Ostpreußen-Warte, Folge 09 vom September 1957

Ostpreußen-Warte

Folge 09 vom September 1957

 

Seite 1   Foto: Denkmal Albrechts von Brandenburg, des letzten Hochmeisters des Deutschen Ordens und ersten Herzogs von Preußen, am Königsberger Schloss. Foto: Löhrich

 

Seite 1   Bleiben wir ein geteiltes Volk? Gedanken und Fragen zur Wahl und zur Führung des Wahlkampfes.

In der fünften Folge ihrer großen Artikelserie „Reise durch den Bundeswahlkampf" kommt DIE WELT zu der den ganzen Wahlkampf und seine Methoden bezeichnenden Frage: „Wo eigentlich spielt sich dieser ganze aufgeregte Wahlkampf ab? Inmitten einer unabhängigen, freien, geeinten Nation, die ihren selbständigen Platz unter den Völkern innehat? Oder in einem nach heutigen Begriffen winzigen Land, das nur den Teil einer Nation umfasst und das besonnener Einigkeit bedürfte, wenn es nicht auf unabsehbare Zeit ein Teilstaat bleiben will?"

 

Damit ist zugleich auch unsere Schicksalsfrage ausgesprochen.

 

Die Beobachtungen des Welt-Mitarbeiters stellen eine ernste Mahnung an alle Wahlkampfparteien dar, die bereits bis zum Bersten verseuchte innenpolitische Atmosphäre nicht noch weiter zu vergiften und für die neue Bundestagsperiode nicht auch noch die letzten Möglichkeiten für eine fruchtbare verschütten. Eine ernste Mahnung zugleich an die Wählerschaft, sich allein durch sachliche Überlegungen bei ihrer Wahlentscheidung leiten zu lassen und nicht durch den künstlichen Wind aus den Blasebälgen der Parteizentralen.

 

Wir halten diesen Beitrag zur Wahl für einen der besten, der in den deutschen Redaktionen geschrieben wurde, selbst wenn er dem Leser die letzte persönliche Entscheidung nicht abzunehmen vermag. Nachstehend bringen wir einige weitere Ausschnitte aus diesem Artikel.

 

In diesem Wahlkampf 1957 spielen wir Weimarer Republik, ohne sie zu haben. Das wäre unbedenklich, wenn der deutsche Wähler nicht mitginge. Aber schon beginnt er, das Spiel in zunehmendem Maß mitzuspielen. Die sozialdemokratischen Wähler glauben allmählich, dass bei ihrem innenpolitischen Gegner der faschistische Teufel neu aufstehe, und Adenauers Anhänger steigern sich immer mehr in die Überzeugung hinein, dass ihnen auf der anderen Seite der kommunistische Beelzebub ins Gesicht schaue. Wenn der Wahlkampf vorüber sein wird, werden üble Dinge hängenbleiben. Die Atmosphäre wird mehr Gift bergen als vorher, das Misstrauen wird tiefer geworden sein, die breiten Massen werden sich wieder „links“ und „rechts" fühlen, obgleich ihre soziale Wirklichkeit diesen Unterschied gar nicht mehr kennt und obgleich die außenpolitische Aufgabe eine solche Trennung verbietet Das Aufreißen künstlicher Gegensätze muss in einem unkritischen und autoritätsgläubigen Volk Unheil stiften. Wie leicht können die Massen dazu verführt werden, die halbe Wirklichkeit des Teilstaates Bundesrepublik als die volle Realität anzusehen. Und wie rasch kann die Duldsamkeit, die Mutter der Demokratie, wieder entschwinden. Schon der Stil unserer Wahlversammlungen ist undemokratisch. Die Mehrzahl aller Veranstaltungen sind Kundgebungen. Einer spricht, tut seine Meinung kund, die anderen haben zu schweigen. Es gibt keine Diskussionen, man stellt sich nicht. Man redet am liebsten im sicheren Port der Gläubigen der eigenen Partei. Man will nicht gestört sein, man will sich und seine Anhänger nicht durch eine gegnerische Meinung beunruhigen lassen. So kommt es zu Zwischenrufen, zu Pfiffen, zu Störungen. Würde man miteinander um eine gemeinsame Sache diskutieren wären die vielen unerfreulichen Szenen gar nicht möglich. Der Stil dieser Versammlungen züchtet die Phrase. Da niemand widersprechen und widerlegen kann, lässt sich alles behaupten. Die Tausende im Saal merken es ja doch nicht.

 

Ausländische Beobachter schließen aus dem Westdeutschen Wahlkampf, das deutsche Volk sei psychologisch schon wieder bereit, sich einer autoritären Führung unterzuordnen, sie beschreiben die Gläubigkeit und Kritiklosigkeit der Massen, sie schildern die Triumphfahrten des Bundeskanzlers durch die Lande, sie meinen aus dem Verhalten der Deutschen die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ herauszulesen zu können. Ich finde, man sollte hier nicht übertreiben. Gewiss hat der Jubel für Adenauer zuweilen unerfreuliche Züge. Aber ist es nicht am Ende Anerkennung für einen Erfolg, wie ihn noch jeder Politiker dieser Welt erhalten hat? Die Suche nach der nazistischen Seele der Deutschen kann auch eine psychopathische Leidenschaft werden, wenn man sich ihr um jeden Preis widmet. Wer wochenlang in Wahlversammlungen war, wird Gefahren nicht übersehen. Aber sie drohen heute nicht von unten, sondern von oben. Es ist nicht das Volk in der Bundesrepublik, das die falschen Töne in diesen Wahlkampf hineingetragen hat, sondern es sind die Politiker, die auf ihrer krampfhaften Suche nach Gegensätzen in die Rumpelkammer der Parteiengeschichte gegriffen haben, um Aufregung zu erzeugen.

 

Wenn die Wähler noch vor dem 15. September begriffen, dass heute viel künstlicher Wind weht, erzeugt von den Blasebälgen der Parteizentralen, dass unsere Politiker einander weit mehr respektieren, als es nach ihren feurigen Reden den Anschein hat, dann könnten wir eine Wahlentscheidung nach sachlichen Überlegungen erwarten. Doch wahrscheinlich werden die hitzigen Parolen wirken. Dann wird das Aufwachen erst nach der Wahl eintreten. Der Vorhang der Phrasen wird fallen. Unsere Wirklichkeit wird wieder deutlich zu erkennen sein: die eines geteilten Volkes in gefährlicher Lage, das um seines Lebens willen miteinander duldsam und nach außen einig sein muss, wenn es nicht zu einem geschichtlichen Fellachendasein absänken will.

 

Seite 1   Wen man nicht wählen soll. Von Adalbert Stifter.

Liest man diesen Beitrag aus der Feder des großen Dichters des neunzehnten Jahrhunderts, so glaubt man nicht, dass seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1849 über hundert Jahre ins Land gegangen sind. So wenig hat sich geändert im Streben nach Macht und Ruhm. Wir bringen diesen Beitrag daher als einen durchaus zeitgemäßen. Wir sind uns allerdings darüber im Klaren, dass wir auf diese Weise dem Wähler selbst die letzte Entscheidung überlassen müssen; es ist eine Gewissensentscheidung, die ihm niemand abnehmen kann. Dieser Beitrag soll lediglich dazu dienen, den Kandidaten seiner Wahl eingehend zu prüfen.

 

Außer den zwei allgemeinen Merkmalen, dass man keinen Verstandlosen und keinen Schlechten zu einem Amte oder einem Vertreter wählen soll, gibt es noch andere, die zwar nicht gerade unverständig oder schlecht, doch aber so sind, dass ihre Wahl sehr bedenklich ist. Ich will einige Gattungen anführen.

 

Wenn eine neue Zeit anbricht, in der der alte Gebrauch plötzlich umgeändert wird, so dringen natürlich immer zuerst die heftigen und ungestümen Menschen hervor, sie wollen gleich alles ändern, sie sind mit nichts zufrieden, sie wollen auch alles sehr schnell tun, gebrauchen gerne, wenn ihnen Hindernisse entgegenstehen, Gewalt und nehmen in ihrem Eifer jedes Mittel her, das ihnen tauglich erscheint. Es ist natürlich, dass diese Leute nicht viel Zeit haben, die Mittel zu prüfen, dass sie dieselben schnell aus dem Zusammenhange mit anderen Dingen herausreißen, dass so das Gebäude, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu rollen anfängt, und dass endlich Einsturz und Verwirrung erscheint. Solche Leute sind es meistens, die die ersprießlichen Verbesserungen, welche die Besonnenen und Vorsichtigen eingeleitet haben, wieder zugrunde richten; denn sie laufen herzu, greifen heftig die Sache an, wollen sie im Fluge abgetan haben, erregen Unruhe und Hast in vielen Köpfen, bringen oft alle Ordnung im Lande in Verwirrung, regen die Leute auf und machen, wenn die Unordnung groß geworden ist, nötig, dass man mit Gewalt wieder die Ordnung einführe, und dass bei dieser Gelegenheit manche Verbesserungen unterbleiben, die man sonst eingeführt hätte, weil man sich fürchtet, bei einer Veränderung laufen diese Menschen wieder herzu und machen wieder Verwirrung und Gefahr.

 

Wie weit könnte die Menschheit schon vorgerückt sein, wenn es keine Eiferer und Schreier gäbe, die, wie das alte Sprichwort sagt, das Kind mit dem Bade verschütten. Selbst der edelste Mensch, wenn er diese Heftigkeit hat, ist untauglich zum Aufbau von Staatsdingen, weil er die Mittel überhastet und übereilt. Der größte Kriegsminister der neuen Zeit, Napoleon, ist an seiner Heftigkeit, mit der er sich in Unternehmungen, Händel, Kriege stürzte, zugrunde gegangen; denn sie hat ihm zuletzt die ungeheure Macht von Feinden erregt, die ihn stürzten. Staatsdinge sind wie eine Blume, die man hegt und wartet, dann wächst sie, die man aber über Nacht durchaus nicht hervorbringen kann. Man wähle daher niemals Leute, die sich zu der Wahl und zu anderen Dingen mit großer Heftigkeit und großem Ungestüme herzudrängen. Gerade der ausgezeichnete und gelassene Mann drängt sich nicht herbei, sondern will gesucht werden.

 

Eine andere Klasse von bedenklichen Menschen sind die Phantasten. Das sind solche, welche die Dinge der Welt nicht mit dem Verstande, sondern mit der Einbildung anschauen. Der Verstand nimmt die Dinge, wie sie sind, und leitet aus ihnen die Folge ab, welche natürlich aus ihnen kommen kann: die Einbildung aber betrachtet die Dinge gar nicht oder oberflächlich, sie hat nur Einfälle, betrachtet dieselben als wahr, handelt darnach und irrt sich gewaltig. Solche Leute haben Hirngespinste, Phantasien, Bilderwerke und dergleichen in ihrem Haupte und hängen ihnen nach. Ihnen fallen auch viel mehr solche Dinge ein als anderen Leuten, weil sie immer innerlich mit sich beschäftigt sind, die anderen Leute aber äußerlich die Dinge betrachten müssen.

 

Man wähle daher dergleichen Leute niemals zu Vertretern oder Ämtern. Sie sind nicht schwer zu erkennen. Wer gewohnt ist, alle Dinge genau zu betrachten, wird bald einsehen, ob der eine oder andere seiner Nachbarn und Bekannten nach der Natur der Sache oder nach selbstgesponnenen Einbildungen handle. Es zeigt sich dieses in den kleinsten Dingen des Lebens.

