Ostpreußische Nachrichten, Folge 01 vom August 1952


Seite 1   Unvergängliches Recht auf die Heimat

 

Die Berliner Heimatvertriebenen feiern den Tag der Heimat 1952

 Berlin (Elg. Ber.). In allen Städten der Bundesrepublik und In West-Berlin begehen die deutschen Heimatvertriebenen am 8. August den Tag der Heimat. Millionen Vertriebener finden sich zusammen und demonstrieren für Ihr unvergängliches Recht auf die Heimat.  

In West-Berlin nehmen auch in diesem Jahr, ebenso wie in der Vergangenheit, Tausende von Heimatvertriebenen aus der sowjetischen Besatzungszone an der großen Kundgebung zum Tag der Heimat gemeinsam ndt den West-Berliner Heimatvertriebenen in der Waldbühne teil. Sie kommen aus der Sowjetzone, trotz der neuen Schikanen des sowjetdeutschen Regimes.  

Über dem Tag der Heimat 1952 werden wieder die Grundsätze aus der Charta der deutschen Heimatvertriebenen stehen, in denen es heißt: „Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten. Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen, zu verlangen, dass das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird."  

Solange dieses Recht für uns nicht verwirklicht ist, wollen wir aber nicht zur Untätigkeit verurteilt beiseite stehen, sondern in neuen, geläuterten Formen verständnisvollen und brüderlichen Zusammenlebens mit allen Gliedern unseres Volkes schaffen und wirken. Darum fordern und verlangen wir, heute wie gestern: „Gleiches Recht als Staatsbürger, nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags. Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze Deutsche Volk. Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes. Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas."  

Diese 1950 feierlich verkündete Charta der deutschen Heimatvertriebenen hat auch heute für die Vertriebenen Berlins volle Gültigkeit. Die Vertriebenen, die in der Charta auf Rache und Vergeltung verzichten und unermüdlich an dem Wiederaufbau Deutschlands und Europas teilnehmen wollen, rufen am Tage der Heimat 1952 die Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.

 

 

 

Seite 1   Gedenken an die Heimat

 

Was wäre aber ein Tag der Heimat, wenn neben dem Bekenntnis zum Recht auf die Heimat nicht auch der etwa 300 000 noch in den deutschen Ostgebieten unter polnischer Verwaltung lebenden Deutschen gedacht würde. Das Gedenken der Landsleute, die in den von Polen verwalteten Gebieten und in der Tschechoslowakei ein unwürdiges Sklavendasein in harter Fronarbeit leben müssen, ist für die Vertriebenen selbstverständliche Pflicht. Wir tragen mit ihnen ihr Leid und ihre Sehnsucht. Aber gleichzeitig protestieren wir gegen den allen Völkerrechten hohnsprechenden Zwang, der treue deutsche Menschen in diesen Gebieten, besonders in Ostpreußen und Oberschlesien ihres Volkstums beraubt und ihnen eine neue Staatsangehörigkeit zudiktiert und Ihre Kinder der deutschen Muttersprache entfremdet.  

Die Heimatvertriebenen in Berlin haben den unerschütterlichen Glauben, dass Recht wieder Recht wird und sie eines Tages in die Heimat zurückkehren können.

 

 

 

 

Seite 1   „Wir wollen wieder nach Königsberg und Breslau fahren“

 

 

Im Vorjahr 28 000 Vertriebene in der Waldbühne

 

 

 

Seit die deutschen Heimatvertriebenen in jedem Jahr den Tag der Heimat begehen, wurde dieser Tag zu einem Tag des großen Gedenkens und bedeutungsvoller Demonstrationen für das Recht auf die Heimat. Im vergangenen Jahr hatten sich in der Waldbühne 28 000 Vertriebene aus Westberlin, Ostberlin und der Sowjetzone vor den trauerumflorten Fahnen der unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete versammelt.

 

 

 

„Niemand kann uns die Heimat aus dem Herzen reißen. Wir können sie nur verlieren, wenn wir sie kleinmütig aus unserem Herzen löschen." Das erklärte im vorigen Jahr vor den 28 000 Versammelten der Regierende Bürgermeister von Berlin, Professor Reuter. „Wir wollen wie einst wieder nach Königsberg fahren und das Rauschen der Ostsee hören können, wir wollen wieder durch die schlesischen Wälder wandern und von der deutschen Schneekoppe hinunter in deutsches Land sehen können. Wir müssen dem sowjetischen Bären zeigen, dass er das deutsche Volk nicht verdauen kann, weil es nicht verdaut werden will."

