Ostpreußen Nachrichten, Folge 06 vom Juni 1953

Ostpreußische  Nachrichten

Folge 06 vom Juni 1953

 

Seite 1   Unsere Heimat für Europa

Bundestreffen der Ostpreußen, Pommern und Sudetendeutschen

Die alljährlichen großen Bundestreffen der ostdeutschen Landsmannschaften begannen in diesem Jahr mit dem Ostpreußentreffen am 9. und 10. Mai in Bochum. Ihm folgten in den Pfingsttagen die großen Kundgebungen der Pommern in Hamburg und der Sudetendeutschen in Frankfurt a. M. Es waren machtvolle Kundgebungen, zu denen viele Hunderttausende von Heimatvertriebenen zusammengekommen waren, um übereinstimmend ihr Bekenntnis dafür abzulegen, dass sie das unveräußerliche Recht auf die Heimat niemals aufgeben werden, dass aber ein dauerhafter Friede in dieser Heimat nur in einem vereinigten Europa möglich ist.

 

Über den Verlauf dieser großen Veranstaltung bringen wir nachstehend Berichte, die uns von unseren Mitarbeitern zugegangen sind.

 

„Dieses Land bleibt deutsch!"

Fahnenschmuck und Spruchbänder wurden den mehr als 120 000 Ostpreußen zum Gruß, die zum Dritten Bundestreffen in zahllosen Sonderzügen und Omnibussen, mit Fahrrädern, ja selbst zu Fuß nach Bochum, der Herzstadt des Industriegebietes, gekommen waren.

 

Im Mittelpunkt des Bundestreffens stand die Großkundgebung, die am Sonntagvormittag in der ehemaligen Maschinen- und jetzigen Festhalle des „Bochumer Vereins" stattfand.

 

Unter dem dröhnenden Geläut der geretteten „Silberglocke" des Königsberger Doms nahm die Kundgebung ihren Anfang. Nach einem Totengedenken und einer Begrüßungsansprache des Bochumer Oberbürgermeisters ergriff Bundesminister Jakob Kaiser das Wort. Nur Illusionisten könnten, so führte er aus, sowjetische Gesten für Taten nehmen. Heimatvertriebene würden nicht dazu gehören. „Nur eigenes Land "wollen wir wiedergewinnen, und zwar mit den Mitteln der Politik", sagte der Minister wörtlich. „Niemals wollen wir Gewalt, aber wir wollen und müssen an unser Recht erinnern." Wo Heimatrecht und Heimatbewusstsein der Völker geachtet würden, sei der Friede nicht gefährdet. An der Notwendigkeit eines friedlichen Ausgleichs

zwischen Ost und West könne keine Macht der Welt auf die Dauer vorübergehen.

 

Im Anschluss daran sprach Dr. Alfred Gille, der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen. Zur Frage des zukünftigen Schicksals der ostpreußischen Heimat führte er aus, dass der osteuropäische und damit ostdeutsche Raum wieder eine Ordnung erhalten müsse, in der Freiheit und Menschenwürde ihren alten Rang gewinnen. In einer durch Dr. Gille verlesenen Entschließung bekannten sich die in Bochum versammelten Ostpreußen zu einer Neuordnung Osteuropas in einer freien Welt. (hvp)

 

„Mutter unser, terra nostra Pommeranla"

Der Omnibus ist gedrängt voll und noch immer wollen einige zusteigen und mitfahren. Eine junge Hamburgerin wendet sich verärgert an ihren Begleiter: „Wo kommen denn bloß diese Menschenmassen her?" Die Antwort lautet: „Heute ist Pommerntreffen. Die Ausländer sind wieder einmal in Hamburg!"

 

Lieber, junger Freund aus der Linie 86, hast Du Dir wirklich überlegt, was Du da gesagt hast? „Die Ausländer" sagst Du und meinst Deine Landsleute aus Pommern. Deutsche wie Du und ich.

