Ostpreußen-Warte, Folge 03 vom März 1953

Folge 03 vom März 1953

Ostpreußen-Warte, Folge 03 vom März 1953

 

Seite 1   Warburg-Plan und Plebiszit-Vorschlag

Die Meldung des Korrespondenten des „Pressedienstes der Heimatvertriebenen in Washington, wonach gegenwärtig in maßgeblichen politischen Kreisen der amerikanischen Bundeshauptstadt zwei „Kompromissvorschläge“ zur Lösung der Frage der Oder-Neiße-Linie erörtert werden, hat durch die Veröffentlichung des „Warburg-Plans" nicht nur ihre Bestätigung, sondern auch ihre besondere Beleuchtung erhalten. Nach der hvp-Meldung werden in Washington gegenwärtig zwei Pläne eingehend erörtert:

1. Veranstaltung eines Plebiszits unter den Vertriebenen in Westdeutschland, um zu ermitteln, wie viele von ihnen überhaupt in ihre Heimat zurückzukehren gedenken. Nach den Ergebnissen dieses Plebiszits soll die „Anzahl der Quadratmeilen errechnet" werden, die in deutsche Verwaltung zurückgegeben werden sollen.

2. „Rückgabe“ Ostpommerns, Ostbrandenburgs und Niederschlesiens an Deutschland, jedoch Abtretung Oberschlesiens und Ostpreußens an die jetzigen Verwaltungsmächte. Das ist der sogenannte „Warburg-Plan", nach dem seitens der USA eine „Regelung" mit der UdSSR in dieser Frage angestrebt werden soll unter gleichzeitiger „Neutralisierung" Deutschlands unter UN-Kontrolle.

Hierzu bemerkt der „Pressedienst der Heimatvertriebenen", dass der Warburg-Plan für die Heimatvertriebenen indiskutabel ist, da er dem Artikel II der Atlantik-Charta ebenso widerspricht wie er dem Vier-Mächte-Abkommen vom 5. Juni 1945 strikt zuwiderläuft, wonach die Grenzen Deutschlands die vom Jahre 1937 sind und keine anderen.

Eine aufmerksame Beachtung dagegen verdient der sogenannte Plebiszit-Plan, der vor allem auch von jenen politischen Kreisen Washingtons aufs ernsteste erörtert wird, die in den vergangenen Jahren wiederholt sich für die Menschenrechte der Heimatvertriebenen eingesetzt haben und insbesondere unter Mitwirkung von Senatoren und Kongressabgeordneten oder zum mindesten eine Reihe von Eingaben an den Kongress das deutsche Vertriebenenproblem in seiner ganzen Bedeutung den verantwortlichen Politikern der USA vor Augen führten. Eine bloße Ablehnung des Plebiszit-Plans von deutscher Seite erscheint schon deshalb nicht angebracht, weil er gerade von den Kreisen vertreten wird, die sich wirklich darum mühen, eine „gangbare Lösung" zu erarbeiten und die entsprechenden Vorschläge dann bei der Exekutive zum Tragen zu bringen. Es ist daher für die Organisation der Vertriebenen und ihre gewählten und verantwortlichen Leiter und Ausschüsse von Bedeutung, folgendes in Betracht zu ziehen:

1. Während des letzten Präsidentschaftswahlkampfes hat die Republikanische Parteileitung erklärt, dass für die Lösung der deutschen Grenzfragen ein Verfahren nach Art. II der Atlantik-Charta zugrunde gelegt werden soll, wonach keinerlei Grenzveränderungen im Widerspruch zu den frei zum Ausdruck gebrachten Willen der betroffenen Bevölkerung erlangen sollen.

2. Her Plebiszit-Plan hat an sich eine lange Geschichte, wurde doch bereits vor einigen Jahren vor, bestimmten politischen Kreisen der Vereinigten Staaten mit exilpolnischen Vertretern darüber verhandelt, dass eine Volksabstimmung über die Zukunft der Oder-Neiße-Gebiete stattfinden solle, jedoch allein eine Abstimmung unter der neuangesetzten polnischen Bevölkerung und unter Ausschluss der Heimatvertriebenen. Diese Meldung der kanadischen Presse war damals zunächst zweimal dementiert worden, wurde dann aber in einer HICOG-Verlautbarung aus Frankfurt als im Wesentlichen zutreffend bestätigt.

3. Gegen diesen Plan haben sich damals dieselben amerikanischen Kreise gewandt, die jetzt die Frage eines Plebiszits unter den Vertriebenen erörtern.

4. Dieser Plebiszit-Vorschlag geht insbesondere auf das exil- bzw. amerikapolnische Vorbringen zurück, wonach

a) nur ein kleiner Teil der Vertriebenen in die Heimat zurückzukehren gedenke, da es ihnen im Westen bereits „wesentlich besser gehe" als in ihren Heimatgebieten jenseits der Oder-Neiße, die schon immer nichts als ein „Ballast" des Reiches gewesen seien,

b) die „Gefahr" einer „neuen Austreibung" der inzwischen jenseits der Oder neu angesetzten polnischen Bevölkerung begegnet werden müsse.

5. Das Plebiszit soll nur im Westen stattfinden, weil es hier allein stattfinden kann. Die Vertriebenen in Westdeutschland sollen also für ihre Landsleute und Schicksalsgefährten in der Sowjetzone und in den Heimatgebieten sowie in Osterreich zugleich „stellvertretend" abstimmen.

6. Es besteht noch keine Klarheit darüber, wer „abstimmungsberechtigt" sein soll, ob sämtliche Vertriebenen oder nur diejenigen Reichsdeutschen, die von jenseits der Oder und Neiße gekommen sind.

7. Weder die Modalitäten des Plebiszits, noch die Richtlinien für die „Auswertung" sind bisher ausgearbeitet, doch scheint es, dass - analog dem Warburg-Plan für das Saargebiet - an eine Abstimmung unter UN-Kontrolle gedacht wird. - Werden diese Punkte in Übersicht betrachtet, so ergibt sich, dass noch eine ganze Reihe von Fragen vorher zu klären sind, bevor eine endgültige Stellungnahme von Seiten der deutschen Heimatvertriebenen erfolgen kann. Es ist aber festzustellen, dass dieser Plebiszit-Plan auch bei den Heimatvertriebenen eine ernste Beachtung findet, wobei jedoch sogleich hinzugefügt werden muss, dass die Frage einer Realisierung der Ergebnisse eines Plebiszits durchaus nicht allein von den USA abhängt, auch nicht vom Westen überhaupt einschließlich der exilpolnischen Vertretungen, sondern allein von einem „Deal" mit der Sowjetunion, über dessen Aussicht man mit Recht pessimistischer Ansicht sein kann. Aber für die Auflockerung der Haltung des Westens und besonders Washingtons in dieser Frage könnte dieses Plebiszit zweifelsfrei von großer Bedeutung sein, umso mehr, als mit dem Vorschlag erste Anzeichen für den Versuch gegeben sind, überhaupt konstruktive Lösungen ins Auge zu fassen und vorzubereiten. Unter diesen Gesichtspunkten sind die beiden Vorschläge zu betrachten, was bedeutet, dass es gänzlich verfehlt wäre, wenn irgendwelche Vertriebenenkreise überoptimistische Schlussfolgerungen ziehen würden.

 

Seite 1   Wolfsschanze jetzt Russenhauptquartier

Wie aus Stockholm gemeldet wird, ist das ehemalige „Führerhauptquartier“ bei Rastenburg von sowjetischen und polnischen Militärbehörden wieder in Betrieb genommen worden.

Die „Wolfsschanze" fiel nach dem deutschen Rückzug 1945 den Sowjets unzerstört in die Hände. Damals erstreckten sich die unterirdischen Anlagen des ehemaligen FHQ über einen Raum von 38 km Länge und 3 - 5 km Breite. Ostpreußen wird im Augenblick zu einer unerhörten Militärbasis ausgebaut. Im sowjetischen Teil herrscht seit kurzem starke militärische Tätigkeit. Es werden häufige Übungen von Fallschirmjägereinheiten und Übungseinsätze von Düsenjägern gemeldet. Die Wolfsschanze wird von sowjetischen und polnischen Truppen gesichert. Es hat den Anschein, als wenn die Zusammenarbeit der sowjetischen und polnischen Militärs verstärkt worden ist. Die Streitkräfte dieses Gebietes unterstehen einem gemeinsamen Kommando und die sowjetisch-polnische Grenze besteht praktisch in diesem Gebiet nicht mehr. Bisher lag die Wolfsschanze auf sowjetischem, die Stadt Rastenburg auf polnischem Gebiet.

Es wird vermutet, dass die Sowjets das Gebiet zum Kern einer großen Militärbasis machen wollen. Hohe sowjetische Offiziere und der Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte, Marschall Rokosowski, haben das ostpreußische Gebiet inspiziert Die militärischen Planungen dürften seit langem bestanden haben, da bereits seit 1946 die planmäßige Zerstörung einer Reihe von Orten und Kleinstädten in diesem Kerngebiet gemeldet wurden, nach gewissen Nachrichten aber die Kasernen verschont blieben und sogar weiter ausgebaut wurden.

 

Seite 1   Polen lebt vom deutschen Osten

Erstmals veröffentlicht die in Warschau erscheinende Zeitschrift „Zycie Slowianskie" genauere Ziffern über den Anteil der unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete an der polnischen Gesamtproduktion. Danach beträgt ihr Anteil an der industriellen Erzeugung nach dem Stande von 1951/52 rd. 24 v. H., wobei vor allem die schlesische Industrie im Vordergrund steht. Bei der landwirtschaftlichen Erzeugung ist der Anteil der Oder-Neiße-Gebiete folgender: Getreide 37%, Kartoffeln 34%, Fleisch 28,5% und Milch sowie Milchprodukte 32,5%.

Nach einem Bericht der Warschauer Zeitschrift „Nowo Drogi" betrugen beispielsweise in der gesamten „Wojewodschaft Danzig" im Jahre 1951 die durchschnittlichen Hektar-Erträge: Für Roggen 12,5 Zentner, für Weizen 13 Ztr. und für Gerste 12,5 Ztr. Diese Ziffern enthüllten eindeutig das außerordentliche Absinken der Hektar-Erträge unter polnischer Verwaltung. Denn im gesamten deutschen Osten jenseits der Oder und Neiße betrugen im Durchschnitt der Jahre 1933/1939 die Erträge je Hektar: An Winter-Roggen 16,7 Ztr., an Weizen 21,3 Ztr., an Wintergerste 24 Ztr. und bei Sommergerste 20,9 Ztr. Dabei ist vor einem Vergleich mit dem jetzt für die „Wojewodschaft Danzig" angegebenen Erträge zu berücksichtigen, dass es sich um ein besonders fruchtbares Gebiet handelt, dessen Erträge damals weit über den angegebenen Durchschnittswerten lag, die, wie gesagt, den ganzen deutschen Osten betreffen.

 

Seite 1   „Berlin liegt in Ostpreußen"

Der Kölner Buchhändler Ludwig wählte Mitte Februar zum Thema des Ausspracheabends („116. Mittwochgespräches") im überfüllten Berliner Titaniapalast die Frage: „Leben sich Berlin und Westdeutschland auseinander?" Ein Diskussionsredner stellte dabei fest, dass 75% der von ihm befragten Jugendlichen Berlin nach Ostpreußen - Schlesien-Pommern oder Österreich verlegt hätten.

 

Seite 1   Sowjetisch-polnische Demarkationslinie

Durch eine Untersuchung des Amtes für Landeskunde (Zentralarchiv für Landeskunde von Deutschland) in Remagen ist es erstmals gelungen, eine genaue Übersicht über den Grenzverlauf zwischen dem sowjetischen und dem polnischen Verwaltungsgebiet in Ostpreußen zu gewinnen. Auf Grund einer eingehenden Auswertung polnischer Quellen - vor allem des im Auftrag der Polnischen Geographischen Gesellschaft herausgegebenen Wörterbuchs der Ortsnamen in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten - ergibt sich folgender Verlauf der sowjetisch-polnischen Demarkationslinie in Ostpreußen:

Auf der Frischen Nehrung liegt die Grenze zwischen den Ortschaften Narmeln und Neukrug; von hier erreicht sie die Westküste Ostpreußens unmittelbar nördlich der Försterei Wachbude. Weiter verläuft die Grenze so, dass entlang ihres Verlaufs vom Westen nach Osten folgende auf der Topographischen Übersichtskarte des Deutschen Reiches 1:200 000 Verwaltung stehen:

1. Kreis Heiligenbeil: Gerlachsdorf, Grünau, Einigkeit, Birkenau, Waltersdorf, Eisenberg, Kahlwalde, Lauterbach, Pellen, Vorwerk, Mühlenhof, Montitten.

2. Kreis Pr. Eylau: Gallingen, Gut Sodehnen, Schwadtken, Schwewecken, Grünhöfchen, Warschkeiten, Mollwitten, Walkeschken, Poschloschen.

3. Kreis Bartenstein: Hirschwalde, Perkau, Trosienen, Rettauen, Kl. Poninken, Klingenberg, Amalienberg.

4. Kreis Gerdauen: Lindenau, Meleden, Bratkin, Arnsdorf, Kanoten, Korklack, Dogen, Assaunen, Schiffus, Birkenfeld, Ottoshof Aarau, Raude, Reuschenfeld.

5. Kreis Darkehmen (Angerapp): Waldkerme, Wehrwalde, Angerau, Kl. Sobrost, Ramberg, Medunen, Blinkersee, Roßkamp, Almental, Oberhofen.

6. Kreis Goldapp: Birkendorf, Kräuterwiese, Schäferberg, Spechtsboden, Heidensee, Mittel Holzeck, Wehrkirchen, Langenfließ, Praßlau, Serteck.

Die Stadt Nordenburg, über deren verwaltungsmäßige Zugehörigkeit bisher Zweifel bestanden, steht unter sowjetischer Verwaltung.

Der Grenzverlauf zwischen dem sowjetischen und dem polnischen Verwaltungsgebiet ist also nicht so gradlinig, wie bisher allgemein angenommen wurde.

 

Seite 2   Echte Eingliederung ist billiger und richtiger. Das Problem der Auswanderung Vertriebener

Als im Jahre 1949 nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere in politischen Kreisen der Vereinigten Staaten die Frage erörtert wurde, ob nicht das Vertriebenenproblem durch eine „umfassende Auswanderung" nach Übersee gedöst werden könnte - bekanntlich schlug der Report der sogen. Walter-Kommission des US-Repräsentantenhauses die Auswanderung von rd. 1 Million deutscher Heimatvertriebener vor - da wurde gerade von Seiten der Vertriebenen mit allem Nachdruck auf die Gefahren hingewiesen, welche eine solche Maßnahme mit sich bringen würde, wenn sie sich überhaupt als durchführbar erweisen sollte. „Der Göttinger Arbeitskreis" heimatvertriebener Wissenschaftler hat damals in einer in deutscher und englischer Sprache erschienenen Denkschrift: „Die Auswanderung - ein Mittel zur Lösung der deutschen Frage?" (Emigration - A Means of Solving the German Problem?) kurz die Bedenken zusammengefasst, die gegen eine umfassende Auswanderung bestehen:

Vor allem in der Hinsicht, dass die Einwanderungsländer nur an einem Zustrom junger, tüchtiger und vor allem bereits beruflich ausgebildeter Menschen ein Interesse haben, was wiederum in Deutschland nur die relative Zunahme des „sozialen Gepäcks" bedingen würde, also der Soziallasten zur Versorgung der gänzlich oder teilweise Erwerbsfähigen, die jeder Arbeitende zu tragen hat.

Der ständig wachsende Zustrom von Flüchtlingen aus der Sowjetzone und die dadurch nicht nur für West-Berlin, sondern auch für die Bundesrepublik entstehenden Belastungen haben erneut die Frage aufgeworfen, ob nicht durch Auswanderung wenigstens eines Teils dieser Flüchtlinge die Lage erleichtert werden könnte. So hat auch der Bundeskanzler bei seinem Aufenthalt in Berlin von der Möglichkeit gesprochen, aus der Sowjetzone geflüchtete deutsche Bauern nach Kanada zu bringen. Dort würden sie in ihrem Beruf weiterhin tätig sein können, entgingen der Gefahr der Verstädterung und würden bei einer Wiederbesiedlung der uns z. Z noch verschlossenen deutschen Ostgebiete wertvolle Dienste leisten können. Von zuständiger Seite in Ottowa (Kanada) wird dazu bemerkt, dass Kanada ein Interesse daran habe, tüchtige Landwirte auf bisher noch nicht erschlossenen Ländereien anzusetzen, jedoch könne die kanadische Regierung weder den Ankauf von Land noch die Beschaffung von Maschinen finanzieren. Bestenfalls würden die Einwanderer - denen man keine Schwierigkeiten bei der Einreise in den Weg legen wolle - ein Darlehn zur Bezahlung der Überfahrt erhalten. Diese Tatsachen lassen erkennen, dass für die mittellosen Sowjetzonenflüchtlinge der Weg nach Kanada kaum gangbar sein dürfte, es sei denn, von dritter Seite würden diese erheblichen Summen zur Finanzierung dieser Auswanderung zur Verfügung gestellt.

Bei der Auswanderungskonferenz in Genf im April 1950 schätzte die Weltbank die durchschnittlichen Einrichtungskosten einer Siedlerstelle auf bereits erschlossenem Boden in Südamerika auf mindestens 7 bis 10000 Dollar. Demgegenüber hält man für die Schaffung eines Arbeitsplatzes in Europa eine Investition von etwa 5 bis 8000 DM für ausreichend. Damit ist erwiesen, dass mit der gleichen Summe, die dafür erforderlich wäre, eine deutsche Flüchtlingsfamilie nach Übersee zu schaffen und ihr dort eine neue Existenz zu ermöglichen, 3 bis 5 gleichartige Familien in "Westdeutschland in den Wirtschaftsorganismus befriedigend eingegliedert werden können. Werfen wir einen Überblick auf die bisherige Entwicklung der Auswanderungsfrage. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch war der Weg ins Ausland für deutsche Menschen grundsätzlich versperrt. Ausnahmen wurden nur gemacht für Personen, an denen das Ausland selbst ein Interesse hatte (Spezialisten usw.). Das Bestreben der zuständigen deutschen Stellen musste daher darauf gerichtet sein, zur zunächst einmal diese Diskriminierung zu beseitigen und jedem Deutschen das gleiche Recht zur Auswanderung zu erkämpfen, wie jedem anderen Europäer.

Nach Überwindung erheblicher Schwierigkeiten ist diese Aufgabe gelungen. Im Zuge dieser Entwicklung setzte sich im Ausland vielfach die Überzeugung durch, dass das deutsche Vertriebenenproblem in ähnlicher Weise durch Auswanderung gelöst werden könne wie das Problem der DP's, die nicht in ihre ursprüngliche Heimat jenseits des Eisernen Vorhangs zurückkehren konnten oder wollten. Ein sehr großer Teil dieser DP's hat in der Tat in überseeischen Ländern eine neue Heimat gefunden.

Die Bundesregierung hat dem Problem der Auswanderung Deutscher gegenüber folgende grundsätzliche Stellung vertreten: Niemand kann zur Auswanderung gezwungen werden, andererseits darf aber auch niemand an der Auswanderung gehindert werden, wenn er sich freiwillig dazu entschließt und wenn die finanziellen und sonstigen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. In diesem Fall haben die zuständigen deutschen Stellen nur die Aufgabe, dem Auswanderungswilligen im Rahmen des Möglichen behilflich zu sein und ihn vor unnötigen Enttäuschungen und Rückschlägen zu bewahren.

Von dieser Grundauffassung ausgehend, haben die deutschen Delegationen auf internationalen Konferenzen, die sich mit dem Flüchtlingsproblem befassten, den Vertretern der in Frage kommenden Einwanderungsländer folgendes klarzumachen versucht: Die Auswanderung kann nur in sehr geringem Maße zur Lösung des Vertriebenenproblems beitragen. Sie kommt in Frage in erster Linie für Volksdeutsche vertriebene Landwirte, sofern ausreichende Mittel für ihre Neusiedlung zu beschaffen sind und geschlossene Familien an den neuen Wohnsitz überführt werden können. Als Aufnahmeländer kommen hauptsächlich die USA und die britischen Dominions in Frage, in zweiter Linie erst Südamerika. Facharbeiter, die das Ausland haben wolle, würden in Deutschland selbst dringend gebraucht; die Bundesrepublik habe gerade aus diesem Grunde keinen Anlass, die Auswanderung besonders zu fördern.

Der gleiche Standpunkt ist auch von der amerikanisch-deutschen Sachverständigenkommission unter Führung von Mr. H. C. Sonne eingenommen worden. In dem Bericht dieser Sonne-Kommission an die Bundesregierung ist ausdrücklich hervorgehoben worden, dass die Eingliederung der Vertriebenen in das westdeutsche Wirtschaftsleben die weit billigere, zweckmäßigere und vordringlichere Aufgabe im Vergleich zur Auswanderung sei.

Das muss man sich vor Augen halten, wenn sieht jetzt die Frage ergibt, wie den Gefahren eines uferlosen Zustroms von Flüchtlingen aus der Sowjetzone begegnet werden kann. Hilfe für die Flüchtlinge aus der Sowjetzone die unbestritten als Opfer des kalten Krieges anzusehen sind, ist unerlässlich und vordringlich, weil sonst nicht nur für Berlin, sondern auch für die gesamte Bundesrepublik schwere Erschütterungen des sozialen und wirtschaftlichen Gefüges drohen.

Die Flüchtlinge aus der Sowjetzone stellen jedoch nur einen kleinen Teil des noch ungelösten deutschen Vertriebenenproblems dar, das mit deutschen Kräften und Mitteln allein nicht befriedigend gelöst werden kann. Die wirksame Soforthilfe besteht daher in der Gewährung ausreichender Mittel im Sinne des Sonne-Gutachtens zwecks Eingliederung einer möglichst großen Zahl von Vertriebenen und Flüchtlingen in die westdeutsche Wirtschaft ohne dass der Bundeshaushalt dadurch untragbaren Belastungen ausgesetzt wird. Eine für diesen Zweck gegebene Anleihe des Auslandes wäre gleichzeitig ein überaus wichtiger Beitrag zur Stärkung der Abwehrkraft Westeuropas gegen die aus dem Osten drohenden Gefahren.

 

Seite 2   Vorhang zu für Herrn von Cube!

Herr von Cube, der sattsam bekannte Kommentator des Bayerischen Rundfunks, hat wieder von sich reden gemacht. Er bezeichnete die Aufnahme der Ostzonenflüchtlinge als „selbstmörderische Humanität", zumal nur drei Prozent von ihnen echte Flüchtlinge" seien. Herr von Cube verstieg sich sogar zu der Forderung „Vorhang zu!". Der Fall Cube beginnt nun ein „Fall der Demokratie" zu werden.

Herr von Cube hat schon einmal einen Entrüstungssturm gegen seine Art zu kommentieren ausgelöst. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die breite Öffentlichkeit Bayerns mit dem bayerischen Rundfunk unzufrieden ist. Die Heimatvertriebenen können die ölige Stimme des Herrn von Cube nicht anhören und erinnern sich weiter seines Freundes Geßner, der einst in München seine Moskauer Parolen über den Sender gehen ließ - die Einheimischen aber schimpfen auf die „baltischen Bayern" und entrüsten sich über die Verkitschung einheimischen Gedankengutes.

Der Bayerische Landtag beschäftigte sich bereits einmal mit Herrn von Cube, aber die Angriffe und Vorwürfe der Opposition scheinen lediglich als Theaterdonner gewertet worden zu sein - Herr von Cube kommentierte lustig weiter. Er scheint sich nach wie vor als „Umerzieher" zu fühlen. Seine letzte Entgleisung aber schlug dem Fass den Boden aus. Herr Geßner hat ihm natürlich sofort ein großes Lob im ostzonalen Sender ausgesprochen. Die Zusammenhänge lassen sich mit den Händen greifen. Bedauerlicherweise haben sich der Intendant von Scholz und der bayerische Ministerpräsident schützend hinter v. Cube gestellt. Er bedarf dieses Schutzes, denn aus der Ostzone flattern Briefe der Unterdrückung herüber, die in dem Satz gipfeln: „Pfui Teufel - und so was spricht deutsch!" Aber auch westdeutsche maßgebende Persönlichkeiten haben es an Kritik nicht fehlen lassen. Der Bundesbeauftragte für die Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge, Dr. Nahm, spricht von „maßloser Übertreibung - Anerkennung der deutschen Spaltung und Preisgabe Berlins durch von Cube - Bundesinnenminister Lehr bezeichnete dessen Stellungnahme treffend als „zynische Brutalität" - Der Staatssekretär für das Flüchtlingswesen in Bayern, Prof. Dr. Dr. Oberländer, aber schreibt dem Herrn ins Stammbuch: „Es gibt Menschen mit Verstand und ohne Herz, aber hier scheint Verstand und Herz zu fehlen, oder Herr von Cube wollte sich bewusst von der Welt des Abendlandes absetzen.

„Das gesamte deutsche Volk hat eindeutig auf diese unverantwortlichen Äußerungen reagiert. Aber wir alle, die wir die Vertreibung hinter uns haben, und das ganze deutsche Volk, das in diesen Tagen im Bundesvertriebenengesetz das Unglück von Jalta und Potsdam, das hauptsächlich jene östliche Diktatur verschuldet hat, wenn der Westen auch die volle Verantwortung mitträgt, in ein Aktivum für den Westen abzuwandeln sucht, fühlen, dass in einem solchen Augenblick Menschen, die sich in die Not und Schicksalsgemeinschaft Deutschlands nicht einpassen, nicht geeignet sind, Sprecher am Rundfunk zu sein.

Das hat mit der Freiheit des Rundfunks nichts zu tun, im Gegenteil, es ist bedauerlich, dass eine Verhöhnung der Menschheit im Rundfunk im Jahre 1953 überhaupt geäußert werden konnte, und es würde auch eine Verhöhnung bleiben, wenn Herr v. Cube weiterhin uns mit derartig unmenschlichen Vorschlägen kommen würde, nachdem gerade der Westen allen Grund hätte, das Gesetz der Menschlichkeit in allen Formen zu achten."

Der Berliner Senator Bach erklärt: „Die selbstmörderische Humanität ist seit jenem Tage am Werk, an dem der Balte v. Cube die Möglichkeit erhielt, über den bayerischen Rundfunk zu nationalen Angelegenheiten des deutschen Volks in so verhängnisvoller Weise Stellung zu nehmen." Bei dieser Gelegenheit aber wollen wir mit den „Baltischen Briefen" um der Sache willen feststellen, dass die „recht weit zurückliegende baltische Abstammung" des Herrn Kommentators nicht zu solchen gefährlichen Verallgemeinerungen führen dürfte. Die deutsch-bewusste Haltung der Deutschbalten lässt nicht den geringsten Zweifel zu.

Der Fall Cube ist Angelegenheit aller Landsmannschaften geworden. Die Schlesier werden sich mit seiner Person bei dem großen Bundestreffen in Köln befassen, über diese Schicksalsgemeinschaft hinaus aber hat er sich die Verachtung aller deutsch bewussten Kreise zugezogen. Wir greifen aus den vielen Kommentaren und Pressestimmen eine heraus, die soldatisch kurz ist und der wir uns vollinhaltlich anschließen:

In New Yorck wurden Führer der Kommunistischen Partei verurteilt. Der Richter stellte ihnen folgende Alternative: entweder sitzen Sie ihre Gefängnisstrafe ab oder wir schieben Sie nach der UdSSR ab. Ergebnis: sie wählten einmütig die Gefängnisstrafe. Eine Parallele dazu für Herrn von Cube: Flüchtlinge rein, Cube raus, Vorhang zu!

 

Seite 2   Hälfte der Vertriebenen in Arbeit

Die Belastung, die das deutsche Volk durch die Vertreibung der Bevölkerung jenseits der Oder-Neiße-Linie übernehmen musste, könne auf rund 28 Milliarden DM geschätzt werden.

Diese Zahl gab Bundesvertriebenenminister Lukaschek im Rahmen eines Rechenschaftsberichts über das Flüchtlingsproblem bekannt. Fast 500 000 Vertriebene seien bisher umgesiedelt worden. Die finanziellen Unterlagen für die Umsiedlung von weiteren 250 000 sind geschaffen. Rund 350 000 Flüchtlingswohnungen sind gebaut worden. Etwa ein Viertel der Vertriebenen befinde sich wieder in einer ähnlichen Lebenslage wie in der alten Heimat. Etwa die Hälfte der Vertriebenen stehe wieder in Arbeit, habe aber einen sozialen Abstieg hinnehmen müssen. Das restliche Viertel lebt noch heute in echter und in drückender Not.

 

Seite 2   Moskaus Rassenpolitik

Bei Elbing wurde eine Gruppe von griechischen Markos- Partisanen angesiedelt, wo die Griechen in der Fischindustrie und beim Bau von Fischkuttern beschäftigt werden.

Die nächst starke Gruppe bilden die Chinesen. Sie sind hauptsächlich Seeleute und befinden sich daher vor allem in Stettin und Danzig. Es handelt sich dabei um z. T. in Ausbildung befindliche Reservemannschaften, die für die polnisch-chinesische Schifffahrt von Rot-China gestellt worden sind. Schließlich gibt es in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße noch kleinere Gruppen von Rot-Spaniern (etwa 100, hauptsächlich bei Danzig angesetzt) sowie von nordkoreanischen und vietnamesischen Kindern und Jugendlichen, die sich im Kreise Guhrau aufhalten.

Nach den neuesten Berichten sind auch Neger in Pommern eingetroffen. Sie entstammen hauptsächlich französischen Formationen in Indochina und auch amerikanischen Einheiten in Korea.

 

Seite 2   „Kather darf nicht BvD.-Vorsitzender werden!"

„Kather darf nicht BvD-Vorsitzender werden!“ fordert die KPDistische „Westdeutsche Flüchtlingsstimme". Und weshalb nicht? Die rote „Stimme" aus Frankfurt antwortet und aus Moskau hallt es wieder: Weil er nicht einen Umschichtungsausgleich gemacht hat, der in Westdeutschland das Oberste zu unterst gekehrt und eine Finanzierung des Verteidigungsbeitrages unmöglich gemacht hätte. Weil er es nicht zuwege gebracht hat, dass alle Vertriebenen die Westverträge ablehnen! Man kann es auch anders ausdrücken: Weil er den Lastenausgleich verbessert hat, und die Verbesserungen nun tatsächlich zum großen Ärger der „Flüchtlingsstimme" realisiert zu werden scheinen. Weil er mit Bundestags- Entschließung zum Deutschland-Vertragswerk einen Schritt für die friedliche Revision der Oder-Neiße-Grenze zu getan hat, - kurz, weil er sich mit Erfolg um die Eingliederung bemüht, und das passt nicht in das Karlsruher Radikalprogramm des roten „Westdeutschen Flüchtlingskongresses“.