 

Im Vorjahr war auch der Vizekanzler der Bundesrepublik, Franz Blücher, zu den Berliner Heimatvertriebenen gekommen. Er erklärte in der Waldbühne: „Mit der Heimat verteidigen wir ein Postulat des Friedens, wie wir es seit Jahrhunderten getan haben. Wir wollen den Frieden und in Frieden die Wiedervereinigung, aber wer den Frieden will, kann nicht Moskau durch „Ohne uns“ stärken. Wir werden unsere Einheit und Freiheit nach bestem Gewissen verteidigen."

 

Für den Berliner Landesverband "der Heimatvertriebenen hatte Dr. Alfred Rojek ausdrücklich erklärt, dass es den Vertriebenen mit dem Verzicht auf Rache und Vergeltung ernst sei, doch niemals würden sie das Recht auf die Heimat aufgeben.

 

Inzwischen ist ein Jahr vergangen, ein Jahr, in dem in der deutschen Politik außerordentlich viel geschehen ist. Endlich wurde auch eine jahrelange Forderung der Vertriebenen, die Schaffung eines Lastenausgleichsgesetzes durch den Bundestag, erfüllt. Endlich sind auch für Berlin eine Reihe von Gesetzen für die Vertriebenen geschaffen worden. Wir sind in diesem letzten Jahr einen Schritt vorwärts gekommen. Die Redner am Tag der Heimat 1952, der Präsident des Bundes der vertriebenen Deutschen, Dr. Linus Kather, der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes der Heimatvertriebenen, Dr. Alfred Rojek, und der Senator für Sozialwesen, Otto Bach, als der für die Vertriebenen in Berlin zuständige Senator, werden in ihren Ansprachen auf das, was im letzten Jahr für die Vertriebenen erreicht wurde, eingehen.

 

 

 

 

Seite 1   Dr. Lukaschek zum Tag der Heimat

 Berlin (Eig. Ber.). Zum Tag der Heimat 1952 veröffentlicht der Bundesminister lür Vertriebene, Dr. Hans Lukaschek, durch den „Pressedienst der Heimatvertriebenen" folgendes Geleitwort: „Die letzten großen Kundgebungen der Heimatvertriebenen haben durch die große Zahl der Beteiligten bewiesen, wie sehr die Vertriebenen in Deutschland zu einem Faktor geworden sind, der dauernd an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus aber hat die außerordentlich herzliche Aufnahme der Vertriebenen In den Städten, in denen die Kundgebungen stattfanden, gezeigt, dass die Anteilnahme des gesamten Volkes an dem Schicksal der Vertriebenen trotz aller Alltagssorgen wach und lebendig ist. Das soll uns anspornen, weiter darauf hinzuarbeiten, dass die Sache der Heimatvertriebenen und ihr Anspruch auf Rückkehr in die Heimat immer mehr zu einem Anliegen der gesamten Nation werden.

 

Der Tag der Heimat, der in kurzem stattfindet, wird Gelegenheit bieten, auf zahlreichen Kundgebungen diese Einigkeit nachdrücklich nach außen zu bekunden. Und wenn bei diesen Feiern das Deutschlandlied erklingt, dann wollen wir alle daran denken, dass die Hochziele Einigkeit, Recht und Freiheit uns den Weg weisen, auf dem wir unbeirrt danach streben werden, mit friedlichen Mitteln unsere Heimat im Osten zurückzugewinnen.“

 

 

 

 

Seite 1 und 2   Zum Tag der Heimat

 

 

Von Dr. Alfred Rojek, MdA, Vorsitzender des BLV

 „Für Einheit in Freiheit, für Recht und Heimat" ist das Motto, welches die Berliner Heimatvertriebenen ihrem diesjährigen Tag der Heimat gegeben haben. Mit diesem Motto wollen sie die Lage der Heimatvertriebenen in Berlin kennzeichnen.

 

Berlin ist unsere Wahlheimat, unsere zweite Heimat geworden. Mit beiden Füßen stehen wir Heimatvertriebenen in Berlin für Berlin. Mit den Rechten, die wir in Berlin ohne Schwierigkeiten erhalten haben, haben wir freudig und gern aber auch die Pflichten der Berliner auf uns genommen und sind bereit, Berlins Schicksal mit ihnen zu teilen, mit ihnen Unbill, Leid und Opfer zu tragen.