 

Haben acht kurze Jahre genügt, um unsere Brüder hier vergessen zu lassen, dass dort im Osten deutsches Land auf unsere Rückkehr wartet? Wir wollen es nicht glauben.

 

Und wir brauchen es auch nicht zu fürchten, denn die Bevölkerung Hamburgs nahm Anteil am Deutschlandtreffen der Pommern. Die Stadt schickte ihre Vertreter und sandte Grüße und Wünsche an die eindrucksvolle Kundgebung der Pommerschen Landsmannschaft.

 

Jakob Kaiser, Minister für gesamtdeutsche Fragen, rief den 125 000 Teilnehmern auf der Festwiese in Altona zu:

 

„Das deutsche Volk erklärt sich solidarisch mit Euch, weil es weiß, dass Euer Ziel der Frieden ist! Weil es weiß, dass die Politik von Jalta und Potsdam Schiffbruch erlitten hat, dass Ost- und Westdeutschland unter den Trümmern dieses Schiffsbruchs liegen. Wir verstehen, dass der Weltöffentlichkeit der Ruf der Heimatvertriebenen nach Recht auf die Heimat schon auf die Nerven geht. Aber er soll ihnen auf die Nerven gehen!"

 

Waren die Menschen, die dichtgedrängt, Kopf an Kopf, in der heißen Sonne des Pfingstsonntags 1953 standen, ehrfürchtig verstummt als die- Fahnen und Städtewappen ihrer geraubten Heimat einzogen, als die zweimal vertriebenen Landsleute aus den Sowjetzonenflüchtlingslagern Wentorf und Wandsbeck einmarschierten, als die erzenen Klänge der Glocke von St. Jacobi zu Stettin verhallten, nach diesen Worten des Ministers Kaiser brauste ein Beifallssturm durch den Volkspark. Als heißes, echtes Bekenntnis zur gesamtdeutschen Heimat erklang das Deutschlandlied aus hunderttausend Kehlen.

 

Konkret und nüchtern, eindrucksvoll in Klarheit und Kürze der Formulierung, stellte dann der Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft, Dr. Eggert, seine Forderungen auf: „Wir bekennen uns dazu, dass wir das Recht auf die Heimat als ein unveräußerliches Menschenrecht ansehen, das wir - unter Verzicht auf Hass Tand Vergeltung - als ein Recht für alle Menschen ansehen, auch für die Polens die ihre Heimat jenseits des Bug verloren haben. Wir erklären uns bereit, an einer Charta der Heimatvertriebenen aller Länder mitzuarbeiten und ihr unsere Zustimmung zu geben. Wir fordern, dass das Recht auf die Heimat in alle europäischen Verfassungen und die Verfassungen der Welt aufgenommen wird." Liselotte Dißmann-Mugrauer

 

Seite 1   Foto: Ostpreußentreffen Bochum. Foto: W. K. Müller, Bochum

 

Seite 1   Sudetendeutscher Tag

Aus Frankfurt berichtet uns unser wmb-Sonderkorrespondent folgendes:

 

Weit über 300 000 Sudetendeutsche unterstrichen anlässlich ihrer Anwesenheit in Frankfurt die Forderung ihres Sprechers Dr. Lodgman von Auen auf eine weitgehende außenpolitische Aktivität der deutschen Vertriebenen. Die imposante Kundgebung vereinte auf dem Messegelände die bisher größte Zahl von Teilnehmern eines deutschen Vertriebenentreffens.

 

Im Mittelpunkt dieser alljährlichen Zusammenkunft der sudetendeutschen Landsmannschaft stand eine Rede des Sprechers Dr. Lodgman ven Auen, in der er die Notwendigkeit einer geschlossenen Haltung der Vertriebenengruppen und -gemeinschaften hervorhob. Er setzte sich ausführlich mit der gegenwärtigen außenpolitischen Situation auseinander und erklärte dazu wörtlich: „Wenn die Bundesrepublik außerstande ist, den Rechtsanspruch auf unser Gebiet geltend zu machen, dann müssen wir es tun und selbst einen Weg suchen ... Damit wird die Volksgruppe zu einer handelnden politischen Körperschaft innerhalb des Gesamtdeutschtums. Sie kann auf diese eigenständige Politik nur verzichten, wenn sie ihren Rechtsanspruch auf die Heimat aufgibt oder wenn er von der deutschen Regierung übernommen wird."

