Ostpreußische Nachrichten, Folge 05 vom Dezember 1952

Seite 1   Acht Jahre Hoffnung der Vertriebenen. Die Charta sagt: „Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet ihn im Geiste töten“

 In den letzten Tagen des November, als Schneeflocken durch die Straßen trieben und im „Haus der ostdeutschen Heimat" wie immer reges Kommen und Gehen herrschte, stand eine ältere Frau im Treppenflur und klopfte sich behutsam den Schnee von ihrem abgenutzten Mantel. Ihrem Habitus sah man den Ostzonenbewohner an. Sie war zum ersten mal im „Haus der ostdeutschen Heimat". Sie war zweimal vertrieben worden.  

1945, im Winter vor acht langen Jahren, hat sie das Bündel mit den notwendigen Sachen packen müssen und ist im Treck durch Schnee und Kälte, zu Fuß, auf Pferdefuhrwerken, streckenweise mitgenommen von Wehrmachtlastwagen, irgendwohin nach Westen gegangen. In einem mecklenburgischen Dorf blieb sie hängen. Die Heimat, der Besitz, das Liebste verloren. Dort, im neuen Wohnort, hatte man nach Monaten endlich eine Kammer für sie übrig. Die Sowjets waren da, die SED begann ihre Herrschaft und das tägliche Leben zu terrorisieren. Die Politik kam ungerufen bis in die Kammer der alten Frau.  

Nun musste sie wieder flüchten, denn sie wollte in ihrem Alter nicht mehr ein NKWD-Gefängnis von innen kennenlernen. Und von den wenigen Habseligkeiten, die über das Kriegsende gerettet oder in geringem Umfange neu angeschafft werden konnten, blieb noch weniger: Ein Kleid aus schlechtem, ostzonalem Stoff, ein abgewetzter Mantel, ein Paar brüchiger Schuhe.  

Ein Beispiel von Tausenden, ja von Hunderttausenden. Ein Beispiel des millionenfach in Deutschland, In Europa, in der ganzen Welt vorhandenen Vertriebenenschicksals.  

Der Frau sah man die Mühseligkeit der Flucht, die Angst noch an. Doch als sie ins Gespräch kommt, erwarteten wir zu hören, das schwere Schicksal habe sie völlig gebrochen. Sie sagte jedoch zu unserer Überraschung: „Aber die Hoffnung auf die Rückkehr in unsere Heimat habe ich noch nicht aufgegeben."  

Die Frau wird, wie so viele Ungezählte, Weihnachten, wenn die Glocken läuten und die alte Botschaft neu verkündet wird: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", in einer kahlen Flüchtlingsbaracke sitzen und vielleicht auch einen Tannenzweig und eine Kerze haben. Aber sie und die vielen ungezählten Heimatvertriebenen und Flüchtlinge mit ihr werden auch nach acht langen Jahren von Weihnachten her die Hoffnung weitertragen, dass einmal wieder der Weihnachtsbaum in heimatlichen Dörfern und Städten steht und heimatliche Glocken läuten: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen".  

Und so stehen die 9 Millionen Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik und die 4% Millionen Vertriebener in der Sowjetzone an diesem Weihnachtsfest wieder — gleichgültig ob in Baracken oder warmen Wohnungen — in Gedanken an die alte Heimat versunken. Es Ist in den zurückliegenden Jahren vieles für die Vertriebenen erreicht worden. Die bitterste Not konnte gemildert, wenn auch nicht beseitigt werden. Ein Gesetz wurde geschaffen, das, zwar mit vielen Mängeln behaftet, doch immerhin den Heimatvertriebenen einen geringen finanziellen Entgelt für ihren erlittenen materiellen Schaden zukommen lassen wird. Aber das Wichtigste ist noch nicht erreicht: Die Rückgewinnung der Heimat. Die Vertriebenen haben in ihrer Charta verkündet, dass sie auf Rache und Vergeltung verzichten. Sie haben aber darin auch ihr unvergängliches Recht auf die Heimat dokumentiert, und die Charta sagt: „Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet ihn im Geiste töten."  

