Ostpreußen-Warte, Folge 06 vom Juni 1957

Ostpreußen-Warte

Folge 06 vom Juni 1957

 

Seite 1   Foto: Schöne Heimat Danzig. Der Stockturm ist der älteste Teil der Stadtbefestigung. Er stand bereits, wenn auch in anderer Form, im Jahre 1346. Foto: Löhrich

 

Seite 1 und 4   Raumgesetzlichkeit und Geschichte. Mittlerstellung Preußens zwischen West - und Osteuropa

Es ist kein Ruhmesblatt der zeitgenössischen deutschen Geschichtsschreibung, dass sie ihre Geschichtsbetrachtung so betreibt, als ob die Geschichte sich unabhängig vom Raum abspiele. Dabei wird sie doch erst wahrhaft lebendig, wenn man begreift, dass allein aus der Betrachtung der Landschaft heraus klare Zusammenhänge für die Geschichte des sie bewohnenden Volkes entwickelt werden können. Dadurch wird erst ersichtlich, wie die Geschichte überall der sich gleichbleibenden Gesetzlichkeit der Erdoberfläche unterworfen ist. Man weiß heute anscheinend nichts mehr von der späten Einsicht Napoleons: „Geschichte kann nicht gegen die Geographie gemacht werden“. Nur wenn man die Eigenart einer Landschaft, eines Raumes in Rechnung stellt, wird man verstehen, warum es so kommen musste. Erst wenn die politischen Handlungen in enge Beziehung zur Landschaft treten, von der es kein Loskommen gibt, verlieren sie etwas von der Zufälligkeit, die ihr stets anhaften, solange man sie nur vom handelnden Menschen abhängig glaubt. Sie bleiben dann als „Geschichte" ausschließlich Ergebnis rein subjektiver Schau, die sich auf die Zusammenstellung der Geschehnisse aus der Überlieferung und ihrer jeweils zeitgebundenen Deutung beschränkt.

 

Die Geschichte ist ein ununterbrochenes Werden und Vergehen. Nur die natürlichen Grenzen, die einem Volk den Lebensraum sichern, sind friedenerhaltend, nicht die willkürlichen Grenzziehungen ohne Rücksicht auf die Gesetzlichkeit eines geographischen Raumes. Der bis jetzt gültige Nationalitätengrundsatz ist raumzerstörend und bedeutet deshalb ewigen Kampf. „Auf die Dauer ist Land und Natur doch stärker als der Mensch“. (Penck)

 

Wir müssen jede raumgesetzliche Verflechtung mit der Geschichte als etwas durchaus Individuelles auffassen. Nur so werden uns die gesetzlichen Bedingtheiten der ältesten Siedlungsgeschichte verständlich, um aus ihr zu lernen, wie es zu der Geschichtsmächtigkeit von Räumen und ihrem Wechsel kam und kommt.

 

Preußen - Österreich

Die Eigenart eines Raumes und die Eigenart eines Volkes bedingen und durchdringen sich wechselseitig. Für jedes Volk und jeden Staat geht ein politisches Müssen von seinem Raum aus. Verstehen beide nicht ihn auszufüllen, so ist das ein Versagen, wird er gesprengt, so ist das eine Empörung gegen die naturgegebene höhere Gesetzlichkeit, die sich stets eines Tages rächen muss.

 

Geschichtsmächtig war in frühester Zeit das mesopotamische Land zwischen Euphrat und Tigris und das Niltal. Aber sowie ein über die Volkstumsgrenzen hinausgreifendes Vormachtstreben versucht wird, gingen die Machtballungen zugrunde. Die Länder um das Mittelmeer wurden von Rom aus für längere Zeit zusammengefasst. So wurde mit Rom Italien zu einem geschichtsmächtigen Raum. Bald jedoch waren nicht mehr der römische Senat und das Volk Träger der römisch-völkischen Staatsgewalt, sondern die Anliegevölker des Mittelmeers stellten wechselnd die Imperatoren. Im östlichen Herrschaftsgebiet war der Hellenismus maßgebend, das westliche wurde romanisiert.

 

In Europa wechselten die geschichtsmächtigen Räume. Zuerst entstand das Reich Karls d. Gr. Deutschland wurde dann der Erbe des karolingischen Reiches aus der Gesetzlichkeit seiner räumlichen Mittellage im europäischen Abendland. Nach der Entdeckung Amerikas verlagerte sich der geschichtsmächtige Raum abwechselnd nach Spanien, Frankreich, den Niederlanden und England. Aber alle diese Länder erlebten und erleben den Zusammenbruch des Über-sich-hinausgreifens in fremde Raumgesetzlichkeiten.

 

In Deutschland spielte sich die innere Geschichte zwischen den beiden festen Grenzen, dem Meer im Norden und den Alpen im Süden, ab, während die große geschichtliche Bewegung, die aber nicht innerdeutsche Geschichte ist, sich zwischen den aufgelockerten Grenzen in West und Ost vollzog.

 

Im alten Reich spielt der Gegensatz zwischen Sachsen (Welfen) und Schwaben (Staufern) die entscheidende Rolle, wobei jedes von ihnen die Flankenmächte der Gegner zum Verbündeten hat. Als Schwaben emporkommt, gewinnt Sachsen die Flankenmächte der Staufer zu Parteigängern, wodurch die Staufer gezwungen werden, elsässische und österreichische Politik zu treiben, um die Zange von Welfen und Zähringern zu lockern. Deshalb entsteht eine eigene Herrschaft im Elsaß und Bayern wird vom Herzogtum Österreich getrennt, Sachsens gegnerische Nachbarn sind die Erzbischöfe von Köln, Bremen, Magdeburg und die Askanier. Die Wittelsbacher kommen als Gegner der Welfen auf den bayrischen Herzogssitz.

 

Derselbe Vorgang wiederholt sich mit den Flankenmächten von Brandenburg und Österreich, als Habsburg nach dem 30-jährigen Krieg in der böhmischen Gebirgsfestung Fuß fast. Habsburg hat damit den Beweis geliefert, dass es seine eigentliche Aufgabe gar nicht begriffen hat. Für Österreich ist die Donau das große Verbindende, das alles Entzweite in eine Raumeinheit zusammenzwingt. Weder das Deutschtum, noch das Kaiserhaus, noch der Katholizismus, noch Wien durfte der Mittelpunkt sein, nur die Donau. Wien war ein falscher Mittelpunkt politischer Machtentfaltung, weil es der einzige Platz ist, der von Italien aus angegriffen werden kann und zudem von der March aus und von Ungarn ständig gefährdet ist. Die Gebiete, die von Wien aus beherrscht wurden, sind unvereinbar. Wiens Interessen sind dem deutschen Raum abgekehrt. Das Wiener Becken stellt sich quer zur Donau und schafft eine große Wegkreuzung. Donauaufwärts geht es nach Bayern, donauabwärts nach Ungarn, nordwärts kommt man nach Böhmen und Schlesien, südwärts nach Oberitalien. Außerdem bildete Ungarn noch das südliche Vorfeld des alten Reiches gegen die Türken und umgekehrt das nordwestliche Vorfeld der Türken gegen das Reich. Die Habsburger konnten die Türken nur im Mündungsgebiet der Theiß aufhalten mit dem Ergebnis, dass die Militärgrenze gegen die Türken schließlich 1600 km lang wurde.

 

Die österreichische Vormachtstellung in Deutschland gründete sich auf den Besitz der böhmischen Gebirgsfestung, deren Vorfelder gleichermaßen beherrscht werden mussten, um die Festung zu sichern. So kam es zu der Auseinandersetzung mit Brandenburg-Preußen um den West-Ostdurchgang dicht am Rande der Sudeten und um Schlesien. Dem böhmischen Raumgesetz steht das brandenburgische entgegen. Bei beiden Gegnern geht es um die politische Sicherung der Flanken. Gegen Brandenburg-Preußen werden Hannover und Kursachsen gewonnen, gegen Österreich stehen Bayern und Ungarn. War an sich schon das nachbarliche Verhältnis zu Hannover für Preußen als Flankenmacht unerfreulich, so wurde es unerträglich, als der Welfe den englischen Königsthron bestieg. Damit beginnt nämlich die englische Kriegspolitik gegen Preußen. In Hannover allein ist England in Europa angreifbar und jede englisch-französische Auseinandersetzung wird vor den Toren der Mark Brandenburg zur Entscheidung gebracht. Das Bündnis Englands mit Friedrich d. Gr. ist dabei kein Widerspruch, denn durch dieses Bündnis glaubte England, Hannover vor den Franzosen schützen zu können. 1815 wurde das neu erstandene Hannover auf Kosten Preußens vergrößert. Man gab auf dem Wiener Kongress Preußen zwar seine rheinischen Besitzungen wieder, aber nur, um des Reiches Verteidigungslast auf Preußen abzuwälzen, und man zerriss außerdem das neue Preußen in zwei Teile (Hildesheim), wodurch man ihm die gesicherte Verbindung zu seinen westlichen Besitzungen nahm. Als dann das seit 1830 neue eigene hannoversche Königshaus, nur nach England und Österreich ausgerichtet, 1866 nicht zu neutraler Haltung zu bewegen war, musste es von Preußen aus Selbsterhaltungsgründen aus der Flanke entfernt werden. Dasselbe war mit Kursachsen der Fall, das 1813, 1815 und 1866 bis zuletzt gegen Preußen stand, nur dass durch seine Aufnahme in den norddeutschen Bund die Entfernung aus der Flanke erfolgte.

 

Preußens Geschichtsauftrag

Es ist merkwürdig, wie wenig die Bayern davon wissen, dass ihr Land der natürliche Verbündete Preußens gegen Österreich war. Die Kaiserzeit Karls VII. und der bayrische Erbfolgekrieg beweisen es. Durch das ganze 18. Jahrhundert zieht sich das Bemühen Österreichs, Bayern aus der Flanke zu entfernen. Die Wittelsbacher sollen nach den österreichischen Niederlanden gehen und der bayrische Hof hatte durchaus Lust, nach Brüssel zu übersiedeln. Von der bayrischen Flanke her zerstörte Napoleon 1806 zwar Preußen, aber er wurde auch in Bayern, das er in Erkenntnis seiner bedeutenden Lage dem Rheinbund einverleibte, der doppelten Flankierung von Österreich und Preußen, ausgesetzt. Das politische Erbe der Rheinbundzeit ist dann von 1814 bis 1870 der ständige Versuch Bayerns, die Gegensätze zwischen Preußen und Österreich zu schüren, um frei zwischen ihnen bestehen zu können. Und selbst heute wirkt dieses merkwürdige Bestreben noch nach.

 

Die östliche Flanke Österreichs bildet Ungarn. Erzherzog Franz Ferdinand sagte, Ungarn müsse in jedem Jahrhundert einmal niedergeworfen werden. Außer zu Maria Theresias und Napoleons Zeiten haben die Ungarn stets an der Seite der Feinde Österreichs gestanden.

 

Dem böhmischen Raumgesetz steht das brandenburgische entgegen. Kommt man vom Westen her über die Elbe, so öffnet sich weithin die norddeutsche Tiefebene nach Osten zwischen dem Gebirge im Süden und dem Meer im Norden. Die weite Ebene wird nur zweimal durch die Stromtäler der Oder und der Weichsel von Süden nach Norden geschnitten. Im Ganzen gesehen verengt sich der Raum von Osten nach Westen trichterförmig durch die von Südost nach Nordwest streichende Gebirgskette von Karpaten-Beskiden-Sudeten und die von Nordost nach Südwest streichende Küste der Ostsee.

 

An der schmalsten Stelle zwischen diesen beiden festen Grenzen liegt in der Mitte und schlecht gedeckt nach allen Himmelsrichtungen nur durch Flussläufe und Seenlinien, die auf einzelnen Strecken nur schwer überschreitbar sind, die Mark Brandenburg.

 

Die Mark Brandenburg ist dadurch in ganz Deutschland die einzige Landschaft, die geschichtsmächtigen Raum im Großen zu bilden vermag, und das gibt ihr die einzigartige und besondere Bedeutung.

 

Als Albrecht der Bär durch Erbvertrag in den Besitz des Landes Brandenburg kam, befand er sich gewissermaßen in einem „Wasserzwinger". Nach Osten hin lag die damals unüberschreitbare, versumpfte Oderstrecke zwischen Frankfurt und Oderberg, nordwärts das Havelluch mit den späteren Flankenplätzen Rathenow und Havelberg — die Verlängerung der Havellinie ist die Elbe — und im Süden die bei Wriezen am Oderbruch beginnende Wald- und Seenkette quer durch den märkischen Innenraum bis zum Spreewald.

 

Der Zusammenbruch des alten sächsischen Herzogtums fällt mit dem Emporkommen der Mark zusammen. Schon früh erkannten die Askanier, dass sie ihr Land gegen die Flankenbedrohung in Süd und Nord nur sichern könnten, wenn sie eine Anlehnung an die dortigen festen Grenzen, die Ostsee und die Sudeten gewannen. Dieser Zwang zur Selbsterhaltung im Raum bestimmte ihr politisches Handeln, nicht mit Hilfe von Gewalt, sondern friedlich durch Verträge. Durch die Ehen der Brüder Johann I. und Otto III. gelang das. Nun spannte sich das Gebiet der Askanier vom Gebirge bis zum Meer. Daraus entwickelte sich die Aufgabe, die Sudeten-Flanke zu sichern. Hier entlang gingen die großen trockenen Verbindungswege von West nach Ost.

 

Schon in der Frühgeschichte des Reiches drohte hier die Einbruchsgefahr von Osten. 1241 standen die Mongolen vor diesem Weg. Durch die Schlacht bei Liegnitz wurden sie zum Abzug nach Süden veranlasst. Um diesen Durchgang ging es bei den Auseinandersetzungen mit den Wettinern der Mark Meißen, und die Großmachtstellung Preußens wurde im Kampf mit Sachsen und Österreich durch Friedrich d. Gr. um diese Sudeten-Flanke errungen. Auf dieser selben Sudeten-Flanke fielen auch die entscheidenden Schlachten der preußischen Befreiungskriege an der Katzbach und bei Leipzig.

 

Da die Vormachtstellung der Habsburger in Deutschland sich einzig und allein auf die Gebirgsfestung Böhmen stützte, konnte sie auch nur hier gebrochen werden. Es ging bei der innerdeutschen Auseinandersetzung mit dem preußischen „Gegenkönigtum" aber nicht so sehr um die Festung selbst, als vielmehr um ihre Vorfelder, also vor allem um Schlesien, aber auch um das Elbvorland. Gelang es, diese zu nehmen, dann war mit der Entwertung Böhmens für die Habsburger auch seine Vormachtstellung in Deutschland im offensiven Sinne gebrochen.

 

Die zielbewusste territoriale Entwicklung Preußens ist durch den märkischen Raumgedanken bestimmt und geht von der Mitte aus. Erst eigentlich nach den napoleonischen Kriegen gewinnen die preußischen Erwerbungen im Rheinland und in Ostpreußen einen Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung Preußens.

 

Die Mittelstellung der Mark Brandenburg wurde im Laufe der Zeit zu einer Mittelstellung Preußen-Deutschlands zwischen Westeuropa und Osteuropa und sie weitet sich in unseren Tagen mit ganz Europa zu einer Zwischenstellung zwischen dem Westen und dem Osten auf der Erde.

 

Aber erst dann wird Europa diese Aufgabe erfüllen können, wenn die Einheit Deutschlands wiederhergestellt ist. Und diese wird nicht von Bestand sein können, wenn nicht die territoriale Wiederherstellung Preußens Wirklichkeit geworden ist. Deutschland ist national, Preußen war übernational, und zudem war es Herz, Klammer und Rückgrat Deutschlands. Und wie Europa nicht ohne Deutschland sein kann, so Deutschland nicht ohne Preußen. Walther von Etzdorf

 

Seite 2   Lebensfrage. Warum schweigen Vertriebenenpolitiker zu diesem Thema?

Wer in der letzten Zeit die Leitartikel in einem Teil der deutschen Vertriebenenpresse verfolgt, der bemerkt ein fast einmütiges Einschwenken auf die Argumentation der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Diskussion über die Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen und über die Atombewaffnung im allgemeinen. Davon abweichende Meinungen werden zynisch und negativ kommentiert, und das Göttinger Manifest der führenden deutschen Wissenschaftler wird ebenfalls wenig positiv beurteilt. Auf der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft soll laut Rundfunkmeldungen erklärt worden sein, dass die Wissenschaftler ihren Appell an die falsche Adresse gerichtet hätten. Sie hätten ihre Botschaft nach Moskau schicken sollen.

 

Ist es unbedingt erforderlich, dass die Vertriebenen-Presse und die Sprecher von Vertriebenenverbänden sich in den Vordergrund dieser schicksalhaften Diskussion drängen? Es ist zweifelhaft, ob dadurch das Verständnis im gesamten deutschen Volk für die berechtigten Zielsetzungen der heimatpolitischen Forderungen der Vertriebenen gestärkt wird. Es gibt in Deutschland noch immer genügend Kräfte, die gerne den Vertriebenen eine störende Wirkung und gefährliche Einflüsse unterstellen wollen. Hüten wir uns, diesen Kräften leichtfertige Argumente zu liefern.

 

Wissenschaftler der ganzen Welt haben ihre Warnungen an die politisch Verantwortlichen ausgesprochen. Die deutschen Wissenschaftler haben sich als Deutsche an die deutsche Regierung gewandt, die schließlich die politischen Entscheidungen in Europa mitbestimmt. Der Appell der Wissenschaftler darf sich nicht nur an die Adresse Moskaus, sondern muss sich zwangsläufig auch an die Adresse Washingtons- und Londons richten. Nur wenn er auf beiden Seiten das notwendige Gehör findet, kann vielleicht ein großes Unheil von der Menschheit abgewandt werden. Hätten die Wissenschaftler vielleicht schweigen sollen, weil ihre Darlegungen unter Umständen nicht in das politische Konzept mancher Leute passen? Hätte der amerikanische Biologe schweigen sollen, der bereits im vorigen Jahre feststellte, dass bei der Fortdauer von Versuchen mit Wasserstoffbomben in der bisherigen Anzahl voraussichtlich im Jahre 1962 die Radioaktivität so stark werde, dass Menschen mit schwächerer Konstitution sie nicht mehr aushielten? Das gilt für die Versuche im Osten genauso wie im Westen. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Wissenschaftler ihre Gewissensnöte offen zur Diskussion gestellt haben. Man sollte ihnen dafür dankbar sein.

 

Seite 2   Was wird aus der Heimat? Landestreffen der Westpreußen und Danziger in Kassel.

Zum zweiten Mal veranstalteten die Lm der Westpreußen und der Bund der Danziger — Landesgruppen Hessen — ein Heimattreffen, das in Kassel stattfand. Die Stadt Kassel dankte allen jetzt dort lebenden Westpreußen und Danzigern für die tatkräftige Mitarbeit beim Wiederaufbau der stark zerstörten Stadt. Der Sprecher des Bundes der Danziger, Dr. Könnemann, sprach über Danzig als dem Vorposten westpreußischer Städte im Kulturkampf gegen das Polentum. Der Bundessprecher der Lm. Westpreußen, Dr. Kohnert sagte, die alle bewegende Frage: „Was wird aus unserer Heimat?", könne heute noch niemand beantworten. Es sei Aufgabe der jetzigen Generation, der Jugend als unverlierbares Erbe das Bewusstsein zu hinterlassen, als heimatbewusste Westpreußen weiter zu leben. Dieses starke Heimatgefühl forderte auch Dr. von Krannhals, Dozent an der Ostdeutschen Akademie in Lüneburg, in seinem Festvortrag. Krannhals erklärte, es dürfe heute keinen Verzicht der Politiker auf den deutschen Osten geben. Ein solcher wäre nicht nur eine schlechte politische Vorleistung für die Zukunft, sondern auch eine gründliche Verkennung der heutigen Situation in Polen. In der Heimat seien inzwischen grundlegende politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen erfolgt. Diese Tatsachen bedeuteten, dass niemand an eine Restauration des Gewesenen denken könne, sondern dass völlig neu geplant werden müsse.

 

Ostdeutsche Heimatstuben

Hagen. Der Oberbürgermeister der Stadt Hagen übergab in Anwesenheit des Oberstadtdirektors dem Verband der Landsmannschaften, Kreisgruppe Hagen, in einer Feierstunde die „Ostdeutschen Heimatstuben". Die landsmannschaftliche Ausgestaltung der vier großen Versammlungsräume bleibt dem VdL Hagen überlassen.

 

Seite 2   „Ostpreußen - Deutsche Verpflichtung". 170 000 Ostpreußen kamen nach Bochum — Gespräche mit Polen gefordert. Bekenntnis zu Berlin.

Rund 170 000 ostpreußische Heimatvertriebene kamen aus allen Teilen der Bundesrepublik, aus West-Berlin und aus der Sowjetzone nach Bochum, um an dem Bundestreffen der Landsmannschaft Ostpreußen teilzunehmen, das unter dem Leitgedanken „Ostpreußen — Deutsche Verpflichtung" stand. Stellvertretend für die über zwei Millionen Landsleute, welche in West- und Mitteldeutschland leben, legten sie vor aller Welt ein Bekenntnis zur Heimat und zur Einheit Deutschlands ab.

 

Den Höhepunkt des Bundestreffens bildete eine große Kundgebung in der Halle eines Bochumer Industriewerkes. Nach der Übertragung des Geläuts der Silberglocke des Königsberger Doms, einer der wenigen geretteten ostdeutschen Glocken, und dem gemeinsamen Gesang des Niederländischen Dankgebets begrüßte der Kulturreferent der Landsmannschaft Ostpreußen, Grimoni, die zahlreichen Vertreter von Landes- und Bundesbehörden sowie die Gäste, unter denen sich erstmals bei einem Treffen deutscher Heimatvertriebener auch polnische Journalisten befanden, und verlas die Begrüßungstelegramme, welche von Bundeskanzler Dr. Adenauer, vom Vorsitzenden der SPD, Ollenhauer, dem Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses, Carroll Reece, und dem Präsidenten der Steuben-Society in USA, Baerwalde, eingegangen waren. Im Gedenken an die noch heute in der Heimat lebenden Landsleute, die Kriegsgefangenen und Verschleppten wurden Kerzen an einer Schale mit ostpreußischer Erde mit einer Flamme entzündet, welche in einer Grubenlampe vom Berliner Mahnmal der Vertriebenen geholt worden war. Insbesondere wies der Redner darauf hin, dass zum Bundestreffen auch zahlreiche Jugendliche erschienen waren, wodurch die Behauptung entkräftet werde, dass gerade die junge Generation die Heimat bereits vergessen habe.

 

Anschließend überbrachten der Bochumer Oberbürgermeister, Heinemann, und der nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Hemsath die Grüße der Stadt und der Landesregierung und betonten die alte Verbundenheit zwischen Ostpreußen und der Industriezentrale Deutschlands. Dann nahm der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Gille, in seiner oft vom Beifall unterbrochenen Rede insbesondere zu heimatpolitischen Fragen Stellung. Eindringlich warnte Dr. Gille davor, die Heimatliebe und den Rückkehrwillen der Heimatvertriebenen nicht ernst zu nehmen. Er erinnerte daran, dass die Zusammenschlüsse der ostdeutschen Heimatvertriebenen eine feste Gemeinschaft darstellen, für die nach demokratischen Maßstäben gewählte Sprecher das Wort führen. Entschieden unterstrich der Sprecher die unveränderte Bedeutung und Gültigkeit der „Charta der Heimatvertriebenen" vom Jahre 1950, in der die Vertriebenen feierlich ihren Verzicht auf Rache und Vergeltung ausgesprochen haben. „Wenn man dem menschlichen Urgefühl, das zur Heimat drängt, freien Lauf lässt", führte Dr. Gille aus, „dann werden sich auch die Probleme bei der Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat ohne Schwierigkeiten lösen, dafür liegen Beweise genug aus den jetzt unter polnischer Verwaltung stehenden Oder-Neiße-Gebieten vor“.

 

Des Weiteren wies Dr. Gille die Behauptung zurück, dass die Völker Osteuropas jahrhundertelang nur in Hader und Streit gelebt hätten. Er erinnerte daran, dass die ostpreußische Ostgrenze ebenso wie die schlesische Grenze zu den ältesten Grenzen Europas überhaupt gehören, damit also einen der stabilsten Faktoren der europäischen Geschichte darstellen. Sodann wandte sich der Sprecher dem deutsch-polnischen Verhältnis zu und erklärte, dass ein Verzicht auf den ostdeutschen Heimatboden nicht denkbar sei. Andererseits wünsche aber das deutsche Volk Polen den Aufbau eines unabhängigen gesunden Staatswesens. Auf Vertreibung und Raub lasse sich jedoch keine neue Ordnung aufbauen.

 

Zum Schluss seiner Ausführungen legte Dr. Gille ein Bekenntnis zu Berlin ab und erklärte, dass der Weg nach Ostdeutschland nur über die Reichshauptstadt führe. Deshalb sei auch die Landsmannschaft entschlossen, nach Berlin überzusiedeln und in Verhandlungen mit dem Senat von Berlin die Begründung eines Patenschaftsverhältnisses zu erörtern.

 

Auf zahlreichen Heimatkreistreffern und kulturellen Veranstaltungen kam die Liebe zur alten Heimat zum Ausdruck. Um die Verbindungen mit Preußen besonders sichtbar werden zu lassen, wurde von der Landsmannschaft die Stiftung eines „Preußenschildes“ verkündet, der jeweils nur an zehn lebende Persönlichkeiten, die sich besondere Verdienste um Ostpreußen erworben haben, verliehen werden soll. Die ersten Träger des Schildes sind die ostpreußische Dichterin Agnes Miegel, der frühere Landeshauptmann Graf Brünneck und Graf zu Eulenburg-Wicken. Ferner wurde die Stiftung eines Kulturpreises bekanntgegeben, der für die Zweige Dichtkunst, Bildende Künste und Musik in Höhe von je 1000 DM alljährlich an Künstler verliehen werden soll, die keine Ostpreußen zu sein brauchen, aber deren Werke sich mit dieser ostdeutschen Provinz beschäftigen.

 

Kardinalshut für Wyszynski

VATIKAN. Der polnische Kardinal Wyszynski empfing am Sonnabend aus der Hand von Papst Pius XII. den roten Kardinalshut und den Kardinalsring. Beide Insignien der Kardinalswürde hatten für ihn bereits seit dem 12. Januar 1953, als Wyszynski zum Kardinal ernannt wurde, im Vatikan bereitgelegen. Wegen der politischen Lage in Polen konnte Wyszynski damals jedoch nicht nach Rom reisen.

 

US-Forschungshilfe für Polen

New York. Die Rockefeller-Stiftung hat Polen eine Zuwendung von 475 000 Dollar zur Förderung wissenschaftlicher Forschungsarbeiten gewährt. Damit wurde, wie der Präsident der Stiftung, Rusk, mitteilte, zum ersten Mal einem Lande ein Zuschuss gewährt, das durch sowjetische Truppen besetzt ist.

 

Schickt deutsche Bücher!

Seit dem 1. Oktober 1956 können Bücher und Zeitschriften unpolitischer Art in die polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete zollfrei eingeführt werden. Wie aus vielen Briefen hervorgeht, besteht ein wahrer Hunger nach deutscher Literatur und deutschen Zeitschriften. So schreibt ein Allensteiner u. a.: „Schickt uns deutsche Bücher, wir werden Euch immer dafür dankbar sein!"

 

Seite 2   Pressespiegel

Ist wirksame Verteidigung möglich?

„Der Bundesverteidigungsminister liebt es, die verfolgte Unschuld zu mimen. Früher habe man die Regierung angegriffen, weil sie eine veraltete Fußvolk-Armee aufstelle. Jetzt, prügele man ihn, weil die Armee modern und mit Atomwaffen bestückt sein solle. Der vergebliche Widerspruch klärt sich schnell, wenn man den Verwendungszweck der Truppe ins Auge fasst. Die Fußvolk-Armee sollte dem russischen Koloss zu Lande Widerpart halten — eine unmögliche Aufgabe für das teilweise von den Russen besetzte Deutschland. Die neue Atom-Armee soll den Seemächten der NATO den faktischen, nicht den politischen Rückzug vom Kontinent ermöglichen — angesichts unserer Pulverfass-Situation kein erstrebenswertes Ziel. Franz-Josef Strauß hat gegen die Versuche gewütet, „jede wirksame Verteidigung zu bremsen". Der Minister möge ohne sein übliches Wortgeprassel zwei Fragen beantworten: Ist eine wirksame Verteidigung Deutschlands möglich, wenn wir taktische Atomwaffen haben? Sind die taktischen Atomwaffen, die er uns zugedacht hat. entscheidend, um die Sowjets abzuschrecken? Nur wenn der Minister eine von diesen beiden Fragen schlicht mit ja beantworten könnte, wäre eine Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zu verantworten. Er ist aber zu gescheit, um der Wahrheit derart hohnvoll ins Gesicht zu lachen“. DER SPIEGEL. Hamburg

 

Misstöne

„Die Bundesregierung ist nun einmal in der unglücklichen Lage, dass sie einerseits die unwillige deutsche Öffentlichkeit auf eine spätere Atomausrüstung der Bundeswehr vorzubereiten und andererseits aus innen- wie aus außenpolitischen Gründen doch den Eindruck zu erwecken sucht, als verfolge sie keine derartigen Absichten. Ein solcher Versuch, auf zwei verschieden gestimmten Klavieren zugleich zu spielen, kann nur Misstöne produzieren". DIE TAT. Zürich

 

Die Auslöschung Deutschlands

„An Atomwaffen für die Bundeswehr wird schon gedacht, seitdem im letzten Jahre die nach veralteten Maßstäben geplanten Streitkräfte Herrn Blanks durch die Stromlinien-Divisionen von Herrn Strauß ersetzt wurden. Die furchtbare Aussicht aber, dass sich in wenigen Jahren zwei deutsche Armeen, jede mit Atomwaffen, an der Elbe einander gegenüberstehen, ist für den deutschen Wähler genauso quälend wie für die Verbündeten Deutschland. Die sorgfältige Unterscheidung, die die NATO zwischen einem taktischen Atomkrieg in Mitteleuropa und der großen Katastrophe macht, scheint den Deutschen unwirklich; die NATO-Manöver auf deutschem Boden selber festigen in ihnen nur die Furcht, dass beide Möglichkeiten die Auslöschung Deutschlands bedeuten." THE ECONOMIST. London

 

Peinlicher Nato-Gedenktag

„Am 8. Mai, dem Jahrestag der deutschen Kapitulation, fanden auch dieses Jahr in Paris und der Provinz wieder große Militärparaden und Siegesfeiern statt. Man feiert die Feste, wie sie fallen, und manche Völker brauchen den „Ruhm" wie andere die Luft zum Atmen. — Weniger natürlich ist, dass auch das NATO-Hauptquartier in Fontainebleau am 8. Mai blau machte, und dass die Angehörigen der dortigen alliierten Stäbe den Jahrestag der deutschen Kapitulation ebenfalls festlich begingen. Diese Organisation hätte eigentlich keinen Grund, einen Sieg zu feiern, der halb Europa der Herrschaft des Kreml auslieferte. Es ist nicht bekannt, wie sich der deutsche NATO-General Speidel und der deutsche NATO-Botschafter Blankenhorn bei dieser Gelegenheit verhalten haben“. DER FORTSCHRITT. Düsseldorf

 

Was will Amerika in Europa?

„Was wollen wir Amerikaner genau genommen in Europa? Unser erstrangiges Sicherheitsziel ist, Gewissheit zu haben, dass Europas industrielle und militärische Macht nie gegen uns organisiert wird. — In Europa haben weder die Sowjetunion noch wir irgendetwas zu gewinnen von der Fortdauer des bestehenden Zustandes, der durch irgendeinen Zufall plötzlich in einen nuklearen Krieg ausbrechen könnte, den, beide Seiten zu vermeiden bestrebt sind. Wenn das durch ein Programm der Entlassung Deutschlands (aus der NATO, der Übers.) sowohl möglich wie gangbar wird, dann sollten wir uns nicht hinhalten. — Wenn wir Erfolg haben, werden wir einen großen Schritt gemacht haben zum Frieden in einem Gebiet, das mehr Blutvergießen erkannt hat als jedes andere auf Erden. THE NEW YORK TIMES

 

Seite 2   Der letzte Monat.

Italien steht unter dem Schatten einer Regierungskrise. Die bisher langlebigste Nachkriegsregierung unter Ministerpräsident Segni, die sich aus Christlichen Demokraten, Rechtssozialen und Liberalen zusammensetzte, hat dem Staatspräsidenten Gronchi ihren Rücktritt erklärt, nachdem der Führer der Rechtssozialen und stellvertretende Ministerpräsident Saragat überraschend den Auszug seiner Partei aus dem Kabinett angekündigt hat. Das jetzige Minderheitskabinett Zoll umfasst nur Christliche Demokraten.

 

Zu einem Überraschungssieg kam es bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich. Entgegen den Prognosen der Meinungsforschungsinstitute konnte der sozialistische Kandidat Dr. Adolf Schärf die meisten Stimmen auf sich vereinigen.

 

Die Umrüstungspläne der britischen Streitkräfte auf Atombewaffnung standen im Mittelpunkt der Gespräche des britischen Premierministers Macmillan mit Bundeskanzler Dr Adenauer in Bonn. Nach offiziellen Erklärungen wurde eine weitgehend Übereinstimmung in der Beurteilung der weltpolitischen Lage festgestellt.

 

Die Westeuropa-Union nahm auf ihrer Sitzung in Straßburg mit Stimmenmehrheit eine Entschließung an, in der die Aufrüstung aller westlichen Streitkräfte mit taktischen Atomwaffen und Fernlenkgeschossen gefordert wird. Gegen die Entschließung stimmten die deutschen SPD-Vertreter.

 

Um Sein oder Nicht sein ging es in der großen Atomdebatte des Bundestages in Bonn. Der Atomkrieg werde zur Vernichtung der Sieger und Besiegten führen, erklärte Prof. Carlo Schmidt (SPD). In seiner Antwort vertrat Dr Gerstenmaier (CDU) die Ansicht, die Bundesrepublik könne nur im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung für den Verzicht auf Atomwaffen eintreten.

 

Seit Hiroshima hätten die USA 80 weitere Atombomben zur Explosion gebracht, behauptete der technische Leiter für die Entwicklung von Sonderwaffen, Shelton, vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses. Vor demselben Ausschuss erklärte Generalstabschef Admiral Radfort, dass die USA Atom- und Wasserstoffbomben anwenden würden, wenn sie in einen Konflikt verwickelt werden sollten, der die Gefahr einer Niederlage mit sich brächte.

 

Der Vorschlag Chruschtschows zu einer neuen Konferenz der „Großen Vier" wurde in amerikanischen Regierungskreisen mit größter Zurückhaltung aufgenommen. Man bezweifelt den Erfolg einer neuen Konferenz der vier Großmächte.

 

Überraschung und großes Aufsehen in der Welt erregte die Nachricht aus Washington, wonach die USA-Regierung neue Abrüstungsvorschläge an die Sowjetunion vorbereiten soll. In diesen neuen Vorschlägen soll zum ersten Mal die Wiedervereinigung Deutschlands ausgeklammert werden.

 

25 japanische Physiker, unter ihnen der Nobelpreisträger Dr. Yukawa, stellten sich mit einer Erklärung hinter den Appell der 18 westdeutschen Atomwissenschaftler. Sie lehnen jede Hilfe ab, an der Entwicklung und Erzeugung von Atomwaffen mitzuarbeiten.

 

Mit dem Abwurf seiner ersten Wasserstoffbombe im Gebiet der Weihnachtsinsel hat sich Großbritannien in die Gruppe der Atomgroßmächte eingereiht. Gegen den Abwurf dieser Bombe wurde vor allem von Seiten Japans schärfstens protestiert. Macmillan erklärte vor dem britischen Unterhaus, dass die Versuchsreihe im Pazifik fortgesetzt werde.

 

SPD-Vorsitzender Ollenhauer erklärte zur Frage der Atombewaffnung, dass seine Partei keine Stationierung ausländischer Atomstreitkräfte oder Atomwaffen im Bundesgebiet wünsche, während sich wenige Stunden später der britische Botschafter in Bonn, Steel, dahin äußerte, dass zu gegebener Zeit mit einer atomaren Ausrüstung der britischen Truppen im Bundesgebiet zu rechnen sei.

 

Die französische Regierung Mollet ist mit 250 zu 213 Stimmen gestürzt worden. Das gestürzte Kabinett kann auf die längste Amtszeit einer französischen Nachkriegsregierung zurückblicken, übrigens das 22. Kabinett in dieser Zeit. Grund des Rücktritts war eine Finanzvorlage der Regierung, durch die 400 Milliarden Francs für die Fortführung der Befriedigungsaktion in Algerien aufgebracht werden sollten.