 

Seite 2   Luftschutz-Utopie im Atomzeitalter

Wir entnehmen die nachstehenden Ausführungen einem Artikel des Gründers des „Kampfbundes gegen Atomschäden", Dr. med. habil. B. Manstein. Dr. Manstein entwirft darin ein Bild über die verheerende Wirkung nuklearer Waffen und gibt damit gleichzeitig eine Antwort auf die Frage nach der Luftschutzsicherheit im Atomzeitalter.

 

In der Notgemeinschaft der Atomwissenschaftler unter Vorsitz von Albert Einstein wurde bereits 1947 unter Punkt 4 einer für die Öffentlichkeit bestimmten Verlautbarung festgestellt:

 

„Vorbereitungen gegen Atomangriffe sind zwecklos und würden, wenn man sie versuchte, den Aufbau unserer Gesellschaftsordnung zerrütten“.

 

Der Physiker W. Braunbeck, Tübingen, schreibt 1956 in seinem Buch „Forscher erschüttern die Welt" über die Wirkung der inzwischen entstandenen H-Bombe, die Einstein in den letzten Entwicklungen gar nicht mehr erlebt hat:

 

„Landstriche von Tausenden von Meilen sind radioaktiv verseucht, unbewohnbar auf Jahrzehnte .... denn wo die Bomben gehaust haben, wächst buchstäblich kein Gras mehr, und auch sonst nichts. Der radioaktive Boden ist absolut Wüste, eine Wüste, die nicht lebt!

 

Zwischen diesen Jahren 1947 - 1956 liegt eine Reihe von Erkenntnissen, die auch die Einsicht brachten, dass selbst die gewaltigen Felsunterkünfte in Schweden und der Schweiz den heutigen Wasserstoffbomben nicht mehr standhalten. Darüber hinaus weiß man, dass die jetzige Sprengkraft von etwa 45 bis 50 Millionen Tonnen Trinitrotoluol Eisenbetonhäuser im Umkreis von 40 km völlig zerstört. Die radioaktive Todeszone wird zurzeit mit 65 X 200 km angegeben. Darüber hinaus sind alle Abstufungen für schnelles oder langsames Siechtum gegeben.

 

Aus Washington wurde am 23. Juli 1956 nach Abschluss der großen Luftwarnübungen gemeldet, dass der Leiter der amerikanischen Zivilverteidigungsbehörde, Val Peterson, festgestellt habe, „dass im Falle eines H-Bomben-Angriffs niemand in der Lage sei, der Situation Herr zu werden“! Durch den tödlichen Staubregen würden Probleme unbekannten Ausmaßes entstehen, und die Feuerorkane und Regenstürme von tropenartigem Ausmaß legten sämtliche Nachrichtenmittel lahm. Alles in allem kommt er zu dem Fazit, dass man dem Ausmaß des modernen Krieges fast hilflos gegenüberstehe.

 

Es Ist also ganz klar, dass selbst dann, wenn es gelänge, eine gewisse Abschirmung für einen kleinen Personenkreis In großer Erdtiefe mit mehrere Meter dickem Stahlbeton zu schaffen, diese als Höhlenmenschen weiter zu vegetieren hätten oder in der radioaktiven Wüste doch noch zugrunde gingen. Selbst die gerade bekannt gewordenen Ergebnisse einer Untersuchung der NATO-Abteilung für Zivilverteidigung lassen die Situation für die Bevölkerung bei einer Auseinandersetzung mit atomaren Waffen praktisch hoffnungslos erscheinen. Ein schwieriges Problem liegt u. a. in der Frage der Evakuierung ganz großen Umfanges und der nun einmal nicht wegzuleugnenden Tatsache einer „nur gewissen Sicherheitsmöglichkeit'“.

 

Seite 2   Oder-Neiße nicht deutsch-polnische Grenze. Erneute Feststellung des amerikanischen Außenamtes.

Das amerikanische Außenministerium hat erneut erklärt, dass die Vereinigten Staaten die Oder-Neiße-Linie nicht als deutsch-polnische Grenze anerkennen.

 

Die Erklärung erfolgte in einem Schreiben an das Komitee, welches kürzlich den „Fünften Deutsch-Amerikanischen Tag" durchführte. Die diese große Veranstaltung tragenden Verbände der Deutsch-Amerikaner hatten eine Resolution angenommen, in der es u. a. hieß, die Regierung der Vereinigten Staaten möge die Achtung der „außer jeder Frage stehenden unverletzlichen deutschen Rechte auf die unverminderten Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu einer der hauptsächlichen Forderungen der amerikanischen Außenpolitik machen und daran festhalten“. Die Resolution war auch von Senator Frank Carlson im Senat verlesen worden und wurde in den amtlichen Kongressbericht „Congressional Record" aufgenommen. Zugleich wurde sie dem amerikanischen Außenminister Dulles zugeleitet, worauf nunmehr die Antwort des Department of State erfolgte.

 

In dem Schreiben des Department of State heißt es nach der Feststellung, dass die USA die Oder-Neiße-Linie nicht als definitive Grenze anerkennen, des Weiteren, dass die endgültige Festlegung der deutschen Ostgrenzen dem Friedensvertrag zwischen Deutschland und seinen einstigen Gegnern vorbehalten sei. Bis dahin würden „die Vereinigten Staaten auch weiterhin nach bestem Vermögen die Sache der deutschen Wiedervereinigung fördern“.

 

Seite 2   Exilpolen zur Oder-Neiße-Linie

Wie die Warschauer Zeitung „Trybuna Ludu" berichtet, beabsichtigt der exilpolnische Publizist Kasimierz Smogorzewski, ein Buch in englischer Sprache über die polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße abzufassen. Er hielt sich zwecks Materialsammlung in den Oder-Neiße-Gebieten auf. Smogorzewski habe sich in den „Westgebieten" mit einer Reihe staatlicher und wissenschaftlicher Institutionen in Verbindung gesetzt und auch Gespräche mit führenden polnischen Persönlichkeiten geführt. Er sei gegenwärtig in London als Redakteur für Ostfragen in dem Redaktionsstab der Encyclopaedia de Britannica tätig.

 

Seite 2   Vernichtung der ostpreußischen Wälder. Versumpfung des Bodens, sinnloser Einschlag sind die Gründe

Die polnische forstwirtschaftliche Zeitschrift „Las polski" (Der polnische Wald) schildert in einem Artikel, der unter der Überschrift „Probleme der Wasserwirtschaft in den Wäldern der Woiwodschaft Allenstein" erschien, die fortschreitende Vernichtung der ostpreußischen Wälder infolge zunehmender Versumpfung des Bodens und sinnlosen Einschlags. In dem Bericht des polnischen Sachverständigen B. Jakubowski wird hervorgehoben, dass die Drainage Einrichtungen in den ostpreußischen Wäldern — aber auch auf Wiesen- und Weidengelände — völlig verkommen sind.

 

Die Folge ist eine weitgehende Versumpfung des Bodens besonders in den Beständen der Oberförstereien Braunsberg, Deutsch-Eylau, Schlobitten, Grünhagen, Bartenstein, Borken, Wachau, Rastenburg Angerburg usw. Hier ist der Waldboden im Herbst und Frühjahr so voller Wasser, dass er geradezu als Schlamm bezeichnet werden kann. „Es ist nicht zu verwundern, dass unter solchen Verhältnissen bei stärkerem Wind die Bäume entwurzelt werden, da die Wurzeln keinen Halt im Erdreich mehr finden", heißt es in dem polnischen Bericht hierzu.

 

Die Schäden durch Windbrüche werden dabei noch ganz außerordentlich dadurch erhöht, dass durch unsachgemäßen Einschlag Lichtungen entstehen, von denen aus der Sturm die stehengebliebenen Bestände erfasst und umwirft. Da zudem Windbrüche nicht aufgearbeitet werden, treten dann im Sommer die Waldschädlinge massenweise auf und vernichten das, was noch stehengeblieben ist. Der polnische Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass der Schaden nicht allein mit einer Melioration des Waldbodens zu beheben ist, sondern das zugleich eine sachgemäße Pflege des Waldes einsetzen müsse. Zugleich müsse dafür Sorge getragen werden, dass die Dämme an Flussläufen in Ordnung gebracht und die Trümmer zerstörter Brücken beseitigt werden, da durch diese Schäden Überschwemmungen und Stauungen verursacht wurden.

 

Während so im polnisch verwalteten Ostpreußen die Wälder infolge Versumpfung zugrunde gehen, sind in Niederschlesien und Ostbrandenburg in diesem Jahre zahlreiche große Waldbrände zu verzeichnen gewesen. Noch vor Beginn der Hitzeperiode meldete die „Woiwodschaft" Grünberg die Vernichtung von 1200 Hektar Wald durch Waldbrände im ersten Halbjahr 1957. Die Schäden infolge von Waldbränden beliefen sich bis dahin allein in dieser „Woiwodschaft" auf über 100 Millionen Zloty, berichtet die „Sztandar Mlodych".

 

Seite 2   Jetzt auch motorisiert durch Polen

Polen plant, zwei Routen für motorisierte Touristen aus westlichen Ländern festzulegen, die nach der Sowjetunion zu reisen wünschen. Die Strecken sollen von Frankfurt oder über Warschau nach Brest bzw. von Teschen über Kattowitz, Krakau und Warschau nach Brest führen. Eine Delegation des polnischen Fremdenverkehrsverbandes erörterte diese geplanten Maßnahmen in Moskau mit Vertretern der sowjetischen „Intourist-Organisation.

 

Seite 2   Staatsangehörigkeitsurkunden für Deutsche in Oder-Neiße-Gebieten

In letzter Zeit ist von Seiten der Heimatvertriebenen aus den gegenwärtig polnischer Verwaltung unterstehenden deutschen Ostgebieten die Frage gestellt worden, ob den in den Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen Deutschen Staatsangehörigkeitsurkunden bzw. Bescheinigungen über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ausgestellt werden. Wie der „Pressedienst der Heimatvertriebenen hierzu mitteilt, ist hierfür die „Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern" in Köln, Ludwigstr. 2, zuständig. An diese Bundesstelle können entweder unmittelbar oder durch Mittelspersonen die entsprechenden Anträge gerichtet werden. Auf die formlos gestellten Anträge hin werden die Mittelspersonen oder die Antragsteller selbst veranlasst, ein Formblatt auszufüllen und in ihrem Besitz befindliche Unterlagen wie Geburtsurkunde, Taufschein, Heiratsurkunde, Heiratsurkunde der Eltern u. ä. beizufügen.

 

Die Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern erklärte hierzu, „dass ein in den z. Zt. unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten lebender Deutscher seine deutsche Staatsangehörigkeit durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit — gleichgültig ob dieser Erwerb auf Grund eines freiwillig oder unter Zwang gestellten Antrags erfolgt — nicht verliert, da diese Gebiete als Bestandteile des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31.12.1937 nach wie vor Teile Deutschlands, also Inland, sind“. Die Ausstellung der Staatsangehörigkeitsurkunden bzw. Bescheinigungen über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit erfolgt seitens der Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern auf Grund des § 25 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22.07.1913 sowie der §§ 17 und 27 des (Ersten) Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22.02.1955 (RGBl. I. S. 65).