 

Seite 2   Einheitswerte in der Landwirtschaft

Die Bewertung der Vertreibungsschäden an landwirtschaftlichem Vermögen wird, sofern der Einheitswert nicht mehr bekannt ist, mit einem „Ersatz-Einheitswert" erfolgen. Bei der Errechnung der Ersatz-Einheitswerte wird voraussichtlich von den durchschnittlichen Einheitswert-Hektar-Werten des 01.01.1935 ausgegangen werden Die Einheitswert-Hektar-Durchschnittswerte für die ostdeutschen (altreichsdeutschen) Kreise waren die folgenden, wobei zu bedenken ist, dass diese Werte nur für mittlere Hofgrößen Geltung haben (bei Kleinbetrieben liegt der Durchschnitts-Hektarwert wesentlich höher), (Werte in RM)  

Reg. - Bez. Königsberg: Königsberg St. 1020. Bartenstein 710. Braunsberg 670. Fischhausen 860. Gerdauen 730. Heiligenbeil 770. Heilsberg 610. Königsberg-L. 850. Labiau 730. Mohrungen 670. Pr. Eylau 650. Pr. Holland 760. Rastenburg 850. Wehlau 720.

Reg. - Bez. Gumbinnen: Insterberg-St. 550. Tilsit-St. 1110. Angerapp 710. Angerburg 560. Ebenrode 830. Elchniederung 910. Goldap 500. Gumbinnen 800. Insterburg-L. 670. Schloßberg 580. Tilsit-Ragnit 710. Treuburg 430.

Reg. - Bez. Allenstein: Allenstein-St 550. Allenstein-L. 420. Johannisburg 380. Lötzen 490'. Lyck 350. Neidenburg 430. Orteisburg 340. Osterode 540. Rößel 630. Sensburg 510.

Reg.-Bez. Westpreußen: Elbing-St. 1030. Elbing-L. 820. Marienburg 1560. Marienwerder 970. Rosenberg 780. Stuhm 960.

 

Liste der Heimatkreisvertreter

Im Zusammenhang mit dem Lastenausgleich wurde immer wieder die Frage laut, an welche Heimatkreisvertreter sich die Landsleute wenden könnten, falls weitere Zeugen beschafft werden müssten. Wir geben nachstehend die gewünschte Anschriftenübersicht:

Angerapp (Darkehmen): Wilhelm Hoegert, (22a) Düsseldorf, Fritz-Reuter-Str. 31, bei Frau Fink.

Angerburg: Ernst Milthaler, Göttingen, Jennerstraße 131.

Allenstein-Stadt: Forstmstr. Hans Ludwig Loeffke, Lüneburg, Gartenstraße 51.

Allenstein-Land: Egbert Otto, (20a) Hannover, Annenstraße 13.

Bartenstein: Bürgermeister a. D. Zeiß, Celle, Hannoversche Straße 2.

Braunsberg: Ferdinand Federau, Bad Kripp (Rhein), Hauptstraße 79.

Ebenrode (Stallupönen): Rudolf de la Chaux, (24b) Möglin (Holstein) bei Bredenbek, Kreis Rendsburg.

Elchniederung: Paul Nötzel, (24b) Brügge (Holstein) über Neumünster.

Fischhausen: Heinrich Lukas (24b) Gr.-Quern, Kr. Flensburg.

Gerdauen: Erich Paap, (20a) Stelle (Hannover) über Burgdorf.

Goldap: Johannes Mignat, (23) Leer (Ostfriesland), Reimersstraße 5.

Gumbinnen: Hans Kuntze, Hamburg-Bergedorf, Kupferhof 4.

Heiligenbeil: Karl Gustav Knorr, Husum (Nordsee), Schloß.

Heilsberg: Robert Parschau, Ahrbrück, Post Brück (Ahr).

Insterburg-Stadt: Dr. Gert Wander, Oldenburg in Oldbg., Amselweg 4.

Insterburg-Land: Fritz Naujoks, Lägerdorf (Holstein), Rosenstraße 4.

Johannisburg: Fritz Walter Kautz, Bünde (Westf.), Hangbaumstraße 2 - 4.

Königsberg-Stadt: Konsul Hellmuth Bieske, Hamburg 1. Chilehaus A; Regierungsrat a. D. Stech, (24b) Kiel, Alte Lübecker Chaussee 16; Pastor Hugo Linck. Hamburg 13, Mittelweg 110.

Königsberg-Land: Fritz Teichert, (20b) Helmstedt, Gartenfreiheit 17/I.

Labiau: Landwirtschaftsrat Walter Gernhöfer, Lamstedt (Niederelbe).

Lötzen: Werner Guillaume, Hamburg 21, Averhoffstraße 8 II.

Lyck: Otto Skibowski, Treysa, Bezirk Kassel.

Memel-Stadt: Arno Jahn, Bad Oldesloe Travenhöhe 31.

Memel-Land: Karl Strauß, (24b) Eckernförde (Holstein), Lindenweg 17.

Heydekrug: Walter Buttkereit, (24b) Eckernförde, Lindenweg 13.

Pogegen: Heinrich von Schlenther, (20b) Gelliehausen 66 über Göttingen.

Mohrungen: Reinhold Kaufmann, Bremen. Schierker Straße 8.

Neidenburg: Bürgermeister a. D. Paul Wagner (13b) Landshut (Bayern) II, Postfach 2.

Ortelsburg: Gerhard Bahr, Brockzetel über Aurich. Ostfriesland.

Osterode: Richard von Negenborn, (16) Wanfried (Werra), Kalkhof.

Pr.-Eylau: Karl v. Elern, Brenken, Kreis Büren, Westfalen.

Pr.-Holland: Carl Kroll, (24b) Peinerhof bei Pinneberg, Holstein.

Rastenburg: Heinrich Hilgendorff, Flehn, Post Kletkamp über Lütjenburg.

Rößel: Paul Wermter. (24b) Krempe, Holstein, Neuenbrooker Straße 26.  

Sensburg: Albert von Ketelhodt, Breitenfelde über Mölln, Lauenburg.

Schloßberg (Pillkallen): Dr. Erich Wallat (24a) Wennerstorf über Buchholz.

Tilsit-Stadt: Ernst Stadie, Wesselburen, Holstein, Postfach

Tilsit-Ragnit: Dr. Hans Reimer, Holtum/Marsch über Verden (Aller).

Treuburg: Albrecht Czygan, Oldenburg i. O. Hochhauser Straße 10

Wehlau: Rechtsanwalt Werner Potreck, Hamburg 13, Fontenay-Allee 12

 

 

Seite 3   Tilsit – Stadt im Wiesenlande

Tilsit war einst „die Stadt zwischen zwei Brücken“. Im Jahre 1926 erstreckte sich das Stadtgebiet über eine Strecke von 13,5 Kilometern, wobei der bebaute Teil sich in einer Länge von 6,5 km am linken Ufer der Memel hinzog. Das ausgesprochene Geschäftsviertel mit den beiden Hauptstraßen, der „Deutschen Straße" und der „Hohen Straße" und den 1,5 km langen Uferanlagen bildeten den alten Stadtkern, der nach Osten und Westen durch Industrieanlagen fortgesetzt wurde. Die verhältnismäßig große Längenausdehnung der Stadt erklärt sich z. T. auch daraus, dass im Jahre 1919 mit der Stadt je zwei östliche und westliche Vororte vereint wurden, die alle an der großen Landstraße Ragnit-Kaukehmen lagen. Außerdem bot ja die Weite des Stromlandes Raum genug für eine städtebauliche Ausweitung.

Alte Gemälde und Stiche geben Kunde von einem festen Ordenshaus, um das herum sich die erste Ansiedlung entwickelte. Der Orden nützte die natürliche Grenzscheide der breiten Memel, um seine Verteidigungslinie nach Osten mehr und mehr zu festigen. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts erstreckte sich hier eine ganze Kette von befestigten Blockhäusern und festen Burgen und von Obereisseln bis zum heutigen Tilsit konnten derer allein 14 gezählt werden. Die Litauer haben etliche von ihnen in schweren Kämpfen zerstört und auch jene sagenhafte Burg „Kaustritten", die auf dem Tilsiter Schlossberg gestanden haben dürfte, wird wahrscheinlich 1365 vernichtet worden sein. Jedenfalls konnten bei Grabungen im Jahre 1939 noch Fundamente aufgefunden werden. Das Tilsiter Ordenshaus wurde im Jahr 1402 errichtet. Es unterstand einem Pfleger, da der Komtur seinen festen Sitz auf Burg Ragnit hatte.

Im Jahre 1552 wurde der Marktflecken Tilsit zur Stadt erhoben. Herzog AIbrecht verlieh ihr aus diesem Anlass ein Wappen, das in silbernem Grunde eine Wehranlage darstellte, unter der Wasser (Die Memel?) floss. Mit Bezug auf den Verleiher dieses Wappens wurde der mit einem Kegeldach versehene Turm der Zeichnung mit dem Hohenzollernschen Hausschild verziert.

Eine Stadt mit Tradition.

Leider verfiel das alte Ordensschloss bis auf einige kümmerliche Mauerreste und so war der Schlossplatz alles andere als einladend oder anmutig, bis auf jenen kleinen Winkel mit dem schlichten Hause im Schutze der alten Schlossmühle, das im Unglücklichen Kriege von dem preußischen Königspaare bewohnt wurde. Hier hat auch die historische Begegnung der Königin Luise mit Napoleon stattgefunden. Die Deutsche Kirche, die alte Ordenskirche aus den Jahren 1598 - 1610 gab der ganzen Stadt das Gepräge. Der kraftvolle Turmhelm hat auch den zweiten Weltkrieg überstanden. Das barocke Rathaus wurde in den Jahren 1753 - 1755 errichtet. Ihm gegenüber stand das Denkmal des größten Sohnes der Stadt, Gottlob Ferdinand Maximilians von Schenkendorff.

Rückert nannte ihn einst den „Kaiserherold" und die vom Schöpfer des Denkmals, des Tilsiter Bildhauers Engelke in Erz gegossenen Dichterworte haben bis auf den heutigen Tag ihren Klang behalten:

„Ich will mein Wort nicht brechen

will predigen und sprechen

vom Kaiser und vom Reich".

Schenkendorff wurde am 11. Dezember 1783 als Sohn eines friderizianischen Offiziers in der Hohen Straße 39 geboren. Seine Lieder wurden einst von einer deutschen Jugend gesungen, die gläubigen Herzens den Kampf um die Befreiung von feindlichem Joch aufnahm. Das Lied „Freiheit, die ich meine" ist ja sogar in unseren Tagen noch ernstlich in die engere Wahl gezogen worden. Schenkendorff - ein Freund des bekannten Journalisten Görres vertrat eine Angleichung zwischen beiden großen christlichen Bekenntnissen in Deutschland. Viel zu früh - er starb mit 34 Jahren - riss ihn der Tod aus seinem Schaffen.

Das Tilsiter Grenzlandmuseum barg viele wertvolle Stücke ehrwürdiger Stadtgeschichte, kostbare Fahnen der alten Zünfte, Gemälde und Stiche - aber auch Waffen, Gräberfunde und endlich Stücke alter Wohnkultur und Beweise bester Handwerkskunst, wie Arbeiten der Zinn- und Gelbgießer.

Diese Zeugnisse echten kulturellen Lebens wären unvollständig, würde nicht auch der Sonderstellung Tilsits als Grenzstadt, nach der Abtrennung deutscher Gebiete durch den Versailler Vertrag gedacht. In dieser Zeit wandelten sich Wiesenweiten mehr und mehr in wunderschöne Parkanlagen. Promenadenwege an der Tilse, die Schwimmbäder, die Sportanlagen, das schöne und gepflegte Jakobsruh, auch das alles gehörte zu jenem Tilsit, das nicht nur die Ostpreußen als gastgebende Stadt noch in Erinnerung haben dürften.

Der Tilsiter Musikdirektor Peter Wilhelm Wolff war Leiter des Tilsiter Konservatoriums und Initiator eines blühenden Musiklebens, bekannt als Dirigent wie auch gleicherweise als Musikerzieher und Gründer des „Oratorienvereines". Unter seiner Stabführung wurde sogar die „Missa solemnis“ ganz ausgezeichnet gebracht. Auch als Theaterstadt genoss Tilsit einen guten Ruf. Das Theater hatte am Nordrand des Angers einen schönen Platz gefunden und war bekannt wegen seiner Leistungen, aber auch vieler ausgezeichneter Gastspielaufführungen.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt.

Wie bereits zu Beginn gesagt, war die Tilsit eine „Stadt der Brücken“. Gertade hier waren die Übergänge über den Strom zu bewältigen, als etwa bei dem Ragniter Daubashöhen. Daher stand bei Tilsit die erste feste Brücke in Form einer Schiffsbrücke bereits im Jahre 1767. 1807 wurde sie verbrannt, um den nachrückenden Korsen die Verfolgung der preußischen und russischen Truppen zu erschweren. Im Jahre 1808 wurde die Brücke wieder aufgebaut und zwar wurden zu diesem Zwecke für den nördlichen Teil Pfähle getrieben. Der untere Teil der Brücke musste ausschwenkbar bleiben, um nicht im Frühjahr durch das Eistreiben gefährdet zu sein. Erst im Jahre 1907 trat an die Stelle der alten Schiffsbrücke die bekannte Luisenbrücke mit einer Gesamtlänge von 416 Metern, die an Länge nur von der großen Eisenbahnbrücke (536 Meter!) übertroffen wurde.

Bildete die Stadt also verkehrsmäßig einen wesentlichen Knotenpunkt, so kam dies auch zum Ausdruck im Wirtschaftsleben der Stadt. Zu Michaelis stand die Stadt völlig im Zeichen des großen Jahrmarktes, der seine vier Wochen dauerte und eine große Anziehungskraft bis weit hinauf nach Kurland ausübte. In der Hauptsache waren es agrarische Erzeugnisse oder Erträgnisse des Fischfanges, die hier getauscht  und verkauft wurden. Fremde Kaufleute brachten Felle und kostbare Pelze, aber auch die Töpfer, Zinngießer, Laken- und Tuchhändler, die Königsberger Seidenhändler, die Schuhmacher, die Zuckerbäcker hatten hier ihre festen Stände. Natürlich verlor der Jahrmarkt, in unseren Tagen viel seiner ursprünglichen Bedeutung, aber er hielt sich dennoch, wenn er auch statt vier Wochen nunmehr lediglich 8 Tage dauerte. Nicht minder bekannt und besucht war auch der „Tilsiter Pferdemarkt".

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkte in Tilsit der Apotheker Johann Wächter, ein Mann mit einer ungeheuren Energie, der den ersten Anstoß für eine bodenständige Industrie gab. Wächter baute eine Zuckersiederei, es entstanden nacheinander eine Essigfabrik, eine Ölmühle, eine Knochenmühle, eine Fabrikanlage mit einem Riesenspeicher, an den sich zwei kleine Häuser schmiegten und anlehnten. Vor einem dieser kleinen Häuser schwang sich ein Torbogen hinüber zu dem grauen Fabrikgebäude. Er trug ein kleines Namensschild „Emilienhof" zu Ehren der Gattin jenes tüchtigen Apothekers.

Die bestimmendste Rolle allerdings sollte die holzverarbeitende Industrie spielen. Aus den Weiten Russlands kamen durch Tilsit und in der Hauptsache nach Tilsit die „Dzimken", lieferten hier das Holz ab und kehrten dann nach Russland zurück. Im Jahre 1913 waren es noch über 2 Millionen Festmeter, dann fiel nach dem ersten Weltkriege - infolge Besetzung des Wilnagebietes und der dadurch ausgelösten Maßnahmen Litauens die Zahl der Flöße und somit der Festmeterzahl mehr und mehr auf 34 000 oder 35 000 Festmeter im Jahre 1930, um dann wieder leicht anzusteigen (1934: 97900 Festmeter). Handels- und Industriekammer, sowie ein Holzmessamt kennzeichneten nach außen hin die Bedeutung der Stadt, in deren Bereich eine der größten Zellstoff-Fabriken Deutschlands mit über 1500 Mann Belegschaft, Maschinen-, Seifen-, Lederfabriken, an die 40 Sägewerke, Brennereien, Brauereien, Mehlmühlen, Tabakfabriken usw. verzeichnet werden konnten. Ohne die Katastrophe des zweiten Weltkrieges wäre der wirtschaftliche Aufschwung Tilsits wohl erst so richtig angelaufen.

Als Tilsit im ersten Weltkrieg von den Russen genommen wurde, da haben die Bürger der Stadt Unterlagen, Plakate, Fotos und Verlautbarungen der Besatzungsmacht zusammengetragen, die später in Faksimiliwiedergaben zu einem ausgezeichneten Erinnerungsband zusammengestellt wurden. Wer schreibt wohl heute in ähnlicher Form die Geschichte dieser Stadt?

 

„Gefallen sind Dächer und Türme

die Heimat ist kalt und leer,

die Stadt steht arm und verloren

sie hat ihre Kinder nicht mehr.

- Oft, in dunklen Nächten

weckt uns vertrauter Ton –

ruft die geliebte Heimat?

Ruft uns der Memelstrom?

Aus einem Gedicht von Charlotte Keyser

 

Seite 3   Zu unseren Bildern:

Der „Stadtplan" soll unseren Lesern die Möglichkeit zu kleinen Eintragungen geben.

Links unten: Weit schweift der Blick über die Dächer der „Stadt im Wiesenlande", über Äcker, Felder und Wiesen. Unsere Aufnahme vermittelt nur einen schwachen Eindruck von der Tiefe des Raumes und dem Spiel der Farben und des Lichtes, obwohl es dem bekannten Lichtbildner Harro Schumacher zweifelsohne gelang, ein selten schönes Foto zu schaffen. –

Rechts unten: Der kraftvolle Turm der Deutsch-Ordenskirche ist und bleibt das Wahrzeichen der Stadt.

 

Seite 3:   Lied der Bäume (Aus: Naujok, „Die geretteten Gedichte")

Vier alte Bäume stehn am Rhein,

Drei stehn am Memelstrom,

Dazwischen wölbt sich hehr und rein

Des Vaterlandes Dom.

 

Und wenn die stille Mondnacht spinnt,

Rauschen die vier am Rhein,

Und die am Memelufer sind,

Fallen im Chor mit ein.

 

Wer dieses hört, vergisst es nicht,

Es zieht ihn himmelwärts,

Er weiß, die deutsche Seele spricht,

Und selig lauscht sein Herz.

 

Seite 4   Die Geschichte des „Kindscher Waldes“ Gert Kaeswurm

Nach einer alten Märe soll eine Waldbrücke des sogenannten „Kindscher Waldes" bereits in Shakespeares Werken erwähnt werden, nach einer anderen ein Hügel am Nordwesteingang. Franzosenleichen bergen aus der Zeit des Rückzugs Napoleons I.

Dieser sogenannte „Kindsche Wald" hat eine lange und wechselreiche Geschichte und bietet nicht nur dem Historiker, sondern auch dem Geographen Möglichkeiten zu Untersuchungen, mit teilweise höchst überraschenden Ergebnissen.

Lange vor Erscheinen des Menschen muss das ganze Gebiet vom Zusammenfluss der drei Pregelquellflüsse Inster, Pissa und Angerapp bis zu dem scharfen Memelknick an der „Willkischker Höhe“ ein einziges Urwaldgebiet gewesen sein, in späteren Jahrhunderten von den dort ansässigen Bewohnern „Graudenwald" genannt. Zu diesem hat vormals der Kindscher Wald gehört, an der Tilse gelegen, etwa eine Meile südlich der Stelle, wo sie eine scharfe Einwinkelung nach Osten zeigt.

Wie aber kommt es, dass gerade an dieser Stelle einer der vielen Urwaldreste bis auf den heutigen Tag seinen Platz behaupten konnte? Das hat der „Kindsche Wald" sicherlich dem Umstände zu verdanken, dass hier der Tilse noch ein Nebenflüsschen, die „Lipart", zufließt. In diesem Zusammenflussgebiet, wo sich heute als letzte Anzeichen der Nacheiszeit die alljährlichen Frühjahrsschmelzwasser des Winters anstauen, war eine andere Vegetation als die der „klima- und bodenständigen Waldbäume" kaum möglich. Hier im Winkel des Zusammenflussgebietes der Tilse und Lipart machten die jährlich wiederkehrenden Wasserstaumassen auch jede landwirtschaftliche Bodennutzung unmöglich und sicherten dem Walde einen festverwurzelten Bestand. Auf dem immer trockner werdenden Boden der Nordwest-Moräne bis weit hinüber zum Pregelquellgebiet, einem Höhenrücken, der zum uralisch-baltischen Höhenzug gehört, konnten aber nach und nach all die Holzarten ihren Einzug halten, wie sie seitdem zu finden waren.

Wie überall in Deutschland hat auch hier die allmähliche Erwärmung der Erde die Reihenfolge der Holzarteneinwanderung je nach ihrem Wärmebedürfnisgrad ausschlaggebend bestimmt. Das trifft vor allem für die Laubholzarten zu! Zuerst kamen von Süden her die frostharten Holzarten, Birke, Aspe und Erle, bei weiterer Erwärmung Hainbuch und Linde, während die frostempfindliche Esche und Eiche sich als letzte bestandsbildende Holzarten dazu gesellten. Bei den Nadelholzarten ist dagegen die Bodenbeschaffenheit ausschlaggebend gewesen! Während der Kiefer der hiesige Standort fast durchweg zu kräftig lehmhaltig ist, wanderte die Fichte erst deshalb so spät ein, weil ihr vor allem die Feuchtigkeitsverhältnisse des Bodens vorher zu schwankend waren. Sie kam von höher gelegenen Gebieten, von Norden über Finnland her zu uns. Ihre Empfindlichkeit gegen Feuchtigkeitsschwankungen, namentlich im Pflanzjahre und im Stangenholzalter wird noch heute häufig sichtbar.

So stellt dieser Wald in seiner Holzartenzusammensetzung einen Urtypus jenes litauischen Lehmwaldes dar, dessen äußeres Bild der Mischwald ist. Während die Feuchtigkeit ertragenden Holzarten der sogen. Laubweichhölzer, wozu die Moorbirke, Linde, Aspe und Weide gehören, einen Grundbestand bilden, geben die Harthölzer Eiche und Esche diesem ein festes Gerüst, wozu die Fichte in diesen Wäldern auf höher liegenden Standorten das dunkle Gepräge gibt, das nun einmal zu jedem Walde gehört. Für das ursprüngliche Vorkommen der letztgenannten Wertholzarten legen die hier in der Gegend vorkommenden Ortsnamen: Aszolienen, Usseinen, Egleningken ein beredtes Zeugnis ab. Sie lassen sich alle aus der litauischen Sprache herleiten: „Auszulas" heißt auf Litauisch die Eiche, „Usis" die Esche, „Egle" die Fichte. Der „Kindsche Wald" ist also offensichtlich ein alter Waldrest jenes großen Sumpfwaldgebietes von Insterburg bis Ragnit, des Graudenwaldes".

Als die Ureinwohner, Schalauer, Aesthier oder Pruzzen, - die ersten Nachrichten über sie gehen bis 300 vor Christi zurück -, das Land in Kultur nahmen, sahen sie als sesshafte Ackerbauern im Walde ihren natürlichen Feind. Sie werden manche Lücke geschlagen haben. Auf diese Annahme deutet z. B. der Name Szillen, der „Heide" heißt und aus dieser Bezeichnung schließen lässt, dass die nach den Schalauern hier sesshaft gewordenen „Lithauer", bei ihrer Einwanderung hier keinen Wald mehr vorgefunden haben. Mit dem Eintreffen des Ritterordens im XIII. Jahrhundert, verliert der Wald fürs erste seine wirtschaftliche Bedeutung und wird jetzt bis zum XV. Jahrhundert ein großes Schutzwaldgebiet des Ordens gegen die slawischen Völkerstämme des Ostens. Gerade im weiten, fast ebenen Gebiet konnte es dem Orden nur recht gewesen sein, ein sumpfiges Waldgebiet vorzufinden, das natürlichen Schutz gegen das östliche Slawenreich darstellte. Je unwirtlicher diese Gegend war, umso wirksamer musste das natürliche Hindernis sein. Hinter diesem Schutzwald erwuchs aus dem Herzogtum das Königreich Preußen und aus diesem wiederum das „Reich".

Im ersten Jahrhundert nach der endgültigen Eroberung Schalauens durch den Ritterorden im Jahre 1265, gehörte der Graudenwald, als Teil der „Großen Wildnuß", also zu jener 30 km breiten Schutzwaldzone, die sich bis in die masurischen Wälder fortsetzte. Als einzige Waldnebennutzung damaliger Zeit ist die Jagd zu erwähnen, die die Ordensritter an einige wenige Eingesessenen verpachteten. Gerade dieser Wald muss besonders wildreich gewesen sein. Hier waren noch lange Wildpferd, Ur, Bär und Wolf zu Hause. Vornehmlich nach Ragnit und Gerskullen kamen die Hohenzollernfürsten noch in späteren Jahrhunderten zur Auerochs- und Bärenjagd. Dieser Zustand der ausschließlichen Jagdnutzung der Wälder, wozu noch die Wildimkerei kam, blieb bis ins XV. Jahrhundert bestehen.

In diesem Jahrhundert hatte der Ritterorden die Grenzen bereits ostwärts der Memel vorgeschoben. Nunmehr begann er auch mit der Besiedlung des Komtureigebietes Ragnit, dessen heidnische Urbevölkerung bei den jahrelang hartnäckig geführten Kämpfen nahezu aufgerieben worden war. Als Ansiedler aber kamen zunächst nur die slawischen Volksstämme in Frage, die zum Christentum bekehrt worden waren, dazu gehörten die nordöstlich Ostpreußens ansässigen Litauer, nach denen „Preußisch-Litauen" seinen Namen erhielt. Diese nun, - die ursprünglich ansässigen Schalauer waren reine Pruzzen -, verstanden sich gerade auf Verwertung des Holzes. Die Litauer brauchten Holz beim Bau ihrer ,,Lehmkaten", bei der Herstellung der Pflüge und anderer Landwirtschaftsgeräte. Viele Nebenprodukte verstanden sie zu verwerten, wie vor allem den Lindenbast zum Flechten von Bastschuhen, litauisch „Paresken" genannt.

Im XVI. Jahrhundert, kamen zu diesen Holzgewerben das „Aschebrennen" - Herstellen von Pottasche -, das Teer- und Pechschwelen und die Köhlerei dazu. Diese Holzverwertung erforderte bereits erhebliche Holzmengen, wozu als waldverwüstend die Waldweide hinzukam. Vergegenwärtigt man sich, dass die Hirten und Aschebrenner nicht gerade vorsichtig mit dem Feuer umgegangen sein werden, so kann sich wohl jeder denken, in welchem Zustand schon in diesem Jahrhundert der Wald gewesen sein muss. „Graudenwald" bedeutet Schwälwald und besagt, dass in diesem Waldgebiet das Feuer „niemals erlosch".

Lässt sich genaueres über den Waldzustand des Kindscher Waldes aus dieser Zeit noch nicht sagen, so deutet jedoch der hiesige Tilsenebenfluss, die Lipart darauf hin, dass in diesem Walde gerade die Linde stark vertreten gewesen sein muss, da die Linde „Lipa" auf Litauisch heißt.

Im XVII. Jahrhundert schritt die Ausbeutung des Graudenwaldes weiter fort. Hatte der Tatareneinfall 1656/57 diese Gegend verheert, so wurde der Rest des wertvollen Holzes, des Fichten- und vor allem des Eichenholzes, damals auch „Kaufmannsgut" genannt-, genutzt, auch die Kriegsschatulle des Großen Kurfürsten zu füllen. Bereits in diesem Jahrhundert geht aus der „Bräutigamsverordnung" 1636 eindeutig hervor, dass Eichenholz im Lande Preußen merklich knapp geworden war. Sie verordnete nämlich, dass jeder Bräutigam „6 Eichen bei seiner Hochzeit pflanzen sollte." - Die im hiesigen Park vorhandenen Doppeleichen sind als Hochzeitseichen von meinen Familienangehörigen vorangegangenen Generationen gepflanzt worden und zwar auf Grund eben jener Bräutigamsverordnung. - Schon damals musste man bei der Nachfrage an Eichenholz auf die litauischen Grenzämter zurückgreifen, wozu auch Ragnit gehörte. Waren im XVI. Jahrhundert mit dem Aschebrennen die dafür geeigneten Weichholzbestände dieses Waldgebietes stark in Mitleidenschaft gezogen worden, so kam um die Mitte dieses Jahrhunderts noch die Brennholzbelieferung Königsbergs hinzu, dessen näher gelegenen Wälder bereits erschöpft waren. Im Jahre 1639 lieferten die Ämter dieser Gegend 1532 Achtel oder 2900 Raummeter Waldmaß dieses sogen. „Klappholzes". Dies bestand zu 2/3 aus Erlen und 1/3 aus Fichtenholz. Da diese Brennholzmengen damals von den „Untertanen" gegen 2/3 „Zinsholz" geworben wurden, war die wirklich anfallende Holzmenge noch viel größer. Als Folge der, über das Land hereinbrechenden Ereignisse des kommenden Jahrhunderts schritt die Waldverwüstung weiter fort.

