Wir Ostpreußen, Folge 09 vom 05.05.1950


Seite 1   Bin Besuch im DRK.-Heim Wöllmarshausen

Das Martyrium der deutschen Kinder in Polen

 Wöllmarshausen. Mit den im Rahmen der Operation Link durchgeführten Transporten aus Polen und den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten kommen auch viele Kinder nach Westdeutschland: Arme, kleine verhungerte Gestalten, stehen sie am Schlagbaum von Besenhausen und werden nach einer ersten Betreuung durch die Heilsarmee oder durch sonstige charitative Einrichtungen sofort an die Kinderheime der britischen Zone verteilt.  

So erhielt auch das Kinderheim Wöllmarshausen bei Göttingen bereits eine Anzahl dieser Kinder zugewiesen: Zur Pflege und zur seelischen und körperlichen Betreuung. Es ist eine schwere, sehr schwere Aufgabe, die die Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes damit übernahmen; denn diese Kinder sind mit ganz wenigen Ausnahmen, „verdreckt, verlaust, verkommen, verhungert". Fast alle hatten Krätze, erinige Ekzeme infolge von Unterernährung. Es ist ein entsetzlicher und erschütternder Anblick, diese sechs- bis zwölfjährigen Dystrophiker zu sehen mit den mageren Ärmchen, die an einzelnen Stellen eigenartige Wulste haben: Wassersucht. Aus den winzigen Gesichtchen blicken ängstlich übergroße Kinderaugen. „Dystrophiker sind sie alle", sagt Oberschwester Martha, indem sie in der Kartei blättert, in der die Befunde verzeichnet sind.

 

Was haben diese Kinder aus Breslau, Stettin und Hohensalza aber auch alles erleben müssen: Da ist ein 14jähriges Mädchen, das aussieht wie eine Elfjährige, von einem Bauern gezwungen worden, schwerste Arbeit zu verrichten. Das Kind pflügte regelmäßig mit einem Gespann von drei Pferden - und war dabei Dystrophikerin. Im Heim liegt sie still in ihrem Bett - und wenn man sie anspricht, zieht sie die Decke über das Gesicht. - Da ist der kleine Horst schon munterer, er tollt durch die Stube, nur wenn man aufmerksam hinsieht, bemerkt man, dass er etwas hinkt dabei: Er hat nämlich rechts nur einen halben Fuß, die andere Hälfte ist ihm abgefroren. Es war kein Arzt da, um die Amputation durchzuführen. Es ist „von alleine" so gekommen, dass die vordere Hälfte abfiel, erzählt er in fließendem Polnisch - denn Deutsch sprechen nur die Älteren noch, die bis 1944 in eine deutsche Schule gegangen waren. Die vierzehnjährige Hildegard ist nach Aussage des Arztes und der Oberschwester „der schwerste Fall von Dystrophie, den wir je gesehen haben." Und doch weigerte sich der Bauer, bei dem sie Fronarbeit leisten musste, sie herzugeben. Erst die polnische Polizei musste sie aus den Klauen dieses Sklavenhalters wegholen, nachdem sie vom internationalen Roten Kreuz auf die Liste der Abzutransportierenden gesetzt worden war.

 

Man möchte annehmen, dass diese Kinder glücklich über die Freiheit und über die gute Pflege sind, die sie jetzt haben: Aber dem ist nicht so. Wenn sie abends jedes in sein Bettchen gebracht werden, so warten sie nur, bis die Schwester „Gute Nacht" gesagt und den Raum verlassen hat, um angstvoll je zu Dritt in ein Bett zusammenzukriechen. Und wenn eines der Kinder von den aufgefundenen Eltern oder Verwandten abgeholt wird, so sind die anderen tagelang krank vor Kummer, Angst und Trennungsschmerz.