 

Seite 2   Der letzte Monat

Ein Geheimtreffen zwischen dem sowjetischen Parteisekretär Chruschtschow und dem jugoslawischen Staatschef Tito fand in Rumänien statt. In einer gemeinsamen Verlautbarung heißt es, dass beide Staaten ihre gegenseitigen Beziehungen weiter entwickeln und bestehende Hindernisse beseitigen wollen.

 

Der österreichische Außenminister Figl eröffnete in Salzburg ein internationales Seminar für junge Diplomaten. In seiner programmatischen Eröffnungsrede erklärt Dr. Figl, Österreich habe die Neutralität gewählt, weil dieser Weg eine ruhige Entwicklung des Landes garantiere.

 

England will seine Truppen auf europäischem Festland, d. h. vor allem in Westdeutschland weiter verringern. Verhandlungen mit den entsprechenden Partnern sollen sofort nach der Bundestagswahl in der Bundesrepublik aufgenommen werden.

 

Verschiedene bewaffnete Aufstände in Rotchina meldete die chinesische Nachrichtenagentur „Neues China". Im Zusammenhang mit der Niederschlagung dieser Aufstände, wurden eine Reihe von Todesurteilen, ausgesprochen.

 

Die Deutsch-Sowjetischen Verhandlungen in Moskau wurden Anfang des Monats wieder aufgenommen. Es kam jedoch bislang zu keinen greifbaren Ergebnissen.

 

Hiroshima gedachte am 6. August, dem zwölften Jahrestag seiner Vernichtung durch eine amerikanische Atombombe, seiner 260 000 Toten, die die Explosion dieser Bombe forderte.

 

Der Weltkirchenrat forderte in einer Entschließung die sofortige Einstellung aller weiteren Kernwaffenversuche. Die Einstellung dieser Versuche wäre der erste Schritt auf dem Wege zu einer allmählichen Abrüstung.

 

Der sowjetische Parteisekretär Chruschtschow weilte zu einem Staatsbesuch in der DDR. In einer Rede vor der Volkskammer richtete er massive Angriffe gegen den Bundeskanzler, der die Bundesrepublik zum Hauptaufmarschgebiet der NATO in Europa mache. Er wiederholte in diesem Zusammenhang den sowjetischen Vorschlag, die USA sollten ihre Truppen aus Westdeutschland, Frankreich und Großbritannien zurückziehen; die Rote Armee würde dann Mitteldeutschland, Polen, Ungarn und Rumänien räumen.

 

Zu einschneidenden Wahrungspolitischen Maßnahmen sah sich die französische Regierung gezwungen, die einer Teilabwertung des Francs um 20 Prozent gleichkommen.

 

In Lodz, der zweitgrößten Stadt Polens traten etwa 10 000 Arbeiter der Transportbetriebe in den Streik aus Protest gegen die zu niedrigen Löhne.

 

Der sowjetische Delegierte Sorin bei der Londoner Abrüstungsbesprechung erklärte, dass das Zustandekommen eines umfassenden Abrüstungsabkommens nicht von der Lösung des Deutschlandproblems und anderer politischer Fragen abhängig gemacht werden dürfe, wie dies die Westmächte verlangten. Wenn man ein Problem kompliziere, dann erschwere man gleichzeitig die Lösung aller anderen strittigen Fragen.

 

Der Sultan von Marokko hat den Titel eines Königs angenommen. Die Bezeichnung für das Land wird sich demzufolge in „Königreich von Marokko" ändern.

 

Landesbischof D. Dr. Lilje bezeichnete bei seiner Eröffnungsrede der dritten Vollversammlung des lutherischen Weltbundes in MinneapoIis die heutige geistige Weltlage als eine „Internationale der Furcht", die mehr Menschen umfasse als irgendeine der politischen Ideologien.

 

Während die Abrüstungsverhandlungen in London immer mehr ins Stocken geraten, wurde in der australischen Hauptstadt Canberra offiziell bekanntgegeben, dass Großbritannien auf seinem „Atomschießplatz" Maralinga in Australien Mitte September eine neue Atomwaffen-Versuchsserie starten will. Auch neue Versuche mit Wasserstoffbomben auf der Weihnachtsinsel im Pazifik sollen für die nächste Zeit in Aussicht genommen sein.

 

Die Aufstände in Algerien dauern weiter an. Nach französischen Berichten leistet die tunesische Armee den Aufständischen jede erdenkliche Hilfe.

 

An der Bundestagswahl werden sich insgesamt 14 Parteien mit Landeslisten, aber nur 13 Parteien mit Direkt-Kandidaten in den 247 Wahlkreisen beteiligen. Als einziger Parteiloser im Bundesgebiet bewirbt sich in Baden-Württemberg der Kaufmann Illig um ein Mandat.

 

MDB August Martin Euler forderte wegen der sich häufenden Überfälle im Bundesgebiet die Wiedereinführung der Todesstrafe für Mord, da bloße Freiheitsstrafen nach seiner Ansicht keine geeigneten Abschreckungsmittel für Schwerverbrecher darstellen.

 

Nur 1,2 Millionen der rund 50 Millionen Einwohner der Bundesrepublik gehören gegenwärtig einer politischen Partei an. Nahezu die Hälfte, 546 000, gehören der SPD an, es folgen die CDU/CSU mit 293 000, der BHE mit 162 000, die FDP mit 78 000 und die DP mit 41 000 Mitgliedern.

 

Die Gesamtzahl der Atom- und H-Bombenexplosionen ist in diesem Monat seit Hiroshima auf etwa 125 angestiegen, davon halten die USA mit 81 Atomexplosionen die Spitze, es folgen die Sowjetunion mit etwa 37 und England mit 7 gemeldeten Versuchen.

 

Die Ausrüstung der NATO-Partner mit amerikanischen Fernlenkwaffen und Raketen, die Atomsprengsätze tragen können, forderte der amerikanische Außenminister Dulles in einer Fernsehsendung. Er sagte, die NATO-Streitkräfte, die doch den Verteidigungsschild bilden sollten, seien noch immer ungenügend ausgerüstet.

 

Wissenschaftler des amerikanischen Instituts für biologische Wissenschaften teilten bei ihrer Jahresversammlung in Palo Alto In Kalifornien mit, dass bei Fortsetzung der Atomwaffenversuche im gegenwärtigen Umfange im Jahre 1970 die Gefahrengrenze der radioaktiven Verseuchung erreicht sein werde.

 

Die erfolgreiche Fertigstellung und Erprobung einer „interkontinentalen ballistischen Rakete“ meldete die sowjetische Nachrichtenagentur TASS. Die Sowjetunion habe damit einen Vorsprung in der Entwicklung dieser modernsten Waffe erzielt. Es handelt sich bei dieser Rakete um eine Mehrstufenrakete, die in kurzer Zeit eine riesige Entfernung zurücklegen könne und bei den Versuchen in eine „bisher noch nicht erreichte Höhe" vordrang. Hierzu erklärte das Hauptquartier der Atlantikpaktorganisation in Paris, dass die NATO im Besitz mindestens gleichwertiger strategischer Waffen sei.

 

Der regierende Bürgermeister von Berlin und Präsident des deutschen Bundesrates, Professor Otto Suhr, ist nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 63 Jahren in seinem Berliner Heim gestorben. Otto Suhr ist nach Ernst Reuter und Louise Schröder der dritte profilierte SPD-Politiker in Berlin, den der Tod in den letzten Jahren hinwegraffte.

 

Der frühere Sowjetische Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident Molotow ist zum Botschafter der Sowjetunion in der mongolischen Volksrepublik ernannt worden.

 

Zehn Kilometer hoch schoss der Atomblitz der jüngsten Explosion, der sechzehnten der diesjährigen amerikanischen Versuchsreihe, in der Nevada-Wüste. Dieser Versuch sollte der Untersuchung der körperlichen und moralischen Auswirkung der Explosion auf Menschen und Tiere dienen.

 

Als eine unabänderliche Tatsache bezeichnet der polnische Ministerpräsident Cyrankiewicz neuerdings in einer Gedenkfeier zum 18. Jahrestag des Kriegsausbruchs in Breslau die „Oder-Neiße-Grenze“.

 

Seite 2   Pressespiegel.

Weg in die Sackgasse

„Liegt es deshalb nicht auf der Hand, dass gerade die Bundesrepublik als exponiertester Teil der freien Welt dazu beitragen sollte, die Spannung in der Weltpolitik überwinden zu helfen? Diese Frage wird wie keine andere in Zukunft die Geister scheiden!

 

Wir sind, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, nicht in der Lage, unsere fragwürdige Sicherheit durch die Beteiligung an der Atomrüstung zu erhöhen, denn unsere geographische Lage würde uns selbst dann verwundbarer lassen, wenn es uns gelänge, alle technischen Voraussetzungen zu schaffen, die uns zu einer gleichrangigen Atommacht aufsteigen ließen. Unsere Vernichtung würde schon zur Gewissheit, wenn es nur zu einem lokalen, mit Atomwaffen ausgetragenen Konflikt käme. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg muss deshalb in eine Sackgasse führen und er lenkt dazu noch von dem eigentlichen Kampfplatz ab, auf dem schließlich das Ringen entschieden werden wird“. DIE BRÜCKE. München.

 

Der getrübte deutsche Blick

Der Blick nach Osten, bis nach Polen hinein, ist jedem Politiker des dritten Österreichs, vor allem den Regierenden in Wien, eigen. Es ist ein kühler, unbestechlicher Blick; nicht von Angst, nicht von Illusion getrübt. Anders als ihre deutschen Gefährten sprechen die österreichischen Sozialisten, wenn sie über die Sowjetrussen reden. Gelassen und vorsichtig formt der Kanzler Raab seine Worte zu diesem Thema. Einiges wäre vor allem in Deutschland von diesem „österreichischen Stil“ zu lernen. Keine leidenschaftlichen Ausbrüche und keine beschwörenden Wunschträume kennt dieser Stil. In Wien liebt man die großen Worte nicht. Man schreibt Zähigkeit und Festigkeit in den Verhandlungen groß. Vorsicht verschwistert sich mit der Kunst des Zugriffs. Höflichkeit mit Härte. FRANKFURTER ALLGEMEINE.

 

Der geplatzte Wechsel

„Wir haben unsere gesamte Außenpolitik auf dem Wechsel begründet, den wir auf die beherrschende Macht Amerika gezogen und mit dem wir sie gedeckt haben. Dieser Wechsel liegt nach wie vor in unserem Tresor. Aber die Macht, auf die er gezogen wurde, ist nicht mehr die gleiche wie vor zehn Jahren. Inzwischen hat die militärische Entwicklung diese Macht durch das strategische Patt neutralisiert. Sie kann nicht mehr eingesetzt werden, sie ist gezwungen, sich mit dem Gegner zu arrangieren“. DIE WELT, Hamburg.