Gleich zu Anfang des Jahrhunderts, in den Jahren 1708 bis 1711 wütete hier in Ostpreußen die Pest. Die Gegend wurde menschenleer, das Vieh verwilderte, wurde von Wölfen gerissen, die Häuser verfielen. Nur der Tatkraft eines Hohenzollern war es zu verdanken, dass das Land aus diesem jämmerlichen Zustand noch in demselben Jahrhundert der Kultur zurückgewonnen wurde. Dies war freilich nur mit Hilfe eines vermehrten Einschlages an Bauholz möglich. Die Zeit des sogen. „Retablissements“-, man rechnet diese von 1710 bis 1730 muss die noch vorhandenen Waldvorräte nahezu aufgebraucht haben, wenn sogar die damalige Forstbeamtenschalt vor dem Ruin der Wälder durch die übergroße Bauholzinanspruchnahme dieser Gegend warnte. Doch bekannt ist ja die Antwort Friedrich Wilhelms 1: „Menschen seyn mir lieber als Bäume. Der Graudenwald hörte auf ein zusammenhängendes Waldgebiet zu sein. Dies bestätigt ein Blick auf die Landkarte der Gegenwart, auf der die Waldeinzeichnung des eingangs erwähnten Höhenrückens zwischen Ragnit und Insterburg schon für damalige Zeit annähernd gegolten haben dürfte. Außer dem größeren Waldkomplex der Eichwalder und Tzullkinner Forst bei Insterburg sind nur noch kleinere Waldflächen, wie die des Kindscher Waldes, als Reste des großen Graudenwaldgebietes zu finden. Pflug, Pferd und Vieh der Ansiedler, wozu die am Anfang des Jahrhunderts ins Land gezogenen Salzburger gehören, hatten alles übrige Waldland in Acker und vor allem Weide verwandelt, für die sich die ehemaligen Sumpfwaldflächen besonders eigneten. In dieser Zeit also, Anfang des XVII. Jahrhunderts, beginnen die ersten authentischen Unterlagen über das Gut Kindschen in Gestalt von Grundbuchaufzeichnungen. Denn die ersten Nachweise der Besitzverhältnisse auf Kindschen reichen zwar bis in die Mitte des XVI. Jahrhunderts, sind aber ziemlich zweifelhaft. Die Grundbücher bestätigen, dass die zum Dominium Kindschen gehörenden Ländereien furchtbar von der Pest heimgesucht wurden, erwähnen über den Kindschen Wald überhaupt nichts. Die erste Bemerkung über die Holzversorgung des Gutes ist in dem sogen. Gnadenprivilegium vom Jahre 1723 zu finden. Nach diesem werden die gesamten Kindschen'schen Güter von König Friedrich Wilhelm I. dem Oberstlieutenant und nachmaligem Generalfeldmarschall Friedrich Leopold, Graf von Geßler als Adl. Gut mit allen Rechten verliehen. Eines dieser Rechte war eine Holzberechtigung des Gutes über 25 Achtel Bau-, Bräu- und Brennholz aus den nächstgelegenen Kgl. Forsten. Aus dem Unerwähntlassen des Kindscher Waldes lässt sich schließen, dass ihm damals keine weitere, wirtschaftliche Bedeutung beigemessen wurde. Da die, in dem Privilegium ausdrücklich noch einmal verliehene Pertinencie des Gutes bis zum Jahre 1555 zurückreichen soll, ist daraus ferner zu folgern, dass die ganze nähere Umgegend Kindschens lange vorher waldarm gewesen sein muss. Dafür spricht auch die Nähe Ragnits, von wo aus die Ansiedlungstätigkeit, die in früheren Jahrhunderten immer mit einer Waldverminderung gleichzusetzen war, bereits in der weiter zurückliegenden Ordensherrschaftszeit eingesetzt hatte. Die völlige Verwüstung, der Kindscher und Sommerauer Güter während des Siebenjährigen Krieges bestätigt ein „Verkaufstermin" des Gutes aus dem Jahre 1759. Kindschen war 1740 von dem damaligen Feldmarschall Friedrichs des Großen, Graf Friedrich Leopold von Geßler an den Grafen Friedrich Ludwig, Erbtruchseß zu Waldburg verkauft worden und es ist von besonderem historischen Interesse -, weshalb mir diese Erwähnung auch an dieser Stelle erlaubt sei -, dass die Verkaufsverhandlungen über Kindschen an das Kriegslager von Mollwitz gegangen sind, welcher Ort durch die siegreiche Schlacht ein Jahr darauf im I. Schlesischen  Krieg berühmt geworden ist. 1759 verkauft Graf Friedrich Ludwig Erbtruchseß zu Waldburg die 1740 von dem Sieger von Mollwitz erworbenen Kindschen'schen Güter an den Oberamtmann Christoph, Friedrich Müller, Generalpächter auf Göritten. Auch in diesem Kaufvertrage wird der Wald nicht erwähnt, doch wird man die dort abgegebenen Berichte über die Kindscher „Wüsteneien" wohl auch auf den Wald beziehen müssen.

Wenn sich der Wald in diesem Jahrhundert dennoch hat erhalten können, so verdankt er das nicht so sehr der pfleglichen Hand der hier, wirtschaftenden Besitzer, vielmehr hat zu seiner Erhaltung außer der bereits erwähnten günstigen, natürlichen Lage zwischen Tilse- und Lipartfluss unfehlbar die zu Kindschen gehörige genannte Holzberechtigung beigetragen.

 

Seite 4   De Boarefang

De Sünndagoawend wör nu da;

On buten wör et schrecklich koolt.

Ons Franz de ging nu en et Huus,

Datt he sek bloß keen Schnuppe hoolt.

On wie he kömmt de Stoaw entlang,

De Gäste wöre groade weg,

Sitt he ne Buddel Boaretang

Met eenem Restke von.de Zech.

De Voader der wör oak nich da.

So geit he an den Desch moal ran,

He wör e beetke niegierig,

On kickt dem Kroam sek neejer an.

Ganz sacht titt he dem Proppe rut.

He wör ja doch e mod'ger Jung . . .

On riekt met siene Näs moal dran,

Dann hölt he‘m an sien kleene Tung.

Dalt schmeckt emm wörklich gar nich schlecht!

Gedocht hadd he sek datt ja glicks ...

On gröbbt jetzt noa de Buddel henn;

Dann nömmt he sek e Schluck ke fix.

Watt kribbelt datt em Halske emm!

Doch wör et oak e beetke söt.

On en dem Bugke wurd' emm warm

On en dem Koppke schrecklich heet.

Forts nehm he noch e Schluberke.

He wör e Jung on hadd doch Moot!

He nehm oak dree, on veer, on fiev . . .

Datt Tüch datt schmeckt emm wörklich goot!

Op eens wurd' he ganz liekeblass!

Emm wurd' so duselig to Moot

Em Bug on oak em Koppke dren . . .

De Sach bekeem emm gar nich goot!

Da keem met eens de Voader ren.

„O Gott, mien Jung, watt hest denn du?"

So froag he emm dann ganz besorgt,

„Watt ös denn die passeert? - Nanu!“

Doch da wurd' he de Flasch gewoahr

On toach emm glicks de Ohre lang . . .

E dus'lig Kopp on stamme Böcks

Datt hadd he nu vom Boarefang!

H. Rutkewitz

 

Seite 4   Dr. Hilbrig: Ein ostpreußischer „Mikrobenjäger"

Durch viele Schilderungen aus den Werkstätten der „Mikrobenjäger" kam auch der Name „Fritz Schaudinn" zu wohlverdienter Volkstümlichkeit. Der Zoologe Dr. Fritz Richard Schaudinn entdeckte im Jahre 1905 die blasse Spirochäte (Spirochaeta pallida), an deren Nachweis sich die erfolgreichen Heilversuche Wassermanns, Ehrlichs und von Wagner-Jauregg anschlossen. Schaudinns Entdeckung zählt zu den Großtaten deutschen Geistes und Forschungseifers.

Über Herkunft und Leben des 1871 „irgendwo" in Ostpreußen geborenen Forschers war bisher nur Skizzenhaftes bekannt. Seine entscheidende, Weltruhm bedeutende Tat vollbrachte Schaudinn in stiller Forschung als Regierungsrat und Abteilungsleiter des damaligen Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Nach den biographischen Notizen galt er schlechthin als ein Bauernsohn aus Röseningken im ostpreußischen Kreise Darkehmen, dem späteren Kreise Angerapp.

Röseningken war nun aber seit Menschengedenken niemals Bauerndorf, sondern ein Gutsbezirk. Ein Teil der Angaben musste also ungenau hingenommen werden.

Röseningken gehörte bis zuletzt als zweites Gut zur Herrschaft Weedern. All die vielen Pferdefreunde, die einst auf ihren Ostpreußenfahrten das Gestüt Weedern besuchten und bewunderten, haben auf diesem Boden gestanden. Es war sozusagen das Mütter- und Kinderheim von Deutschlands größtem Privatgestüt. Aber wohl kaum einer jener Gäste - die Ärzte und Mikrobiologen unter ihnen nicht ausgenommen - ahnte, dass auf diesem Hofe auch ein großer deutscher Forscher geboren sei, und hier seine ersten Kinderjahre verlebte. Auch Eberhard von Zitzewitz-Weedern, mit dem ich öfter darüber sprach, konnte Genaueres über jenen Schaudinn nicht mehr ermitteln. Erst die Schrift „Aus dem Leben von Fritz Richard Schaudinn" (Verlag Georg Thieme, Stuttgart) brachte uns endlich die gewünschte Klarheit. Die Verfasserin, Dr. med. Christel Kuhn, durchstöberte alte Familienurkunden und widmete ihrem Landsmann ein schönes, wertvolles Erinnerungsblatt.

Danach war der Vater unseres Schaudinn Verwalter des Rittergutes Röseningken, das schon damals zusammen mit Weedern der Familie von Neumann-Szirgupönen gehörte. Der Alte Fritz Schaudinn (1824 - 1891) muss eine recht selbständige Stellung dort eingenommen haben, denn Szirgupönen grenzte ein Trakehnen, lag also ziemlich weit vom Schuss. Wie es in den Lebensbeschreibungen des Sohnes heißt, hat sich der alte Schaudinn vom Pferdejungen aus emporgearbeitet. Herr von Neurnann schenkte ihm sein, volles Vertrauen. Er betreute die damals schon sehr hochwertige Stutenherde und teilte mit seinem Herrn Verständnis und Leidenschaft für das edle Pferd. Später zog Vater Schaudinn nach Gumbinnen und lebte dort bis zu seinem Tode als Vorkäufer für Remont- und Hengstfohlen.

Professor Richard Friese, dessen Elche Rominter Hirsche bis heute noch kein anderer Maler übertroffen hat, war Patenonkel unseres Forschers. Vielleicht ist das Bild, ein Aquarell, das Friese vom alten Röseningker Gutshaus mit den Stuten im Vordergrunde gemalt hat, heute noch vorhanden.

Die Schaudinns gehören durch viele Geschlechtsreihen zum Stamm der bodenverwurzelten Züchterfamilien an der Angerapp. Eine Reihe von Hengsten, die auf ihm Höfen geboren und in Weedern aufgezogen wurden, standen lange als bewährte Landbeschäler im nahen Landgestüt Gudwallen. Der Kreis Darkehmen bildete ja von jeher mit Gumbinnen, Insterburg, Stallupönen und Goldap den Kern dieses Hochzuchtgebietes. Außer den Gestüten wie Weedern, Beynuhnen, Dombrowken (Eibenhof) und Kleschowen gedieh gerade in dieser Gegend eine bäuerliche Landeszucht, die zusammen mit den großen Aufzuchtstätten ein Ganzes bildeten. Dieses Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen dem bäuerlichen Züchter und dem größeren Aufzüchter verbürgte die Stetigkeit der Zucht.

Zum Kummer seines Vaters wollte der junge Fritz Schaudinn von Pferden und von Jagd nie etwas wissen. Den zukünftigen Zoologen und bahnbrechenden Forscher fesselte sein Genie an ein anderes Blickfeld! Dr. Fritz Richard Schaudinn starb bereits ein Jahr nach seiner großen Entdeckung. In seiner Zähigkeit und Zielstrebigkeit hat er sich als treuer Sohn seiner Heimat erwiesen.

 

Seite 5   Gertrud Papendick: Die Kantherkinder. Roman einer Königsberger Kaufmannsfamilie

Wir haben die „Kantherkinder" bereits in einer Buchbesprechung ausführlich gewürdigt, dieses saubere und beschauliche Buch, das die Geschicke einer Königsberger Kaufmannsfamilie in den Mittelpunkt der Welt behäbigen Bürgertums um die Jahrhundertwende stellt. Das alte Königsberg wird wieder lebendig, das Hall, die Reunions der Seebäder. Wer z. B. unserer heranwachsenden Jugend anlässlich eines Geburtstages, einer Einsegnungsfeier, oder aus einem anderen festlichen Anlass ein wertvolles Geschenk überreichen möchte, dem können wir diese Neuerscheinung des Holzner-Verlages in Kitzingen/Main nur wärmstens empfehlen. Nachstehend bringen wir mit Genehmigung des Verlages eine kleine Leseprobe.

Die alte Stadt im Osten hatte ihr Gesicht in Jahren und Jahrzehnten wenig verändert. Aus der Umschnürung der Festungsmauern stiegen ihre vielen Türme in den blassen norddeutschen Himmel. Der hohe gotische Turm der Schlosskirche überragte sie alle, er war das Wahrzeichen für den Heimkehrer, das schon in der Ferne grüßend aufstieg, vom Abendlicht umglänzt, wenn der Zug von der Haffküste her über das endlose Gewirr der Gleise langsam heranrollte. Sein Anblick hatte Konsul Hermann Kanther vor jenen vierzig Jahren, da er, ein junger, weltläufiger Kaufmann aus England in seine Vaterstadt zurückkehrte, ganz unvermutet mit einer starken Bewegung gefasst. Und vielleicht war es in jenen Augenblicken geschehen, dass er gelobte, den Turm seiner Kindheit nicht wieder zu verlassen, seiner Stadt und dem Haus in der Oberdammgasse lebenslang die Treue zu halten. Der Schlossturm stand hoch über den engen, geschäftigen Straßen, die der ruhige Fluss zwiefach durchschnitt, von Brücken überquert, von Fahrzeugen aller Art in unaufhörlicher Bewegung wechselvoll belebt. Das war so gewesen und war heute noch so. Es konnte nicht sein, dass sich daran jemals etwas ändern würde, wenn auch vielleicht außerhalb der Festungswälle das überquellende Leben nach Ausbreitung und neuer Gestaltung griff. Und unverändert blieb die Lebensluft, die diesen festgefügten Raum durchwehte, und blieb das herbe, harte und kräftige Klima, das sich Menschen besonderer Sorte erzeugt hatte. Vielleicht waren sie nicht immer mit ihm zufrieden, es war eine schwere Anfechtung, sich so viele Monate mit einem hartnäckigen Winter herumzuschlagen und immer so lange auf den Frühling warten zu müssen. In diesem Jahr, das in der ersten Reihe des neuen Jahrhunderts aufstieg, kam er, wie es schien, später als sonst.

Anne Kanther, des Konsuls jüngste Tochter, die eigentlich Annemarie hieß - aber der Name war ja viel zu lang für den täglichen Gebrauch in einer großen Familie, die es nicht liebte Umstände zu machen -, Anne also besann sich Freilich darauf, dass es im Vorjahre auch weiße Ostern gegeben hatte: Schneefall und scharfen Wind, dann plötzlich Tauwetter und hinterher den Schlammschnee auf den Straßen, der zunächst einmal liegenblieb, als sollte er für ganz bestimmte Zwecke aufbewahrt bleiben; er war grau und wurde braun, er beherrschte das ganze Straßenbild und machte das Herz vor Kummer weinen, wenn man ihn nur ansah; noch schlimmer war es, wenn man hindurchmusste.

In der Regel gab es dann noch einmal Frost, ein paarmal vielleicht, und es folgten lange, graue Tage-Regen, Wind und wieder der Dreck, es war nicht Winter, nicht Frühling, nichts war es, eine Jahreszeit, die es nicht gab. die erst noch hätte erfunden werden müssen.

Wenn Anne Kanther den Weg über die Brücken ging, und das war der Gang jedes Tages, zu welcher Unternehmung und Verrichtung es auch sein mochte, dann war da immer der Fluss, der seinen Weg in die Freiheit nahm, unablässig und unwiederbringlich, und war der Wind, der weiß Gott woher kam, aus einem Loch in der Atmosphäre vielleicht, und ins Unbekannte von dannen trieb mit den Wolken vor sich her. Der Fluss und der Wind waren das Lebendige, das dieses steinerne Meer durchstieß, die große Kraft von draußen, die sich nicht halten ließ; sie waren der Ausweg aus der Bedrängnis, des einförmigen Lebens, das zumeist aus Stunden bestand – Unterrichtsstunden, Klavierstunden, Tanzstunden -, nein, die gab es zum Glück nicht mehr, aber dafür Besuche, Einladungen und die Abende zu Hause um den Familientisch; auch die sogenannten Vergnügen waren genau eingeteilt und festgelegt. Es waren die gleichen Dinge, die immer wiederkehrten, ein Rad, das sich drehte, man wusste immer alles vorher, es kam nichts Neues. Anne wunderte sich manchmal, was es wohl damit war, ob sie wohl allein diesen Überdruss empfand, vielleicht war irgendetwas nicht ganz in Ordnung in ihrem Gehirn, „überspannt" nannte man das. Doris z. B., ihre Schwester, hatte wohl nicht diese unruhigen, aufsässigen Gedanken, sicherlich nicht, obwohl Anne nie versucht hatte, mit ihr darüber zu reden; aber Doris war auch älter, schon einundzwanzig, vielleicht lag es daran, und auch bei ihr kam es dann mit den Jahren in Ordnung. Doch ganz sicher schien ihr das nicht. Doris war immer anders gewesen, und Anne war ja sozusagen auch schon eine junge Dame, aber sehr wohl war ihr dabei nicht.

Das Beste, was es gab, war die Sehnsucht - Sehnsucht, mein Gott, wonach, dass wusste Anne selber nicht -, es war dieses süße, ziehende und schmerzende Gefühl, dass zuzeiten das Herz erfüllte. Es war eigentlich immer da, es ließ sich nie ganz zudecken, es tat einen tiefen Atemzug, wenn man auf den Brücken stehenblieb und dem Fluss nachsah, der von dannen zog. Doch dieser Winter hatte das Wasser durch Monate unterjocht gehalten, der Fluss streckte sich als ein weißerstarrtes Tal zwischen seinen Ufern, auch die Fahrrinne hatte aufgegeben werden müssen, es war ein hochnordischer Hafen im Winterschlaf; ein paar Schiffe lagen im Eise fest, sie waren verschneit, verkrustet und verzaubert; keine Teerjacke ließ sich sehen -, keine Hand rührte sich darauf, kein Hund bellte den Möwen nach, die klagend nach Futter herumjagten. Über den Dächern stieg der Rauch kerzengerade empor in den eiskalten blauen Himmel, der kein Erbarmen kannte. Hinter seinem Rand, dort wo der Fluss einen Bogen durch weißes Wiesenland schlug, sank jeden Abend die Sonne in der gleichen blutroten Klarheit hinab. Anne hatte schon oft daran gedacht, sich Schlittschuhe anzuschnallen und ihr nachzulaufen. Sie konnte sehr gut laufen, ganz sicher, und wurde niemals müde, es würde den ganzen Fluss hinuntergehen und weiter, weiter, eine langgezogene Eisbahn bis hin aufs Haff, und da war dann kein Ende mehr. Sie wusste, dass die Primaner so etwas machten, auch die Studenten zuweilen, doch die hatten meist nicht so viel Zeit und Sinn dafür neben ihrem Comment und Comniers und wie das alles hieß; aber die eingeborenen großen Jungens wie Bernhard Fischer zum Beispiel, die leisteten sich in jedem Winter so eine Tour abwärts aufs Haff oder stromauf in die Provinz hinein; dann gingen sie nach ein paar Stunden Eislauf in irgendeinem Gasthaus vor Anker, so einem Dorfkrug am Rande der Welt, und tranken sich ordentlich warm für die Rückfahrt - Grog, Bier und Schnaps, wie man das hierzulande machte. Wahrscheinlich wurde deshalb auf den Gymnasien und auch von den Eltern diese Sportausflüge, wie sie hießen, nicht gewünscht oder gar verboten, aber da pfiffen die ja drauf und machten es heimlich. Von Bernhard wusste es Anne ganz genau, und sie war nicht ganz sicher, ob nicht ihr Bruder Otto damals vor Jahren auch ... aber so war das: innerhalb der Familie erfuhr man so etwas am allerwenigsten.

Warum sollte sie nun eigentlich nicht auch, zäh genug war sie allemal, und es würde einmal etwas sein, eine Tat und ein Erlebnis. „Du bist nicht recht bei Trost", hatte Doris ihr gesagt, als sie einmal davon anfing. Nein es wurde nichts draus, sie war eben doch nur ein Mädchen, eine höhere Tochter, sie konnte sich so etwas wohl ausdenken, aber nie und nimmer wirklich tun. Denn wie sollte man sich so etwas in Wirklichkeit vorstellen? Allein oder etwa in männlicher Begleitung? Da war eins so schlimm und unerlaubt wie das andere. Anne überlegte, was es wohl gegeben haben würde, wenn Bernhard Fischer sie vielleicht einmal mitgenommen haben würde. Solch ein Langlauf dauerte natürlich doch den ganzen Tag, erst tief in der Dunkelheit konnte man wieder zurück sein, und damit war ein junges Mädchen aus guter Familie auf Lebenszeit unsterblich kompromittiert. Es war beinahe aufreizend, sich vorzustellen, was für ein Skandal das ehrbare Kantherhaus bis in seine Grundfesten erschüttert hätte. Er würde seine Wellen durch die ganze Stadt geschlagen haben, denn es gab natürlich keine Möglichkeit, eine solche Untat mit Erfolg zu verheimlichen; keine der wohlerzogenen Töchter des Landes hätte weiter mit Annemarie Kanther verkehren dürfen. 

 

 

Seite 6   Max Halbe: Eisgang auf der Weichsel

„Sechshundert Jahre steht der Damm, seit des Landmeisters Meinhard von Querfurt's Tagen. Der hat mit seinen Ordensrittern den wilden, strudelnden Weichselstrom eingedeicht bis dorthin, wo die Nogat abzweigt und das Delta beginnt. Fruchtbares Weizenland erwuchs, wo vor dem Sumpf, Weidedickicht, Lagune war. Wetterharte Bauerngeschlechter haben den Ordensherren das Werk aus der Hand genommen, haben es fortgesetzt und im Kampf gegen die Elemente gehalten bis heute. Viele Meilen weit laufen die beiden Deiche rechts und links des Stromes hinunter zum Haff und zur See, machen jede seiner Biegungen, seiner Krümmungen mit. Aber eben hier, in den Krümmungen, liegt die Gefahr. Es sind die Punkte des geringsten Widerstandes, wo die Eisschollen, wenn der Strom ins Treiben kommt, sich nur zu leicht aufstauen und mit ihren messerscharfen Randflächen gegen den Damm anrennen.

Das ist, als ob gewaltige Mauerbrecher am Werk wären. Wie oft haben sie im Laufe der Jahrhunderte die Deiche bald rechts bald links zermürbt, zerschlitzt, durchbrochen! Der Sieg des Menschen über das Element ist noch immer nicht ganz entschieden! Es kann noch ein jüngster Tag kommen, wo der Strom doch das letzte Wort behält. Unausrottbar lebt dieses Gefühl im Volksbewusstsein, wenn auch die Techniker und die Sachverständigen das Gegenteil beweisen. Im Stillen zittern auch sie, dass wieder einmal etwas passieren könnte.

Und eines Tages - Fastnacht und die Fastnachtsporzeln sind vorbei! - blicken die Großen ernster als sonst drein, gehen mit sorgenvollen Mienen umher. Der Vater rüstet sich zur Eiswache, gibt Befehle im Stall. Auf jeden Hof, je nach seiner Größe, entfällt eine bestimmte Anzahl von Gespannen, die werden am Damm bereit gehalten, um sofort Sand- und Erdfuhren an die bedrohten Stellen zu schaffen. Seit gestern hat sich der Strom oberhalb in Bewegung gesetzt, heute wird der Eisstoß auch hier beginnen ...

Ein Knall wie ein Kanonenschuss! Stimmengebrause draußen auf dem Damm! Eisgang! Eisgang! Der Strom ist losgebrochen. Was braucht es noch Geschrei und Signal! Seine donnernde Melodie übertönt alles Menschenwort. Es brandet und brodelt und braust und geifert und zischt und knattert und röhrt … Der Strom steigt von Minute zu Minute, bald wird er über sein Bett hinaus die ganze Breite der Außendeiche zwischen den beiden Dämmen ausgefüllt haben. Das ist insgesamt eine Viertelmeile! (1,7 Kilometer). Und die Dämme sind vierzig Fuß hoch (Zwölf Meter, nach der Erhöhung sogar vierzehn). Alles das ist Überschwemmungsgebiet. Spielraum genug, so sollte man meinen, damit der plötzlich zum Riesen gewordene Strom sich recken und tummeln und mit den Eisschollen Fangball spielen kann. Es sind manche darunter, die viele Geviertmeter Umfang haben und sich in Haushöhe übereinander türmen, um plötzlich donnernd zusammenzustürzen. Ist es nicht, als ob das alte Chaos wieder seinen Einzug halte, wenn man von der Dammhöhe diese springenden, strudelnden, kollernden, donnernden, gischtenden Riesenschollen in unwiderstehlichem Prall vorüberbranden sieht? Wehe, wenn irgendwo stromab eine Hemmung, eine Verstopfung auftritt! Dann zeigt es sich, dass der der Willkür des Elements, preisgegebene Spielraum noch immer nicht ausreicht, es zu bändigen. Im Nu steigt die entfesselte Flut vor der Eisbarriere, die sich ihr in den Weg stellt, bis zur Höhe der beiderseitigen Dammkrone. In rasendem Ansturm werfen sich die Eisschollen gegen den Damm, schlagen ihre Pranken tief in seine Eingeweide und zerreißen ihn wie morschen Zunder.

Ein solcher Durchbruch war es, dem vor einem Jahrhundert zur Zeit der Urahne ein großer Teil unseres besten Landes zum Opfer fiel!'

 

Seite 6   Wassernot anno 1829

Am 12. April 1829 wurde das Dorf Weichselmünde von einer Katastrophe heimgesucht, die viele Opfer kostete und fast die Hälfte des Dorfes vernichtete. Das Eis, das noch am Tage vorher fest im Fluss stand, war in Bewegung gekommen und hatte sich weiter oberhalb gestaut, was ein reißendes Hochwasser zur Folge hatte. In einem kleinen Büchlein aus dem gleichen Jahre wurde das Unglück geschildert und gleichzeitig zur Gabensammlung für die Opfer aufgefordert.

Dort lesen wir: „In der Nacht vom 10. auf den 11. April hatte das Wasser noch mehr zugenommen, und der unerhörte Strom in der Weichsel führte die sich zur Beute erkorenen Gegenstände mit solcher außerordentlichen Schnelligkeit vor dem Auge des Beobachters vorbei, dass es weder möglich war, sie von den unmittelbar an der Weichsel gelegenen Bastions deutlich zu erkennen, noch mit dem Auge zu verfolgen. Einen auffallenden Gegenstand (wie z. B. eine eingesargte Leiche im Sterbehemde, oder ein Floß, auf welchem vier männliche Leichen lagen) in der Ferne gewahren, ihn fast in demselben Augenblick vor sich sehen und auch schon wieder aus dem Gesicht verlieren, dazu war dem schnellsten Blicke nur ein Moment vergönnt. Nur dem leichten Zugvogel ward eine solche Schnelligkeit verliehen." Und an einer anderen Stelle: „In jenen Schreckenstagen war der Seestrand von der Weichselmündung bis Brösen und Heubude mit Gegenständen aller Art bedeckt. Zertrümmerte Häuser, Ställe, Scheunen, volle Kisten, Kasten, Spinder, Kommoden, Stühle, Tische und allerlei Hausgeräte, Bäume, Brücken, Bau- und Brennholz, Leichname beiderlei Geschlechts und totes Vieh - alles lag durcheinander und wurde von den, dem Strande zulaufenden Wellen immer enger zusammengedrängt. Dieser ungewöhnliche Anblick, so wie das unangenehme, tief in die Seele dringende Geräusch, welches durch das unaufhörliche Zusammenquetschen der schwimmenden Gegenstände verursacht wurde, ließ den Beobachter an dieser Stelle, die ein schreckliches Zeichen der zum Teil noch unbekannten großen Verheerungen lieferte, nur einige Augenblicke verweilen. Doch wohin er sich auch wandte, überall umgaben ihn stumme oder weinende Zeugen des Unglücks und Opfer des furchtbaren Elements!"

2 Fotos: Archiv

 

Seite 6   Hermann Sudermann: Bilderbuch meiner Jugend

Gegen den Ausgang des Winters hin, im Monat März, wenn die erste Schneeschmelze die weiten Wiesen zu einem uferlosen See verwandelt hat, aus dem nur hier und da ein Gehöft oder eine Baumkronengruppe gleich Inseln herausragt, dann pflegt bei blauendem Frühlingshimmel ein kurzer, milder Frost noch einmal einzusetzen, der um die Mittagstunde bei Windstille zu widersinniger Wärme wird.

Dann pflegen sich die Wasserflächen noch einmal mit einer leichten Eiskruste zu bedecken, die bei Tage abschmilzt und zur Nacht wieder stärker wird. Sie wird gerade stark genug, um einen Schlittschuhläufer zu tragen, und ist so glasklar und durchsichtig, dass man nichts von ihr gewahrt, selbst wenn man dicht über ihr dahinfährt. Im Gegenteil, man sieht nichts weiter wie unter ihr das niedergebogene grüne Gras und die Fischchen, die glitzernd in den Gräben hin und her schießen. Wäre das Klingen und Klirren nicht, mit dem die Schlittschuhe das Eis durchschneiden, man würde des Glaubens sein, erdentbunden durch die Lüfte zu schweben. Und schließlich glaubt man es wirklich. Nie, selbst im Traume nicht, habe ich die Illusion des Fliegens so ungeschmälert durchkostet, wie an jenen sonnenklaren Märznachmittagen, an denen Himmel und Erde in eins zusammenwuchsen, und alle Langsamkeit und alle Schwere in lachender Wonne sich löste. Der große Strom, der sonst sein sagenhaftes Dasein führte, da er wohl eine Meile entfernt war, und von Kleinjungensbeinen niemals erreicht werden konnte, lag schon nach zehn Minuten in königlicher Ruhe da - weiße Schollengebirge, an den Rändern von blau leuchtenden Spiegeln übergossen. Auf diesen Spiegeln fuhr man hinaus in die weite Welt, und das Herz jubelte nahenden Feenländern entgegen.