Im politischen Kampf ist Berlin zur Frontstadt geworden, denn zwei gegensätzliche Welten stoßen hier zusammen. Berlin wollte nicht untergehen und hat daher den Kampf aufgenommen und sich einem Kampf verschworen

 

um Freiheit für alle Menschen,

 

 

um Einheit in Freiheit für alle Deutschen,

um Einheit in Freiheit in allen deutschen Landen.

 

In diesem Kampf Mitstreiter zu sein, ist unsere Pflicht.

 

Am Tage der Heimatvertriebenen, dem „Tag der Heimat", legen wir dieses Gelöbnis ab Berlin gegenüber, aber auch unserer unvergesslichen Heimat gegenüber, der wir verpflichtet sind und in Verbundenheit, Treue und Liebe auch in Zukunft verpflichtet bleiben wollen.

 

In diesem Kampf lehnen wir Panzer, Bomben und alle kriegerischen Waffen ab, denn wir wissen, welch ein Unglück der Krieg für die Menschen ist. Noch zu frisch ist unsere Erinnerung an den letzten Weltkrieg, der mit allen bis dahin kaum vorstellbaren Kriegsfolgen und Schrecken die furchtbare Geißel der Vertreibung der Menschen aus der Heimat im Gefolge hatte. Millionen Menschen wurden ohne ihr Zutun und ohne ein Verschulden von ihrem durch Generationen angestammten Boden hinweggejagt und ins Elend hinausgetrieben. Diese für Millionen von Menschen schreckliche Zeit ist und wird gekennzeichnet sein als die Zeit der Geißel der Vertreibung, als eine Zeit, in der Millionen Menschen ihres ihnen von Gott gegebenen Rechts, des Rechts auf die Heimat, beraubt worden sind. Diese Zeit wird in die Geschichte eingehen als eine rechtlose, eine schreckliche Zeit, weil sie Millionen von Menschen ihr Recht nicht geben will.

 

In diesem Kampf um Gerechtigkeit Ist und bleibt unsere einzige Waffe das Recht. Wir verzichten auf Rache und Vergeltung. Recht ist eine Macht. Diese Macht ist auf unserer Seite, v/eil wir Gerechtigkeit wollen; wollen wir doch Recht erobern und Unrecht bezwingen. In diesem Kampf stehen wir nicht allein. Wir wissen alle Menschen als unsere Bundesgenossen, die für das Zusammenleben der Menschen und der Völker Recht und Gerechtigkeit als einzige wahre Grundlage erkannt haben und diese Grundlage des Zusammenlebens für sich und ihr Volk und demnach für alle Menschen erstreben.

 

In diesem Kampf um das Recht auf die Heimat sehen die Berliner Heimatvertriebenen voller Zuversicht i n die Zukunft, wie auch Berlin voller Zuversicht i n seinem Kampf um die Freiheit ist. Oft schien es, als seien die Kräfte der Gewalten stärker als die Freiheit. Aber noch immer sind die feindlichen Strömungen an den Glauben, an dem Mut, an der Tapferkeit und Entschlossenheit der Berliner Bevölkerung wie an einem Fels zerbrochen. Berlin führt diesen Kampf nicht nur um seine Freiheit, sondern um die Freiheit aller Menschen schlechthin, insbesondere aber um die Freiheit der deutschen Brüder und Schwestern im Ostsektor Berlins und in der Sowjetzone. Gelingt es, diesen Kampf um die Freiheit zu gewinnen, dann ist die Einheit i n Freiheit aller Deutschen gewonnen.

Der Tag der Heimat ist für uns Heimatvertriebene ein Tag des Gedenkens an unsere liebe Heimat, des Bekenntnisses unserer Treue zur Heimat, aber auch der Tag des Bekenntnisses unserer Bereitschaft zur Verteidigung des Rechts auf die Heimat als eines von Gott den Menschen geschenkten Grundrechtes.

 

 

 

 

 

 

 

 

Seite 2   Breslau ist deutsch

 

 

 Berlin (Eig. Ber.). Das amerikanische Gericht in Würzburg hat eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung gefällt. Es lehnte einen Repatriierungsantrag der IKO ab, wonach die jetzt im bischöflichen Knabenheim in Karlstadt lebenden Flüchtlingskinder Herbert und Rudolf Skip zu ihrem Vater nach Breslau zurückgeführt werden sollten. Das Gericht erklärte, dass die Entscheidung der polnischen Regierung Uber Schlesien nicht anerkannt werde, daher erkenne es auch nicht die polnische Staatsangehörigkeit an, die den dort lebenden Deutschen verliehen wurde oder sogar Kindern zuerkannt werden soll, die jetzt im Bundesgebiet leben. Der Vater der Kinder lebe in Breslau, das auch jetzt noch deutsches Gebiet sei.