 

Auf einer Pressekonferenz kündigte Dr. Lodgman an, dass noch in diesem Jahre eine „Sudetendeutsche Bundesversammlung" gewählt werden solle, die ihrerseits einen „Sudetendeutschen Rat" konstituieren soll. Dieser „Rat" verfüge dann über eine echte demokratische Legitimation und könne als Legislative und Exekutive der sudetendeutschen Volksgruppe außenpolitische Wirksamkeit erreichen. Bei der feierlichen Eröffnung am Pfingstsonnabend in der Paulskirche erklärte im Namen der Bundesregierung Bundesminister Jakob Kaiser, dass die Vertriebenen die stärkste Stütze für die Politik der Einheit Deutschlands seien. Bundesminister Seebohm verwies auf die Aufgabe des deutschen Volkes, geistiges Bollwerk gegen den Osten zu sein. Die Verbundenheit mit der Stadt Frankfurt wurde besonders deutlich in der Schlussfeier, die im „Goethe-Haus" am Großen Hirschgraben stattfand.

 

Seite 1   Bundesvertriebenengesetz verkündet

Rechtswirksamkeit auch in West-Berlin

Von Dr. Alfred Rojek, MdA, 1. Vorsitzender des BLV

Der Bundesrat und der Bundestag haben das Bundesgesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) verabschiedet. Die Veröffentlichung erfolgte am 22. Mai 1953 im Bundesgesetzblatt.

 

Das für die Vertriebenen so wichtige Grundgesetz ist nunmehr in der Bundesrepublik, aber auch in Westberlin rechtswirksam. Das Abgeordnetenhaus in Berlin hat nämlich in seiner Plenarsitzung am 21. Mai in erster und zweiter Beratung das Übernahmegesetz für das Bundesvertriebenengesetz angenommen, so dass der Rechtswirksamkeit dieses Gesetzes in Berlin nach der Verkündigung nichts mehr im Wege steht.

 

Die Aufgabe für das Vertriebenengesetz war die Schaffung einer einheitlichen, wirksamen Voraussetzung für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in das politische, wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik.

 

Die Regelung der Vertriebenenangelegenheiten war nach dem Zusammenbruch Angelegenheit der Länder und hat eine große Unterschiedlichkeit in der Abgrenzung des Personenkreises und im Umfang der gewährten Rechte und Vergünstigungen gezeitigt, was sich für die Vertriebenen sehr nachteilig auswirken musste. Die einheitliche Regelung auf bundesgesetzlicher Ebene war daher eine zwingende Notwendigkeit geworden.

 

Es ist zu begrüßen, dass das Gesetz nicht nur die Begriffsbestimmung der Heimatvertriebenen, Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge regelt, sondern alle Fragen aufgreift, die die Lebensbeziehung der Vertriebenen zu Volk, Staat, Recht und Wirtschaft berühren, und somit zum Grundgesetz der Vertriebenen wird. Mit Recht hat der Bundesvertriebenenausschuss festgestellt, dass mit diesem Gesetz nunmehr im Wesentlichen ein Abschluss der Vertriebenengesetzgebung erreicht ist, da dieses Gesetz als die umfassende gesetzgeberische Maßnahme anzusehen ist, die alle diejenigen Fragen auf der Vertriebenenebene behandelt, welche in den anderen Gesetzen keine Regelung gefunden haben.

 

In Berlin wird anzustreben sein, dass

1. die beim Senator für Sozialwesen im vorigen Jahr eingerichtete „Abteilung für die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge" In eine zentrale Dienststelle als Landesverwaltungsstelle umgebaut wird, um den Erfordernissen dieses Gesetzes zu entsprechen, und

 

2. beim Abgeordnetenhaus ein ständiger Ausschuss für Vertriebenenangelegenheiten ein Vertriebenenausschuss errichtet wird.