Darum sei unser Wunsch für das 9. Jahr der Hoffnung: Wir wollen nicht im Geiste getötet werden. Wir wollen den Weihnachtsbaum für uns und unsere Kinder dort einst wieder schmücken, wo ihn unsere Väter seit Jahrhunderten aus deutschen Wäldern gefällt und unsere Mütter in deutschen Häusern aufgestellt haben. Wir wollen das Unsrige, dazu tun. Mögen uns alle Deutschen dabei helfen. 

 

Seite 2   Portrait des Monats. Mit Foto. Dr. Hans Matthee


Einen Ostpreußen wählte das Berliner Abgeordnetenhaus zum Berliner Vertreter im ständigen Beirat beim Bundesausgleichsamt. Dieser Ostpreuße, Dr. Hans Matthee, am 17. Oktober 1899 in Ostpreußens Hauptstadt Königsberg geboren, hat damit in dem Gremium mitzureden, das auch für die Verteilung der Mittel aus dem Lastenausgleich zuständig ist. Dr. Matthee sagt selbst: „Mein Bemühen wird dahin gehen, für Berlin möglichst schnell und möglichst viel Mittel zu bekommen, um hier nachholen zu können, was bisher versäumt worden ist. Denn in Westdeutschland haben die Heimatvertriebenen auf Grund des Soforthilfegesetzes in der Zwischenzeit Mittel bekommen."  

Dr. Matthee hat außerdem seit 1950 den Vorsitz der Landsmannschaft Ostpreußen inne und wurde vor kurzem Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung „Haus der ostdeutschen Heimat".

 

Nach Berlin kam Dr. Matthee 1945. Damals als die Trecks aus Ostpreußen zogen, musste auch er, der seine Jugendzeit in Königsberg verlebt, auf dem Friedrichs- Kolleg das Abitur gemacht und an der Königsberger Universität, der berühmten Albertina, Rechtswissenschaften studiert hatte, seine Heimat verlassen. Zum Doktor allerdings promovierte er nicht in Königsberg sondern an der Universität Breslau 1924.

 

Das Studium konnte Dr. Matthee erst aufnehmen, nachdem er im Februar 1920 aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt war. Das Jahr 1928 sah ihn dann als Rechtsanwalt beim Landgericht in Königsberg.

 

Im Januar 1945, als er, von der Wehrmacht entlassen, bereits wieder einige Jahre Zivilist war, begann der Treck über die Frische Nehrung bei Pillau; teilweise zu Fuß, teilweise von Autos mitgenommen, bis Danzig, und von dort ging es über Stettin und Berlin nach Sachsen. Hier erlebte er das Kriegsende und konnte im Juli 1945 nach Berlin gehen. Nach einer Zeit als Stadtsyndikus in Weißensee wurde Dr. Matthee im Bezirksamt Tiergarten Referent im Rechtsamt. Nach der Wahl im Dezember 1950 rückte er als Abgeordneter ins Berliner Abgeordnetenhaus ein und hat in den vergangenen Jahren beim Zustandekommen des Lastenausgleichsgesetzes mitgewirkt. Er gilt auch über die Vertriebenenorganisationen hinaus als ein guter Kenner der schwierigen Materie des Lastenausgleichs.

 

 

Seite 3  Wie sieht die Heimat heute aus? Ein Blick ins Sudetenland und nach Westpreußen

Foto: Breslau heute: Kaiser-Wilhelm-Straße

Foto: Marienwerder heute: Marktplatz

 Zwei junge Sudetendeutsche aus Haida berichteten folgendes: „Wir waren bei „borokristal" (volkseigener Betrieb der ehemaligen Haidaer-Glasindustrie) als Glasmaler und Graveur beschäftigt. Einer Verpflichtung in die tschechische Schwerindustrie zogen wir die Flucht nach Deutschland vor. Aus allen Betrieben der Leichtindustrie werden monatlich etwa 10 Jugendliche — sind diese nicht vorhanden, dann Ältere — als Arbeitskräfte nach St. Joachimsthal in den Uranerzbergbau oder in die Brüxer Kohlengruben und in die chemischen Werke in Aussig abgestellt. „Borokristal" beschäftigt zurzeit etwa 1 000 durchweg deutsche Arbeiter. Wenn vor Zeiten noch für den Export gearbeitet wurde, so jetzt seit Monaten nur mehr „auf Lager". Es fehlt einfach der Absatz. Die Firmenbezeichnung und früheren sudetendeutschen Schutzmarken werden trotz Verstaatlichung als heutige Warenmarke beibehalten. Im Betrieb selbst wird deutsch gesprochen. Es gibt fast durchweg deutsches Personal in den technischen und kaufmännischen Abteilungen. Der Normlohn betrug etwa 17.- Kc. pro Stunde. Im Allgemeinen nehmen die Tschechen auch keinen Anstoß daran, dass auf der Straße und im Laden deutsch gesprochen wird."  