 

Gegenüber der liebevollsten Anteilnahme und Pflege zeigen sie eine Haltung des Abwartens und Misstrauens. Beim geringsten Anlass gehen sie in Abwehrstellung - der Arzt kann am besten davon berichten, wie sich die kleinen Patienten zur Wehr setzen. Sie wagen es nicht, sich auf Stühle zu setzen, sondern sitzen reihum auf der Erde. So war es für sie ein unerhörtes Ereignis, als sie zum Friseur gingen. Vor der elektrischen Schneidemaschine hatten sie panische Furcht. Schließlich aber gelang es, einen von ihnen zu bewegen, auf den Stuhl zu klettern. Ängstlich, mit weitaufgerissenen Augen schauten die anderen vom Fußboden aus zu. Und erst als der Friseur den Mutigen mit wohlriechendem Wasser besprühte, war endlich der Bann gebrochen.

 

Beim Essen sind sie alle sehr vorsichtig. Der kleine Walter trinkt weder Kakao noch Milch - die er wohl für schmutziges, giftiges Wasser hält - sondern nur reines Brunnenwasser. Der kleine Willy kann keine rote Grütze sehen. Wenn sie auf dem Tisch steht, schlägt er die Hände vor das Gesicht und weint. - Was mag dieses Kind Furchtbares erlebt haben? Alle Kinder essen keine Makkaroni - die sie wohl für „Regenwürmer" halten - fast alle essen kein Fleisch, das sie z. T. gar nicht kennen: Nur trockenes Brot und Kartoffeln wollten sie haben. In Apfelsinen beißen sie hinein wie in einen Apfel - und werfen sie weg. Diese armen kleinen Dystrophiker bekommen jetzt sechsmal Essen am Tag und dürfen außerdem jederzeit zur Küche kommen, um sich etwas zu holen: Aber sie essen nur wenige Bissen jeweils - und wenn es nur etwas mehr ist, müssen sie sich erbrechen.

 

Aber Brotreste und Kuchen, und was sie sonst haben, bringen sie in ihr Bett. Das Bett ist ihre „Heimstatt". Hierhin fliehen sie angstvoll, wenn irgendetwas ihnen Schrecken einjagt. Hier bringen sie ihre Schätze unter. Was das für „Schätze" sind, geht am deutlichsten wohl daraus hervor, dass sie in den ersten Tagen nicht zu bewegen waren, ihre neuen Kleider und Anzüge auszuziehen: Sie wollten in ihnen schlafen, aus Angst, sie würden ihnen über Nacht wieder weggenommen.

 

Erst jetzt, nachdem sie acht Tage im Heim sind, ist es, als erwachten sie aus einem furchtbaren Traum. Jetzt erst wagen sie überhaupt einmal zu klagen. Jetzt erst sagen sie der Schwester, dass ihnen das eiternde Ohr schmerzt, jetzt erst klagt die Zehnjährige, die immer Blut spuckt, über Schmerzen in der Brust. Und die kleine zwölfjährige Erika, die zwar auch wie eine Zehnjährige aussieht, der es aber doch etwas besser ging als den anderen, kam sogar in die Küche und hat mithelfen dürfen. Und nun helfen die Kinder schon beim Kartoffelschälen.

 

Wenn aber die Verwandten kommen, um die Kinder abzuholen, so ist es für sie ein großer Schmerz, feststellen zu müssen, dass sie mit ihren Kindern, Nichten oder Enkeln nur durch einen Dolmetscher sprechen können. Aber auch die Kinder schauen mit ängstlicher und erwartungsvoller Spannung auf die Erwachsenen, die ihre Verwandten sein sollen. Es war ein Erlebnis, das alle zu Tränen rührte, als - im Gespräch mit ihrer Tante - Karin plötzlich einige deutsche Worte fand, die irgendwoher aus ferner Zeit in ihrem kleinen Köpfchen auttauchten: Und es war ebenso ergreifend, als die anderen Kinder des Heimes ein Kinderlied sangen und die kleinen kranken und verschüchterten Neuankömmlinge sich plötzlich dieser Melodie entsannen und leise mitzusingen begannen . . .