 

„Die Wiedervereinigung Deutschlands ist nicht notwendigerweise ein Beitrag zur Internationalen Entspannung", heißt es in dem Entwurf eines neuen außenpolitischen Programms der britischen Labour-Partei. Verfasser dieses Entwurfes ist Bevan, der in einer künftigen Labour-Regierung entweder Außenminister oder Premierminister sein wird.

 

Zu einem erregten Zusammenstoß zwischen CDU und SPD kam es bei den Haushaltsberatungen im Bundestag, als die SPD ankündigte, sie werde wie in vergangener Zeit die gesamten Mittel für die Bundeswehr ablehnen. Ollenhauer erwiderte auf die scharfen Angriffe Dr. Jägers, auch die SPD wolle die Sicherheit Deutschlands, nur gingen offensichtlich die Ansichten über den besten Weg dahin auseinander.

 

Zum Abschluss der diesjährigen Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirchen in Deutschland hat Landesbischof D. Dr. Lilje eine Stellungnahme der Bischofskonferenz zur Atomfrage bekanntgegeben. Die Bischöfe warnen davor, heute an die Stelle der Gottesfurcht die Angst vor einer entfesselten Atomkraft zu setzen. Niemals habe sich der Mensch so ohnmächtig gezeigt, wie in dieser Stunde seiner großen Macht.

 

Die bisher umfangreichsten amerikanischen Atombombenversuche auf dem Versuchsgelände in der Wüste Nevada haben nach wiederholten Verschiebungen begonnen. Die Versuchsreihe sieht insgesamt etwa 15 Explosionen in einem Zeitraum von drei Monaten vor.

 

Die Errichtung einer Luftinspektionszone, erklärte Außenminister Dulles, müsse mit Vorrang behandelt werden. Bei den Londonner Abrüstungsverhandlungen der drei Westmächte, Kanadas und der Sowjetunion bestehe die Hauptaufgabe darin, so schnell wie möglich zu einem Teilabkommen zu gelangen. Anderenfalls würde es sehr schwierig sein, sich der Flut der ständig wachsenden  Rüstung entgegenzustemmen und das Wettrüsten unter Kontrolle zu halten. Erst nach einem solchen Abkommen eröffne sich eine Aussicht auf die von Bundeskanzler Adenauer gewünschte neue Deutschland-Konferenz der vier Großmächte.

 

Dänemark legt gegenwärtig keinen Wert auf die Ausstattung seiner Streitkräfte mit Atomwaffen, erklärte Ministerpräsident Hansen in seiner ersten Regierungserklärung nach der Neubildung des Kabinetts. Die dänische Regierung ist gewillt, an allen Bemühungen um eine internationale Entspannung und um eine positive Lösung der Abrüstungsfrage teilzunehmen.

 

Die Beziehungen zwischen England und den USA haben gegenwärtig einen neuen Tiefstand erreicht. Anlass zu diesen neuerlichen Meinungsverschiedenheiten ist die von Außenminister Lloyd im Unterhaus bekanntgegebene Lockerung der Ausfuhrbestimmungen für die Volksrepublik China. Eisenhower soll sich voller Verbitterung über den zweiten Alleingang Englands innerhalb acht Monaten ausgesprochen haben: er spielte damit auf den britischen Angriff auf Ägypten im vorigen Herbst an.

 

Der sowjetische Parteisekretär Chruschtschow erklärte vor einer Gruppe polnischer Journalisten, dass sich die Sowjetunion im Besitz einer neuartigen Superbombe befinde. Sie sei, so behauptete er, so wirkungsvoll, dass sie im Frieden überhaupt nicht ausprobiert werden könne. Möglicherweise handelt es sich um eine sogenannte Kobaltbombe.

 

 

Seite 3   Treuburg. Polnischer Alltag. Das Schicksal einer von Warschau vergessenen Kleinstadt Ostpreußens.

Selbst Polen wohlgesinnte Besucher, die in der letzten Zeit die östlichen Landkreise Ostpreußens besuchten und auch in Treuburg waren, gaben hinterher deprimierende Schilderungen über die dort herrschenden Verhältnisse ab. Als wir in Berlin einen Journalisten der englischen Linkspresse sprachen, der 1920 bei der Volksabstimmung in Ostpreußen zugegen war und jetzt Ostpreußen wiederum besuchte, sagte uns dieser: „Ich kann es immer noch nicht fassen, warum und wieso solche Zustände in Ostpreußen herrschen, ich war vor mehr als 35 Jahren in den Städten dieser Provinz und hatte sie in guter Erinnerung. Als ich jetzt wieder dort war, packte mich das Entsetzen... Nicht nur der Krieg allein hat die dortigen Verhältnisse der Gegenwart bestimmt! Eine unvorstellbare Misswirtschaft scheint mir viel verantwortlicher zu sein“ ...

 

Dieser Besucher, der ob seiner politischen Einstellung ein guter Kronzeuge für die wahrheitsgemäße Berichterstattung ist, hat auch die Kreisstadt Treuburg besucht. Was er von dort berichtete, deckte sich mit dem, was schon seit einiger Zeit bei uns über die Zustände in dieser Stadt bekannt ist. Die Stadt Treuburg — ehemals dadurch bekannt, dass sie den größten Marktplatz aller europäischen Länder ihr Eigen nennen konnte — ist während der polnischen Verwaltung in ein Chaos ohnegleichen gestürzt worden.

 

Und dabei hätte es Kraft und Energie bedurft, um die schon durch den Krieg schwer getroffene Stadt zu erhalten. Aber auch hier fand sich keine polnische Hand, um die 420 zerstörten oder beschädigten Häuser wiederaufzubauen. Nein, die polnische Verwaltung vermehrte durch sinnlose Abrisse wie auch anderswo die Zahl der Ruinengrundstücke. Sprengkommandos und Abbruchkolonnen stürzten sich auf die unzerstörten Gebäude und sohlachteten sie aus. Auch aus Treuburg wurde viel Material zum Wiederaufbau Warschaus abtransportiert.

 

Wer heute in diese Stadt kommt, sieht sich auf dem gewaltigen Marktplatz einer weiten Einöde gegenüber. Der Verkehr ist völlig ausgestorben, und der in weiten Abständen einmal abgehaltene Bauernmarkt vermag auch nur einen kleinen Teil des Platzes zu beleben. Die den Markt umgebenden Geschäftshäuser sind zumeist verschwunden. Entweder liegen sie in Trümmern oder wurden gänzlich abgetragen. Nur noch wenige Fassaden stehen hier und erinnern an die Zeiten geschäftigen Treibens der fleißigen und sauberen Stadt. Einige der früheren Treppenaufgänge der Geschäftshäuser sind noch vorhanden. Weit und breit aber sucht man vergebens nach irgendeinem Zeichen, dass die Polen wenigstens an dieser Stelle den Versuch machen würden, einen Teil des alten Treuburger Zentrums wieder erstehen zu lassen.

 

Bezüglich dieser Stadt stellt sich überhaupt die Frage, was den Polen eigentlich die Übernahme Treuburgs genützt hat oder was sie damit bezweckt haben. Wird doch ihre Unfähigkeit, die Stadt wenigstens zum Minimum zu erhalten, an jeder Straßenecke offenkundig. Das ist auch nicht allein damit zu erklären, dass Treuburg mit den anderen beiden Kreisstädten Lyck und Goldap bei der polnischen Nachkriegs-Verwaltungsreform aus dem Verband des Regierungsbezirkes Allenstein herausgenommen und der Wojewodschaft Bialystok zugeschlagen wurde. Zwar ist bekannt, dass Bialystok sich um die drei neuen Kreisstädte und ihre ländlichen Gebiete so gut wie gar nicht kümmert, aber die lokalen Behörden Treuburgs haben auch nie den Versuch unternommen, diesen Zustand zu beendigen oder in dem ihnen gegebenen Rahmen aktiv zu werden. Man ließ bis auf den heutigen Tag hier alles schlurren. Ohne Widerspruch wurde jede Anordnung aus Bialystok befolgt, noch mehr Baumaterial für kongresspolnische Städte oder Warschau bereitzustellen.

 

Erst in der letzten Zeit hat sich in Allenstein eine Funktionärsgruppe gefunden, die sich dafür einsetzt, Treuburg und die beiden anderen Landkreise wieder an Allenstein anzuschließen. Charakteristisch ist aber, dass diese Bestrebungen von den Treuburger Behörden weder in zustimmender noch in ablehnender Form unterstützt werden. Die Lethargie ist so in den Amtsstuben zu Hause, dass Initiative in der einen oder anderen Richtung gar nicht mehr möglich ist. Die Verwaltung kennt weder Verantwortung noch Tatkraft. Die Behörden scheinen nur dazu da zu sein, um den Funktionären und Angestellten die Existenz zu sichern. Im Übrigen wartet man auf Entscheidungen von oben, die jedoch bisher nicht gekommen sind, soweit es einen sinnvollen Aufbau betrifft.

 

Auch die Oktoberereignisse vom vergangenen Jahr haben keine Änderungen gebracht. Ein paar provisorische Privatgeschäfte sind eröffnet worden — das ist aber auch schon alles. Nach wie vor herrscht hier die phlegmatische Parteibürokratie, die keine Verantwortung kennt. Die Wiederaufbaupläne bestehen zwar, aber an ihre Verwirklichung hat bisher niemand gedacht. Wie zum Beispiel in der Lötzenerstraße. In dieser Straße, wo viele Gebäude die Kriegswirren überstanden, wüteten in besonderem Maße die Abbruchkommandos. Teilweise aber beschränkte man sich darauf, aus den Häusern nur die Inneneinrichtung sowie Heizkörper, Rohre der Wasserleitung, hygienische Einrichtungen und elektrotechnische Installationen zu entnehmen. In einigen Fällen riss man auch nur die Ziegel und die Dachkonstruktion heraus.

 

So ergab sich die Möglichkeit, trotz der Abbrucharbeiten eine ganze Anzahl von Gebäuden doch noch wiederinstandzusetzen. Aber was geschah? Die dafür bereit gestellten Gelder flossen in andere Kanäle, so dass bis zum heutigen Tag der weitere und endgültige Verfall dieser Straße nicht aufgehalten werden konnte. Nicht einmal die Miliz hat es bisher für notwendig befunden, Dieben auf die Finger zu sehen, die immer wieder noch etwas aus den Häusern abtransportieren. Im Übrigen kann man sich anhand der ständigen Witterungseinflüsse ausrechnen, wieviel Jahre es noch dauert, bis die leicht zu rettenden Gebäude endgültig zusammenstürzen.

 

Auch der Treuburger Friedhof ist von den fortdauernden Zerstörungen nicht ausgenommen. Erst kürzlich noch wurden mit Handwagen Grabsteine von dem Gottesacker fortgebracht — man benötigte sie zur Ausbesserung großer Schlaglöcher. Deutsche Soldatengräber auf dem Friedhof sind alle schon lange dem Erdboden gleichgemacht worden. Ziegen weiden auf einigen Friedhofsteilen. Deutschen-Verfolgungen allgemeiner Art gab es darüber hinaus bis in die jüngste Gegenwart.

 

Initiative entwickelte bisher in der Stadt eigentlich nur das Militär. Die polnische Luftwaffe richtete hier schon vor langer Zeit eine Außenstelle ein, in der Mitglieder der vormilitärischen Ausbildungsorganisation „Liga der Soldatenfreunde" ausgebildet werden. Und zwar hat man eine technische Schule eingerichtet, um spätere Luftwaffen-Mechaniker vorzubilden. In letzter Zeit ist es allerdings etwas stiller um diese Einrichtung geworden, da nur noch wenige Jugendliche freiwillig Interesse am Soldatenberuf und der Mitgliedschaft in vormilitärischen Organisationen haben.

 

Die nach hier gekommenen Polen haben fast alle keine richtige Existenz. Viele sind arbeitslos. Andere wiederum werden nur zeitweise in der Landwirtschaft beschäftigt. Die meisten polnischen Einwohner von Treuburg halten Vieh, um die schmale Kost aufzubessern. Vieh aller Art kann man immer in den Straßen, den Vorgärten oder den Höfen begegnen. Blühen tut natürlich auch der illegale Handel. Meist werden knappe Waren aber nur angekauft, um in größeren Städten gegen Gewinn weiter veräußert zu werden. Zum eigenen Erwerb fehlt es den polnischen Bürgern zumeist an Geld. Sie sind mit dem zufrieden, was sie am Zwischenhandel verdienen.

 

Kulturelle Einrichtungen gibt es keine mehr in Treuburg. Es sei denn, man halte einige Gastspiele von Laien-Ensembles dafür. Oder den Nachtwächter, der nachts auf dem Marktplatz das einzige polnische Denkmal bewacht — es ist an der Stelle errichtet worden, wo früher das deutsche Abstimmungsdenkmal stand, und stellt in kitschiger Form die „Heimkehr Treuburgs zum polnischen Mutterland" dar. Dass 1920 in dieser Kreisstadt nicht eine einzige Stimme für Polen abgegeben wurde, davon darf heute nicht mehr gesprochen werden.

 

An das frühere Treuburg erinnern nur noch einige erhaltene Gebäude am Stadtrand, die Ruinen des ausgebrannten Postamtes und das Wappen im Treppenhaus des alten Rathauses. Sonst hat sich alles unheilvoll verändert und ist nicht mehr wiederzuerkennen. Um einige Straßen nicht aufräumen zu müssen, wurden neue Geh- und Fahrwege in provisorischer Form durch Hintergärten usw. angelegt. Nach dem alten Stadtplan kann man sich jetzt nur noch schwer in Treuburg orientieren. Die letzte Nachricht über die Neuapostolische Kirche und die angrenzenden Gebäude besagt, dass hier von der polnischen Landwirtschafts-Verwaltung eine Maschinen- und Traktorenstation eingerichtet worden ist. Unter anderem soll sich hier auch eine Lehrwerkstatt befinden, in der Jugendliche zu Fahrern und Mechanikern der POM-Traktoren-Betriebe ausgebildet werden. Auch einige junge deutsche Mädchen und Jungen sollen hier ihre Ausbildung erhalten haben.

 

Über alles andere, was den von hier Vertriebenen einstmals lieb und wert und bekannt war, ist nichts mehr übriggeblieben beziehungsweise ist nichts mehr bekannt. Der eingangs erwähnte englische Besucher teilte mit, dass seiner Meinung nach etwa 65 vom Hundert der Stadt vernichtet oder unbewohnbar geworden ist! Immer wieder sprach er davon, wie unsagbar schwer es überhaupt gewesen sei, bis zu dieser Stadt vorzudringen. Zwar kann man bis Goldap von Mittel-Ostpreußen mit der Bahn fahren. Treuburg aber war nur mit einem Gelegenheitsomnibus zu erreichen. „Die Stadt lag wie abgeschlossen vom Leben", sagte unser Gesprächspartner. Ausführlich unterhielten wir uns auch über die polnischen Bevölkerungsangaben. Nach der polnischen Statistik leben in Treuburg und dem dazu gehörigen Landkreisgebiet heute 27 000 Menschen. Das entspräche einer Bevölkerungsdichte von 31 Menschen je Quadratkilometer. Zu deutscher Zeit lebten hier 38 000 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von 44,4 Einwohnern je Quadratkilometer bedeutet. Der englische Besucher meinte dazu, dass die polnischen Angaben nur dann stimmen könnten, wenn sie sich auf den Landkreis bezögen. In Treuburg lebten seiner Meinung heute im Höchstfall 2 500 Menschen gegenüber 7100 vor dem Kriege. Beruhten die polnischen Angaben auf Wahrheit, so müsste der Bevölkerungsrückgang in der Stadt selbst größer als auf dem Land sein. In den Landkreis sei er jedoch nicht hineingekommen, „weil es einfach keine Möglichkeit dazu gab". Womit er andeutete, dass keine geregelten Verkehrsverhältnisse mehr bestehen.

 

Wie dem auch sei, Treuburg hat sich gegenüber früher so verändert, dass man keine Parallelen mehr zur Vorkriegszeit ziehen kann. Die Stadt, die wir in diesem Teil Ostpreußens kannten, gibt es nicht mehr.

 

Seite 3   Nachrichten aus der Heimat.

Fünf Millionen Zloty gibt der polnische Staat jährlich für die Hafenwache in Gdingen aus, um Diebstählen erfolgreich vorzubeugen.

 

Die staatliche polnische Luftfahrtgesellschaft „Lot“ eröffnete kürzlich eine neue Fluglinie von Warschau nach Köslin, wo der Flughafen der polnischen Luftwaffe benutzt wird.

 

Zum 75. Jahrestag der Entdeckung der Tuberkelbazillen durch Robert Koch wurde in Wollstein bei Posen eine Straße nach ihm benannt. Der berühmte deutsche Arzt hatte hier im Jahre 1882 den Tuberkelbazillus und ein Jahr später den Cholerabazillus entdeckt.

 

„Bleibt hier, wir brauchen Euch!“ heißt der Schlusssatz eines polnischen Flugblattes, das an die deutschen Umsiedler in Stargard verteilt wurde. Versprochen wird ihnen dafür weitest gehende Wiedergutmachung und größtes Entgegenkommen der Neubewirtschaftung von Höfen und Handwerksbetrieben.

 

An der diesjährigen Posener Messe, die in diesem Monat stattfindet, wollen sich auch die USA beteiligen. Die polnischen Behörden haben Vorsichtsmaßnahmen zur Verhinderung neuer Unruhen nach Art des Posener Aufstandes 1956 in die Wege geleitet.

 

Seite 3   Ukrainer dürfen Westgebiete verlassen. „Beginn einer neuen Epoche im Leben der Ukrainer in Polen".

Im Monat April wurde der Beschluss des Sekretariats der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei veröffentlicht, der eine Klärung der Situation der Ukrainischen Nationalgruppe in Polen bringen soll. Demnach wird man einen Teil der Ukrainer, die im Jahre 1947 aus den ostpolnischen Gebieten nach Ostpreußen oder in die Oder-Neiße-Gebiete zwangsumgesiedelt worden waren, gestatten, in ihre frühere Heimatorte zurückzukehren. Es hat sich herausgestellt, dass sehr viele frühere ukrainische Bauerhöfe in Ostpolen bis heute leer stehen und dass auch ein Teil des dazugehörigen Bodens unbebaut geblieben ist. Von jetzt ab wird es verboten sein, über diese Häuser zu verfügen oder sie zu zerstören.

 

Das Organ der ukrainischen Nationalgruppe in Polen „Nasze Slowo", vom 5. Mai d. J. bezeichnet diesen Beschluss als den Beginn einer neuen Epoche im Leben der Ukrainer in Polen. Dieser Beschluss wird nur einem kleinen Teil der Ukrainer erlauben, in ihre früheren Heimatorte zurückzukehren, aber es sind eben jene, die Verfolgungen ausgesetzt waren und die sich in den jetzigen westpolnischen Gebieten nicht einleben konnten. Jene Ukrainer, die in ihren jetzigen Wohnorten bleiben, bekommen weitgehende finanzielle Unterstützung und Entschädigung für ihr im Osten verbliebenes Hab und Gut.

 

Seite 3   Nordostpreußen Sowjetbollwerk

Ein Kommentator des Moskauer Rundfunks befasste sich am 6. Mai d. J. nach einer Reise durch das nördliche, sowjetisch verwaltete Ostpreußen mit der Situation der Zivilbevölkerung im „Kaliningrader Gebiet". Nach einem kurzen Rückblick auf die Geschichte Ostpreußens, in dem behauptet wurde, dass „dieses Land durch Jahrhunderte kein Gesicht gehabt" habe und „durch einen wahren Bevölkerungsmischmasch gekennzeichnet gewesen" sei, gab der sowjetische Berichterstatter zu, dass „heute von einem einheitlichen Gesicht dieser Landschaft nicht gesprochen werden" könne. Er meinte aber, dass „alles auf dem besten Wege" sei. Die Bevölkerung komme zwar aus verschiedenen Teilen der Sowjetunion, sie sei jedoch entschlossen, „den übernommenen Auftrag zur festen Verquickung des westlichen Bollwerks der UdSSR mit dem Mutterlande zu Ende zu führen". Als Beweis dafür „in welchem Maße die Bevölkerung bereits mit der Landschaft verwurzelt" sei, wurde die Tatsache gewertet, dass es in letzter Zeit „kaum mehr Menschen gegeben" habe, die den Wunsch ausgesprochen hätten, „umgesiedelt zu werden". Im Gegensatz zur polnischen Polizei, die 1956 noch mehr als 1500 Personen habe festnehmen müssen, die Volkspolen ohne Genehmigung hätten verlassen wollen, seien im nördlichen Ostpreußen im vergangenen Jahr nur sechs Personen bei illegalen Grenzübertritten aufgegriffen worden. Es habe sich dabei um „kriminelle Elemente und Schmuggler" gehandelt.

 

Seite 3   Raubbau in ostpreußischen Wäldern.

Die in Allenstein erscheinende polnische KP-Zeitung „Glos Olsztynski" („Allgemeiner Stimme") beklagt den Raubbau, der in den Wäldern der Wojewodschaft Allenstein getrieben werde. Die übersteigerten Anforderungen des Bergbaus, der Papierindustrie und des Bauwesens hätten die staatliche Forstverwaltung gezwungen, „das im Interesse der Forstwirtschaft vertretbare Maß im Holzeinschlag um 45 Prozent zu überschreiten". Obwohl nur ein jährlicher Einschlag von 1,3 Millionen Kubikmeter zulässig ist, seien in den beiden vergangenen Jahren 1,78 und 1,95 Millionen Kubikmeter geschlagen worden.

 

Seite 3   Oberlandkanal fast 100 Jahre (Bild)

In wenigen Jahren wird man die Wiederkehr eines für Ostpreußen denkwürdigen Tages begehen: Die Fertigstellung des 82 km langen Oberländischen Kanals. Sein Bau wurde 1845 begonnen, der letzte Spatenstich erfolgte 1860.

 

Schöpfer dieses Kanals war Oberbaurat Stehnken; ein Mann, der einen für damalige Zeiten unerhört kühnen Entschluss verwirklichte: Zur Überwindung eines Höhenunterschiedes von etwa 110 m gab er dem Oberlandkanal nicht die üblichen Schleusen, sondern legte insgesamt fünf „geneigte Ebenen" an. Eine jede hatte eine Höhe von 22 m. Schiffe und Kähne bis zu 70 Tonnen wurden bei Erreichen dieser „Rollberge" auf Räder gesetzt und durch Wasserkraft gehoben oder gesenkt, je nach Fahrtrichtung. Es dauerte jeweils etwa 10 Minuten und bewährte sich bis in die jüngste Zeit.

 

Von Elbing aus wurde durch diesen Kanalbau ein Wasserweg in das südliche Ostpreußen gelegt, der 195 km maß. Da dieser Landesteil verkehrsmäßig erst verhältnismäßig spät durch den Bau von Eisenbahnlinien erschlossen wurde, kam dem Oberländischen Kanal lange Zeit hindurch eine beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung zu. In neuerer Zeit (unser Bild) wurde er zumeist nur noch von Ausflugsdampfern, Flößern und Wasserwanderern benutzt.

 

Seite 3   „Steppenbrände" in Ostpreußen

Unmittelbar an der polnisch-sowjetischen Demarkationslinie in Ostpreußen entstanden riesige „Steppenbrände", die durch die polnischen Verwaltungsbehörden entfacht worden sind, um das Unkraut auf dem brachliegenden Lande zu beseitigen. Unmittelbar jenseits der Demarkationslinie, welche den südlichen, polnisch verwalteten Teil Ostpreußen vom nördlichen, sowjetisch besetzten „Königsberger Gebiet" trennt, wurden Sowjettruppen alarmiert, um ein Übergreifen der Brände auf das Sowjetische Verwaltungsgebiet zu verhindern. Die polnische Presse bezeichnet diese Steppenbrände „als Zeichen des Beginns neuen Lebens", da die Brandlandflächen mit polnischen Siedlern besetzt werden sollen. Aus diesem Grunde sei man „zum ersten Male in der Geschichte des Landes um Braunsberg" dazu übergegangen, „durch Feuer das Unkraut auszumerzen". Ganze Landstriche würden auf diese Weise „unkrautfrei", was sich dadurch ankündige, dass „riesige Rauchsäulen über den nördlichen Gebieten der Wojewodschaft Allenstein stehen“.

 

 

Seite 3   Die Mottlau total verschlammt

Wie die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Glos Wybrzeza" berichtet, ist die Mottlau, die auf einer Strecke von 7 Kilometern durch Danzig fließt, total verschlammt, da der Fluss seit der Übernahme Danzigs in polnische Verwaltung noch niemals ausgebaggert worden ist. Die Fahrrinne — die eine Tiefe von 2,5 Metern aufweisen müsste — ist weithin nur noch 50 cm tief. Schon einige Regenfälle genügen, um den Fluss über die Ufer treten zu lassen, zumal auch die Schutzdämme verfallen. Das zuständige Warschauer Ministerium hat auf diesbezügliche Beschwerden hin mitgeteilt, dass es dem Präsidium des „Städtischen Volksrats" in Danzig eine Summe von 500 000 Zloty übermittelt hatte, die „für die Instandsetzung des Flussbettes der Mottlau bestimmt waren. „Nunmehr liegt die ganze Schwierigkeit darin, dass nicht bekannt ist, wohin diese Summe versickert ist", schreibt „Glos Wybrzeza" hierzu.

 

Seite 3   Nur die Feldränder bestellt.

Die polnische Landwirtschaftszeitung „Robotnik rolny" (Der Landarbeiter) enthüllt erstmals die Gründe, weshalb die Staatsgüter in der Woiwodschaft Allenstein in den vergangenen Jahren so geringe Hektarerträge erzielten, dass beispielsweise an Getreide kaum mehr geerntet wurde, als die Aussaatmenge betrug. Die Staatsgüter ließen nur die Ränder der großen Felder bestellen, während die Hauptflächen in der Mitte brach liegen gelassen wurden. In diesem Jahre nun — so heißt es in dem polnischen Bericht — wollten die Staatsgüter „danach trachten", die Gesamtflächen zu bestellen. Bereits seien in diesem Jahre — ebenfalls „zum ersten Male" — die Steine auf den Feldern zusammengelesen worden. Eine gute Frühjahrsbestellung sei allerdings dadurch „weitgehend beeinträchtigt worden", dass etwa die Hälfte der Traktoren bereits nach den ersten Arbeiten wieder wegen Maschinen- und anderer Schäden ausfiel.

 

Seite 4   Darlehen und Beihilfen für Spätheimkehrer.

Für Darlehen zum Aufbau oder zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz sowie zur Beschaffung von Wohnraum und für Beihilfen zur Beschaffung von Hausrat gemäß den Bestimmungen des Abschnittes II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes sind im Bundeshaushalt für die Rechnungsjahre 1955 und 1956 insgesamt 95 Millionen DM bereitgestellt worden. Dieser Betrag wurde den Ländern zugewiesen. Denn die Bewilligung der Darlehen und Beihilfen erfolgt durch Landesbehörden. Diese prüfen in eigener Zuständigkeit nach sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, gegebenenfalls unter Hinzuziehung des Heimkehrerverbandes, in welcher Reihenfolge die einzelnen Anträge zu berücksichtigen sind. Von den 95 Millionen DM wurden 35 Millionen DM Darlehen durch die Lastenausgleichsbank an die Berechtigten über deren Hausbanken sowie etwa 7,7 Millionen DM Hausratsbeihilfen ausbezahlt. Zu Beginn des Jahres standen für die Auszahlung der übrigen bereits bewilligten Darlehen und Beihilfen noch 52,3 Millionen DM zur Verfügung. Die Auszahlung der Darlehen ist nicht allein vom Vorhandensein der Mittel abhängig, sondern kann erst erfolgen, wenn der Darlehenszweck die Auszahlung erforderlich macht. Für den Fall eines unabweisbaren Bedürfnisses hat sich der Bundesminister der Finanzen im Sinne seiner 1955 im Bundestag abgegebenen Erklärung bereitgefunden, nach § 45b der Reichshaushaltsordnung die Ermächtigung zu erteilen, über den für 1957 vorgesehenen Haushaltsansatz von 40 Millionen DM hinaus für das Jahr 1958 bis zu 25 Millionen DM bzw. einem noch zu vereinbarenden höheren Beitrag vertragliche Bindungen einzugehen.

 

Seite 4   Erst 50 Prozent der vertriebenen Ärzte eingegliedert.

Die Hälfte der vertriebenen Ärzte ist noch nicht wieder in das Wirtschaftsleben eingegliedert, teilte der Präsident des Bundesverbandes der vertriebenen Ärzte und Zahnärzte, Dr. Heinz Esser, Braunschweig, mit. Der Verband vertritt alle 15 000 im Bundesgebiet und Westberlin lebenden Ärzte.

 

Rest der Seite: Werbung.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 6. Juni 1957.

Die Mücke im Bernsteinpalast.

Wie kommt die kleine Mücke in ihren goldenen Bernsteinpalast? Das, liebe Kogge-Leser, erzählt euch Hans Wilhelm Smolik in der nachstehenden Geschichte, die wir als kleine Kostprobe dem Buch „Erlebnisse eines Hirtenknaben" (Georg Westermann Verlag, Braunschweig, 110 S. Hin. DM 14,80) entnommen haben. Diese und viele andere Geschichten von Tieren und Pflanzen, die ihr alle kennt und an denen ihr bislang achtlos vorübergegangen seid, werden in diesen fesselnden Darstellungen zu wahren Erlebnissen. Sie öffnen auch den Blick für die kleinen und großen Wunder, Schönheiten und Gesetze der Natur. Es lohnt sich, mit dem Hirtenjungen Toni Freundschaft zu schließen!

 

Einige Tage später musste Toni das Bett hüten. Er hatte sich doch eine tüchtige Erkältung in der Nacht bei der Feldscheune geholt. Seine Kameraden kamen natürlich immer mal gucken, wie es ihm ging. Und weil sie den Toni alle recht gern hatten, brachten sie ihm auch ab und zu ein kleines Geschenk mit. So schenkte ihm eines Tages der Seppl vom Gastwirt ein Stück Bernstein, in dem eine Mücke eingeschlossen war. Toni freute sich sehr über Seppls Geschenk, und wenn die Sonne in die Hütte schien, dann hob er das Stück Bernstein hoch, dass sich die Sonnenstrahlen darin brachen. Wie Gold erglänzte dann der Bernstein, und die Mücke schien aus feinem Silberdraht gesponnen.

 

Als Toni wieder einmal mit dem Bernstein spielte, kam durch das offene Fenster eine kleine Wintermücke geflogen. Die Mücke setzte sich auf den Bernstein und wisperte erstaunt: „Oh, Schwester, die du hier in dem goldenen Glaspalast sitzt und wie Silber schimmerst, bist du vielleicht die Königin aller Mücken?"

 

Ach nein, ich bin keine Königin!" kam ein feines Stimmchen aus dem Bernstein. „Ich bin nur die älteste Mücke der Welt. Ich bin zwanzig Millionen Jahre alt!" „Zwanzig Millionen Jahre?" rief die kleine Wintermücke. „Ja, gab es denn damals schon Mücken? War da nicht die ganze Erde mit Schnee und Eis bedeckt?" „Ich bin noch älter als die Eiszeit, Schwesterchen! Ach, ich kann mich gar nicht mehr besinnen, wie lange ich schon in diesem Bernsteinsarg liege!" „Einen Sarg nennst du dieses wunderbare goldene Schloss? Ich würde sonst was dafür geben, wenn ich es haben könnte!" „Auch dein Leben?", fragte die Mücke im Bernstein. „Nein, mein Leben natürlich nicht!" „Siehst du! Aber ich habe mein Leben für diesen Goldpalast geben müssen, ich bin längst tot!" „Ja, aber wie konntest du das auch tun, Schwester?!" sagte die kleine Wintermücke. „Wie ist denn das überhaupt zugegangen?" „Das ist eine lange Geschichte. Aber wenn du willst, kann ich dir ja alles erzählen“. „O ja, erzähle! Inzwischen habe ich mich hier schön ausgewärmt“.

 

Und die Mücke im Bernstein begann mit ihrem feinen und dünnen Stimmchen: „Vor langer, langer, ewig langer Zeit stand an der Ostseeküste, ungefähr beim heutigen Samland, ein riesiger, ein gewaltiger, ein üppiger Urwald. Zimtbäume und Fichten, Palmen und Kiefern, Eichen und Ölbäume, Buchen und Silberbäume wuchsen da dicht durcheinander“.

 

„Wie konnten denn Palmen und Zimtbäume an der kalten Ostsee wachsen?" fragte die Wintermücke. „Weil es damals an der Ostsee so warm war wie es heute am Mittelmeer ist, so warm wie in Nordafrika!"

„Wie seltsam!" rief die kleine Wintermücke.

„Ja", fuhr die Bernsteinmücke fort, „aber trotzdem hatte er sehr schwer zu kämpfen, dieser Wald. Das Meer bedrohte ihn unaufhörlich. Gewaltige Stürme rissen große Lücken. Die Schmarotzerpilze und Baumläuse, Borkenkäfer und Pochkäfer, Holzwespen und Blattwespen, Wickelraupen und die Rotfäule waren unermüdlich in ihren heimtückischen Angriffen. Aus tausend mal tausend Wunden blutete der riesige Urwald. So viel er auch das heilende Baumharz ausschwitzte, ja geradezu von Harz troff, er ging doch langsam zugrunde“.

„Aber du wolltest mir doch erzählen, wie du in den Glaspalast gekommen bist!" rief die Wintermücke ungeduldig. „Du erzählst immer nur von dem Urwald!"

„Weil eben der Urwald und seine blutenden Wunden den Anfang meiner Lebensgeschichte bilden! Denn damals, als ich durch den sterbenden und blutenden Urwald flog und von dem süßen Baumblut kosten wollte, blieb ich kleben. Und ich kam nicht wieder los, so sehr ich auch strampelte, ich ertrank in dem Harz und kam so zu meinem Bernsteinsarg“.

„Wieso?" fragte die Wintermück?“ „Du willst doch nicht sagen, dass das Baumblut, dass das Harz zu Bernstein geworden ist?!" „Doch! Im Laufe der Jahrmillionen wurde das Baumblut zu Bernstein, zum Gold des Nordens“. „Ach, es ist gar kein Gold? Nur versteintes Baumblut?"

 

„Jawohl, Schwesterchen! Trotzdem ist das Gold des Nordens bei allen Völkern der Erde seit Jahrtausenden sehr beliebt. Noch heute trägt der Chinese wie der Indianer, der Tatar wie der Rifkabyle, der Türke wie der Araber mit Stolz seine Ketten und Betkränze, seine Amulette und Ohrkolben aus Bernstein. Die Künstler aber schnitzen wunderbare durchsichtige Gestalten, Blumen, Tiere und Menschen aus diesem Gold“.

„O ja, es ist sehr schön! Aber was hast du nun in all den Jahrmillionen getrieben?"

 

„Ja, das ist eine lange dunkle Geschichte", meinte die Mücke im Bernstein. „Wie gesagt, ging also der Urwald zugrunde und sank und stürzte in sich zusammen. Aber ein neuer Wald wuchs auf der gleichen Stelle, strebte mächtig empor, blühte und kämpfte, bis auch er wieder verging. Dutzende von Wäldern kamen und vergingen! Dutzende von Wäldern brachen zusammen und wurden zu Moder und Erde. Ich lag mit dem ersten Wald schon tief tief in der Erde, lag dort viele hundert tausend Jahre. Dann kamen die Eiszeiten und schoben Geröll und Geschiebe über alle die Wälder und drückten sie immer tiefer in den Schoß der Erde hinab. Zuletzt lagen wir Bernsteinklumpen tief unter dem Meeresspiegel“.

 

„Aber wie war es dir dann möglich wieder herauszukommen?" fragte die Wintermücke.

 

„Das Meer, die Wellen spülten uns heraus und warfen uns an die Küste. Hier wurden wir von den Fischern mit langen Netzen aufgefischt und dann an die Fabriken verkauft. Ach, du, als ich da endlich wieder das Sonnenlicht sah, da wäre ich bald wieder lebendig geworden, da wäre ich am liebsten losgeflogen!"

 

„Das glaube ich dir gern. Auch ich kann der Sonne nicht widerstehen. Mitten im Winter muss ich hinaus, wenn ihre Strahlen zu tanzen beginnen. Siehst du, wie sie jetzt wieder tanzen, die Sonnenstrahlen?! Da muss ich dabei sein! Leb wohl, Schwesterchen im Goldpalast!" Und summend flog die kleine Wintermücke davon.

 

Toni aber fragte, als er wieder gesund war, seinen Lehrer, ob das alles seine Richtigkeit habe, was die Mücke im Bernstein erzählt hatte. Der Lehrer nickte und fügte nur noch hinzu: „Heute allerdings wartet man nicht mehr auf den Bernstein, den die Wellen an die Küste tragen. Heute gräbt man tief in die Erde hinein, hebt Schicht um Schicht, bis man zur blauen Bernsteinerde kommt. Wie die offenen Braunkohlenwerke sieht solch ein Bernsteinwerk aus. Aber es hat lange gedauert, ehe die Menschen herausfanden, dass der Bernstein nicht von irgendwoher von fremden Ufern an unsere Küste gespült wurde, sondern tief in dieser Küstenerde selbst liegt“.