Aus Warnsdorf wird uns folgendes berichtet: „Von den 70 ehemaligen deutschen Textilfabriken sind heute nur noch fünf im Betrieb. Die einstmals blühende Samtindustrie leide sehr unter dem Facharbeitermangel. Die Samtfabrik der Firma Ignaz Richter in Niedergrund steht still. Die 2. Samtfabrik der Firma G. A. Fröhlich arbeitet verkürzt. In Warnsdorf gibt es noch etwa 600 Sudetendeutsche. Die große Kunert-Strumpffabrik ist zu völliger Bedeutungslosigkeit in der Erzeugung herabgesunken. In der altkatholischen Kirche in Warnsdorf wird von Zeit zu Zeit Gottesdienst abgehalten. Der Geistliche, ein Tscheche, kommt von Prag und predigt in deutscher Sprache."

 

Aus Thröm im Hultschiner Ländchen wird uns durch einen Flüchtling mitgeteilt, dass von ehemals 800 deutschen Einwohnern nur knapp 100 als Bauern zurückgehalten werden, um im Bedarfsfalle im Ostrau-Witkowitz-Industriegebiet eingesetzt zu werden. Die ehemals schönen und großen Wirtschaften sind alle enteignet und kolchosiert. So sind die ehemaligen Besitzer heute Knechte auf dem einstmaligen eigenen Besitz. Heute hat Thröm etwa 400 - 500 Einwohner. Sogenannte Wolhynientschechen wurden angesiedelt. Allein 15 ha Ackerland lag im Jahre 1951 brach. Im ganzen Ort gibt es keinen einzigen selbständigen Handwerker mehr. Es gibt keinen Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Schneider, Schmied oder Kaufladen. Selbst die Gasthäuser sind verstaatlicht und dem Begriff der „HO" gleichzusetzen.

 

 

Seite 3   Wiedersehen mit Stuhm
Von Marienwerder kommend, sahen wir mit großer Spannung unserem Ziel entgegen. Wie wird es in unserer alten Kreisstadt aussehen? Da tauchen auch schon die ersten Häuser der Stadt auf. Gegenüber der Molkerei, auf der rechten Seite des Weges nach Barlewitz, sind von den Polen acht Siedlungshäuser vollendet worden. Im Vorschloss, am Barlewltzer See, ist ein Rasen mit Blumen und eine Promenade mit Bänken angelegt worden. Das Landratsamt ist abgebrannt, und ebenso der ganze Markt mit Ausnahme weniger Häuser. Das Denkmal der trauernden Mutter ist durch eine Pyramide mit Stern ersetzt worden. Beide Kirchen sind erhalten; in ihnen wird katholischer Gottesdienst abgehalten. Der Wochenmarkt findet auf dem planierten Gelände zwischen der evangelischen Kirche und dem Denkmal der trauernden Mutter statt. Auf dem katholischen Pfarrgrundstück zwischen Schützenhaus und Polizei soll eine Markthalle gebaut werden . . .

Die beiden Schulen stehen noch und werden als solche benutzt. Auf dem Tennis- und Sportplatz des St. Georghauses ist einmal im Jahr eine landwirtschaftliche Ausstellung. In den Kasernen liegt z. T. Militär.

 

 

Seite 3   Gesucht wird

 Ursula Mierau, geb. Grunau, geboren am 7. Oktober 1920 in Danzig, stets gewohnt in Danzig, Trojangasse 5. Dort am 30. März 1946 beim Einmarsch der Roten Armee in Danzig in Zivilgefangenschaft geraten und seitdem vermisst. Zuletzt im April oder Mai 1945 in einer marschierenden Kolonne in Danzig gesehen worden. Nach einer Heimkehreraussage soll sie bis August 1945 im „Narvik-Lager" in Danzig und anschließend im Internierungslager „Scheune" bei Stettin gewesen sein.