 

„Schreiben Sie", so sagte Schwester Martha zu unserem Berichterstatter, „dass wir hier alles für die Kinder tun, was nur irgend getan werden kann". Aber die Geldmittel, die das DRK-Heim zur Verfügung stellen kann, sind knapp, und oft sitzt die Oberschwester bis spät in die Nacht und rechnet, wie sie am zweckmäßigsten verwandt werden. Denn diese ärmsten aller Kindel auf Erden, müssen ja nicht nur ernährt und gepflegt, sondern auch gekleidet werden Und hier ist es vor allem ausländische Hilfe, Hilfe insbesondere aus England und Amerika, die die schlimmste Not lindern half. Aber es kann für diese Kinder niemals genug getan werden, und daher ist Hilfe von allen dringend notwendig. Und es werden sicherlich gerade Vertriebene sein, die diesen armen Geschöpfen helfen werden, die bereits vor Jahren Heimat, Eltern und alles verloren, was es in dieser Welt zu verlieren gibt, - und die als hilflose Kinder mehr Leid erduldeten, als sonst wohl in einem ganzen Menschenleben ertragen werden kann.

 

Seite 4   Annchen von Tharau, Lied und Gestalt 

„Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt." In allen deutschen Landen wird dieses Lied gesungen. Es ist ein Volkslied geworden. Heute, da wir Ostpreußen, vertrieben aus der Heimat, auf anderer Erde als der unseren leben müssen, spricht uns das Ännchen-Lied mit ganz besonderer inniger Kraft an. Und singen wir es bei unseren Zusammenkünften, so bedeutet es für uns noch mehr als nur ein Liebeslied. Es ist ein Gruß an die Heimat. Mehr als einer unserer Landsleute empfindet wohl auch das Ännchen, das im Liede angesprochen wird, geradezu als eine Verkörperung der Heimat. Ihr, der Heimat, gelten die Worte, die an Ännchen gerichtet sind. Etwa: „du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut." Oder: „Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein (vergessen wir nicht, das Lied wurde im letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges geschrieben) soll unsrer Liebe Verknötigung sein." Und diese: „So wird die Lieb’ in uns mächtig und groß nach manchem Leiden und traurigem Los." Sie gelten heute, diese Worte, kommen sie von unseren Lippen, auch unserer Heimat.

 

Es soll in diesen Zeilen nicht eine sprachliche Auseinandersetzung mit dem Texte gegeben werden. Nur werde daran erinnert, dass der ursprüngliche Text, den der Königsberger Domorganist Heinrich Albert im 17. Jahrhundert in seinem „Lustwäldlein" zum ersten Male veröffentlichte (als aria incerti autoris, also als Lied eines unbekannten Verfassers), ein plattdeutscher war. Er begann: .Anke van Tharaw öss, de my geföllt." Als Herder, der in Mohrungen geborene, das Lied für seine Volkslieder ins

Hochdeutsche übersetzte, schrieb er dazu (und wir können seine Meinung nur teilen): „Es hat sehr verloren, da ichs aus seinem treuherzigen, starken, naiven Volksdialekt ins liebe Hochdeutsch habe verpflanzen müssen, ob ich gleich, soviel möglich war, nichts geändert." Herder gibt als Jahr der Veröffentlichung des Urtextes in den „Arien Alberti's" das Jahr 1648 an. Auch Herder hielt für den Verfasser des Liedes den in Memel geborenen Dichter Simon Dach. Wir wissen heute, dank der eingehenden Untersuchungen zuständiger Forscher, dass als der Annchen-Dichler (auch Herder sagt ostpreußisch: Annchen, nicht: Ännchen) nicht ausschließlich Simon Dach in Frage kommt. Man vermutet, mit guten Gründen, dass etwa Heinrich Albert, der Domorganist, ein gebürtiger Vogtländer, der später nach Königsberg kam, die Worte des Liedes schrieb, dem er auch seine erste Singweise gab. Die heute gesungene Melodie stammt von Friedrich Sucher aus dem Jahre 1825.