Und eines kam - sich dehnend zu lichtüberströmter Unendlichkeit. Der Strom wurde breiter und breiter - und plötzlich war er nicht mehr da - hatte sich aufgelöst in unabsehbarem Leuchten und Glitzern. Das Auge ertrank in Fluten des veilchenfarbenen Glanzes, die über breite kristallene Brücken daherströmten. Die Bläue rechts und links, die sich weitab im Nebel verlor, glich nicht der Bläue des Inneneises, sie war durchmustert von Funken und Blitzen, als habe sie einen Sternenhimmel verschluckt, und dunkle, schmal Bänder zogen sich quer hindurch. Das waren die Schrecken der Schlittengespanne, die offenen Stellen, in die man hineinfuhr, wie in den Rachen des Todes. Umkehren oder weiter hinaus? Nein, weiter hinaus. Trotz Herzklopfen und Todesgefahr. Einen Trunk

Unendlichkeit trinken, ein Staubkorn werden, wie jener Schlitten, der weit, weit in die Ferne als schwarzes Pünktchen quer über das Haff kroch. Das Eis erklang, die Risse donnerten, und so flog man hinein in die Lichtwelt. Bis sie anfing sich purpurn zu färben, bis das Blau sich zu Rosa verklärte und der blasse Märzenmond plötzlich am Himmel stand.

Und dann plötzlich war alles zu Silber geworden. Silbern die Dächer - silbern die Bläue des Eises. Selbst das Gras, das verzaubert unter gläserner Decke des Frühlings harrte, war mit Silberfunken besetzt. Aber die Fischchen schliefen …

 

Seite 6   Ritt auf der Nehrung

Zerzauste Kiefern, lichte Birkenstämme,

Strandhafer, Disteln auf der Düne Rand,

Graublauer Himmel, weiße Wogenkämme,

Die alte Straße zwischen Meer und Land.

Wildvogelflug, des Elches breite Fährte,

Mein Rappe tänzelnd an der Brandung Saum,

Jedwege Sorge, die das Herz beschwerte,

Versinkt in Licht, in Sonne, Gischt und Schaum.

Albert Lehsten.

 

Seite 6   Tierstimmendeutung im ostpreußischen Volksmunde

„O du Kindermund, unbewusster Weisheit froh, Vogelsprache kund wie Salomo!“ sagte Friedrich Rückert. Ja, unsere ostpreußischen Landkinder wussten die Sprache der Tiere zu deuten; denn sie hatten – im Gegensatz zu den Städtern – täglich Gelegenheit, ihre Beobachtungen zu machen und Betrachtungen anzustellen.

Als ersten Frühlingssänger begrüßten wir die Lerche, die den Lenzmorgen zu preisen wusste: „O, wie ist das schön! Schön ist das, schön ist das, schön!“ – Manchmal sang sie auch“ „Ich möchte gern zum Himmel fliegen!“ Und dann stieg sie empor, und wenn sie wieder zurückkehrte, bedauerte sie: „doch ist’s so weit so weit, weit, weit!“ Mit dem Hütejungen sprach sie natürlich plattdeutsch: „Driew, Jungke, driew! Häst e goode Wört, dann bliew! Oes he schlöm, denn tee wiet, wiet!“

Beim Anblick der jungen Mädels jubilierten die Lerchen: „Alle Mädchen sind schön, sind schön! Wenn ich sie seh, wenn ich sie seh, wenn sie in’s Feld geh’n, in’s Feld geh’n, in’s Feld geh’n!“ Aber die Schwalben antworten dann: „Aber du sollst sie sehn, wenn ich sie seh, wenn ich sie seh, wenn sie zur Küche gehen, zur Küche gehen und am Kochtopf stehn, am Kochtopf stehn, denn sollen sie sich was schä-----men!“

Die Hausschwalbe zwitscherte: „Als ich wegflog, als ich wegflog, als ich wegflog, ließ ich Kisten und Kasten voll als ich wiederkam, als ich wiederkam hatte der Sperling, der Dickkopf, der Dickkopf alles verzehrt!“ – Auch plattdeutsch wusste die Frühlingsbotin zu berichten: „Värget Joahr weer voll de Fack, weer voll de Fack, häfft all dat Pack vertärt, vertärt, vertä------rrt!“ – Die Mauerschwalbe war besorgt um ihre Jungen; denn sie rief: „Will meinem Kind ein Mützchen machen, Mützchen machen, doch hab ich keinen Zwi------rrrn!“

Auf der feuchten Wiese flog im Zickzack der scheue Kiebitz auf: „Kiewitt, Kiewitt, wo bliew eck?“ klagte er; denn er fürchtete ständig, dass jemand sein Nest mit den gesprenkelten Eiern finden und ausrauben könnte. War aber weit und breit kein Mensch und kein Fuchs oder sonst ein Eierdieb zu sehen, dann gab er sich selbst die Antwort auf seine Frage: „Kiewitt, wo bliew eck? – Oem Brommelbeerbusch! Doa danz eck, da sing eck, da hebb eck mien Lost!“

Auch der Buchfink schmetterte sein Liedchen in die Welt: „Es wird Frühling, es wird Frühling!“ Sah er irgendwo einen Dungwagen fahren, stellte er die kecke Frage: „Fahrt ihr Mist, Mist, Mi-----ist?“ Die kleinen ABC-Schützen wurden auf dem Wege zur Schule von ihm verhöhnt: „Lernt man buchstabir’n, buchstabi----iern!“ – Mit der Goldammer hält er besondere Freundschaft: „Warum, warum kommst du kein einz’ges Mal?“ (nämlich zum Besuch) und die Ammer gibt Bescheid: „Ich hab‘ kein‘ Zeit, Zeit, Zei---it!“ Die Goldammer ist auch sehr stolz auf ihr schönes Gefieder und lobt sich selbst: „Kieck, edl, edl, edl bin ick!“

Der Pirol flötet überall sein Düdellüüo!“ Unsere ostpreußische Jugend meinte, er rufe seinen Namen: „Herr von Bülow!“ Und der Rohrsänger schilpte: „Koarl, Koarl, Kieck! Oes de Rohr all riep?“

Wer seine Lebensjahre wissen wollte, wusste dem Kuckuck zuzurufen: „Kuckucksknecht, sag mir echt, sag mir recht, sag mir klar, auf ein Haar, wie viel Jahr‘ ich leben wird? Belüg mich nicht, betrüg mich nicht, sonst bist du der rechte Kuckuck nicht!“

Die Wachtel begleitete die Grasmäher auf die Wiese und flötete dort den Mähersang: „Scharrp, scharrp, hau toa, lange Dag, koarte Nacht!“ – Manch einer vernahm auch: „Flöck de Böx, flöck de Böx!“ oder bei nahendem Gewitter: „Fürchte Gott! Fürchte Gott!“

Frech war Sperling wie überall, kam er an einem Futterplatze mit andern gefiederten Genossen zusammen, dann schimpfte er sofort: „Dat ös mien, dat ös mien!“ oder er forderte: „Göff mie e Piep, göff mie e Piep!“ – Wollte ihn jemand verjagen, dann wusste er zu necken: „Griep mie, griep mie; denn kröchst mie, denn kröchst mie!“

Auch die Wildtauben unterhielten sich in plattdeutscher Mundart. Der Täuberich rief: „Komm Fruu, komm Fruu!“ – Und das Täubchen erwiderte: „Du, du, du, du!“ worauf der Tauber weiter forderte: „Bliew mie truu, bliew mie truu!“

Der Hühnerhof war von jehrer Resonanzboden für alle Geflügelartensprache. Aus einer Luke des Getreidespeichers rühmte der Hahn: „Rieke Lüd, rieke Lüd!“ Die Ente jedoch, die das nicht finden konnte, entgegnete aber: „Dat, dat, dat ös Pra-Pra-Pra-Pracherpack!“ Wenn zur Manöverzeit sich irgendwo Truppenteile sehen ließen, gackerten die Hühner: „Soldaten kommen, Soldaten kommen!“ Und aufgeregt lief der Hahn auf den Dunghaufen, um die Ankömmlinge zu mustern und schrie dann: „Kavallerie, Kavallerie, Kavallerie!“ und die Enten mahnten zur Ruhe: „Man sacht, man sacht, man sacht!“

Auch des Menschen treuester Freund unter den Tieren konnte in unserer Heimat sprechen. Wenn im Winter der Wächter des Hofes frieren musste, bellte er: „Haus’chen baun, Haus’chen bau’n!“ Aber im Sommer war er anderer Meinung: „Lass das, lass das!“ Ging es ihm gut, dann prahlte er: „Der Hof ist groß, groß!“ Und Fremde erhielten die Aufforderung: „Raus, raus, raus!“ Hatte er einmal Gelegenheit, hinter einem Wagen herzulaufen, dann jappte er: „Hebbe, hebbe, hebbe!“ Konnte er ihn packen, war die Freude groß: „Hab ihn, hab ihn!“

Nach dem ostpreußischen Volksglauben waren die Unken verwünschte Jungfrauen, die nicht heiraten wollten und darum im Wasser leben mussten; denn ihre Klage lautete: „Unk, unk, unk, vär Tiede weer eck jung; Hadd eck bloß e Mann genoahme, weer eck nich önn’m Soamp gekoame!“ – Andererseits riefen sie aus dem Teiche: „Woll’n wir weinen? Woll’n wir weinen?“ Und dann jammerten alle, dass es sich wie fernes Glockenläuten anhörte: „Plu, plu, plu, plu!“

Auch untereinander führten die Frösche Gespräche: „Gevattersch, Gevattersch, wann wirst du back’n, wann wirst du Back’n?“ fragte eine Froschmutter die andere: „Moarge, Moarge, Moarge!“ entgegnete sie, und begeistert kam die Zustimmung: „Dann back ich auch, dann back ich auch!“ Und die Gesprächspartnerin gab sogar die Backart bekannt: „Kuckel, Kuckel, Kuckel!“

Bekanntlich wurden zur Martinizeit die ersten Gänse bei uns geschlachtet, dann konnte man der Zwiesprache zwischen Gans und Gänserich lauschen. Besorgt schnatterte die Gans: „Ganter, Ganter, Ganter!“ – „Wat ös denn? Wat ös denn?“ forschte der Gebieter. Dann mahnte die Teure: „Ös bold Martin, ös bold Martin!“ Und im Hinblick auf diesen Tag, hub der Ganter an zu klagen: „ Ach, Gottchens, ach Gottchens, ach Gottchens!“

Nach dem Eierlegen kakeln bekanntlich die Hühner und daheim konnte man von der Henne vernehmen: „Gack, gack, goah, dat Ei liggt öm Stroah; nu goah man henn onn hoal et her, Moarge legg eck wedda mehr!“

Mögen diese Tierlaute in der jetzigen Zwangsheimat uns Erinnerung und Auffrischung an unsere alte Heimat geben, damit wir Altvertrautes nicht vergessen! Hermann Bink

 

 

Seite 7   Hinweise

Liebe Sportkameraden des Ostens! Der erste Vorsitzende des deutschen Leichtathletikverbandes, Dr. Danz, hat mich beauftragt, die alten LA-Funktionäre und Leichtathleten aus den abgetrennten Ostgebieten bei den diesjährigen LA-Meisterschaften am 25./26. Juli in Augsburg zu einem Wiedersehenstreffen zusammenzuführen. So rufe ich alle alten und jungen Kameraden. Frauen und Männer aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig, Pommern, Warthegau und Schlesien auf, sich mit mir in Verbindung zu setzen und mir kurze Nachricht über ihren jetzigen Wohnort und über ihr Ergehen zu geben. Insbesondere auch, ob sie der Leichtathletik aktiv oder in einer Funktion treu geblieben sind. Ich bitte um Eure volle Unterstützung, damit wir am 25. Juli in Augsburg im großen Kreise Erinnerungen an die unvergessliche Heimat und das ideale Sporttum der früheren Zeit austauschen und den Kampf der Jugend um die höchste sportliche Ehre gemeinsam und aufs Neue erleben können. Mit sportlichen Grüßen in heimatlicher Verbundenheit Dr. Herbert Schmidtke. Friedberg/Hessen, Mainzertoranlage 9

 

Turnerfamilie Ost- und Westpreußen

Das 7. Wiedersehenstreffen der Turnerfamilie Ost- und Westpreußen ist um 1 Woche verschoben worden. Es findet daher nicht vor dem Deutschen Turnfest in Flensburg-Mürwik, sondern während des Deutschen Turnfestes vom 5. - 9. August 1953 in Hamburg statt. Damit können die aus allen Bundesländern nach Hamburg fahrenden Sonderzüge zu dem um fast 70% ermäßigten Fahrpreis benutzt werden. Voraussetzung für die Erlangung aller damit zusammenhängenden Vergünstigungen ist die sofortige Anmeldung als Turnfestteilnehmer. Näheres ist bereits durch Rundschreiben bekanntgegeben und kann beim Familienwart Wilhelm Alm in Oldenburg (Old) Gotenstraße 33 erfragt werden. Die Meldetermine bleiben unverändert. Meldeschluss am 31.03.1953.

 

„Traditionsverband 21. Infanterie-Division

Auf Einladung der Kameradschaft des Artillerie-Regiments 21 trafen sich in Frankfurt Vertreter aller Einheiten der ostpreußischen 21 Infanterie-Division und gründeten den „Traditionsverband 21. Infanterie-Division". Damit haben die verschiedenen örtlichen Bestrebungen innerhalb der heimatlos gewordenen Division die von allen erhoffte Lösung gefunden. Der Traditionsverband hat die Teilnahme an dem großen Treffen niedersächsischer und ostpreußischer Soldaten anlässlich der Tausendjahr-Feier in Göttingen am 29./30.08.1953 beschlossen und wird dabei sein erstes Divisionstreffen veranstalten. Die Anschrift des Traditionsverbandes lautet: Frankfurt am Main, Reuterweg 88 (bei Dr. Brechtel).

 

Dem Zeitgeschmack angepasst

Wie uns die Keramikfabrik Krüger in Nienburg an der Weser mitteilt, sind auf Grund unseres letzten Artikels „eine Menge Anfragen" eingegangen. Alle Freunde der Cadiner Majolika werden bei der Hannoverschen Mustermesse vom 1. bis 5. März im neuen Messehaus, Block B, I. Stock, Stand 157, Gelegenheit haben, die neuesten Erzeugnisse an Cadiner Gebrauchsgeschirr zu sehen. Es hat sich gezeigt, dass hier im Westen die kobaltblaue Farbe der braunen vorgezogen wird und so wird nunmehr in der Hauptsache in diesen Farben und mit Gold gearbeitet. Dadurch kommen aber viele der überlieferten Formen in besonders ansprechender Weise zur Geltung.

 

Gelsenkirchen Patenschaft für Allenstein

Am 31. Oktober 53 soll die 600-jährige Wiederkehr der Gründung der Stadt Allenstein in Gelsenkirchen feierlich begangen werden, dessen Stadtväter sich zur Übernahme der Patenschaft bereit erklärten. Gelsenkirchen ist eine der bedeutendsten und reichsten Orte des Ruhrgebietes. In seinem Bereiche leben Generationen von Ostpreußen, die sich eng zusammenschlossen. Von dieser Stadt des Ruhrpottes rollten seinerzeit die Züge zu der Abstimmung in Ostpreußen - 1920 . . . 1953 . . . Abschnitte der Bewährung.

 

Ostpreußische Herdbuchgesellschaft

Wer Forderungen an die Ostpreußische Herdbuchgesellschaft aus dem Darlehnsfonds hat und den Betrag für den Lastenausgleich anmelden will, kann eine diesbezügliche Bescheinigung von Herrn v. Saint-Paul, Zieverich b. Bergheim (Erft). anfordern. Es sind nur die Unterlagen der Abteilungen Königsberg und Allenstein gerettet, dagegen nicht die von Insterburg. Unterlagen über verkaufte Tiere und Auktionserlöse sind ebenfalls nicht vorhanden. Unkostenbeitrag für Bescheinigungen 1,50 DM Konto Herdbuchgesellschaft Nr. 46 00 bei der Kreissparkasse in Bergheim (Erft).

 

 

Seite 7   Aus den Landsmannschaften

Celle

Die Landsmannschaft Ostpreußen, Stadtkreis Celle, hielt am 30. Januar 1953 satzungsgemäß ihre Jahres-Hauptversammlung unter reger Beteiligung ihrer Mitglieder ab. Der 1. Vorsitzende Assessor Novak und die Kassenprüfer gaben ihren Geschäftsbericht. Die letzte Kommunalwahl brachte der Landsmannschaft 2 Sitze im Stadtparlament. Stellvertretender Oberbürgermeister wurde der 1. Vorsitzende Assessor Novak; als Ratsherr zog in das Parlament der Lehrer i. R. Galitzki. Nach Entlastung wurde der geschäftsführende Vorstand in teilweiser Wiederwahl einstimmig gebildet mit den Landsleuten Novak, Wittkowski, Reiter und Zimmermann. Gleichzeitig wurden alle Bezirksleiter für das neue Geschäftsjahr einstimmig wiedergewählt.

Espelkamp

Am Sonntag, den 1. Februar, fand in der aufblühenden Ostvertiebenenkolonie Espelkamp-Mittwald ein Gottesdienst für die ostpreußischen Gemeindemitglieder statt, bei dem Pfarrer Barutzki, früher Ostpreußen, predigte. Am Nachmittag vereinigten sich die Landsleute zu einem gemütlichen Treffen. Pfarrer Plantikow, früher Ostpreußen sprach Begrüßungsworte, worauf Pfarrer Barutzki in humorvoller Weise Personen und Ereignisse der alten Heimat an unserem geistigen Auge vorüberziehen ließ. Nach Liedern des Ostvertiebenen-Männerchores „Land der dunklen Wälder - Ännchen von Tharau", sprach Rektor Hardt, früher Königsberg-Heiligenbeil, passende Worte zu den Landsleuten unter dem Motto „Bleibt Eurer würdig!". Dann folgten Volkstänze ostpreußischer junger Mädel.

 

Lübbecke

Die ostpreußische Landsmannschaft in Lübbecke hatte ihre Monatsversammlung im Februar in das Zeichen der Fastnacht gestellt. Der Sprecher der Gruppe, Herr Hardt, plauderte in launiger Weise über die Fastnachtsbräuche in der alten Heimat und Herr Kreuzholz jun. erfreute die Anwesenden durch Vortrag von plattdeutschen Liedern und Gedichten.

 

Seesen am Harz

Brauchtum und Sitten der Heimat zur Fastnachtzeit bildeten das besondere Gepräge des Heimatabends, den die Ost- und Westpreußen im geschlossenen Mitgliederkreise am 7. Februar unter Regie der Kulturreferentin Frau Lieselotte Donnermann im Ratskeller durchführten. Während des geselligen Teils sorgten Gemeinschaftslieder, Heimatchöre unter Leitung von Organistin Else Kross-Münchehof und Vorträge aus der Feder der ostpreußischen Humoristen Dr. Lau und Robert Johannes für gediegene Unterhaltung. Herbert Lehmann erwies sich dabei erneut als vorzügliche Stimmungskanone. - Für die nächste heimatpolitische Stunde am 7. März hat Obmann Papendick eine Vortragsfolge über die historisch kulturelle Mission Danzig-Westpreußen zusammengestellt.

 

 

Fastelawend bei den Reichenhaller Ost- und Westpreußen

Wer da meint, dass die Reichenhaller Ost- und Westpreußen keinen zünftigen Fasching feiern könnten, wurde am Samstag, den 7. Februar, in deren Stammlokal, dem „Münchner Hof", eines Besseren belehrt. „Fastelawend mit Fleck und Bärenfang" war ihr Motto. Neben dem Reichenhaller Stamm war eine Ehrenabordnung des „Nachbarstammes Berchtesgaden" erschienen, und ein königlich-bayerischer Polizeikommissar aus der Zeit vor 1914 bemühte sich vergeblich, vorerst einigermaßen Ordnung unter den närrischen Ost- und Westpreußen zu schaffen. Als dann zwei Rokoko-Pärchen ein entzückendes Menuett tanzten, brauste der erste Beifall auf. Mit lustigen Worten begrüßte der „Häuptling" des Reichenhaller Stammes alle Landsfrauen und Landsmänner und die Gäste. „Lieber gut leben und dafür e Jahrche länger", so hieß es in der alten Heimat. Dies sollte auch hier gelten. Ein lustiger Clown mit Luftballons und einem vierbeinigen Gefährten, leitete dann die Vorführungen der Gymnastikschule Weigand ein. In gewohnter Meisterschaft entzückten die eleganten, zierlichen und feinen Darbietungen.

Dass überall Hochstimmung ist, wo die „Vierlinger Buam" zum Tanz aufspielen, hat sich auch hier wieder gezeigt. Weitere Einlagen, wie der „Rüpeltanz" und die Schauermären zweier original ostpreußischer Tippelbrüder mit ihrem Leierkasten sowie Lieder des „Berchtesgadener Stammes" brachten die Stimmung auf den Höhepunkt.

Mit der Stimmung nahm auch der Hunger zu, und als dann der alte Koch mit dem großen Kessel voll dampfender Fleck erschien, drängte das närrische Volk heran und empfing jeder sein Schälchen Fleck mit Semmel. Und die meisten spülten dann mit einem Bärenfang nach und holten sich das nächste Schälchen, es war reichlich da, und sie wurden alle satt. So herrschte Fröhlichkeit und Stimmung bis zum Schluss. Erst als sich der Morgen graute begleiteten die letzten unverwüstlichen Reichenhaller die Berchtesgadener Stammesgenossen gleich zum ersten Zug zur Heimfahrt auf den Bahnhof.

 „'S war halt doch eines schönes Fest, alles wieder froh gewest!"

 

Treffen der Treuburger in Wuppertal

Am 8. März treffen sich die Treuburger in der Gaststätte „Zoo" in Wuppertal. Der Oberbürgermeister von Wuppertal und Vorsitzende der Notgemeinschaft Bergisch-Land, Schmeißing, hat in einem Aufruf meinerseits die echte Verbundenheit mit allen ehemaligen Einwohnern Treuburgs zum Ausdruck gebracht! Diese Freundschaft habe bereits im ersten Weltkriege bestanden, als es galt, die Schäden Treuburgs nach dem Russeneinfall zu beheben. Wenn auch heute die Städte des Bergischen Landes selbst vom Kriege schwer getroffen seien, so werde doch nach Kräften mitgeholfen werden, um auch diesmal wieder den Treuburgern eine ideelle, neue Heimat zu sichern. Anmeldungen für die Wiedersehensfeier sind zu richten an: „Geschäftsstelle der Kreisgemeinschaft Treuburg e. V , (23) Oldenburg (Oldbg.), Hochhauserstraße 10.

 

Fingerzeige für den Lastenausgleich

Die Arbeitsgruppe „öffentlich-rechtliche Versicherung im Verband der Sachversicherer e. V. in Köln" Geschäftsstelle Hamburg 1, Kurze Mühren 20, hat gebeten, interessierte Personenkreise davon in Kenntnis zu setzen, dass sie nicht in der Lage ist, Angaben über die Dienstverhältnisse der ehemaligen Beamten und Angestellten von Feuerversicherungsanstalten in den Ostgebieten zu machen. Die betreffenden Unterlagen sind in den Ausweisungsgebieten verblieben und nicht mehr zugänglich. Dies betrifft auch die Danziger Feuersozietät in Danzig, Elisabethwall 9 und die Feuersozietät für die Provinz Ostpreußen in Königsberg i. Pr. Straße der SA 94/99.

 

Seite 7   Chronik.

Wir gratulieren

Goetz Oertel, Sohn des früheren Direktors der Mühle Stuhm Raiffeisen, Egon Oertel (aus Gumbinnen) und seiner Ehefrau Margarete geb. Wittek, aus Orteisburg, hat am 7. Februar 1953 sein Abitur bestanden, ebenso Gerhardt Grzybowski, früher Buddern. Jetzige Anschrift: (14a) Oehringen, Rymannstraße 14.

 

Frau Theodora Schellhammer aus Allenstein, Ostpreußen, jetzt bei ihrem Schwiegersohn, Handelsvertreter Wilhelm Dziersk Seesen a./H., Lange Straße 16 wohnhaft, vollendet am 20. März 1953, ihr 75 Lebensjahr.

 

Der Lebensmittel-Kaufmann Ernst Hauptmann aus Königsberg, Ostpr., als Rentner wohnhaft in Münchehof Nr. 97 über Seesen a./H., vollendet am 12. März 1953, sein 70. Lebensjahr.  

 

Herr Siegfried Riemann, aus Seesen a./H., Jakobsonstraße 40, hat in Frankfurt / M. sein medizinisches Examen mit dem Prädikat „sehr gut" abgelegt. Der junge Arzt ist der Sohn des jetzigen Filmtheaterbesitzers, ehemaligen Kaufmanns Fritz Riemann aus Ortelsburg / Ostpr.

 

Im vergangenen Monat feierte Frau Amalie Scharwies aus Liebenfelde, Krs. Labiau. den 87. Geburtstag. Im vorigen Jahre konnte sie mit ihrem Mann die „eiserne Hochzeit" begehen, mit dem sie bei ihrem jüngsten Sohne in Wolterdingen (Hagen), H. Soltau (Hann.) wohnt.

 

„Mein Geburtstagswunsch . . ."

Frau Maria Altenberg, früher Königsberg/Pr., jetzt 20a) Lüchow-Hannover, Bahnhofstraße 4, vollendet am 15. März 1953, ihr 60. Lebensjahr und hat uns als einzigen Geburtstagswunsch geschrieben: „Grüßen Sie bitte in der Warte alle meine Königsberger!" Das tun wir natürlich recht gerne und verbinden damit zugleich unsere besten Wünsche für das .Geburtstagskind".

 

Ostpreußenfamilie Flensburg

In der großen Ostpreußenfamilie in Flensburg haben im Monat März 1953 die folgenden alten Landsleute ihren Geburtstag: Am

02.03.1953 Auguste Ahlrep, Heinz-Krey Lager, 73 Jahre;

02.03.1953 Martha Diester, Mürwiker Str. 161, 78 Jahre;

03.03.1953 Katharina Weinberg, Mathildenstraße 8, 73 Jahre;

05.03.1953 Wilhelmine Wendling, Norderstr. 157, 78 Jahre;

07.03.1953 Tapezierermeister-Witwe Anna Captuller, 82 Jahre;

08.03.1953 Rektorsfrau Marie Zorn, Pregelstieg 2, 71 Jahre;

14.03.1953 Auguste Raggies, Solitüde (Kinderheim), 89 Jahre;

15.03.1953 Alexander Grebel, Wrangelstraße 20, 72 Jahre;

16.03.1953 August Kroß, Ochsenweg 30, 74 Jahre;

22.03.1953 Gustav Prange, Adelbyer Kirchenweg 9, 71 Jahre;

28.03.1953 Else Kursch, Mommsenstraße 5, 74 Jahre;

31.03.1953 Elise Kossack, Neustadt 41, 76 Jahre.

Außerdem können die nachstehend aufgeführten Delegierten zum Hauptausschuss auf die Vollendung des Lebensjahres zurückblicken.

Am 15.03.1953 Frau Annemarie Hiller, Eckenerstraße 7, 50 Jahre;

am 21.03.1953 Otto Rathke, Hafendamm 55, 45 Jahre.

Der Vorstand und die ganze Ostpreußenfamilie gratulieren allen Geburtstagkindern aufs herzlichste und wünschen ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute. Armoneit

 

Gymnasium Rößel!

Gesucht werden; Alfred Rohde, bisher in Ehingen/Donau und Eduard Picolin, bisher in Wiesbaden, Oranienstr. 16.

Der nächste Rundbrief erscheint im März. Alle Anschriftenänderungen bitte rechtzeitig mitteilen. Alle ehemaligen Schüler des Gymnasiums, die sich bei der Gymnasialkartei noch nicht gemeldet haben, werden gebeten, ihre Anschrift mitzuteilen an Erwin Poschmann in 24b Kisdorf über Ulzburg/Holstein.

 

Schippenbeiler!

Familie Däring, Dachdecker, sowie Tochter Erna, geb. 1912 - 1915, verheiratet mit Bruno Lehmann, ferner Christel Däring, geb. 1916, und Brüder Alfred, geb. etwa 1925, alle in Schippenbeil, werden gesucht von Viktor Marbach, Hillersee, Kreis Gifhorn. Königsberger Suchdienst!