 

Daraufhin hielt Toni sein Stück Bernstein hoch in Ehren. Oft musste er an den gewaltigen Urwald denken, der da vor zwanzig Millionen Jahren an der Ostseeküste gestanden hatte und in dem Palmen und Ölbäume, Fichten und Zimtbäume einträchtig in einem warmen und blauen Himmel hinaufgewachsen waren.

 

Seite 5   Du in Der Welt. Leit- und Geleitworte großer Deutscher.

Mir kommt es immer vor, dass die Art, wie man die Ereignisse des Lebens nimmt, ebenso wichtigen Anteil an unserem Glück und Unglück hätte als diese Ereignisse selbst. W. v. Humboldt

 

Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die höheren Menschen. Fr. Nietzsche

 

Menschen, welche gern den Spuren des Schönen und Edlen nachgehen, finden sich wechselweise schneller als andere, haben ein innigeres Gefühl des Wohlwollens für einander, und dieses Gefühl ist auch ein dauernderes. A. Stifter

 

Es kommt nicht auf das an, was die Natur aus dem Menschen, sondern was dieser aus sich selber macht. I. Kant

 

Wie das Bild meines Gesichts im Wasser widerscheint, so ist mein Ich in jedem Nebenmenschen zurückgeworfen. J. G. Hamann

 

Eigene gute Menschenart kann eine fremde Menschenart allein verstehen und trösten und ahnen. J. G. Herder

 

Maßgebend in meinem Leben und Tun war für mich nie der Beifall der Welt, sondern die eigene Überzeugung, die Pflicht und das Gewissen. P. v. Hindenburg

 

Dem Kinde lehren, dass alle Menschen gleich sind, und die Geburt, wenn sie nicht durch Verdienst unterstützt wird, nur eine Chimäre ist. Friedrich II.

 

Die Liebe gebar die Welt, die Freundschaft wird sie wiedergebären. Fr. Hölderlin

 

Es hat noch niemand etwas Ordentliches geleistet, der nicht etwas Außerordentliches leisten wollte. M. v. Ebner-Eschenbach

 

Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen: wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht. J. W. v. Goethe

 

Seite 5   Für unsere Leseratten.

Heute wollen wir einmal einen Griff in die Schatzkammer der deutschen Volkssage tun. Zu den größten Schätzen darin zählt zweifelsohne das Nibelungenlied. Es liegt uns hier neu erzählt von Rudolf Erckmann in zwei Bänden vor:

 

Siegfried.

Kriemhilds Rache.

Jeder Band 128 Seiten, cello. geb. DM 3,20. Wilhelm Andermann Verlag, München.

Der edle Königssohn Siegfried wird auch heute noch jedes Jungenherz begeistern. Seine ritterlichen Taten sind ungezählt. Wir folgen ihm auf seinem Zug nach Worms, wo er um die junge Kriemhild freit, und folgen ihm auf der verwegenen Brautfahrt König Gunthers zu dem Schloss im Meer. Aber schon hier nimmt das Verhängnis seinen Anfang und endet schließlich mit dem tödlichen Speerwurf aus der Hand des finsteren Hagens. Viele Jahre sinnt Kriemhild auf Rache, umso mehr, da Hagen nun auch den Nibelungenhort an sich bringt, der ihr rechtens zusteht, und im Rhein versenkt. Ein Fluch scheint auf diesem Goldschatz zu ruhen. Kriemhild heiratet zum zweiten Mal; besessen von ihren Rachegedanken sieht sie darin einen Weg, ihrem dunklen Ziele näherzukommen. Und nun folgen wir dem Zug der edlen Ritterschaft Burgunds in das ferner Ungarland, wohin sie Kriemhild, die Gemahlin König Etzels geladen. Das Unheil ist nicht aufzuhalten. Es wird für alle Recken eine Fahrt ohne Wiederkehr. In der großen Gasthalle an Etzels Hof vollendet sich das Schicksal der Ritter. Unberührt sieht Kriemhild dem großen Sterben ihrer Brüder und deren Mannen zu und erschlägt als letzten mit eigener Hand den Tronjer. Aber auch an ihr vollzieht sich der Nibelungen Los; der alte Hildebrand stößt sie für ihre frevelnde tat nieder.

 

Man wird diese Sage immer wieder mit Gewinn lesen, sie ist reich an schönen Beispielen von Treue und Ritterlichkeit. Sie ist gleichzeitig eines der vollkommenden Zeitgemälde einer versunkenen Kultur- und Geschichtsepoche. Wie es durch Jahrhunderte das Volksbuch der deutschen Jugend war, möchte man es auch heute in die Hand aller Jungen und Mädel wünschen. Euer Gert

 

Seite 5   Der Jugend gehört die Welt.

Jetzt zur Sommers- und Reisezeit eilen unsere Gedanken über Grenzen und Meere hinweg in fremde Länder. Glücklich der, der seinen Gedanken tatsächlich nachreisen kann und schön für ihn, wenn er im Ausland Menschen begegnet, die er vorher schon brieflich kennenlernen konnte. Aber auch die „Daheimgebliebenen" gehen auf Gedankenreise, indem sie ihre Briefe in alle Welt schicken, um auf diese Weise Land und Leute kennenzulernen, um ihre Sprachkenntnisse zu erweitern und zu vertiefen, um ihre Sammlungen aller Art zu vergrößern. Sie schreiben sich mit gleichaltrigen und gleichgesinnten Personen, erörtern alle möglichen Gesprächsthemen, diskutieren über berufliche und schulische Fragen, plaudern über Freizeitgestaltung und Liebhabereien und helfen einander beim Auf- und Ausbau ihrer Steckenpferde oder Hobbies.

 

Das Internationale Korrespondenz-Büro, Anna-Maria Braun, München 15. Lindwurmstraße 126 A, vermittelt seit mehr als 10 Jahren solche Verbindungen mit gutem Erfolg, wovon zahlreiche Dankschreiben Zeugnis geben. Zur Verständigung dient meist die englische Sprache, aber auch in deutscher Sprache erhält das Büro manche Anfragen von Mädchen und Jungen in Europa und Übersee. Wer Freunde im Ausland gewinnen will, wende sich an obiges Büro, das gegen Berechnung Verbindungen zur ausländischen Jugend herstellt.

 

Seite 5   Gedenkblatt des Monats.

Daniel Gabriel Fahrenheit.

Einer der hervorragendsten Physiker des 18. Jahrhunderts ist der am 14.05.1686 in Danzig geborene Daniel Gabriel Fahrenheit. Besondere Verdienste erwarb er sich durch die Verbesserung des Thermometers, indem er als erster Quecksilber statt des bisher üblichen Weingeistes verwandte (1715). Als Ausgangspunkt für die von ihm aufgestellte und nach ihm benannte Temperaturskala nahm er die Kälte im Winter 1709 von Danzig. Auch heute noch wird in verschiedenen Ländern u. a. in den USA und England nach „Fahrenheit"-Graden gerechnet. Fahrenheit teilte die Thermometerskala im Gegensatz zu Celsius (100 Teile) und Reaumur (80 Teile) in 180 Teile. Nach Fahrenheit liegt der Gefrierpunkt des Wassers bei 32 Grad, der Siedepunkt bei 212 Grad. In Deutschland hat sich die Celsius-Einteilung durchgesetzt.

 

Neben dieser umwälzenden Verbesserung des Thermometers verdanken wir Fahrenheit mancherlei Erfindungen auf dem Gebiete der Thermoskopie, auch wesentliche Verbesserungen am Barometer. Er ist es auch, der die Entdeckung machte (1721), dass Wasser unter seinen Gefrierpunkt abgekühlt werden kann. Über Studien zur Austrocknung überschwemmter Ländereien — er lebte lange Jahre seines Lebens in den Niederlanden — starb Fahrenheit am 16.09.1736.

 

Seite 6   Kulm an der Weichsel

Alle wissenschaftlich exakten Landkarten zur deutschen Geschichte sagen aus, dass der Deutsche Ritterorden und die ihm liierten „Livländischen Schwertbrüder" um das Jahr 1400 ein Gebiet beherrschten, erschlossen und besiedelten, das in der Längsrichtung rund 900 km von Südwesten nach Nordosten maß. Es reichte im Nordosten von Narwa am Finnischen Meerbusen bis Kulm an der Weichsel im Südwesten. Diese Strecke entspricht etwa der Entfernung von Berlin bis Genf!

 

Kulm war damals gleichsam die Pforte zum Ordensland. Schon um 1222 Standort einer Ordensburg, wurde Kulm im Jahre 1233 zur Stadt erhoben. Es erhielt Rechte, die zum Vorbild für die innere Rechtsverfassung der meisten Städte des Ordenslandes wurden. Sie waren in der sog. Kulmer Handveste niedergelegt. Schon 1245 befand sich in Kulm ein Bischofssitz.

 

Unser Bild zeigt das Kulmer Rathaus, ein Renaissance-Bau, der 1567 entstand. Im Hintergrund ist die aus dem 14. Jahrhundert stammende gotische Pfarrkirche sichtbar. Es waren ausschließlich Niederdeutsche, die aus ihrer Heimat die Kunst des Eindeichens von Flüssen mit an die Weichsel brachten und dort verwirklichten. Ihnen allein ist die Entstehung jener fruchtbaren Landstriche zu danken, die bis 1914 zur „Kornkammer" des Reiches rechneten.

 

Kulm ist der Geburtsort des Heidedichters Hermann Löns.

 

 

Seite 6   Lachende Heimat. „Ich nähm de Kist nicht wäch!“

Im Memelner Bahnhof hält ein Zug. Fahrgäste steigen ein und aus. Plötzlich erhebt sich ein heftiger Wortwechsel. Der Zugang zu einem sonst völlig leeren Abteil ist durch eine riesige Kiste versperrt. In der Ecke auf der Bank sitzt, in die Lektüre einer Zeitung versunken, ein einsamer Mann. Eilige Reisende nahen. „Woll'n Se de Kist' nich wächnähm'n", fragen sie freundlich. Der Mann rührt sich nicht. „Wänn Se de Kist' nich wächnähm'n, ruf ich den Schaffner!“ mahnt ärgerlich ein anderer. „Nei, ich näm de Kist' nich wäch!" Dicke Rauchwolken umwallen den Widerspenstigen. Der Schaffner kommt gewichtig herzu. „Nähm'n Se sofort de Kist' wäch, sonst kommt der Vorsteher!" befiehlt er im Vollgefühl seines Einflusses. „Nei, ich nähm de Kist' nich wäch!"

 

Der Bahnhofsvorsteher trifft ein. Er richtet nichts aus. Schon eilt die Polizei herbei. Inzwischen hat sich eine bewegte Menschenmenge vor dem Abteil versammelt. Wie Bienengesumm klingen ihre durcheinander schwirrenden Meinungen, Ratschläge und Mahnungen. „Nähm'n Se doch de Kist' wäch!" rät freundlich ein wohlmeinender, alter Herr. „Nei, ich nähm de Kist' nich waäch!" Jetzt wird es ernst. Der Bahnpolizist wirft seine ganze Autorität ins Gewicht. „Nähm'n Se de Kist' wäch und jehn Se aus dem Zuch!" befiehlt er kurz. Der Fahrgast schüttelt bloß den Kopf. „Nei, ich nähm de Kist' nich wäch“. Er wird abgeführt, im Wachlokal fragt ihn der Polizeioffizier kopfschüttelnd: „Aber Mänsch, warum woll'n Se denn de Kist' nich wächnähm'n?"

 

„Is ja jarnich meine Kist!" antwortet der Deliquent mit unbewegtem Gesicht. Alle starren ihn an — entsetzt, wütend, vorwurfsvoll, verständnislos. „Un warum hab'n Se das nich jleich jesacht?" „Na, hat mich denn wer jefracht?"

Briefmarken erzählen Gefchichte

 

Seite 6   Briefmarken erzählen Geschichte.

Ja, liebe Freunde: Briefmarken erzählen Geschichte. Ihr werdet euch gleich davon überzeugen können. Beschränken wir uns auf unser Sammelgebiet „Ost- und Westpreußen", da haben wir gleich nach dem ersten Weltkrieg (1920) die Provisorien in den Abstimmungsgebieten Allenstein und Marienwerder. Zwei Beispiele seht ihr hier abgebildet. Im Falle a) wurden die damals kursierenden Marken des Deutschen Reiches mit verschiedenen Aufdrucken versehen, während für das Gebiet Marienwerder (b) eigene Sonderausgaben gedruckt wurden. Ähnliche Ausgaben erschienen für die Abstimmungsgebiete Oberschlesien u. Schleswig.

 

Solche Überdruckprovisorien wurden auch für das nach dem ersten Weltkrieg unter Verwaltung des Völkerbundes (Frankreich) gestellte Memelgebiet herausgegeben, und zwar verwendete man hier in der Hauptsache französische Freimarken (c) mit Ausnahme einer 1920 erschienenen Überdruckserie auf Postwertzeichen des Deutschen Reiches. 1923/1924 liefen neben diesen Provisorien eigene Ausgaben mit deutschlitauischer Beschriftung, im Mittelkreis mit dem litauischen Wappen. Gleichzeitig erschien eine Jubiläumsausgabe von sieben Werten in drei verschiedenen Zeichnungen (Dampfer, Memeler Wappen, Memeler Leuchtturm). Interessant sind auch für unsere Sammler die nicht offiziellen Ausgaben von 1939, litauische Briefmarken mit dem Ausdruck „Memelland frei!" Sie wurden am Postschalter nicht verkauft, waren aber für Frankaturzwecke zugelassen. Sehr interessant auch Briefe mit Poststempeln aus jener Zeit; diese Briefumschläge muss man als sogenannte Ganzsachen sammeln.

 

1920 tritt auch die Freie Stadt Danzig, zunächst mit Überdruckprovisorien auf Marken des Deutschen Reiches, mit ihren ersten Ausgaben in die Geschichte der Briefmarke (Philatelie) ein. Hier eröffnet sich für unseren Sammler ein weites Feld für seine Betätigung, auf das wir später noch verschiedentlich zurückkommen werden.

 

Erwähnt sei nur noch (auch darauf kommen wir noch eingehender zurück), dass auch die polnischen Freimarken nach 1945 mit Darstellungen deutscher Bauwerke unserer Heimat ein trauriges Kapitel jüngster Geschichte zu erzählen wissen.

 

Aber wie schon gesagt, das sei einer unserer nächsten Ausgaben vorbehalten.

 

Seite 6   Interessantes aus der alten Heimat. VI. Von Siedlern, Professoren und Künstlern.

Der erste deutsche Ansiedler in Preußen ist nach der Beleihungsurkunde des Deutschen Ritterordens vom 29. Januar 1236 der edle Herr von Tiefenau gewesen, der sich in der Gegend von Marienwerder ansiedelte. Er erhielt eine Quadratmeile Landes angewiesen, das sind etwa 57 qkm.

 

In der Ordensritterzeit war in Preußen Honig das einzige Süßmittel.

Der 1. Rektor an der 1544 von Herzog Albrecht gegründeten Königsberger Universität war der Humanist Georg Sabirus, ein Schwiegersohn des mit Luther eng befreundeten Philipp Melanchthon.

 

Im Auftrage des Herzogs Albrechts malte Crispien Herraut, ein Schüler Albrecht Dürers, in Königsberg. Durch sein Können und Schaffen regte er die einheimischen Künstler, die seine Schüler wurden, zu größeren Arbeiten an.

 

Die am Deimefluss gelegene Kreisstadt Labiau ist eine uralte Ansiedlung der einheimischen Pruzzen und wird urkundlich zum ersten Male schon im Jahre 1258 erwähnt. Der Große Kurfürst war oft im Schlosse, einer Wasserburg, zu Gast, um von hier aus der Auerochsjagd nachzugehen. Der Auerochse, auch Ur genannt, war damals noch Standwild in den dichten großen Waldungen, der sogenannten „Wildnis", zwischen Tilsit und Labiau. Da diesem Wilde sehr nachgestellt wurde (hohe Herren aus fremden Ländern lud man sogar zur Jagd), war der Bestand an Auerochsen bald sehr dezimiert; der letzte Auerochs wurde 1755 in Gertlauken erlegt. Das Stadtrecht wurde Labiau vom Großen Kurfürsten am 28.07.1642 verliehen. Im Labiauer Schlosse wurde übrigens seinerzeit auch der Vertrag zwischen Preußen und Schweden geschlossen, der die polnische Lehnsherrschaft über Ostpreußen aufhob und es zum selbständigen Herzogtum machte.

 

Seite 6   König Friedrich und sein Nachbar.

Der König Friedrich von Preußen hatte acht Stunden von Berlin freilich ein schönes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich stehn ein königliches Schloss und eine Mühle nicht gut nebeneinander, obgleich das Weißbrot schmeckt auch in dem Schloss nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl gebacken hat. Außerdem aber, wenn der König in seinen besten Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal ließ der Müller das Wasser in die Räder schießen und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten das Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder die Gedanken des Königs ab. Der geneigte Leser sagt: „Ein König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und lässt sie niederreißen?" Der König wusste, warum. Denn eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen. „Ihr begreift", sagte er zu ihm, „dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer muss weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" — Der Müller sagte: „Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, dass ihr mir mein Schloss abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiderte: „Gnädigster Herr, so habt auch Ihr nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist mir nicht feil". Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. „Sie ist mir nicht feil. Weil ich darin geboren bin", sagte er, „so will ich darin sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist, so sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben". Da nahm der König eine ernsthafte Sprache an: „Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht nötig hab, viele Worte zu machen? Ich lasse Eure Mühle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld oder nehmt es nicht!"

 

Da lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem König: „Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht wäre". Nämlich, dass er es wolle auf einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter Herr und konnte überaus gnädig sein, also dass ihm die Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht missfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er ließ von dieser Zeit an den Müller unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen Herrn Nachbar.

 

Seite 6   König Friedrichs Leibhusar.

Der Leibhusar König Friedrichs von Preußen muss mit seinem Herrn in gutem Vernehmen gestanden haben. Denn einmal gab ihm der König wegen eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie damals noch an den Seiten des Kopfes trug, auseinanderfuhr und der weiße Puder davonflog, also dass man's draußen ihm wohl ansehen konnte, wenn er hinauskam. Der Leibhusar bat wegen seines Versehens um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Königs großen Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und stäubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches unschicklich war. Dem König kam's auch so vor, denn er sagte: „Was fällt dir ein? Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: „Nein, er habe genug an einer“. „Aber die andern", sagte er, „brauchen nicht zu wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist“. Da lächelte der König wieder und war nimmer böse über den Leibhusar. Item, einmal tut so etwas gut, ein andermal nicht.

 

Seite 6   Die Schmachschrift.

Als eine Pasquille oder Schmachschrift auf König Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz ausgeheftet wurde und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: „Ihre Majestät", sagte der Kammerdiener, „es ist Ihnen heute Nacht eine Ehre widerfahren, das und das. Alles hab' ich nicht lesen können, denn die Schrift hängt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts Gutes“. Da sagte der König: „Ich befehle, dass man die Schrift tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf dass jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt“. Nachderhand geschah nichts mehr.

 

Seite 6   Ein Brief über die Zonengrenze. Jugend muss sich zusammenfinden.

Die beiden Teile unseres Vaterlandes haben sich unendlich weit auseinandergelebt, die Jugend fast noch mehr als die Erwachsenen. Dieses unheilvolle Auseinanderleben geht noch immer weiter.

 

Auf irgendeiner Basis muss man einfach zueinander kommen. Und diese Grundlage ist ganz einfach der Mensch selbst. Wir, wenn wir uns unterhalten über alltägliche Dinge, über Sorgen und Schwierigkeiten, die uns jeden Tag begegnen. Wir haben uns vorgenommen, durch den Briefwechsel mit euch, dass ihr uns versteht, und dass wir euch verstehen ...

 

Wie unsinnig ist es doch eigentlich, wenn viele von uns Briefwechsel mit Frankreich, England, Australien und weiß Gott, was für Länder haben wollen, und sich nicht einmal mehr richtig mit Deutschen, also mit Menschen unseres eigenen Volkes verstehen können. Und wir finden eben, dass wir einen Versuch machen wollen, und glauben, dass bis jetzt leider zu wenig Versuche zu einer echten Verständigung gemacht worden sind...

 

Manchmal habe ich das Gefühl, als wären wir füreinander nur noch Begriffe, in denen das einfache Wort „Mensch" fehlt. Vielleicht verstehst Du, was ich meine, wenn ich damit sagen will, dass wir uns oft nur unter dem Motto sehen: „Die, da drüben", was dann mit einigen festen Begriffen, die für alles gültig sind, verbunden ist.

 

Es ist vielleicht schade, dass wir uns so etwas überhaupt schreiben müssen, weil dieses eben für uns keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

 

So wollen wir versuchen, den Berg der Vorurteile ein wenig abzutragen, denn es kann vorkommen, dass solche Berge zu hoch werden, dass sie nicht mehr abzutragen sind, auch nicht mit technischen Hilfsmitteln.

 

Eins muss ich Dir noch sagen: sehr oft konnte ich meine Meinung mit Deiner vereinen. Ist das nicht ein guter Anfang?

 

Seite 6   Zwei Parabeln. Von Marie von Ebner-Eschenbach.

Die Siegerin.

Es kam einst zu einem ungeheuren, einem echten Titanenkampf. Alle Tugenden und alle Laster rangen miteinander auf Leben und Tod. Furchtbare Wunden klafften, in Strömen floss das Blut. Hinterlist und Tücke hatten die Gerechtigkeit überwältigt und ihr den Arm gelähmt. Zerfleischt von den Zähnen und Klauen des Hasses und der Eifersucht erstarb die Liebe; die Großmut röchelte unter den würgenden Händen der Habgier. Vielen Tugenden erging es schlecht an dem Tage, aber auch viele Laster meinten den Rest bekommen zu haben.

 

In der ganzen großen Heerschar blieb nur eine unversehrt; es war eine der Tugenden; es war die Güte. Mit Steinen beworfen, von den Pfeilen des Undanks durchbohrt, hundertmal niedergezwungen, erhob sie sich immer wieder unverwundbar, unüberwindlich, und trat von neuem in den wütenden Kampf.

 

Es wurde Abend und Nacht; der Streit blieb unentschieden, die Streiter lagen erschöpft. Die Güte allein wandelte über die Walstatt, munter wie ein sprudelnder Quell, lieblich wie das Morgenrot und labte die Leidenden, und in diesem Augenblick ließen sogar Ihre Feinde es gelten: Die Stärkste bist du!

 

Das Blatt

Vom Winde getrieben flog ein welkes Blatt neben einem Vogel durch die Luft.

„Sieh", raschelte es triumphierend, ich kann fliegen wie du“.

„Wenn du fliegen kannst, so mache mir das nach, antwortete der Vogel, wandte sich und steuerte mit kräftigem Flügel gegen den Wind.

Das Blatt aber wirbelte ohnmächtig dahin, bis sein Träger plötzlich den Atem anhielt und es in ein Bächlein fallen ließ, das klar und munter durch den Wiesengrund jagte. Nun segelte das Blatt auf den Wellen und gluckste den Fischen zu: „Seht mich an, ich kann schwimmen wie ihr!“

 

Die stummen Fische widersprachen ihm nicht; da blähte es sich auf und meinte: „Das sind anständige Kreaturen, die lassen einen doch gelten!“

 

Weiter glitt es, und merkte nicht, wie es dabei aufquoll und schon faul war durch und durch.

 

Seite 7   Urlaubsziel „Ostpreußen-Hütte“. Ein kleines Stück Heimat im Salzburger Land.

Foto: Unsere Ostpreußen-Hütte in der Gebirgswelt der Alpen.

Die Urlaubszeit beginnt – und damit nicht nur das Überprüfen des Geldbeutels, sondern auch das Pläneschmieden. Wer kennt nicht dieses herrliche, erhebende Gefühl, gebeugt über Karten und Reiseführer, über Prospekte und Postkarten? Wie viele Freuden kann es schenken, gewissermaßen auf Vorschuss der seligen Urlaubstage.

 

Wohin fahre ich diesmal? An die See, in die Berge? Vielleicht reicht es auch zu einer Auslandsfahrt — nach Italien vielleicht, an die palmengeschmückte Riviera.

 

Aber wie wenige wissen von dem kleinen Stückchen Heimat, das uns erhalten geblieben ist und das auf deinen Besuch wartet. Du fragst erstaunt? Ja, ein richtiges Stück Heimat: die Ostpreußen-Hütte! Du blickst noch erstaunter. Siehst du, das wäre doch ein Urlaubsziel. Pass auf, ich will dir davon erzählen.

 

Dieses letzte Stückchen Heimaterde, auf dem unsere schöne Ostpreußen-Hütte steht, liegt in dem herrlichen Salzburger Lande, aus dem vor über zweihundert Jahren unsere Vorfahren auszogen, um in Ostpreußen eine neue Heimat zu finden. Nun wollen wir, die wir aus der alten Heimat vertrieben sind, ausziehen, um dieses einzige Stückchen Heimatland, das uns die Ostpreußen-Hütte ist, zu besuchen.

 

Eine gute Zugstunde entfernt von Salzburg, Richtung Bad Gastein, liegt Werfen. Dort steigen wir aus, gehen über die Brücke der schäumenden Salzach in den hübschen Ort mit seinen malerischen Häusern, und in dessen Gasthöfen sich gut wohnen lässt. Der Ort wird überragt von der alten Feste Hohenwerfen, die anzuschauen sich schon lohnt. Der eine oder andere mag im Orte sich noch ein wenig umsehen, Vergessenes einkaufen und fragen, wo der Weg zu der Ostpreußen-Hütte abgeht. Bei der Kirche links! Nun steigen wir bergan, über Wiesen, durch Wald, hübsch langsam, damit man die herrlichen Blicke auf das Salzach-Tal und das Tennen-Gebirge dahinter so recht genießen kann. Immer höher kommen wir, immer neue Gebirgszüge — die Niederen Tauern — tun sich auf, bis wir nach etwa zweieinhalb Stunden eine Hochfläche erreicht haben, von der aus wir wieder neue Berge, einen Teil der Berchtesgadener Berge und die ersten Ausläufer des Hochkönigs mit der Übergossenen-Alpe und der Hüttenberge erkennen können.

 

Dann geht es schon etwas eben dahin, nun ein Stück bergab. Die Blühnteck-Alpe, auf der die melodischen Glocken des Viehs uns begrüßen und die edlen Pinzgauer Stuten mit ihren Fohlen uns erfreuen. Wehmütige Gedanken gehen zurück zur Heimat, in der die geliebten Pferde uns treue Kameraden waren.

 

Immer großartiger wird der Anblick der Berge in der Umgebung unserer Hütte; noch zwanzig Minuten Steigung über Wiesenhänge mit Lärchenbestand, dann kommen wir um eine Biegung — und da steht es! Das traute Hüttchen! Auf einem kleinen Bergrücken mit einzelnen Lärchen, im Hintergrunde die Kulisse der Ausläufer des Hochkönigs und der Berchtesgadener Berge. Fürwahr, ein herrliches Erdenfleckchen!

 

Noch zehn Minuten den Pfad entlang, und wir stehen davor, schauen zurück und sind überwältigt von dem Fernblick zum Hohen Dachstein!

 

Wie unvergesslich ist doch der Sonnenaufgang hier oben, wenn der rote Sonnenball hinter dem Dachstein erscheint und Himmel und Berge glühend übermalt! — Auch wir können das erleben, denn wir wollen ja Urlaub machen, und einige Zeit hier oben bleiben.

 

Innen in dem Gastraume umfängt uns der ganze Zauber der Heimat! Die Bilder an den Wänden, alle die Städtewappen an der Decke; der kurische Wimpel grüßt uns, und in dem gemütlichen Erker, von dem man so schön ins Land schauen kann, steht der kunstvolle runde Eichentisch, den die Salzburger aus Gumbinnen und Tilsit für die Hütte stifteten. Der dicke, behagliche Tiroler Ofen passt so recht in diesen Wohnraum. Aber nicht nur die Gaststube ist ostpreußisch, auch jedes Zimmer, eins, zwei, oder dreibettig, ist irgendwie Ostpreußen. Sei es ein Bild oder der Vorhang aus ostpreußischen Leinen oder ein Schild des Stifters dieses Zimmers, alles ist heimatlich.

 

Wer faulenzen will, tue sich in Liegestühlen gütlich auf den Almwiesen. Wer wandern will, gehe in das danebenliegende schöne Blühnbach-Tal oder auf den Hüttenberg, den Schafriedl, mit herrlicher Aussicht, wo man stundenlang verweilen kann, oder weiter in das Steinkar, um Gamsrudel zu beobachten.

 

Wer höher hinaus will, gut ausgerüstet und geübt ist, gehe auf den Hochkönig, allerdings eine große Bergfahrt, fünf gute Stunden bis auf den Gipfel über Fels und Schnee. Er wird aber belohnt mit einer Aussicht von diesem fast 3000 Meter hohen Gipfel, wie sie kaum ihresgleichen hat; denn durch keinen höheren Gipfel gehindert, gleitet der Blick in die Runde von der Steiermark über die Hohen Tauern bis zur Zugspitze.

 

Und wer nun nach dem Hüttenurlaub noch etwas Zeit übrig hat, der besuche die größte Eisriesenhöhle der Welt. Sie ist unmittelbar von Werfen, teilweise mit einer Seilbahn zu erreichen und eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Über 40 km sind erforscht, die Führung zeigt nur einen kleinen Teil und dauert etwa zwei Stunden. Es ist natürlich kalt in der Höhle, so dass warme Sachen zum Anziehen nötig sind.

 

So ist unsere prächtige Ostpreußen-Hütte nicht nur selbst das schönste Urlaubsziel, sondern auch von Werfen aus kann man noch Ausflüge lohnendster Art machen.

 

Wer nicht wieder über Salzburg zurück will, der fahre über Bischofshofen—Zell am See— Kitzbühel und Innsbruck oder Kufstein zurück nach Deutschland.

 

Und nun gute Reise und erholsamen Urlaub auf der Ostpreußen-Hütte!

 

Seite 7   Ermländische Lehrer

Die Ermländischen Lehrer treffen sich am Mittwoch nach Pfingsten am 12. Juni in Düsseldorf, Lokal „Haus Dietrich", Worringerplatz (vom Bahnhof rechts, Worringerstraße, Worringerplatz, 5 Minuten). Anmeldung an Hauptlehrer Joh. Zimmermann, 22a) Neukirchen, Kreis Grevenbroich. Familienangehörige und Lehrerinnen herzlich willkommen.

 

Anfragen an Lehrer i. R. Paul Bloek, 22c) Wassenberg, Am Heidehof 9.

 

Seite 7   Heimattreffen.

Landestreffen Westpreußen.

Das erste Landestreffen der Lm. Westpreußen, Landesgruppe NRW, findet am 13./14. Juli 1957 in Bochum statt. Für den 14. Juli ist um 11 Uhr in der BV-Halle Bochum eine Kundgebung mit anschließendem Heimatkreistreffen vorgesehen.

 

Elbing-Treffen

Ein „Elbing-Treffen" veranstaltet die Patenstadt Bremerhaven unter Mitwirkung der Lm. Westpreußen und der Heimatkreisgruppen zu Pfingsten 1957. Die Festrede auf der Kundgebung am Pfingstsonntag hält der Sprecher der Lm. Westpreußen, Dr. Kohnert. Während des Treffens ist in der Schiller-Oberschule in Bremerhaven täglich von 10 bis 17 Uhr eine Ausstellung Elbinger Kunstschaffender geöffnet.

 

Thorner Heimattreffen.

Das Thorner Heimattreffen für die früheren Bewohner der Stadt- und Landkreise Thorn findet auch in diesem Jahr wieder in der Patenstadt Lüneburg statt. Während des Treffens am 29. und 30. Juni wird die Patenschaftsübernahme für die Bewohner des Landkreises Thorn durch die Stadt Lüneburg festlich begangen werden.

 

Marienburger Großtreffen

Das Großtreffen 1957 für alle Marienburger findet in ihrer Patenstadt, in der Freien und Hansestadt Hamburg, am 23. Juni statt. Im Rahmen dieses Treffens wird die 150-Jahrfeier der Marienburger Luisenschule begangen.

 

Seite 7   Zeichnung: „Mächtig kalt ist heute das Wasser – ich hätte doch lieber den wollenen Badeanzug nehmen sollen!“

 

Seite 7   Der Tod in der Tucheler Heide. Ein Tatsachenbericht von Bruno Giersche.

Während des ersten Weltkrieges kommt es infolge des Förstermangels zu einem erbitterten Kleinkrieg zwischen Forstbeamten und Wilderern.

 

Wer ist der rücksichtslose Mörder, dessen Grausamkeit alles bisher Dagewesene übertrifft. Vier Opfer kommen bereits auf sein Schuldkonto. Die ausgesetzten Belohnungen klettern: 1000, 2000, 3000, 5000 Mark. Jetzt ist ihm Kriminalkommissar Busch aus Berlin auf der Spur. Man vermutet in dem Unbekannten den Deserteur Paul Kleinschmidt.

 

3. Fortsetzung

Sie schüttelte heftig den Kopf und verschwand. Das Mittagessen nahmen heute die beiden Männer allein ein. Ziegenfleisch lag in der Schüssel, wie der alte Krupak versicherte. Busch kostete und nickte zustimmend. Er hatte festgestellt, dass er Rehfleisch aß.

 

Auch nachmittags ließ sich Marinka nicht blicken. Der Kommissar klopfte an ihre Tür. Da niemand antwortete, trat er ein. Das Zimmer war leer. Er hörte die Schustertochter draußen im Holzschuppen hantieren. Auf dem kleinen Vertiko sah er ein Fotoalbum liegen. Aufmerksam blätterte er die Seiten durch! — Nichts als die üblichen Familienaufnahmen! Bilder von Verwandten, Bekannten und Verehrern!

Doch dann erregte ein Foto sein ganzes Interesse: Eine untersetzte Gestalt mit einem brutalen Gesicht, aus dem ein sinnlicher Mund charalterostisch hervorstach!

 

Ein Bild

Das war der Mann, der heute in der Frühe zur Hofpforte hinausgeschlichen war!

„Dein Paul K..." stand unter dem Bild.

Und das war mit den gleichen ungelenken Buchstaben geschrieben, wie die kurzen Sätze auf den Zetteln, die jeder Förster vor seiner Ermordung anonym erhalten hatte. Einen dieser Zettel hatte er bei der Staatsanwaltschaft selber gesehen.

 

Busch steckte das Foto in die Tasche und verließ die Stube.

Jetzt war alles klar! - Kleinschmidt war der gesuchte Förstermörder! Und heute nacht sollte ihn das Schicksal ereilen!

 

Der Abend kam. Heute täuschte auch Busch Müdigkeit vor. So begab er sich kurz nach dem Abendessen, an dem auch Marinka teilgenommen hatte, zur Ruhe.

 

Oben in seiner Kammer untersuchte der Kommissar noch einmal seine Pistole, zündete sich eine Zigarre an, und legte sich angezogen auf das Bett.

 

Warten

So harrte er mit hellwachen Sinnen der Dinge, die da kommen sollten. Langsam rann die Zeit. Der Mond stieg hinter den Dächern hoch und füllte die Kammer mit ungewisser Helle. Endlich schlug die Turmuhr der nahen Kirche ½ 11 Uhr. Marternde Minuten verstrichen! Dann knarrte unten eine Tür. Leise Schritte waren vernehmbar …! Lautlos hatte sich Busch erhoben. Jetzt galt es!

 

Mit ruhiger Hand entsicherte er die Pistole und schlich lautlos die Treppe hinunter. Einen Augenblick verharrte er lauschend. Drinnen blieb alles still. Und derweil er dann mit dem Fuß die Tür aufstieß, hatte seine Linke das Licht eingeschaltet. „Halt!" rief er in den Raum und richtete drohend den Pistolenlauf auf das gesuchte Ziel. Ein unterdrückter Fluch! Und mit katzenartiger Behendigkeit sah er noch gerade eine Gestalt durch das offene Fenster auf das Dach des Holzschuppens springen. Sein Schuss zertrümmerte eine Fensterscheibe.

 

Entschlossen setzte der Kommissar dem Flüchtenden nach. Ein zweiter Schuss peitschte durch die nächtliche Stille. — Vorbei! Der Unbekannte war bereits durch die Pforte verschwunden.

 

Mit einem Fluch kehrte der Kommissar um und gab sich den verstörten Schusterleuten zu erkennen. Nach kurzem Verhör stand eindeutig fest, dass ihm Paul Kleinschmidt, der vielfache Förstermörder, entwischt war.