 Der Urtext war länger als der heute noch bekannte. Es lohnt sich, die Verse, die den Zeilen „Annchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn', mein Leben schließ' ich um deines herum" (so bei Herder) folgten, wiederzugeben. Sie lauten in Herders Übersetzung:

Was ich gebiete, wird von dir gethan,

was ich verbiete, das lässt du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,

wo nicht Ein Herz ist, Ein Mund, Eine Hand?

Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,

Und gleich den Hunden und Kazen beträgt?

Ännchen von Tharau, das wolln wir nicht thun;

Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;

Ich lass den Rock dir, du läßt mir den Hut!

Dies ist uns Annchen die süßeste Ruh,

Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,

Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Wer war nun das Annchen, dessen Lied das kleine, stille Dorf Tharau in allen deutschen Landen bekannt gemacht hat? Man sieht Annchen im allgemeinen so, wie es der Schöpfer des Simon-Dach-Brunnens vor dem Stadttheater in Memel gesehen hat: als eine liebliche, schlanke, verträumt innige Jungmädchengestalt, als die Verkörperung lyrisch - idyllischer Sentimentalität. Aber Annchen von Tharau war alles andere als das. Sie war eine kräftige, lebensstarke, gewiss fromme und häusliche, eine tätige Frau, eine, die dem Haushalt mit Umsicht vorstand und die herzhaft das Leben zu meistern verstand. Geboren in Tharau als eine Tochter des dortigen Pfarrers Neumann (der sich nach dem Brauche der damaligen Zeit mit dem humanistischen Namen Neander nannte), heiratete sie einen jungen Pfarrer. Bei ihrer Hochzeit wurde das eigens zu dieser verfasste, Annchen gewidmete Lied zum ersten Male gesungen. Anna wurde Pfarrfrau. In dem Pfarrhaus in Laukischken. Ihr Mann starb. Der Nachfolger kam. Er wurde der Nachfolger nicht nur im Amtsrock auf der Kanzel. Er „übernahm", wenn wir's einmal so sagen wollen, mit dem übrigen „lebenden" Inventar des Hauses auch die Pfarrfrau. Er heiratete Anna. Auch dieser Pfarrer starb. Und auch dessen Nachgänger im Pfarrhaus von Laukischken wurde dann Anna wiederum die Gattin. Die Pfarrer im Pfarrhaus von Laukischken kamen. Sie gingen in die Ewigkeit. Anna aber blieb. Sie blieb - bei drei Pfarrern - die Pfarrfrau von Laukischken. In hohem Alter, als auch der dritte ihrer Männer gestorben war, zog sie zu einem Sohne, der ebenfalls Pfarrer, in die Nähe von Insterburg. Hier ist sie gestorben.

Wer nun tatsächlich Anna Neander auch war, - das Annchen des Liedes hat seine eigne Gestalt, die der holden Anmut einer jungen, innigen Liebe, gewonnen. Als diese Gestalt lebt Annchen in uns fort. Wir Ostpreußen aber danken es ihr, dass uns durch sie eins der schönsten Lieder geschenkt wurde. Es ist ein tapferes Lied des Lebensmutes. Und über den Sinn in dem Liede hinaus erhalten seine Worte heute für uns, die Vertriebenen, im weiteren Umfang eine trostvolle Bedeutung. Wer fühlte sie nicht, singen wir sie: Kam alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, wir sind gesinnt, beieinander zu stahn! Stehn wir beieinander! Gehn wir miteinander! Sind wir einig, sind wir stark.

Foto: Annchen von Tharau: Auf dem Simon-Dach-Brunnen, der auf dem Marktplatz in Memel stand.