 

Konzessionen gegen Konzessionen

„Wie sind die Ansichten dafür, dass die Wiedervereinigung auf dem Wege erreicht wird, den Bonn proklamiert, nämlich dadurch, dass Ulbricht und Genossen durch freie gesamtdeutsche Wahlen hinweggeschwemmt werden, von einem aus ihnen hervorgehendem Parlament alles, was in der Zone seit 1945 geschehen ist, rückgängig gemacht, die Ordnung der Bundesrepublik in jeder Beziehung auf die Bundesrepublik ausgedehnt und das gesamte Deutschland in die NATO eingegliedert wird? Weder Russland noch seine Verbündeten im Warschauer Pakt werden es dahin kommen lassen. Die Bundesrepublik kann sie nicht und der Westen kann und wird sie nicht zur Kapitulation in dieser Frage zwingen. Es kann keine größere Fehleinschätzung der weltpolitischen Machtlage geben, als zu glauben, die Sowjets müssten mehr an einer Entspannung interessiert sein als die USA und ihre Verbündeten und müssten deshalb Konzessionen machen. Es herrscht das atomare Gleichgewicht. Das Interesse an der Abrüstung ist auf der anderen Seite genauso groß, die besseren Nerven aber sind im Osten, und wenn dort Konzessionen gemacht werden, so nur für gleich große Konzessionen auf der anderen Seite“. NEUE POLITIK, Hamburg.

 

Entweder — oder

„Die Westmächte einschließlich der Bundesrepublik mögen der Meinung sein, dass eine deutsche Mitgliedschaft in der NATO für ihre Sicherheit wesentlich ist, aber wenn dem so ist, sollten sie sich klar sein, dass sie nicht auch die Wiedervereinigung erwarten können“. MANCHESTER GUARDIAN.

 

Fortschritt möglich, wenn ...

„Es könnte in der Abrüstung ein Fortschritt erzielt werden, wenn der Westen willens wäre, eine ‚österreichische Lösung' für Deutschland anzunehmen — ein vereinigtes, bewaffnetes, aber unabhängiges und politisch von beiden Blöcken freies Deutschland. — Die Schwierigkeit bei dieser Lösung ist zwiefach: Sie würde wahrscheinlich das Ende des atlantischen Bündnisses bedeuten. Und Deutschland, obwohl überwacht, inspiziert und beschränkt, hätte klar die Waage der Macht in Europa in Händen. Und das würde weitere Probleme und andere Befürchtungen aufwerfen“. THE NEW YORK TIMES.

 

Seite 3   Sterbende Stadt Preußisch Holland. Zu 55 Prozent niedergebrannt – Auch die Gomulka-Periode konnte den Niedergang nicht aufhalten.

Als am Beginn der letzten Januarwoche 1945 die Rote Armee die ostpreußische Kreisstadt Preußisch-Holland besetzte, marschierte sie in eine wenig zerstörte Gemeinde ein. Gemessen an den durch Kampfhandlungen in anderen gleichgroßen Städten angerichteten Verwüstungen war Preußisch-Holland mehr als glimpflich davongekommen! Die Schäden waren hier so gering, dass sie selbst in der Vorwährungszeit in wenigen Monaten hätten beseitigt werden können. Das war die Lage am 23/24. Januar 1945.

 

Als die Sowjets nach fünf Monaten und einer Woche diese einstmals blühende Stadt der polnischen Verwaltung in Süd-Ostpreußen unterstellten, da war die Situation eine ganz andere! Am 1. Juli jenes Jahres bot Preußisch-Holland auf den ersten Blick das Bild einer durch Kämpfe und Bombardements schwer mitgenommenen Stadt. Doch wer durch die Straßen der Innenstadt ging, sah bald, dass die angerichteten Zerstörungen weder durch Granaten, Häuserkämpe oder Fliegerbomben entstanden waren, sondern, dass das, was hier verwüstet worden war, durch mutwillige Brandstiftung angerichtet wurde!

 

In rund zwanzig Wochen vernichteten die russischen Besatzungssoldaten mit Billigung ihrer Offiziere große Teile der Innenstadt, wo sie unzählige Häuser nach ihrer Plünderung anzündeten, Auch die meisten öffentlichen Gebäude fielen den völlig sinnlosen Brandstiftungen zum Opfer. Waren beim Einmarsch der Roten Armee etwa fünf Prozent Preußisch-Hollands vernichtet, so fanden die Polen im Juli eine Stadt vor, die zu 55 Prozent (!) in Schutt und Asche lag! Ungefähr 430 Gebäude aller Art waren in Rauch und Flammen nach den Aktionen der Brandstifter aufgegangen. Das war die „Krönung“ der sowjetischen Eroberung von Preußisch-Holland.

 

Die polnische Verwaltung begann wie überall im südlichen Ostpreußen auch hier, mit großartigen Versprechungen, die Stadt von den „faschistischen Kriegszerstörungen" zu befreien und „schöner als früher wieder aufzubauen". Bis auf den heutigen Tag publizierten die zuständigen polnischen Verwaltungsstellen insgesamt „nur" 19 (neunzehn) verschiedene Wiederaufbauprogramme. Man kann diese 19 Programme wie ein einzelnes behandeln, denn keines der Programme wurde auch nur annähernd realisiert, oft wurde nicht einmal der Versuch gemacht, es zu verwirklichen. Die stalinistischen Funktionäre in der Bierut-Ära verhöhnten die zwangsweise nach hier geholten Polen mit Versprechungen über Versprechungen, von denen sie genau wussten, dass sie sie nie erfüllen würden. Aber diese propagandistischen Zwecklügen sind gar nicht einmal so tragisch, wenn sie nur die Tatsache des nicht vollzogenen Wiederaufbaus betreffen würden. Viel schlimmer war und ist, dass Unfähigkeit und Trägheit nicht den Verfall der in Brandnächten verschont gebliebenen Häuser usw. verhinderten!

 

Und diese Tatsache hat dazu geführt, dass Preußisch-Holland auch zu einer der vielen sterbenden Städte in Ostpreußen geworden ist. An vielen Stellen müssen heute noch Gebäude von den Bewohnern verlassen werden, weil sie einzufallen drohen. Das ist meistens dann der Fall, wenn rechts und links die Nebenhäuser in Brand gesteckt und das stehengebliebene Gebäude nur leicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Da aber an solchen Gebäuden auch nicht die geringsten Reparaturarbeiten ausgeführt wurden und werden, gehen sie nun langsam an ursprünglich lächerlich geringen Schäden zugrunde. Hier liegt eine Hauptschuld der polnischen Verwaltung, die die deutsche Stadt alles andere als zu treuen Händen verwaltet.

 

Wie sieht es nun im Einzelnen in Preußisch Holland aus? Nach der Regierungsübernahme durch Gomulka schien es für einige Zeit so, als ob nun wenigstens eine geringfügige Änderung zum Guten erfolgen würde. Aber auch das war eine Täuschung. Es kam weder zu einem Wiederaufbau noch zu einem Programm zur Werterhaltung und Reparatur. Zudem setzte in den letzten Monaten eine Bevölkerungsumschichtung ein, die sich gar nicht gut für Preußisch-Holland ausgewirkt hat.

 

Bisher war es seit dem Kriege so gewesen, dass die nach Ostpreußen geschickten Polen möglichst in die Städte zu kommen versuchten, da sie auf dem Lande wegen der Kollektivierung, der Staatsgüter und der schlechten Lebensumstände keine Chancen sahen. Nachdem Gomulka in Warschau einzog, änderte sich das, weil die Landwirtschaftspolitik mehr Rücksicht auf die privaten Einzelbauern nahm. Plötzlich war es vielen Polen, die bis jetzt in den Städten gesessen hatten, wieder interessant, aufs Land zu gehen und Höfe zu übernehmen.

 

So geschah es auch in Preußisch-Holland. Viele Familien, die etwas von der Landwirtschaft verstanden, bemühten sich mit Erfolg um Zuteilung von Feldern, einem Hof und Krediten. Für diese Menschen kamen aus den Dörfern der Umgegend aber jetzt die Personen, die bis jetzt als Funktionäre und nutzlose Beamte die stalinistische Agrarpolitik repräsentiert hatten. Diese zumeist faulen, dünkelhaften und nicht mit Geistesgaben gesegneten Leute sind nun in die Stadt gekommen und versuchen natürlich, sich leicht durchs Leben zu bringen — natürlich am liebsten ohne ehrliche Arbeit. Die meisten suchen neue Pöstchen oder steigen in das Schwarzmarktgeschäft ein.

 

Uns interessiert das soweit, als diese Leute selbstverständlich auch nicht das geringste Interesse an einer ordnungsgemäßen Verwaltung haben. Sie besitzen noch immer genügend Einfluss, um hier und dort die Genehmigung für den Abriss eines angeblich einsturzgefährdeten Hauses zu erhalten, dass sie dann auf eigene Rechnung ausschlachten. Man könnte viele Beispiele dafür nennen, wie schlecht sich diese Bevölkerungsumschichtung auswirkt. In Preußisch-Holland gibt es einfach keinen Fortschritt. Es bleibt alles so, wie es war, manches dagegen wird noch schlechter.

 

Wer heute beispielsweise durch die Rogehnener Chaussee in Preußisch-Holland geht, der muss feststellen, dass hier erst vor wenigen Wochen mit behördlicher Genehmigung zwei Gebäude aus deutscher Zeit abgerissen worden sind. Der einzige Grund bestand in folgendem: man wusste, dass diese Gebäude vorwiegend in Stahlkonstruktion gebaut worden waren. Das genügte, um sie niederzureißen, denn für Schrott werden nach wie vor Höchstpreise gezahlt.

 

In der Innenstadt von Preußisch-Holland gibt es seit den Brandstiftungen im Jahre 1945 nur wenige bewohnte Häuser-Inseln. Überall klaffen große Lücken, wo auch nicht eine einzige Mauer wieder aufgebaut worden ist. Zwar sind viele Trümmer fortgeräumt worden, aber trotzdem ist der Anblick trostlos. Daran können auch die Grünanlagen nichts ändern, die mit Rasen und Blumen etwas Leben vortäuschen sollen. Nicht einmal das gelingt, denn auf den Rasenflächen weiden Schafe, obwohl das verboten ist. Die Miliz kann unmöglich alle Schafhalter einsperren, die ihre Tiere auf verbotenen Plätzen weiden lassen. Die wirtschaftliche Not ist noch immer so groß, dass die Behörden beide Augen zudrücken müssen.

 

Das gilt auch für den zweimal wöchentlich unweit des Krankenhauses abgehaltenen Markttag, zu dem die Bauern aus der Umgebung kommen. Dieser „freie Bauernmarkt" ist inzwischen längst zur Tarnung des Schwarzmarktes geworden. Zwar werden hier auch Lebensmittel gehandelt, aber in der Hauptsache wickelt man illegale Tauschgeschäfte und ähnliches ab. Sogar bis nach Preußisch-Holland ist auch der Devisenschmuggel gedrungen, und man kann hier vielerlei Währungen aus Ost und West umsetzen oder damit bezahlen.

 

Die örtliche Industrie kann jetzt jedoch wenig bieten was man auf dem Schwarzmarkt absetzen könnte. Ja, wenn noch wie zu deutscher Zeit in dieser Stadt landwirtschaftliche Geräte oder Leder hergestellt würden! Oder wenn in Preußisch-Holland noch die Marzipan-Herstellung in Betrieb wäre! Aber von den früheren Fabrikationsbetrieben arbeiten heute nur noch die Möbelfabrik und die Brauerei. Und was sie herstellen das hat auf dem Schwarzmarkt keinerlei Wert. Außerdem sind das Überlandwerk und eine Müllerei in Betrieb. In diesen Werken wird einigermaßen rentabel gearbeitet, wenn sich auch vieles gegenüber der deutschen Zeit und unseren Auffassungen geändert hat. Immerhin besteht Aussicht, dass die genannten Betriebe erhalten bleiben und mit der Zeit sogar ausgebaut werden, um die Vorkriegskapazität wieder zu erreichen. Ähnlich steht es auch mit einer Anzahl von Werkstätten und Handwerksbetrieben die seit dem Oktober vorigen Jahres an einigen Stellen Preußisch-Hollands eröffnet werden konnten. Die auf kollektiver Grundlage betriebenen Handwerks-Werkstätten sind inzwischen alle verschwunden. Sie mussten den Privatbetrieben weichen.