 

 

Seite 5   Schöner bunter Weihnachtsteller. Heimatliches Weihnachtsgebäck des deutschen Ostens
Wenn wir heute auch fern der alten Heimat leben müssen, so können wir doch alljährlich ein kleines Stück dieser Heimat auf unseren Tisch zaubern. Keine Zeit im Bund des Jahres lässt so viel schönes heimatliches Brauchtum lebendig werden, wie die Vorweihnachtszeit. Und es ist schön, dass wir diese alten Heimatbräuche auch heute in unseren Familien pflegen und unseren Kindern weitervermitteln können.  

Wer denkt in diesen Tagen nicht an die Jugendzeit, wenn die Mutter zu Hause die mancherlei Vorbereitungen für die Weihnachtsbäckerei traf, und wenn dann unter den fleißigen Händen der ganzen Familie das Marzipan und die vielen Arten von Pfeffer- und Honigkuchen und sonstigen Süßigkeiten entstanden, die am Heiligen Abend neben Äpfeln und Nüssen die unentbehrlichen „Bunten Teller" füllten. 

Das war ja das Besondere in unserer weiten ostdeutschen Heimat, dass es so viele verschiedene Sorten weihnachtlichen Gebäcks gab, wie sonst kaum im großen deutschen Vaterland. Bedingt nicht nur durch den hausfraulichen Stolz jahrhundertealter Familientradition, sondern auch die über Generationen vererbte handwerkliche Kunst unserer Bäckermeister und Konditoren.  

Eigentlich war es in jedem Hause selbstverständlich, Napf- und Streuselkuchen ebenso wie Pfeffernüsse, Steinpflaster und ähnliches daheim zu backen. In Schlesien und dem Sudetenland kamen dazu noch die Striezel, die vielfach mit Mohn gefüllt waren. Daneben aber gab es noch manche besonderen Leckereien, die auf dem Weihnachtstisch nicht fehlen durften.  

Aus Ostpreußen kam das Königsberger Marzipan, dessen Name aus dem lateinischen marci panis (Markusbrot) abgeleitet wird, weil dieser aus Mandeln und Zucker hergestellte Teig ursprünglich aus Venedig, der Stadt des heiligen Markus, stammte. In Königsberg, wo man es schon zur Hansezeit kannte, füllte man die Marzipanformen mit Zuckerguss und überbuk sie braun, wodurch sie im Gegensatz zum Lübecker Marzipan einen kräftigeren Geschmack erhielten. Fast jede ostpreußische Familie hielt darauf, Marzipan zu Hause herzustellen. Aber es gab auch überall Firmen, die diese beliebte Süßigkeit zu einem weit über Ostpreußens Grenzen hinaus geschätzten Ausfuhrartikel gemacht hatten. Eine der bekanntesten war wohl Gehlhaar in der Junkerstraße in Königsberg. Manche dieser Firmen sind heute wieder in Westdeutschland tätig.  

Im westpreußischen Thorn waren die „Thorner Katharinchen" zu Hause, die schon seit etwa 200 Jahren in der ganzen Welt bekannt sind. Nach einem alten Märchen von Thorner Pfefferkuchen soll das Rezept von einer Nonne Katharina aus dem Kloster zum Heiligen Geist stammen. Mehr Wahrscheinlichkeit hat aber die Erklärung, dass diese Kuchen früher in Thorn nur zwischen dem 25. November, dem Tag der heiligen Katharina, und Weihnachten gebacken wurden. Bis zur letzten Jahrhundertwende wurden die Katharinchen von Hand geformt, wobei kunstvoll in Blöcke von hartem Holz eingeschnittene Formen benutzt wurden. Erst durch die Einführung von Ausstechmaschinen und Kettenöfen wurde das Formen und Backen der Katharinchen grundlegend umgestaltet. Die im Jahre 1763 in Thorn gegründete älteste Honigkuchenfirma Gustav Weese, die heute in Itzehoe in Holstein die alte Tradition weiterführt, ist in dieser Fabrikation von Anfang an führend gewesen. Es gibt eine große Auswahl von Thorner Honigkuchen, die Katharinchen aber sind bis heute wohl die bekanntesten geblieben.  