 

Seite 6   Der Kreisleiter von Lyck

Am 14. März 1950 verhandelte das Schwurgericht Osnabrück gegen den Kreisleiter und Landrat von Lyck (Ostpreußen) Knispel, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es handelte sich um eine Misshandlung des ehemaligen Parteisekretärs der Deutschnationalen Volkspartei: Verhaftung „im Namen der nationalsozialistischen Revolution", Reitpeitschenhiebe vor dem SA-Chef und schwere Misshandlungen im Keller des „Braunen Hauses". Der Angeklagte bestritt, am fraglichen Tage in Lyck gewesen zu sein. Der Hauptzeuge jedoch hielt eine Verwechselung für ausgeschlossen. „Ja, mein Lieber, jetzt wirst Du fertig gemacht. Mit Revolutionen spielt man nicht!", so sollte der Angeklagte damals gesagt und den Parteisekretär dann mit der Pistole ins Gesicht geschlagen haben. Selbst im Krankenhaus stellte die SA noch eine Wache. Dann transportierte man den Schwerverletzten „auf Anordnung des Kreisleiters" nach Königsberg, wo er in Schutzhaft kam. Der Gauleiter Erich Koch verlangte ein Verfahren wegen Hochverrats gegen ihn, doch der Reichsanwalt winkte ab. Daher wies ihn die Partei aus dem Gau.

 

Der als Zeuge erschienene Chefarzt des Kreiskrankenhauses sagte aus, er habe niemals so schwere Fleischwunden gesehen Dramatisch war die Vernehmung des als Entlastungszeuge erschienenen SA-Führers Paul Cabalzar, der sich bald in Widersprüche verwickelte. Nachdem der Hauptzeuge ihn die Brille hatte abnehmen lassen, die ihn unkenntlich machte und die Antwort erhalten hatte, dass Cabalzars Bruder nicht in der SA gewesen sei, rief er aus: „Herr Präsident, das ist er!" Er wurde sofort als Mittäter verhaftet und gestand dem Untersuchungsrichter noch am selben Tage, dass er mit einer Reitpeitsche, die er gelegentlich auch umdrehte, sich an den Misshandlungen beteiligt habe.

Der Staatsanwalt beantragte gegen Knispel sechs Jahre Gefängnis. Er stützte sich auf das Zeugnis des Misshandelten. Die Verteidigung beantragte Freispruch, da offenbar eine Verwechselung mit dem verstorbenen Ortsgruppenleiter vorliege. Das Gericht erkannte nach langer Beratung auf 1 Jahr 6 Monate Gefängnis. Es hielt die eidliche Aussage des Misshandelten so klar, dass kein Zweifel an der Mittäterschaft des Angeklagten angenommen werden könne. Seine Urheberschaft konnte nicht bewiesen, auch die Freiheitsberaubung ihm nicht zur Last gelegt werden. Wegen seiner guten Führung in der soeben abgebüßten ihm als Kreisleiter auferlegten vier Jahren fiel die Strafe milder aus.

 

Gegen K. schwebt noch ein Ermittlungsverfahren wegen Meineid, den er im Jahre 1935 geleistet hat. Die ganze Provinz sprach damals von dem „Fastnachts-Scherz", wie Erich Koch das erstinstanzliche Urteil gegen Knispel nannte, das die Große Strafkammer unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Fastnacht gefällt hatte. Kreisleiter Knispel hatte gegen zwei Parteigenossen Beleidigungsklage erheben müssen, die ihm in Beschwerdeschriften an die Parteileitung u. a. auch den Meineid vorwarfen. Der Freispruch dieser Männer passte Koch und Genossen nicht. Das Reichsgericht bestätigte jedoch das Urteil, in dem ausdrücklich festgestellt wurde, dass Knispel einen Meineid geleistet hatte K. wurde darauf Landrat. Während des Krieges wurde er mit besonderen Aufträgen betraut und zum Oberbereichsleiter befördert. Gegen das Urteil von Osnabrück hat K. Revision eingelegt.

 

Seite 6   Zerstörung einer Flüchtlingsbaracke durch Brandstiftung

 

Am 13. April 1950 fand in Wadersloh eine außerordentliche Sitzung des Gemeinderates statt, die sich mit der völligen Zerstörung einer für notleidende Flüchtlingsfamilien errichteten Baracke, wahrscheinlich durch Brandstiftung, befasste. Empörung und Anteilnahme der Bevölkerung waren so groß, dass für die Sitzung ein Kinosaal gemietet werden musste.