 

Die einzige halbwegs als Wiederaufbauleistung anzusprechende Tat der Polen ist die Reparatur des Bahnhofsgebäudes, das ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Dagegen ist es bis auf den heutigen Tag noch nicht zur Wiederherstellung des Rathauses am Markt gekommen, dessen Brandmauern klagend neben der erhalten gebliebenen Kirche St. Bartholomä in den Himmel ragen. Giebelfront und Dach des Rathauses sind ganz verschwunden. Nur etwa bis zur Hälfte der früheren Höhe stehen die Außenmauern des Gebäudes noch. Die großen Bogengänge sind zugemauert, um das Gemäuer fester zu verbinden und seinen endgültigen Einsturz zu verhindern.

 

Auch an anderen Teilen des Marktes findet man Spuren der Verwüstungen. Man stößt auf eine Reihe von Gebäuden, die äußerlich fast unzerstört aussehen, erst beim näheren Hinsehen erkennt man, dass sie ausgebrannt sind. Mehrere solcher Brandruinen, deren Mauern meist tadellos erhalten sind und die verhältnismäßig leicht wieder bewohnbar gemacht werden könnten, stehen im Gebiet am Markt und verstärken den trostlosen Eindruck.

 

Denselben Eindruck ruft ein Besuch am Schloss von Preußisch-Holland hervor! Hier trifft man auf eine wüste, von kleinen Gräsern und Bäumen bestandene Landschaft, aus der schemenhaft einige weiße Wände des Schlosses hervorleuchten. Dreck- und Trümmerhügel unterschiedlicher Größe machen ein Vordringen nur schwer möglich. Nur die polnischen Kinder aus Preußisch-Holland, das heute „Paslek" genannt wird, finden sich hier zurecht. Sie treiben hier Versteckspiele und haben sich Höhlen eingerichtet. Das Schlossgelände bietet heute ein Bild, das jedem Bürger dieser Stadt die Tränen in die Augen treiben würde. Die Fassadenmauern mit ihren leeren Fenster- und Türhöhlen scheinen so fern allen Lebens zu sein, wie wir von der Heimat entfernt sind! Wann wird hier je wieder Menschengeist und Menschenhand wirksam werden?

 

Tröstlicheres ist von den Kirchen unserer Heimatstadt und ihren Friedhöfen zu sagen. St. Bartholomä ist — wie schon gesagt — erhalten und nach nicht stilwidrigen Ergänzungen in gutem Zustand. Dieses Gotteshaus dient heute den polnischen Katholiken. Die zweite Kirche — Friedhofskapelle — ist Mittelpunkt des religiösen Lebens der vorwiegend deutschen Protestanten. Auch dieses Gotteshaus ist gepflegt, nachdem einige Plünderungsschäden behoben worden sind. Erfreulich ist auch, dass der dazugehörige Gottesacker, wie sonst heute selten in Ostpreußen, ein Bild von Sauberkeit, Ordnung und regelmäßiger Pflege bietet. Die noch hier lebenden Landsleute haben das schwere Amt übernommen, möglichst alle Gräber zu betreuen. So können wir wenigstens zum Schluss unseres Berichtes aus Preußisch-Holland etwas Tröstliches aus dieser schwer geprüften Stadt melden, einer Stadt, die unter dem Polentum wohl schwerlich wieder zum Leben erwachen wird!

 

Seite 3   Sowjets übernahmen polnische Flugplätze

Von gut unterrichteten westlichen Kreisen sind Beobachtungen der in den Oder-Neiße-Gebieten ansässigen polnischen Bevölkerung bestätigt worden, wonach die sowjetische Luftwaffe mehrere Flugplätze in Ostpreußen, Schlesien und Ostpommern, aber auch in verschiedenen Teilen Polens erneut übernommen hat. Diese Flugplätze waren zu Anfang dieses Jahres auf Grund des sowjetisch-polnischen Truppenvertrages der polnischen Luftwaffe übergeben worden. Wie aus den Berichten übereinstimmend hervorgeht, blieben jedoch jeweils einige sowjetische Offiziere als Abteilungskommandos zurück. Nunmehr sind diese Kommandos mit der Durchführung der Rückgabe an sowjetische Einheiten beauftragt worden.

 

Seite 3   Jenseits der ostpreußischen Grenze

Südlich der „ehemaligen Grenze" zwischen Ostpreußen und Polen biete sich „ein überraschendes Bild", indem dort in den Dörfern, „wo früher nur Holzhäuser standen", nunmehr „durchgehends Häuser aus Ziegeln errichtet wurden, heißt es in einem Bericht über eine Reise nach Sensburg, den der polnische Journalist Jerzy Putrament in der „Trybuna Ludu veröffentlichte. Der Berichterstatter untersucht sodann, „woher die Ziegel gekommen sind“, und stellt hierzu fest, dass sie aus dem polnisch verwalteten, südlichen Ostpreußen in die polnischen Dörfer herübergebracht wurden, wobei nicht nur Ruinen als Materialquelle dienten, sondern auch völlig intakte Häuser, die eine Zeitlang unbewohnt waren“. Mit diesem Bericht werden die kürzlichen Ausführungen des des polnischen Sejm-Abgeordneten Skok bestätigt, der in der in Allenstein erscheinenden polnischen Zeitung „Glos Olsztynski" darauf hingewiesen hatte, dass die Grenze zwischen Ostpreußen und Polen durchaus noch nicht „verwischt" sei, sondern nach wie vor deutlich in Erscheinung trete, indem nur südlich der Grenze Baugerüste zu bemerken seien, während in Ostpreußen die Demontagen andauern.

 

Seite 3   Minenfeld fliegt in die Luft

Nördlich des Stablack, wo die Demarkationslinie nach Nord-Ostpreußen verläuft, ist ein mehrere hundert Meter weites Minenfeld mit gewaltigem Getöse in die Luft geflogen. Man nimmt an, dass die zur Sicherung der Grenze eingegrabenen Minen durch eine elektrische Fehlschaltung explodiert sind.  In der letzten Zeit hatten die Russen verschiedentlich Versuche gemacht, kleinere Minenfelder elektrisch miteinander zu verbinden.

 

Seite 3   Eine holländische Stadtgründung in Ostpreußen

An der Bahnstrecke Elbing - Allenstein liegt die kleine ostpreußische Stadt Preußisch-Holland. Schon der Name lässt aufmerken. Was er aussagt, bestätigt ein Blick in die Geschichte: Die Gründung von Preußisch-Holland darf als Beispiel dafür gelten, dass die Erschließung des ostdeutschen Raumes im 13. Jahrhundert für Europa ein größeres Anliegen bedeutet hat als bloße „Kolonisation". Es waren holländische Siedler, die Preußisch-Holland gründeten und anlegten. Die Bestätigung findet sich in einer in lateinischer Sprache abgefassten Urkunde aus dem Jahre 1297, in der der Landmeister Meinhart von Querfurt dem damaligen Flecken die Stadtrechte verlieh. Interessant in diesem Zusammenhang, dass sich in den 30-er Jahren unseres Jahrhunderts holländische Geschichtsforscher nach Preußisch-Holland begaben, um in alten Urkunden und Akten den Leistungen ihrer Landsleute nachzuspüren. 1939 hatte Preußisch-Holland 7000 Einwohner.

 

Unser Bild zeigt das Rathaus und den Turm der Bartholomäuskirche. In dieser Gestalt stammen beide Baulichkeiten aus dem 16. Jahrhundert. Seit dem 1. Juli 1945 gehört Preußisch-Holland zum polnisch verwalteten Teil von Ostpreußen. Die durch Kriegshandlungen nur geringfügig beschädigte Stadt erlitt nach dem Einmarsch der Sowjettruppen schwere Schäden. Öffentliche Gebäude und Straßenzüge mit geringen Ausnahmen wurden planmäßig niedergebrannt. Im heutigen „Paslek", wie die polnische Bezeichnung lautet, dürften die Spuren der holländischen Gründer getilgt sein.

 

Seite 3   Frauenburg bringt Geld. Fremdenverkehrsmittelpunkt – Kopernikus als Lockmittel.

In diesem Jahr hat die vor allem in Zentralpolen wirksam gewesene Propaganda zum Besuch Frauenburgs größeren Erfolg als sonst gehabt. Die Stadt verzeichnete ziemlich hohe Einnahmen durch den Besucherstrom. Allerdings ist jetzt Kritik laut geworden, weil nicht genügend Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, so dass die Gäste meistens nach zwei oder drei Tagen wieder abfahren. Viele kommen auch nur für einen Tag nach hier. Jetzt will die Stadtverwaltung für Hotelfachleute Kredite auftreiben, damit zwei kleinere Hotels gebaut werden können. Nach Möglichkeit sollen die Urlauber hier einen längeren Urlaub verbringen. Ferner soll eine Art Pension nur für Ausländer geschaffen werden. Es heißt, man wolle schon in Kürze um Gäste aus dem westlichen Ausland werben. Als erstes werden Besucher aus Skandinavien erwartet, die über Danzig einreisen sollen. Das Kopernikus-Museum und andere bekannte Kulturdenkmäler in Frauenburg sind zu diesem Zweck noch einmal auf eine „Renovierungs-Liste" gesetzt worden. Wie bisher soll auch den Ausländern gegenüber die Geschichtsfälschung um den deutschen Astronomen Kopernikus beibehalten werden.

 

Zuzug nach Ostpreußen

In Königsberg, Insterburg und Gumbinnen treffen in letzter Zeit ständig Transporte mit sowjetischen Umsiedlern ein. Die Mehrzahl kommt aus den mittleren Gebieten Russlands, aus Sibirien und der Ukraine, aber auch Angehörige mongolischer Völkerschaft zählen zu den neuangesiedelten Bewohnern. Nach bisher unbestätigten Meldungen sollen monatlich bis zu 10 000 Menschen durch die sowjetischen Verteilungsstellen in den nordostpreußischen Ortschaften untergebracht werden. Nachdem die freiwillige Ansiedlung gescheitert ist, wird eine planmäßige Zwangssiedlung vorgenommen. Jede Republik der Sowjetunion soll einen bestimmten Prozentsatz von Neubürgern stellen.

 

Seite 3   Erleichterter Landkauf in Polen

Die von Gomulka eingeleitete neue Landwirtschaftspolitik in Polen wird von der Warschauer Regierung mit allem Nachdruck fortgesetzt. Im polnischen Parlament wurde eine Gesetzesvorlage eingebracht, die den Kauf und Verkauf von Land von allen bisher geltenden Beschränkungen befreit. Die Vorlage soll während der neuen Sitzungsperiode des Parlaments, die am 11. Juli begonnen hat, behandelt werden. Nach den bisher geltenden Bestimmungen des polnischen Bodenreformgesetzes unterlag die Größe der Bodenfläche, die ein Pole kaufen oder besitzen darf, stärksten Beschränkungen. Im polnischen Parlament wurde außerdem ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Aufhebung eines Erlasses verlangt, demzufolge es den örtlichen Behörden erlaubt war, Landenteignungen durchzuführen.