 

Seite 2   Portrait des Monats. Dr. h. c. Emanuel J. Reichenberger mit Foto

„Man kann einen Mann stumm machen, der im Namen der Menschlichkeit auftritt, man kann ihm Pass und Visum verweigern oder ihn einkerkern. Aber man kann nicht die Wahrheit und Gerechtigkeit verstummen machen, auch nicht dauernd Menschenrechte mit Füßen treten. Darüber wacht Gott. Und Gott lebt noch, und sein Tag wird kommen."

 

Das sind die Worte unseres Dr. E. J. Reichenberger, des gebürtigen Bayern, der im Sudetenland durch Jahrzehnte hindurch eine zweite Heimat gefunden hatte, der nach der Schaffung des Reichsgaues „Sudetenland" freiwillig die Stätte seines Wirkens verließ und in den USA als Priester und Seelsorger zurückgezogen lebte. 15 Jahre lang war Dr. Reichenberger Präsident des katholischen Volksvereins im Sudetenland.

 

Wer kennt nicht das furchtlose Auftreten dieses Mannes für die Opfer der Austreibung und Massendeportationen? Wer kennt nicht seine Schriften und Bücher, in denen ungeschminkte Wahrheiten und Anklage wider die Verstöße gegen die Menschlichkeit schärfstens angeprangert werden? Wer sieht nicht in Dr. Reichenberger den Vater aller Heimatvertriebenen, ihren besten Anwalt?

 

1938 bis 1953 Bürger der USA. 1953 zum Dr. h. c. an der Gratzer Universität promoviert, wird ihm jahrelang der Besuch seines Vaterlandes Deutschland verwehrt. Im Frühjahr 1953 verlässt er die USA und findet in der Stadt, die ihm die hohe Auszeichnung des Dr. h. c. ausspricht, einen neuen Wohnort und Wirkungsstätte. Endlich darf Reichenberger wieder sein Vaterland, sein Heimatland Bayern betreten. Als Hauptredner beim diesjährigen „Sudetendeutschen Tag" in Frankfurt, konnte er von neuem feststellen, wie ihm die Herzen der Sudetendeutschen und wohl aller Heimatvertriebenen entgegenschlagen. Auch wir Heimatvertriebenen in Berlin und der Sowjetzone rüsten uns zum Besuch dieses besten Streiters für Recht und Wahrheit. Denn er ist seit 1951 erstes Ehrenmitglied der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Berlin.

 

Wir erwarten Dr. Reichenberger zum diesjährigen „Tag der Heimat" und zu den „Sudetendeutschen Heimattagen" im Oktober. Jeder Heimatvertriebene muss die Bücher dieses Mannes gelesen haben. Sei es die „Ostdeutsche Passion", „Der Appell an das Weltgewissen", „Fahrt durch besiegtes Land" oder „Besuch bei armen Brüdern" und „Europa in Trümmern".

 

Dr. Reichenberger macht uns Heimatvertriebenen immer wieder Mut, denn er sagt, dass die Zeit für eine gerechte, sittliche, menschliche und wirtschaftliche Lösung des Heimatvertriebenenproblems anläuft.

 

Seite 3   Zur Pflege heimatlicher Mundart

Im Anschluss an eine für Ende Oktober geplante wissenschaftliche Tagung des Deutschen Sprachvereins in Berlin, der Ende vorigen Jahres seine Arbeit wieder aufgenommen hat, ist ein gemeinsamer kultureller Abend der Stiftung „Haus der ostdeutschen Heimat" und der im BLV zusammengeschlossenen Landsmannschaften der Heimatvertriebenen in Berlin unter dem Titel „Deutsche Sprache im Osten" geplant. Es sollen mundartliche Darbietungen (Rezitationen, Lesungen, Musik) aus allen Landsmannschaften des deutschen Ostens vorgetragen werden. Die Bedeutung der heimatlichen Mundarten, für die Pflege unseres ostdeutschen Kulturgutes, ist unbestritten. Daher dürfte der nachstehende, uns aus schlesischen Kreisen zugegangene Bericht für alle ostdeutschen Landsmannschaften, die gleichen Schlussfolgerungen zulassen.