 

Nachdem er den alten Krupak und seine Tochter der örtlichen Gerichtsstelle übergeben hatte, fuhr er mit dem nächsten Zuge zum Staatsanwalt nach Könitz, wo ein neuer, genauer Steckbrief gegen den Mörder entworfen wurde. Dieser Steckbrief enthielt jetzt das Bild, den Namen und die lückenlose Beschreibung des Täters. Als dies erledigt war, besorgte sich Busch eine Försteruniform und fuhr als neugebackener „Hilfsförster Kuhn" in jenes Revier, in dem Kleinschmidt zur Zeit sein Unwesen trieb.

 

Damit für die Verschwiegenheit die bestmögliche Gewähr gegeben war, erfuhr nicht einmal der dortige Stelleninhaber, Hegemeister Berning, welche Persönlichkeit sich hinter dem „Hilfsförster Kuhn" verbarg, der sich eines Tages bei ihm zum Dienst für den zusätzlichen Revierschutz meldete.

 

Zweite Begegnung

Noch am nämlichen Abend ging der Kommissar mit Hegemeister Berning hinaus, um das Revier kennenzulernen.

 

„Sehen Sie, Kuhn, dort die niedrige Kiefernschonung?" erklärte Berning seinem vermeintlichen Hilfsförster, „dort habe ich in letzter Zeit mehrfach die Spuren eines gerissenen Schlingenlegers angetroffen. Ich möchte wetten, dass es sich bei diesem Frevler um Kleinschmidt handelt“.

 

Sie gingen zu zweit in den Bestand hinein. „Wusste ich es doch", sagte Berning zu seinem Begleiter und deutete auf ein verendetes Reh, das unter einem Gebüsch in der Schlinge hing. „Da haben wir die Schweinerei! Aber dies ist eine frische Spur. Der Saukerl muss hier erst gestern Abend gewesen sein!"

 

Der Kommissar betrachtete aufmerksam den Tatort. Dann meinte er zu seinem Begleiter: „Wenn's Ihnen recht ist, Herr Förster, dann werde ich mich besonders für die Ecke Ihres Reviers interessieren“.

„Einverstanden!" nickte Berning. Dann gingen sie weiter, ohne jedoch etwas Verdächtiges aufzuspüren.

 

Am anderen Morgen meinte der Förster: „Ich werde mal heute nach Jagen 36 gehen, wo meine Leute bei der Durchforstung sind. Da ich gegen Mittag erst zurück bin, haben Sie Zeit genug, die verdächtige Kiefernschonung nach neuen Spuren abzusuchen“.

 

Busch machte sich auf den Weg. Es war ein klarer, sonniger Septembermorgen. Das welke Laub der Birken und Buchen prahlte in bunten Farben, und tiefer im Bestand krächzten die Häher. Mit wachen Sinnen ging Busch durch die Schonung. Er kam auch an dem Platz vorbei, wo gestern das erdrosselte Reh gelegen hatte.

 

„Solche Frechheit!" schimpfte er leise vor sich hin; denn dicht daneben waren schon wieder zwei neue Schlingen gestellt. Es war totenstill im Bestand, so dass man das Falllaub von den Bäumen rieseln hörte.

Da schreckte rechts vor ihm ein Reh. Der Kommissar wurde ganz Ohr. — Knackt es nicht im Holz? Kamen da nicht Schritte? Da!! Ein Kerl in Kriegsgefangenenkleidung, der sich – keine 40 Schritt rechts neben ihm – seelenruhig nach einer Schlinge bückte!

Der Kommissar hatte die Büchse hochgerissen.

 

„Hände hoch!“

Da war jener Blitzschnell im Gebüsch verschwunden. Busch riss durch!

 

Ein Versager! Ehe er zum zweiten Mal durchgeladen hatte, war es schon wieder so ruhig wie vorher. Nur so etwas wie ein kurzes höhnisches Gelächter klang ihm noch in den Ohren nach. Im Laufschritt eilte der Kommissar auf den Weg zurück und umschlug zweimal die Schonung. Da entdeckte er eine frische Fußspur, die in das hohe Gehölz hinüberführte. Also war ihm der Kerl entwischt! Denn eine Verfolgung war dort zwecklos. Ausgerechnet heute musste er einen Versager im Lauf haben!

 

Und wer war nun dieser Bandit gewesen? Statur und Bewegung passten genau zu dem Kerl, der ihm neulich nachts durch das Fenster im Schusterhaus entwischt war. Aber wie sollte Kleinschmidt zu der Uniform eines Kriegsgefangenen gekommen sein? Missmutig ging der Kommissar noch zwei Jagen ab. Aber so scharf er auch achtgab, er fand keine verdächtige Spur. Eine Weile bummelte er noch planlos durch den Bestand, denn Sonne zeigte bereits die Mittagsstunde an.

 

Vor dem Forsthaus kam ihm bereits die Försterfrau ganz aufgeregt entgegengelaufen. „Wissen Sie schon?" sagte sie atemlos. „Mein Mann hat vor einer guten Stunde einen Schlingensteller gefasst. — Er trug die Kleidung eines Kriegsgefangenen. Mein Mann aber meinte, das müsse Kleinschmidt sein“. „Und wo ist er nun?" wollte der Kommissar wissen.

 

Ein Fang

„Seit einer guten Stunde ist mein Mann mit ihm zur Gendarmeriestation nach Osche unterwegs!" sagte Frau Berning. „Den Burschen will ich mir auch mal ansehen!" meinte der Kommissar. „Aber wollen Sie nicht erst etwas essen?" rief ihm die Försterin nach. „Später!" sagte Busch und schlug unverzüglich den Weg nach Osche ein.

 

In einer Stunde hatte er den Ort erreicht. Und als er die Gendarmeriestation erreicht hatte, wunderte er sich sehr, dass Berning, der doch bereits eine Stunde früher losgegangen war, sich mit dem Wilddieb noch nicht eingefunden hatte.

 

„Sie werden langsam gehen!" tröstete ihn der Gendarm. „Hat er doch schließlich einen gefährlichen Burschen in seiner Obhut“. Als aber noch eine weitere Stunde verstrich und Berning noch immer nicht zu sehen war, wurde auch der Gendarm unruhig. „Jetzt will's auch mir scheinen, als ob da etwas passiert ist. Am besten, ich komme gleich mit“.

 

Der Gendarm schnallte um und ging mit dem Kommissar den Weg lang, den Berning immer zu benutzen pflegte. So hatten sie fast die halbe Strecke bis zur Försterei zurückgelegt, als der Gendarm plötzlich seinen Begleiter am Arm packte und zu der alten Birke hindeutete, die an der Wegbiegung stand. „Da! — Sehen Sie?" Der Kommissar war vorausgeeilt. Der dort mit dem Schuss quer durch den Leib lag, war der Förster Berning. Der Gemordete war bereits tot und nur mit der Unterwäsche bekleidet. Die Uniform sowie die Waffe hatte der Täter mitgehen lassen.

 

Der Kommissar untersuchte den Tatort und stellte eindeutig fest, dass Berning durch zwei Schüsse aus seiner eigenen Waffe getötet worden sei. Die Spuren am Tatort ließen darauf schließen, dass es vorher zwischen dem Täter und dem Förster zu einem erbitterten Handgemenge gekommen war.

 

Die Gerichtskommission, die später am Tatort eintraf, konnte die Feststellungen des Kommissars nur bestätigen. Der Täter, der höchstwahrscheinlich Kleinschmidt gewesen war, hatte sich anscheinend in einem günstigen Augenblick blitzartig auf den Forstmann gestürzt; hatte dem nach verzweifeltem Ringkampf die Büchse entrissen und ihn dann niedergeschossen.

 

Der erste Frost

Erschüttert stand die Mordkommission vor dem neuen Opfer des ruchlosen Verbrechers. „Dies ist der zehnte Mord, der auf das Konto Kleinschmidts geht!" sagte der Staatsanwalt verzweifelt. „Und noch immer sind wir des Banditen nicht habhaft geworden!"

 

In den nächsten Tagen schlug das Wetter um. Graues Gewölk deckte den Himmel und ein kalter Landregen rauschte tagelang auf die Heide herab. Leer lag das große Waldgebiet; schwarz und einförmig hoben sich die endlosen Wellen der Kiefernkronen in den grauen, nebelfeuchten Himmel. Wer bei diesem Hundewetter draußen nichts Dringliches zu besorgen hatte, blieb daheim.

 

Der Kommissar war in diesen Tagen einmal im Revier gewesen. Aber er kehrte bald um; denn der dichte feuchte Nebel nahm auf ein paar Schritte voraus alle Sicht. — Tot — leer — verlassen lag die Heide. Sogar ein Kerl wie Kleinschmidt störte in diesen Tagen ihre unheimliche Ruhe nicht.

 

Als der Himmel allmählich aufklärte, ging es bereits in den Oktober hinein. Es kamen die ersten klaren Nächte mit Frost und Rauhreif; jene Nächte, da der König des Waldes, der Rothirsch, Minnelust verspürt und seinen trotzigen Kampfruf in den nächtlichen Wald schreit.

 

Keinen Jäger ließ es zu dieser Stunde daheim. Ob es Kleinschmidt wohl nicht auch versuchen würde, zu dieser Zeit zum Schuss auf ein Stück Rotwild zu kommen? ...

 

Der Kommissar nahm dies jedenfalls fest an und war Nacht für Nacht draußen am Brunftplatz in Jagen 34, wo ein starkes Rudel stand. Aber solange und sorgfältig er auch das Revier überwachte, von dem Banditen zeigte sich keine Spur. Nach dem Mord an Bering mochte er sein verbrecherisches Treiben an einer anderen Stelle des weiten Heidegebiets ausüben.

 

Schon dachte der Kommissar daran, seine Tätigkeit in eine andere Oberförsterei zu verlegen, als er von seiner Dienststeile im Berliner Ministerium seine Abberufung erhielt. Es war ihm die Aufdeckung eines Mordfalles in Westdeutschland übertragen worden. So musste er denn unverzüglich abreisen, ohne den zehnfachen Förstermörder erledigen zu können, den er zweimal zum Greifen nahe vor seinem Pistolenlauf gehabt hatte.

 

5. Kapitel

Der Aasjäger

In der Heide ist es Winter geworden. Tagelang schnob der Wind von Westen herein. Er trieb schweres düsteres Gewölk am Himmel herauf. Ununterbrochen fielen die Flocken und legten sich als schwere Last auf das düstere Föhrengezweig. Alle Pfade und Wege waren tief verschneit. Dann drehte der Wind auf Osten um. Er fegte den Himmel vom letzten Gewölk rein und brachte eine harte, schneidende Kälte mit, alles Leben erstarrte unter dem eisigen Atem des Winters. Der weiße Tod lag über der unermesslichen Wälderflut der Heide.

 

Aber auch zu dieser Stunde war der Verbrecher wach. Seine Schüsse schreckten bei Tag und Nacht den Wald aus seiner Winterstarre, und Spuren im Schnee verrieten die weiten Wege des Wildfrevlers. Furchtbar räumte der gewissenlose Verbrecher zu dieser Zeit unter dem Wildbestand der Heide auf. Kostete es zu dieser Zeit doch keine Mühe, das kraftlose, halbverhungerte Wild zur Strecke zu bringen.

 

„Solch eine Aasjägerei!" sagte der Förster Schwarz zu seiner Frau, als er einmal von einem Reviergang heimkehrte. „Nicht ein Stück Schalenwild habe ich heute gesehen, und dabei war mein Revier in dieser Hinsicht das Beste der ganzen Heide! Das alles hat dieser Halunke, der Kleinschmidt, auf seinem Gewissen!"

 

„Du wirst es nicht ändern!" seufzt seine Frau „Dafür hat der Kerl zu viel Hinterhalt bei der Bevölkerung“. „Und doch muss dieser Halunke zur Strecke gebracht werden, koste es, was es wolle. Denn dieser Jammer zerschneidet mir das Herz. Ist das noch menschlich, sich an hilflosem Wild zu vergreifen?" (Fortsetzung folgt)

 

 

Seite 8   Foto: Tilsiter: Wer kennt diese Frau?

Eine Ostpreußin, die sich 1945 in einem Gefangenenlager in Sibirien befand, schon vor Jahren entlassen wurde und heute in Kanada lebt übermittelte uns ein Foto von einer Mitgefangenen. Sie erhielt das Bild im Lazarett des Gefangenenlagers als Andenken von ihrer Bettnachbarin, die kurz darauf verstarb. Die Personalien der Verstorbenen sind nicht bekannt. Die Überbringerin, die damals erst 14 Jahre alt war, erinnert sich nur noch, dass ihre Bettnachbarin mit Vornamen Erna hieß und aus Tilsit stammte. Es ist möglich, dass die Verstorbene, die seiner Zeit etwa 19 Jahre alt war. heute noch von ihren Angehörigen gesucht wird. Wir versuchen daher, durch diese Bildveröffentlichung die Angehörigen der Verstorbenen zu ermitteln. Wer kannte diese Frau? Wer kann etwas über den Verbleib ihrer Angehörigen - mitteilen? Zweckdienliche Angaben an die Redaktion der „Ostpreußen-Warte", Göttingen, erbeten.

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg Osdorf Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Birkenhain, Kreis Tilsit - Ragnit werden die Geschwister: Christine Wedereit, geboren 1943, Helmut Wedereit, geboren 1942, Wally Wedereit, geboren 1940 und Fredi Wedereit, geboren am 16. Mai 1938, gesucht von ihrer Tante Luise Zaabel, geborene Stark, geboren am 5. November 1892 in Lappienen. Die letzte Nachricht war vom Januar 1945 aus Rockeln, Kreis Bartenstein/Ostpreußen.

 

Aus Fichtenfliess, Kreis Tilsit wird Hilda Tummuscheit, geboren am 16. Februar 1938 gesucht von ihrem Vater Paul Tummuscheit, geboren am 17. Juni 1911 in Groß Perbangen. Hilda Tummuscheit ist am 30. April 1947 in Klipschen, Kreis Tilsit bei Bekannten gewesen und hat erzählt, dass die Mutter gestorben sei und sie nach Litauen gehen wolle.

 

Aus Georgenthal, Kreis Mohrungen wird Heinrich Wroblewski, geboren am 7. Januar 1942 in Schelberg, Kreis Sichelberg, gesucht von seiner Pflegemutter Erna Meiritz, geborene Bukowski, geboren am 22. Mai 1910 in Spandau.

 

Aus Groß-Krösten, Kreis Lötzen werden Monika Bromm, geboren am 23. September 1942 und Helga Bromm, geboren am 7. November 1939, gesucht von ihrer Tante Helene Bromm, geboren am 25. Januar 1902 und von ihrem Großvater Adolf Romba, geboren am 18. Januar 1890 in Groß-Krösten.

 

Aus Haffwerder, Kreis Labiau werden Max Dombrowski, geboren im März 1937 und Maria Dombrowski, geboren etwa 1936 in Haffwerder, gesucht von ihrem Vater Karl Dombrowski, geboren am 31. Januar 1903 in Haffwerder, Kreis Labiau.

 

Aus Kastauen, Kreis Insterburg werden Günther Reinhold, geboren am 2. Juli 1943, Hartmut Reinhold, geboren am 21. Mai 1940 und Manfred Reinhold, geboren am 20. November 1937, gesucht von ihrem Vater Udo Reinhold, geboren am 7. März 1908.

 

Aus Katzborn, Kreis Gerdauen werden Siegfried Schmidt, geboren am 26. November 1942 und Günther Schmidt, geboren am 2. Februar 1939, gesucht von ihrer Tante Margarete Isensee. Beide Kinder gingen mit ihrer Mutter Frieda Schmidt, geborene Mantwill und ihrer Großmutter Magdalena Mantwill, geborene Sprengel, im Januar 1945 auf die Flucht.

 

Aus Königsberg, Am Stadtgarten 39 wird Dietrich Rusch, geboren am 18. April 1937, gesucht von seinem Vater Walther Rusch und von seiner Großmutter Therese Rusch, geborene Sokolowski. Beim Kind befand sich die Mutter Herta Rusch, geborene Kieselnicki, geboren am 8. März 1904. Sie befanden sich zuletzt, im Januar 1945, in Rhein, Kreis Lötzen/Ostpreußen in der Hindenburg Siedlung.

 

Aus Königsberg, Gerlachstraße 95a wird Manfred Gensing, geboren am 8. September 1936, gesucht von Helene Stegmeier, geborene Gensing, geboren am 14. Oktober 1917 in Königsberg.

 

Aus Königsberg, Lawsker Allee wird Ernst-Herbert Kemsat, geboren im März 1937 in Königsberg, gesucht von seinem Vetter Heinz Wiese.

 

Aus Königsberg, Lawsker Allee 65 wird Reinhilde Harder, geboren am 28. Oktober 1942 in Königsberg, gesucht von ihrem Großvater Adolf Böhnke, geboren am 26. August 1894. Die Mutter Ilse Harder, geborene Böhnke, geboren am 24. November 1921 wird auch noch gesucht. Die gesuchten befanden sich am 7. Februar 1945 auf der Flucht von Königsberg nach Pillau. In Groß-Heydekrug wurde das Kind von der Mutter getrennt und soll angeblich mit 2 Soldaten der Roten Armee gesehen worden sein.

 

Aus Königsberg-Liep, Sudetenlandweg 50 wird Eva-Marie Eisenblätter, geboren am 16. Mai 1933 in Danzig, gesucht von ihrem Vater Ferdinand Eisenblätter, geboren am 8. Januar 1900 in Danzig und von ihrem Bruder Friedrich Karl Eisenblätter, geboren am 16. Mai 1933.

 

Aus Königsberg - Ponarth, Wiesenstraße 38 wird Irmgard Lenk, geboren am 9. Februar 1939, gesucht von Margarete Lenk, geboren am 19. April 1912.

 

Aus Lötzen, Brückenstraße wird Hans-Walter Praetorius, geboren am 8. April 1939 in Lötzen, gesucht von seinem Vater Rudolf Praetorius, geboren am 10. April 1901 in Kampen.

 

Aus Memel, IV. Querstraße 11 werden Günter Lepies, geboren am 9. Februar 1940 in Memel und Gudrun Lepies, geboren am 23. September 1938 in Memel, gesucht von Heinrich Lepies, geboren am 12. November 1910 und von ihrem Onkel Emil Silkeit, geboren am 24. Juni 1905. Bei den Kindern befand sich die Mutter Marie Lepies, geborene Silkeit, die auch noch gesucht wird. Die letzte Nachricht war vom Juli 1947 aus Memel.

 

Aus Memel, Veitstraße 21 wird Heinz Bruno Gloschat, geboren am 26. Oktober 1939 in Königsberg, gesucht von Johanna Henneberg, geborene Gloschat, geboren am 25 Juli 1898 in Memel. Heinz Gloschat wurde 1944 von Memel nach Graskau bei Allenstein evakuiert.

 

Aus Neu-Lindenau, Kreis Samland wird Klaus Kossmann, geboren am 6. September 1942, gesucht von seinem Vater Fritz Kossmann.

 

Aus Prökuls, Kreis Memel, bei Familie Grünberg werden Hans-Adolf Vitkus, geboren am 9. Juni 1942 und Johann-Alfred Vitkus, geboren am 15. Juni 1943, gesucht von ihrer Mutter Josefa Kancaravicius, geborene Vitkaite, geboren am 14. Oktober 1909 in Kretinga/Litauen.

 

Aus Rothenen, Kreis Preußisch Eylau werden die Geschwister Christa Groß, geboren am 29. Dezember 1939, Ruth Groß, geboren am 8. September 1938 und Horst Groß, geboren am 16. August 1933 in Rothenen, gesucht von ihrem Vater Gustav Groß, geboren am 29. Mai. 1901 in Müggen/Ostpreußen und von ihrer Großmutter Marie Groß, geborene Friedel.

 

Aus Russ, Kreis Heydekrug werden Reinhold Trunschel, geboren am 11. Januar 1937 und Waltraut Trunschel, geboren am 1. Dezember 1935, gesucht von ihrem Vater Eduard Trunschel, geboren am 4. August 1905.

 

Aus Schneiderin, Kreis Gerdauen wird Helga Hülsekopf, geboren am 11. Mai 1944, gesucht von ihrem Vater Horst Hülsekopf, geboren am 13. September 1922 in Berlin. Das Kind wurde zuletzt von seiner Großmutter, Frau Witt, betreut und im Januar 1945 der NSV in Danzig in weitere Obhut gegeben. Die Schwester, die damals das Kind übernahm, wollte sich angeblich nach Bremen begeben.

 

Seite    Suchdienst Luftgau I

Bauleitung Neukuhren. Ehem. Angehörige dieser Dienststelle sowie der Amtskasse des Fl.-Horstes Neukuhren werden gesucht, insbesondere Bauleiter Schneider sowie die Kameraden Termer und Kopp — von Wennemar v. Carnap, Quernheimb, 24 a) Grünendeich b. Stade.

 

Werft Seerappen. Es werden gesucht: Bruno Kettler, Spritz-Lackierer, Eitel Jordan, Leichtmetaller; August Grünheid, Leichtmetaller; Major Grieser; Fl.-Ob.-Ing. Küspert und F.-Ing. Äußert — von Frau I. Borrmann, (16) Gr. Umstadt, Mühlstraße 58.

 

Fernschreibstelle und Wetter-Funkstelle Bialystok. Es werden gesucht: ehem. Angehörige dieser Dienststellen, insbesondere Martha Waschto — von Margarete Hahne, ehem. Margarete Meyer, Haupthelferin, jetzt Bremen, Bismarckstraße 270/72.

 

Luftgau-Kdo I, Verwaltung. Gesucht wird: Betty Steiner — von Otto Steiner, (20 a) Walsrode, Meirehmerstraße 11.

 

Luftschutz-Warnkommondo Königsberg Pr. Gesucht wird: Friedrich Wolff, Gruppenführer, Dienststelle im Pol. Präsidium, Beruf: Friseurmeister in der Schöneberger Str., geb. am 14.11.1886, — von Walter Wolff, (20 b) Kreiensen/ Harz, Am Plan 10.

 

Flugleitung Seerappen. Gesucht wird: Otto Rösnick, Obergefr., geb. am 02.09.1900 in Kram, Krs. Fischhausen (im Januar 45 war R. auf dem Flugplatz Pillau-Neutief) — von Amma (wahrsch. Anna) Rösnick, (22) Hilden/Rhld., Eilerstraße 3.

 

Luftgau-Kdo I, Unterg. u. Kassenstelle. Gesucht wird: Theodor Poley, Angestellter bei der U.- u. K.-Stelle, zuletzt beim Volkssturm, — von Minna Poley, Bad Lippspringe, Detmolder Straße 78 a.

 

Gesucht werden von verschiedenen Dienststellen:

Obltn. Johannsen (Nafü), Obltn. Wilhelm (LMS), Lt. Engelsmeier, Fw. Arnold, Wendtland u. Sziepang, Obgfr. Liedtke, Blümeke u. Heinrich, Gefr. Eggert — von Günther Kullack, Fellbach/Württemberg, Beugelstraße 2.

 

Luftgau-Kdo, Stab. Gesucht wird: der Meister im RLAD Max Kreutz, zuletzt Fl.-H.-Komp. Stolp-Reitz und Danzig, — von Helene Kreutz, (24 b) Schenefeld/Itzehoe, Feldscheide.

 

Einheit LG-Postamt Unna, Feldpost Nr. L 30978. Gesucht wird: Stabsgefr. Franz Behrendt, letzte Nachricht vom April 1945, von Elisabeth Behrendt, (24) Heiligenstetten b. Itzehoe.

 

Sani-Ausb.-Abt. Hufenkaserne. Gesucht wird: Heizmeister Szidat sowie andere Angehörige dieser Dienststelle, die meinen Mann, Oberheizer Kurt Feierabend, geb. 12.03.1893, gefallen am 09.02.1945 in Pillau, gekannt haben — von Auguste Feierabend, Datteln/Westf., Kanalstr. 2.

 

Einheit FP-Nr. L 16 267 LGPA Berlin. Gesucht wird: Heinz Gehlhaar, geb. 09.09.1921 in Königsberg Pr. letzter Einsatz Norwegen (Flak) zwischen Petsamo und Kirkenes, zuletzt Obergefr. Letzte Nachricht vor der Einschiffung aus Drontheim bzw. Oslo Ende Januar 1945. Mitteilung erbeten an Anna Gehlhaar, (20 a) Schaafhausen 22 über Dannenberg/Elbe.

 

Einheit Il/Stuka 3 (Insterburg). Gesucht werden: Oberstltn. Kurt Kuhlmay, die Majore Drescher, Hans, Tichy u. Hptm. Gideon sowie andere Kameraden dieser Einheit — von Alfred Platzek, ehem. Ofw. (14 a) Welzheim/Württemberg, Krs. Waiblingen, Heckenstr. 3.

 

Fl. Horst Jesau. Gesucht werden: Major Holz, Insp. Brandt und Kuhn, und andere Kameraden von Ruth Rizakowitz, ehem. Nachrichtenhelferin Jesau.

 

Luftgau - Ing. I. Gesucht werden: Oberst-Ing. Bader und Wiehler, Fl.-Haupting. Mehlhose, Fl. Stabsing. Waldmann, Ob. Insp. Schober und Insp. Radtke — von Elisabeth Thater, (23) Bremen-Gröpelingen, Löhnhorster Str. 5.

 

Luftgau-Kdo. I, Lohnstelle. Gesucht werden: Kam. Just (Personalstelle), Ludorf und Rüdiger sowie Sachbearbeiter der Lohnstelle Königsberg Devau — von Albin Wolf, Berlin-Buckow-West, Weitbucher Straße 85.

 

Luftgau Kdo. I, Abt. IV a. Gesucht werden! Amtmann Mattern und Hurtig sowie Insp. Seidel und andere Kameraden dieser Dienststelle und des Bekleidungslagers des Lgk.I — von Alfred Winkler, ehem. Leiter des Bekleidungslagers, (23) Osterholz-Scharmbeck, Bromberger Allee 8.

 

Luftgau Kdo. I, Druckerei. Gesucht werden: die Schriftsetzer Ernst Bleyer und Herbert Budschun, Buchdrucker Willi Krempin, Anlegerin Helene Lepard, Kantinenwirt Otto Bojaski, die Reichsangestellten Heinrich Schulz u. W. Neumann — von Helmut Nett, Remscheid, Struckerstraße 69.

 

Alle Anfragen sind zu richten an Kam. Wilh. Gramsch, (20 a) Celle, Waldweg 83, als Schriftführer der Kameradschaft Luftgau I.

 

Seite 8   Schlobitten

Eine deutsche Familie in Schlobitten hat Teile ihres 1945 geraubten Eigentums zurückerhalten, nachdem jetzt ein verhafteter Lokalfunktionär krimineller Delikte überführt worden ist und verurteilt wurde. Dieser ungetreue polnische Beamte hatte wertvolle Stücke der Wohnungseinrichtung der deutschen Familie für sich beschlagnahmt. Jetzt verfügte das Gericht die sofortige Rückgabe. Der Umzug der Möbel usw. erfolgte auf Kosten des Vermögens des Verurteilten.

 

Seite 9   Sonne, Dünen, Meer, Wald. Sinfonie einer Landschaft. Von Otto Losch

Wie ein langer, dürrer Finger schiebt sich im äußersten Nordosten unseres Vaterlandes eine schmale Landzunge zwischen Festland und Meer. Alt und runzlig ist dieser Finger bleich und blutleer sind seine unzähligen Falten, und wie zahlreiche Gichtknoten muten die vielen breiteren Stellen an. Aber trotz ihres Jahrtausendelangen Alters pulst ein märchenhaft-schönes, verträumt-einsames und phantastisch-eigenartiges Leben in der gleichmäßig leichtgeschwungenen Landbrücke, die den Namen „Kurische Nehrung" trägt.

 

In dumpf rauschendem oder zart streichelndem Ewigkeitsakkord wird im Westen die Nehrung von der Ostsee umbrandet und umkost. An den Ostrand hüpfen in kurzen, übermütigen Sprüngen die Wellen des sandverschlingenden Kurischen Haffes hellaufleuchtende Dünen, ostwärts langsam wachsend bis zum jähen Absturz, dazwischen dunkle Nadelwälder und frischgrün schimmernde Flecken der Laubbäume, überstrahlt von einem meist tiefblau strahlenden wolkenlosen Himmel, von dem die feurige Sonne in verschwenderischer Fülle ihre leben- und segenspendenden Lichtfluten heruntersendet, so offenbart sich dem Wanderer die ostpreußische Landschaft der Kurischen Nehrung als eine Sinfonie von Sonne, Dünen, Meer und Wald.

 

Der wesentlichste und urgewaltigste Zug in dem Bild der Kurischen Nehrung sind die Wanderdünen, diese bis 60 m aufragenden Sandriesen. An Sonnentagen glitzern sie wie Berge von Millionen und aber Millionen kleiner Diamanten, und ein unheimlich grelles Leuchten, das schmerzhaft in die Augen sticht, geht von ihnen aus. Und sanft und leise, fast unmerklich streicht der Wind über ihre zarten Rücken.

 

Der Wind harft über weiße Dünenrücken

Und zeichnet ewiggleiche Runen in den Sand,

Die, in der Sonne zitternd, als ein glitzernd Band,

Das rastlos wandernd niemals Ruhe fand,

Des Lebens Kraft in heller Pracht ersticken.

 

So fliegt der Berg von West dem Ost entgegen,

Gefährlich wachsend zu gewaltig stummer Wucht,

Bis dann das Haupt sich neigt und jäh in wilder Flucht

Die meergebor'nen Sande in des Haffes Bucht

Zerfließen, um zur Ruhe sich zu legen.

 

Dem Meere bist du kampfesfroh entstiegen,

Wo sprühendjunge Kraft in stetem Wogen schäumt,

Und hast zu stolzer Höhe wild dich aufgebäumt;

Doch an dem Rande, unter dem die Ruhe träumt,

Da musstest du der trägen Flut erliegen.

 

An Sturmtagen aber, wenn wirre Wolkenfetzen die Spitzen der Dünen streifen, wenn schwarz und gespenstisch die blitzeschleudernde Wolkenwand am Horizont sich höher und höher schiebt und aus der Tiefe das dumpfe Grollen und Brüllen der entfesselten Fluten des Meeres und Haffes heraufdonnern, deren Schaumborten unwirklich weiß das Dunkel durchbrechen, dann ist verschwunden die lichtspendende Düne; als ein rasendes Gespenst, in zerfetzte graue Gewänder gehüllt, die um die bebenden Flanken flattern, so grinst uns die „rauchende“ Sandriesin an. Ihre Füße aber umschlingt gierig die wie irrsinnig hetzende graue Flut des kochenden Haffes.

 

Graue Wolken jagen über Haff und Dünensand,

Sturm bricht auf in Zorn und Klagen,

Himmelfarbne düstre Wellen schlagen

An den möwenschreierfüllten Strand.

 

Heute leuchten weiße Kränze auf der dunklen Flut,

Sturm riss sie in kurze Fetzen,

Und in überstürztem Hetzen

Kocht der Wogen Kraft in heller Wut.

 

Ihre Rücken zucken sturmgepeitscht in wilder Hast,

Zischend sie die Boote jagen,

Die sie widerwillig tragen,

Eine ächzend unbequeme Last.

 

Von der Mole algengrünem, sturmerprobtem Rand

Taumeln sie zurück und bäumen

Sich in aufgewühltem Schäumen

Gegen starren Fels, von dem sie übermannt.

 

Doch zwei, drei Viertelstunden nur ist die Düne das an allen Gliedern zitternde Weib. Verscheucht sind die sonnumhüllenden dunklen Wolkenvorhänge, blaugrün leuchtet wieder das Meer, in verhallendem Ärger donnert es hin und wieder noch auf, aber die Schaumblumen sind nun ein in der letzten Lichtfülle der sich zum Untergang rüstenden Sonne strahlender Schmuck, nicht mehr gischt sprühender Ausdruck rasenden Zornes. So stehst du schweigend auf der Düne und siehst, wie die Sonne mehr und mehr dem Rand ihres Lebens zusinkt.

 

Des Meeres schwerer Atem trägt

Mir salzig herben Duft zur Höhe,

Sein Puls in dumpfem Rauschen schlägt,

Indes ich schweigend auf der Düne stehe.

 

Die Sonne schwimmt in ihren Tod,

Der runden, übervollen Schale

Entquillt ihr Blutstrom purpurrot

Und färbt des Himmels Rund in langen Strahlen.

 

Unheimlich leuchtend blüht die Glut,

Zur Höhe rosig gelb verblassend,

Des Himmels Bläue und die grüne Flut

Haucht kühlen Glanz, das Flammenmeer umfassend.

 

Das tote Dunkel löscht des Lebens Rot,

Doch bleibt im Nord ein helles Leuchten,

Das sieghaft bald im Osten loht,

Die Schatten brechend, die das Licht verscheuchten.

 

Wenn du Glück hast und du dir den richtigen Abend erwählst, dann erlebst du ein Naturschauspiel herrlichster Art, das dich zu stummer Bewunderung hinreißen wird. Während im Westen die letzten Strahlen der schon entschwundenen Sonne den in bunten Farben schimmernden Himmel überfluten und von Minute zu Minute das sommerlich verhaltene Dunkel mehr und mehr hereindämmert, taucht im Osten aus den silbergrauen Wassern des Haffes ein blassleuchtender Lampion, ein kugelrunder, mild lachender Nachtschwärmer auf, steigt höher und höher und steuert gerade auf die in zartem Silbergrau glänzende Düne zu.

 

Der Vollmond hängt über rieselndem Sand

Und spannt eine schwingende Brücke

Zerfließenden Silbers vom schattigen Land

Bis zur Mole wogen-trotzendem Rand,

Wo an leise ächzendem Stricke

Ein Fischerkahn knarrend vom Tage träumt,

Als gegen den Sturm er sich aufgebäumt.

 

Und drüben blickt bleich der Düne Gewand,

Von duftigen Schleiern umwoben,

Ins Half hat sie weit ihren Bogen gespannt —

In der ruhig atmenden Tiefe fand

Vom Hetzen und Jagen da oben

Sie ewige Rast, unter Wellen versteckt,

Die der Mond mit leuchtendem Silber bedeckt.

 

Zwei Arten von Dünen gibt es: lebende und tote, wachsende, gierig fressende und gefesselte. Die letzten hat der menschliche Geist überlistet, sie sind in einer Gestalt, die schon vor Jahrzehnten wurde, erstarrt, gebannt, mit Tausenden kleiner Kiefern bepflanzt, „festgelegt". Sie können nicht mehr Schaden stiften. Sie lauern zwar wie schwarze Ungeheuer, die sich über die ängstlich geduckten Fischerkaten recken, auf die ersehnte Gelegenheit, um über die Menschen mit ihren Häusern, um über die Tiere in ihren Ställen herzufallen, sie in ihre bleichen Tücher zu hüllen und ihnen den Atem zu rauben. Vergeblich! Wald sind sie geworden, Wald, der am Westfluss in Erlenbrüche übergeht, in deren sumpfigem Dickicht das Urtier der Nehrung haust, der gewaltige, vorzeitlich anmutende Elch, der dir den Atem stocken lässt, wenn du ihm plötzlich gegenüberstehst.

 

Still liegt die Suhle, Abendsonnenschein

Gießt Fluten flüssigen Golds durch die Föhren,

Sie stehen sturmzerzaust und grau bemoost wie Stein

Und starren geisterhaft ins Licht hinein,

Als ob sie einem Märchenwald gehören.

 

Da knacken dürre Äste, und hervor

Tritt aus dem Dickicht wie aus Urzeittagen

Ein Elch zur Suhle, lauscht mit scharfem Ohr

Und schiebt zur Seite raschelnd Schilf und Rohr,

Ein Zaubertier in unsre Welt verschlagen.

 

Behäbig schöpfend neigt er sich herab.

Steht lange dann unregsam und versonnen,

Gefährlich starr'n die Schaufeln, und in leichtem Trab

Taucht er in des Gehölzes Dunkelheit hinab —


 

Verschwunden ist der Spuk, wie er gekommen.

 

Die andere Art der Dünen aber treibt nach wie vor ihr ererbtes, angeborenes Vernichtungswerk. Dörfer umhüllte und begrub sie, kroch über sie hinweg und gab ihre Trümmer nach hundert und mehr Jahren wieder frei. Grundmauerreste künden von einstigem blühendem Leben an einer Stelle, über die heute

flüchtiger Sand hinwegrieselt. Wenn nun heute der Mensch auch nicht mehr zulässt, dass Dörfer verschüttet werden, so kannst du aber trotzdem das Zerstörungswerk der Wanderdüne leise erschauernd, in ehrfurchtsvollem Schweigen bewundern, an einem Ort, an dem der Wald stirbt, langsam getötet von einer Düne.

 

Gleich einem schleichendweißen Panthertier,

Das unbarmherzig nach dem Leben krallt,

Greift unersättlich schlingend in der Gier

Die Düne nach dem aufgereckten Wald.

 

Sie bäumt sich auf, schlägt nach dem nächsten Baum,

Der sie in stolzer Höhe überragt,

Legt um den Stamm des Leichentuches Saum,

Dass leise zitternd seine Krone klagt.