 

Seite 3   Die Not der deutschen Fischer in Westpreußen

Über die Verhältnisse im Fischerdorf Ellerwald (I. Trift) bei Elbing heißt es in der in Danzig erscheinenden Zeitung „Dziennik Baltycki", die Fischer befänden sich in einer äußerst bedrängten Lage. Die Preise für Fischereigerät sind gegenüber 1956 um mindestens 100 Prozent gestiegen, bei verschiedenen Gerätschaften haben sich noch größere Preissteigerungen ergeben, so kosten bestimmte Haken heute 154 Zloty gegenüber 24 Zloty je 100 Stück im Vorjahre. Ein Motor minderer Qualität für einen Fischkutter würde 450 000 Zloty kosten, doch könne ein Kutter höchstens 150 000 Zloty in sechs Jahren abwerfen. Die Versorgung der Fischer mit Lebensmitteln sei außerordentlich schlecht. Am 20. Juli 1957 konnten die Fischer nicht ausfahren, weil es kein Brot gab. Die Fischer — es handelt sich vornehmlich um Deutsche — werden von den Behörden zudem geradezu schikaniert, indem man ihnen kürzlich erneut Steuerbescheide für die Jahre 1948/1949 zustellte, obgleich sie damals bereits ihre Steuern entrichtet haben. Die Notlage der „Individualfischer" — also der Fischer, die nicht den Fanggenossenschaften angehören —, sei nicht nur in Eilerwald, sondern im gesamten Küstengebiet sehr groß, heißt es in dem polnischen Bericht abschließend.

 

Seite 3   Erleichterte Verwandtenbesuche

Das Bundesinnenministerium hat mitgeteilt, dass die Erteilung von Einreisesichtvermerken für Verwandtenbesuche aus den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, aus Polen, der CSR, Bulgarien, Rumänien und Ungarn wesentlich vereinfacht worden sei. Die in den Ostblockstaaten lebenden Personen müssen künftig ihren Angehörigen im Bundesgebiet zwei Passbilder zuschicken, die diese der Ausländer-Polizeibehörde ihres Wohnorts übergeben und eine Einreisegenehmigung beantragen. Während bisher die betreffenden Personen vier Wochen auf ihre Einreisevisen warten mussten, ist diese Zeitspanne jetzt etwa auf vier bis fünf Tage verkürzt worden.

 

Seite 4   Die Hauptentschädigung beginnt. Erste Weisung erlassen / Bevorzugte Freigabe für alle Vertriebenen / Auszahlung von Kleinstbeträgen

Das Bundesausgleichsamt hat die Erste Weisung über die Erfüllung der Hauptentschädigung nach der 8. LA-Novelle herausgegeben.

 

Wenn gewisse Lebenstatbestände vorliegen, kann die Hauptentschädigung teilweise ausgezahlt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Zuerkennungsbescheid vorliegt. Als Lebenstatbestände, die zur Auszahlung der Hauptentschädigung führen, berücksichtigt die Weisung:

 

1. Hohes Lebensalter;

2. die Ausbildung des Geschädigten oder eines unterhaltsberechtigten Angehörigen;

3. besondere Notlagen (siehe unten).

 

Außerdem werden Kleinstbeträge (Ansprüche unter 100,-- DM) ausgezahlt. Es wird entweder ein Teil oder die gesamte Hauptentschädigung freigegeben. Die aufgezählten Tatbestände werden gleichrangig behandelt. Eine Ausnahme bildet lediglich das Lebensalter. Haben Personen, die über 75 Jahre alt sind, Ansprüche, so werden diese bevorzugt erfüllt. Zunächst werden die Geschädigten berücksichtigt, die im Jahre 1892 oder früher geboren sind. Mit Beginn eines jeden neuen Jahres rückt ein neuer Jahrgang nach.

 

An alte Geschädigte wird die Hauptentschädigung voll ausgezahlt, wenn ihr Hauptentschädigungsanspruch plus Zinsen weniger als 5000,-- D-Mark ausmacht. Ist der Anspruch höher, so erhält der Betroffene eine erste Rate in Höhe von 5000,-- DM.

 

Die Tatsache, dass die alten Geschädigten nunmehr zumindest einen Teil ihrer Hauptentschädigung erhalten, stellt die Kriegsschadenempfänger — sofern sie über 75 Jahre alt sind — vor schwierige Entscheidungen. Dieser Problemkreis wird in einer der nächsten Nummern noch einmal näher erörtert werden.

 

Soll ein Geschädigter oder sein Familienangehöriger ausgebildet werden, so können dafür 2000,-- DM der Hauptentschädigung freigegeben werden. Berücksichtigt wird nur eine höhere Ausbildung (Fachschul-, Hochschul- und Universitätsausbildung) zum Zwecke der Lehrlingsausbildung, oder der Oberschulerziehung kann die Hauptentschädigung nicht vorzeitig ausgezahlt werden.

 

Die Auszahlung der Hauptentschädigung für Ausbildungszwecke ist an gewisse Voraussetzungen gebunden. So dürfen die Einkünfte der Familie des Auszubildenden den vierfachen Unterhaltshilfesatz nicht übersteigen. Außerdem muss der Schüler oder Student bereits ein Jahr der Ausbildung absolviert haben.

 

Mehrere Familienmitglieder können die Freigabe der Hauptentschädigung zu Ausbildungszwecken erhalten.

 

Dringende Notstände erkennt die Weisung in zwei besonderen Fällen an:

 

1. Es sollen Personen 2000,-- DM bekommen, die wegen ihres Alters und wegen ihrer Einkommensverhältnisse Unterhaltshilfe empfangen könnten, sie aber aus besonderen Umständen nicht erhalten. Es handelt sich auch hier um die Freigabe der Hauptentschädigung bis zum Höchstbetrag von 2000,-- DM.

 

2. Hat eine Familie ihren Ernährer verloren und ist ein nennenswertes Vermögen nicht vorhanden, so kann sie ihre wirtschaftliche Lage durch die Hauptentschädigungsfreigabe etwas verbessern. Höchstens 2000,-- DM werden in solchen Fällen ausgezahlt.

 

Geschädigte, die ihre Hauptentschädigung erhalten, weil sie die Altersgrenze erreicht haben, brauchen keine Anträge zu stellen. Die Ausgleichsämter werden von sich aus tätig. Auch die Kleinstbeträge werden an die Empfänger ausbezahlt, sobald der Anspruch festgestellt und zuerkannt ist.

 

Möchte ein Berechtigter seine Hauptentschädigung zur Finanzierung einer Ausbildung verwenden, oder wegen dringender Notstände verbrauchen, so muss er einen formlosen Antrag an das Ausgleichsamt stellen, das den Bescheid über die Zuerkennung der Hauptentschädigung erteilt oder zu erteilen hat.

 

Die Bestimmungen der ersten Weisung über die Freigabe der Hauptentschädigung sind als sehr bescheiden anzusehen. Zwar ist anzunehmen, dass alles getan wurde, um die im laufenden Rechnungsjahr zur Verfügung stehenden Mittel (250 Mill. DM) auszunutzen, aber die Bestimmungen reichen nun aus, um die dringendsten Notfälle zu lindern. Angesichts der Mittelknappheit musste sich die Weisung auf soziale Notwendigkeiten beschränken. Die im Gesetz vorgesehene Eigentumsbildung und die Festigung einer wirtschaftlichen Selbständigkeit sind nicht zum Zuge gekommen. Es wird daher darauf ankommen, dass in den nächsten Jahren über die vorgesehenen Beträge hinaus Mittel für die Hauptentschädigungsbezahlung zur Verfügung gestellt werden.

 

Leistungstabellen zum Lastenausgleich

1.     Die Hauptentschädigung

Schadensbetrag in RM 1 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 800 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 1 000 DM

 

Schadensbetrag in RM 1 400; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 1 400 DM

 

Schadensbetrag in RM 1 800; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1 200 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 1 800 DM

 

Schadensbetrag in RM 2 200; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1 350 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 2 200 DM

 

Schadensbetrag in RM 2 600; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1 500 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 2 600 DM

 

Schadensbetrag in RM 3 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1 650 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 3 000 DM

 

Schadensbetrag in RM 3 600; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 1 850 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 3 600 DM

 

Schadensbetrag in RM 4 200; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 050 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 4 200 DM

 

Schadensbetrag in RM 4 600; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 300 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 4 600 DM

 

Schadensbetrag in RM 5 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 300 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 4 600 DM

 

Schadensbetrag in RM 5 500; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 600 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 4 850 DM

 

Schadensbetrag in RM 6 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 600 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 5 150 DM

 

Schadensbetrag in RM 6 200; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 950 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 5 150 DM

 

Schadensbetrag in RM 7 200; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 2 950 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 5 500 DM

 

Schadensbetrag in RM 8 500; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 3 300 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 5 850 DM

 

Schadensbetrag in RM 10 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 3 600 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 6 200 DM

 

Schadensbetrag in RM 12 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 4 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 6 600 DM

 

Schadensbetrag in RM 14 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 4 400 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 7 050 DM

 

Schadensbetrag in RM 16 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 4 700 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 7 500 DM

 

Schadensbetrag in RM 18 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 5 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 7 950 DM

 

Schadensbetrag in RM 20 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 5 300 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 8 400 DM

 

Schadensbetrag in RM 29 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 6 500 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 9 800 DM

 

Schadensbetrag in RM 40 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 7 500 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 11 200 DM

 

Schadensbetrag in RM 63 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 9 800 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 13 950 DM

 

Schadensbetrag in RM 86 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 11 200 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 16 450 DM

 

Schadensbetrag in RM 110 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 13 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 18 650 DM

 

Schadensbetrag in RM 220 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 18 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 27 550 DM

 

Schadensbetrag in RM 420 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 30 500 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 39 500 DM

 

Schadensbetrag in RM 660 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 42 500 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 50 700 DM

 

Schadensbetrag in RM 1 000 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 50 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 65 000 DM

 

Schadensbetrag in RM 2 000 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 80 000 DM; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 101 000 DM

 

Schadensbetrag in RM über 2 000 000; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach bisherigem Recht 80 000 DM + 2% des 2 000 000 RM übersteigenden Schadens; Grundbetrag der Hauptentschädigung nach der 8. Novelle 101 000 DM + 2,4% des 2 000 000 RM übersteigenden Schadens

 

2.     Die Hausratenschädigung

Familienzusammensetzung: Alleinstehender; Hausratsstufe 1, bisher 800, künftig 1200; Hausratsstufe 2, bisher 1200, künftig 1600; Hausratsstufe 3, bisher 1400, künftig 1800

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar; Hausratsstufe 1, bisher 1000, künftig 1400; Hausratsstufe 2, bisher 1400, künftig 1800; Hausratsstufe 3, bisher 1600, künftig 2000

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 1 Kind; Hausratsstufe 1, bisher 1100, künftig 1550; Hausratsstufe 2, bisher 1500, künftig 1950; Hausratsstufe 3, bisher 1700, künftig 2150

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 2 Kinder; Hausratsstufe 1, bisher 1200, künftig 1700; Hausratsstufe 2, bisher 1600, künftig 2100; Hausratsstufe 3, bisher 1800, künftig 2300