 

Die Baracke war, wie Bürgermeister Kottenbrock ausführte, erichtet worden, um einigen personenreicher Flüchtlingsfamilien, die in ausgesprochenen Elendsquartieren untergebracht waren, eine bessere Unterkunft zu schaffen. Die Flüchtlinge hatten selbst beim Aufbau der Baracke mitgewirkt. Schon während der Aufstellung setzte in der Gemeinde eine unverantwortliche Hetze gegen den Bau der Baracke ein. Es fielen Äußerungen, die die Beseitigung des Baues forderten und die auf eine beabsichtigte Brandstiftung schließen lassen. Auch Mitglieder des Gemeinderates waren an dieser Hetze beteiligt. Die Polizei hat die Täter noch nicht einwandfrei ermitteln können. Der Bürgermeister und der British Resident Mr. Pitt gaben jedoch ihrer Überzeugung Ausdruck, dass alle die sich an der Hetzkampagne beteiligten, indirekt mitverantwortlich an dem Brande seien.

 

Der Gemeinderat setzte eine Belohnung von 500  DM für die Ermittlung der Täter aus, forderte die Staatsanwaltschaft auf, den Fall mit aller Schärfe aufzugreifen, und sprach dem Amtsvertreter Hagemeier und dem Gemeindevertreter Rodeheger seine Missbilligung für sein Verhalten in der Angelegenheit aus.

 

 

Seite 7   Ostarchivalien in Goslar

 Im „Zonalen Archivlager" (Zonal Archiv Repository) zu Goslar befinden sich u. a. aus dem Königsberger Staatsarchiv umfangreiche wichtige Teilbestände, die auch für die Familiengeschlechtsforschung von größtem Wert sind; die bekannte Gallandische Wappensammlung mit den Ausarbeitungen Gallandis über die ostpreußischen Adelsfamilien, das sogenannte Adelsarchiv, das Ordensbriefarchiv (1198 - 1525), das Herzogl. Briefarchiv (1525 - 1635), ein großer Teil der Akten des Etatministeriums und einzelne Deposita. Zahlreiche Findbücher über Abteilungen, die leider nicht mehr sichergestellt werden konnten, geben noch manchen Hinweis. Von den anderen in Goslar verwahrten Archivalien seien noch folgende erwähnt: Ein Teil des sogen. Kurländischen Ritterschaftsarchivs (bedauerlicherweise aber nicht die Urkunden), des „Depositums des Livländi-schen Stammadels" (beide früher im Geh. Preuß. Staatsarchiv in Berlin-Dahlem), ein großer Teil des Revaler Archivs, die Mecklenburgischen Kirchenbücher, Teile des Schweriner Staatsarchivs, Kirchenbücher aus Prenzlau und Lübben.

 

Andere wertvolle Ostarchive, die zunächst ganz oder teilweise nach Goslar gebracht waren, mussten bekanntlich im Frühjahr 1947 an die polnische Archivverwaltung ausgeliefert werden. (Danzig, Elbing, Thorn, Marienburg, Stettin und Teile von Königsberg.)

 

Für die Forschung ist von besonderer Bedeutung, dass die Bestände des Königsberger Staatsarchivs in vollem Umfange und die andern Archive schon größtenteils benutzt werden können.

 

Aufträge zur Durchsicht der Archivalien übernimmt Deutsches Adelsarchiv, Genealogische Abteilung, (20a) Wrisbergholzen, Kreis Alfeld-Leine.