 

Den hellen Birken ist in ihrem Kampf,

Den aus dem Wald kein Baum je übersteht,

Der Atem ausgelöscht — in weißem Dampf

Der Sand um ihre dürren Glieder weht.

 

Unbändig stark langt der Polypenarm

Der Düne nach dem letzten freien Baum,

Und schon umschlang auch ihn das gelbe Garn,

Und um die Rinde huscht der Todestraum.

 

Wunderbare Ausblicke hast du von den bewaldeten und von den im Urgewand leuchtenden Dünen, Ausblicke, die einen südländischen Zauber atmen, die an Süditalien oder Sizilien erinnern. Hier in der Stille der unverfälschten Natur spürst du ihre beseligende Kraft, wirst du eins mit ihrem Weben und Wirken, ihrem Wachsen und Vergehen. Leg dich in ein Boot und gleite, von der sanften Gewalt des Windes getrieben, auf die Silberfläche des Haffes, hinaus in das strahlende Licht des Tages, und du wirst glücklich träumen von der Größe des Alls, dem Willen der Gottheit und wirst Kraft schöpfen für deine Aufgaben, dein Leben und seinen Kampf.

 

Die Wellen schlagen eine Melodie,

Die sie der Wind mit leisem Streicheln lehrt.

In lichtdurchströmter blauer Harmonie

 

Klingt Hall und Himmel, sonnengoldverklärt.

Das Boot rauscht wonnetrunken durch das Licht,

Gerundet steht das Segel an dem Mast,

Es flattert ängstlich, wenn der Wind sich bricht

Und nach den schlauen Enden hastig fasst.

 

Von ferne grüßt der Düne heller Hang,

Bald hier, bald dort blinkt weiß ein Segel auf,

Und eines Liedes windverwehter Klang

Kreuzt unsres Schiffes luftbewegten Laut.

 

Ich träume ausgestreckt der Wette zu,

Die Augen hängen an des Himmels Glanz. —

Unhörbar wandelt Gott durch diese Ruh —

Und auf der Düne glüht der Sonne Purpurkranz.

 

Die Naturverbundenheit, die du in dieser einsamen, aber so unendlich gewaltigen Landschaft suchst und spürst, die findest du bei den wortkargen, in sich gekehrten, aber treuen und ehrlichen Menschen, die von kantigem, großem Wuchs mit ihren blauen Augen mutig jeder Gefahr ins Auge sehen.

 

In kleinen, vielfach strohgedeckten Hütten wohnen sie und leben bescheiden von ihrem schweren Beruf als Fischer auf Haff und See. Schon früh muss jedes Kind den Eltern im Lebenskampf beistehen, und welcher Junge stände nicht gerne an der Seite des Vaters, wenn es hinausgeht zum Fischfang bei rollender See und heulendem Sturm. Denn schon früh hat er gelernt mit Steuer und Segel umzugehen, und stolz segelte er, Kapitän, Steuermann, Matrose und Schiffsjunge zugleich, lachend und strahlenden Auges hinaus auf das Meer, das der Schauplatz seines Lebenskampfes, aber auch seines Glückes werden wird.

 

Mensch und Landschaft der Kurischen Nehrung klingen zu einer harmonischen Sinfonie zusammen. Einsam und einfach, klar und schlicht, aber in der Schlichtheit gewaltig und groß, tief empfindend und tiefes Empfinden vermittelnd, so treten uns beide, der Mensch und die Landschaft, entgegen. Und in ihrer Einfachheit und Größe wollen wir auch die Landschaft, die Sonne und die Dünen, das Meer und den Wald in der Erinnerung auf uns wirken lassen und aus ihr trotz aller Wehmut Kräfte empfangen, die uns festigen und führen, die Freude und Licht bringen in die Arbeit des Alltages.

 

Seite 9   Aufklärung im Ausland tut not. Dokumente zur Oder-Neiße-Linie jetzt in englischer Übersetzung.

In letzter Zeit sind im Ausland mehrere Publikationen verbreitet worden, die den historischen Sachverhalt der Entstehung der Oder-Neiße-Linie und der Tatsache der Vertreibung in tendenziöser Weise darstellen. Dass solche Propaganda nicht nur von unseren Heimatvertriebenen zurückgewiesen werden muss, ist jedem objektiv Denkenden selbst, verständlich. Umso bedeutungsvoller und verdienstlicher ist es nun, wenn der Brentanoverlag in Stuttgart, der sich als Sachwalter des wesentlichen Kulturgutes der Heimatvertriebenen allgemeine Anerkennung erworben hat, in grundlegenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Klärung und Aufklärung beitgetragen hat. Die wichtigsten Veröffentlichungen sind die beiden Bände: „Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie" von Dr. Wagner und die ergänzende Dokumentation „Die Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie" von Dr. Rhode und Dr. Wagner. Herausgeber ist das Joh. Gottfr.-Herder-Institut in Marburg. Soeben ist nun die englische Übersetzung des ersten Bandes unter dem Titel „The Genesis of the Oder-Neiße-Line" erschienen. Die Übersetzung des zweiten Bandes folgt demnächst. Wir haben nun endlich gewichtiges, sachlich zuverlässiges, authentisches Material, um irreführende Meinungen bei uns und im Ausland zu widerlegen und abzuwehren. Es wird nun entscheidend darauf ankommen, dass vor allem diese englischen Ausgaben von allen Interessierten und Verantwortlichen planmäßig im Ausland verbreitet werden.

 

Seite 9   Emil Merker. Vom sinnlosen Glück.

Ich will ein bisschen von der gegenstandslosen Freude zu sprechen versuchen, jener, die nicht lacht, aber lächelt; nicht überheblich ironisch, nicht schmerzlich bitter, nicht pessimistisch resigniert, viel mehr nur froh und freundlich lächelt. Es wird schwer sein, man gerät dabei leicht ins weisheitsvoll Abgeklärte, was ich ganz und gar nicht meine. Nur etwas helle Kinderunschuld meine ich, die uns trotz Wissen und schlechtem Gewissen, trotz Fehl und Schuld noch manchmal erfüllen möchte. Meist wehren wir uns mit einem Seufzer dagegen: „Mit sorgloser Kinderunschuld ist es vorbei!“ Höchstens, dass wir ein bisschen Selbstachtung gerettet haben, die nicht sehr sichere Überzeugung, nichts Böses getan zu haben oder tun zu wollen, — aber frohe Unschuld? Nein, nein!

 

Doch!

 

Ein paar dunkle, kalte Winterwochen lang ging es mir so, dass mich allerlei bedrängte Sorgen von außen her, Widrigkeiten, Sorgen aus mir selber, dass es vielleicht mit der Gesundheit nicht mehr so ganz stimmt. Ärger, dass ich mich bei dem und dem Anlass nicht richtig aufgeführt hätte, unwillige Scham über mich selbst.

 

Aber da, eines Morgens, erwache ich, noch diesen kleinen, anmutigen Traum im Herzen, den ich kurz vorm Erwachen geträumt haben musste.

 

Ich war nach Wintersende durch den Wald gegangen, da sah ich plötzlich einen alten Mann vor mir, der sich mühselig immer wieder bückte und etwas auflas. Und es war doch nichts aufzulesen, im Gegenteil. Ich, der ihm nachging, sah nur Trauriges, vom Winter her Vermorschtes, eine abgestorbene Staude, einen armen Tierkadaver, verwestes Laub. Was er hier sammle, fragte ich, als ich ihn erreicht hatte. Er sah flüchtig auf: „Seelen, Herr. Die Seelen von all dem, was da gelebt hat“. Und was er mit ihnen mache? Er bringe sie zu Gott, nickte er, ja, zu Gott.

 

War das ein Traum zu frohem Tagesanfang? Warum machte er mich trotzdem so seltsam gut und leicht, so hochgemut?

 

Ich wusch mich am ganzen Körper, das Wasser war kalt, meine Haut wollte nicht und wehrte sich. Aber ich lachte sie aus, und dann, beim Frühstück, sah sie ein, dass ich recht gehabt hatte und fühlte sich wohl. Und der Gaumen stimmte ein in ihr Loblied und die Zähne freuten sich, dass sie ihre Arbeit noch so kräftig leisten konnten, und kauten drauflos.

 

Und als ich dann auf dem Weg war, freuten sich die Beine über das Ausschreiten, freuten sich die Füße in den festen, derben Schuhen, dass keine Hühneraugen sie drückten; freuten sich die Hände, die über taunasse Halme des schon wieder hochstehenden Grases streiften, freuten sich die Ohren über den Vogellärm in den vom Morgendunst noch leicht verschleierten Kronen, freuten sich die Augen über das bisschen was sie noch sahen.

 

Ich war glücklich, war, was man so selten sagen kann, wunschlos glücklich. Ergriffenheit stieg in mir auf: nichts Schlimmes konnte mir geschehen. Wenn jener alte Mann aus dem Traum morgen auch schon meine Seele auflas, um sie zu Gott zu bringen, so war auch das nicht schlimm.

 

Aber doch lieber erst morgen, nicht schon heute. Heute würde ich gern noch atmen, die gute Luft von Wald und Feldern einatmen, mich von Wind und Sonne liebkosen lassen, vielleicht an einem hübschen Plätzchen ein wenig schlafen und dann beim Erwachen zwischen den blinzelnden Lidern erschrocken den ernsten Abgrund von Blau haben, der heute der Himmel war.

 

Seite 10   Abendliche Wanderung. Von Fritz Kudnig.

Die Hügel und die stummen, dunklen Wälder

verschwimmen mehr und mehr im Silberblau.

Ein Nebel legt sich leise auf die Felder.

Da wird mein Herz fast wie der Nebel grau.

 

Doch dort, in einem Bauernhof der Ferne,

wacht plötzlich auf ein stilles, goldnes Licht.

Bald wölbt sich über ihm der Dom der Sterne —

und all ihr Licht nun in mein Herz auch bricht.

 

Seite 10   Die Tuschzeichnung / Von Tamara Ehlert

„Ich bin sofort wieder da", sagte der Mann. „Ich hole nur ein paar Zigaretten“.

Er schlug die Wagentür zu und ging fort. Die Frau sah durch die regenbeschlagene Windschutzscheibe. Auf der anderen Straßenseite war ein Antiquitätenladen.

Die Frau stieg aus und ging auf den Laden zu. Sie stellte sich dicht vor das Schaufenster. Das dicke kalte Glas berührte ihr Gesicht. Sie vergaß, dass es regnete, und sie vergaß, dass sie auf ihren Mann wartete.

 

Sie schlenderte an einem warmen Vorfrühlingsabend durch die Straßen ihrer Heimatstadt und freute sich an dem ersten vorsichtigen Grün der Bäume. Am Schlossteichufer setzte sie sich auf eine Bank und sah zum Parkhotel hinüber. Seine erleuchteten Fenster sahen in der Dämmerung aus wie Goldtupfen auf rauchblauer Seide.

 

Ein Mann blieb vor ihr stehen. Er sah sie aufmerksam an und sagte dann: „Vor Jahren habe ich in einem Antiquitätenladen eine japanische Tuschzeichnung gekauft, ein hauchdünnes Blatt. Darauf war mit einem sehr behutsamen Pinsel ein Mädchen gezeichnet“.

 

Sie erwiderte nichts und sah ihn aus ihren schrägen dunklen Augen abwartend an. „Das Mädchen sah so aus wie Sie", fuhr er fort.

 

„Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment betrachten soll", sagte sie freundlich und ein bisschen spöttisch.

„Das sollen Sie", sagte er ruhig. „Es war ein bezauberndes Bild“.

 

Er setzte sich zu ihr auf die Bank. „Heute Abend gibt Cassado in der Stadthalle ein Konzert, und ich möchte Sie dazu einladen. Haben Sie Cassado einmal spielen hören? Sein Cello ist wie schwerer Wein und ein wenig auch wie dieser Abend mit seinen Lichtern über dem dunklen Wasser“.

 

„Gut", sagte sie. „Aber ich tue es nicht Ihretwegen. Ich habe mir schon immer gewünscht, ein Meisterkonzert hören zu dürfen“.

 

Das Konzert war aus. „Wenn ich das nächste Mal in diese Stadt komme", sagte er, „gehe ich wieder am Schlossteich entlang, wohlweißlich mit zwei Konzertkarten versehen. Vielleicht sitzen Sie dann zufällig auf einer Bank ..."

„Ich halte nichts von Zufällen", sagte sie ernsthaft. „Es würde auch nicht zu Ihnen passen", entgegnete er.

Sie wohnte in einer stillen kleinen Straße auf den Roßgarten. Vor ihrer Haustür sagte sie: „Wenn Sie mögen, koche ich Ihnen einen Kaffee, auch auf die Gefahr hin, dass eine solche Einladung nicht zu mir passt“.

 

Später saßen sie auf dem Balkon vor ihrem Zimmer. Die Glastüren waren nur angelehnt und klirrten leise im Wind. Irgendwo schrie eine Straßenbahn in den Schienen. „Dieses Geräusch erinnert mich an deine Kaffeemühle", sagte er. „Wenn ich das nächste Mal komme, bringe ich dir eine andere mit, eine nette kleine Mokkamühle, die nicht quietscht“.

Sie stand auf und lehnte sich über das Balkongitter. „Es wird kein nächstes Mal geben", sagte sie. „Wenn du wiederkommst, bin ich in einer anderen Stadt, bei einem anderen Mann“. Sie drehte sich nach ihm um. Er kam auf sie zu und hob ihr Gesicht zu sich empor. „Ich hätte gern etwas über den Mann gewusst, zu dem du fährst“.

 

Sie schwieg eine lange Zeit. Dann sagte sie: „Er hat in seinem ganzen Leben keinen Antiquitätenladen betreten, und er geht nie in ein Konzert. — Diese Musik ist wie ein schwerer Wein und ein wenig auch wie dieser Abend mit seinen Lichtern über dem dunklen Wasser. — So etwas würde er nie sagen, und er würde es auch nicht verstehen.

 

Ich glaube, dass ich jetzt alles über ihn gesagt habe“. „Ja. Jetzt hast du alles gesagt“. Er warf seine Zigarette über das Gitter. Sie zog einen kleinen glühenden Lichtbogen durch die Dunkelheit und erlosch gleich darauf.

 

Als er fort war, knipste sie die Lampe an und sah in den Spiegel. Sie erblickte ihr Gesicht, ein blassbräunliches Gesicht mit schrägen dunklen Augen und sehr glattem schwarzen Haar darüber. „Wie eine japanische Tuschzeichnung", sagte sie zu dem Spiegelbild. „Das wirst du in deinem Leben nie wieder hören“. Sie knipste die Lampe aus.

 

„Entschuldige bitte, dass ich dich so lange warten ließ", sagte der Mann. „Ich habe noch telefoniert“. „Es macht nichts", sagte sie. „Ich habe mich ganz gut unterhalten. Du weißt, ich habe eine Vorliebe für Antiquitätenläden“. „Eine ganz und gar unbegreifliche Vorliebe", sagte der Mann gut gelaunt. „Du, ich habe eine Überraschung für dich. Wir fahren jetzt zum Ratskeller, ich habe eben einen Tisch für uns bestellt. Freust du dich?" „Ja", sagte die Frau. „Natürlich freue ich mich“.

 

Seite 10   30 Jahre Holzner-Verlag

Am 1. Juni 1957 kann der bekannte Verlag für ostdeutsches Schrifttum H. O. Holzner in Würzburg auf ein 30-jähriges Bestehen zurückblicken. Der Verlag wurde von dem aus Mainfranken stammenden Buchhändler Holzner 1927 in Tilsit gegründet, wo er sich bald durch die Herausgabe ostpreußischer und Jugendliteratur einen Namen machte. Nach der Vertreibung und der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft nahm H. O. Holzner seine Verlegertätigkeit zuerst in Kitzingen, dann in Würzburg wieder auf, wobei er der Verlagstradition treu blieb und fast ausschließlich Werke über Ostdeutschland, die Heimatgebiete der Vertriebenen und über Ostfragen in sein Programm aufnahm. So verlegte er zahlreiche Veröffentlichungen des „Göttinger Arbeitskreises" ostdeutscher Wissenschaftler und des „Johann-Gottfried-Herder-Institutes" in Marburg. Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens hat der Holzner-Verlag ein Gesamtverzeichnis seiner Bücher herausgegeben.

 

Seite 10   Volkshochschule Steglitz

Im Rahmen der Patenschaft des Bezirks Steglitz für Ostpreußen hat die Volkshochschule seit einigen Trimestern eine besondere Ostpreußen-Reihe durchgeführt.

 

Diese Reihe beschäftigt sich mit Dingen, die den Ostpreußen angehen, angefangen von der Geschichte, der Literatur und der Kunst bis zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, dem geologischen Aufbau und den Bodenschätzen.

 

Regelmäßig werden Tausende von Ankündigungen versandt. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass Einzelne nicht von dieser Benachrichtigung erfasst werden.

 

Um benachrichtigt zu werden, genügt es, sich entweder an die Heimatverbände zu wenden oder aber an die Volkshochschule Steglitz zu schreiben (Steglitz, Albrechtstraße 127) oder zu telefonieren (Tel.: 72 02 41, App. 305). Sie können dann, sobald ein neues Programm vorliegt, dieses Programm kostenlos erhalten.

 

Der Fahrende Gesell. Zeitschrift des Bundes für Deutsches Leben und Wandern e. V., Hamburg.

Die Zeitschrift „Der Fahrende Gesell" stellt ihre Ausgabe 1/2 - 1957 unter das Thema „Ostpreußen". Das Heft wurde zusammengestellt von Herbert Sahlmann unter Mitarbeit von Otto Stange. Es wird mithelfen, das Anliegen der Vertriebenen, das letztlich ja ein Anliegen des ganzen deutschen Volkes ist, über ihren Kreis hinaus weiteren deutschen Bevölkerungskreisen nahezubringen. Wir möchten wünschen, dass noch mehr Verbände, Jugendorganisationen und einheimische Heimatbünde diesem Beispiel folgten.

 

Die bekannte Elbinger Reederei A. Zedler, die jetzt in Lübeck ansässig ist, gab einem von ihr eingesetzten Frachter den Namen „Kahlberg", um an das alte Seebad an der Frischen Nehrung zu erinnern. Der Frachter ist ein ölgefeuertes Dampfschiff mit 2550 Ladetonnen und wurde aus norwegischem Besitz erworben.

 

Seite 10   Heimat ist einmalig. Aphorismen von Karl T. Marx.

Dem starken Drang nach Macht kann nur der stärkere Freiheitsdrang begegnen.

 

Neid und Hass sind die giftigsten Pflanzen im Irrgarten menschlicher Gefühle.

 

Wenn Unrecht Recht besiegt, wird Rechtes nie gedeihen.

 

Gerüchte schwanken mit dem Wind, die Wahrheit trotzt dem Sturm.

 

Heimat ist einmalig — oder gibt es Heimaten?

 

Mit Freiheit scheint ein jeder etwas anderes zu meinen.

 

Den Flug der Gedanken hat noch kein Kerker gebannt.

 

Aus Unrecht Recht zu machen ist des Rechtes schönstes Recht.

 

Das stille, hilflose Weinen der Mütter, Kinder und Alten ist die lauteste Anklage gegen den Krieg.

 

Die grässlichste Wahrheit des Atomkrieges: Frauen und Kinder zuerst!

 

Ach wie selten sind große Männer große Menschen! 

 

Diese Gedanken entnahmen wir dem Bändchen „Deutsch-amerikanische Aphorismen" von Karl T. Marx (Gabeva-Verlag, München. 60 Seiten, 3,-- DM).

Der seit 33 Jahren in den USA lebende Schriftsteller hat als Erzähler und Hörspielautor einen Namen, seine stärkste Begabung aber liegt wohl in der Spruchdichtung. Eine erste Sammlung von Aphorismen und Sinnsprüchen erschien 1943 unter dem Titel „Nachdenkliches" (Baker & Brooks, Inc.). Auch in der Erzählung huldigt er vor allem der kleinen Form: Kurzgeschichten aus dem amerikanischen Alltag und deutsch-amerikanische historische Abhandlungen. Immer wieder erhob Marx seine Stimme für das ungeteilte Recht aller Menschen, gegen Krieg und Gewalt in jeder Form und Verkleidung. Während des Krieges noch schrieb er das Gedicht „Ziel eingedeckt!" als Antwort auf den erbarmungslosen Bombenkrieg gegen wehrlose Städte; es wurde seinerzeit von einer kanadisch-deutschen Zeitung anstandslos gedruckt.

 

Seite 10   Kulturelles in Kürze

Eine Ausstellung des ostpreußischen Malers Ernst Mollenhauer bildete den Auftakt zum Bundestreffen der Ostpreußen in Bochum. Mollenhauer, der aus Tapiau stammt und über 20 Jahre in Nidden in nächster Nachbarschaft seines Freundes Max Pechstein lebte, ist der Maler der ostpreußischen Landschaft. Auch heute noch schafft er immer wieder aus der Erinnerung das Bild seiner Heimat: einsame Fischerhäuser, verlassene Boote, den Strand, das Meer und den weiten wolkigen Himmel darüber.

 

„O Täler weit — o Höhen" ist der Titel eines Kultur- und Dokumentarfilms über den großen Romantiker Josef von Eichendorff, den die Brevis-Filmproduktion in Wangen in Angriff genommen hat. Er soll bis zum 100. Todestag des großen schlesischen Dichters im November d. J. herauskommen.

 

Der Albert-Schweitzer-Buchpreis des Kindler-Verlages, München, der alljährlich in Höhe von 20 000 DM zu gleichen Teilen einem deutschen und einem ausländischen Autor zuerkannt wird, ist zum dritten Mal ausgeschrieben (Manuskripte müssen bis zum 31. Juli dieses Jahres eingereicht werden). Der Preis wird für unveröffentlichte literarische Arbeiten vergeben, in denen Geist und Ziele, die Schweitzers Leben bestimmen, wirksam sind. Die Bedingungen sind zu erfahren durch den Kindler-Verlag. München 9. Harthauser Straße 50.

 

Der berühmte deutsche Forschungsreisende Professor Dr. Wilhelm Filchner ist im Alter von 79 Jahren in einer Züricher Privatklinik nach längerer Krankheit gestorben. Filchner unternahm als junger Leutnant im Jahre 1900 seine erste Forschungsfahrt, den „Ritt über den Pamir". In späteren Expeditionen erforschte er China, den Nordosten Tibets, Spitzbergen, die Antarktis und Nepal.

 

Seite 10   Kulturschaffende unserer Heimat. Foto: Klaus Pawlowski. Im Banne der letzten Prahm.

Die letzte Prahm brachte ihn von Einlage an der Weichsel nach Hela — von hier gelangte er aus dem brennenden März 1945 nach Dänemark. Und wenn die in sich zusammenbrechende Welt um ihn und seine Mutter nicht von Fügungen erfüllt gewesen wäre, wären die Gedichte des Einundzwanzigjährigen nicht geschrieben. So aber schwingt eine Welt zwischen dem kraftvollen, an die See gestellten und in seinem Charakter unvergesslichen Danzig, in dem Klaus Pawlowski am 12. Juli 1935 geboren wurde, und dem kleinstädtischen Springe am Deister, in dem Klaus seinen Vater verlor, aber auch die Erfüllung einer in ihrer Zartheit unverletzlichen Liebe fand. Seine Welt wuchs über die enge Landschaft, die nur zu oft der Horizont kleiner deutscher Schreiber war, weit hinaus, baute auf das Schicksal, das schon so früh sein Leben bestimmte, durchschritt es und gab es zurück als geläutertes Bild. So erschöpfen denn auch seine Bilder den gesamten Raum zwischen dem östlichen seiner Heimat und dem Westlichen des aus Erleben lebenden neuen Landes. Pawlowskis Bilder sind in dieser Spannweite zutiefst menschlich, sind aber auch den Bildern jener Künstler vergleichbar, die aus den deutschen Nordosten hinabzogen in den italienischen Süden; sind in dieser Breite bereits europäisch.

 

Was darüber hinaus den jungen Autor so liebenswert macht, ist seine Jugend: die unbekümmerte Natürlichkeit, aus der heraus seine Verse leben. Und mit der er weitergreift: zur Prosaskizze, zum Drama. Noch ist er ja unabhängig vom einengenden Programm der Verlage, noch schreibt er aus einem ureigensten Zwang, und wenn ihn Carl Lange ‚entdeckte', wenn Klaus durch diesen erfahrenen Herausgeber der ‚Ostdeutschen Monatshefte' so früh schon in den Mitarbeiterkreis einer der bedeutendsten deutschen Kulturzeitschriften fand, verleitet auch dies den jungen Autor nicht zu vorzeitigem Ausruhen. Und während ,sein Herausgeber die noch zarte Wurzel nährt: behutsam und freundlich, wie das im Wesen Carl Lange's liegt — spricht Klaus Pawlowski das bunte und lebensträchtige Bild seiner Welt:

 

Der Wind gibt sich ganz in dein Haar,

das golden war,

als der Sommer es küsste:

nun ist es dunkel und schwer,

als wenn's überreif wär,

als wenn's um die Traurigkeit wüsste,

die im Herbstwind die Blätter berührt,

bis das Letzte es spürt,

dass das Wehe beginnt 

Ich halte dich, und wir geben uns noch

wie Im Sommer; jedoch

dein Haar hat der Wind.

 

... spricht Klaus Pawlowski das bunte und lehensträchtige Bild seiner Welt in unsere flüchtig gewordenen Tage. Gerhard Riedel

 

Seite 10   Der Königsberger „Pfingstochse“

Bis zum Jahre 1766 bot sich den Bürgern Königsbergs alljährlich vor Pfingsten zur Zeit des Jahrmarktes ein merkwürdiges Schauspiel dar. Durch die Straßen der Stadt, geführt von Metzgergesellen, trabte ein festlich bekränzter Ochse. Nach beendetem Paradeumzug wurde dieser „Jahrmarktochse" dem Junkergarten der Altstadt übergeben, wo man ihn ausspielte. Wem fiele hier nicht der „Pfingstochse" ein, der heute noch im Sprichwort sein Fortleben führt: Geputzt wie ein Pfingstochse.

 

Derartige Aufzüge waren in vielen Städten Nord- und Mitteldeutschlands bis ins 19. Jahrhundert hinein in Übung. Mitunter führte man sogar mehrere Ochsen herum, so in Wolfenbüttel: Zwei bis drei Tage vor Pfingsten erschienen ein, zwei oder auch mehrere blumenbekränzte, an den vergoldeten Hörnern mit Kränzen geschmückten Ochsen unter gewaltigem Lärm und Peitschenknall der führenden Schlachtergesellen in den Straßen. Vor den Häusern der guten Kunden wurde Halt gemacht, und der erste Geselle ging in deren Haus, um auf das schöne Stück Vieh aufmerksam zu machen. Hier bekam derselbe dann ein buntes Taschentuch geschenkt, welches dem Ochsen am Horn befestigt wurde. Diese vielen um die Hörner gebundenen Tücher, welche dann in der Luft flatterten, mögen wohl zu der noch heute geläufigen Redensart Veranlassung gewesen sein: dat Mäken hat sik upefliet as en Pingstosse (Andree, Braunschweiger Volkskunde, 1901, 356). In Schöningen ist der Pfingstochse, noch 1878 durch die Straßen der Stadt geführt worden. Jeder Schlachter zog für sich allein mit seinem Ochsen die Straße entlang. Sobald der Umzug beendet war, kam das Tier wieder in seinen Stall und wurde sodann für das Fest geschlachtet.

 

Diesem „Pfingstochsen" steht als gleichläufige Erscheinung am Bodensee und in Schweizer Städten der „Osterochse" gegenüber. Bekränzte Mastochsen wurden dort gegen Ende der Fastenzeit von Metzgern durch die Straßen geführt.

 

Ohne Zweifel spielte hierbei die Spekulation der Schlachter eine wesentliche Rolle. Doch ihre eigene Erfindung war die Handlung ihrem Ursprung nach nicht. Augenscheinlich liegt ihr eine rein ländliche Erscheinung zugrunde, die erst später in die Stadt hineingezogen, von dem Fleischergewerbe für seine Zwecke nutzbar gemacht worden ist.

 

Pfingsten gilt noch heute vielerorts auf dem Lande als ausgesprochenes Fest der Hirten und der Viehhaltung und wird als solches mit mancherlei Feierlichkeit begangen. Das Vieh wird zu Pfingsten reich bekränzt, namentlich dar Zuchtstier. In Masuren (Ostpr.) treibt man einen mit grünen Kränzen behangenen Ochsen mit der Herde aufs Feld. Im Sollinger Walde setzen am ersten Pfingsttage Mädchen eine Krone dem Pfingstochsen aufs Haupt. In Westfalen heißt der beim Austrieb zuletzt ankommende Ochse „Pfingstosse"; er wird mit Blumen und Laub geschmückt. An anderen Orten herrschte derselbe Brauch und kamen dieselben oder ähnliche Bezeichnungen vor.

 

Wir dürfen annehmen, dass Hirtenfeste in heidnischer Zeit mit der Opferschlachtung eines Tieres verbunden waren, das man in heiligem Gemeinschaftsmahle verzehrte. Eine Prozession mit dem Opfertiere ging üblicherweise jedes Mal voraus. Außer älteren schriftlichen Hinweisen zeugen für beide Handlungen, Prozession und Opfermahl, verblasste Zeremonien der Neuzeit. Noch 1784 hatte man in Osnabrück Veranlassung, das missbräuchliche Herumführen von Pferden und Kühen bei Prozessionen mit dem Allerheiligsten zu tadeln. In Marseille marschierte der Prachtochse, mit Teppichen behangen und mit Blumen bekränzt, an der Spitze der Fronleichnamsprozession. In Fußgönheim (Ludwigshafen/Rh.) schmückt man am Pfingstmontag Pferde, Rinder und Ziegen und hält mit ihnen von früh 5 Uhr bis mittags 12 Uhr in Dorf und Feld einen fröhlichen Umzug. In Wurzen (Sachsen) werden nach der Ernte zwei Gänse in der Prozession herumgezeigt, die man mit einer Krone von Flittergold geziert und mit bunten Bändern behängt hat.

 

In Überlingen (Bodensee) mästete man den „Osterochsen", trieb ihn bekränzt durch die Stadt und schlachtete ihn sodann. Jede Familie erhielt davon ihren Festbraten. In Lachenau (Oberbayern) wird zu Ostern ein Widder gebraten, schön verziert, seine Hörner vergoldet (als Opfertier!), darauf der „Braten" in der Kirche geweiht und schließlich im Wirtshaus an die Hirten verteilt. In beiden Fällen liegen Reste eines kultischen Gemeinschaftsmahles vor.

 

Nach allem ist zu schließen, dass der verstädterte „Pfingst- oder Osterochse" ehemals das Opfertier ländlicher Gemeinden gewesen war, das von diesen im Frühjahr zum Segen der Viehhaltung und zur Abwehr von Seuchen Viehgottheiten dargebracht und in einer Art von „Kommunion" gemeinsam verzehrt wurde. Der Ritus verlangte, dass vorher eine allgemeine Prozession mit dem ausgewählten Tier vorgenommen wurde. Möglicherweise wurde der „Pfingstochse" als Verkörperung des einziehenden Frühlings angesehen und deshalb mit Kränzen, Laub und Blumen gefeiert. Unter Begleitung der jubelnden, frohgestimmten Landbevölkerung war er einst hochgeehrt durch die blühenden Fluren getrabt, hatte die heiligmachenden Kräfte seines Fleisches seinen Verehrern im Mahle übermittelt. Vom geschäftstüchtigen Schlachterhandwerk schließlich übernommen, führte er noch in den Städten eine Zeitlang ein verfälschtes Leben, dessen Aufputz an das ehemalige Kultdasein noch schwach erinnerte. Dr. Wilhelm Gaerte

 

Seite 11   Die stille Stunde (Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen- Warte)

Jede Straße führt in eine Heimat. Von Caroline Friederike Strobach.

Zeichnung: Badende Frauen am Stand (Kohle). Waldemar Rösler. (Geb. 21.04.1882 in Striesen, Ostpreußen, gest. 14.12.1916 in Arys, Ostpreußen)

Die Petersilie war viel besser aufgegangen, als in anderen Jahren. Wie hübsch, dass man sie in einem so sauberen Rechteck angesät hatte! Nun stand sie da, leuchtend grün und straff, glänzend im Frühlicht; ein erfreulicher Anblick, bei dem man sich sofort erinnerte, wie sie roch, wie sie schmeckte, und auch, dass nun Sommer war.

 

Daheim, fiel ihr ein, daheim habe ich sie immer gleich hinter dem Haus angesät. Das war sehr praktisch, besonders bei Regenwetter. Heute, dachte sie, heute wird es nicht regnen, lehnte sich weit aus dem Fenster und sah nach Westen; morgen auch nicht.

 

Ich sollte mir etwas von dem Grünzeug holen, aber wie lästig, das jedes Mal zu sagen. Ich müsste es nicht, nein, aber nun habe ich es so eingeführt und will das nicht ändern. Es ist eben nicht meine Petersilie.

 

Dass sie überhaupt so, im Halbschatten, gedeiht? Ich — überlegte sie — habe sie immer in die volle Sonne gesät und gemeint, das müsste so sein.

 

Aber freilich — erinnerte sie sich — wir alle gedeihen ja irgendwie und im Halbschatten. Ich sollte wegfahren. Was hindert mich eigentlich?

 

Sie begann Staub zu wischen, fuhr sorgfältig über jeden Gegenstand hin und dachte: Es ist zu teuer. Sehr viel Spaß macht es auch nicht allein im Zug, allein in hässlichen Hotelzimmern.

 

Wandern sollte man wohl! Wandern, wie als junges Mädchen, oder wie damals vor Jahren. Das aber sollte man keine Wanderung nennen, nicht mit einem schönen Wort bemänteln, was ein trauriger Zug aus dem Elend in die Ungewissheit war.

 

Immerhin, seit dort weiß jeder, wie weit er gehen kann, wenn er muss und nicht müde werden darf. Nicht müde, obwohl er kein rechtes Schuhzeug hat und der Sack schwer am Rücken hängt, der jämmerliche Pinkel mit nichts darin, das zu retten wert gewesen wäre, und den man doch, Reste einer einstigen Habe, durch Europa schleppte!

 

Jetzt aber habe ich gute Schuhe! Angepasste, sehr gute, solche, wie ich sie mir damals wohl brennend gewünscht habe. Sie griff entschlossen den Rucksack aus dem Spind und begann ihn mit geübter Hand zu füllen.

 

Aufgeräumt war ja, sie konnte wirklich gehen und dachte: was für ein Unsinn, Staub zu wischen, ehe man fortgeht. Staub fällt ja doch in den nächsten Tagen wieder, immer fällt Staub — und auf alles. Obwohl niemand es sehen konnte, lächelte sie — nur so, für sich. Der Trick nämlich, wusste sie, der Trick ist, man darf, was stören könnte, nicht sehen. Was man nicht bemerkt, ist so gut wie nicht vorhanden. Niemals liegt ja der Staub so hoch, dass man die Form nicht begreife, auf der er sich niedergelassen hat, die Schönheit.

 

Es ist ja die ganze Welt voll Staub und ist aus Staub, dachte sie, aber man kann noch nicht sagen, sie wäre drum nicht schön? Nein, nein beruhigte sie sich, das kann man nicht sagen. Wenn sie mir nicht gefällt, dann muss das an mir selbst liegen.

 

Sie verschnürte den Rucksack sorgfältig. Nur an mir. Früher war es anders. Ich kann mich gut erinnern, dass ich manches vorbehaltlos schön fand. Die hohe Heide etwa, daheim, wenn sie blühte, oder Raureif auf Ebereschenalleen, oder schäumende Wildbäche, glitzernd in der Frühlingssonne, während an ihren Ufern die Palmkätzchen voll gelbem Blütenstaub leuchteten, und auch, wenn um die Trauerweide im Garten so viele Bienen waren, dass man meinte, der große Baum selbst brumme so.

 

Schön war das, o ja! Jetzt freilich — dachte sie — ist ein Grab darunter, das sicher niemand pflegt. Es schadet nicht — dachte sie, der Platz ist schön.

 

Den Schlüssel steckte sie sorgfältig ein. Es war noch sehr früh am Tage und der Morgenwind strich kühl vom Teich her, als sie das Dorf verließ. Noch wölkte kein Staub auf Straßen und Wegen, und der klare, helle Himmel versprach viel an sommerlicher Herrlichkeit, viel Hitze, den Geruch reifender Ähren und den, welchen der Wald ausströmt, wenn man an seinem Rande hinwandert im kurzen, harten Gras, während die Sonne hochsteht.

 

Die Bauern fuhren das frisch geschlagene duftende Futter stallwärts, als der Lastwagen sie überholte und stehen blieb, „Na", sagte der Fahrer, „haben sie's weit, Fräulein?" (Ich will doch gehen und nicht fahren!) „Ja — ziemlich weit“. „Da klettern sie mal rauf, es wär doch schad', wenn sie ihre hübschen Füßchen abnützen müssten, gelt?" (Dumm, aber wenn ich nein gesagt hätte, ließe er vielleicht voll Ärger den nächsten, der ihn braucht, stehen.)