 

Unsere heimatliche Mundart - wo wir sie auch immer hören mögen - erinnert uns an die alte Heimat.

 

Sie ist ein wesentlicher Teil unseres alten Kulturgutes, das mit der alten Generation auszusterben droht, wenn wir Jungen uns nicht ernsthaft darum kümmern. Das zu verhindern, muss unsere Aufgabe in der nächsten Zeit sein. Gerade wir Schlesier können stolz auf eine kulturelle Entwicklung zurückblicken, die überall geschätzt und geachtet wurde.

 

Die Pflege unserer Mundarten (wir zählen ja fast 40 verschiedene schlesische) geht uns alle an. Erfreulicherweise kümmert man sich auch von berufener Seite schon darum.

 

Ein Lehrstuhl für Mundartenkunde soll an einer westdeutschen Universität eingerichtet werden. Die in Hannover ansässige Hoffmann-von-Fallersleben-Gesellschaft ist in eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Kulturausschuss des BVD in Niedersachsen getreten. Diesem Arbeitsausschuss gehören neben vielen anderen Experten der Mundartforschung auch maßgebliche Mitglieder des schlesischen Kulturausschusses der Landesgruppe Niedersachsen an. Die Gesellschaft will der Gefahr des Verwässerns heimatlicher Mundart aus dem deutschen Osten in der westdeutschen Gastheimat begegnen.

 

Hier die erste Möglichkeit einer Mitarbeit. Vor allen Dingen sollen dafür die Erzieher interessiert werden. Geplant ist unter anderem die Aufnahme guter Mundartsprecher, die nicht berufsmäßige Sprecher sind, auf Magnetophonband, um so unverfälscht unsere Mundart zu erhalten. Wir wünschen dieser begonnenen und so wichtigen Arbeit eitlen vollen Erfolg. K-l.

 

Seite 4   Besuch in Nidden

Es war Im Jahre 1943, als ich etliche Wochen in meiner geliebten Heimat weilte. Die für Ostpreußen so charakteristische Ruhe und Beschaulichkeit, ja Abgeschiedenheit, die unzerstörten Dörfer und Städte und die friedlichen Flure ließen mich den schrecklichen Krieg vergessen. In diesen kurzen Wochen meines Aufenthaltes konnte ich mich vielleicht zum letzten Male an dem unzerstörten Landschaftsbild erfreuen.

 

So machte ich an einem Sonntagmorgen eine Fahrt nach Nidden auf der Kurischen Nehrung. Um 5.00 Uhr einsteigen in die Kleinbahn Neukirch-Karkeln. Wir fuhren bei Sköpen über die Gilge, dann über Kaukehmen bis zum Fischerdorf Karkeln. Es liegt an beiden Ufern des Stromes sehr schön. Ein langer Pfiff, und langsam bewegte sich der vollbesetzte Dampfer dem Kurischen Haff und Nidden zu. Herrlicher Sonnenschein, wie er im Juli und August für Ostpreußen typisch ist! Wir begegneten Fischerbooten mit den bekannten geschnitzten kurischen Wimpeln.