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 3 Kinder; Hausratsstufe 1, bisher 1400, künftig 2000; Hausratsstufe 2, bisher 1800, künftig 2400; Hausratsstufe 3, bisher 2000, künftig 2600

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 4 Kinder; Hausratsstufe 1, bisher 1600, künftig 2300; Hausratsstufe 2, bisher 2000, künftig 2700; Hausratsstufe 3, bisher 2200, künftig 2900

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 5 Kinder; Hausratsstufe 1, bisher 1800, künftig 2600; Hausratsstufe 2, bisher 2200, künftig 3000; Hausratsstufe 3, bisher 2400, künftig 3200

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 6 Kinder; Hausratsstufe 1, bisher 2000, künftig 2900; Hausratsstufe 2, bisher 2400, künftig 3300; Hausratsstufe 3, bisher 2600, künftig 3500

 

3.     Unterhaltshilfe

Familienzusammensetzung: Alleinstehender: Normalfall bisher 100, normal 120; bei Pflegebedürftigkeit bisher 150, normal 170

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar: Normalfall bisher 150, normal 180; bei Pflegebedürftigkeit bisher 200, normal 230

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 1 Kind: Normalfall bisher 185, normal 222; bei Pflegebedürftigkeit bisher 235, normal 272

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 2 Kinder: Normalfall bisher 220, normal 264; bei Pflegebedürftigkeit bisher 270, normal 314

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 3 Kinder: Normalfall bisher 255, normal 306; bei Pflegebedürftigkeit bisher 305, normal 356

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 4 Kinder: Normalfall bisher 290, normal 348; bei Pflegebedürftigkeit bisher 340, normal 398

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 5 Kinder: Normalfall bisher 325, normal 390; bei Pflegebedürftigkeit bisher 375, normal 440

 

Familienzusammensetzung: Ehepaar, 6 Kinder: Normalfall bisher 360, normal 432; bei Pflegebedürftigkeit bisher 410, normal 482

 

Seite 4   Vertriebene als Fürsorgeempfänger

Nach einer soeben vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte veröffentlichten Statistik ist die Zahl der im Bundesgebiet im Rahmen der öffentlichen Fürsorge unterstützten Personen zwischen 1949 und 1955 von 2,4 Millionen Personen auf rund 900 000 Personen gesunken. Dabei habe sich der Anteil der Vertriebenen von 27,7 v. H. auf 22,1 v. H. vermindert. Unter Einbeziehung derjenigen Personen, welche Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich erhalten, stelle sich die Lage anders dar: Danach sind von insgesamt 1,5 Millionen Hilfsbedürftigen im Bundesgebiet und Westberlin 753 000 Vertriebene. Es ergebe sich also, dass die Vertriebenen an der Zahl der Hilfsbedürftigen des Bundesgebietes und Westberlins mit 49,3 Prozent beteiligt sind, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes und Westberlins nur 17,1 Prozent beträgt. Diese Zahl widerlege die Behauptung, dass die Hilfsbedürftigkeit bei den Vertriebenen kein stärkeres Gewicht habe als bei der übrigen Bevölkerung. Das Bundesvertriebenenministerium macht anhand dieser Feststellung eindringlich darauf aufmerksam, dass die Eingliederung trotz beachtlicher Fortschritte noch keineswegs abgeschlossen ist.

 

Seite 4   Niedersächsisches Bauprogramm für Familienzusammenführung

Der Niedersächsische Minister für Aufbau hat im zweiten Abschnitt des Wohnungsbauprogramm 1957 Landesbaudarlehen in Hohe von 8 Millionen DM sowie Annuitätenzuschüsse zur Verbilligung von 2 Millionen DM Kapitalmarktmitteln bereitgestellt, mit denen etwa 1000 Wohnungen für Vertriebene und Kriegssachgeschädigte im Rahmen der inneren Umsiedlung gefördert werden sollen. Dieses Bauprogramm dient der Zusammenführung getrennter Familien am Arbeitsort des Ernährers sowie dem Wohnungsbau für Pendler. Die Umsiedlungsbewerber, die an diesem Bauprogramm teilnehmen werden, sind bereits in einem vom Niedersächsischen Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte durchgeführten Auswahlverfahren bestimmt worden.

 

Im Jahre 1956 waren für diese Maßnahme 8 Millionen DM Landesbaudarlehen bereitgestellt.

 

Seite 4   Landbeschaffung für Ostbauern

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten rechnet für das Jahr 1957 mit einem Anfall von rund 65 200 ha Siedlungsland im Rahmen des neuen Siedlungsprogramms. Davon sollen 10 533 Neusiedlerstellen für Vertriebene und Flüchtlinge errichtet und der Ankauf oder die Pachtung von 6 330 landwirtschaftlichen Betrieben durch Vertriebene und Flüchtlinge gefördert werden.

 

Der Bauernverband der Vertriebenen meint dazu: „Die vorgesehene Anzahl von 16 866 Voll- und Nebenerwerbsstellen für das Rechnungsjahr 1957 wird sich nur erreichen lassen, wenn die ausführenden Stellen der unteren Siedlungsbehörden mit genügend und fähigem Personal ausgestattet sind und die Finanzierungsmittel von Bund, Ländern und Bundesausgleichsamt genügend und rechtzeitig bereitgestellt und dem Bedarf entsprechend gelenkt werden. Eine größere Aktivität in verschiedenen Ländern als im ersten Quartal des laufenden Jahres ist grundlegende Voraussetzung“.

 

Seite 4   Erneute Erhöhung der Zolltarife für Geschenkwaren

Mit der Begründung, der angebliche „Schwarzhandel mit Geschenkpaketen" müsse eingedämmt werden, hat am vergangenen Wochenende ein Sprecher des volkspolnischen Außenhandelsministeriums die Erhöhung der Zollsätze für mehrere Warenpositionen angekündigt. Ab 1. September werden die Zollsätze unter anderem für folgende Waren in Geschenksendungen nach Polen und den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten erhöht: Rasierklingen, Kopftücher, Pfeffer, Kunststoffprodukte, Füllfederhalter und unechter Schmuck. Der Sprecher des Außenhandelsministeriums wies in seiner Erklärung darauf hin, dass im ersten Halbjahr 1957 10 Millionen Rasierklingen, 50 Tonnen Pfeffer und 52 Tonnen Rasierklingen in Geschenkpaketen nach Polen und den Oder-Neiße-Gebieten gesandt worden seien. Mit diesen Waren sei dann ein „schwunghafter Handel" getrieben worden. — Die neuen Maßnahmen stehen im Widerspruch zu der erst vor einigen Monaten vollzogenen Senkung der Zollsätze für Geschenkwaren, die hauptsächlich aus westlichen Staaten, darunter aus der Bundesrepublik, nach Polen und in die Oder-Neiße-Gebiete gesandt wurden. Anlässlich der Senkung der Zollsätze war vom Warschauer Außenhandelsministerium die Erklärung abgegeben worden, dass mit der Herabsetzung der „unvernünftigen" Zollsätze der Bevölkerung geholfen werden solle.

 

Vor der Erklärung des Sprechers des Warschauer Außenhandelsministeriums war bereits in den polnischen KP-Organen indirekt eine erneute Erhöhung der Zollsätze für „gewisse Luxusartikel" (wobei von der KP-Presse Uhren, Füllfederhalter, Pfeffer und Rasierklingen als „Luxusartikel" bezeichnet wurden) gefordert worden.

 

Seite 4   Studentenaustausch vorbereitet

Bonn. Der dreiwöchige Besuch einer 37-köpfigen Delegation des polnischen Studentenverbandes in der Bundesrepublik soll einen großangelegten deutsch-polnischen Studentenaustausch einleiten. Der „Verband deutscher Studentenschaften (VDS)" gab in Bonn zu Ehren der polnischen Gäste einen Empfang, bei dem sein Vorsitzender, Heinrich Wittneben, die noch immer bestehenden Schwierigkeiten in der Herstellung studentischer Kontakte kritisierte. Der Leiter der polnischen Delegation Konstanty Ekert, wünschte in einer Erwiderung, dass die Bekanntschaft zu einer Freundschaft mit den deutschen Studenten werden möge. Die „älteren Herrschaften" müssten die Entwicklung fortführen.

 

Die polnischen Gäste gaben sich in persönlichen Gesprächen mit den Bonner Studenten außerordentlich freimütig.

 

Seite 4   Freibeträge für Ehefrauen

Der Bundesminister für Finanzen hat den Sonderfreibetrag für Ehefrauen von 250 auf 600 Mark im Jahr erhöht. Der Sonderfreibetrag steht in der Regel nur männlichen Arbeitnehmern zu, wenn beide Ehegatten uneingeschränkt steuerpflichtig sind. Das gleiche gilt für Ehegatten, wenn sie nicht dauernd getrennt leben und die Ehefrau keine der Besteuerung unterliegenden Einkünfte hat. Die betreffenden Arbeitnehmer sind daran erkenntlich, dass auf ihrer Lohnsteuerkarte kein Hinzurechnungsvermerk eingetragen ist. In bestimmten Fällen ist der Freibetrag für die Ehefrauen erhöht, auf die Lohnsteuerkarte der Ehefrau einzutragen.

 

Auch Heiratsbeihilfen können erstmals für 1957 vom Arbeitgeber bis zu einem Betrag von 700 Mark, Geburtshilfen bis zu 500 Mark lohnsteuerfrei gewährt werden. Bei Nachzahlungen, die auf dieser Gesetzesänderung beruhen, ist eine Überschreitung der Dreimonatsfrist unschädlich.

 

Seite 4   Fahrkartenbeihilfen für Minderbemittelte

Die hessische Regierung stellt als Fahrtkostenbeihilfen für Minderbemittelte, Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge achtzigzausend Mark im Rechnungsjahr 1957/1958 zur Verfügung. Das hessische Innenministerium in Wiesbaden hat am Montag Richtlinien für die Verteilung dieser Beihilfen bekanntgegeben. Der bevorzugte Personenkreis kommt dann in den Genuss dieser Beihilfen, wenn das Nettoeinkommen 180 Mark im Monat nicht übersteigt. Hinzu kommen für die in Haushaltsgemeinschaft lebenden Erwachsenen weitere 70 Mark und für jeden Minderjährigen weitere 35 Mark. In Härtefällen kann die Fahrtkostenbeihilfe auch gewährt werden, wenn diese Höchstbeträge unwesentlich überschritten werden. Die Höhe der Beihilfen beträgt 50 Prozent des Bundesfahrpreises 2. Klasse für Rückfahrten (bei Fahrtkosten von mehr als zehn Mark). Im Rechnungsjahr werden höchstens zwei Fahrtkostenbeihilfen gewährt. Anträge sind vor der Reise bei den zuständigen Flüchtlingsdienststellen zu stellen.