 

Der Wagen rumpelte und schepperte. Alle Fenster klapperten, und man hörte, wie die Plache über dem Laderaum im Fahrtwind an das Gestänge schlug, aber es roch angenehm nach dem Treibstoff, nach verschmutztem Öl und warmen Metallteilen. Sie spürte, dass der Fahrer gerne mit ihr gesprochen hätte, aber nicht wusste, wie er beginnen sollte, da sagte sie: „Wenn ein so alter Wagen wie dieser so gut fahren soll, muss er sehr gepflegt werden, ja?" „Na, und wie!", der Fahrer nickte begeistert und erklärte ihr genau und umständlich, was für Mühe man mit so einer alten Karre habe, was für Ärger, „aber", und er hob seine Hände vom Lenkrad und schlug in kurzen Abständen ein paarmal drauf, „Spaß macht sie, wenn sie so läuft, die alte Karre!"

 

Der Spaß leuchtete aus seinem Gesicht. Drei Kinder hatte er und eine brave Frau — kein Grund zur Klage. „Kein Grund, wirklich, die Erste, wissen sie, der war es eben zu viel, diese ganzen verrückten Zeiten und so ... es war halt nichts für sie. Eingegangen ist sie darüber, wie ein Primeltopp. Klingt komisch, ist aber wahr und der Doktor hat ja auch nur Lateinisch geredet, wenn ich ihn gefragt habe, was ihr nun eigentlich fehlt, der Frau. Nur Lateinisch! das kennt man und sie ist eben immer weniger geworden und eingegangen — wie so'n Blümchen. Dabei hatte sie nichts Schlimmes, ein paar Erfrierungen, naja, aber an denen geht man doch nicht zugrunde, wenn man vier Kinder glatt zur Welt gebracht hat, nicht? Das letzte ist gestorben, damals, wie ich nicht daheim war, wissen sie? Genau hat sie mir ja niemals gesagt, wie es zugegangen ist, während sie unterwegs war wie so viele, und ich hab auch nicht so sehr danach gefragt. Ich wollt' sie nicht aufregen, und dann, ich hab es ja kaum gekannt, das kleinste Kind. Ich konnte nicht recht traurig drum sein, nicht wie eine Mutter. Und sie ist eben eingegangen wie so'n Primeltopp, man konnte richtig zuschauen. Ganz einfach, sowas. — Sie wollen doch bis Bayern?" (Warum nicht bis Bayern?) „Ja, dorthin möchte ich“.

 

Der Wagen nahm ratternd eine Steigung und hielt vor einem Laden; der Mann sprang ab, kroch in den Laderaum, stapelte Schachteln aufeinander und trug den Stoß fort. Sehr rasch kam er um den nächsten. Es war mühsam für sie, sich hinten am Wagen hochzuziehen. Wie merkwürdig, das hatte sie einmal sehr gut gekonnt, aber als er wiederkam, hatte sie den Stoß schon vorgerichtet, und in den nächsten Ortschaften wiederholte sich dies.

 

„Ausgezeichnet", sagte er im Weiterfahren nach einem Blick auf die Uhr, „fast die Zeit, die ich haben sollte. Der Alte, mein Chef, wissen sie, der hat mit dem Beifahrer Streit gehabt, mit jedem Beifahrer hat der Streit, na, und jetzt ist er ihm weggelaufen, drum bin ich heute allein. Meine Zeit aber, die soll ich einhalten! Wie ich's mache, danach fragt der Alte nicht. Ich denk mir, wenn sie doch sowieso nach Bayern wollen und es ihnen nichts ausmacht, dann werd' ich ihm sagen, ich hätt einen Dummen gefunden, der sich mit seinem Kram geplagt hat und den muss er dann bezahlen. Da kämen sie hin und hätten noch was verdient — wenn es ihnen nichts ausmacht. So besonders Schweres ist dabei nicht zu heben“.

 

Es ist doch ganz selbstverständlich, dass ich ihnen helfe, wenn sie so freundlich sind und mich mitnehmen, da ist nichts zu bezahlen!" „Jetzt sind sie nicht dumm, Fräulein. Umsonst tut man nur was, wenn man's muss“.

 

Sie lachte in sich hinein. Beifahrer, warum denn nicht? Nichts gegen Beifahrer. Ich kenne keinen, dachte sie, auch keinen von daheim. Oder, gab es dort keine? Möglich, dort gab es keine Autobahnen, wenig so große Wagen. Sicher fuhr das meiste per Bahn. Sie half fröhlich den ganzen Tag, verabschiedete sich in Bayern und wanderte auf Feldwegen weiter, schließlich wollte sie wirklich gehen.

 

Gegen Abend fand sie eine Bank am Waldrand, setzte sich und sah nach Osten. Im flachen Tale unter ihr lag das Dorf, und sie dachte: ich kann mich doch an keines erinnern, das daheim so wie dieses gelegen wäre — oder nein, an keine Bank, die so stand, in gleicher Höhe mit dem Kirchturm. Immer sah man dort auf die Welt hinunter, oder an den Bergen hinauf. Aber von unserer Bank sah man hinunter. Hübsch war das! Der Fluss, drüben das Wasserwerk um und um Wald, aber Mischwald, kein so dunkler, wie dieser. Ach, unsere kleine Bank! An die denke ich oft, doch sicher nur, weil so viele, die auf ihr saßen, schon lange tot sind. Vorher aber saßen sie auf der Bank und waren jung und sangen. Sie versuchte sich zu erinnern, was für Berufe die Einzelnen ergriffen hatten. Es fiel ihr bei manchem nicht ein und sie dachte: nur weil ich so viele kannte, die auf ihr saßen, denke ich oft an die kleine Bank. Nach ihnen habe ich Sehnsucht, nach nichts sonst. Stand auf und wanderte den Bahndamm entlang der Ortschaft zu. Gelbes Johanniskraut blühte, sandfarbener Steinbrech und hie und da ein roter Mohn; nirgends blauer Natternkopf. Es gab schönere Bahndämme als diesen. Blauer Natternkopf, dachte sie, schöner blauer Natternkopf, zwischen Schotter und Steinen, irgendwo auf einem Bahndamm in der Heimat.

 

Am nächsten Tag kam sie so weit nach Süden, dass sie die hohen Berge sah, legte sich zwischen Ginster und Gestrüpp nieder und sah sie an.

 

Dies also ist berühmt. Dies sind die schönen Alpen. Auf manchen Stellen liegt der Schnee jahraus, jahrein. Sehr schön? Nicht schöner als andere Berge auch — mir gefallen sie eben nicht, Schluss. Mittelgebirge ist bestimmt genau so hübsch.

 

Und gestern, die kleine Bank, die hat mich nur so angerührt, weil, die auf ihr saßen und

sangen, alle schon der grüne Rasen deckt. So sagt man doch? — der grüne Rasen. Wer aber weiß, ob dies wahr ist? Ob es das dort, wo sie modern, gibt? — grünes Gras, das smaragden schimmert, wenn der Abend kommt und die Sträucher lange Schatten werfen, während der Küster den Segen läutet und die Kühe muhend heimziehen? Anders sind hier ihre Schellen gestimmt, und die Mädchen neben ihnen singen andere Lieder.

 

Ach, meine kleine Bank am Berge! Immer denke ich an sie, wenn man den gelben Roggen riecht und ein trauriger Bursch Ziehharmonika spielt, allein in einem dörflichen Garten. Immer möchte ich dann auf Wanderschaft gehen, aber niemals kann ich zu ihr gelangen, und keiner ist mehr da, mit dem man auf ihr sitzen könnte und daheim sein.

 

Sinnlos, dies alles, doch zu der kleinen Bank möchte ich dann auf Wanderschaft gehen, aber ihren Weg zurück und ging und ging, bis der Wind aufsprang und ihr entgegen fuhr, dass sie kaum weiter konnte. Hört er denn nie auf, dieser Wind? Dieser Gegenwind? Soll ich stehen bleiben, umkehren vielleicht? Mit dem im Rücken, da könnte man fast fliegen, vierzig, fünfzig Kilometer, die wären wie nichts. Vierhundert sind es bis in die Heimat.

 

Sie lehnte schwer atmend an einem Baum und bedachte, dass keine Straße mehr heimführte, keine einzige, und sie hätte gerne geweint, weil sie die Augen voll Sand hatte und der Wind so stark wehte, aber das tut man doch nicht. Man weint nicht wegen Sand und Wind — auch musste sie nun einen alten Mann beobachten, der sich in der Ferne mühte, sich gegen den Unsichtbaren stemmte, tief vornüber geneigt, und den Hut vor die Brust haltend.

 

Der hat es gut, dachte sie, der geht nicht weit, nur heim. Heim in der Heimat. Da ließ sie den Baum los und marschierte wieder und strengte sich sehr an und weinte nun doch und überlegte dabei, dass dies eine gute Straße sei, eine prächtige Straße zwischen Bäumen und Feldern — und dass ja jede Straße in eine Heimat führt.

 

Nicht in deine wohl, nicht in meine.

Wenn wir nicht heimgehen können, lasst uns nach Hause gehen, etwas bleibt immer.

 

Seite 11   Die See raart. Von Johanna Schopenhauer.

Es braust das Meer, die Wogenhäupter schäumen,

Die Brandung stürmt die Burg des Felsenstrandes,

Und mit dem großen Orlogschiffe treiben

Die Wind' und Fluten ihre wilden Spiele,

Wie Kinder mit dem leichten Federballe.

Wilhelm Müller.

 

An schönen Sommerabenden, wenn die nur eben noch über dem Horizont schwebende Sonne zur guten Nacht die Erde noch einmal anlächelt, wie eine Mutter ihr entschlummerndes Kind, dann zeigt sich rings umher, im Wiederschein ihrer scheidenden Strahlen, so weit das Auge nur reicht, alles in überirdischer Klarheit. Die weiteste Ferne ist uns näher gerückt, unverschleiert tritt sie in der nebelfreien Luft uns entgegen, und Gegenstände, an denen wir in der Frühe des tauigen Morgens vorübereilten, die wir später in den zitternden Dünsten, welche in der Hitze der Mittagsstunden der Erde entqualmen, völlig aus den Augen verloren, werden uns wieder sichtbar.

 

So ist es auch am Abend unseres Lebens, wenn die Sonne desselben ihre letzten Strahlen ausspendet; die meinige neigt sehr merklich dem Untergange sich zu, und indem ich von ihr umleuchtet den Blick noch einmal dem weit hinter mir liegenden Aufgange zuwende, drängt ein buntes Gewimmel der mannigfaltigsten Erscheinungen sich mir entgegen, die ich mit wenigen Strichen leichthin zu skizzieren versuchen will, ehe es ganz dunkel wird.

 

Ein großer Vorzug, der auch mir ward, und den man, wie jeden, mit dem die Natur uns freigebig beschenkte, gewöhnlich sehr spät erst erkennt, ist der, am Ufer des Meeres, im Angesicht desselben, möchte ich sagen, das Tageslicht zuerst zu erblicken. Wie oft habe ich das späterhin im Binnenlande sehnsüchtig empfunden, wenn abends ein dunkelblauer, am flachen Horizont sich hinziehender Streifen mit lieber Illusion mich täuschte.

 

Was dem Schweizer seine Alpen mit ihrem würzigen Kräuterduft, das ist uns, am Ufer des Meeres Geborenen, sein frischer Hauch, der Anblick der ewig bewegten, unabsehbaren Fläche, das nie verhallende Gebrause seiner Wogen; entfernt vom Meer werden wir die Sehnsucht danach niemals los. Kein Strom der Welt, nicht der Rhein mit seinen paradiesisch schönen Ufern, nicht die Donau, sogar nicht die Elbe und die Themse mit ihren großen, prächtig einher segelnden Seeschiffen und dem zum Himmel aufstarrenden Walde von Masten in ihren Häfen, vermag uns Ersatz dafür zu bieten.

 

Dass es Leute geben könne, welche die See nie gesehen, kam als Kind mir ganz fabelhaft vor, späterhin fühlte ich wahres Mitleid mit den Berlinern und andern Fremden, die zur großen vier Wochen währenden Dominiksmesse nach Danzig gekommen, meine Eltern besuchten. Spät abends stand ich, wenn im Hause alles stille war, am Fenster auf dem Gange und lauschte mit einem ganz unaussprechlichen Gefühl auf die feierliche eintönige Melodie des bei gänzlicher Windstille aus den tiefsten Tiefen der spiegelglatten See zuweilen aufsteigenden Gebrauses, dieses Aufatmens der nächtlich ruhenden Natur.

 

Morgen gibt es schön Wetter, die See raart, sprach dann wohl Adam, oder wer sonst von unsern Leuten an mir vorüberging, die See raart! Mir grauste ein wenig bei dem wunderlichen Wort, aber doch blieb ich an meinem Fenster.

 

Wie gern möchte ich nur noch einmal die See raaren hören! Von so manchem, das mir lieb war, bin ich jetzt unwiederbringlich geschieden, und weiß es; doch von dem Gedanken, dass mir so gar keine Hoffnung geblieben, jemals das Meer wiederzusehen, wende ich immer mich ab.

 

RAT / Von Lu Schün

Wende den Kopf mit kalter Verachtung

Von den tausend winkenden Herrchen,

Neig ihn den Kindern, den vielen, zu

Wie ein williger Büffel,

Pflügend für sie, denen die Zukunft gehört.

 

Seite 11   Jeden Morgen. Von Jochen Hoffbauer.

Kalte und Brötchen —

Die Morgenzeitung

schreibt von der Koexistenz

der Systeme.

 

Kaffee und Brötchen —

Quälende Frage:

Ob ich mich

meiner Vergangenheit schäme?

 

Davon sprach eine

recht brüchige Stimme.

Morgenandacht

stand schlicht im Programm.

 

Aber danach

auf den Kilo-Herz-Wellen

kam neuer Jazz

aus den Staaten an.

 

Kaffee und Brötchen —

Ich lese und kaue,

höre dazwischen

von Seele und Leib.

 

Kaffee und Brötchen —

Die Frühstücksstullen!

Blick auf die Uhr:

Es ist soweit!

 

Flüchtiger Kuss —

Bis heute Abend!

Herrgott, was kann

bis zum Abend geschehn!

 

Nichts als die

grauen, verschmierten Akten

oder vertrautes

Bombengedröhn?

 

Kaffee und Brötchen —

ich laufe, denn eben

kreist schon die

Straßenbahn um

den Salon.

 

Kaffee und Brötchen —

durch diesige Scheiben

lächelt und winkt

mein Sohn.

 

Seite 12   Irwin Edmann. Interview mit Schopenhauer.

Irwin Edman ist Professor der Philosophie an der New Yorker Columbia-Universität. Mit seinem Buch „Philosopher's Quest" will er dem Laien einen Einblick in die Gedankengänge der großen Philosophen geben. Wir entnehmen dem Buch im Folgenden eine fiktive Unterhaltung zwischen dem Autor und Arthur Schopenhauer. Übersetzt von Dorothea Riem.

 

Ich bummelte durch den Speisesaal eines Hotels in Frankfurt am Main. Allein an einem Tisch saß verdrossen und teilnahmslos ein Mann mittleren Alters. Ich erkannte ihn sofort. Mit der Offenheit und dem Mut, die man manchmal in seinen Träumen hat, sagte ich: „Sie sind Herr Arthur Schopenhauer“.

 

Aus seinem Blick sprachen befriedigte Eitelkeit — da ich ihn erkannt hatte — und Ärger über die Störung. „Ja", sagte er. „Aber was kümmert Sie das?" „Ich habe Ihre Werke gelesen“.

 

„Millionen haben das getan", erwiderte er, „aber selten mit Verständnis. Sie holen sich den bequemen Luxus des Kummers aus meinen Werken heraus“. „Das liegt an der Zeit. Sie verwirrt die Menschen. Sie suchen einen Ausweg, aber sie wissen nicht genau, wovon eigentlich, und sie wissen auch nicht, wohin sie sich flüchten sollen“.

 

„Nein, sie wissen es nicht", antwortete Schopenhauer. „Sie stürzen sich in die verschiedensten Vergnügungen, wenden sich übersättigt ab — und versuchen es wieder von neuem, weil sie hoffen, dass die Ekstase diesmal dauern und keinen bitteren Nachgeschmack hinterlassen wird. Sie haben den unbestimmten Wunsch, der Öde, den Enttäuschungen und dem Leid zu entrinnen. Aber wenn sie befreit sind von dem Schmerz, an dem sie leiden (oder zu leiden glauben), sind sie leer und stumpf, sie haben überhaupt kein Gefühl mehr.

 

Manchmal fliehen sie insgeheim in Laster und Orgien, zuweilen ergeben sie sich dem Trunk. Es gibt Menschen, die Selbstmord begehen, weil sie das Leid oder die eitlen Vergnügungen des Lebens nicht mehr ertragen konnten. Und mit dem Schrecken oder Mitleid in uns mischt sich eine Spur von Neid. Aber oft wissen diese Menschen ihr Leben lang nicht, wovor sie eigentlich fliehen. Sie schmähen die Welt, sie schmähen das Schicksal, sie beklagen sich über die Enttäuschungen des Fleisches und die Ernüchterung des Geistes. Aber sie erkennen nicht, dass tief in ihrem Inneren etwas steckt, das sie verwirrt ihr Wille verwirrt sie. Ihren eigenen Wünschen suchen sie zu entfliehen. Ich habe in meinen Werken gezeigt, dass die Welt eine ständige Enttäuschung bedeuten wird für die Menschen, so lange sie bei ihrem eigenen Willen und ihren eigenen Wünschen beharren. Stets werden sie von einem Vergnügen in das andere geraten in dem beständigen Kreis von Hunger und Übersättigung, von Gier und Überdruss, von Ehrgeiz und Leere nach errungenem Erfolg“.

 

„Ich weiß, Herr Schopenhauer", erwiderte ich, „nie hat jemand ein besseres Bild gemalt von der Nichtigkeit des irdischen Erfolges als Sie; von dem endlosen Sehnen nach Erfüllung, das sich niemals stillen lässt. Und ich weiß, wie sehr man versucht ist zu glauben, der einzige Weg, dem Unglück zu entgehen, sei der, den Wunsch nach Glück aufzugeben. Der Weg zum Frieden heißt aufhören zu wünschen. Aber ich war niemals völlig überzeugt — ich habe es auch von Ihnen niemals angenommen —, dass man einfach aufhören kann zu wünschen. Und ich habe auch nie daran geglaubt, dass Elend und Enttäuschung aus der Welt verschwinden würden, wenn man aufhörte zu wünschen“.

 

„Ich weiß, es ist heute Mode zu sagen, der Wille sei eine Nebenerscheinung in der Welt, während ich davon überzeugt bin, dass er einen ihrer Hauptbestandteile bildet", war Schopenhauers Antwort, „eine Luftspiegelung, die den Willen — der unterstützt wird vom Gehirn — zu der falschen Hoffnung getrieben hat, er könne sich selbst genügen. Ich will diesen Punkt jetzt nicht diskutieren. Aber da Sie ein kultivierter Mann zu sein scheinen, werden Sie sicherlich zugeben, dass es Augenblicke gibt, in denen der Wille schweigt, die gesegneten, nur allzu kurzen Augenblicke, da wir uns mit der Kunst beschäftigen“.

 

„Ich gebe zu, dass man sogar in einer hässlichen Welt, oder vielleicht gerade in einer hässlichen Welt, Erholung bei den Künsten findet", sagte ich. „Aber sicherlich bedeutet das nicht illusorisches Wissen, das übertrumpft wird von der fieberhaften Aufmerksamkeit des Willens. Wir begreifen nicht nur einen Teilaspekt der Dinge, der die Illusionen und Enttäuschungen des Wunsches nährt. Wir sind vielmehr gekommen, Formen in ihrer Zeitlosigkeit zu betrachten. Wir sehen die unveränderlichen Wahrheiten, zu denen der Genius des Künstlers durchgedrungen ist und die der ins Anschauen versunkene Betrachter in diesem Augenblick auch begreift. Die Kunst gewährt uns herrliche Erlebnisse. Der Wille kommt zur Ruhe, und die Betrachtung wird zu einem ruhigen Augenblick des Glücks. Gibt es nicht auch in Ihrer Zeit einige wenige Glückliche, die diese kurzen Intervalle des Versunkenseins in die Betrachtung ebenfalls erleben?"

 

„Die Kunst bietet die Möglichkeit, den Willen zu beruhigen; wenigstens für einen Augenblick, für einen glückseligen Augenblick, die illusorische Welt der Dinge, der Zeit und des Raumes und der scheinbaren Notwendigkeiten zu verlassen. Menschen der Tat, Menschen der Lust verharren bei der herrlichen Verlockung der Kunst. In solchen Pausen, die Empfindungsvermögen und Gefühl uns schaffen, sind wir erlöst. Denkende Menschen quälen sich mit all der Ironie, den Widersprüchen und Niederlagen des Lebens. Auch sie finden Trost — ein zeitweiliges Asyl, wohlgemerkt — in der Kunst. Denn in der Kunst werden selbst Niederlage und Tragödie zu Bildern, die man anschaut, zu Gedichten, die man liest, zu Dichtungen, denen man folgt zu seinem Frieden und zum Entzücken an ihrem Wesen und ihrer Form. Nichts verletzt uns, denn unser Wille ist abgeschaltet und kann nicht geweckt, berührt oder enttäuscht werden. Alles, selbst das Tragische, wird schön. Schönheit ist das Narkotikum des Willens, und Kunst ist die vorübergehende Flucht aus der Zeit, der überwältigende, kurze Schimmer der Ewigkeit“.

 

„Aber Sie halten doch die Kunst nicht für ein dauerndes Heilmittel, für einen sicheren Ausweg, nicht wahr?" fragte ich. „Sie ist es in Wirklichkeit ja auch nicht. Das Vertieft sein endet, der Trancezustand geht vorüber. Man verlässt die Galerie und tritt hinaus in den rastlosen Verkehr der Straße. Das Konzert ist beendet, man legt das Buch nieder, und die Atempause ist zu Ende“.

 

„Ich bin doch kein Narr", sagte Schopenhauer scharf, „und es bedarf wohl kaum eines so späten Ankömmlings, wie Sie es sind, damit er mich lehrt, was ich selbst gelehrt habe. Es gibt nur ein dauerndes Heilmittel nur einen sicheren Ausweg. Das ist, den Willen überhaupt zu leugnen. Der Pfad zum Nirwana — die Buddhisten kennen ihn seit langem — ist der einzige Weg aus der unvermeidlichen Last des Leidens, der Strafe des Empfindungsvermögens. Es gibt kein Glück. Glück besteht nur in der Wahnvorstellung der ungezügelten Jugend, des ungezähmten Willens. Das Höchste, auf das man hoffen kann, ist innerer Friede. Und der kann sich nur einstellen, wenn das Selbst unbarmherzig ausgestrichen, wenn der Wille völlig getötet wird. Nicht mehr wünschen heißt nicht mehr sein. Und erst, wenn das eigene Selbst aufgeht in dem Nichtselbstsein, wenn das eigene Selbst zum Nichts geworden ist, werden wir nicht mehr gequält von Dingen, die außer uns liegen. Ein traumloser Schlaf ist das einzig Vollkommene, das menschliche Wesen sich je haben vorstellen können, oder das sie je werden erreichen können. Die Künste verleihen uns nicht traumlosen Schlaf, aber sie befähigen uns, einen Augenblick in einem ruhigen Traum der Vollkommenheit zu verweilen, der golden ist, klar und frei von der Verderbtheit des Wunsches“.

 

„Ach, Herr Schopenhauer", seufzte ich, „der einzige Weg, der beständigen Verwirrung zu entgehen, glaube ich, ist der, alles Persönliche aufzugeben, es in Mystizismus, in Musik oder in der Kunst zu verlieren und sein eigenes wirkliches Sein aufzugeben“.

 

„Ja", sagte Schopenhauer, „und ich bin nicht überrascht, dass ein Mitglied der modernen Welt den Gedanken, seinen eigenen Willen aufzugeben, als so schrecklich empfindet. Wir drängen uns aneinander, wir umgeben uns mit Schleiern der Illusion. Wenn die Schleier beiseite gezogen werden und wir zurückbleiben, unseren eigenen, abscheulichen gequälten Willen umarmend, denken wir, es bleibe nichts mehr, wenn auch der Wille geht. Wahrhaftig, nein, es wird nichts übrigbleiben von der Illusion. Es wird nichts bleiben als das Nichts. Es wird der Friede bleiben. Haben denn nicht Sie, und alle anderen Ihrer Generation, danach gesucht? In der Welt? In sich selbst? Ich habe Ihnen den Weg gezeigt. Und Sie schaudern. Ihr in der westlichen Welt könnt die rettende Weisheit nicht ertragen. Vielleicht werdet ihr eines Tages vom Orient lernen, wie sie zu finden ist. 'Vielleicht werdet ihr sie dann annehmen und in ihr die ruhige Seligkeit finden, in die ihr euch versenken werdet mit reiner und aufopferungsvoller Leidenschaft“.

 

 

Seite 12   Wir blättern in neuen Büchern

Ostpreußen und Danzig (in der Reihe „Die deutschen Lande", Band 16). Eingeleitet von Ottfried Graf Finckenstein. 61 Meisteraufnahmen, 16 Seiten erläuternder Text. Großformat, Halbn. DM 7,50. Umschau Verlag, Frankfurt/M.

In der Reihe „Die deutschen Lande" ist soeben der sechzehnte und letzte Band erschienen. Er ist der östlichsten deutschen Provinz, Ostpreußen gewidmet und schließt damit den Ring des großen Bildwerkes deutscher Landschaft. Die Bildauswahl, vorzüglich in Motiv und Technik, vermittelt anhand von typischen Beispielen einen Eindruck von den vielfältigen Naturschönheiten dieses Landes, von den ehernen Zeugen deutscher Kulturleistung im Osten in den Burgen und Domen, in der Anlage der Städte. Der Band wird dem Land jenseits der Weichsel viele neue Freunde gewinnen helfen. vT

 

Willi Drost: Sankt Johann in Danzig. Verlag W. Kohlhammer GmbH., Stuttgart. In der Schriftenreihe „Kunstdenkmäler des Deutschen Ostens" (hrsg. im Auftrage des Johann-Herder-Forschungsrates Marburg von Günther Grundmann). 224 s. u. 202 Abbildungen. Ln. DM 22,50.

Kurz vor der Eroberung und Zerstörung Danzigs im Jahre 1945 war das Inventar der Kirchen Danzigs im Wesentlichen von Professor Dr. W. Drost und seinen Mitarbeitern aufgenommen worden. Diese Aufzeichnungen konnten mit samt allen dazugehörigen Photographien gerettet werden. Nachdem die Kirchen nahezu vollständig ausgebrannt und die beweglichen Kunstgegenstände mit wenigen Ausnahmen vernichtet sind, hat die Bestandsaufnahme den Wert einer einmaligen und unersetzlichen Urkunde für die Kunst- und Kulturgeschichte des Nordostens. Die ausführliche Beschreibung, Wiedergabe von Inschriften usw. ist einfach und übersichtlich gehalten, der Gegenstand in Abbildung neben den entsprechenden Text gestellt.

 

Als erster des auf 6 Bände berechneten Werkes „Inventar der Kirchen Danzigs" erscheint der Band über die Johanniskirche; ihre überreiche, jetzt vollständig vernichtete Innenausstattung reichte vom späten Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit. Man nannte die Johanniskirche nicht mit Unrecht ein Museum von Arbeiten bester handwerklicher Tradition des unteren Weichselgebietes; sie war eine Fundgrube für jeden, der sich mit der Kunst und Kultur dieses Gebietes beschäftigt. Das nun erscheinende „Inventar" ist daher ein Quellenwerk ersten Ranges.

 

Rudolf Naujok: Die Zeit der hellen Nächte. Roman aus Moor und Heide. G. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 222 S., Ln. DM 4,85.

Der ostpreußische Schriftsteller Rudolf Naujok hat in seinem neuen Roman die Moor- und Heidelandschaft Niedersachsens zum Schauplatz der Handlung gewählt. Während eines kalten Winters ist ein Wolfsrüde bis in die Heide vorgedrungen; wie ein graues Gespenst taucht er da und dort auf, reißt Kälber und Schafe auf den Weiden und bringt Angst und Aufregung unter die Bewohner. Großbauer und Bürgermeister Paudler, ehrgeizig und auf den Ruhm eines Wolfstöters versessen, will ihn zur Strecke bringen. Nächtelang lauert er der Bestie vergeblich auf. Das Jagdglück fällt schließlich dem jungen Lehrer in den Schoß, der alles andere denn ein erprobter Jäger ist. Er gewinnt durch diesen Meisterschuss die Achtung der Dorfbewohner, die ausgesetzte Abschussprämie — und schließlich auch noch das Herz der Bürgermeisterstochter, das macht das Maß des erbitterten Paudlers voll. Aber schließlich nimmt doch noch alles sein gutes Ende: Paudler der langjährige Witwer, heiratet wieder, und das versöhnt diesen hartgesottenen Eigenbrötler wieder einigermaßen mit seiner Umwelt. — Landschaft und Menschen des niedersächsischen Raumes — man fühlt es — sind vom Verfasser erlebt und mit feiner Feder nachgezeichnet, wie ein tanzender Sonnenstrahl geht ein frisch quellender Humor durch die Handlung. Ein guter Unterhaltungsroman! vT

 

Das Schicksal der Deutschen in Ungarn. Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Band II. Hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte. Verlag „Christ Unterwegs", München. 344 S., 1 Karte. Ln. DM 9,50.

Der II. Band der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" umreißt in 52 Berichten „Das Schicksal der Deutschen in Ungarn" in den Jahren 1944 bis 1947. Die einzelnen Phasen im Ablauf des Geschehens sind jeweils mit einer Reihe von Berichten aus den Hauptsiedlungsgebieten belegt. Den Abschluss bilden zwei Berichte, die die zeitlich aufeinanderfolgenden Vorgänge zusammenfassen und dem Leser nach den Schilderungen zu den einzelnen Phasen die Kontinuität des Ablaufs vermitteln. Die Berichte, in denen alle Bevölkerungsschichten und die verschiedensten politischen Haltungen zu Worte kommen, weichen sowohl im Stil wie in der Auffassung z. T. erheblich voneinander ab, vermitteln aber dem Leser gerade dadurch ein farbiges Bild von den Ereignissen. Durch die sorgsame, nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführte Auswahl wird ihre Glaubwürdigkeit unterstrichen. Eine kurze einleitende Darstellung stellt die Berichte in größere historisch-politische Zusammenhänge und sucht dadurch das Verständnis der Einzelvorgänge, die die Berichterstatter selbst aus ihrem Lebenskreis heraus erzählen, zu vertiefen. Gesetze und Verordnungen, die das Schicksal der Ungarndeutschen entscheidend beeinflusst haben, sind der einleitenden Darstellung als Anlage beigefügt. Eine Karte der deutschen Siedlungsgebiete in Ungarn mit den in den Berichten erscheinenden Ortsnamen erleichtert dem Leser das räumliche Zurechtfinden.

 

Seite 12   Humor der Heimat

Im Krankenhaus wird ein Mann nach seinen Personalien gefragt: „Was sind Sie?" — Antwort: „Gärtner“. — „Selbständig?" — Antwort: „Nein, verheiratet“.

 

Bei Zeugnisabschriften muss man auf Druckfehler aufpassen! Ein junger Mann bewirbt sich um eine Inspektorstelle; er schickt seine mit der Maschine vervielfältigten Papiere ein, und im Zeugnis steht: „Herr X hat es verstanden, sich in kurzer Zeit derartig beleibt zu machen, dass wir uns ständig seiner erinnern werden“.

 

Zwei Besitzer treffen sich auf der Grünen Woche. Nach der freudigen Begrüßung: „Menschenskind, das wor'n Winter!" — „Und denn der Schnee!" — „Je und mein Nachbar, der Schinkat, der hett ja nochmal so viel Schnee jehabt wie ich!" — „Erbarmung! Wie kam das denn?" — „Na, dem sein Grundstück is ja nochemal so groß wie meins!"

 

Herr Goetz hat sich Telefonanschluss legen lassen. Gleich beim ersten Anruf hat er Pech. „Hallo, hier Goetz“. — „Wer ist da?" — „Goetz!" — „Ich kann den Namen nicht verstehen? — „Na, Mann, Goetz — wie Goetz von Berlichingen!" — „Was? Sie mir auch, Sie Flegel!" (Entnommen dem Buch „Hier lacht Ostpreußen", Verlag Gräfe und Unzer, München.)

 

Seite 12   „Der große Herder", das Hauptwerk des größten katholischen Verlages Deutschlands, überhaupt eines der bedeutendsten Verlagsunternehmens der Welt, schreibt unter dem Stichwort „Preußentum" (4. Aufl., 9. Band, Sp. 1126):

„Die Lebensbedingungen des preußischen Staates bildeten einen Menschenschlag heraus der, weniger von Gemütswerten als von Verstandes- und Willenskräften geleitet, durch Unternehmungslust (Wille zur Tat), straffe Zucht, Pflichterfüllung um jeden Preis, eisernen Fleiß, Sparsamkeit, Einfachheit, Kargheit, Wehrfreudigkeit und unbedingte Hingabe des einzelnen an den Staat und das Gemeinnützige organisatorisch Großes vermochte und in dem „Geist von Potsdam“ das reine, auf der Kantschen Philosophie aufgebaute Pflichtideal verherrlichte (Friedrich der Große: Der Fürst ist der erste Diener des Staats). So wurde das Preußentum mit seinen staatserhaltenden und staatsaufbauenden Kräften zum Rückgrat des Deutschen Reiches. Seine Sendung bleibt es, Träger und Grundlage des deutschen Staatsgedankens zu sein“.

 

Seite 12   Der wahre Ruhm.  

Um einen Mann richtig zu beurteilen, muss man sich völlig in die Lage, in der er ist, versetzen. Friedrich II.

 

Kein einzelner Mensch ist für sich da. Er ist in das Ganze des Geschlechts eingewebt, er ist nur eines für die fortgehende Folge. J. G. Herder

 

Alles Gute, das nicht auf moralisch guter Gesinnung aufgepfropft ist, ist nichts als Schein und schimmerndes Elend. Kant

 

Tue der Menschheit Gutes, und man wird dich segnen. Das ist der wahre Ruhm. Friedrich II.

 

Je mehr du gedacht, je mehr du getan hast, desto länger hast du gelebt. Kant

 

Seite 12   Der König n Briefen, Berichten und Anekdoten

Was Schiller von Wallenstein sagt, gilt fast von allen wahrhaft großen geschichtemachenden Männern der Welt: Verkannt und gehasst von den einen, geliebt und verehrt von den anderen, schwankt ihr Bild in der Geschichte. König Friedrich II., der Große genannt, ist vielleicht das hervorstechendste Beispiel für diesen geteilten Nachruhm, der bis in die Geschichtsschreibung unserer Tage nachwirkt. Das entspringt nicht zuletzt der universellen Vielschichtigkeit dieses überragenden Geistes, der sich jeder verallgemeinernden Zusammenfassung eigenwillig entzieht. Da steht der geniale Feldherr neben dem klugen Staatsmann, der kalt rechnende Verstand neben der Gemütstiefe des Künstlers. Dieses einmalige Phänomen lässt sich auf keine Schablone bringen. — In seinem Buch „Der König" (Friedrich der Große in seinen Briefen und Erlassen sowie in zeitgenössischen Briefen, Berichten und Anekdoten. Bielefelder Verlag, Bielefeld. 16. Auflage, 544 Seiten) unternimmt es Gustav Mendelssohn-Bartholdy, diese gewaltige Persönlichkeit den heutigen Menschen nahezubringen. In jedem dieser Dokumente, sei es in amtlichen Schriften, Erlassen und Randbemerkungen, sei es in seinen privaten Briefen und literarischen Arbeiten, spiegelt sich eine andere Seite dieser — um es noch einmal zu sagen — „universellen" Persönlichkeit. Die zitierten Stellen sind chronologisch geordnet und von dem Herausgeber mit knappen Texten verbunden, die diese Bruchstücke wie Mosaiksteine zu einem eindrucksvollen Gesamtgemälde zusammenwachsen lassen. - Wir entnehmen diesem Bande einen Brief des Kronprinzen an Voltaire, den er während einer Reise durch Ostpreußen schrieb und in dem er mit höchster Anerkennung von dem Kolonisationswerk seines Vaters in den von der Pest verödeten Gebieten der Provinz berichtet.

 

Insterburg, 27. Juli 1739.

Teurer Freund, endlich sind wir nach einer dreiwöchigen Reise hier, in einem Lande angelangt, das ich als äußerstes Ende der gebildeten Welt betrachte. Man kennt es in Europa wenig, obschon es besser bekannt zu werden verdient, da es als eine Schöpfung meines königlichen Vaters angesehen werden kann.