 

 

Seite 7   125 Jahre Vertagsbuchdruckerei Rautenberg  

Am 12. Mai 1950 sind 125 Jahre seit dem Tage vergangen, an dem in Herders Heimatstadt Moh-rungen der damals zweiundzwanzigjährige Carl-Ludwlg Rautenberg aus Liebstadt den Grundstein zu einem der angesehensten Verlags- und Buchdruckunternehmen Ostpreußens legte. Die Geschichte dieses alten Ostpreußen wohl bekannten Hauses, das sich aus bescheidensten Anfängen zu einem Jener graphischen Betriebe entwickelte, die bis weit in den deutschen Westen hinein ostpreußische Leistung und Können unter Beweis stellten, ist zugleich ein gutes Stück ostdeutscher Geschichte des Buch- und Zeitschriftenverlages in seiner denkbar gediegenen und verantwortungsbewussten Prägung, ebenso ein Stück Heimatgeschichte überhaupt. Und es hat schon seinen guten Grund, wenn die Mohrunger Stadtgeschichte, die ja Herders und so vieler anderer großer Söhne zu gedenken hat, betont, durch den Gründer Carl-Ludwig Rautenberg und seine tüchtigen Nachfahren. In über vier Generationen sei „Mohrungen In ganz Ostdeutschland bekannt geworden". Was als handwerkliche Buchbinderei und kleine Buchhandlung begann, das wurde in zäher Kleinarbelt und In großzügiger Planung zu einer bedeutenden deutschen Firma, die sich würdig den vielen bekannten Verlagsfirmen Deutschlands an die Seite stellen durfte. Man darf nur hoffen, dass sich schon bald die Gelegenheit findet, die sorgsam geführte Chronik dieses Hauses, die für den Heimatfreund und Forscher eine Fülle höchst bemerkenswerter Daten bietet, einem größeren Kreis ostpreußischer Landsleute einmal im Wortlaut vorzulegen. Es kann hier - schon aus Raumgründen - nur ein winziger Bruchteil daraus verwertet werden.  

Wie viele Ostpreußen und Ostdeutsche überhaupt erinnern sich nicht allein gerne des ersten Verlagswerkes „Der redliche Preuße", das seit 1831 Jahr für Jahr in immer größeren Auflagen ins Land hinausging? Die „Preußenschule" von 1833 als Werk für Schulwesen und Lehrer des Ordenslandes, die „Preußenlieder", die Lesebücher und Gesangbücher (darunter auch das so kostbare erste neuere Mennonitengesangbuch des Ostens), die Gesetzessammlungen, die so beliebten „Preußischen Volksbücher" mit den Lebensbildern berühmter Männer, die verschiedenen Geschichtswerke - sie alle und die übrigen Verlagserscheinungen sehen bedeutende Männer der Provinz als Autoren. Sie alle sind wahrlich im Gutenberggeist gestaltet und geformt. Weit reichte vor allem auch nach der um 1857 eingeleiteten Übersiedlung nach Königsberg der Bogen der Arbeit, von der unermüdliche Firmengründer gesagt hatte, er wolle „alles Im Auge behalten, was sich im Gemeinnutzen auf Preußen bezog, Kenntnis und Volksbildung fördern kann". Schon Im Sturmjahr 1848/49 war auch die periodische Zeltschrift „Der Bote aus Preußen" dem Druckwerk an die Seite gestellt worden. Nach der Reichsgründung 1871, die der Gründer des Hauses noch miterlebte und die er heiß ersehnt hatte, wuchsen auch die Aufgaben des Hauses für die Regierungsstellen stetig.

Die Zeit um die Jahrhundertwende gab dem großen Königsberger Haus die feste Form. Mit der Solidität, die jene unternehmende Generation auszeichnete, war die Basis so fest gelegt, dass auch Kriegs- und Inflationsstürme sie nicht mehr zu erschüttern vermochten. Und die Erben von Carl-Ludwig und Emil Rautenberg erwiesen sich als treue Wahrer und Mehrer des Überkommenen.

 

Ist der Tag des 125jährigen Jubiläums also nur ein Tag wehmütiger Erinnerung an ein Werk von hohen Graden, an eine wichtige kulturelle Schöpfung, die mit dem Verlust und der Vernichtung der Heimat dahinging? Ist der so bekannte Name erloschen im Grauen der furchtbarsten Katastrophe, die je über den deutschen Osten kam?