Auch in Schlesien gab es verschiedene Spezialitäten: das Neißer Gebäck, die Liegnitzer Bomben, die Jauerschen Bienenkörbe. Welch große Freude herrschte bei uns zu Weihnachten, wenn der Vater wieder von Lauterbach in Jauer die kleinen beliebten Bienenkorbkränze hatte kommen lassen. Das waren Kränze aus einer Masse von Marzipan und Eigelb gespritzt, die dann im Ofen gebacken waren und die herrlich schmeckten. Aus verschieden großen Kränzen wurden dann ganze, wundervolle Bienenkörbe zusammengestellt.  

Die Liegnitzer Bomben sind nicht so alt wie die Katharinchen. Die Firma Gebr. Müller in Liegnitz hat sie als erste gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hergestellt. Sie sind ebenfalls ein Honigkuchengebäck mit einer Füllung und Schokoladenüberzug. Sehr schnell wurden sie beliebt und waren weit über Deutschlands Grenzen bekannt. Die „echten" Liegnitzer Bomben werden heute nur von wenigen Firmen hergestellt, und wer sie in Berlin haben will, der muss schon zu Ehrhard Pohl in die Hasenheide gehen, der aus einer alten, weitverzweigten Liegnitzer Bäckerfamilie stammt und hier die alte Überlieferung der Heimat fortsetzt.  

Das Neißer Gebäck schließlich erfreute sich im ganzen deutschen Osten ebenfalls großer Beliebtheit. Es ist ein Kleingebäck aus Honigkuchenteig in mannigfachen Formen und wird als Schokoladen- oder Braunkonfekt nach besonderen Rezepten hergestellt. Von den vielen Neißer Firmen haben einige heute in Westdeutschland eine neue Heimat gefunden.

 

 

Seite 5   Weihnachtliche Krippenspiele

 Vorweihnachtszeit, welch herrliche Tage mit Plänen und Wünschen, mit Vorbereitungen und heimlichen Arbeiten für die Erfüllung des Weihnachtsfestes.  

Wenn wir uns nun zu einer vorweihnachtlichen Stunde zusammenfinden, wir, die wir ein Teil der großen Familie ostdeutscher Menschen sind, und tausend kleine Dinge zusammentragen, die uns an heimatliche Weihnachtsbräuche erinnern, so wollen wir uns in diesem Jahr mit einem Brauchtum beschäftigen, das unsere Vorfahren einst gepflegt haben, .nämlich mit dem Weihnachtsspiel — dem Krippenspiel —, denn gerade diese alten Weihnachtsspiele müssen für die Jugend wieder zu neuem Leben erweckt werden, jene Spiele, die jahrzehntelang in den Städten, in den abgelegenen Dörfern, die vorweihnachtliche Zelt festlich erfüllten.  

Für uns Deutsche aus dem Osten ist es jetzt selbstverständliche Pflicht, unser Volks- und Kulturgut an Lied, Spiel, Brauch, Sage, Tracht und Tanz zu erhalten und zu pflegen, um es der Jugend zu vererben.  

Diese Weihnachtsspiele, „Das Oberuferer Dreikönigsspiel", „Das schlesische Weihnachtsspiel", „Das Herbergsuchen", „Das Adventsspiel", „St. Nikolaus zwischen Staub und Sternen", die in ihrer Herzenseinfalt und ihrem fröhlichen Gemüt schon unsere Väter erfreut haben, mögen nunmehr auch in diesem Jahr die Weihnachtszeit verschönen.

 

 

Seite 6   Wir gratulieren zum Geburtstag

Landsmann Johann Bukowski, geboren 2. Dezember 1860 in Willudden, Kreis Angerburg (Ostpreußen). Herr Bukowski wohnte seit 1900 bis zur Vertreibung in Angerburg und lebt jetzt als Sozialunterstützungsempfänger in Berlin-Wilmersdorf, Gieselerstraße 16.