 

Es war ein schöner Anblick, nur Sonne, Himmel und Wasser zu sehen. Endlich ein schmaler Streifen am Horizont, die schöne Kurische Nehrung. Aus den Nebeln tauchten die ersten Häuser von Nidden auf. Ein wunderbarer Anblick, so etwas vergisst man nie. Nun hinein in das herrliche Nidden. Ich wollte aber auch über die Nehrung zur Ostsee. Nach einem dreiviertelstündigen Marsch durch niedrigen Wald erblickte ich die grünblaue Ostsee. Die Sonne meinte es  sehr gut, denn die See flimmerte. Das Wasser am Strand war durchsichtig. Ein feiner, weißer Sandstrand zog sich als Badestrand entlang. Hier bauten die Kurgäste aus Nidden ihre Strandburgen. Nach mehreren Stunden Aufenthalt an der See muss ich an die Heimfahrt denken. In Nidden habe ich noch Gelegenheit, mit Fischern zu sprechen. Der Dampfer pfeift, wir fahren zurück. Viel zu schnell war die schöne Reise zu Ende

 

 

Seite 4   „Gebt uns die Heimat wieder!"

Über 120 000 Ostpreußen trafen sich in Bochum

Der Vorstand der Landsmannschaft Ostpreußen in Hamburg hatte bereits vor vielen Monaten beschlossen, dass das Bundestreffen der Ostpreußen im Jahre 1953 im Ruhrgebiet stattfinden sollte. Viele Schwestern und Brüder aus den ostdeutschen Gebieten hatten schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts dort eine zweite Heimat gefunden und somit erschien Bochum die geeignetste Stadt für das Ostpreußentreffen.

 

Am Freitag, dem 8. Mai 1953, wurde durch die Stadt Bochum die Patenschaft für den Heimatkreis Neidenburg (Ostpr.) übernommen.

 

Am Sonnabend, dem 9. Mai 1953, wurde um 9.30 Uhr im Rathaus eine ostpreußische jagdliche Trophäenschau durch Forstmeister Löffke eröffnet. Um 11 Uhr fanden sich die Vertreter Ostpreußens im großen Sitzungssaal des Rathauses in Bochum zu der feierlichen Eröffnung ein. Es waren etwa 800 Personen zugegen. Die Feier wurde umrahmt von musikalischen Darbietungen aus dem Harfenquintett v. E. T. A. Hoffmann, unter Mitwirkung des Häusler-Quartetts, Bochum, und des Chors der Pädagogischen Akademie Wuppertal, unter Leitung des früheren Domorganisten Wilhelmi, Königsberg. Nach der Eröffnungsansprache des Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen, Grimoni, der zunächst die Ehrengäste, die Vertreter der Behörden und andere Organisationen begrüßte, sprach anschließend der Oberbürgermeister der Stadt Bochum warme Worte der Begrüßung.

 

Staatssekretär Dr. Schreiber spricht:

Als Hauptredner betrat dann der Ehrenpräsident der Landsmannschaft Ostpreußen, Staatssekretär Dr. Ottomar Schreiber, das Podium. Die Rede Dr. Schreibers war ein eindrucksvolles Bekenntnis zur Heimat und zu den großen Kulturwerten, die der ostdeutsche Raum Deutschland und Europa gegeben hat. Er stellte mit Genugtuung fest, dass dieses Bundestreffen nicht mehr ein materieller Hilferuf ist; denn den Ostpreußen ist in dieser Beziehung nicht mehr bange, haben sie die erste Sprosse der Leiter bestiegen, so werden sie mit Zähigkeit und Aufrichtigkeit auch weiter steigen; insbesondere betonte er, dass das ostdeutsche Land in jedem Sinne Wachstumsspitze gewesen ist. Die Abkommen von Jalta und Potsdam haben diese Spitze abgebrochen und damit eine Entwicklung geschaffen, die sehr gefährlich werden kann. Das Urteil darüber wird in 100 Jahren weit schärfer sein, als es heute der Fall ist. Unsere Landsmannschaft muss bemüht sein, zu einer festverbundenen Kameradschaft zu kommen. Es soll unsere Aufgabe sein, äußerst viel Menschen zu finden, die ihre Arbeit aus innerer Überzeugung tun, abseits von gesetzlichen Bindungen und Vorschriften. Dr. Schreibers Rede war ein tiefes Bekenntnis zu Preußen, zu einem Preußen, das aus eigener Kraft und Leistung entstand. Es ist eine Verletzung aller Gesetze, Sitten und Moral, wenn weltliche Machthaber den Menschen das Recht nehmen, dort zu leben und zu wirken, wo sie nach göttlichem Willen hineingeboren wurden. In der Charta der Vertriebenen haben die Vertriebenen nicht Forderungen an die Welt gestellt, sondern sich selbst Richtlinien für ihr Handeln gegeben. Es ist bezeichnend für die Einstellung bestimmter Kreise in der Welt, dass z. B. eine hohe amerikanische Persönlichkeit, dessen Namen er nicht nennen wollte, noch bis vor kurzem keine Kenntnis von dieser Charta der Vertriebenen gehabt hat und auch in Amerika dieses Bekenntnis der Vertriebenen kaum bekannt ist. Heute hat die betreffende Persönlichkeit diese Charta eingerahmt in ihrem Dienstzimmer hängen.

