sich ihr karges Brot, trotz ihres Alters, noch durch körperliche Arbeit verdienen muss, als rührenden Dankesbeweis für ein empfangenes Paket an die Absenderstelle der Bruderhilfe Ostpreußen in Göttingen. Der seltene Blumengruß aus der Heimat wurde einem schwerkranken ostpreußischen Landsmann übergeben, der diese auf ostpreußischer Erde gewachsenen, gepressten Blüten mit größter Sorgfalt und Liebe aufbewahrt

 

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