 

Am 3. November 1952 beging Landsmännin Frau Emilie Dziedzeck, verw. Augustin, geb. Reitzug, ihren 77. Geburtstag. Sie wohnte früher in Allenstein, Richtstraße 37, und lebt heute in Berlin-Charlottenburg, Nehringstraße 19.

 

Am 24. November 1952 beging Landsmann Johann Hinzmann, von Beruf Packer, früher wohnhaft in Allenstein, Mohrunger Straße 7, seinen 76. Geburtstag. Er wohnt jetzt in Berlin-Spandau, Alte Schweiz 15.

 

 

Seite 6   Tilsit im 19. Jahrhundert. 2. Bericht aus der alten deutschen Stadt von E. Gaedtke

 Wir setzen den Bericht über die Chronik der Stadt Tilsit fort.  

Während des 7jährigen Krieges wurde auch Tilsit von den Russen besetzt und erst 1762 geräumt. Die Wohnungsnot nach dem 7jährigen Kriege war sehr groß. Obgleich die Stadt nennenswerten Schaden nicht erlitten hatte, war die Bautätigkeit während des Krieges unterbrochen, die Einwohnerzahl aber auf rund 6000 Köpfe gestiegen. Neubauten sollten auf Befehl des Königs nur als Massivbauten ausgeführt werden. Gleichzeitig mit der Versteinerung der Stadt mussten alle Scheunen der Ackerbürger aus der Innenstadt nach den Scheunenstellen verlegt werden. Es war dies die Fläche: Heutige Clausius-, Linden-, Magazin-, Jägerstraße sowie Westseite Anger bis Kapellenfriedhof, Wohnhäuser durften dort nicht errichtet werden. Im Jahre 1764 wurde die erste Brücke über den Memelstrom errichtet. Es war eine auf Holzprähmen ruhende Schiffsbrücke. Sie wurde 1807 nach dem Rückzug der russisch-preußischen Armee über die Brücke (der Rückzug währte vom Abend des 16. Juni bis 19. Juni früh in Tag- und Nachtmärschen) auf Befehl des russischen Heerführers Bennigsen mit geteertem Stroh umwickelt und von der russischen Nachhut angezündet. Vor den Augen der französischen Verfolger ging sie in Flammen auf. Tilsit wurde mit etwa 10 000 Mann Garden belegt, die übrige Armee schlug Lager von Baigarden nach Ragnit hin auf. Napoleon nahm Quartier im heutigen Schützenhaus. Nachdem auf russische Veranlassung geschlossenen Waffenstillstand wurde die Stadt für neutral erklärt und in drei Bezirke eingeteilt, deren westlich der heutigen Wasserstraße liegender den Franzosen, der mittlere bis zur Tilsetbrücke den Russen, der östlich dieser Brücke gelegene den Preußen zufiel. Jeder Herrscher nahm Wohnung in seinem Bezirk. Am 9. Juli 1807, dem Tag des Friedensschlusses verließen Alexander und Napoleon die Stadt. In jenen Tagen bewährte sich die Tüchtigkeit des preußischen Volkes und im besonderen die Weisheit seiner Staatsmänner. In demselben Hause, in dem Preußens Königin sich vergeblich vor Napoleon gedemütigt, fand am 13. Februar 1809 die erste Versammlung der Tilsiter Stadtverordneten — auf Grund der Städteordnung vom 19. November 1808 statt —. Die Stadt hatte sich kaum etwas erholt, als im Jahre 1812 der Durchzug der großen Armee, deren linker Flügel unter Befehl des Marschalls Macdonald stand und dem auch das preußische Hilfskorps unter Yorck angehörte über Tilsit zog und der Stadt neue Bürden auferlegte. Nördlich der 1808 neu erbauten Schiffsbrücke musste die Stadt und die umliegenden Dörfer 1000 Arbeiter stellen, um zur Sicherung des Stromübergangs einen Brückenkopf zu bauen. Tilsit hatte in jenem Sommer ab 21. Juni täglich infolge Nachschübe aller Art durchschnittlich 3000 Mann Einquartierung. Dazu wurde die Stadt zum Lazarett für die in immer größerer Zahl zurückgeführten Kranken.  