 

Staatssekretär Dr. Schreiber hob mit besonderem Nachdruck hervor, dass wir den Weg der Humanität im Sinne Herders gehen müssen. „Die Heimatvertriebenen sind Träger eines großen Auftrages. Wir müssen als Warner und Mahner aufstehen, um das Bewusstsein der ganzen Welt zu wecken, nicht um unseretwillen, sondern um der Zukunft aller willen, damit der tödliche Zwiespalt zwischen Lehre und Leben verschwindet. Jeder Mensch braucht die Bindung und Verbindung mit anderen Menschen, damit er nicht verlassen und vereinsamt in einer unbekannten Umwelt dasteht. Diesen Auftrag haben die Landsmannschaften zu erfüllen. Denn alles, was uns geschah, kann eines Tages anderen Menschen und Völkern geschehen. Wir aber wünschen, dass es nicht geschieht." In der darauf gefassten Resolution wurde ein Bekenntnis zu Deutschland und zur freien Welt und der Wunsch zur Neuordnung Osteuropas im Rahmen einer freien Welt abgelegt. Der Anspruch auf Heimat und Selbstbestimmung ist unteilbar. Die Macht siegreicher Ideen soll wieder Wirklichkeit werden. Unser Wunsch und unser Wille ist es, dort an der Quelle 700-jähriger Geschichte wieder wirken und arbeiten zu dürfen.

 

Am Nachmittag fand eine besinnliche ostpreußische Heimatstunde in Gemeinschaft mit Bochumern und ostpreußischen Künstlern statt. Die Veranstaltung war überaus gut besucht und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Um 20 Uhr fand im Paul-Gerhardt-Haus ein Bochumer und ostpreußischer Heimatabend, gestaltet von der Stadt Bochum, statt.

 

Die Stadt Bochum zeigte am Sonntag bereits in den frühen Morgenstunden ein anderes Bild, denn zu Tausenden strömten unsere ostpreußischen Landsleute mit Bus und Bahn herbei und erfüllten die geschmückte Stadt mit einem festlichen und bewegten Leben. Von den Türmen ertönte feierliches Turmblasen der Posaunenchöre; in verschiedenen Kirchen fanden Gottesdienste statt.

 

Die große Feierstunde

Die 80 000 Personen fassende Festhalle' war bereits eine Stunde vor Beginn überfüllt, so dass sich Zehntausende um die Lautsprecher der Umgebung scharten. Die Feier wurde mit dem Geläut der Silberglocke des Königsberger Doms eingeleitet. Nach dem gemeinsam gesungenen Lied „Wir beten in Nöten" begrüßte der Vorsitzende der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, Grimoni, die Anwesenden, wobei er auch besonders die Berliner Vertreter begrüßte. Es folgte dann ein feierliches Totengedenken, insbesondere auch der Gefangenen und der Landsleute, die noch in der Heimat, in Gefangenenlagern und KZ schmachten, sowie unserer deutschen Schwestern und Brüder, die noch in der Sowjetzone unter furchtbarem Druck leben müssen.