 

Seite 7   Suchdienst der Heimatortskartei für Ostpreußen

Wenn Ihnen über den Verbleib der Gesuchten etwas bekannt ist, geben Sie bitte direkt Nachricht an die Heimatortskartei für Ostpreußen – (24b) Neumünster, Postfach 178. Es werden gesucht:

591. Akmonien, Kreis Ebenrode, Werning, Karl, geb. 03.01.1872, Tischlermeister, ges. von Werning, Franz

592, Alexbrück, Kreis Ebenrode, Embacher, Gustav, geb. 30.11.1888, Vorarbeit., ges. von Embacher, Wilhelmine

593. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Falk, Gusta, geb. 1911, ges. von Falk, Anna

594. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Kehl, Adolf, geb. 18.07.1889, ges. von Kehl, Arnold

595. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Kehl, Marie, geb. 18.05.1890, ges. von Kehl, Arnold

596. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Kühn, Rudolf, geb. 18.08.1886, ges. von Kühn, Auguste

597. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Mikoleit, Helene, geb. 01.12.1870, ges. von Mikoleit, Otto

598. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Mikoleit, Willi, geb. 17.09.1903, ges. von Mikoleit, Otto

599. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Mikoleit, Helmut, geb. 15.03.1927, ges. von Mikoleit, Otto

600. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Tolksdorf, Anna, geb. ?, ges. von Liehr, Emilie

601. Alexbrück, Kreis Ebenrode, Wasilewski, Rudolf, geb. 02.10.1896, ges. von Wasilewski, Heinz

602. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Josupeit, Siegfried, geb. 1939, ges. von Warnat, Gustav

603. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Lukat, Adolf, geb. 29.12.1924, ges. von Lukat, Anton

604. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Lukat, Anna, geb. 11.07.1893, ges. von Lukat, Anton

605. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Lukat, Franz, geb. 13.03.1922, ges. von Lukat, Anton

606. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Lukat, Greta, geb. 15.09.1920, ges. von Lukat, Anton

607. Alexkemen, Kreis Ebenrode, Lukat, Trude, geb. 22.02.1926, ges. von Lukat, Anton

608. Alt-Kattenau, Kreis Ebenrode, Lehmann, Karl, ca. 65 – 70 Jahre, ges. von Balbach, Ottilie

609. Altpreußenfeld, Kreis Ebenrode, Balbach, Wilhelm, geb. 08.02.1887, ges. von Balbach, Ottilie

610. Amalienhof, Kreis Ebenrode, Sanftleben, August, geb. 24.01.1882, ges. von Leitel, Johanna

611. Amalienhof, Kreis Ebenrode, Sanftleben, Johanna, geb. 01.09.1881, ges. von Leitel Johanna

612. Amalienhof, Kreis Ebenrode, Schmidt, Maria, geb. 13.02.1913, ges. von Schmidt, Elise

613. Andersgrund, Kreis Ebenrode, Prange, Erna, geb. 16.08.1914, ges. von Prange, Ursula

614. Andersgrund, Kreis Ebenrode. Prange, Herbert, geb. 24.03.1942, ges. von Prange, Usula

615. Andersgrund, Kreis Ebenrode. Prange, Rudi, geb. 29.01.1940, ges. von Prange, Albert

616. Andersgrund, Kreis Ebenrode, Tonius, Auguste, geb. 05.04.1888, ges. von Plötz, Anna

617. Andersgrund, Kreis Ebenrode, Tonius, Emil, geb. 15.09.1878, ges. von Plötz, Anna

618. Bansbrüden, Kreis Ebenrode, Albuschat, Rosa, geb. 1940, ges. von Räder, Ida

619. Baringen, Kreis Ebenrode. Jansen, Margarete, geb. ?, ges. von Dages Karl

620. Baringen, Kreis Ebenrode. Leichert, Friedrich, geb. 14.06.1881, ges. von Leichert, Helene

621. Baringen, Kreis Ebenrode. Panteleit, Anna, geb. 04.06.1888, ges. von Konstandt, Franz

622. Baringen, Kreis Ebenrode, Schimmelpfennig, Magdalene, geb. 10.10.1915, ges. von Schimmelpfennig, Paul

623. Baringen, Kreis Ebenrode, Ukat, Gertrud, geb. 21.10.1919, ges. von Konstandt, Franz

624. Bartskühnen, Kreis Ebenrode, Kirwersun, Emma, geb. ?, ges. von Jörgens, Friedrich

625. Bartskühnen, Kreis Ebenrode, Kirwersun, Gustav, geb. 12.01.1893, Bauer, ges. von Jörgens, Friedrich

626. Bartztal, Kreis Ebenrode, Mamat, Minna, geb. 25.01.1884, ges. von Buckstricker, Berta

627. Bartztal, Kreis Ebenrode, Petrat, Johann, geb. 09.04.1885, ges. von Petrat, Maria

628. Bartztal, Kreis Ebenrode, Segendorf, Helene, geb. 12.05.1876, ges. von Segendorf, Otto

629. Bartztal, Kreis Ebenrode, Wickart, Otto, geb. 14.03.1889, ges. von Wilckart, Johanna

630. Berniglauken, Kreis Ebenrode, Giese, Willi, geb. 16.04.1889, ges. von Giese, Minna

631. Berniglaiken, Kreis Ebenrode. Neumann, Franz, geb. 27.02.1885, ges. von Neumann, Gerda

632. Bersbrüden, Kreis Ebenrode. Gidokeit, Gerda, geb. 30.08.1926, ges. von Buttgereit, Meta

633. Bersbrüden, Kreis Ebenrode, Lindhammer, August, geb. 20.03.1883, ges. von Lindhammer, Friedrich

634. Bersbrüden, Kreis Ebenrode, Schablowski, Emma, geb. 12.06.1898, ges. von Schablowski, Minna

635. Bersbrüden, Kreis Ebenrode, Wunderlich, Meta, geb. 24.09.1916, ges. von Wunderlich, Otto

636. Beslovsruh, Kreis Ebenrode, Fallet, Johanna, geb. ?, ges. von Krüschinski, Klara

637. Bilderweiten, Kreis Ebenrode, Glaß, Willi, geb. 11.08.1899, ges. von Ploocksties, Gertrud

638. Bilderweiten, Kreis Ebenrode, Jodat, Wilhelm, geb. 17.07.1888, ges. von Jodat, Eduard

639. Bilderweiten, Kreis Ebenrode, Thomezik, Hans, geb. 07.03.1928, ges. von Thomezik, Elisabeth

640. Birkenmühle, Kreis Ebenrode, Berg, Heinz, geb. 30.09.1929, ges. von Pranz, Friedrich

 

 

Seite 8   Ostpreußische Gutshäuser. Von Senatspräsident Carl v. Lorck/Demnächst im Holzner-Verlag

Heute, wo wir genaue Nachrichten von der bewussten Zerstörung der Gutshäuser Ostpreußens besitzen, heißt es, ein Denkmal der deutschen Kultur des Ostens zu errichten, wenn wir so viel als möglich an Beschreibungen und Bildern sammeln und veröffentlichen. Das Gutshaus war im Osten eines der wichtigsten Kulturträger auf dem flachen Lande. In diesen Häusern zeigte sich die Meisterschaft der Handwerker des Ostens, die, wie es in einer Urkunde einmal heißt, „den Bau zu ihren Ruhm und Ehren aufgerichtet haben."

Die Arbeit unterscheidet sich durch einen besonderen Umstand von den sonstigen Büchern über die Gutshäuser. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt keineswegs nur bei den zahlenmäßig wenigen Schlössern wie Schlobitten, Schlodien, Friedrichstein, Schönberg, Finkenstein, Wildenhoff, Steinort u. a., sondern es werden die zahlreichen kleinen und kleinsten Gutshäuser mit besonderer Liebe beschrieben, die in den langen Jahrhunderten seit der Ordenszeit gebaut worden sind.

Aus dem Buch bringen wir nachstehend besonders allgemein interessierende Abschnitte.

Das Gutshaus ist nicht nur ein Stück Architektur. Die Bauweise und der Kulturgehalt sind hier am wenigsten zu trennen. Die Bauweise bedeutet nicht, sie ist Kulturgehalt. Hier muss der Forscher aufmerksam werden auf den Menschen, der in bodenständiger Generationenfolge durch Jahrhunderte hin an einem Bau gemodelt hat. Am Gutshaus muss sich ebenso wie am Bauernhaus ein neuer Zweig der Architekturforschung zur Menschenkunde erweitern, wenn wir nicht am besten, am Zartesten, am Eigentlichen dieser Gebäude vorübersehen wollen, an dem, was ein Haus, das kein Mietshaus ist, zum lebendigen Organismus macht, zur „getreuesten Verkörperung der Volksseele", wie es Peter Rosegger glücklich genannt hat.

Der Weg von diesem dichterisch schönen Wort zur exakten Ausführung ist weit. Es handelt sich um den Kulturgehalt im doppelten Sinne. Erstens ist der tatsächliche Inhalt an Kulturgütern zu beschreiben, die im Hause geborgen sind und es zu einer Kulturinsel auf dem flachen Lande machen, Mobiliar, Familienbilder, sonstige Kunstwerke, Bücher und Archiv. Jedes Bild und Möbelstück, jede Stube und jedes Zimmer ist erfüllt von der Vergangenheit. Das Einzigartige dieser Vergangenheit ist nun, dass sie in doppelter Weise fortlebt, in den Dingen und in den Bewohnern des Gutshauses. Sie muss von dem lebenden Menschen umgestaltet und neu geschaffen werden, wenn anders sie nicht zu bloßen Nachfahren werden sollen.

Das Leben im Hause, das viel mehr als ein Museum toter Sachen ist, darf nicht vergessen werden. Es ist hierbei von ganz Unwägbarem zu reden, von der Erdscholle und der Nähe zur Urproduktion, von der Herrschalt über den Acker und von dem guten Geist eines Landhauses. Im übertragenen Sinne sprechen wir von den Laren, den Hausgöttern der Familie, und von der heiligen Stätte, wo sie seit unvordenklichen Zeiten ihren Herd errichtet hat. Uraltes, wahrhaft vorgeschichtliches Leben berührt uns, wenn wir in Häuser eintreten, deren Besitzer, z. B. die Perbandt, Kalnein, Perkuhn, Steppuhn, Braxein, schon vor dem Ritterorden 1230 in Ostpreußen auf der Scholle eingesessen waren.

 

Es ist zweitens der Kulturgehalt zu erschließen, den die Struktur der Gebäude unmittelbar darstellt, Architekturforschung als Geschichtskunde, der Rückschluss aus der Hausstruktur auf den Urheber, seinen Weltinhalt und seine Weltform. Diese Forschungsweise kann bei dem Gutshaus am fruchtbarsten Punkt einsetzen. Der Mensch und der Bau entsprechen sich, wie die leere Schale einer Muschel dem vergangenen Lebewesen entspricht, eine kunstvoll geprägte Form, die wir bewundernd in den Händen halten. Denn es ist der Charakter des Gutshauses, dass es mit der Familie und nach dem Wünschen und Wollen jeder neuen Generation wie ein Lebewesen wächst. Was in dem ersten Bau in ältester Zeit da war, ist oft zerstört, ist jedoch vielfach noch im zweiten und dritten Bau als Kern vorhanden, wenn auch umkleidet, überhaupt und verändert. Es ist ein fortstrebender Neuwuchs auf ältesten Fundamenten wie bei einem Korallenstock. Das begann in der Vorzeit mit einer großen Umwälzung, dem Anfang des Ackerbaus, der zuerst den Bauern- und den Gutshof begründete. Diese Epoche ist für Ostpreußen von der Vorgeschichte genau bestimmt worden. Man hat sie auf die Zeit um 1500 vor Chr. datieren können.

Es gilt die Gutshäuser, auch die kleinsten unter ihnen, zu sammeln, zu bestimmen und zu ordnen. Nur das einzelne Haus selbst führt zur Erkenntnis der ganzen Besiedlung und des geschichtlichen Ablaufs. Nur das einzelne Beispiel, das unwiederholt bleibt, bildet den sicheren Baustein für unsere Übersicht. Es ist Zeit. Niemand wird sich darüber täuschen, in welch ernstem Sinne die kostbaren Kulturdokumente der deutschen Gutshäuser historisch geworden sind. Wieviel mehr gilt das für die Häuser des deutschen Ostens, die nun zerstört worden sind. Es ist eine Ehrenpflicht für uns, ihnen für die kommenden Generationen ein Denkmal zu setzen. Es ist die Aufgabe des Geschichtsforschers, „die Schatten der Toten mit seinem eigenen Blut wieder zum Reden zu bringen'' (Leopold von Ranke). Die Gutshäuserkunde hat vor der allgemeinen Geschichte ihre Anschaulichkeit und ihren direkten Kontakt mit echter alter Schönheit voraus.

Unsere Übersicht soll versuchen, wie auf einer Rundfahrt den sinnfälligen Gehalt an Kulturgütern zu vermerken. Wir nähern uns dem Gutshof und sehen in der ostpreußischen Landschaft von fern schon sein Wirken in der Landwirtschaft, in dem schwarz-weißen Herdbuchvieh, den Koppeln mit Fohlen und Pferden und den langgestreckten Ställen und Scheunen. Große Alleen führen oftmals wie Wegweiser auf die Gutshäuser zu, das Haus aber enthüllt sich erst, wenn wir auf den Hof gelangen, auch dann noch meist von Blumen halb verborgen durch den Garten oder einen größeren Park.

Jedem, der dies Buch in die Hand nimmt, soll es ein lebendiger Gruß der Heimat sein, die unverlierbar bleibt, auch wenn sie äußerlich zerstört worden ist.

 

Sie sehen hier im Bild: Oben rechts Schloss Finkenstein - Ansicht von der Gartenseite her, mit dem Gartenparterre in Beeten und Heckenverschnitt. Bau des Hauses 1718 - 1720. Besitzer bis 1945: Graf Dohna Schlobitten. -  Die Innenaufnahme gibt einen Blick in die Diele von Ganshorn, Kreis Osterode - erbaut 1810 - 1820. Der große Bau mit vorgebautem Mittelteil gehörte zuletzt Landschaftsrat Schilke. Die Diele ist in reinstem Klassizismus gestaltet. - Unsere Zeichnung ist eine Rekonstruktion von Schlobitten, Kreis Pr. Holland. Dieser Blick aus der Vogelschau vermittelt einen kleinen Eindruck von der Größe der Anlage, die dem süddeutschen Barock gegenübergestellt werden muss. Das linke Bild unseres Bildstreifens: Groß-Kuglack, Kreis Wehlau, erbaut um 1800. Erinnerungsstätte des Königsberger Senatspräsidenten und Dichters Theodor von Hippel, dessen Devise lautete: „Mehr sein, als scheinen!" Dieser Besitz war bis 1945 in den Händen der Familie von Hippel. Die andere Aufnahme zeigt Sassen, Kreis Mohrungen, 1680 erbaut unter Einbeziehung eines Ordensbaues als Nordteil des H-förmigen Grundrisses. Letzter Besitzer: Herr Fähser

 

Seite 8   Trakehner erzielten Spitzenpreise

Die dritte Nachkriegsauktion des Trakehner Verbandes, die dieser Tage vor zahlreichen in- und ausländischen Pferdeliebhabern in Düsseldorf stattfand, wurde zu einem Triumph ostpreußischen züchterischen Fleißes. Obwohl nur ein verschwindend geringer Teil des wertvollen Trakehner Pferdematerials nach der Vertreibung in den Bereich der Bundesrepublik gerettet werden konnte, ist es ostpreußische Züchtern ohne jede wesentliche Unterstützung irgend einer Stelle gelungen, zu der diesjährigen Auktion ein Pferdematerial aufzubieten, das in seiner Qualität selbst den großen Ostpreußen-Auktionen vor dem Kriege in Berlin nicht nachstand. Mit 9500 DM erzielt „Erlkönig" den Spitzenpreis. Der Durchschnittspreis für die Dreijährigen lag zwischen 1350 und 3400 DM.

 

 

Seite 9   Martin Wegener: Eine Erinnerung an schöne Ballnächte

Karneval mit großen Aufzügen und so, wie wir sie hier im Westen sehen, hatten wir ja zwar nicht in unserem guten alten Königsberg. Wäre uns ja wohl auch schlecht bekommen, bei 20 und mehr Grad Frost in bunten Narrenflittern durch die Straßen zu hüpfen. Aber dafür kannten wir auch keinen Aschermittwoch und genossen die Saison der Bälle vom Januar bis in den März hinein.

Es begann mit dem traditionellen Silvesterball in der Stadthalle, der im Morgengrauen des Neujahrstags mit einer Schneeballschlacht der letzten Gäste auf dem Eis des Schlossteichs erfrischenden Ausklang fand. Nach einer Pause von etwa zwei Wochen „ging's dann los". Ein Fest jagte das andere. Beliebter als die für jedermann offenen Bälle waren Vereinsveranstaltungen im Kreise Gleichgesinnter. Manche Sportvereine feierten in eigenen Klubhäusern, so die Ruderer am Weidendamm und der ADAC am Hintertragheim, wo auch in den drei Logenhäusern viel munterer Betrieb war. Ebenfalls sehr beliebt waren in diesen Kreisen das Gesellschaftshaus im Tiergarten und der Hammerkrug. Die Sänger bevorzugten das Alte Schützenhaus, das ebenso wie das Messe-Hauptrestaurant oft Schauplatz von Kompaniefesten der Reichswehr und der Schupo war. Hauptquartier der Handwerkerinnungen war die Bürger-Ressource in der Burgstraße. In der immer noch vom Hauch alter Vornehmheit umwitterten Königshalle am Paradeplatz veranstalteten die Universität und die Korporationen der Studenten ihre Feste, bei aller Fröhlichkeit nach ziemendem Komment. Während dahingegen der nach der Inflationszeit traditionell gewordene Mediziner-Maskenball im Hammerkrug der akademischen Jugend bis in höchste Semester Gelegenheit bot, sich auszutoben.

Die ostpreußischen Landwirte, besonders aus Natangen und dem Samland, kamen immer gern nach Königsberg, vor allem im Winter, und dann nicht nur als Gäste, auch als Gastgeber. Wenn in der großen Elite-Auktion unter dem Hammer des Versteigerers Meitzen die robusten Vererber hoher Milchleistung, die edlen „Winter“ und „Anton“-Söhne und „Quappe“-Töchter, ihre Besitzer gewechselt hatten, wenn dann an sich ansehnliche Brustkästen dank wohlgefüllter Brieftaschen noch praller unter den Fräcken sich wölbten, dann stieg der „Bullenball", das große Fest der Herdbuchgesellschaft. Auch diese große gesellige Veranstaltung des ostpreußischen Landvolks in der alten Haupt- und Residenzstadt Königsberg hatte ihre ganz besondere Note.

Besonders stilvoll waren die Kostümfeste der Kunstakademie, einheitlich in Raumschmuck und Masken unter irgendeinem Leitwort. Da war mal eine „Nacht in Bimini". Das ist nach alter Indianersage ein Land ewiger Jugend in unvergänglicher Schönheit. Wer wollte da nicht leben in solch einem Paradies. Etwas paradiesisch waren auch die Kostüme. So erschien eine junge Dame in einer Art Bikini-Höschen, von dem lange bunte Seidenfransen um ihre schlanken Beine wehten. Mehr hatte sie nicht an, war aber von den niedlichen Zehen bis zum Ansatz ihrer dunklen Haare vergoldet. „Kiekeriki, kiekeriki! Unsere Goldmarie ist hie!" begrüßte sie ein mit Federn bekleideter Indianer. Als aber im Lauf der Nacht infolge der Umarmungen (beim Tanzen) ihr Gold abging und ihre vorige Haut sichtbar wurde, meinte ein alter, vom Schampus nicht mehr ganz taktfester Schäcker: „Marjellchen“ Marjellchen! Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht!" Da klebte sie ihm ein Siegel ihrer Goldfingerchen auf die Backe, dass er für den Rest der Nacht gezeichnet war.

Hausbälle, wie sie früher der Adel und die reichen Kaufleute gegeben hatten, waren nach dem ersten Weltkrieg aus der Mode gekommen. Die Leute, die einst Geselligkeit in großem Stil pflegen konnten, hatten nun nicht mehr das Geld dazu, und denen, die es jetzt hatten, fehlte anderes, was dazu gehört. Aber es gab noch reizende alte Dämchen, die sich fröhlich daran erinnerten, wie sie einst hinter dem Fächer gekichert und sich kleine Histörchen zugetuschelt hatten, ja wie sie mit dem „Hauptmann" von Hindenburg getanzt hatten, von den wir damals nie gedacht hätten, dass er einmal so berühmt werden würde". Ja, älteste Leute erinnerten sich noch des großen „Chagrins", den es einst beim Ball des Kanzlers gegeben hatte. Kanzler von Preußen war bis zum Ende des Königreichs der wohlklingende Titel des jeweiligen Präsidenten des Oberlandesgerichts Königsberg, der das Recht hatte, im Schloss zu wohnen. Entsprechend repräsentativ waren seine Bälle, durch Generationen Höhepunkte der geselligen Veranstaltungen. Da war alles, was Rang und Würden hatte und Wappen führte, und die ostpreußischen Regimenter und die Regierungs- und Gerichtsbehörden stellten die Tänzer. O, man tanzte mit höfischer Grazie und vielen Komplimenten. Aber der Clou des Abends war der große Kotillon, bei dem die Kavaliere ihren Schönen Blumen brachten und von ihnen mit bunten Papierorden ausgezeichnet wurden. Und dabei passierte es einmal: Im Bestreben, das schönste Sträußchen für die Coeurdame zu erobern, veranstalteten die Marsjünger einen derartigen Run auf die Blumentische, dass die umfielen. Veilchen, Maiglöckchen und Nelken lagen auf dem Parkett, und auf die sich eifrig danach bückenden Herren im bunten Rock prallten die im schwarzen Frack, angefeuert von dem Eifer der anderen. Man riss sich gegenseitig die Beute aus den Händen.

„Quelchagrin!" rief der Kanzler, ließ einen Tusch blasen und rügte mit einer ironischen Bemerkung den Eklat. Er erwarte, sagte er, dass nunmehr die Herren die Sträußchen in geziemender Weise in Empfang nehmen würden. Ein Tusch - und schon rannten sie wieder wie beutegierige Kosaken auf die mit Mühe von geschickten Lakaien einigermaßen wieder hergerichteten Blumenständer. Da blies das Orchester den dritten Tusch. Mit schneidender Stimme rief der Hausherr: „Meine Herren, der Ball ist aus!" Sprachs, bot seiner Frau den Arm und verließ ohne ein weiteres Wort den Saal. Betreten standen noch die verdutzten Gäste, dann verließen sie in Hast den Tatort. Am nächsten Morgen setzte es Anpfiffe, dass die Amtsräume dröhnten und die Kasernen wackelten. Das waren noch goldene Zeiten!

 

Als repräsentativstes Fest galt nach dem ersten Weltkrieg das Pressefest, zu dem sich alles in die Stadthalle drängte, was Geld und Ansehen hatte oder so „tat als ob". Im weißgoldenen Krohnesaal spielte Lajos Bela, der mit seinem berühmten Tanzorchester extra aus Berlin gekommen war, im Gebauhrsaal und im Stadthallensalon Erich Borschel und Eugen Wilcken. Im großen Foyer wurde rund um die Tombolatische getanzt. Auf der Bühne und den Emporen des Krohnesaals standen die begehrtesten, schon viele Wochen vorher bestellten Tische, von denen man hinabsehen konnte in das bunte Gewühl der Tanzenden in Samt und Seide, im Schmuck blitzender Edelsteine und Perlen, im schwarzen Frack und im grauen, farbig paspolierten Waffenrock der Reichswehr. In der Loge des Konsularkorps saßen friedlich die Generalkonsuln der Sowjetunion und der Republik Polen und die Konsuln aller europäischen Staaten im bunten Schmuck ihrer Orden. Der polnische Pressechef schleifte, was er an bekannten Journalisten greifen konnte, an seinen Tisch: „Biettä särr, meine Chärren und Damen, biettä zulangen! Därr pollndsche Staat bezahlt alles! Chärr Obber! Sekt!" Bars und appetitliche Büfetts luden in allen Ecken und Winkeln zur Erfrischung ein. Im Gebauhr- und Körtesaal und im Salon unterhielten in den Tanzpausen Damen und Herren der Ensembles beider Theater die Gäste, und wer ein ruhiges Plätzchen suchte, fand es im Stadthallenrestaurant. Die schönsten und großartigsten Maskenbälle waren immer die des „Kaufmännischen Vereins" in der Börse. Die Gäste wurden, Herren von entzückenden jungen Damen, Damen von Kavalieren, am Eingang an ein Büfett geleitet, wo sie erst mal zur Aufmunterung ein Glas Sekt bekamen, und dann mitten in den großen Saal hineingetanzt und mit einem Klaps der Narrenpritsche ihrem eigenen Geschick überlassen wurden, sich in dem bunten, fröhlichen Gewimmel zu amüsieren. Einmal hatten es sich die Universitätsprofessoren ausgedacht, in ihren Roben, die sie sonst nur bei der Rektoratsübergabe oder ähnlich feierlich-würdigen Anlässen trugen, à la Domino in die Börse zu kommen, was großes Aufsehen erregte.

Kaum zu glauben, dass erst zwei Jahrzehnte seitdem vergangen sind. Und was haben wir alles seitdem erlebt!

 

Foto: In unserer letzten Ausgabe brachten wir einen Hinweis auf den 70. Geburtstag des in ostpreußischen Sportlerkreisen allseits hochverehrten Professors Dr. Fink. Vornehmlich als Arzt hat der Jubilar weit über die Grenzen Königsbergs hinaus den denkbar besten Kanon gehabt. Einer seiner Freunde hat uns nachträglich eine Aufnahme übermittelt, die wir natürlich gerne veröffentlichen.

 

Seite 9   Unsere Bilder zeigen: Morgensonne liegt über dem Schlossteich - noch ruht die Stadt. Die Kähne liegen still und unbenutzt am Uferrand. Darunter: Der Steindamm zwischen Poststraße und der Steindammer Kirche und der Nordbahnhof. Das Straßenschild im Vordergrund sagt den Fremden, wie sie nach Cranz kommen - das gilt natürlich nur für Kraftfahrer, denn die Königsberger benutzen ihre vielgeliebte Bahn ... und so groß ist der Bahnhofsplatz nicht gewesen, dass da ein eigenes Straßenschild gebraucht wurde . . . oder doch? Es gab Ausflugstage, da schien sogar dieser weite Platz zu klein zu sein. - Haben Sie sich nicht manchmal über die „langweilige Straßenbahn geärgert - und heute würden wir sie gerne wieder am Roßgärter-Markt „quietschen" hören . . .

 

 

Seite 10   Agnes Miegel bleibt in Bad Nenndorf

„Stadt und Hafen“, das amtliche Verkündungsblatt der Patenstadt Duisburg, schreibt: „Als im Sommer des vergangenen Jahres der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass Agnes Miegel sich in Wohnungsnöten befindet, erfuhr die ehrwürdige Dichterin von allen Seiten lebhafte Beweise der Anteilnahme. Auch die Stadt Duisburg zeigte sich sofort bereit, ihr wirksam zu helfen. Agnes Miegel hat nun unter den Angeboten ausgewählt. Sie hat sich entschlossen, in ihrem bisherigen Wohnort Bad Nenndorf zu bleiben und dort ein Heim zu beziehen, das für sie unter tatkräftiger Mithilfe ostpreußischer Landsleute errichtet wird. Die Ehre und Freude, die .Mutter Ostpreußens' als Duisburger Bürgerin begrüßen zu können, müssen wir uns leider versagen. Doch freuen wir uns, dass die verehrte Frau acht Jahre nach der Vertreibung aus der Heimat endlich davon befreit wird, behelfsmäßig wohnen zu müssen. Ihre Duisburger Freunde wünschen ihr für den Einzug in das neue Heim Glück und Segen.

 

Königsberger Einwohnerbuch

Die Auskunftsstelle Königsberg (Pr.) bei der Patenstadt Duisburg besitzt die Nachbildung eines Königsberger Einwohnerbuches (Adressbuch) von 1941. Zur Schadenfeststellung für den Lastenausgleich werden ehemaligen Königsbergern auf Wunsch Bestätigungen über Hausbesitz und Gewerbebetrieb nach Eintragungen im Einwohnerbuch gegeben. Anfragende Königsberger werden gebeten, soweit noch nicht geschehen, für sich und ihre Familienangehörigen Angaben für die Kartei der Königsberger zu machen und zwar: Name, Geburtsdatum, Beruf, Anschrift und Arbeitsstelle in Königsberg (Pr.) sowie die jetzige Anschrift. Stadt Duisburg, Patenstadt für Königsberg.

 

Seite 10   Lucy Falk: Scala-Kino mit russischem Programm

Die stattlichen Lichtspielhäuser der Innenstadt von Königsberg-Kaliningrad waren restlos zerstört. Wenn wir jedoch nach dem Westen der Stadt, den Hufen, gingen, an den Trümmern des Schauspielhauses vorbei, immer dem Gleis der elektrischen Bahn der Hufenallee folgend, dann gelangten wir zu dem früheren Lichtspielhaus „Skala". Es stand, es war nicht ausgebrannt, inmitten einer Kette von Trümmerhäusern und Ruinen.

Und es stand nicht nur, es war in vollem Betrieb. Die Leute stauten sich davor, lasen die Ankündigung und betrachteten die Photographien des Filmes. „Wie einst", musste ich denken, „nur warteten jetzt die Russen auf den Beginn der Vorstellung".

Bei den billigen Preisen war der Besuch des Filmes der breiten Masse möglich. Auch Deutsche konnten das Lichtspielhaus besuchen, ohne sich Unannehmlichkeiten auszusetzen. Ein eigenartiges Gefühl überkam mich, als ich zum ersten Mal die Stätte betrat, die mir so vertraut und doch so fremd war. Fremd durch die laut schwatzenden, lebhaft gestikulierenden Menschen, deren Sprache ich nur unvollkommen beherrschte. Ich sah mich im Raume um. Decke und Wände waren neu gestrichen, die hölzernen Klappstühle in Ordnung. Ein kalter Schauer überlief mich, ich wusste nicht, ob die Ursache der hohe, kühle Raum oder die Erinnerung war. Eine Reihe vor mir saß eine junge Russenfrau mit einem umfangreichen Bündel auf dem Arm. Ein quäkendes Stimmchen meldete sich, erst leise, dann eindringlicher, zuletzt durchdringend Du liebe Güte, einen Säugling mit ins Kino zu nehmen! Der Stimme nach musste es ein kräftiges" Kind sein, an Ausdauer blieb nichts zu wünschen. Da plötzlich wurde er still, nur ein schmatzen war zu hören. Ich beugte mich ein wenig vor, richtig, das Kind lag an der Brust seiner Mutter. Doch da nahm die Vorstellung ihren Anfang.

Es war die Geschichte einer großen Liebe zwischen einer in der Ausbildung stehenden Sängerin und einem jungen Komponisten. Der Vater des Mädchens, von Beruf Musiker, war ein Verehrer der Bachschen Werke und ein ausgesprochener Gegner der leichten Musik. Der junge Komponist hingegen hatte sich der Tanzmusik verschrieben und fiel damit bei dem Vater in Ungnade. Da, als ein Konflikt drohte, sah der Musiker in einem Traumgesicht den Meister Johann Sebastian Bach aus dem Rahmen eines Bildes steigen und mit ihm eine Zwiesprache halten. Bach erklärte ihm an Beispielen, dass auch die leichte Musik ihre Berechtigung hätte. Der Musiker änderte daraufhin seine Meinung, und nun stand der glücklichen Vereinigung der beiden Liebenden endlich nichts mehr im Wege.

Der Film war zu Ende, die Seitentüren öffneten sich für die hinausströmende Menge. Und dieser Strom nahm auch mich mit, bis ich einsam auf der schwach beleuchteten Hufenallee stand.

 

Seite 10   Unsere Patenstadt ruft alle zum Treffen der Königsberger

Als die Stadt Duisburg die Patenschaft für Königsberg (Pr.) übernahm, hatte sie die Absicht, wiederkehrende Heimattreffen der Königsberger in der Patenstadt zu veranstalten. Das erste Heimattreffen am 7. September v. J., von 15 000 Königsbergern besucht, hatte einen sehr guten Beifall gefunden und den Wunsch erweckt, das Treffen möge recht bald wiederholt werden.