Noch im November zogen Nachschübe durch Tilsit und schon im Dezember sah man die ersten Flüchtlinge in der Stadt. In der Frühe des 31. Dezember zog das Korps Macdonald in geschlossenen Kolonnen ab. Der Spuk von 1812 war vorüber, am 1. Januar 1813 zog Yorck mit seinen Preußen in die befreite Stadt ein. Mit den Freiheitsliedern Max von Schenkendorfs (geb. am 11. Dezember 1783 in Tilsit) auf den Lippen zogen unsere Braven in den Freiheitskrieg. Nach den Freiheitskriegen begann im Laufe des 19. Jahrhunderts, welches ohnehin als Zeitalter der Erfindungen das bedeutende gegenüber seinen Vorgängern in kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung auch für Tilsit war, während einer langen Friedensdauer an der Ostgrenze des Landes eine steil ansteigende Epoche auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens. Seine Verkehrslage war maßgebend für seine Gründung und spätere Stadterhebung und nun nahm es an der stürmischen Entwicklung von Technik und Industrie, aber auch der bildenden Künste regen Anteil. Der Schinkelsche Baustiel dominierte bei den Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäuden. In Tilsit sind Gebäude dieser Periode der alte Packhof, das Postgelände, das Zollamt. Sie wurden 1829 bis 1835 erbaut. Auch Apotheker, Kommerzienrat Johann Wächter baute die „Grüne Apotheke" in der Deutschen Straße in diesem Stiel. Dieser mit seltenem Unternehmungsgeist ausgestattete Mann errichtete in Tilsit um 1821 bis 1824 eine Zuckersiederei, 2 Dampfölmühlen, 1 Essigfabrik, 1 Schlemmkreide-, 1 Seifen- und 1 Farbholzfabrik. Seit der Pressefreiheit konnten 3 Tageszeitungen in täglichen Ausgaben erscheinen und mit Inkrafttreten der Gewerbefreiheit änderte sich das Aussehen besonders der Hauptstraße gegen früher sehr, als in der Folge des damit aufblühenden Handels überall in den Häusern Kaufläden angelegt wurden. Das Jahr 1844 ist der Beginn des regelmäßigen Dampfschiffverkehrs mit Memel über Ruß und mit Königsberg über Labiau. Der Schiffsverkehr überhaupt erstreckt sich Memel aufwärts bis Kowno. Und in den folgenden Jahren wurde Schiffsgüterverkehr nach Danzig und über Bromberg bis Stettin, ja in neuester Zeit bis Berlin geschaffen. Im Jahre 1842 hielt die Verwendung von Dampfkraft In die Industrie Einzug. Kommerzienrat C. A. Lutterkorth hatte vom Fiskus gemeinsam mit anderen Kaufherrn das Tilsiter Schloss erworben und errichtete darin auf der Schlossbastion eine Dampföl- und Mahlmühle und östlich daneben unter Mitbenutzung eines Teiles des Schlossbaues eine Papierfabrik. Diese brannte 1876 ab und damit war das ehemalige Schloss aus dem Stadtbild verschwunden. Seit 1857 erhielten die Straßen Gasbeleuchtung. Im Jahre 1865 wurde die Eisenbahnstrecke Insterburg - Tilsit eröffnet. 10 Jahre war Tilsit Eisenbahnstrichkopfstation. Erst 1875 wurde die Bahnstrecke Tilsit - Memel eröffnet. Tilsit war nun auch die Stadt der Brücken geworden. Zur Überquerung des 8 km breiten Memelstromtales (Memel und zwei ältere Läufe der Memel Uschlenkis und Kumezeris), waren drei große Eisenbahnbrücken erforderlich, wovon die längste über den Flusslauf 536 m, die anderen 428 m und 356 m Länge hatten. Ebenso hatte die Mitte des Jahrhunderts errichtete Kunststraße nach Mikieten (weiter nach Memel und Laugszargen führend) die zwischen Tilsit und Mikieten parallel der Eisenbahn lief, außer der im Jahr 1808 errichteten Schiffsbrücke im Zuge der Kunststraße über die alten Flussläufe zwei feste Brücken wie die Eisenbahnstrecke erhalten.

(Fortsetzung folgt)

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