 

Nach der Begrüßungsansprache durch den Oberbürgermeister der Stadt Bochum und dem gemeinsam gesungenen Lied „Land der dunklen Wälder" sprach der Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser. Er beleuchtete insbesondere die augenblickliche politische Situation, die nach einer Lockerung der sowjetischen Politik aussieht aber mit aller gebotenen Vorsicht aufzunehmen ist. Auf Hass und Rache lässt sich keine neue Welt aufbauen, ebenso wenig wie auf Unterdrückung und Gewaltanwendung. Unser Sinn steht nach Recht und Gerechtigkeit für alle Völker, auch für unser deutsches Volk. Der Minister gab der besonderen Verbundenheit der Bundesrepublik mit den Vertriebenen Ausdruck. Mit erhobener Stimme sagte er, dass das deutsche Bewusstsein nicht an der Elbe und auch nicht an der Oder und Neiße endet. Niemals wollen wir Gewalt, aber immer an unser Recht erinnern. Recht und Moral kann nicht mit zweierlei Maß gemessen werden; weder in Jalta noch Potsdam sind Bestimmungen über die Grenzen Deutschlands getroffen worden. Kein Deutscher wird jemals Königsberg Kaliningrad nennen. Königsberg wird immer Königsberg heißen und Insterburg Insterburg. Das Recht der Heimatvertriebenen zum Zusammenschluss und zum Zusammenhalt könnte und kann uns niemand nehmen. Das deutsche Volk will nichts als friedlichen Aufbau, Einheit und Freiheit in Gemeinschaft mit allen Völkern Europas.

 

Mit großem Beifall wurde dann der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Gille, begrüßt. Er brachte in seiner Rede zum Ausdruck, dass die hier versammelten 120 000 Ostpreußen als Stellvertreter für alle die Brüder dastehen, die nicht bei uns sein können, nämlich der Menschen in der alten Heimat und in der sowjetischen Zone. Er forderte, dass endlich die Einheit in der Vertriebenen-Bewegung erreicht werden möchte unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit der Landsmannschaften mit ihren Kraftquellen. Dank der vorbildlichen Haltung der Heimatvertriebenen ist der Plan der Moskauer Strategen zunichte gemacht worden, die einen Explosionsstoff schaffen wollten, der die Einheit Deutschlands endgültig sprengen sollte. Dr. Gille richtete an die Heimattreuen Ostpreußen die Bitte, mit den Vertriebenen eine Einheit zu bilden. Wir wollen nicht nur Ostpreußen, sondern auch Preußen und damit Träger eines stolzen geschichtlichen Erbes bleiben. Er forderte besonders auch die Eingliederung der heimatvertriebenen Bauern und lehnte eine staatliche Förderung der Auswanderungsbewegung ab. Diesen Entschluss muss jeder einzelne für sich fassen.

 

Dr. Gille erklärte, dass das Fühlen und Wollen der Ostpreußen in wenigen Sätzen formuliert worden sei, um es der Öffentlichkeit zu übergeben. Diese mit stürmischem Beifall aufgenommene Kundgebung lautet:

 

"Die in Bochum versammelten Ostpreußen bekennen sich erneut zum Selbstbestimmungsrecht der Völker als einem international anerkannten Rechtsgrundsatz, der in der Atlantik-Charta erneut feierlich bekräftigt wurde. Sie bekennen sich entsprechend der Friedensbotschaft des Herrn Präsidenten Eisenhower zu dem Ziel einer Neuordnung Osteuropas im Rahmen einer freien Welt. Als Gegner jeder Vertreibung sehen sie hier eine gemeinsame Aufgabe aller Völker, die ihrer Heimat beraubt oder einer unerträglichen Terrorherrschaft unterworfen wurden. Von dem Glauben an die Notwendigkeit einer zukünftigen Ordnung des europäischen Ostens erfüllt, erklären die Vertreter ihrer Heimat, dass  der Anspruch auf ihre Heimat ebenso unteilbar ist wie das Recht auf Selbstbestimmung."

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