 

 

 

 

 

 

 

 

Seite 2   Woher stammen die Heimatvertriebenen in Berlin?

 Nach der Statistik der Volkszählung vom 13. September 1950 gibt es i n Westberlin 148 389 Heimatvertriebene. Wenn w ir nun weiter erforschen, aus welchen Gebieten diese Heimatvertriebenen stammen, ergibt sich folgendes Bild: Die meisten Heimatvertriebenen kommen aus dem schlesischen Raum. 36 600 gaben Schlesien als ihr Heimatgebiet an. Die nächst, stärkste Gruppe kommt in einer Zahl von 31 700 aus Pommern. Mit 25 900 folgen die Ostpreußen. 21 700 gaben Ostbrandenburg als ihre Heimat an. Unter Zehntausend sind die Westpreußen mit 9 800 Landsleuten nach Berlin gekommen. 8 500 kommen aus dem Gebiet Posen. Nun erst wird die Zahl der Landsleute aus dem Sudetenland mit 5 800 bekanntgegeben. Baltendeutsche gibt es in Berlin 1 500. Aus Ungarn kommen 200, aus Jugoslawien 500, aus Rumänien 900 und aus der UdSSR 500. 4 700 werden als „sonstige" bezeichnet.

 

 

 

 

Seite 4   Deutsche Städte – Jahrhunderte alt. Memel, die älteste Stadt Ostpreußens 700 Jahre alt.

 In diesem Jahre begeht die Stadt Memel, die älteste Stadt Ostpreußens, den 700. Jahrestag ihrer Gründung. Aus Anlass dieses Tages bringen wir im folgenden Artikel einen historischen Abriss der Entstehungsgeschichte Memels.