 

In Duisburg, wo es leider noch keine genügend große Versammlungshalle gibt, müssen die Heimattreffen im Freien stattfinden. Nach reiflicher Überlegung aller Gründe, die dafür oder dagegen sprechen, hat sich die Stadt Duisburg entschlossen, das Treffen in diesem Jahr ausfallen zu lassen. Dieser Entschluss fällt aber weniger schwer, weil die Landsmannschaft Ostpreußen in diesem Jahr ein Bundestreffen, aller Ostpreußen, in Bochum abhält. Das Treffen findet am 10. Mai 1953 statt und wird Gelegenheit bieten, die Königsberger in einer besonderen Halle zu vereinigen. Die Patenstadt hat die Absicht, sich an diesem Sondertreffen der Königsberg er zu beteiligen, und zwar vor allem mit der Aufstellung der „Kartei der Königsberger" und mit der Durchführung eines Auskunfts- und Suchdienstes an Ort und Stelle.

Im Jahre 1955 möchte die Patenstadt zusammen, mit ihren Königsberger Freunden das 700-jährige Königsberger Stadtjubiläum festlich begehen. Die Vorbereitungen dazu haben bereits begonnen. Stadt Duisburg Patenstadt für Königsberg (Pr.)

 

Seite 10   Königsberger Bücher aus den Jahren nach dem Kriege

Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg (Pr.), Herausgeber: Der Göttinger Arbeitskreis, bisher drei Bände erschienen, Holzner-Verlag, Kitzingen (Main).

Walter Franz, Geschichte der Stadt Königsberg, Holzner-Verlag, Kitzingen (Main).

Pastor Hugo - Linck, Königsberg 1945 bis 1948, Verlag: Rautenberg & Möckel, Leer (Ostiriesland). Louis Clappier, Festung Königsberg, Verlag: Kiepenheuer & Witsch.

Margarete Kühnapiel, Auch in der Hölle bist du da.

Agnes Miegel, Du aber bleibst in mir. Flüchtlingsgedichte.

Agnes Miegel, Gesammelte Werke, Band 1: Gesammelte Gedichte.

Borée, Ein Abschied, Roman um die letzten Tage Königsbergs.

 

Seite 10   Königsberger Suchdienst

Gesucht werden folgende vermisste Königsberger:

80. Aßmann, Sigrid, geb. 21.01.1939, früher Sackheim 94, in Litauen vermisst, gesucht von ihrem Bruder;

81. Beyer, Helene, geb. Tollkühn, geb. 19.12.1900, früher Schreberstr. 2, seit 1945 in Kbg. verschollen, gesucht von ihrem Ehemann;

82. Bommke, Fritz, Lagermeister im Silospeicher! früher Ostendorffstr.;

83. Conrad, Georg, geb. 03.05.1930, früher Hubertusstraße 27, seit Juli 1947 auf der Fahrt nach Litauen vermisst, gesucht von seiner Pflegemutter;

84. v. Dabski, Margarete, geb. Czeczywodda, geb. 18.06.1898, früher Neue Dammgasse 1 - 2, letzte Nachricht Januar 1945 Barmherzigkeit oder Altersheim Kummerau;

85. Dembowski, Rudolf, geb. 19.08.1884, Stad-tOberinspektor, früher Gerhardstr. 1, seit 06.04.1945 vermisst; frühere Dienststelle Wohlfahrtsamt Artilleriestraße, zuletzt provisor. Altersheim Burgschule; unklare Spuren führen nach Lager Pr. Eylau und Kummerau; gesucht von seiner Ehefrau;

86. Döhring, Franz, geb. 13.03.1869, früher Loewestraße 2;

87. Eichberger, Friedrich, geb. 03.12.1885, früher Hertzstr. 1, gesucht von seiner Ehefrau;

88. Grüning, Gustav, geb. 12.11.1874, Reichsbahnbeamter a.D., früher Tamnaustraße;

89. Grüning, Walter, geb. 22.01.1907, früher Tamnaustraße;

90. Haack, Ursel, geb. 28.03.1922; gesucht von ihrem Bruder;

91. Hasselberg, Margarete, geb. Herder, geb. 10.06.1891, früher Mozartstraße 18;

92. Hehlert, Emil, geb. 11.03.1883, Verw.-Obersekretär beim Arbeitsamt, früher Kalthöfsche Str. 17, vermisst seit der Flucht in Gotenhafen im April 1945;

93. Henkel, Elisabeth, geb. Haagen, geb. 24.02.1873, früher Steindamm 165; soll im April 1945 in Danzig-Heubude mit mehreren hundert Ostpreußen nach Russland verschleppt worden sein; gesucht von ihrer Tochter;

94. Kaschub, Ernst, geb. 06.10.1907, früher Tannenwalde, Richterstr. 27;

95. Krüger, Adolf, früher Albertstraße, Ableser bei dem Königsberger Gaswerk;

96. Laube, Reinhold, geb. 11.06.1929, früher Nasser Garten 162, gesucht von seinem Bruder (die Mutter Erna Laube sowie die anderen Geschwister Albert, Erwin, Ernst, Helmut und Werner Laube werden gleichfalls gesucht);

97. Lehmann, Otto, geb. 26.01.1896, Schneider, früher Vorst, Hospitalstr. 13 a;

98. Lompa, Viktor, geb. 09.09.1904, früher Marienstr, 7 II;

99. Möck, Adolf, geb. 23.11.1901, Schlossermeister bei Schichau, früher Willmannstr. 14, Februar 1945 beim Volkssturm im Gerichtsgebäude, seitdem vermisst, gesucht von seiner Schwester;

100. Platz, Anneliese, geb. 16.0719 27, früher Blücherstr. 13; war 1948 im Lager Pr. Eylau, kam im Januar/Februar zum Dammbau nach Kalleningken und nach Erkrankung nach Georgenburg seitdem vermisst, gesucht von ihrem Vater;

Auskünfte und Hinweise erbittet die Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg (Pr.).

 

Seite 10   Landsleute, bitte herhören!

Nach Mitteilung der Patenstadt Duisburg fällt das diesjährige Königsberger Treffen in Duisburg aus. Diese Mitteilung hat unseren Königsberger Landsleuten eine gewisse Enttäuschung bereitet, war doch bereits das erste Königsberger Treffen in Duisburg ein besonderes Ereignis und ein großer Erfolg. Fraglos wäre das 2. Treffen ein noch bedeutenderer Erfolg geworden. Über den Zeitpunkt und Ort unseres 5. Magistratstreffen 1953 bitten wir nunmehr um geeignete Vorschläge.

Doch nun zu unserem Suchdienst:

Am 31. Januar 1953 verschied nach schwerem Leiden im 78. Lebensjahr unser lieber Arbeitskamerad Direktor des Flughafens Devau, Magistratsrat a. D. Max Reichert.

Ferner beklagen wir die Gattin unseres Arbeitskameraden, Stadt. Baurat i.R. Max Oppenkowski, die am 28.12.1952 unerwartet abberufen wurde.

Auch ein Bruder des Genannten verstarb im September 1952.

Eine weitere Todesanzeige ging von Frau Gertrud Benrowitz geb. Selke, über den Tod unserer Arbeitskameradin Frau Frieda Didrigkeit ein.

Am 08.10.1952 verstarb unser Kollege, Vermessungs-Oberinsp. Willy Langhans.

Wir werden das Andenken dieser Verstorbenen In Ehren halten.

Den vielen Suchenden zur Kenntnis: Lehrer Emil Kötzing ist nach einem Bericht zufolge tot. Nach der Besetzung wohnte er mit seiner Gattin und einer fremden Frau sehr kümmerlich in einem Keller in der Hagenstraße, wo er nach einer Umquartierung in eine Stube in der Steinmetzstraße später verstorben ist. Seine Frau, die dann Scharnhorststraße wohnte, konnte nach 1948 noch nicht ermittelt werden.

Mittelschullehrer Petrat hat sich noch nicht gemeldet, ebenso Mittelschullehrer Gustav Klaaßen. Entweder sind beide umgekommen oder auf einem Schiff untergegangen.

Konrektor Hugo Neumann ist im September 1945 Stindammer Wall (sehr hinfällig) gesehen worden. Wer berichtet nun weiter, damit alles restlos geklärt werden kann?

Ferner suchen wir:

Bibliothekssekretärin i. R., Clara Laudien, geb. 15.05.1880; letzte Wohnung: Am Landgraben 26a. Lange Zeit Leiterin der Bücherei in der Ronstraße. Am 02.04.1945 noch in Kbg. gesehen und gesprochen worden.

 

Lehrer Walter Sand, geb. 06.07.1887, letzte Wohnung: Ritterstraße 28. Am 09.04.1945 Volkssturmbat. 88. Im Schutzraum Orselnstraße gewesen. Von da ab fehlt jede Spur.

 

Heinz Großmann, geb. 20.05.1920, zuletzt auf Herzogsacker als Infanterist ausgebildet. 3 Mal verwundet worden. Beim Rückzug in Lettland vermisst oder verwundet. Angeblich in Gefangenschaft geraten. Da die alten Eltern noch heute auf seine Rückkehr warten, bitten wir alle Heimkehrer, die über den Verbleib des Genannten Auskunft geben können, Bericht zu erstatten. Letzte Wohnung: Otto-Reinke-Straße 14.

 

Stadtobersekretär Otto Müller, geb. 23.09.1886, letzte Wohnung: (Hufen), Nicoloviusstraße 15, letzte Dienststelle: Schulamt. 1945 zum Volkssturm eingezogen. Seit 26.01.1945 fehlt jede Nachricht. Kameraden des betreffenden Volkssturmbatl. meldet Euch, wenn ihr über den Verbleib dieses Kameraden etwas wisst?

 

Brückenmeister Werner Tobies ist nicht wiedergekommen. Wer kann Einzelheiten über ihn geben? Fest steht, daß genannter Arbeitskamerad 1942 und 1944 bei dem Wasserbauamt Hafenbecken IV, tätig war.

 

Bruno König, Angestellter d. Wi.-A., Leiter der Seifenabtlg. Trotz aller Nachforschungen bleibt König verschollen. Angenommen wird, dass er kurz vor der Besetzung einen besonderen Auftrag hatte. Wer war mit Ihm zusammen. Auch dieser Fall muss sich klären lassen.

 

Edwin Borchert, geb. 17.12.1897, seit Februar 1945 beim Volkssturm in Devau (Brauereikeller). Die Ehefrau, unsere Arbeitskameradin, bittet alle Landsleute, ihr über den Verbleib des langgesuchten Ehemannes zu berichten. Volkssturmmänner, die ihr mit Kamerad Borchert zusammen wart, meldet Euch doch bitte.

 

St..-O.-Insp. Hermann Wernien: Wie dunkel dieser Fall liegt, gibt die Tatsache Auskunft, dass kein richtiger Suchweg gefunden werden kann. Die spärlichen Annahmen in der Berichterstattung sind in ein Nichts verlaufen. Landsleute meldet Euch doch, die Ihr mit ihm nach dem 09.04.1945 zusammen wart. Auch für den kleinsten Bericht sind wir dankbar.

 

Portier Hermann Lange, geb. 17.09.1885, letzte Wohnung: Ponarther Bergstraße 9a; letzte Dienststelle: Müllabfuhr Stadthof Süd. Seit April 1945 vermisst. Wer war mit Lange bis zum Schluss zusammen?

 

Arbeiter Gustav Sahm, geb. 17.11.1877; letzte Dienststelle: Gartenamt. Wohnung: Schweizergrund 7. Rückfragen bei seinen Arbeitskollegen konnten keinen Suchweg finden. Wer war mit ihm nach der Besetzung zusammen?

 

Prokurist Carl Lechleiter: Stiftung f. gem. Wohnungsbau. Seine Gefangennahme erfolgte im Bunker Poststraße. Von Lager Bladiau nach Lager P.-Holland. Von da ab fehlt jede Spur. Zwar wurde hier sein Tod (1946) festgestellt, doch genaue Einzelheiten fehlen. Wer kann berichten, damit dieser Fall seinen Abschluss findet? - Gleichzeitig wird die Anschrift von Pfarrer Czygan, „Friedensgemeinde", gesucht.

 

Hauptzweigstellenleiter Willi Weiß - Nebenstelle Königstraße -  noch am 02.04.1945 von Danzig über die Nehrung nach Kbg. gekommen. Wo blieb Arbeitskamerad Weiß von dort ab?

 

Stadtamtmann Paul Gerth, blieb 1945 in Kbg. zurück. Da er kränklich war, ist wohl kaum anzunehmen, dass er die Strapazen überstanden hat. Wo blieb Paul Gerth? - Wer war mit ihm bis zum Schluss zusammen?

 

St.-Ob.-Insp. Rudolf Dembowski, geb. 19.08.1884, letzte Wohnung Gerhardstraße 1; letzte Dienststelle: Altersheim in der Burgschule. Seit 06.04.1945 fehlt jede Spur von ihm. Von den 300 alten Landsleuten müsste doch einer ins Reich gekommen sein, der berichten könnte Wer nimmt der Ehefrau endlich die Ungewissheit über den Verbleib des Mannes?

 

Prokurist Bruno Wiemer: Angeblich am 08.04.1945 im Bunker, Junkerstraße 8, gewesen. Dipl.-Ing. Dr. Rieck, der Auskunft geben konnte, ist dort verstorben. Wer war mit Wiemer bis zum Schluss zusammen?

 

Frau Minna Einsiedler, geb. Hoppe, letzte Wohnung Kalthöfische Straße 37: bis jetzt fehlt jede Spur von der Genannten.

 

Taucher u. Schiffszimmerer Richard Thiel: Hafengesellschaft beschäftigt gewesen, dann als Volkssturmmann vermisst. Wer kann uns den weiteren Suchweg weisen?

 

Stadtinspektor Karl Sellner: Angeblich im Lager Pr.-Eylau verstorben Wer war mit ihm bis zuletzt zusammen? Insbesondere bitten wir Kollegen Schlick um nähere Auskunft.

 

Spark.-Hpt.-Rendant Otto Preuß: 1945 von seiner Frau im hohen Alter getrennt und abgeführt. Seitdem fehlt jede Spur. Wer war mit ihm zusammen?

 

St.-Ob.-Inspektor Tiedtke: Nach den verschiedenen Suchwegen muss Kollege Tiedtke an der Burgschule in Gefangenschaft geraten sein im Lager Stablack noch am 21.04.1945 gesehen und gesprochen worden. Von dort evtl. nach Tapiau transportiert. Wer sah und sprach evt. Kollegen Tiedtke in einem der Gefangenenlager? Klarheit müsste doch dieser Fall bringen. Kameraden meldet Euch doch.

 

St.-Insp. Fritz-Adolf Behrendt: Nach Mitteilung des Kollegen gleichen Namens, ist Behrendt, wie alle anderen, durch das NKWD.-Gefängnis Rothenstein gegangen. Dann blieb die Spur seines Weitertransportes verborgen. Wer kannte Kamerad Behrendt und war mit ihm zusammen?

 

Lehrer Dedat: Zuletzt Lebensmittelverteiler im Stadthaus. Die Vermutung liegt nahe, dass Dedat durch mehrere Gefangenenlager geschleust worden ist, bis er schließlich im Tapiauer Gefängnis zur Vernehmung gelandet ist. Wer war mit ihm bis zuletzt zusammen? Wer weiß etwas über seinen Verbleib? Auch hier würden die Angehörigen für jeden Fingerzeig dankbar sein.

 

Gesucht werden:

Spark.-Angest. Uhlich,

Arbeiter Unger (Hafen)

Otto Urmoneit (Standesamt),

Straßenreiniger Vogel

Stenotypistin Ilse Voigt,

Arbeiter Voß (Hafen)

Angest. Fritz Vopel (Wi.-Amt),

St.-Insp. Herbert Wirth und Frau,

Angest. Paul Wiesenthal

Herbert Wichmann,

Anna Weich,

Otto Wiechert (Kohlenimport)

St.-Insp. Martin Wiechert,

St.-Insp. Wiegratz,

St.-Bauinsp. Werner

Straßenreiniger Wichmann,

Bibliotheakarin Elise Windus,

Steonotypistin Hildegard Wennischkat,

St.-Ob.-Insp. v. Waschkowski,

Angest. Wypischeck,

St.-Ob.-Insp. Wetzker,

St.-Ob.-Insp. Witulski,

St.-Ass. i. R. Wischnewski,

 Stadtinsp. Siegfried Waitshies,

Angest. Friedr. Wächter (Fuhrgesellschaft),

Brückenaufseher Ernst Wolff,

Frau Wilfert (Luisenallee 96a),

Arbeiter Wolf (Hafen),

Lehrer Emil Weißenberg,

Angest. Helmuth Westphal (Spark.)

Kühlhausaufseher Julius Wisch,

Vorarbeiter Roman Wenzel,

Angest. Gertrud Wenskat (Wi.-Amt),

Kurt-Franz Werner,

Rudolf Wiechert (Fuhrgesellschaft),

Lehrer Wolf (Fichtelschule),

Rangiermeister Zacharias (Hafen),

Rechn.-Direktor Zielinski,

St.-Insp. Zabe,

Ziegler (Feuerlöschpolizei),

Hausmeister Erich Zenker

Weitere Namen in der nächsten Ausgabe dieser Heimatzeitung. Bei Anfragen ist stets Rückporto beizufügen. Und nun sei noch folgenden Landsleuten für die Berichterstattung namens der Suchenden gedankt:

Gertrud Henkemeier,

Frau Gertrud Benrowitz geb. Selke.

St.Vermess-Ob.-Insp. Willi Schwarz,

Lehrer Paul Kolbe,

A. Gibens,

Emma Stepan,

Marie Lindtner,

Fritz Müller,

Walter Schreiber,

Horst Dietrichs.

Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -Angestellten, und -Arbeiter, (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1.

 

Fortsetzung der letzten Ausgabe

A. Stadie (W-A.),

W. Stoffregen (L.A.),

Schwimmeist. F. Stein,

St.-Sekr Kurt Stolzenberg,

Standesbeamter Wilhelm Selke,

Kutscher August Störmer,

St.-Insp. Gustav Seeligmann,

Charlotte Seeger,

Dipl.-Ing. Wilhelm Seifert,

St-O.-lnsp. Paul Skrodzki,

Angest. Frau Stantus (St. Kr.-Anst.),

St.-Sekr. Steffenhagen

Buchhalter Samariter (Stiftung),

Angest. Gustav Stahnke (Druckerei),

Angest. Martha Sprengel (Wi. A.),

Rechn. Direktor Johannes Schadagies,

St. Ob.-Amtmann Schiemann,

St. Ob.-Baurat Schäff,

Spark.-Angest. Meta Schwibbe,

Heizer Albert Schulz (St. Kr.-Anst.),

Pfleger Schulz (St. Kr.-Anst.),

St.-Sekretärin Anna Schundau,

St.-Insp. Gotthold Schütz,

Fürsorgerin Erna Schulze,

St.-Insp. Alfred Schusterius,

St.-Sekr. i. R. Gustav Schundau,

Baudirektor Dr.-Ing. Schmidt,

Stadtbaurat Walther Schwarz,

Architekt Schmidt,

St. B.-Insp. Wilhelm Schröder,

St.-Amtm. Paul Schulz,

St.-Insp. Paul Schimkuweit,

Adolf Schewitz,

Wäger

August Schaner,

Otto Schiemann und Frau,

Steuerprüfer Bruno Schulz,

Spark.-Angest Kurt Schmidtke,

Sparkassenzweigstellenvorsteher Schrader,

Spark.-Angest. Else Schmolski

Kammermusiker Schenk u Frau

Fürsorgerin Gertrud Schienanowski,

Mag.-Direktor Schweiger und Schwester,

Stellmacher Otto Schulz (KW.S.),

Vermess.-Gehilfe Franz Schorowski,

Straßenreiniger Schröder,

Kutscher Schilinski (Stadtgärtnerei),

Andreas Schwuj u. Frau (Fuhrges.),

St.- Tauchert,

St.-O.-B.-Insp. Paul Trossert und Frau,

Ansgest. Frau Tink,

Spark.-Angest. Walter Tuluweit,

Helene Talaska (Wi.Amt.),

St.-O.-B.-Insp. Hans Thiel,

St.-Insp. Ernst Treichel,

St.-O.-Sekretärin Else Tromm,

Angest. Margott Teschner,

Gartenbauoberinspektor Tannenberg,

Stadtbaumeister Wilhelm Unverhau,

Werkführer Otto Urbscheit (Gasabst,),

Heizer Volkmann (St. Kr.-Anstalt),

St.-Sekretärin Wienholdt,

Angest. Winterfeld (St. Amt 16),

Labordiener Will (St. Kr.-Anst.),

Kammermusiker Robert Wiosna,

St.-O.-B.-Insp. Paul Wiener und Frau,

St.-O.-Insp. Hans Weiß,

St.-Sekr. Ernst Wenk,

St.-O.-B.-Insp. Wolfram

Walzenlokführer Walter Wenk,

St.-Insp. Josef Weiß,

Spark.-Angest. Gerda Werner,

Spark.-Angest. Alfred Werner,

Otto Wilfert (Fuhrgesellsch.),

St.-Ob.-Insp. Richard Wipprecht,

Stadtassistentin Magda Wachowski,

Techn. Adolf Weigand und Frau,

Rektor Weyer (Roodschule),

Stadtass. Otto Woywod,

St.-O.-Insp. Zeitzmann,

Stadtoberschulrat Zander,

St.-O.-Insp. Helmut Zilian,

Heizer, Erich Zenker, Frau und Sohn (St.-Kr.-Anst.)

Steuervollz. Sekr. Franz Zink,

Dr. med. vetr. Heinrich Zarnack,

Verw.-Angest. Ziese. Hinzu kommen noch 276 Arbeitskameraden der K.W.S., die als „verstorben“ bei der Geschäftsstelle der K.W.S., Alfred Berger (24b) Leck (Schleswig) Gallberg 2, registriert sind.

Etwa 4000 Arbeitskameradinnen und Kameraden der Königsberger Stadtverwaltung fehlen noch. Wer von den Landsleuten mit den oben genannten Kameraden bis zuletzt zusammen war, der berichte uns über die letzten Stunden. Die Hinterbliebenen sind an solchen Berichten interessiert. Wir werden sie weiterleiten. Bei Anfragen an uns sind genügend Rückporto, evtl. Freiumschläge, beizufügen.

 

 

Seite 11   Der Artushof/E.J.A.Hoffmann

Der schöne Jüngling stand hinter dem Alten und warf einen wehmütig freundlichen Blick auf Traugott. Dieser trat rasch zu dem Alten hin und sprach: „Erlauben Sie, mein Herr, das Papier, welches Sie verkaufen wollen, steht in der Tat nur so hoch, wie Ihnen gesagt worden: der Kurs bessert sich indessen, wie es mit Bestimmtheit vorauszusehen ist, in wenigen Tagen sehr bedeutend. Wollen Sie daher meinen Rat annehmen, so verschieben Sie den Umsatz des Papieres noch einige Zeit." –

„Ei, mein Herr!" erwiderte der Alte ziemlich trocken und rauh, „was gehen Sie meine Geschäfte an?" Wissen Sie denn, ob mir in diesem Augenblick solch ein einfältig Papier nicht ganz unnütz, bares Geld aber höchst nötig ist?" Traugott, der nicht wenig betreten darüber war, dass der Alte seine gute Absicht so übel aufnahm, wollte sich schon entfernen, als der Jüngling ihn, wie bittend, mit Tränen im Auge erblickte. „Ich habe es gut gemeint, mein Herr", erwiderte er schnell dem Alten, „und kann es durchaus noch nicht zugeben, dass Sie bedeutenden Schaden leiden sollen. Verkaufen Sie mir das Papier unter der Bedingung, dass ich Ihnen den höheren Kurs, den es in einigen Tagen haben wird, nachzahle." - „Sie sind ein wunderlicher Mann", sagte der Alte, „mag es darum sein, wiewohl ich nicht begreife, was Sie dazu treibt, mich bereichern zu wollen." - Er warf bei diesen Worten einen funkelnden Blick auf den Jüngling, der die schönen blauen Augen beschämt niederschlug. Beide folgten dem Traugott in das Kontor, wo dem Alten das Geld ausgezahlt wurde, der es mit finsterer Miene einsackte.

Währenddessen sagte der Jüngling leise zu Traugott: „Sind Sie nicht derselbe, der vor mehreren Wochen auf dem Artushof solch' hübsche Figuren gezeichnet hatte?" – „Allerdings“, erwiderte Traugott, indem er fühlte, wie ihm die Erinnerung an den lächerlichen Auftritt mit dem Avisobrief das Blut ins Gesicht trieb. „O dann“, fuhr der Jüngling fort, „nimmt es mich nicht wunder." - Der Alte blickte den Jüngling zornig an, der sogleich schwieg. - Traugott konnte eine gewisse Beklommenheit in Gegenwart der Fremden nicht überwinden, und so gingen sie fort, ohne dass er den Mut gehabt hätte, sich nach ihren näheren Lebensverhältnissen zu erkundigen. Die Erscheinung dieser beiden Gestalten hatte auch in der Tat so etwas Verwunderliches, dass selbst das Personal im Kontor davon ergriffen wurde. Der grämliche Buchhalter hatte die Feder hinters Ohr gesteckt, und mit beiden Armen über das Haupt gelehnt, starrte er mit grellen Augen den Alten an. „Gott bewahre mich", sprach er, als die Fremden fort waren, „der sah ja aus mit seinem krausen Barte und dem schwarzen Mantel, wie ein altes Bild de Anno 1411 in der Pfarrkirche zu St. Johanni.

Herr Elias hielt ihn aber, seines edlen Anstandes, seines tief ernsten altdeutschen Gesichts ungeachtet, schlechtweg für einen polnischen Juden, und rief schmunzelnd: „Dumme Bestie, verkauft jetzt das Papier, und bekommt in acht Tagen wenigstens zehn Prozent mehr." Freilich wusste er nichts von dem verabredeten Zuschusse, den Traugott aus seiner Tasche zu berichtigen gewillt war, welches er auch einige Tage später, als er den Alten mit dem Jünglinge wieder auf dem Artushofe traf, wirklich tat. - „Mein Sohn", sagte der Alte, „hat mich daran erinnert, dass Sie auch Künstler sind, und so nehme ich das an, was ich sonst verweigert haben würde." - Sie standen gerade an einer der vier Granitsäulen, die des Saales Wölbung tragen, dicht vor den beiden gemalten Figuren, die Traugott damals in den Avisobrief hineinzeichnete. Ohne Rückhalt sprach er von der großen Ähnlichkeit jener Figuren mit dem Alten und dem Jünglinge. Der Alte lächelte ganz seltsam, legte die Hand auf Traugotts Schulter und sprach leise und bedächtigt: „Ihr wisst also nicht, dass ich der deutsche Maler Godofredus Berklinger bin und die Figuren, welche Euch so zugefallen scheinen, vor sehr langer Zeit, als ich noch ein Schüler der Kunst war, selbst malte? In jenem Bürgermeister habe ich mich selbst Andenkens halber abkonterfeit, und dass der das Pferd führende Page mein Sohn ist, erkennt Ihr wohl sehr leicht, wenn Ihr beide Gesichter und Wuchs anschauet!"

Trauqott verstummte vor Erstaunen: er merkte aber wohl bald, dass der Alte, der sich für den Meister, der mehr als zweihundert Jahre alten Gemälde hielt, von einem besonderen Wahnwitze befangen sein müsse. „Überhaupt war es doch", fuhr der Alte fort, indem er den Kopf in die Höhe warf und stolz umherblickte, „eine herrliche, grünende, blühende Künstlerzeit, wie ich diesen Saal dem weisen König Artus und seiner Reichstafel zu Ehren, mit all den bunten Bildern schmückte. Ich glaube wohl, dass es der König Artus selbst war. der in gar edler hoher Gestalt einmal, als ich hier arbeitete zu mir trat, und mich zur Meisterschaft ermahnte, die mir damals noch nicht worden!" – „Mein Vater", fiel der Jüngling ein. „ist ein Künstler, wie es wenige gibt, mein Herr! und es würde Sie nicht gereuen, wenn er es Ihnen vergönnte, seine Werke zu sehen." Der Alte hatte unterdessen einen Gang durch den schon öde gewordenen Saal gemacht, er forderte jetzt den Jüngling zum Fortgehen auf, da bat Traugott ihm, doch seine Gemälde zu zeigen. Der Alte sah ihn lange mit scharfem, durchbohrenden Blicke an, und sprach endlich sehr ernst: ihr seid in der Tat etwas verwegen, dass Ihr schon jetzt danach trachtet, in das innerste Heiligtum einzutreten, ehe noch Eure Lehrjahre begonnen! Doch! - mag es sein. Ist Euer Blick noch zu blöde zum Schauen, so werdet Ihr wenigstens ahnen! Kommt morgen in der Frühe zu mir." - Er bezeichnete seine Wohnung und Traugott unterließ nicht, den anderen Morgen sich schnell vom Geschäfte loszumachen und nach der entlegenen Straße zu dem wunderlichen Alten hinzueilen. Der Jüngling, ganz altdeutsch gekleidet, öffnete ihm die für und führte ihn in ein geräumiges Gemach, wo er den Alten in der Mitte auf einem kleinen Schemel vor einer großen aufgespannten, grau grundierten Leinwand sitzend antraf.