 

Preußisch-Litauen ist ein Herzogtum von gut dreißig deutschen Meilen Länge und zwanzig Meilen Breite, wobei es allerdings nach Samogitien hin sich zuspitzt. Hier wütete im Anfange des Jahrhunderts die Pest, und mehr als dreimalhunderttausend Menschen gingen daran und an dem Elende, das die Krankheit im Gefolge hatte, zugrunde. Der Hof hatte über das Unglück der Bevölkerung keine rechte Nachricht erhalten und tat nichts, um der reichen, fruchtbaren, stark bevölkerten und äußerst produktionsfähigen Provinz aufzuhellen. Die Pest raffte die Einwohner hin, die Felder blieben unbestellt, und Gestrüpp fing an darauf zu wachsen. Auch der Viehbestand blieb nicht von dem gemeinen Unglücke verschont. Mit einem Worte, unsre blühendste Provinz wurde in die schrecklichste Wüste verwandelt.

 

Während dieser Vorgänge starb Friedrich I. und wurde in jener seiner falschen Größe beerdigt, die nach seinem Willen nur in eitlem Pomp und der prunkvollen Schaustellung leerer Zeremonien bestand.

 

Mein Vater war sein Nachfolger. Das allgemeine Elend ging ihm nahe. Er bereiste die Gegend und sah die weite Wüste mit eignen Augen, in der die Pest, die Teuerung und die schmutzige Habsucht der Minister ihre schrecklichen Spuren hinterlassen hatten. Zwölf bis fünfzehn entvölkerte Städte, vier- bis fünfhundert verlassene Dörfer mit unbestellten Feldern — das war der traurige Anblick, der sich ihm darbot. Weit davon entfernt, sich durch dieses schreckliche Schauspiel abschrecken zu lassen, fühlt er das lebhafteste Mitleid und fasste den Entschluss, die Dichtigkeit der Bevölkerung, den Überfluss und den Handel in diesen Gegenden, die gar nicht mehr wie ein zivilisiertes Land aussahen, wiederherzustellen.

Seit dieser Zeit hat der König keine Ausgabe gescheut, um seinen Willen zum Segen des Landes durchzusetzen. Zuerst erließ er weise Verordnungen, befahl die Häuser in den durch die Pest verödeten Ortschaften wieder aufzubauen und siedelte Tausende von Kolonistenfamilien aus allen Teilen Europas in dem Lande an. Die Äcker wurden wieder unter Kultur genommen, das Land bevölkerte sich von neuem, der Handel blühte wiederum auf, und augenblicklich herrscht in dem Lande der Überfluss mehr als jemals.

 

Litauen hat jetzt mehr als eine halbe Million Einwohner, mehr Städte und einen größeren Viehbestand als früher und ist reicher und fruchtbarer als irgend ein Teil Deutschlands — und alles, was ich Ihnen hier aufzähle, hat man ganz allein dem Könige zu verdanken, der die Anordnungen nicht nur getroffen, sondern auch in ihrer Ausführung überwacht hat. Er hat den Plan gefasst und ihn allein ausgeführt. Weder Sorge noch Mühe, noch ungeheure Summen, noch Versprechungen, noch Belohnungen hat er gespart, um Glück und Leben einer halben Million denkender Wesen zu sichern, die nun ihm allein ihre Wohlfahrt, ja ihre Existenz verdanken.

 

Seite 13   Die Hansestadt Danzig und ihre schöne Umgebung

Was uns auch ist verloren

wohin das Schicksal treibt,

der Seele tiefste Heimat

in uns für ewig bleibt. C. L.

 

Leuchtende Bilder der Erinnerung an die Heimat tauchen immer wieder in uns auf. Unsere Gedanken wandern zu vertrauten, liebgewordenen Stätten. Niemand, der die alte Hansestadt Danzig mit ihren Türmen und Toren mit ihren charakteristischen Wahrzeichen erlebte, wird sie vergessen haben. Die landschaftliche Umgebung bietet einen seltenen Zusammenklang von Berg, Wald und Meer.

 

Von der See aus grüßte schon aus der Ferne der Turm der Marienkirche, von den Höhenzügen Zoppots und Olivas ist seine Silhouette klar sichtbar. In Jahrhunderten erstand der gewaltige Bau, der uns von der Kraft des Glaubens vergangener Jahrhunderte erzählt, von den alten Gassen der Rechtsstadt aus bewundert das Auge die Dimensionen der Querschiffe, der Bogenfenster, der zahlreichen Türme, die durch die dichtanliegenden Giebelhäuser nur noch größer und geschlossener hervortreten. Wie im Westen der Kölner Dom und das Straßburger Münster ist für den Osten St. Marien die ehrwürdige Stätte der Erholung und Erbauung. Die Marienkirche ist ein wunderbares Denkmal mittelalterlicher Baukunst, das viele Generationen in drei Bauperioden für ihre Nachkommen geschaffen haben. In den hohen Hallen des mächtigen, hoch hinaufragenden Raumes, in dem die Klänge der beiden Orgeln beim Glanz der leuchtenden Abendsonne unser Herz mit Andacht erfüllen, haben wir Danziger die schönsten Feierstunden erlebt.

 

Vom hohen Turm der Marienkirche gleitet der Blick bei klarem Wetter über die langgestreckte Danziger Bucht bis zum weißen Sandstreifen der Halbinsel Hela, deren äußerste Spitze, das Fischerdorf Hela, mit seinem hohen Leuchtturm den Schiffen als ersehntes Ziel grüßt. Flüsse und Bäche durchziehen die fruchtbare Danziger Niederung, die westwärts in das Gebiet der waldreichen Danziger Höhe führt.

 

Aus dem Gewirr enger, viel verschachtelter Dächer und Giebel ragen eine große Zahl von Kirchen, Türmen und Toren empor, wie das schlanke, hohe, spitze Rathaus. Dieser, die Langgasse abschließende Bau mit seinem altvertrauten Glockenspiel gehört zu den Wahrzeichen der Stadt, ebenso auch das wuchtige Krantor, das an der Mottlau mit seinem massiven Ziegelbau ein Stück Danziger Geschichte darstellt. Die gegenüberliegende Speicherinsel spielte im Handel und Wandel vergangener Zeiten eine bedeutsame Rolle. Ein hervorragendes Beispiel für eine stimmungsvolle Raumwirkung bietet der Langemarkt, auf dem sich die großen geschichtlichen Ereignisse Danzigs abspielten.

 

Das Rathaus und die Häuser der Langgasse, die farbigen Fassaden der Giebelhäuser, der Artushof und das Steffensche Haus mit den goldenen Emblemen und der Abschluss des grünen Tores sind nach der Zerstörung wieder aufgebaut worden. Das Krantor ist bisher eine Ruine geblieben.

 

Von den alten Befestigungen der Stadt bildete das Hohe Tor die Haupteingangspforte Danzigs. Eine der Inschriften auf den vergoldeten Wappenbildern enthält die beherzigenswerte Mahnung: „Friede, Freiheit und Eintracht sind die schönsten Güter, die die Städte erstreben sollen“. Carl Lange.

 

Seite 13   So ein Jagdglück!

Besinnlich, meist an die Natur anknüpfend und raumgebunden wie der Dialekt des Danziger war seine Anekdote.

 

Ein Förster schilderte sein Jagdglück; er habe an einem Sonntagnachmittag einen Hasen, einen Fuchs, einen Hirsch und ein Rebhuhn erlegt, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.

 

Über einer Lichtung sah er zwei Adler kreisen. Der eine hatte einen Hasen in den Fängen. Plötzlich stürzte sich der andere auf ihn, so dass er den Hasen fallen ließ. Der fiel aus ein paar hundert Metern Höhe einem Fuchs mit solcher Wucht aufs Kreuz, dass er ihn sofort totschlug. Von dem Geräusch wurde ein Zwölfender flüchtig, stolperte, fiel und brach sich das Genick. „Un wie öck so stoa", schloss der Förster, - on mi wunder, schloag öck die Händ äverm Kopp tosamm — on häbb a Räpphään mang mine Fingersch“.

 

Seite 13   Bundestreffen der Danziger

15., 16. und 17. Juni in Hannover

Großkundgebung

Am 16. Juni, 10 Uhr im Eilenrieder-Stadion

Genaues Programm durch die Kreisgruppen

 

Seite 13  Karl-Heinz Jarsen „Herr, ich habe keinen Menschen …“

Er weiß nicht, dass er beobachtet wird. Hockt gebückt neben einer Kiste mit Kubikeln, greift fehlerfreie Holzklötzchen heraus und sortiert sie auf dem Nachbartisch. Dabei bewegt er die borkigen Lippen, murmelt etwas Unverständliches, schüttelt seinen Kahlschädel oder nickt. Russische Sträflinge meiden ihn. „Durak" (Idiot), sagen sie und zucken die Schultern. In der Mittagspause gesellt sich ein Deutscher zu ihm. „Du hast keinen Kameraden?"

„Warum?"

„Weil du Selbstgespräche führst“.

Der Saklutschonniä (Sträfling) schweigt. Nach einer Weile sagt er: „Irgendwie muss man sich doch beschäftigen“.

„Stimmt. Unsere Arbeit ist monoton genug. Mir scheint, du bist noch nicht lange hier“.

„Seit zwei Wochen“.

„Hör' mal, heute Abend komme ich in deine Baracke. Wir könnten dann ein bisschen plaudern“.

 

Der Russe berichtet aus seinem Leben. Er war Schreiber in einer Kanzlei, wurde denunziert und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Sieben Jahre sind jetzt um. Niemand erwartet ihn, wenn er entlassen wird. Seine Angehörigen haben sich von ihm losgesagt. Quer über dem linken Handgelenk ist eine dünne Narbe zu erkennen. — Selbstmordversuch.

 

„Warum wolltest du dich töten?"

„Ich hatte keinen Menschen, und Einsamkeit ist schlimmer als der Tod“.

„Auch ich bin einsam."

„Aber daheim warten sie doch auf dich: deine Eltern, deine Geschwister, deine Braut.

Der Deutsche lächelt gedankenversunken. „Schön, wenn es so wäre! Meine Heimatstadt in Ostpreußen gehört seit dem Frühjahr 1945 zur Sowjetunion, — meine Eltern sind umgekommen, — meine Brüder gefallen, und eine Braut habe ich nicht“.

 

Er fühlt wie der Russe seine Hand umfasst. „Weißt du, Kamerad, manchmal denke ich, dass irgendwo in der Welt, abseits von Lärm und Spektakel, jemand auf mich wartet. Verstehst, begreifst du das?"

 

„Ja", sagt der Deutsche, ein Jüngling noch und hebt seinen Blick zur weißgetünchten Balkendecke, „er wartet“.

 

Seite 13   Zeichnung: Wieder Gottesdienst in Danzigs St. Marien.

Bis November 1955 dauerten die Wiederaufbauarbeiten an dem Wahrzeichen von Danzig, der St. Marienkirche. Dann wurde das Gotteshaus katholisch geweiht. Seitdem finden in zwar noch kahl wirkenden Mauern wieder regelmäßige Gottesdienste statt, die sich des stärksten Zuspruchs erfreuen. Danzig, ehedem Stadt von 265 000 zählt heute (1956) 253 000 Einwohner.

 

Noch bevor St. Marien der Bestimmung zurückgegeben wurde, bemerkte allerdings die in Warschau erscheinende Zeitschrift „Leben und Geist", es werde 50 Jahre dauern, bis sämtliche Kriegsschäden getilgt sein würden. Zunächst seien im Wesentlichen außer der Überdachung des Gesamtschiffes das Querschiff und der Altarraum in Ordnung gebracht worden.

 

Der massige West-Turm von St. Marien (unser Bild) hat die Höhe von 79 m. Als daran gebaut wurde, zählte Danzig — 20 000 Einwohner!

 

Seite 13   Preußischer Buchdienst.

Heute empfehlen wir besonders.

Das war Preußen. Zeugnisse der Jahrhunderte. Eine Anthologie. Herausgegeben von Hans Joachim Schoeps.

Preußen sei tot, heißt es bei den einen, es lebe und wirke fort, bei den anderen. Jene fürchten oder gar hassen, was diese wünschen oder gar lieben. Wie verschwommen ist das Bild! Die Erinnerungen schwanken, die Gedanken und Urteile. Wie dem auch sei, die Gegenwart möchte sich wieder auseinandersetzen mit dem vielgeschmähten Preußen. Trügt nicht alles, so scheint eine erste Stunde der Besinnung, der Wiederbegegnung, ein erster Wille auch zur Rechenschaft gekommen zu sein. Man will wieder wägen und werten. Kein Deutscher kann an Preußen vorüber. Da möchte dieses Buch eine Auslese dessen geben, in dem preußisches Wesen sich spiegelt. Der Verlag glaubt, in Hans Joachims Schoeps, jenen Autor gefunden zu haben, der heute in erster Linie berufen erscheint, die Quintessenz dessen zu ziehen, was Preußen einmal war, was es daher ist und sein könnte. Gewiss, hier leuchten die Lichter, die Ideen, die Ideale; hier aber treten auch die Schatten hervor, die dunkel auf der Geschichte Preußens liegen. Wenn dieses Buch für etwas wirbt, so für ein gerechtes Urteil. Es wendet sich an die weitesten Kreise des deutschen Volkes und will ihnen ein Lehr- und Lesebuch sein, in Dokumenten, Stimmen und Urteilen der Jahrhunderte eine prägnante Geschichte Preußens.

Dieses Buch entwirft ein Charakterbild Preußens. Es ist ein notwendiges Buch.

301 Seiten. Leinen DM 12,80

 

Seite 14   Ost- und westpreußische Heimatfamilie.

Fahrt nach Westpreußen.

Wie die Landsmannschaft Westpreußen bekanntgibt, plant sie in Verbindung mit einem süddeutschen Reisebüro für Ende August eine erste Sonderbusfahrt ab Lübeck bzw. Hamburg in die Heimat. Die Fahrt wird etwa 12 Tage dauern, von denen 8 Tage dem Aufenthalt in Westpreußen gewidmet sind. Im Augenblick steht noch nicht fest, ob Bromberg oder Danzig die Endstation dieser Fahrt sein werden. Es ist jedoch vorgesehen, dass jeder Fahrgast vom Endpunkt aus per Bahn zu seinem Heimat- bzw. Besuchsort fahren kann.

 

Die Landsmannschaft wird über die Fahrt noch nähere Einzelheiten bekanntgeben. Anmeldungen für alle Fahrten und Fahrgeldüberweisungen an Lm. Westpreußen, Bundesorganisation Lübeck, Wahmstr. 43 - 45 (Postscheckkonto: Hamburg 150 957).

 

Seite 14   Landeshauptmann a. D. Graf Brünneck gestorben.

In Baden-Baden verstarb am 16. Mai 1957,im Alter von 84 Jahren, Manfred Graf von Brünneck-Bellschwitz, langjähriger Leiter der provinziellen Selbstverwaltung in Ostpreußen. Der Verstorbene, der einem alten ostpreußischen Geschlecht entstammte, hatte sich in den zwanziger Jahren als Landeshauptmann insbesondere um die Milderung der schweren Auswirkungen des Versailler Diktates auf Ostpreußen im wirtschaftlichen Bereich große Verdienste erworben. Als erster Vorsitzender des Königsberger Universitäts-Bundes trat er tatkräftig für eine Unterstützung und Verbreitung der wissenschaftlichen Arbeit der Landesuniversität ein, wofür er von der Albertina mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde geehrt wurde. Graf Brünneck war ferner ältestes Ehrenmitglied der „Gesellschaft der Freunde Kants", früher Königsberg, jetzt Göttingen, und Ehrenkomendator des Johanniter-Ordens.

 

Seite 14   Prof. Dr. Edward Carstenn gestorben.

In Wetter an der Ruhr verstarb am 19. Mai 1957, im 71. Lebensjahr nach schwerem Leiden Prof. Dr. phil. habil. Edward Carstenn. Prof. Dr. Carstenn wurde am 1. Juli 1886 in Elbing in Westpreußen geboren. Nach einem historischen und germanistischen Studium an den Universitäten Kiel und Königsberg war er in westpreußischen Städten und in Danzig im Schuldienst tätig, bis er 1926 als Professor für Landesgeschichte und Erdkunde an die Pädagogische Akademie in Elbing berufen wurde. Hier entfaltete er eine reiche Lehr- und umfangreiche Forschungstätigkeit, deren Hauptergebnis eine „Geschichte der Hansestadt Elbing" war. Auch nach der Vertreibung aus der Heimat und Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft veröffentliche Prof. Dr. Carstenn zahlreiche Aufsätze und kleinere Darstellungen zur westpreußischen und Elbinger Geschichte, so als Mitherausgeber der „Elbinger Hefte" und im „Westpreußen-Jahrbuch".

 

Seite 14   Wir gratulieren!

Goldene Hochzeit.

Eheleute Friedrich Hoffmann und Anna Hoffmann, geborene Baldsynn, aus Tilsit, am 15. Mai 1957 in Wrisbergholzen bei Alfeld/Leine. Die Jubilarin ist geborene Tilsiterin, ihr Ehemann stammt aus Trakaniken, Kreis Schloßberg.

 

Eheleute Gottfried Jagusch und Auguste Jagusch, aus Zöpel/Ostpreußen, am 26. Mai 1957 in Güntersen bei Göttingen.

 

Eheleute Helmut Pahl und Hedwig Pahl, geborene Quade, aus Schönlanke/Westpreußen, am 18. Mai 1957 in Burgdorf, Sackstraße 2.

 

Eheleute Johann Adam Petschukat und Ida Petschukat, geborene Aschendorf, aus Tilsit wo der Jubilar 20 Jahre lang Inhaber eines Mehlgeschäftes war, am 15. Mai 1957 in Neuenkirchen, Kreis Stade.

 

Eheleute August Reimann und Frieda Reimann, geborene Maack, am 15. Mai 1957 in Winsen. Der Jubilar stammt aus Wormditt, Kreis Braunsberg.

 

97. Geburtstag

Emma Mierwald, am 2. Mai 1957 in Hodenhagen, Kreis Walsrode. Die Jubilarin wurde in Königsberg geboren, übersiedelte aber noch in jungen Jahren nach Memel, das ihr zur zweiten Heimat wurde.

 

91. Geburtstag

Eva Floth, aus Neuhof bei Modlin am 14. Mai 1957 in Hasbergen, Kreis Delmenhorst.

 

90. Geburtstag

Caroline Manthey aus Schönau/Westpreußen, am 1. Mai 1957 in Dorfmark, Kreis Walsrode. Ihre Jugendzeit verlebte die Jubilarin in Oslowo auf dem elterlichen Bauernhof.

 

83. Geburtstag

Johann Braun, geb. Reiß, aus Nikolaiken, am 6. Mai 1957 in Seesen, Lange Straße 45

 

72. Geburtstag

Gustav Nitsch, aus Kraukeln. Kreis Lötzen, am 28. Juni 1957 in Herrhausen 147, über Seesen. Der Jubilar kam erst im Januar d. J. als Spätaussiedler aus der Heimat.

 

Seite 14   Flensburger Geburtstagskinder

Liesbeth Pahlke, aus Neuhausen, Kreis Samland, am 1. Juni 1957 (77 Jahre).

 

Berta Kutz, aus Memel, Försterei, am 1. Juni 1957 (76 Jahre).

 

Wilhelm Jederlein, aus Passenheim, am 1. Juni 1957 (70 Jahre).

 

Ernestine Paulukuhn, aus Seehausen. Kreis Ebenrode, am 9. Juni 1957 (87 Jahre).

 

Hugo Seidenstücker, aus Grenzwackl. Kreis Lyck. am 10. Juni 1957 (75 Jahre).

 

Lotte Baer, aus Königsberg, am 12. Juni 1957 (70 Jahre).

 

Elise Lengen, aus Osterode/Ostpr., am 12. Juni 1957 (70 Jahre).

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Gertrud Rauch, aus Ortelsburg, am 14. Juni 1957 (75 Jahre).

 

Friedrich Groß, aus Wehlau, am 17. Juni 1957 (84 Jahre).

 

Karl Wandtner, aus Johannisburg, am 17. Juni 1957 (75 Jahre).

 

Wilhelm Petersen, aus Tilsit, am 22. Juni 1957 (75 Jahre).

 

August Kaspereit, aus Treuk, Kreis Samland, am 23. Juni  1957 (79 Jahre).

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", wünscht allen Jubilaren recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit.

 

Seite 14   Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

 

Den Geburtstagskindern des Juni 1957herzlichste Glückwünsche für das neue Lebensjahr. Besonders gilt unser Gruß denen, die ein Jahrzehnt vollenden und den Hochbetagten.

 

am 19.06.1957: Michaele Schubert (Danzig-Ohra), 40 Jahre.

 

am 28.06.1957: Dora Kleischmann-Schüleit (KMTV Kbg. und Tilsit), 40 Jahre.

 

am 06.06.1957: Max Kraudschun (Pillkallen), 50 Jahre.

 

am 07.06.1957: Maria Böhm-Tienert (KMTV Kbg.), 50 Jahre.

 

am 28.06.1957: Otto Schulz (KMTV Kbg.), 50 Jahre.

 

am 30.06.1957: Elisabeth Lau-Teinert (KMTV Kbg.) 50 Jahre.

 

am 22.06.1957: Frieda Litzmann-Koslowski (Marienburg), 60 Jahre.

 

am 03.06.1957: Kurt Ebel (Zoppot), 70 Jahre.

 

Am ??.06.1957: Max Newger (KMTV Kbg.), 75 Jahre.

 

am 04.06.1957: Max Quedenfeld (KTC Kbg.), 91 Jahre.

 

Zur Goldenen Hochzeit übermitteln wir die herzlichsten Glück- und Segenswünsche dem Turnerehepaar Paul Ortmann und Gertrud Ortmann (Danzig), die am 30. Juni 1907 den Bund fürs Leben schlossen. Paul Ortmann turnte bereits beim Deutschen Turnfest 1894 in Breslau mit und hofft, zusammen mit seiner Gattin gesund und frisch das Deutsche Turnfest 1958 in München und unser dortiges X. Wiedersehenstreffen miterleben zu können.

 

Aus Übersee kamen Grüße von Tbr. Emil G. Schmidt (KMTV Kbg.), Route 4 Bax 1126 Yucaipa in Californien wohnhaft. Er ist mit den Seinen auf einer Urlaubsreise quer durch Californien gewesen.

 

Das X. Wiedersehenstreffen war Gegenstand einer Besprechung mit mehreren Vertretern größerer Vereine unserer Turnerfamilie, die ich hierzu nach Hamburg eingeladen hatte. Zeitliche und wirtschaftliche Gründe führten zu der einheitlichen Auffassung, dass wir unser Wiedersehenstreffen nicht vor oder nach dem Deutschen Turnfest sondern in der Turnfestwoche selbst ohne außergewöhnliche Risiken durchführen können. Das Turnfest beginnt am Sonntag, den 27. Juli 1958 und endet am Sonntag, den 3. August 1958. Für unsere eigenen Veranstaltungen haben wir vorläufig den 29. und 30.07. in Aussicht genommen. Zur Abstimmung mit dem Festprogramm des Deutschen Turnerbundes sind Verhandlungen im Gange. Mit Hilfe unserer Freunde im DTB hoffen wir, recht viele Turnbrüder und Turnschwester aus der Sowjetzone nach München einladen zu können. Fröhliche Pfingsten! Gut Heil! Onkel Wilhelm

 

Seite 14   Repatriierungsabkommen

Die Präsidenten der Rot-Kreuz-Gesellschaften in der Bundesrepublik und der Sowjetunion haben eine Vereinbarung über die Rückführung deutscher und sowjetischer Staatsbürger in ihre Heimatländer unterzeichnet. Die Vertragspartner wollen die zuständigen Stellen bitten, dass die konkreten Anträge auf Repatriierung vom Standpunkt der Menschlichkeit entschieden werden. Sie versprechen, dafür zu sorgen, dass Heimkehrwilligen völlige Straffreiheit zugesichert wird, soweit es sich nicht um von beiden Seiten anerkannte Kriminelle handelt".

 

Seite 14   Nu aber Schluss! Von Dr. Lau  

Dreimal kam de Bertche zu frieh auße Schul,

Dreimal ließ die Lehrersche

Se solld sich mal waschen mit Wasser und Seif,

Da platzd de Muttche der Kragen.

 

Se huckd sich hin und se nahm dem Blei,

Dem Busen voll Zorn und voll Rache:

„Geehrtes Freilein! Ich schreibe Sie

In eine betreffende Sache.

 

De Bertche, die stinkt?! Da lacht ja de Katz,

Und de Kuh, de rotbunte, kichert!

Nu reißt mir der Zwirn, denn Ihnen hat

Bestimmt der Kurrhahn geschichert.

 

Sie is wohl e Druckknop im Kopp geplatzt,

Und nu blakt bei Sie der Zilinder!

Was stecken Se Ihre vornehme Nas

In andere Leil ihre Kinder!

 

Se denken emmend bei Ihr hohes Gehalt,

Ich werd vor Sie mir verkriechen?

Belernen sollen Sie meiner Mergell,

Belernen! Und nich beriechen!

 

Und wenn Se ihr noch mal beriechen tun,

 — Das wurmt mir im Herz wie e Stachel! —

Das sag ich Sie heeflichst, denn hat es gebumst,

Sie feinstreif'ge, pröß'ge Rachachel.

 

Denn schick ich Sie meinem Mann aufm Hals,

Im Guten nich mehr, nei, im Beesen,

Denn sind Sie bestimmt, das sag ich Sie,

De längste Zeit Freilein gewesen!"

 

Seite 14   Als berufene Mittler der Deutschen zwischen Ost und West erscheinen wieder Ostdeutsche Monatshefte.

Herausgeber: Carl Lange

Die Ostdeutschen Monatshefte werden im alten Geist ihre neuen in der Gegenwart noch bedeutsameren Aufgaben wieder aufnehmen und erscheinen ab Oktober 1955 im 22. Jahrgang Jährlich 12 Hefte - Reich bebildert. Jedes Heft für sich abgeschlossen Bezugspreise: Einzelheft DM 2,50, vierteljährlich DM 7,--. Bestellungen nimmt jedes Postamt entgegen. Helmut Rauschenbach Verlag, Stollhamm (Oldb.)

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt (44)

Liebe ostpreißische Landsleite! Heite will ich Ihnen mal was vom Herzog von Komorren erzählen. Der war nich Herzog, sondern hieß bloß so. Und Komorren finden Se auch auf keine Landkart nich, deshalb missen Se mir schon glauben, dass es inne Elbinger Gegend lag. Der Herzog war e greeßerer Besitzer, fleißig und orndlich, aber manchmal e bissche drollig, und immer hädd er Sperenzchens im Kopp. Einem Morgen kriegd er e Briefche vonnes Fäjangsamt, vonnes „Institut fier Christenverfolgung", wie er diese Beheerde immer tittelieren tat: „Da Sie viele Hühner halten, ersuchen wir um Mitteilung, ob Sie den Gewinn aus dem Verkauf der Eier bei der Einkommensteuer-Erklärung für das vorige Jahr mit angegeben haben. Im anderen Falle müssten Sie das umgehend nachholen“.

 

Darauf huckd er sich hin und schrieb zurick: „Das hab ich nich angegeben, denn ich bin e bescheidener Mann und kein Angeber, wo sich bei jede Gelegenheit seine Verdienste riehmt. Aber wenn ich nu dafier noch Steier bezahlen soll, denn schneid ich meine Hiehner de Gurgel durch und stecke ihnen im Kochtopp. Denn soll das Finanzamt selbst Eier legen. Bevor ich es aber dazu kommen lass, werd ich mir erst beim Misterium in Berlin perseenlich befragen. Solang missen sich nu noch gedulden“. Denn ging er aufes Feld, kam aber all nachmittag ziemlich frieh zurick und sagd zu seine Frau: „Gieb mir e neies Hemd, ich fahr heite abend nach Berlin beim Herr Mistrat im Misterium ... ja, ja, ich weiß all: Mistralrat! Und denn nimmst e altem Schuhkartong und packst mir e Mandel frische Eier ein, zum Bestechen. Fier mich giebst e paar gekochte Eier mit und e paar orndliche Enden Rauchwurst, de Nacht is lang“.

 

Da meind de Frau, er soll doch erst dem andern Morgen fahren, aber davon wolld er nuscht wissen, weil er denn in Berlin zweimal Loschie bezahlen missd. Das konnd er sich besparen. Auch e andrem Anzug wolld er nich anziehen, denn: „Kleider machen nich Leite, sondern verderben dem Karakter", meind er. „Untre griene Jopp schlägt meistens e ehrliches Herz, aber im Frack stecken oft de greeßte Halunken“. Die alte Stiefel vonnes Feld missd er sowieso anbehalten, denn er hädd am rechten kleinen Zeh e großes, hartes Hiehneraug. Das hädd mit die Zeit das Leder so ausgebeilt, dass es gut reinpassd. In jedem andern Stiefel tat es ganz aasig dricken, dass er kaum gehen konnd. Andre Bixen anzuziehen, war ihm zu umständlich. „Unten sieht mir doch keiner, wenn ich im Misterium am Tisch huck“.

 

So zog er bloß e neies Hemd an und dem sonntagschen Rock rieber. Denn nahm er seinem Kartong — „e Koffer sieht immer so vornehm aus. Da kann einer leicht ieberfallen werden" — setzd sich de alte blaue Mitz auf und ließ sich aufe Bahn fahren.

 

Morgens frieh um sieben kam er aufem Bahnhof Friedrichstraß an und ging gleich iebre Linden im Ministerium. Der Portjeeh kickd ihm misstrauisch vonne Seit an. Weil er seinem Kartongehe so vorsichtig mit beide Hände trug, dachd er nämlich, da is emmend e Bombe drin. Vier Wochen vorher hädd nämlich einer am Schloss e Bomb geschmissen, und nu war in alle Beheerden besondre Vorsicht befohlen. Und wie er nu noch sagd, dass er dem Herrn Mistrat Grabowski perseenlich sprechen wolld, da fing der Portjeeh inwändig an zu zittern. De Hauptsach war nu, Zeit gewinnen und de Pollezei ranholen.

 

„Der Herr Ministerialrat is noch jar nich da, der kommt erst jejen neun Uhr", sagd er, und das stimmd sogar. Dadrauf der Herzog: „Das is hier ja e scheene Wirtschaft! Wenn die hohe Herrens im Bett liegen, bis ihnen de Sonn im Dups scheint, kann es ja auch nuscht werden mittes Regieren!"

 

„Aha", dachd der Portjeeh, „jetzt hat er sich verraten! Der is gegne Regierung und gegnem Kaiser. Wahrscheinlich e Anarchist oder e Nihilist, auf alle Fälle sehr gefährlich. Nu sich bloß nuscht merken lassen, dass er nich misstrauisch wird!"

 

„Ich huck mir hier aufem Stuhl und werd warten, bis der Herr Mistrat kommt", sagd nu der Herzog. Der „Mistrat" ärgerd dem Portjeeh nich zu knapp, aber er durfd ihm ja nich reizen, sonst schmiss er ihm seine Bomb womeeglich gegnem Bauch, und denn war mischt mehr mit dem ruhigen Lebensabend und mit die wohlverdiente Pängsjohn. Deshalb lächeld er leitselig: „Ha, ha, — Mistrat! . . . juter Witz!"

 

Da sprang der Herzog auf, dass ihm bald der Kartong aufe Erd fiel: „Guter Witz, sagden Se? Se werden schon noch frieh genug erfahren, dass mit mir nich zu spaßen is. Sone Bemerkungen lassen Se man gefälligst unterwegens!"

 

Nu war alles klar. Der Kerl wurd aufsässig und fing an zu drohen. Genau so hädd der Portjeeh sich immer einem Bomben-Attentäter vorgestellt. Wenn ihm bloß nich der Kartong unverhofft auße Finger rutschd, ehr dass de Pollezei kam. Aber denn wolld er auftrumpfen! Im Stillens sah er sich all beim Herr Minister, wie der ihm de Hand drickd und ihm loben tat wegen seine Kaltblietigkeit und Geistesgegenwart. Und weil er das Attentat verhindert hadd, kriegd er vleicht jetz all dem Adlerorden und brauchd nich bis zu seine Pängsionierung dadaruf zu lauern. Vorleifig duckd er sich aber erst hintrem Schalter, dass bloß de Spitznas zu sehen war.

 

Da fing der Herzog an zu lachen: „Komische Leite seid Ihr hier! Draußen brillt Ihr Eich beim Sedangsfest de Lung außem Hals von Tapferkeit und Mannesmut, und hier kriecht Ihr untrem Papierkorb, wenn Eich bloß einer e bissche anbrascht!" In dem Momang kam e Pollezist rein, e richtger Blauer mit e Pickelhaub aufem Dassel. Der hädd mit einem Blick de Situatzjohn begriffen. Dazu geheerd auch nich viel, denn der Portjeeh war vor Angst kreideweiß wie der Kalk anne Wand und plinkerd durches Schalterfenster mittem linken Aug dem Schendarm an und mittem rechten Aug rieber zum Herzog.

 

Da ging das „Auge des Gesetzes" auf unserm Herzog los und fragd ihm kurz und barsch: „Was haben Sie in dem Kartong?" „Das geht Ihnen e Dreck an", meind der Herzog, „in dem Kartong kann ich haben, was ich will. Aber ich bin ja e gutmietges Luder. Stecken Se man erst Ihrem Schießeisen weg, denn wer ich es Ihnen sagen“. Da freid sich der Portjeeh, dass er all klein wurd, und kam nu raus aus seine Kaburr, schmiss sich inne Brust und stelld sich neben dem Schendarm in Posetuhr. Das mittem Mannesmut und mittem Papierkorb hädd ihm mächtig geärgert. Nu wolld er zeigen, dass er tapfer war, fier alle Fälle, sonst ging ihm womeeglich doch noch der Adlerorden anne Nas vorbei. Aber ihm flatterten dabei doch de Bixen, denn der Kerl konnd ja immer noch jedem Augenblick dem Kartong aufe Erd schmeißen.

 

Aber er tat es nich, sondern stelld ihm aufem Tisch und schnierd ihm auf. Neigierig kickden die beide zu. Und denn sagd er: „Die Eier will ich dem Herr Mistrat perseenlich iebergeben, wenn er mir gegnem Fäjangsamt hilft“. Ministerialrat heeßt det, und nicht Mistrat", sagd der Blaue, „und wat Sie vorhaben, ist eine jejetzwidrige Handlung, eine Beamtenbestechung. Wer sind Sie überhaupt?"

 

Da reckt sich der Herzog inne Höh und sagd so richtig von oben runter mit alle Zeichen der Ieberlegenheit: „Ich bin der Herzog von Komorren!" Aber de Wirkung war ganz anders, als wie er es erwartet hädd. Der Schendarm tippd sich mittem Finger am Kopp, ging am Telefong und rief dem Unfallwagen an. Auch der Portjeeh war nu fest davon ieberzeigt, dass se es mit einem Verrickten zu tun hädden.

 

Bis der Herzog nu richtig begriff, was se mit ihm vorhädden, kamen auch all zwei Kerdels mit e Tragbahr rein, und ob er wolld oder nich, wenn nich im Gutens, denn im Beesens, drickden se ihm runter und schnallden ihm fest. Er strampeld und wehrd sich, wie er konnd, aber se waren ihm ieber. Und zwischendurch sagd er immer wieder: „Lassen Se mich doch los! Ich bin wirklich der Herzog von Komorren und muss unbedingt dem Herr Mistrat Grabowski sprechen!" Es gab wirklich keinem Zweifel nich mehr. Er war ja zu bedauern, aber es half nuscht, er mussd hier weg.

 

Und wie se ihm denn endlich so weit hädden, dass se ihm raustragen konnden, kam der Herr Ministerialrat Grabowski durche andre Tier rein und fragd, was hier fier Spektakel gab. Da sagd der Portjeeh: „Nichts von Bedeutung, Herr Ministerialrat, ein schäbig angezogener Mann wollte Sie mit Eiern bestechen, und das habe ich verhindert. Er ist offensichtlich geisteskrank, denn er hält sich für den Herzog von Komorren!"

 

„Lassen Sie ihn hier und bringen Sie ihn zu mir ins Büro", sagd darauf der Herr Ministerialrat. Der schäbige Geisteskranke ist nämlich mein Schwager!" Da fiel dem Portjeeh das Kinn aufe Brust, und der Adlerorden war auch wieder im Eimer! Herzliche Heimatgrieße Ihr Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Heimatkreis Rößel. Heimatfotos.

 Auf dem Bochumer Treffen konnten zum ersten Mal echte Heimatfotos in Postkartengröße angeboten werden. Wir haben folgende Bildmotive:

 

Bischofsburg: Marktseite, A. Schulz-Fischer (B 1); Bischofstein: Luftaufnahme mit Kirche, Marktplatz usw. (Bs 1); Seeburg: Markt mit Kirche (S. 2); Seeburg: kath. und evgl. Kirche. Mühlengraben, Krankenhaus (vier Einzelbilder auf einer Karte) (S 1): Rößel: Markt mit Rathaus (R 1), Freilichtbühne (R 10); Gymnasium (Rg 1); Wallfahrtskirche Heiligelinde (L 1).