 Wo „die Memel und die Dange sich ineinander schließen und zusammenfließen", wie die livländische Reimchronik sagt, fand Bernhard von Seyne, der stellvertretende Landmeister des Schwertbrüderordens, im Sommer 1252 - 15 Jahre nach dessen Anschluss an den Deutschen Ritterorden - den Platz für die erste Burganlage im späteren Ostpreußen. Sie war eine Gemeinschaftsgründung des Ordens und des Bischofs von Kurland und sollte den kürzesten über die Kurische Nehrung führenden Weg zwischen den beiden Ordensteilen gegen die noch nicht unterworfenen Völkerschaften sichern. Eine Urkunde vom 18. Oktober 1252 sieht bereits für die um die Memelburg entstehende Stadt drei Kirchen vor. Ein Beweis für die ihr beigelegte Wichtigkeit ist dies ebenso, wie der Umfang des für sie ursprünglich vorgesehenen Stadtgebietes. Ihre späteren drei verschiedenartigen Türme zeigen wohl noch das älteste der erhaltenen Memeler Siegel des Komturs von 1409, aus dem wahrscheinlich anfangs des XVIII. Jahrhunderts das durch seine Einfachheit so schön wirkende und markante Wappen der Stadt Memel - Turm zwischen zwei Barken und Mauer über einem Boot, alles in gold-gelb auf dunkelrotem Grunde - entstanden ist. 1253 war die Burg fertig und die Anfänge der Stadtsiedlung vorhanden. 1255, während die preußischen Stämme der Sudauer, Nadrauer und Schadrauer die in diesem Jahre gegründete Burg Königsberg angriffen, hatte Memel die erste allerdings erfolglose Belagerung durch die über die Nehrung und zu Schiff herangezogenen Samländer auszuhalten. Ungleich schwieriger und mit blutigen Verlusten verbunden waren die Kämpfe der Memeler Ordensbrüder in den nächsten Jahren mit den Kuren, bis deren benachbarte Burgen zerstört waren, und dann vor allem die im XIV. Jahrhundert beginnenden Auseinandersetzungen mit dem erstarkenden Litauen, in deren Verlauf die Stadt mehrfach, einmal auch die Burg, zerstört wurden. 1328 ging Memel aus der Verwaltung des livländischen Ordenszweiges in die des günstiger gelegenen preußischen über und teilte von nun an, besonders nachdem 1422 im Frieden am Melnosee die bis 1919 gültige Grenze gegen Zamaiten und Litauen festgelegt war, dessen Geschicke. Für diese waren Burg und Stadt Memel als Beherrscher des Kurischen Haffs und als Hauptstütze des Seeverkehrs zwischen Preußen und den Ostseegebieten wirtschaftlich und politisch von größter Bedeutung, vor allem, wenn die feindseligen Danziger das Frische Haff und damit Königsberg von der See absperrten. Von solchen nachbarlichen Konkurrenzmanövern blieb auch Memel nicht verschont, bis schließlich nach der Reformation seine Entwicklung unter den Ho-henzollern in ruhigere Bahnen einlenkte. Allerdings: Schwedenkriege im XII. Jahrhundert, Russenbesetzung während des 7jährigen Krieges mussten ebenso wie im übrigen Ostpreußen überstanden werden. Nach dem Zusammenbruch von 1807 war Memel mit dem nördlich des Memelflusses befindlichen Gebiet das einzige vom Feinde nicht besetzte preußische Territorium. Dass es damals dem Hof und der Staatsverwaltung als Zuflucht diente, ist ja nicht nur im Osten bekannt, doch sollte man auch sich erinnern, dass in jener dunklen Zeit in Memel des Königs jüngster Bruder mit seiner Frau den - von Napoleon allerdings nicht angenommenen - Entschluss fasste, sich Frankreich als Geiseln für die Zahlung der auferlegten Kontributionen anzubieten. Auch dass der Freiherr vom Stein sein Wirken für Preußens Erneuerung, die Vorbedingung für seinen späteren Aufstieg, in Memel begonnen hat, sollte man nicht vergessen. An dieser Entwicklung hat Memel als Handelsstadt allerdings nicht so teilgenommen wie andere Städte des Ostens, auch nachdem die Folgen des großen Brandes von 1854 überwunden waren. Für Memel bedeutet das Ende des Weltkrieges Abtrennung der Stadt mit dem Lande nördlich des Memelflusses von Deutschland, ohne dass die Bewohner befragt wurden. Die Memelländer haben auch nach 1918 in einem dauernden Kampfe gestanden: gegen die Abtrennung, für eine Volksbefragung, gegen Anschluss an Litauen, gegen dauernde Verletzungen der ihnen gewährten Autonomie, für eine Rückgliederung an die deutsche Heimat, aus deren Urschoße vor 700 Jahren die Gründer und ersten Bewohner Memels kamen, um sich an einer Stelle niederzulassen, um die sich damals die alten Preußen, Kuren, Letten, Zamaiten und Litauer wie die Teile eines Fächers im Halbkreis herumlegten. Seit dem XV. Jahrhundert hat es dort mit diesen Baltenstämmen keine direkten kriegerischen Auseinandersetzung gegeben; wohl aber spannen sich bis in die neueste Zeit hinein zu ihnen unendlich viele unsichtbare Bande verwandtschaftlicher und wirtschaftlicher Natur. Sichtbarer waren die Handelsbeziehungen der Hafenstadt Memel mit dem In- und Ausland. Und wenn Memel auch niemals zur Hansa gehört hat, so haben doch die Verse recht, die vor 25 Jahren ein Vorstandsmitglied des damaligen Memellandbundes zur Bannerweihe sprach:

 „Schwertes Brüder — deine Väter,

Hansa — Mutter dem Gesetz.

Höchste Blüte früh und später

 

 

Schuf dir Mastbaum, Pflug und Netz."