„Zur glücklichen Stunde", rief der Alte ihm entgegen, „sind Sie, mein Herr gekommen, denn soeben habe ich die letzte Hand an das große Bild dort gelegt, welches mich schon über ein Jahr beschäftigt und nicht geringe Mühe gekostet hat. Es ist das Gegenstück zu dem gleich großen Gemälde, das verlorene Paradies darstellend, welches ich voriges Jahr vollendete und das Sie auch bei mir anschauen können. Dies ist nun, wie Sie sehen, das wiedergewonnene Paradies, und es sollte mir um Sie leid sein, wenn Sie irgendeine Allegorie herausklügeln wollten. Allegorische Gemälde machen nur Schwächlinge und Stümper, mein Bild soll nicht bedeuten, sondern sein. Sie finden, dass alle diese reichen Gruppen von Menschen, Tieren, Früchten, Blumen, Steinen sich zum harmonischen Ganzen verbinden dessen laut und herrlich tönende Musik der himmlisch reine Akkord ewiger Verklärung ist." Nun fing der Alte an, einzelne Gruppen herauszuheben, er machte Traugott auf die geheimnisvolle Verteilung des Lichts und des Schattens aufmerksam, auf das Funkeln der Blumen und Metalle, auf die wunderbaren Gestalten, die aus Lilienkelchen steigend, sich in die klingenden Reigen himmlisch schöner Jünglinge und Mädchen verschlangen, auf die bärtigen Männer, die kräftige Jugendfülle in Blick und Bewegung mit allerlei seltsamen Tieren zu sprechen schienen. - Immer stärker, aber immer unverständlicher und verworrener wurde des Alten Ausdruck. „Lass immer Deine Diamantenkrone funkeln, Du hoher Greis!" rief er endlich, den glühenden Blick starr auf die Leinwand geheftet, „wirf ab den Isisschleier, den Du über Dein Haupt warfst, Als Unheilige Dir nahe traten! - Was schlägst Du so sorglich Dein finsteres Gewand über die Brust zusammen? - Ich will Dein Herz schauen - das ist der Stein der Weisen vor dem sich das Geheimnis offenbart! - Bist Du denn nicht ich? - Was trittst Du so keck, so gewaltig vor mir auf? - Willst Du kämpfen mit Deinem Meister? Glaubst Du, dass der Rubin, der Dein Herz, herausfunkelt, meine Brust zermalmen könnte? - Auf denn! - tritt heraus! - tritt her! - Ich habe Dich erschaffen, - denn ich bin". - Hier sank der Alte plötzlich wie vom Blitz getroffen zusammen. Traugott fing ihn auf, der Jüngling rückte schnell einen kleinen Lehnsessel herbei, sie setzten den Alten hinein, der in einen sanften Schlaf versunken schien.

„Sie wissen nun lieber Herr!" sprach der Jüngling sanft und leise, „wie es mit meinem guten alten Vater beschaffen ist. Ein raues Schicksal hat alle seine Lebensblüten abgestreift, und schon seit mehreren Jahren ist er der Kunst abgestorben, für die er sonst lebte. Er sitzt ganze Tage hindurch vor der aufgespannten grundierten Leinwand, den starren Blick darauf geheftet: das nennt er malen, und in welchen exaltierten Zustand ihn dann die Beschreibung eines solchen Gemäldes versetzt, das haben Sie eben erfahren. Nächstdem verfolgt ihn noch ein unglückseliger Gedanke der mir ein trübes zerrissenes Leben bereitet, ich trage das aber als ein Verhängnis, welches, in dem Schwunge, in dem es ihn ergriffen, auch mich fortreißt. Wollen Sie sich von diesem seltsamen Auftritt erholen, so folgen Sie mir in das Nebenzimmer wo Sie mehrere Gemälde aus meines Vaters früherer fruchtbarer Zeit finden“.

Wie erstaunte Traugott, als er eine Reihe Bilder fand, die von den berühmtesten niederländischen Meistern gemalt zu sein schienen. Mehrenteils Szenen aus dem Leben, z. B. eine Gesellschaft, die von der Jagd zurückkehrt, die sich mit Gesang und Spiel ergötzt, u. a. dergl. darstellend, atmeten sie doch einen tiefen Sinn, und vorzüglich war der Ausdruck der Köpfe von ganz besonderer ergreifender Lebenskraft. Schon wollte Traugott ins Vorzimmer zurückkehren, als er dicht an der Tür ein Bild wahrnahm, vor dem er wie festgenagelt stehen blieb. Es war eine wunderliebliche Jungfrau in altdeutscher Tracht, aber ganz das Gesicht des Jünglings, nur voller und höher gefärbt, auch schien die Gestalt größer. Die Schauer namenlosen Entzückens durchbebten Traugott bei dem Anblick des herrlichen Weibes. An Kraft und Lebensfülle war das Bild den Van Dyk'schen völlig gleich. Die dunklen Augen blickten voll Sehnsucht auf Traugott herab, die süßen Lippen schienen halb geöffnet liebliche Worte zu flüstern! - „Mein Gott! - „Mein Gott!" - mein Gott!" seufzte Traugott aus tiefer Brust: „wo! – wo, ist sie zu finden?" - „Gehen wir," sprach der Jüngling. Da rief Traugott wie von wahnsinniger Lust ergriffen: „Ach sie ist es ja, die Geliebte meiner Seele, die ich so lange im Herzen trug, die ich nur in Ahnungen erkannte! - wo - wo ist sie!"

Dem jungen Berklinger stürzten die Tränen aus den Augen, er schien, wie von jähem Schmerz krampfhaft durchzuckt, sich mit Mühe zusammenzuraffen. „Kommen Sie“, sagte er endlich mit festem Ton, „das Porträt stellt meine unglückliche Schwester Felizitas vor. Sie ist hin auf immer. - Sie werden sie niemals schauen!" — Beinah bewusstlos ließ sich Traugott in das andere Zimmer zurückführen. Der Alte lag noch im Schlaf, aber plötzlich fuhr er auf, blickte Traugott mit zornfunkelnden Augen an und rief: „Was wollen Sie? -

Was wollen Sie mein Herr?" Da trat der Jüngling vor und erinnerte ihn daran, dass er soeben dem Traugott ja sein neues Bild gezeigt habe. Berklinger schien sich nun auf alles zu besinnen, er wurde sichtlich weich und sprach mit gedämpfter Stimme: „Verzeihen Sie, lieber Herr, einem alten Mann solche Vergesslichkeit."

„Euer neues Bild. Meister Berklinger", nahm Traugott nun das Wort, „ist ganz wunderherrlich, und habe ich dergleichen noch niemals geschaut, indessen braucht es wohl vieles Studierens und vieler Arbeit, ehe man dahin gelangt, so zu malen. Ich spüre großen unwiderstehlichen Trieb zur Kunst in mir, und bitte Euch gar dringend, mein lieber alter Meister! mich zu Eurem fleißigen Schüler anzunehmen." Der Alte wurde ganz freundlich und heiter, er umarmte Traugott und versprach sein treuer Lehrer zu sein. So, geschah es denn, dass Traugott tagtäglich zu dem alten Maler ging und in der Kunst gar große Fortschritte machte. Sein Geschäft war ihm nun ganz zuwider, er wurde so nachlässig, dass Herr Elias Roos laut sich beklagte, und am Ende es gern sah, dass Traugott, unter dem Vorwande einer schleichenden Krankheit sich von dem Kontor ganz losmachte, weshalb denn auch, zu nicht geringem Ärger Christinens, die Hochzeit auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde. „Ihr Herr Traugott“, sprach ein Handelsfreund zu Herrn Elias Roos, „scheint an einem inneren Verdruss zu laborieren, vielleicht ein alter Herzenssaldo, den er gern löschen möchte vor neuer Heirat. Er sieht ganz blass und verwirrt aus." - „Ach warum nicht gar," erwiderte Herr Elias. „Sollte ihm“, fuhr er nach einer Weile fort, „die schelmische Christina, einen Spuk gemacht haben? Der Buchhalter, das ist ein verliebter Esel, der küsst und drückt ihr immer die Hände. Traugott ist ganz des Teufels verliebt in mein Mägdlein, das weiß ich." - „Sollte vielleicht einige Eifersucht? - Nun, ich will ihm auf den Zahn fühlen, dem jungen Herrn."

- So sorglich er aber auch fühlte, konnte er doch nichts erfühlen, und sprach zum Handelsfreunde: „Das ist ein absonderlicher homo der Traugott, aber man muss ihn gehen lassen nach seiner Weise. Hätte er nicht fünfzigtausend Taler in meiner Handlung, ich wüsste, was ich täte, da er gar nichts mehr tut." - Traugott hätte nun in der Kunst ein wahres helles Sonnenleben geführt, wenn die glühende Liebe zur schönen Felizitas, die er oft in wunderbaren Träumen sah, ihm nicht die Brust zerrissen hätte. Das Bild war verschwunden. Der Alte hatte es fortgebracht, und Traugott durfte, ohne ihn schwer zu erzürnen, nicht darnach fragen, übrigens war der alte Berklinger immer zutraulicher geworden, und litt es, dass Traugott, statt des Honorars für den Unterricht, seinen ärmlichen Haushalt auf mannigfache Weise verbesserte. Durch den jungen Berklinger erfuhr Traugott, dass der Alte bei dem Verkauf eines kleinen Kabinets merklich hintergangen worden, und dass jenes Papier, welches Traugott auswechselte, der Rest der erhaltenen Kaufsumme und ihres baren Vermögens gewesen sei. Nur selten durfte übrigens Traugott mit dem Jüngling vertraut sprechen, der Alte hütete ihn auf ganz besondere Weise, und verwies es ihm gleich recht hart, wenn er frei und heiter sich mit dem Freunde unterhalten wollte. Traugott empfand dies umso schmerzlicher als er den Jüngling seiner auffallenden Ähnlichkeit mit Felizitas halber, aus voller Seele liebte. Ja, oft war es ihm in der Nähe des Jünglings, als stehe lichthell das geliebte Bild neben ihm, als fühle er den süßen Liebeshauch, und er hätte dann den Jüngling, als sei er die geliebte Felizitas selbst an sein glühendes Herz drücken mögen. Der Winter war vergangen, der schöne Frühling glänzte und blühte schon in Wald und Flur. Herr Elias Roos riet dem Traugott eine Brunnen- oder Molkenkur an. Christinchen freute sich wiederum auf die Hochzeit, ungeachtet Traugott sich wenig blicken ließ, und noch weniger an das Verhältnis mit ihr dachte. Auf das Geräusch, das Traugott unwillkürlich beim Hereintreten gemacht, erhob sich die Gestalt, legte die Laute auf den Tisch und wandte sich um. Sie war es, sie selbst! - „Felizitas!" schrie Traugott auf voll Entzücken, niederstürzen wollte er vor dem geliebten Himmelsbilde, da fühlte er sich gewaltig gepackt beim Kragen und mit Riesenkraft herausgeschleppt. „Verruchter! - Bösewicht ohne Gleichen!" schrie der alte Berklinger, indem er ihn fortstieß, „das war Deine Liebe zur Kunst? - Morden willst Du mich!" Und damit riss er ihn zur Tür hinaus. Ein Messer blitzte in seiner Hand. Traugott floh die Treppen herab, betäubt, ja halb wahnsinnig vor Lust und Schrecken lief Traugott in seine Wohnung zurück. Schlaflos wälzte er sich auf seinem Lager. „Felizitas - Felizitas", rief er einmal übers andere von Schmerz und Liebesqual zerrissen. „Du bist da - du bist da, und ich soll Dich nicht schauen, Dich nicht in meine Arme schließen? - Du liebst mich, ach, ich weiß es ja. - In dem Schmerz, der so tötend meine Brust durchbohrt, fühle ich es, dass Du mich liebst."

Hell schien die Frühlingssonne in Traugotts Zimmer, da raffte er sich auf und beschloss, koste es. was es wolle, das Geheimnis in Berklingen Wohnung zu erforschen. Schnell eilte er hin zum Alten, aber wie ward ihm, als er sah, dass alle Fenster in Berklingers Wohnung geöffnet und Mägde beschäftigt waren, die Zimmer zu reinigen. Ihm ahnte, was geschehn. Berklinger hatte noch am späten Abend mit seinem Sohn das Haus verlassen und war fortgezogen, niemand wusste wohin. Ein mit zwei Pferden bespannter Wagen hatte die Kiste mit Gemälden und die beiden kleinen Koffer, welche das ganze ärmliche Besitztum P

Berklingers in sich schlossen, abgeholt. Er ??? ??? mit seinem Sohne eine halbe Stunde ??? fortgegangen. Fortsetzung folgt

 

 

Seite 12   Unsere 206. Infanterie-Division

Der 16. August 1939 war der Geburtstag der 206. Inlanterie-Division. Auf diesen Tag lauteten die Einberufungsbefehle. Die Angehörigen der Division entstammten zum größten Teil den ostpreußischen Kreisen Labiau, Elchniederung, Tilsil-Ragnit, Schloßberg, Fischhausen, Königsberg, Wehlau, Insterburg, Gumbinnen, Ebenrode, Angerapp und Goldap. Aber auch andere Landsmannschaften, insbesondere Westfalen, Schwaben und Franken, kamen später zur Division und trugen zu ihrer glücklichen Zusammensetzung bei.

Die Stärke der 206. I. D. betrug 18 427 Offiziere, Beamte, Unteroffiziere und Mannschaften, 7241 Pferde und 593 Kraftfahrzeuge. Zur Division gehörten die drei Infanterie-Regimenter 301, 312 und 413, das Artillerie-Regiment 206, Pionier-Bataillon 206, Panzerjäger-Abteilung 206, Aufklärungs-Abteilung 206, Nachrichten-Abteilung 206 und die einzelnen Einheiten des Divisionsstabes sowie der Sanitäts- und Versorgungstruppen. Das Zeichen der 206. Division, das an allen Fahrzeugen zu linden war, war die diagonal gestellte Wolfsangel.

Schon am 17.10. ließen wir die Wolga hinter uns. Nach Norden über Mologino abgedreht, hatten wir den Gegner weiter zu verfolgen. Die obere Führung hoffte damit zugleich die Verbindung mit dem rechten Flügel der die Waldai-Höhen hallenden Heeresgruppe Nord zu erreichen. Der mit dem Überschreiten der Wolga begonnene Operationsabschnitt ist gekennzeichnet durch die, alles bisher Dagewesene, noch weit übertreffende Ungunst der Wege und zum Teil auch des Wetters, und die vielfach auch hierdurch äußerst angespannte Versorgungslage. Der Div. konnte nur wenig, man ist versucht zu sagen, fast nichts mehr zugeführt werden. Und selbst dieses wenige konnte auf den durch tagelangen Regen grundlos gewordenen Wegen nur durch eine Summe von Aushilfen zur kämpfenden Truppe gebracht werden.

Lage und Gelände ließen es in diesen Wochen nur ausnahmsweise zu einem geschlossenen Angriff der Masse der Div. kommen. So am 21.10., den strömender Regen einleitete. Da brach die Div. nach mustergültiger Feuervorbereitung durch 38 leichte und 4 schwere Haubitzen sowie 3 (21 cm) Mörser mit I. R. 413 sowie Teilen des I. R. 301 und 312 zum Angriff gegen einen in vorbereiteter Stellung nördlich Frolowo liegenden Feind vor, umfasste ihn rechts und vernichtete ihn zum größten Teil.

Der 22.10. brachte nur Gefechte von örtlicher Bedeutung. Am 23. aber hatte sich neuer Feind bei und nordostwärts Burakowo zur Verteidigung gestellt. Der Angriff wurde mit den Inf.-Reg. 301 (rechts) und 413 gewagt, obwohl ein großer Teil der Artillerie, der durch Wegeschwierigkeiten aufgehalten war, nicht mitwirken konnte. Dafür genoss die Div. zum ersten Male in diesem Kriegsabschnitt die Unterstützung einer Stukagruppe, die wertvolle Arbeit leistete. Das verstärkte I. R. 312 hatte an diesem Tage zu einer weit nach Osten ausholenden Unternehmung eingesetzt werden müssen, weil sich in den Waldstücken zwischen uns und der etwa 20 km entfernten 26 Div. beachtliche Feindgruppen gebildet hatten, die sehr aktiv zu werden begannen. Das Regiment konnte dann erst wieder an der Tjma enger an die Div. herangezogen werden. Auch nötigte von nun an gesteigerte Partisanentätigkeit immer wieder, nicht unbeträchtliche Kräfte zur Rückendeckung abzuzweigen, ja sogar Geleitzüge für wichtige Transporte zu bilden. Zu einem geschlossenen Angriff der Regimenter 301 und 413, der durch 8 Batterien unterstützt werden konnte, kam es nochmals am 24.10. gegen den in Stellungen südlich der Tjma liegenden Feind. Die vorherige Bereitstellung und Feuervorbereitung hatte sich gelohnt. Der Feind hielt in seinen nur flüchtig befestigten Stellungen schon dem Artilleriefeuer nicht stand und zog sich zurück. Dieses Schwächemoment benutzte die Infanterie zum sofortigen Nachstoß. Sie erreichte nahezu ohne Verluste die dahinter gelegenen, stärker befestigten, aber nicht mehr ernsthaft verteidigten Ortschaften. Bei der Wegnahme und Säuberung dieser weitausgedehnten Orte ließ es der Kommandeur des I. R. 301 nicht bewenden. Er stieß, obschon die Dämmerung nicht mehr ferne war, in raschem Entschluss über Krutzy bis an die Tjma nach. Das Regiment hatte hierbei verdientes Glück. Der Feind wich nach kurzem Feuergefecht durch Krutzy hinter die Tjma aus, wo er von neu herangeschafften Kräften aufgenommen wurde. Zur Beute des Tages gehörten 4 schwere Geschütze von 122 mm Kaliber. Auf die Russen hatte nach Gefangenenaussagen besonderen Eindruck unsere aus schweren Granatwerfern verschossene Nebelmunition gemacht. Der Nebel war für Kampfstoff (Gas) gehalten worden und hatte an einzelnen Stellen Panik ausgelöst, die seltsamerweise im Wegwerfen der Gasmasken Ausdruck fand.

Am 25.10. gruppierte sich die Div. zum Übergang über die 20 - 25 m breite und sehr tiefe Tjma, deren Ufer überdies stark versumpft waren. Inzwischen war der Zustand der Pferde, besonders bei der Artillerie, wegen Hartfuttermangel so bedenklich und die Munitionslage wegen des fehlenden Nachschubes so ernst geworden, dass sich die Div. entschließen musste, auf den Einsatz eines Teiles auch der leichten Artillerie nunmehr ganz zu verzichten und deren noch arbeitsfähige Pferde sowie die ganze Munition für die mit allen Mitteln heranzuhaltenden wenigen Batterien freizumachen. So konnte ein Angriff auf breiter Front nicht mehr geführt werden. Die Masse der Hilfswaffen und Angriffsmittel wurde dem I. R. 301 zur Verfügung gestellt. Dem am 26.10. nach dem klaren Angriffsplan des Kdrs I. R. 301 mustergültig durchgeführten Angriff über die Tjma war bei den gegebenen ungünstigen Witterungs- und Bodenverhältnissen ein rascher und durchschlagender Erfolg beschieden. Schon 10.30 Uhr hatte ein Batl. am Nordufer Fuß gefasst. Und von nun an behielt das tapfere Regiment bis an die Naschiga die Führung. In ungebrochener Angriffskraft erreichte es am 27.10. Bykowo an der Naschiga. Am 28.10. gelang es ihm noch, während die Nachbardivisionen weiter zurückhingen, nördlich der Naschiga einen Brückenkopf als Ausgangsstellung für weiteres Vorgehen zu bilden. Der Divisionsbefehl für den am 30. 10. in Aussicht genommenen Angriff - nun wieder mit 2 Regimentern in vorderer Linie - war schon gegeben, und die Voraussetzungen hierfür schienen günstig, als auf höheren Befehl der Angriff auf der ganzen Front eingestellt und zur Verteidigung übergegangen werden musste. Dem immer bewährten Kommandeur des I. R. 301, Oberst Balla, wurde für die Führung seines Regimentes in diesem Abschnitt des Krieges als ersten Soldaten der Div. das Deutsche Kreuz in Gold verliehen.

Vom 29. -31.10. nahmen die Infanterieregimenter - nun auch I. R. 312 wieder in der Front - noch örtliche Bereinigungen vor und bildeten eine geschlossene Front zwischen 26. und 256. Div. Die Art. wurde vollends in Stellung gebracht und mehrere feindliche Angriffe abgewehrt.

 

Abwehrkämpfe an der Tudowka

Am 1.11. begann dann die Ablösung durch die 256. Div., die am 5.11. beendet war. Nach kurzer Zeit der Erholung und Auffrischung als Reserve der Heeresgruppe im Raume westlich und südwestlich Stariza wurde die Div. schon wieder Mitte November in der Front eingesetzt und übernahm den Abschnitt Kopriyani-Woronowo.

Bald wurde bekannt, dass der Vorstoß unserer Panzerarmeen auf Moskau gescheitert war. Man dachte an 1812, der Schatten Napoleons stieg drohend herauf.

Eines Tages wurde der Feind wieder aktiv. In der Frühe des 24. Juli griff er nach lebhafter Artillerie-Vorbereitung die Stellungen des Regiments 413 in den Ruinen von Mol. Tud. an. 4 - 5 Tage gingen die wechselvollen Kämpfe um den Brückenkopf. Dieser wurde schließlich von der Division aufgegeben, da nicht beabsichtigt war, diesen Brückenkopf für zukünftige Angriffsunternehmen zu benutzen. Die neue Stellung diesseits der Tudowka war zudem kürzer und unter Ausnutzung der Werke der russischen Wolgastellung in kurzer Zeit günstiger für die Verteidigung als die alle Linie. Immerhin waren diese Tage für Führung und Truppe im linken Divisionsabschnitt aufregend genug, wusste man doch nicht, welches die eigentlichen Absichten des Gegners bei diesem ganzen Unternehmen waren. Einige Zeit später wurde klar, dass es sich bei dem Angriff auf den Brückenkopf Mol. Tud. um ein Ablenkungsmanöver für die am 31. Juli anlaufende feindliche Sommeroffensive von der Osucha bis nördlich Rshew handelte, die u. a. auch das VI. Armeekorps traf. Schwerste Kämpfe tobten dort unter rücksichtslosen gegnerischen Einsatz von Menschen, Munition, Panzern und Luftwaffe. Nachdem es sich herausstellte, dass diese Kämpfe nicht auf den Abschnitt der 206. I. D. übergreifen würden, musste von der Div. an die Abwehrfront das Reservebatl. Konstant und die

Panzerjägerkompanie abgegeben werden. Bei den schweren Abwehrkämpfen hat sich das Batl. Konstant tapfer geschlagen, schmolz jedoch durch starke Verluste und Ausfälle infolge Ruhrerkrankungen sehr zusammen.

Gegen Ende des Monats Oktober wurde eine bemerkenswerte Unruhe beim Gegner festgestellt. Eine auffallende, rege Späh- und Stoßtrupptätigkeit setzte ein mit dem Ziel, Gefangene einzubringen, um durch sie ein Bild von der Besetzung unseres Abschnittes zu gewinnen. Immer neue feindliche Batterien schossen sich ein. Jedoch verhinderte der dichte Nebel sowohl die Aufklärung des Feindes wie unsere eigene. Unsere Führung blieb nicht müßig. Das größte Täuschungsmanöver des ganzen russischen Feldzuges wurde im Monat November im Abschnitt der 206. I. D. durchgeführt. Durch Einsatz zahlreicher Funkstellen wurden lebhafte Bewegungen im frontnahen Raum und nächtliche Panzerbewegungen vorgetäuscht. Dieses Unternehmen erstreckte sich über den ganzen Monat November und sollte die Zersplitterung der Angriffsabsichten des Gegners, die der 9. Armee galten, herbeiführen.

Mit großer Genugtuung wurde die Nachricht aufgenommen, dass sich die Division „Großdeutschland" als Reserve im Armeegebiet befände. Es erschienen auch einige Kommandeure dieser Division und wurden, besonders im westlichen Divisionsabschnitt, eingewiesen. Endlich verschwand der Nebel, es wurde etwas trockener. Noch einmal wurden die empfindlichen Frontslellen, die Stellung des Feldersatzbatl., im Elferwald und in den Stützpunkten jenseits der Tudowka, überprüft.

Plötzlich über Nacht setzte Frost ein. Es war der 25. November. Schlagartig setzte um 7.45 Uhr der feindliche Beschuss in einer Stärke ein, wie ihn die Division im bisherigen Verlauf des Feldzuges noch nicht erlebt hatte. Ein einziges Grollen, Rumpeln und Erschüttern ging durch die frostklare Luft. Ununterbrochen krachte das feindliche Eisen in und über den Stellungen. Unser eigenes Artillerie-Regiment meldete Beschuss auf den gesamten Abschnitt der Division. Das Reservebatl. wurde alarmiert, die Versorgungsdienste bekamen Befehl, die festgelegten Alarmeinheiten marschbereit zu machen. Wie richtig die Division die Lage auf Grund der Erd- Luft- und Funkaufklärung beurteilte, ging daraus hervor, dass sich der Ablauf des feindlichen Angriffes genau mit dem Verlauf eines für den 25. November vorgesehenen Planspieles deckte, Die ersten Meldungen der Regimenter ließen bereits die Absichten des Gegners erkennen. Das Regiment 301 meldete starke Infanterieangriffe gegen den Ostteil des Abschnittes am Elfer-Wald, das Regiment 312 Angriffe in Stärke von 2 - 3 Regimentern gegen die Stützpunkte nördlich der Tudowka und das Regiment 413 Angriffe gegen den linken Flügel mit bisher etwa 500 - 600 Mann. Sämtliche Angriffe des Gegners wurden mit Panzerunterstützung geführt. So hatte diese Schlacht gleich drei Brennpunkte, beim Feind waren mehrere Schützendivisionen mit Panzerbrigaden eingesetzt.

Das Hauptaugenmerk musste sich auf den Elfer-Wald richten. Ein feindlicher Durchbruch an dieser Stelle konnte zur Aufrollung des gesamten Frontbogens führen. Hinter diesem Elfer-Wald lag der Sammelplatz für die Alarmeinheiten. Zunächst hatte die Artillerie der Division das Wort. Sie brauchte sich diesmal im Munitionsverbrauch keinerlei Beschränkung  aufzuerlegen. Vom Korps erfuhren wir, dass wir nicht die einzige Division wären, gegen die der Feind seine neuen Angriffe führte. Gleichzeitig mit den Angriffen in unserem Abschnitt, die anscheinend den Durchstoß auf Olenin bezweckten, liefen starke Feindangriffe gegen unsere Bahnlinie Rshew - Wjasma und im Westen mit Stoßrichtung auf Bjeloi. Letztere Angriffe wurden hauptsächlich mit motorisierten Truppen und Panzern geführt. Die Kämpfe griffen auf den linken Nachbarn der Division über. Im Verlauf dieser Kämpfe ging Motorino an der Nordfront des Korps - 206. I. Div. - verloren.

Der 1. März war der lang erwartete sogenannte X-Tag der Absetzbewegung mit dem Decknamen ,,Büffel". Bis auf die Nachtruppen und die Ski-Komp, im Zwischengelände rückte die Truppe in der nächsten Nacht in die erste Zwischenstellung. Vom Feinde unbemerkt lösten sich am Morgen des 2. März die Nachtruppen aus der verminten, alten Stellung.

Erst gegen Mittag merkte der Gegner, dass er kein Gegenüber mehr hatte. Zaghaft stieß er vor. Die Ski-Komp, mit ihrer beweglichen Kampfführung nötigte ihn zur Vorsicht, zur Entfaltung und zu Angriffen, die dann wirkungslos im leeren Raum verpufften. Bei Borodatowo geriet der Feind in einen Feuerüberfall der gesamten Artillerie der Divison.

So erschien der Gegner erst am Morgen des 3. März vor der ersten Zwischenlinie. Hier griff er wieder an, traf unerwartet auf kräftige Abwehr und musste erhebliche Verluste einstecken. Wie vorgesehen wurde diese Stellung zwei Tage gehalten, dann ging es planmäßig auf die zweite Zwischenstellung zurück. Jetzt wurde das Rgt. 301 zu anderweitiger Verwendung aus dem Div.Verband herausgezogen. Daher blieb der Gefechtsstreifen der Div. immer noch sehr breit, es gab keine Ruhe für die Truppe. Nachts hieß es marschieren und eingraben, am Tage Abwehr. Es war eine Zeit allergrößter Anspannung für alle. Dabei verliefen die ganzen Bewegungen viel reibungsloser als erwartet. Bei der Höhe der Schneelage konnte der Feind nur auf unseren Abmarschstraßen folgen. Diese wurden stets erfolgreich gesperrt und unter Artl.-Feuer genommen. Wohl gab es kritische Situationen, wenn Marschverspätungen vorkamen und das Lösen vom Feinde unter Feinddruck erfolgen musste. Doch war es die deutsche Führung, die in jeder Phase dieser Absetzgebung das Gesetz des Handelns in eigener Hand behielt. Die Truppe wurde aus den Beständen der aufzulösenden Lager ausgezeichnet verpflegt, und da keinerlei Munitionsbestände gesprengt oder gar

zurückgelassen werden durften, hatte die Infanterie jederzeit das beruhigende Gefühl, im Schutze aller schweren Waffen gut aufgehoben zu sein.

Sehr interessant und von großer Bedeutung für das Verhalten der Truppe war das Abhören des feindlichen Funkverkehrs während der Büffel-Bewegung, Der Feind funkte grundsätzlich Klartext. Tag und Nacht standen die Funker mit ihren Geräten auf Empfang und konnten für die eigene Führung wichtige Sprüche abhören. Die Auswertung derselben ergab, dass die Verbände beim Gegner sehr durcheinander geraten waren, da die Kampfabschnitte immer schmaler wurden. Die ständigen Rückfragen der „kleinen Wirte" bei den „großen Wirten" gaben unserer Führung ein lückenloses Bild der Feindlage und Feindabsichten. So verpuffte manches Feindunternehmen und hinterließ beim Feind größte Überraschung. Er wurde immer unsicherer und zögernder. Es hagelte Vorwürfe und Anschnauzer von oben. Ein Beispiel: „Was stehen Sie da wie eine Strohpuppe im Schnee, machen Sie, dass Sie vorwärts kommen, Ihr Nachbar ist bereits da und da." Die Wirkung der Sperrmaßnahmen erhellte aus folgendem abgehörten Feindgespräch, dass besonders den eigenen Pionieren viel Spaß bereitete: „Ich bringe mein Pferd in den Stall, gehe ins Haus, da gibt es einen großen Knall, Stall und Pferd sind weg. Diese verfluchten Fritzen legen ihre Minen überall dahin, wo wir sie nicht vermuten." Das sind nur zwei Beispiele aus der Unzahl abgehörter Feindgespräche und -sprüche. Sie zeigen, wie diese Absetzbewegung, in der Führung der Truppe ihr Bestes hergaben, weil sie ihren Sinn erkannten, in glänzender Weise gelang.