 

Die Aufnahmen von Bischofsburg und Rößel sind restlos ausverkauft. Sie werden Mitte Juni wieder lieferbar sein. Die Aufnahmen (in Postkartengröße) kosten einschl. Briefporto: 3 Stück 1,20 Mark; 4 Stück 1,60 Mark, 5 Stück doppeltes Briefporto! Bestellungen an den Unterzeichneten unter Angabe der Bestellnummern.

 

Staatliches Gymnasium

Auf der Versammlung unserer Schulgemeinschaft in Bochum am 19. Mai wurde beschlossen das Haupttreffen am 21./22. September in Meppen durchzuführen. Nähere Hinweise folgen im nächsten Rundschreiben. Die Patenschaftsübernahme findet bereits am Freitag, 28. Juni, in Meppen statt. Alle Kameraden, die an der Patenschaftsfeier teilnehmen wollen, werden gebeten, sich bei Herrn Leo Klafki, Herne (W.), Kronenstraße 35, zu melden.

 

Die Anschriftenliste wird neu gedruckt. Wohnungsänderungen usw. bitte noch rechtzeitig der Gymnasialkartei mitteilen!

Erwin Poschmann, Kisdorf/Holstein über Ulzburg.

 

Seite 15   Achtung! Ermländer!

Weil am Montag, 17. Juni 1957 Feiertag ist, findet in diesem Jahr das „Ermländer-Treffen" nicht am ersten Pfingstfeiertag, sondern am Sonntag, 16. Juni 1957, in bekannter Form in Bielefeld-Schildesche (im Lokal Lücking) statt. (Endstation der Straßenbahn der Linie 1 vom Hauptbahnhof Bielefeld.) Einer sage es dem anderen, damit wieder recht viele erscheinen.

 

Deutsche Konfirmationsfeiern in Goldap

Der deutschen evangelischen Restgemeinde in der südostpreußischen Stadt Goldap ist es nach jahrelangen Bemühungen gelungen, in einem Privathaus einen größeren Andachtsraum einzurichten. Der Saal wurde mit einer deutschen Konfirmationsfeier eingeweiht.

 

Treffen der Tilsiter Dragoner

Das Treffen des Bundes ehem. Tilsiter Prinz-Albrecht-Dragoner findet am 29./30.06. in Hameln/Weser, Bahnhofs-Hotel, statt. Verbunden mit diesem Treffen ist eine Feier zum 240-jährigen Bestehen des Regimentes. Alle Kameraden werden zu diesem Treffen mit ihren Angehörigen herzlichst eingeladen. Anmeldungen erbeten an Bruno Masurath, (16) Hofgeismar, Marktstraße 13.

 

Seite 15   „Ostpreußens Zukunft - Deutschlands Schicksal". Rege Vortragstätigkeit in Bayern — Dr. Schlusnus bei unseren Landsleuten zwischen Alpen und Donau.

I der nachstehenden Schilderung folgen wir den Spuren des Bezirksvorsitzenden von Oberbayer der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen in der Landesgruppe Bayern auf Icking/Obb. Hat selbst eine Anzahl von Vorträgen an manchen dieser Orte gehalten und ausgewähltes Bildmaterial aus Geschichte und Kultur Ostdeutschlands gezeigt. Der Sinn dieser Fahrten erfüllt sich in der Aufgabe, das Heimatbewusstsein unter den vertriebenen Ost- und Westpreußen zu stärken und in der einheimischen Bevölkerung das Verantwortungsgefühl für den deutschen Osten zu wecken.

 

Von der Bevölkerung Bayerns ist etwa jeder Hundertste ein Ost- oder Westpreuße. Diese run Hunderttausend Landsleute, die in Bayern heute leben, sind auf ein Gebiet verteilt, das den vierten bis dritten Teil der Fläche der Bundesrepublik ausmacht oder zehnmal so groß ist wie das Gebiet des Bundeslandes Hamburg, mehr als doppelt so groß Schleswig-Holstein. Berücksichtig man noch die natürliche wirtschafts- und arbeitsbedingte Anziehungskraft der Großstädte und Städte auf die Heimatvertriebenen, so wird die Streuung noch größer, die Verteilung der Ost- und Westpreußen über das ausgedehnte Gebiet noch weitläufiger. Vom Manager-Standpunkt aus betrachtet, ist Bayern natürlich kein lohnendes Feld für landsmanschaftliche Arbeit, das findet man manchmal auch überraschenderweise bestätigt. Der echte Idealismus unserer Heimatbewegung, die besonderen Qualitäten landsmannschaftlicher Arbeit aber zeigen sich gerade in einem so ausgedehnten Gebiet, wie es Bayern ist. Sie erschließen sich auch nur dem, der das Land kennt und wirklich zu den kleinen Gruppen heimatbewusster Landsleute hinkommt. Er allein kann auch auf einigen Widerhall seiner Bemühungen hoffen, das Verantwortungsgefühl für den deutschen Osten unter den Einheimischen zu fördern.

 

Angesichts der Situation, in so weitem Land auf sich selbst gestellt zu sein, erhöht sich das angeborene Unabhängigkeitsgefühl der Ost- und Westpreußen beträchtlich. Wenn nicht gleichzeitig die Nachbarschaft in ihrem Wert steigen würde, die technischen Schwierigkeiten, einen Zusammenhalt der Orts- und Kreisgruppen untereinander zustande zu bringen, wären schier unüberwindbar. Aber, wer auch nur eine geringe Ahnung von den Verhältnissen hat. wird bestätigen, dass all die Vorstände der weit verstreuten ost- und westpreußischen Heimatverbände in Bayern ihre Gruppen bereits seit langen Jahren aus eigener Kraft gesammelt haben und zusammenhalten. Sie sind Einzelkämpfer ganz im Sinne des Wortes. Dies Bewusstsein, das für die Sache der Heimat ein hohes Maß von Idealismus verlangt, verbindet sie alle, auch über weite Entfernungen hinweg. Alle haben sie erhebliche Opfer an Zeit, Arbeit und materiellen Leistungen gebracht und tun dies weiter. Keiner hat dadurch Vorteile erlangt oder gar beruflichen Nutzen daraus gezogen. So verschiedene Lebensbedingungen man vorfindet, so gleichmäßig ist der reine Idealismus, den man von Weilheim bis Traunstein, von Bad Aibling bis Ingolstadt vorfindet.

 

Wieder in Bad Aibling. Es herrscht leichtes, feuchtes Schneetreiben. Ein paar Schneewolken sind ins Land versprengt und lösen sich auf. Landsmann Krosta ist gerade mit der Neuwahl fertig geworden. Die Mitglieder der Gruppe haben sich einen kompletten Führungsstab gewählt: Fritz Krosta als ersten, Albert Sommer als zweiter Vorsitzenden, Fritz Kuschinsky als Schriftführer, als Kassenwartin Erika Kuschinsky. Fritz Krosta greift mitten in die aktuellen heimatpolitischen Probleme hinein und erteilt den „Verzichtpolitikern" eine gehörige Lektion. Schon erwartet und herzlich begrüßt tritt der Redner des angekündigten Vortrags ein. Aus unvergänglicher Geschichte und unsterblichem kulturellem Schaffen ersteht vor den Augen der Zuhörer das Bild des deutschen Menschen im Osten. Gegen Ende des Vortrags erscheint der Kopf des Ortelsburger Landrats Dr. von Poser auf der Leinwand und ein Notgeldschein dieser Stadt zur Erinnerung an die Volksabstimmung von 1920 mit dem bedeutungsvollen Spruch

 

„Beknechtet von Willkür grausam und schlecht,

glaub ich an Recht!

Umgeben von Finsternis mauerdicht,

glaub ich an Licht!" —

 

Das Farbbild der Marienburg bleibt auf der Wand vor den Augen der Betrachter stehen. — Die Berichterstatterin des „Mangfallboten" nennt Dr. Schlusnus einen eindrucksvollen Redner und sein Bildmaterial ausgesprochen schön und selten.

 

Auch in Weilheim, südlich des Ammersees, wartet man schon, als der Bezirksvorsitzende mit dem Referenten des Tages, Curt Winckelmann, Regensburg, eintrifft. Die Landsleute Ketelhut und Karau, die Vorsitzenden dieser Gruppe, haben es wieder geschafft, den großen Saal mit Besuchern zu füllen. Der Bürgermeister der Stadt ist anwesend. Curt Winckelmann hat schöne Filme über die Trakehner Pferdezucht mitgebracht und erzählt von Trakehnen, dem Paradies der Pferde, und von den großen Erfolgen der ostpreußischen Pferde auf den Turnieren der letzten Jahre. Das gemeinsame Lied „Deine Söhne, Land im Osten" lässt alte Zeiten wieder erstehen.

 

In Wolfratshausen an der reißenden Loisach läuft das gleiche Programm. Der Vorsitzende dieses Verbandes, der Bezirksvorsitzende selbst, hat viele interessante Gäste, auch oberbayerische Landwirte und Pferdefreunde, unter ihnen den Vorsitzenden des örtlichen Reitervereins, Dr. H. Schneider. Die Vorstandsmitglieder Karl Ebert, Gerhard Heidebreck und Horst Dzewas haben alle Hände voll zu tun. Ein besonderer Gruß gilt dem Kreisheimatpfleger, General a. D. Leuze. Die Gratulation zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nimmt er erfreut entgegen und dankt den Ostpreußen bewegt mit einem Erinnerungswort an seine ostpreußische Zeit. Nach Beendigung des Vortrags von Curt Winckelmann, der reichen Beifall erntet, tagt die „Königsberger Börsenhalle" noch im geselligen Kreis im Humpelbräu, einer alten Gaststätte des Ortes. Man erinnert sich, dass der Hohenstauferkaiser Friedrich Barbarossa in jungen Jahren einmal siegreich in die längst versunkene Burg Wolfratshausen eingeritten ist und dass ein Burgfräulein mit Namen Berta, Tochter des Wolfratshauser Andechsritters, Gemahlin des Kaisers Manuel Commenius II. von Konstantinopel wurde. Das freche Balg hatte sich in den Tross eines der vielen Kreuzzüge in den Orient, an dem ihr Vater teilnahm, eingeschmuggelt. Der geplagte Vater konnte das Töchterlein vom Balkan aus nicht mehr nach Hause schicken, und so wurde dann das abenteuerlustige Wolfratshauser Fräulein Kaiserin von Konstantinopel. Vorher soll sie der Vater aber noch ordentlich durchgehauen haben. — Als man auseinandergeht, ist der Markt mit den alten oberbayerischen Häusern still und verlassen.

 

München, Sitz der Landesgruppe Bayern. Unter Leitung von Rechtsanwalt Heinz Thieler nimmt sie als organisatorischer Mittelpunkt der Ost- und Westpreußen in Bayern immer festere Gestalt an. München, die Landeshauptstadt, ist nur knappe hundert Jahre älter als Königsberg und feiert im nächsten Jahre ihr 800-jähriges Bestehen. Hier ist der benachbarte Landsmann aus Icking bei der Gruppe West wieder einmal mit neuen Lichtbildern als Vortragender zu Gast. Lm. Lothar Polixa leitet die Gruppe mit großer Umsicht seit vielen Jahren.

 

Nach Traunstein zu fahren, verlockte den ostpreußischen Historiker Ferdinand Gregorovius schon damals, als der berühmte Geschichtsschreiber der Stadt Rom noch dort in der Via Gregoriana wohnte. Die idyllische Lage von Traunstein zog ihn so an, dass er später auch von München aus alljährlich dorthin zur Erholung fuhr. — Auch hier ist der Vorstand neu gewählt. Die bewährten Namen von Alexander Schadau, dem Vorsitzenden, dem Kassenwart Gronert und der Kultur- und Jugendreferentin Frau Roman bleiben an der Spitze vermerkt. Aus dem Kassenbericht zeigt sich, mit welcher ökonomischen Genauigkeit und Sparsamkeit die Gruppe ihren Bestand aus eigenen Kräften aufrecht erhält und welche umfangreiche kulturelle Wirksamkeit sie in vorbildlicher Weise mit so geringen Mitteln entfaltet. Der Lichtbildervortrag des Gastes „Ost- und Westpreußen im Kaleidoskop" lässt nicht nur Geschichte, Kultur und Landschaft im Bilde wirklich werden, sondern bringt auch viele bedeutende Menschen den Zuhörern zu Gesicht. Der Vortragende bedauert, das Bild eines bedeutenden Schriftstellers preußischen Geistes, der im KZ endete, nicht zu haben. Es handelt sich um Fritz Reck-Malleszewen. Da bietet überraschenderweise ein guter Kenner seiner Werke, Lm. Rodich, eine Photographie des Dichters zur Reproduktion an.

 

Nordwestlich von München, am Rande des Dachauer Moors, liegt ein Städtchen gleichen Namens. Dachau hat sich einen guten Ruf durch vielerlei Besonderheiten begründet. Der alte Ort über der Amper war im 16. Jhrdt. bevorzugter Sitz der bayerischen Herzöge. An einer Heerstraße gelegen, hatte er viel unter den Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts zu leiden. In Dachau ist als Sohn eines Gärtners Josef Effner (1687 - 1744) zur Welt gekommen, der größte Baumeister des bayerischen Rokokos. In der Gaststätte „Drei Rosen" sind die Ost- und Westpreußen und die Pommern versammelt. Die Vorsitzenden dieser Gruppe, die sich den Namen „Ordensland" gegeben hat, Kurt Dehn und Rudolf Bark leisten hier seit Jahren wichtige Aufklärungsarbeit. Der umfassende Lichtbildervortrag des Gastreferenten über die deutschen Kulturleistungen im pommerischen, ostpreußischen und baltischen Ostseeraum wird mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

 

An der Donau in Ingolstadt, der mittelalterlichen Festungs- und Kunststadt zugleich, ehemals Sitz der früheren bayerischen Landesuniversität, sprach Dr. Schlusnus im überfüllten „Schönen Saal" des Schlosses über das Thema „Ostpreußens Zukunft — Deutschlands Schicksal!" Hier hatte Lm. Willy Borcherdt, ein trotz seines Alters ungewöhnlich lebendiger Herr, nicht nur den Vortrag der Volkshochschule Ingolstadt vermittelt, sondern auch die Ostdeutschen der Stadt aufgeboten. Ein seltenes Erlebnis, in so bevorzugter Umgebung und vor so interessiertem Publikum zu sprechen und an solch einer eindrucksvollen Veranstaltung teilzunehmen. Der „Donau-Kurier" nennt die gezeigte Bildauswahl hervorragend und den Vortragenden einen glühenden Anwalt der ostpreußischen Belange, getreu dem als Thema gewählten Wort aus der kritischen Zeit von 1919. „Der Saal war brechend voll, wie es der Vortrag verdiente“.

 

Einen Abstecher stellt der Besuch der Industriestadt Fürth dar. Vom 11. Stock des Hochhauses zeigt Hauptlehrer Hermann Adomat dem Gastreferenten die ausgedehnte Stadt, die Türme der Kirchen und die Gebäude der zahlreichen Fabriken. Er hat auch diese Vortragsveranstaltung arrangiert. Als Stellvertreter des 1. Vorsitzenden Kreitschmann begrüßt Lm. Franz Weidmann mit herzlichen Worten die Versammlung. Die Chorgemeinschaft Oswald Fock trägt zwei stimmlich sauber durchgearbeitete Heimatlieder vor, und Lm. Bruno Hahn vom Rundfunkstudio Nürnberg rezitiert aus der Dichtung von Agnes Miegel, ehe der Lichtbildvortrag „Heimatrecht und Heimatwille" beginnt. — Am Schluss der Veranstaltung bleibt man noch zu geselliger Unterhaltung lange beisammen.

 

Wie alles zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, so auch diese Ausflüge in das Land zwischen Alpen und Donau. Nun hat in Wolfratshausen auch der heimatpolitische und Kulturreferent der Landesgruppe, Erich Diester, seinen Vortrag über „unser Geschichtsbild im Hinblick auf den deutschen Osten" gehalten. An die drei schönen Tonfilme über das Ordensland Ost- und Westpreußen schließt sich ein aktueller Film von Freiheitskampf der Ungarn an. Kreisrat Dr. Seiler, ein altbayerischer Heimatfreund, sagt zu seinem Dank das Schlusswort: „Wir müssen alle zusammenhalten, denn an unsere Tür klopft vernehmlicher als früher eine harte Faust“.

 

Seite 15   Tübingen

Agnes Miegel, der großen ostpreußischen Dichterin, war die Maiveranstaltung der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen gewidmet. Für die Rezitationen aus dem Werk Agnes Miegels hatte sich in liebenswürdiger Weise das Mitglied des Landestheaters Tübingen, Renate Grosser-Myhling, zur Verfügung gestellt. Ihrer großen Vortragskunst gelang es, das dichterische Wort zu beseelen und zur Wirkung zu bringen. Es ist begreiflich, dass die Zuhörer sich diesem Banne nicht entziehen konnten. Auch im süddeutschen Raum erkennt und würdigt man immer mehr den bedeutenden Beitrag, den Agnes Miegel zur deutschen Gegenwartsdichtung geleistet hat. Ihren ostpreußischen Schicksalsgefährten aber schenkt sie immer wieder in ihren Gedichten und Erzählungen das Bild der Heimat, ein beglückendes Nacherlebnis unwiederbringlicher Jahre der Kindheit und Jugend.

 

Der Vorsitzende, Kanzler a. D. Gaerte, konnte in seinen einführenden Worten ein Handschreiben der greisen Dichterin mit Grüßen an die Zuhörer dieses Abends verlesen, und er fand begeisterte Zustimmung zu der Mitteilung, Agnes Miegel mit einer Dankadresse, künstlerisch gestaltet von Lm. Rautenberg, die herzliche Verbundenheit der versammelten Landsleute auszudrücken.

 

Seite 15   Humoristische Reise in die Heimat. Dr. Lau vor seinen ostpreußischen Landsleuten im Kreise Düsseldorf-Mettmann.

Am 4. und 5. Mai hielt Dr. Alfred Lau, der bekannte Heimatschriftsteller und langjährige Intendant des Königsberger Senders seine mit Begeisterung aufgenommenen Vorträge in Hilden und Mettmann, am 11. und 12. Mai in Heiligenhaus, Kettwig und Velbert.

 

Überall jubelten ihm seine Landsleute zu und wünschten ein baldiges Wiedersehen mit ihm. In jedem Fall war das Erscheinen des sympathischen Mannes ein Erfolg für die Gruppen, vor denen er sprach. Die zahlreich erschienenen Besucher erlebten wirklich „eine Reise in die Heimat", wie sie der Vortragende mit seinen Zuhörern unternahm. Eine Reise in eine urgemütliche Atmosphäre und urostpreußische Geborgenheit. Was Dr. Lau brachte, war natürlich und volksecht, war nicht gekünstelt und nicht geziert, es darf als echte Volkskunst angesprochen werden. Selten versteht ein Künstler seine ostpreußischen Landsleute so wie er, der seit Jahrzehnten ihre Mundart belauscht hat und ihre köstliche Einmaligkeit in Reim und Vers zu erhalten versucht. Und wie schnell verstehen ihn seine Landsleute, weil er sie in ihrer ureigensten Art anzusprechen versteht. Sein Schaffen ist wohl einmalig.

 

Aber nicht nur Ostpreußen waren es, die Dr. Lau schätzen und verehren lernten. Begeistert gegebene Urteile kamen von Westpreußen, Sachsen, Pommern und Brandenburgern. Gerade Kettwig, wo der Ostpreuße Dr. Lau vor dem Bund vertriebener Deutscher sprach, d. h. vor Menschen aus allen Vertreibungsgebieten, erntete er von der ganzen Versammlung eine ungeteilte, uneingeschränkte Zustimmung für sein Können.

 

Die volkstümlichen Vorträge Dr. Alfred Laus erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit.

 

Seite 15   Wilhelmshaven

Zu einem „Frohen Abend im Mai" versammelten sich die Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen. Unter Mitwirkung von Frau Grandowski (Klavier) und dem Ehepaar Fuchs (Gesang) gestaltete sich dieser Abend zu einer besinnlichen Feierstunde. Dichtung, Musik und Liedgut unserer Heimat bestimmten das Programm. Gedicht und Prosa von Agnes Miegel, Ernst Wiechert, Gertrud Papendieck u. a. ließen Melodie und Schönheit ostpreußischer Landschaft aufklingen.

 

Obermedizinalrat Dr. Zürcher berichtete im Anschluss über das Bundestreffen in Bochum. Dieser Appell an die Welt werde unüberhörbar sein.

 

Die nächste Zusammenkunft findet nicht am ersten Montag im Juni, sondern am Johannestag, also am 24. Juni bei Dekana statt. Die Juliveranstaltung fällt dadurch aus. Im August soll wieder eine Fahrt „ins Blaue" gestartet werden, Einzelheiten werden noch nicht verraten.

 

Seite 15   Seesen

Einen schönen Erfolg konnte die Gruppe der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen mit ihrem letzten Heimatabend buchen, bei dem Mittelschullehrer Budzinski die Farblichtbildreihe von Margarete Kudnig „Masuren im Zauber der Farbe und im Spiegel der Dichtung" zeigte. Eine Ergänzung erfuhr dieser Vortrag durch eingestreute, gemeinsam gesungene masurische Volkslieder. Ein heiterer Teil schloss sich an, aus dessen Programm vor allem Lmn. Lina Fahlke mit humoristischen Vorträgen, Lm. Held als Geigensolist und Lm. Blaesner mit Liedern zur Laute genannt seien.

 

Der nächste Heimatabend findet am 6. Juli statt. Anmeldungen für den Busausflug in den Südharz bis spätestens 30. Juni im Elektro-Geschäft Schmitz (Röder).

 

Seite 15   Bad Gandersheim

Unter dem Motto „So fröhlich war's bei uns zu Hause" gestaltete Frau Lina Fahlke, Seesen, einen Heimatabend bei den Ost- und Westpreußen in Bad Gandersheim. Zwei Stunden unterhielt Lmn. Fahlke ihre begeisterten Zuhörer mit Proben köstlichen ostpreußischen Humors aus den Sammlungen von Dr. Lau, Robert Johannes, Wilhelm Reichermann u. a. Die Landsleute dankten mit reichem Beifall und verpflichteten die Rezitatorin zu einem weiteren Abend noch im Laufe dieses Jahres.

 

Seite 15   Lübbecke in Westfalen

Bei der letzten Monatsversammlung konnte als Gast der Bezirksvorsitzende Lm. Micheau-Bielefe!d teilnehmen. Eine Diskussion am Runden Tisch über Fragen der Wiedervereinigung und der letzten russischen Note an Bonn, bestimmten den ersten Teil des Abends. Im Anschluss ging es mit einem Quizraten in Kultur und Geschichte der Heimat. Die Jugendgruppe bot Volksliedvorträge und Lmn. Görke sorgte mit heiteren Vorträgen für Stimmung und Humor.

 

Seite 15   Rentenumwandlung in Altersruhegelder

Nach den Rentenneuregelungsgesetzen waren die Renten in der Invaliden- und Angestelltenversicherung, die bereits im Dezember 1956 und früher gezahlt wurden, in der Regel so umzustellen, dass die in den Renten enthaltenen Steigerungsbeträge mit den maßgeblichen Faktoren multipliziert wurden. Die sich ergebende Summe war die Höhe des neuen Rentenzahlbetrages. Es war nun klar, dass auch diese umgestellten Renten in die Kategorien der neuen Rentenarten einzureihen waren. Darüber besagen die neuen Vorschriften folgendes.

 

Die umgestellten Renten an Versicherte, die vor dem 1. Januar 1892 geboren sind, gelten als Altersruhegeld. Die umgestellten Renten an Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1891 geboren sind, gelten als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Vollendet ein Rentenempfänger, der nach dem 31. Dezember 1891 geboren ist und dessen Rente umgestellt ist, nach dem Inkrafttreten dieses Gesetz das 65. Lebensjahr, so ist seine Rente ohne Kinderzuschuss auf fünfzehn Dreizehntel des bisherigen monatlichen Zahlbetrages zu erhöhen; die so erhöhte Rente gilt als Altersruhegeld. Sind für den Rentenempfänger in der Zeit vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an Beiträge für mehr als zwölf Monate geleistet, so ist die Rente neu zu berechnen; die neue Rente ohne Kinderzuschuss darf den nach Satz 1 zu errechnenden Betrag nicht unterschreiten.

 

Daraus ergibt sich, dass die Rentner, die vor dem 01.01.1892 geboren sind, als Altersrentner gelten. In den Umstellungsfaktoren für diese Rentner ist der Steigerungssatz für die Altersruhegelder von 1,5% bereits berücksichtigt. Dagegen werden die Rentner, die nach dem 01.01.1892 geboren sind, als Erwerbsunfähigkeitsrentner angesehen. In den Umstellungsfaktoren dieser Rentner ist nur ein Steigerungsbetrag von 1,3% vorgesehen. Für diese Rentner ist nun die umgestellte Rente bei Vollendung des 65. Lebensjahres um 2/15 zu erhöhen. Diesen Rentnern wird daher empfohlen, nach Vollendung des 65. Lebensjahres beim zuständigen Versicherungsträger (Invalidenrentner bei der Landesversicherungsanstalt, Angestelltenrentner bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin-Wilmersdorf, Ruhrstraße 2) die Umwandlung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente in einer Altersrente zu beantragen. In dem Antrag sind die genauen Personaldaten und das Geschäftszeichen des Versicherungsträgers anzuführen. Eine Geburtsurkunde (ev. Photokopie) oder mangels einer solchen Urkunde ein Familienstandszeugnis, aus dem das Geburtsdatum ersichtlich ist, ist dem Antrag beizugeben. Das Familienstandszeugnis kann bei der Gemeinde gebührenfrei beantragt werden.

 

Seite 15   Sechs Millionen Vertriebenen-Ausweise

Im Bundesgebiet und in Westberlin wurden bis zum Ende des Jahres 1956 nahezu 7,1 Millionen Anträge auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 15 des Vertriebenengesetzes gestellt. Davon hatten die Anträge auf Ausweis A mit 88,2 Prozent den größten Anteil. Die Anträge auf Ausweis B waren mit drei Prozent beteiligt und die Anträge auf Ausweis C mit 8,8 Prozent.

 

Von den gestellten Anträgen wurden 83,7 Prozent durch Ausstellung von Ausweisen, 3,5 Prozent durch Ablehnung, weitere 3,5 Prozent durch Rücknahme, Verzug oder Tod erledigt, während noch 9,3 Prozent unerledigt geblieben sind. Von den Anträgen auf Ausweis A wurden über 5,45 Millionen — das sind 87,3 Prozent aller Anträge dieser Gruppe — genehmigt; betroffen wurden davon mehr als 7,1 Millionen Personen. Mit 74,6 Prozent ist die Quote der bewilligten Anträge auf Ausweis B bereits erheblich geringer; ausgestellt wurden hier über 159 000 Ausweise für annähernd 221 000 Personen. Von den Anträgen auf Ausweis C wurden mehr als 314 000 — das sind 50,7 Prozent —- Anträge für annähernd 439 000 Personen bewilligt. Die Ablehnungsquote betrug bei den Anträgen auf Ausweis A 0,6 Prozent, bei den Anträgen auf Ausweis B 7,8 Prozent und bei den Anträgen auf Ausweis C 31,4 Prozent aller in der jeweiligen Gruppe gestellten Anträge.

 

Die Gegenüberstellung der großen Zahl der eingegangenen Anträge auf Ausstellung eines Ausweises A, der den Heimatvertriebenen zusteht mit den vom Statistischen Bundesamt geschätzten Zahlen der Antragsberechtigten zeigt, dass in Westdeutschland und Westberlin bereits 96,1 Prozent aller Antragsberechtigten von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben.

 

Seite 16   Hornhaut und Schwielen an Händen und Füßen. Hartes Schicksal eines jungen Mädchens.

Unsere Sechzehnjährigen können zum größten Teil ein unbekümmertes, fröhliches Dasein führen wenn sie auch im Kriege geboren sind und in ihren ersten Lebensjahren vieles entbehren mussten. Gertrud Köbke aus Hohensalza war sechzehn Jahre alt, als der Krieg sein Ende fand. Fast die Hälfte ihres Lebens hatte er überschattet, aber die viel schwerere Zeit kam dann erst. Von der Mutter und ihren Geschwistern wurde sie getrennt und gelangte in einem Lazarettzug nach Masuren, während die Mutter als Kranke nach Deutschland gebracht wurde. Drei Jahre lang wurde Gertrud hinter Stacheldraht festgehalten und mit ihren deutschen Leidensgenossen Tag für Tag unter Bewachung zur Arbeit geführt. Es war nicht gerade die leichteste Arbeit, die man dem jungen Mädchen gab; die Hände wurden dabei rau und schwielig, die Füße sind noch immer mit Blasen und Hornhaut bedeckt aber Gertrud verzagte nicht. Sie schuftete und hoffte, dass sich ihr Los eines Tages bessern würde. Und wirklich kam dieser Tag. Zwölf Jahre sind allerdings darüber ins Land gezogen. Jetzt konnte sie zu ihrer Mutter in den Harz fahren und dort ihre Geschwister wiedersehen. Sie ist überglücklich, endlich, endlich bei ihnen zu sein und Last und Bedrückung der letzten zwölf Jahre vergessen zu können.

 

Seite 16   Monatlich 6000 bis 7000 Aussiedler. Insgesamt werden 80 000 Deutsche in diesem Jahr erwartet

Die Aussiedlung der Deutschen aus Polen und aus den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten verläuft jetzt in ruhigeren Bahnen. Nachdem in den ersten drei Monaten dieses Jahres in großen Schüben 25 000 Deutsche im Bundesgebiet eingetroffen sind, kommen zurzeit monatlich 6000 bis 7000.

 

Die Deutschen, die sich bei den polnischen Behörden zur Aussiedlung nach Westdeutschland melden, erhalten eine Art Marschbefehl nach Stettin, werden dort dreimal wöchentlich zu Transporten zusammengefasst und erreichen in Sonderzügen das Lager Friedland. Jeder Transport umfasst 500 bis 600 Personen. Die polnischen Behörden hatten im März angekündigt, jeder Sonderzug werde 400 Personen bringen. Die Erhöhung der Zahl wird aber dadurch ausgeglichen, dass die gleichzeitig angekündigten Sonderzüge aus den einzelnen „Wojedwodschaften", die ältere Leute bringen sollten, bisher ausgeblieben sind.

 

Wenn die Transporte im jetzigen Umfang fortgesetzt werden, sind im Laufe dieses Jahres insgesamt etwa 80 000 Deutsche zu erwarten. Manche Aussiedler berichten aber, dass die Aussiedlungsaktion im Sommer abgebrochen oder vorübergehend unterbrochen werden solle. Sichere Nachrichten liegen darüber noch nicht vor.

 

Die zuständigen deutschen Behörden sind besonders erfreut über die Tatsache, dass sich in den jetzigen Transporten viele Leute in jüngerem und mittlerem Alter befinden, die verhältnismäßig leicht eine Existenz in Westdeutschland finden. Sorgen bereitet aber nach wie vor die Versorgung der Aussiedler mit Wohnraum. Es ist notwendig, den Wohnungsbau in den Ländern zu beschleunigen, damit die Aussiedler nicht wieder in Lagern untergebracht werden müssen. Schwierigkeiten macht außerdem der Unterricht für die Kinder und Jugendlichen, die vielfach nicht Deutsch schreiben können.

 

Sollen sie verhungern?

In Arnsdorf hat man erst jetzt eine wichtige Entdeckung gemacht: die im Vorjahr erfolgte Steigerung des Viehbestandes war falsch, weil nicht genügend Futter zur Verfügung steht. Die wackeren landwirtschaftlichen Planer stellten nachträglich fest, dass mit der Erhöhung des Viehbestandes nicht eine Erhöhung der Anbauflächen für Futter verbunden war, so dass nun Notschlachtungen oder Verkäufe notwendig sind. „Andernfalls verhungern die Tiere", wie ein Agronom-Funktionär aus Guttstadt auf einer Arnsdorfer Versammlung prophezeite.

 

Frauenburg.

Um die wenigen polnischen Einwohner Frauenburgs an der Abwanderung zu hindern, haben sich die örtlichen Behörden einen besonderen Trick ausgedacht. Sie versprechen nämlich jedem Bürger, der ein Jahr am Orte ist beträchtliche Steuervergünstigungen. Den Arbeitern soll weniger Lohnsteuer abgezogen werden, und die noch anzulockenden Geschäftsleute will man von einem Teil der Einkommensteuer befreien. Schleierhaft ist bisher, wie die Verwaltung das durch diese Manipulationen entstehende Defizit decken will. Anscheinend verzichtet man auf die der Stadt aus dem Steueraufkommen zufließenden Beträge, um die Menschen in der immer verödeten Stadt zu halten und neuen Siedlern Anreiz zum Herkommen zu geben.

 

Seite 16   Albert Schweitzer

In schlimmster Weise vergeht man sich gegen das Recht des geschichtlich Gegebenen und überhaupt gegen jedes menschliche Recht, wenn man Völkerschaften das Recht auf das Land, das sie bewohnen, in der Art nimmt, dass man sie zwingt, sich anderswo anzusiedeln. Dass sich die Siegermächte am Ende des zweiten Weltkrieges dazu entschlossen, vielen hunderttausend Menschen dieses Schicksal — dazu noch in der härtesten Weise — aufzuerlegen, lässt ermessen, wie wenig sie sich der ihnen gestellten Aufgabe einer gedeihlichen und einigermaßen gerechten Neuordnung der Dinge bewusst wurden. 

 

Seite 16   Lagertragödie Friedland hält weiter an. Ostdeutsche Aussiedler ohne Hilfe — Ostpreußin vom Mann verstoßen

Ergreifende Szenen menschlichen Leides spielen sich zurzeit wieder im Heimkehrerlager Friedland bei Göttingen ab. Durch den seit Monaten anhaltenden Zustrom zuerst der Ungarn und jetzt der Aussiedler aus dem deutschen Osten sind die Vorräte an Liebesgaben und Bekleidungsstücken nahezu aufgebraucht und vom Nachschub wie abgeschnitten. Obwohl in Bonn und den Länderhauptstädten staatliche Stellen und wiederholt die Wohlfahrtsorganisationen zur Hilfeleistung aufgerufen haben, blieben die Vorratslager leer. Dabei kommen fast täglich 200 bis 300 Personen starke Aussiedler-Transporte an.

 

Im Lager Friedland können die Aussiedler höchstens zwei bis drei Tage bleiben. Dann müssen sie zu ihren Angehörigen in den Bundesländern, oder in Baracken und Notquartiere umziehen. In den Aufnahmegebieten, die sich an Friedland anschließen, mussten bereits Baracken oder Barackenlager belegt werden, obwohl ihre Auflösung beschlossen war. Da in diesem Jahr insgesamt 400 000 Deutsche — allein aus den polnisch verwalteten Gebieten über 80 000 Personen — in die Bundesrepublik einreisen sollen, ist augenblicklich noch völlig ungewiss, wie diese Zuwanderer menschenwürdig untergebracht werden können. Der Bund hat bisher 24 Millionen Mark für ein Sonderbauprogramm bewilligt und gibt außerdem weiter Gelder, aber einige zusätzliche Wohnungen werden erst in einigen Monaten zuteilungsreif.

 

Während die amtlichen Stellen die Eingliederungsmaßnahme korrekt durchführen und die Wohlfahrtsverbände unterstützen, macht sich immer mehr die nachlassende private Hilfsbereitschaft bemerkbar. So kam dieser Tage eine Frau mit ihren zwei Söhnen aus Ostpreußen, wo sie die Hölle auf Erden erlitten hatte, nach Friedland. Ihr Mann wohnt seit Jahren bei Hannover. Als ihn das Rote Kreuz von der Ankunft seiner Familie informierte, teilte er Friedland mit, dass er weder Frau noch die Kinder bei sich aufnimmt. Nach der formellen Abfertigung in Friedland reisten dann die Frau und die beiden Kinder in die Nähe ihres Mannes. Dort suchten sie bei der Polizei Rat, und die Wohlfahrtsbehörde vermittelte ihnen eine Notunterkunft.

 

Seite 16   Familienanzeige

In Hamburg verschied am 13. Mai 1957 im Alter von 94 Jahren unser Senior, das Ehrenmitglied des Königsberger Turnclubs, Turnbruder Paul Werner. Mit ihm ist einer der Treuesten, ein besonderer Freund und Förderer der Turnerjugend, ein im echten Geist Jahns lebender, das Vaterland und die Heimat über alles liebender Mann von uns gegangen. In seinem Sinne wollen wir weiterwirken und sein Andenken in Ehren halten! Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen, Wilhelm Alm

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