 

Wohl schweigen die Maschinen dort im alten Haus in Königsberg und in Mohrungen. Aber ganz im Westen Deutschlands lesen die Ostpreußen versonnen den Namen Rautenberg an einem großen Druckhaus, das jahrelang schlummerte und das jetzt widerhallt vom Summen und Lärmen der Maschinen. Zu Tausenden und Abertausenden jagen die Exemplare des „Ostpreußenblattes" durch die Werke der Rotationsmaschine. Setzmaschinen singen ihr „Lied" und kunstvolle Druckautomaten arbeiten auf Touren. So mancher, der einst im schönen Haus der Pregelstadt zum Winkelhaken griff, ist auch heute mit dabei. Einst druckte der alte Herr ein Mennonitengesangbuch des Ostens als eines der vielen Werke seines Hauses. Und es ist fast symbolisch, dass jetzt das neue Druckhaus an der Ems zum Nachbarn auch eine Mennonitenklrche hat. „Deo" steht an ihrer Stirnwand, und das soll sagen: Gott allein sei Ehret Er hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen, auch über den deutschen Osten. Er bat die nicht vergessen, die glauben … er.

 

Seite 8   Suchanzeigen

 

Franz Läsche, geb. 20.12.1907 inSteinfeld, Kreis Vechta/Oldenburg., Feldwwebel Feldp.-Nr. 82736 C, letzte Nachricht 4. Marz 1945 Einsatz bei Heilsberg, wo er in den letzten Tagen Komp.-Führer war. Nachricht erb. Richard Rautenberg, Ihorst, (28) Damme/Oldenburg, früher: Blankenberg, Kreis Heilsberg.

 

Hedwig Schwesig, aus Bolleinen (Ostpreußen) verfehlte am 04.11.1945 in Osterode Transportzug und blieb mit mehreren Schicksalsgefährten auf Bahnhof Osterode zurück. Nachricht erb. Emil Baeck, (28) Hesel (Kreis Leer).

 

Seite 8   Familienanzeien

 

Allen Freunden und Bekannten aus der Heimat nachträglich zur Kenntnis! Auf der Flucht erlöste der liebe Gott unsere herzensguten, lieben Eltern, Schwieger- und Großeltern, unsere liebe Schwester Frau Maria Till, geb. Tiedtke, geb. 30.12.1863, gest. 15.03.1945. Friedrich Till, Telegr.-Ob.-Leit-Aufs. i. R., Großhof-Tapiau-Ostpreußen, geb. 06 07.1863, gest. 02.04.1945. Der treue Gott schenkte mir die Gnade, dass ich unsere lieben Eltern bis zu ihrem seeligen Heimgang betreuen konnte. In der Nähe von Kuggen-Samland habe ich selbst sie zur letzten Ruhe gelegt. Kurz vorher ließen ihre beiden lieben Söhne, unsere herzensguten, lieben Brüder in treuester Pflichterfüllung ihr Leben: Karl Till, Stabsfeldwebel der Luftwaffe geb. 01.02.1908, gest. 12.09.1944;  Otto Till, Landesoberinspektor in Lübeck und San.-Stabs-Ob.-Feldwebel auf der „Wilhelm Gustloff"  geb. 22.09.1894 gest. beim Untergang des Schiffes am 30. Januar 1945: Ihr Leben war Liebe, Mühe und Arbeit! Dieses geben in tiefstem, stillem Schmerz bekannt: Frieda Till, Lehrerin, früher Nordenburg, jetzt Vaelserquartier bei Aachen I, Eburonenstraße 1. Luise Breutmann geb. Till, u. Familie, früher Labiau, jetzt Itzehoe/Holstein, Karlstr. 11. Fritz Till und Familie, früher Großhof-Tapiau, jetzt Garlitz bei Lübtheen, Kr. Hagenow-Mecklenburg. Charlotte Timm geb. Till und Familie, früher Tapiau-Kolonie, jetzt Münchberg-Oberfr., Lindenstraße 9. Käthi oder Käthe Till geb. Horwege und Sohn Günter, Lübeck, Kleiststraße 2 - 4.

Inhaltspezifische Aktionen