 

Seite 13   Die Schlacht um Witebsk

Leider bestätigte sich die Ansicht, dass es sich bei der „Pantherstellung" um eine ausgebaute Winterstellung handelte, nicht. Sie war lediglich der Anfang eines Stellungbaues. Daher war es nicht möglich, der Truppe die wohlverdiente Ruhe zu gönnen. Sie musste alle Sorge dem Stellungsbau zuwenden, sollte ein wirklicher Schutz gegenüber den bald zu erwartenden Angriffen vorhanden sein. Wie weit die Gefechtsstärken herabgesunken waren, ging aus dem Bericht eines Batl.-Kommandeurs hervor, dessen Batl. am voraussichtlichen Schwerpunkt der Rollbahn Wietebsk-Smolensk, eingesetzt war. Das- gesamte Batl. hatte außer seinem Kommandeur nur noch einen Offizier und nach Einreihung der Genesenen und Urlauber noch ganze 110 Mann Gefechtsstärke. Das waren keine günstigen Vorzeichen für die Verteidigung von Wietebsk, dem „Tor zum Baltikum", wie der Feind diese Stadt nannte.

Eine große Überraschung bedeutete der Armeebefehl, nachdem die Division auf zwei Infanterie-Regimenter zu je drei Batl. an Stelle der bisherigen drei Regimenter zu je zwei Batl. umzugliedern war. Der Div.-Kommandeur entschloss sich, das Regiment 312 diesem Befehl zu opfern. Dieses Regiment wurde auf die beiden anderen Inf.-Regimenter aufgeteilt. Oberstleutnant Haellmigk führte das Regiment 310, das Regiment 413 Oberstleutnant Fabricius.

Kurze Zeit nach dieser Umgruppierung tastete der Feind mit schwachen Angriffen an verschiedenen Stellen der Front vor. Diese Kämpfe waren für uns sehr verlustreich, da sie mit einem bisher noch nicht erlebten Munitionsaufwand geführt wurden, der das Gelände streckenweise einfach umpflügte. Eine andere Druckstelle versprach nach den Anstrengungen des Gegners beim Regiment 301 zu entstehen. Hier konnte die Linie der Division nur unter Einsatz der 21 cm-Mörser behauptet werden. Mit dem 25. Oktober hörte diese, die Front nach weichen Stellen abtastende Angriffstätigkeit des Gegners auf. Auf Drängen des Oberbefehlshabers der 3. Pz.-Armee, Generaloberst Reinhardt, wurde hinter der „Pantherstellung mit dem Bau einer Ausweichstellung, der „Bärenstellung", begonnen.

Leider stand nicht mehr viel Zeit für die Abwehrmaßnahmen zur Verfügung, denn am 8. November begann nach einer sich ständig steigernden Feuervorbereitung an zwei Stellen im Divisionsabschnitt der Großangriff, der den Auftakt zur Schlacht von Wietebsk bilden sollte.

Elf Tage dauerte diese Abwehrschlacht. Begünstigt durch den Nebel gelang dem Gegner am 08.11, ein Einbruch nördlich der Landstraße Kolyschki-Witebsk. Verstärkungen aller Art wurden der Division zugeführt, u. a. die gesamte 211. Infanterie-Division außer Stab und Nachrichten-Abt., ein Sicherungs-Rgt.. mehrere Art.-Abteilungen, darunter die sog. „Hummeln und Wespen" auf Selbstfahrlafette, einige Sturmgeschützabteilungen und zwei Panzerabwehrabteilungen, alles in allem eine Kampfkraft, wie sie die Division noch nie besessen hafte. Es kamen aber trotzdem sehr ernste Tage für die Division. Die Lücke zwischen Rgt. 413 und 301 konnte nicht geschlossen werden, 5 russische Panzer, die hier durchbrachen, wurden jedoch ostwärts Korolewo kampfunfähig geschossen, so dass hier der feindliche Weg nach Westen vorerst gestoppt war. Dagegen verstärkte der Gegner seinen Druck nach Südwesten und konnte sogar bis gegen die „Bärenstellung" ostwärts Ssinjaki vorstoßen. Das Regiment 413 wurde mit der ihm unterstellten Art.-Abt. durch dieses Vorgehen des Gegners von der Versorgung durch die eigene Division abgeschnitten und war nur noch durch Funk direkt und durch Fernsprecher über die Nachbardivision zu erreichen. Mehrere Versuche, die Lücke zu schließen, misslangen nach anfänglichen Erfolgen. So wurde das Regiment 413 auf die „Bärenstellung" zurückgenommen und eine neue Front aufgebaut. Links anschließend lag das Sicherungsregiment 305, dann an der Rollbahn nach Osten ein Regiment der 211. Division mit loser Verbindung zu den beiden vorgeschobenen Jägerbataillonen.

An der nördlichen Einbruchsstelle tobten die Kämpfe mit gleicher Wucht. Oberstleutnant Haellmigk hielt dort die Woitowo-Höhe und die Stellungen rechts davon mit Teilen seines Regiments und einem Bau-Batl. gegen eine Reihe starker Angriffe.

An der Straße, die die Naht zum Nachbar bildete, fuhr eine ganze feindliche Panzerbrigade nach Westen. Es gelang, die Panzer vor der Bärenstellung durch Alarmeinheiten der Nachrichten-Abt. und Versorgungstruppen aufzuhalten. 13 Panzer wurden hier erledigt, einige blieben im Sumpf abseits der Straßen stecken und wurden im Nahkampf vernichtet. Das Regiment 301 verlor allmählich in seiner vorgeschobenen Stellung die Verbindung zur Division, darum genehmigte die Armee die Aufgabe der unmöglich gewordenen Stellung auf der Woitowo-Höhe. Das Regiment wurde auf die Bärenstellung zurückbefohlen. Es gelang dem Regiment, sich während der Nacht aus der feindlichen Umklammerung zu ziehen, alle Verwundeten, Geschütze und Gerät wurden geborgen. In dieser Bärenstellung konnten nun alle feindlichen Angriffe abgewehrt werden. Dabei bekam der Gegner die gerade neu eingetroffene Panzerabwehrwaffe, die Panzerfaust, zu spüren.

 Am 18. November stellte der Feind seine Angriffe auf der ganzen Front ein. Im Verlauf dieser Kämpfe hatte der Gegner keinen entscheidenden Erfolg erringen können. Am 19. November würdigte der Wehrmachtsbericht diese Abwehrkämpfe:

Der Gefechtsstand der Division war in den letzten Tagen nach Wjasjuti an der Witebsk-Smolensker Landstraße verlegt worden, das Regiment 301 in das Erholungsheim bei Worony. Für die entschlossene Abwehr an der Woitowo-Höhe erhielt Oberstleutnant Haellmigk das Ritterkreuz. In dieser Zeit verließ Major Semrau die Division, sein Nachfolger als Adjutant wurde Major Petschelt. Die Gedanken richteten sich wieder auf Weihnachten.

Die nun folgende, fünfwöchige Schlacht um Witebsk begann im Norden und Nordosten von Witebsk, um sich am 23. Dezember 1943 auch auf den Südosten auszudehnen, wo die 206. Inf.-Div. im Brennpunkt der Abwehr stand. Hier wurde der Angriff mit 12 Schützendivisionen, die zur 33. russischen Armee gehörten, sowie 6 Panzerverbänden geführt. Ziel dieses Angriffs war zunächst die Unterbrechung der Eisenbahnstrecke Orscha - Witebsk, alsdann sollte sich die 33. Armee durch weiteren Vorstoß nach Nordwesten mit der nordwestlich Witebsk nach Süden angreifenden 4. Stoßarmee an der Düna vereinigen, um die im Raum Witebsk befindlichen deutschen Truppen einzuschließen.

Der feindliche Angriff aus südöstlicher Richtung wurde bis in die Höhe des Südrandes des Waldes von Tropy geführt. Dem Gegner gelangen hier im Abschnitt des Regiments 413 kleinere Einbrüche, Angelpunkt aller Abwehrkämpfe wurde das Dorf Ssinjaki. das verloren ging und wiedergenommen wurde. Weitere Brennpunkte waren Bahnhof Krucky und Dorf sowie die Brücke Dymanowo. Hier hatte der Gegner die große Straße Petersburg-Kiew erreicht. Die Division „Feldherrnhalle" wurde hier zum Gegenangriff eingesetzt, kam aber nicht recht vorwärts in dem unwegsamen Gelände. In zwei Nächten gelang es trotz ständiger Feindberührung, das Regiment 413 gegen das Regiment 301 auszutauschen, nachdem ein Batl. der Division „Feldherrnhalle" in dem ruhigen linken Divisionsabschnitt eingeschoben war.

Am Neujahrstag 1944 verlegte die Führungsstaffel ihren Gefechtsstand nach Letocki, einem Dorf an der Lutschessa. Die feindlichen Angriffe wurden in großer Heftigkeit bis zum 01.01.1944 fortgesetzt. Dann war die Kraft des Gegners gebrochen. Während die Schlacht um Witebsk an den anderen Frontteilen noch bis zum 18.01.1944 weiterging, war der Gegner im Abschnitt der 206. Inf.-Div. zu keinem weiteren Angriff fähig. Allerdings waren auch die eigenen Verluste schwer.

In der vom 03. - 17.02.1944 tobenden Schlacht um Witebsk war die russische Führung in straffer örtlicher Zusammenfassung ihrer Angriffsdivisionen unter Einsatz bisher nicht gekannter Massierung von Artillerie und Granatwerfern bestrebt, den ihr in der vorangegangenen Schlacht um Witebsk versagt gebliebenen Erfolg nunmehr zu erzwingen. Der Durchbruch durch die Stellungen sollte erreicht werden, um von Südosten und Nordwesten her die Stadt einzuschließen und damit gleichzeitig starke deutsche Kräfte in der „Festung Witebsk“ - so nannte der russische Nachrichtendienst die Stadt - zu vernichten.

Bereits nach dem ersten Großkampftag am 03.02. musste der Gegner einsehen, dass ihm dieses große Ziel der umfassenden Einschließung von Witebsk versagt blieb. Er verringerte deshalb seine Zielsetzung und versuchte in den weiteren Kampftagen aus beiden Einbruchsräumen heraus auf kürzestem Wege die für ihn als Straßen- und Eisenbahnverkehrsknotenpunkt so wichtige Stadt zu erreichen und dann im Sturm zu nehmen. Im Verlauf dieser Kämpfe bewährte sich die 206. Inf.-Div. und wurde am 11.02. zum zweiten Male im Wehrmachtsbericht erwähnt.  

 

Ernst Payk: „Die Geschichte der 206. Inf.Div. – 1939 - 1944" erschienen im Verlag Hans -Henning Podzun, Bad Nauheim. Vorstehender Bericht, ist genannter Schritt mit Genehmigung des Verlages entnommen.

 

Seite 13   Feldmarschall von Küchler endlich frei

Der Name des Feldmarschalls von Küchler wird immer mit dem Schicksal der ostpreußischen Divisionen verbunden bleiben. 1930 wirkte er bereits als Höherer Artilleriekommandeur in Königsberg, wurde dann kommandierender General des I. AK. und leitete bei Ausbruch des Polenfeldzuges in seiner Eigenschaft als OB die Operationen der 3. Armee, die sich in der Masse aus ostpreußischen Truppen zusammensetzte. Gerade der Einsatz dieser Armee hat den Erfolg des „18 Tage-Krieges" reifen lassen. Beim Westfeldzug erzwang die 18. Armee die Kapitulation der holländischen und der belgischen Armeen und wieder waren ostpreußische Einheiten unter v. Küchler im Brennpunkt der Kämpfe gestanden. Die 8. Armee nahm Paris und marschierte in die französische Hauptstadt ein.

Zu Beginn des Ostfeldzuges waren von den 8 ostpreußischen Divisionen 6 Divisionen von Küchler unterstellt, der den Kampfwert gerade dieser Einheiten schätzte und allergrößten Wert darauf legte, ostpreußische Truppen unter seinem Kommando zu behalten. Er kannte Ostpreußen und seine Menschen aus eigener Anschauung und war ihnen ganz besonders verbunden. Als im Jahre 1944 die Nordfront zusammenbrach, geriet der OB in Meinungsverschiedenheiten mit Hitler und nahm seinen Abschied.

Ausgerechnet von Küchler wurde vor das Nürnberger Tribunal gestellt und wegen „Bekämpfung der sowjetischen Partisanen" verurteilt. Auf zwanzig Jahre Gefängnis lautete das „Urteil". Die Haft war hart. Als der einzige Sohn starb, wurde das Maß seelischer Not übervoll - aber der Feldmarschall trug sein Geschick mit dem Mute der Aufrechten und vor allem im Bewusstsein, vollauf seine „soldatische Pflicht" getan zu haben. Nach nahezu acht langen Jahren öffneten sich dem Einundsiebzigjährigen endlich die Gefängnistore von Landsberg.

 

Seite 13   Verhaftet!

Der Westberliner Journalist Herbert Kluge ist trotz Interzonenpasses von der Volkspolizei aus dem Omnibus Berlin-München herausgeholt und anschließend von einem „Gericht" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Einer der Anklagepunkte wirft ein bezeichnendes Licht auf merkwürdige Zustände im Bayerischen Rundfunk. Kluge hatte sich in München beworben und ausgerechnet diese Bewerbung - also interne Unterlagen, die in jedem ordentlichen Betrieb sorgfältig verschlossen werden, befinden sich im Besitz des Ostzonengerichtes,

 

Seite 13   Auf nach Bochum am 10. Mai!

In einer spannungs- und ereignisreichen Zeit treuen sich unsere Landsleute, um ein eindeutiges Bekenntnis zur angestammten Heimat abzulegen.

Wir rufen daher unsere Landsleute auch außerhalb der deutschen Grenzen. Wir grüßen zugleich die treuen Leser der Ostpreußen-Warte! Mit Ausnahme der von den Sowjets kontrollierten Gebiete geht unser Blatt hinaus nach Nord und Süd und Ost und West...

nach der Schweiz, unserem Saargebiet, nach Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, England, Frankreich, Österreich ...

nach Kanada, den USA von den High Estates, Kalifornien, Texas, lndiania bis hinüber nach New York ...

nach Argentinien, Chile, Brasilien, Columbien...

nach Deutsch-Südwest-Afrika, Südafrika, Nordafrika, aber auch nach dem Iran, nach Indien, China, Indochina und Australien.

Wir wissen, dass gerade diese treuen Leser Deutschland und unsere engere Heimat nie vergessen werden und mit uns einig sind in dem Streben um Wiedergewinnung dieser deutschen Stammlande.

 

Seite 14   Soli Deo Gloria! Das Schicksal unserer Kirchenglocken

Aus dem Kreise Bartenstein haben zwei Glocken den Krieg überstanden. Die eine stammt aus Allenau bei Friedland. Sie wurde 1724 gegossen und hat einen Durchmesser von 86 cm. Die andere Glocke gehört nach Friedland selbst. Als Gussjahr gilt das Jahr 1746. Sie hat die gleiche Weite, wie die Allenauer Glocke. Der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland hat die genannten Glocken den Landeskirchenämtern Darmstadt und Hannover leihweise zur Ausgabe an bedürftige Gemeinden überlassen, bis hoffentlich die Stunde schlägt, wo sie in der alten Heimat die Gläubigen zur Kirche rufen.

 

Soli Deo Gloria!

Alle Kreise,

die sie schwingend schrieb,

schlingen sich um alte Bilder,

die Vergangenheit geworden –

doch die Glocke blieb, -

-Ruft mit ihrer tiefen Stimme

Unser müdes Herz zurück;

Und auch hier, dem neuen Leben,

gibt sie Klang und Wärme wieder,

gibt sie Heimat und ihr Glück.

Bette Dich

mit allen Sorgen

in den Ton der alten, weiten,

heimatlichen Glocke ein:

dort bist Du geborgen.

Gisela Weilhelmi. Wuppertal-Elberfeld

 

Seite 14   Die Silberglocke des Königsberger Dom's

Diese einzigartige Glocke klingt heute vom Glockenturm der „Gedenkstätte Deutscher Osten" auf Schloss Burg im Rheinland. Die Umschrift der Glocke lautet: „Soli Deo gloria".

 

Seite 14   Ein Leben lang für Ostpreußen gewirkt

Kurz vor Vollendung seines 82. Lebensjahres starb in Bad Mergentheim am 8. Februar 1953, Pfarrer i. R. Winarski. In Willenberg, Kreis Orteisburg geboren, später Gymnasiast in Hohenstein, Studierender der Albertina, beschloss er diesen Weg mit der Ordinierung im Jahre 1898. Zu dieser Zeit wurde ihm die Verwaltung des neugegründeten Kirchspiels Neuhof, Kreis Orteisburg, angeboten und übertragen.

Hier in seiner engsten Heimat schlug er Wurzeln, gründete er einen Hausstand und war er unermüdlich in der Gemeinde tätig. 1903 weihte er eine - genauer gesagt, seine neue Kirche ein, ließ, in seiner Eigenschaft als Schulinspektor, vier neue Schulen bauen, errichtete ein Gemeindehaus. 1917 übersiedelte er nach Kallinowen. Ein Schritt, der ihm begreiflicherweise nicht leicht fiel, da er mit seiner bisherigen Gemeinde aufs Innigste verbunden war. Aber auch in der neuen Gemeinde wartete seiner eine Fülle von Arbeit. 10 Ortschaften waren zu betreuen und die von den Russen zerstörte Kirche sollte neu erstehen. 1926 war ein Bau vollendet, der zu den schönsten Masurens gehörte. 1944 musste das Dorf geräumt werden und dann begann eine Leidenszeit, deren Etappen ihn auf kurze Zeit nach Berlin führten, wo er unter besonderen Schwierigkeiten amtierte. 1945 verlor Pfarrer Hermann Winarski seine Ehefrau - fand in Bad Mergentheim im Jahre 1946 bei seiner jüngsten Tochter eine Zufluchtsstätte und lebte dort bis zu seinem Tode im steten Gedenken an sein letztes Kirchspiel Dreimühlen, Kreis Lyck.

 

Seite 14   Perlen ostpreußischer Kirchenkunst

Unsere Bilder zeigen: „Passahfest“ und „letztes Abendmahl", einen Ausschnitt aus dem Altaraufsatz der früheren ev. Altstädtischen Kirche, die einst am Kaiser-Wilhelm -Platz stand. Nach einem Zeugnis des Caspar Stein aus dem Jahre 1640 war dieses Gotteshaus besonders reich ausgestaltet.

Aus der gleichen Kirche stammen die hier gezeigten „Schächer“ und die Gruppe „Geburt Christi''. Sie gehören zu den glanzvollsten Schöpfungen ostpreußischer Kirchenkunst. (Entstehungszeit 1606.) Man beachte den dynamischen Schwung, die sprechende Bewegung der einen Schächergestalt, oder die belebte Gruppenbildung der „Geburt", sowie die liebevolle Durchgestaltung auch kleiner Einzelheiten.

Das Denkmal des Oberburggrafen und Regimentsrates Wolff von Wernsdorff und seiner Ehegattin aus dem Jahre 1619 im Königsberger Dom ist reich an symbolischen Darstellungen. Es bedeutet einen Fortschritt in Richtung Barock - mit den fast zuckenden Bewegungen und der dramatischen Erregung. Die Bilddarstellungen wurden Anton Möller zugeschrieben.

 

Seite 14   Blick in die alte Heimat:

Ostpreußischer Pfarrer verhaftet Berlin, 28. Februar

Pfarrer Reinhold George wurde nach dem Abendgottesdienst in der Marienkirche in Ost-Berlin vor der Kirchentür von der Vopo verhaftet. Über den Grund der Verhaftung und den Verbleib Georges ist nichts bekannt.

 

Noch 164 000 warten jenseits der Oder

Noch 164 000 von der polnischen Regierung nicht genehmigte Umsiedlungsanträge liegen beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg und bei der Arbeitsgemeinschaft für Kinderrückführung vor. Aus Briefen, die der Kanzlei des evangelischen Bischofs von Berlin zugingen, lässt sich die Sehnsucht und Not der gewaltsam in den deutschen Ostgebieten festgehaltenen Deutschen ablesen. „Möge die Welt endlich einmal auf diese Schreie hören und es zuwege bringen, dass der Grundsatz einfacher Menschlichkeit die zusammenbringen, die zusammengehören, durchgeführt wird," ruft einer der Briefe aus.

 

4000 Deutsche in Sensburg

Aus einem Bericht des evangelischen Bischofs Michaelis geht hervor, dass im Kirchenkreis Sensburg (Ostpreußen) noch 22 000 Evangelische, die bis auf wenige Ausnahmen deutscher Volkszugehörigkeit sind, leben. Von ihnen zählt die Gemeinde Sensburg 4000. Die Kirche ist leider ausgebrannt, so dass für gottesdienstliche Zwecke nur ein Saal, der etwa 200 Menschen fasst, zur Verfügung steht. Am Visitationsgottesdienst durch den Bischof nahmen jedoch 1500 Personen teil. Die Geistlichen in den masurischen Gemeinden scheinen viel zu wechseln, da sie der schwierigen Arbeit in den weit auseinanderliegenden Gemeinden oft nicht mehr gewachsen sind.

Nach einem soeben aus Lyck eingetroffenen Brief eines Mitglieds der dortigen evangelischen Gemeinde wurde von den polnischen Behörden die seinerzeit den zurückgehaltenen Deutschen gemachte Zusage nicht eingehalten, wonach einmal im Monat ein Gottesdienst in deutscher Sprache gehalten werden könne. Seit vier Monaten hat kein solcher Gottesdienst stattgefunden. Die Predigt wird in polnischer Sprache gehalten, die Kinder in der Schute und erst recht die Konfirmanden wurden gezwungen, Kirchentexte, Bibelworte und vor allem die Kirchenlieder in polnischer Sprache zu erlernen. Der Großteil der Gemeinde singt die Choräle in deutscher Sprache und versteht die polnische Predigt nicht. So haben die Gemeindeglieder den Versuch gemacht, Andachtsstunden im kleinsten Kreise in den Häusern durchzuführen.

 

Königsberger Kirchenbücher in Berlin

Wie der Oberkirchenrat in Berlin mitteilt, sind die Kirchenbücher der Sackheimer Kirchengemeinde in Königsberg/Pr bei der „Landeskirchenbuchsteile Berlin-Charlottenburg, Jebenstraße 3, eingetroffen. Alle Anträge und Gesuche auf Ausstellung von Familienausweisen (Taufe, Trauung, Konfirmations- und Bestattungsbescheinigungen) werden künftig von obiger Kirchenbuchstelle bearbeitet und erledigt.

 

Seite 16

Meine liebe Frau, unsere Mutter und Großmutter, Frau Ella Hamann, geb. Knauer, ist am 29. Januar 1953 verschieden. Im Namen der Hinterbliebenen: P. Hamann. Herzberg a/H. früher: Allenstein/Sykusen, Ostpreußen

 

Seite 16   Suchanzeigen

Gesucht wird: Frau Lotte Hochfeld, geb. Arndt, Kbg. Pr., Charlottenstraße 16; Frau Gertrud Tiedemann (zeitweise DRK-Schwester), Kbg., Charlottenstraße 16; Dr. med. E. Marauhn, Kbg./Pr., Beethovenstraße, Frau Herrmann, verw. Jaguttis, Kbg./Pr., Hindenburgstr. (Tante des Dr. med. Jaguttis), von: Frau Frieda Krause, 14b) Simmersfeld/Wttbg., Hauptstraße 73

 

Frau Liselotte Linke, geb. Frank, geb. 17.05.1924 in Rastenburg, zuletzt wohnhaft in Rastenburg, Stifts-Straße 7. Wurde im Frühjahr 1945 von den Russen verschleppt, von dieser Zeit an fehlt jede Spur. Wer weiß etwas über ihren Verbleib? Nachricht erbittet an Günther Linke, Düsseldorf, Jahnstraße 92 III.

 

Gesucht wird Bücherrevisor Bluhm, früher Königsberg/Preußen, Tragh. Kirchenstraße oder Steindamm, von Frau J. Hoppe, Göttingen, Calsowstraße 44

 

Litauenheimkehrer! Wer weiß etwas über das Schicksal des Kindes Edith Lange aus Königsberg Preußen? Eltern verhungerten 1946/1947 in Königsberg. Danach ist Edith 1947, damals 11-jährig allein nach Kaunas (Litauen) gefahren und seitdem dort untergetaucht, Zuschriften gegen Erstattung der Unkosten erb. an Herta Bartel, Bad Pyrmont, Humboldstraße 14

 

Gesucht wird Horst Penner, geb. 14.03.1912. Bauer aus Kl.-Wolfsdorf,  Krs. Rastenburg. War vor dem Einsatz Februar 1944 zur Ausbildung in Stablack bei Pr.-Eylau. Vermisst seit Februar 1944 in Russland im Raum Narwa-Nordabschnitt, Feldpost-Nr.- 04618 D. Suchender: Martin Pech, Hamburg- Bramfeld, Glindwiese 6.

 

Achtung! Grenadiere 312! Suche Stefan Baier, beheimatet in der Gegend von Köln. Baier war Waffenuffz. in Tilsit, wurde 1944 nach Pr.-Eylau-Stablack verlegt. Wer kennt ihn und seine Heimatanschrift? Horst Wiechert, Thören über Celle.

 

Frauen, die 1945 im Arbeitseinsatz in der Fliegersiedlung Gutenfeld bei Königsberg standen und bei der Demontage der Fliegersiedlung dabei gewesen sind, werden dringend als Zeugen gesucht von Frau Berta Salk, Demme/Oldenbg.

 

Wer kann Auskunft geben über meinen Vater Ernst Friedrich Wilhelm Palubitzki, geb. 11.07.1897 in Danzig, aus Braunsberg, Ostpreußen, Ludendorffstraße Nr. 47 (letzter Wohnort). Mein Vater wurde im März 1945 von den Russen in Danzig verschleppt und auf die Schiffswerft Gotenhafen bei Danzig noch einmal gesehen. Nachricht erbeten an seine Tochter Hildegard Palutzki (Fam. Jakob Frings) Ober-O???rlar-Troisdorf, 22c Siegkreis, Pa??l-Müller-Straße 2.

 

Gesucht werden Alfred Glowienka geb. 07.02.1913, Feldpostnummer  25184a und Günther Glowienka, geb. 01.09.1919, Feldpostnummer L 25752, Luftgau P A Wien. Heimatort Bischofsburg  Ostpreußen, von Friedel Reichardt geb. Glowienka, Witten-Annen, Rheinische Straße 93.

 

Achtung! Königsberger Heimkehrer! Wer kann Auskunft geben über das Schicksal der Emma Naesert, geb. Lemke, geb. 02.07.1895 in Parschau/ Westpr., beschäftigt beim Wirtschaftsamt Juditten, vorher Filialleiterin Neumanns Milchgeschäft, Friedemannstraße 37 und Gebaur-Straße, von 1934 - 1940 b. Heereszeugamt. Ende Februar 1945 noch im Haus gewesen. Wo befindet sich Herr Otto Preuß, Hauswart Juditter Allee 43 oder Herr Buchholz, (Vorname unbekannt). Nachr. erbeten an Marg. Lemke, 17b Bittelbrunn bei Engen-Hegau, Baden.

 

Gesucht werden Angehörige der Familie Urmoneit, Landwirt, bzw. Vera Urmoneit. Kontoristin, früher wohnhaft in Bärensprung bei Insterburg. Nachr. erbet, an Bruno Biema, Weil a. Rhein, Hebelstr. 48

 

Ostpreußenkämpfer! Wer kann Auskunft geben über den Stabsfeldwebel Erich Wölk, aus Kbg./Pr. Zuletzt im Einsatz an der Grenze Gumbinnen-Tilsit- Angerburg. –

 

Welcher Russlandheimkehrer war mit Soldat Alfred Klädtke in der Gefangenschaft zusammen? Letzte Nachricht gab er am 02.06.1946 mit folgendem Absender an: UdSSR Moskau - Rotes Kreuz. Postf. 417/A oder l. Nachr. b. ev. Vergütung erb. an Witwe Ernestine Wölk, Brochthausen 3, Krs. Duderstadt.

 

 

Die Bestände des Preußischen Staalsarchives zu Königsberg bargen einst auch eine der ersten Königsberger Zeitungen, den „Europäischen Merkur", und die spätere Harlungsche hatte in ihrem Ursprung wirklich ein ehrwürdiges Alter. Einblattdrucke - Intelligenzblätter - Zeitungen im heutigen Sinne sind stets in Zusammenhang zu stellen mit den umwälzenden Erfindungen . . . Buchdruckerkunst - Post der Taxis - Taschenuhr anno 1510 - Königsche Schnellpresse - Schreibmaschine - Telefon - Dampfmaschine - Auto - zum Bildfunk und der Rakete unserer Tage. Dieser Weg zeichnet sich auch in der Anzeige ab. Zwar haben schon die Fugger eine Anzeige gekannt, als deren „geistiger Valer" ein französischer Arzt gilt, obwohl die Holländer ihm einige Jahrzehnte vorausgewesen sein dürften. „Die Textplantage" ist in gewisser Beziehung den praktischen Amerikanern zu verdanken. Wie dem auch sei, in groben Zügen gesagt: Die Großanzeige, ol'ne die wir uns eine echte Anzeigenseite heute nicht mehr denken können, steht im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Markenartikeln großer Weltfirmen.

Aus allen diesen einzelnen Komponenten setzt sich dann jene Anzeigenseite zusammen, die so treffend als „Jahrmarkt des Lebens" bezeichnet wurde. Sie ist sozusagen eine Börse im Kleinen, regelt Angebot und Nachfrage auch des „kleinen" Mannes und ist selbst dem Zeitgeschmack weitgehend unterworfen. Die Mode spiegelt sich wider, die Waschständer haben eigenartige Schnörkelbeine, und wenn wir uns daraufhin einmal alte Zeitungsseiten ansehen, dann werden wir oft genug ein leises Schmunzeln nicht unterdrücken können. Andererseits feiern wir gerne und freudig Wiedersehen mit guten alten Bekannten. Wir zeigen heute zwei Anzeigenseiten aus Königsberg, die nun an die 50 Jahre alt sind. Persil machte schon damals die Wolle „locker und weich“. Kaisers Kaffee-Geschäft bot eine tadellose Perlmischung für 80 Pfennige (!) das Pfund an, und zwar gleich in den vier Zweiggeschäften in Königsberg, Heintze und Blankert pries seine guten Kunstschriftfedern, Berding und Kühn billige „Wohlfahrtswäsche", wie Kinderhemdchen für 15 Pfennige, und die Kantapotheke empfahl „Dr. Kochs Yohimbin bei Nervenschwäche". Wenn Sie irgendwo noch sehr alte, vergilbte Zeitungen von daheim finden, dann schauen Sie sich noch einmal deren Anzeigenteil an - das lohnt sich auf mancherlei Weise!

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