 Denn sein Stadtrecht bezog Memel von den Hansestädten; zuerst wandte man sich

nach Dortmund, wollte die Gründung Kleinoder Neudortmund nennen; dann aber erhielt die Stadt lübisches Recht. Von Jagd und Fischfang lebte wohl nach neueren Forschungen der größte Teil der Einheimischen in der Nachbarschaft der neuen Siedlung bei deren Gründung, bis durch die deutschen Zuzügler der Ackerbau wieder zunahm und dem Lande zum Rückgrat wurde. Memels Gesicht aber war stets dem Wasser zugewendet, das Jung und Alt in seinen Bann, viele auch auf seinen Grund zog. Haff und Meer lockten in nähere und weitere Ferne, so dass sich manche geistigen Fäden von Memel um die Erde, ja um den Kosmos verfolgen lassen. Der Dichter Simon Dach, der von sich sagen konnte: „Diese Kunst der deutschen Reime lernet Preußen erst von mir", wurde hier 1605, der berühmte Astronom Argelander 1799 geboren. Ein gebürtiger Memeler hat in Kapstadt im XVIII. Jahrhundert die erste lutherische Kirche Südafrikas aus eigenen Mitteln erbaut und ausgestattet, und das dortige Pfarrhaus heißt noch heute Martin-Melck-Haus; ein anderer Memeler war Im Berlin der Bismarckzeit einer der gesuchtesten Porträtisten; aus der neueren, nun aber auch schon vergangenen Generation schrieb ein Historiker aus Memel dem Rheingau-Kreis, dem sonnigsten Gebiet der Rheinlande, seine Geschichte; ein Mediziner verfasste in den deutschen Kolonien Grammatiken für Eingeborenensprachen, und der langjährige Leiter des Memellandbundes in Berlin, Prof. Boerschmann, legte in mehreren umfangreichen Bänden seine Forschungen über „Die Baukunst und religiöse Kultur der Chinesen" nieder.

 

Die Memeler haben allen Grund, auf diese und andere Leistungen ihrer Heimat hinzuweisen. Erst recht jetzt, da diese mit ihren dortgebliebenen Landsleuten zur 16. Sowjetrepublik gehört; das bedeutet nicht nur körperliche Unfreiheit, sondern auch geistige Knebelung und seelisches Martyrium. Aber auch Memels 700jährige Geschichte steht nicht still und seine ehemaligen Bewohner vertrauen mit unzähligen anderen Deutschen auf das alte Wort: „Nichts ist beständig als der Wechsel."

 

 

 

 

 

 

Seite 4   Heiligenbeil und Zinten

 In diesem Jahr blicken neben Memel und Kreuzburg zwei weitere Städte Ostpreußens in der Landschaft Natangen, die Städte Heiligenbeil und Zinten auf Jahrhunderte langes Bestehen zurück.

Die Stadt Heiligenbeil Im Kreise gleichen Namens ist 650 Jahre alt. Sie entstand in den Jahren 1301/1302 an einer uralten geheiligten Kultstätte des später im Deutschtum aufgegangenen preußischen Volkes. Der Name der in einem umfangreichen Waldgebiet mit Mauern, Toren, Kirche und Rathaus angelegten Stadt, wandelte sich aus, anfänglich Heiligenstadt, wenig später in Heiligenbeil. Aus dem Namen klingt durch die Jahrhunderte hindurch die Erinnerung an die heilige Stätte des Landes an. Auch uns Heutigen ist der Name Heiligenbeil ein Name der Erinnerung an einen Brückenkopf des letzten Kriegsgeschehens in Ostpreußen, als die deutschen Soldaten hier nur schrittweise gegen eine gewaltige russische Übermacht zurückgingen und 700 000 vertriebenen Männern, Frauen und Kindern der ostpreußischen Bevölkerung die Möglichkeit offen hielten, den ungewissen Marsch über die unsichere Eisdecke des Frischen Haffs anzutreten und über die Nehrung oder über die See die Rettung nach Westen zu suchen.

 

Während Heiligenbeil in nächster Nähe des Haffs liegt, wurde die Stadt Zinten etwa 25 km landeinwärts angelegt. Im Jahre 1352 sehen wir Zinten bereits als fertige Stadt, die durch Verleihung der Handfeste von dem Hochmeister Winrich von Kniprode Stadtrechte und Privilegien erhielt. Der Name Zinten war in der ganzen Provinz näher bekannt durch alte Erinnerungen, die sich knüpften an die ehemals bestehende Grenze zwischen dem preußischen Königsberger Gebiet und dem zeitweise politisch abgetrennten Ermland. Wenn die Ermländer nach Preußen reisen wollten, so war die nächste Stadt jenseits der Grenze häufig Zinten. Und so wurde der Name Zinten für die Ermländer mit dem Zusatz „das Ausland" verknüpft. Diese Bezeichnung als „Ausland" blieb Zinten, solange das Land deutsch war. Im letzten Kriege hatte Zinten das Schicksal, dass die Front 12 Tage und länger am Stadtrande stehenblieb und die Innenstadt zerstört wurde. Und wieder wurde eine Grenze gezogen, dieses Mal zwischen dem nunmehr russisch besetzten Königsberger Gebiet und dem unter polnischer Verwaltung gekommenen südlichen Ostpreußen. Wir sind überzeugt, dass ebenso wie jene alte Grenze auch die jetzt gezogenen Barrieren nicht von langer Dauer sein werden


 

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