 

Seite 4   Wichtige Neuerscheinung

Angestellten-Rentenversicherungsgesetz (AnVG)

Textausgabe. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg. 72 Seiten und 2 Falttafeln. Kart. 1,20 DM

Die preiswerte Broschüre bringt den gesamten Text des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten. Eine dem Gesetzestext vorangestellte Gliederung dient dem schnellen Überblick. Mit Hilfe dieser Gliederung kann sich auch der ungeübte Leser mit dem Inhalt des Gesetzes vertraut machen und die in Frage kommenden Vorschriften leicht auffinden. Die Schrift eignet sich vorzüglich zur eigenen Unterrichtung der Angestellten; jedoch wird sie auch vom Fachmann gern zur Hand genommen.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 9, September 1957

Foto: Ein Junge beim Drachensteigen

 

Seite 5   Ach, wer doch das könnte! Victor Blüthgen

Gemäht sind die Felder, der Stoppelwind weht;

hoch droben in Lüften mein Drache nun steht,

die Rippen von Holze, der Leib von Papier,

zwei Ohren, ein Schwänzlein sind all seine Zier,

und ich denk: So drauf liegen im sonnigen Strahl,

ach, wer doch das könnte, nur ein einziges Mal!

 

Seite 5   Hoch droben in den Wolken

Wer hat nicht schon voller Sehnsucht zu den bunten Papiervögeln emporgeschaut, wenn der Herbstwind über die gelben Stoppelfelder weht, und sich gewünscht, einmal so hoch über der Erde fliegen zu können, wo die segelnden Wolken ziehen und die trillernden Lerchen. Ein vermessener Wunsch zu der Zeit, als Victor Blüthgen sein unsterbliches Drachengedicht schrieb. Aber auch heute im Zeitalter der technischen Hochblüte ist noch für viele der Himmel verschlossen, und der Junge, der überm Brachfeld seinen Drachen steigen lässt, stimmt noch immer in den sehnsüchtigen Ausruf des Dichters ein: „Ach, wer doch das könnte, nur ein einziges Mal!"

 

Lassen wir uns also einmal erzählen, wie es einem so hoch über der Erde und mitten in den Wolken zumute ist. Unser neuer Koggefreund Dieter aus Berlin schildert uns in einem netten Brief seine erste Luftreise, übrigens, ich lernte ihn in den Wolken kennen, und er lernte dort oben unsere „Kogge" kennen. Aber das erzählt er euch selbst.

 

Das war nämlich so: Ich hatte das Glück, mit der Kinderluftbrücke nach Westdeutschland zu fliegen. Auf dem Rückflug hatten wir einen sogenannten „blinden Passagier“ unter uns. Einmal fragte er mich: Bist du ein Berliner? Na, klar, sag ich. Auch dort geboren? fragt er wieder. Das aber war nun nicht mehr ganz so klar, da musste ich erst eine Weile nachdenken. Nee, sag ich schließlich, aber ich bin schon lange in Berlin, so zwölf Jahre, und jetzt bin ich dreizehn. Und so weiter, Fragen hin und her, und dabei kam es raus: ich bin nämlich ein Ostpreuße. Geboren in Friedland an der Alle. Von dem Augenblick an waren wir dicke Freunde, der „blinde Passagier“ und ich. Es war übrigens gar kein blinder Passagier, sondern Hanns, der unsere Kogge so prima durch alle Klippen steuert. Ich sage schon ‚unsere' Kogge; denn inzwischen habe ich zu Hause tüchtig darin gelesen. Mensch, Dieter, habe ich mir da gesagt, wie wenig weißt du doch von deiner eigentlichen Heimat, und ich habe mir geschworen, das soll nun anders werden.

 

Daher auch dieser Brief. Hanns hat mich nämlich gefragt, ob ich einen Brief für die Kogge schreiben möchte, und da sagte ich wieder begeistert: Na, klar! Erzählen sollte ich darin von unserer sonderbaren Luftbekanntschaft, von der Kinderluftbrücke und wie es mir in Westdeutschland gefallen hat.

 

Ich sagte ja schon, ich hatte großes Glück, in diesem Jahre unter den 2000 Berliner Kindern zu sein, die mit der Kinderluftbrücke zu einem fünfwöchigen Ferienaufenthalt in die Bundesrepublik geflogen wurden. Die Auswahl der Kinder erfolgte durch das Hilfswerk Berlin zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz. Der Schularzt bescheinigte mir, dass ich einen Ferienaufenthalt dringend nötig hätte, und es war vielleicht auch entscheidend für meine Auswahl, dass meine Mutter alleinstehend ist. Mein Vater ist Ende des Krieges gefallen.

 

Am 9. Juli war dann der große Tag für mich. Wir sammelten uns auf dem Flugplatz Tempelhof. Während der Abfertigungszeremonien linste ich schon immer auf das Rollfeld. Da standen zwei Klipper der amerikanischen Luftwaffe. Endlich hieß es einsteigen. In unserer Maschine wurden 28 Kinder untergebracht, zwei Begleiterinnen und vier Mann Besatzung. Unser Pilot hieß Smith. Er war so lang, dass er, wenn er aufstand, immer den Kopf einziehen musste. Er verstand auch etwas deutsch, und während des Fluges durften wir so nacheinander zu ihm in die Flugkanzel kommen. Auf dem Höhenmesser konnten wir unsere jeweilige Flughöhe ablesen. Im Durchschnitt flogen wir in 2000 Meter Höhe. Berlin von oben ist kaum wiederzuerkennen. Ich habe Steglitz, wo ich wohne, jedenfalls nicht ausmachen können. Die Havel mit ihren Seen war jedoch unverkennbar. Dann kamen Wälder, gelbe, grüne und braune Rechtecke, das waren Felder. Zwischendurch helle, schmale Bänder: Straßen und Wege. Später als blaues Band die Elbe.

 

Eine Zeitlang war der Himmel ganz klar. Hinter der Elbe aber kamen wir in Wolken, unter uns, vor uns und über uns. Wenn wir in eine Wolke hineinflogen, wackelte die ganze Maschine (auch mancher Magen, aber ich hielt tapfer durch). Das ist also das, was ich euch kurz von meiner ersten Luftreise erzählen wollte.

 

In Hannover am Flugplatz wartete schon ein Bus auf uns. Es ging zum Bahnhof. Dort trennten wir uns. Ich fuhr von hier aus mit noch einem Mädchen zu meinen Gasteltern in ein Heidedorf bei Lüneburg. Aber fünf Wochen Ferien in ein paar Sätzen zu erzählen, das kriege ich nicht fertig. Ich kann nur sagen: Es war prima, prima! Erntezeit, ich durfte mit auf die Felder. Mein Luftbrückenbruder Heini — so alt wie ich — war ein Pfundskerl. Wir machten Streifzüge durch die Wälder und durch die blühende Heide. Der Gastwirt hatte im Garten eine Wildschweinzucht, neun kleine gestreifte Frischlinge sprangen munter um die zwei alten grunzenden Borstentiere. Mit Heini teilte ich auch die Schlafstube; er wusste feine gruselige Geschichten zu erzählen. Unbedingt muss ich noch sagen, das Essen und die Luft sind mir prima bekommen. An die acht Pfund habe ich zugenommen, bei allem Herumtollen. Und ich kam mir immer vor wie der Entdecker Amerikas, so neu und wunderbar war alles für mich. Ich werde diese Luftbrückenferien wohl nie vergessen.

 

Und damit bin ich am Ende meines Briefes. Es grüßt Euch aus Berlin Euer neuer Koggefreund Dieter.

 

Seite 5   Für unsere Bastelfreunde

Wir bauen uns eine Laterne (mit Abbildungen)

Und heute wollen wir wieder einmal basteln. Das haben wir lange nicht getan, einfach deshalb, weil wir in den schönen Frühlings- und Sommermonaten doch wenig Zeit dafür haben. Nun aber kommen wieder die langen Abende, die Regentage, und da macht eine kleine Bastelarbeit viel Freude und Spaß. Noch dazu eine, wie die heutige.

 

Ihr kennt doch alle das Laternegehen, das in vielen deutschen Landschaften, vor allem in den niederdeutschen als alter Brauch von den Kindern gepflegt wird. Kaum können wir da erwarten, bis es dunkel wird und die ersten roten, gelben und blauen Pünktchen auf der Straße leuchten. Dann stecken wir auch unsere Laternchen an und reihen uns mit ein in den bunten Reigen. Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne!

 

Hänschen hat eine wunderschöne Laterne. Er hat sie selbst gebastelt und benötigte dazu feste Pappe, Buntpapier, ein Stück ganz starke Pappe oder Sperrholz und Draht, weiter eine Schere, Klebstoff und eine Laubsäge. Und nun basteln wir.

 

Wir nehmen uns Hänschens Märchenlaterne zum Vorbild. Sie hat vier Märchenbilder: Hänsel und Gretel, Rotkäppchen, Sterntaler und Däumling. Ihr erseht die Bilder aus der Vorlage. Haben

wir ein sehr großes Stück schwarze Pappe, dann können wir die vier Teile, wie aus der Abbildung, ersichtlich, in einem Stück ausschneiden. Besitzen wir nur kleinere Stückchen Pappe, schneiden wir jedes der vier Teile einzeln aus. Aus der Abbildung erseht ihr genau die Maße. Höhe 32 cm, Breite unten 18 cm, oben 24 cm, zuzüglich von 2 cm breiten Klebestreifen an jeder Seite. Die Märchenbilder werden aus der schwarzen Pappe wie Scherenschnitte herausgearbeitet. Hinter die Pappe kleben wir Buntpapier: einmal rot, einmal blau, dann grün und gelb, also bei jedem Bild eine andere Farbe.

 

Nun basteln wir das Gestell. Die Grundplatte wird aus Sperrholz oder sehr starker Pappe gearbeitet. Jede Seite 17,8 cm lang. Vier gleichlange Drähte werden an den Ecken befestigt, die oben zu einem Ring verdreht werden. Dann werden die Seitenwände um Grundplatte und Draht herumgelegt und festgeklebt. Haben wir die Seiten einzeln angefertigt, überkleben wir die Klebestellen — dazu gaben wir ja an jeder Seite 2 cm zu — mit einem 4 cm breiten Pappstreifen, damit die unschönen Klebstellen bedeckt sind. Die unteren 2 cm werden auf den Grundgestellrand geklebt.

 

Seht ihr, nun ist unsere schöne Laterne fertig. In der Mitte der Grundplatte wird jetzt — entweder haben wir ein kleines Loch ausgeschnitten oder einen Kerzenhalter befestigt — die Kerze gesetzt. Laternenstock und Band — schon baumelt unsere Märchenlaterne und erregt die Bewunderung aller Kinder.

 

Seite 5   Für unsere Leseratten

Liebe Leseralten!

Wisst ihr noch, welche Bücher wir euch in der letzten „Kogge" empfohlen haben? Natürlich wisst ihr das, wie kann ich nur so fragen. Da waren einmal die „Ostdeutschen Lebensbilder" und dann das spannende Schneiderbuch „Vom Pelzjäger zum Millionär". Heute sind es wieder Schneiderbücher, die wir aus unserer Bücherkiste hervorholen. Das eine für Mädchen, das andere für Jungen. Und weil die Mädchen immer etwas zu kurz kommen, wollen wir uns zuerst das Buch

 

So ist Andrea / Von Gisela Lorenz (Franz Schneider Verlag, München. 112 Seiten mit Zeichnungen. DM 3,50)

 

ansehen. Was Gisela Lorenz hier erzählt, die Geschichte der jungen Chemo-Technikerin Andrea, erhält seine Frische und Unmittelbarkeit aus der Erinnerung an ihren eigenen Berufsweg. Sie hat selbst jahrelang als Chemo-Technikerin gearbeitet. Sie schildert das erste Lehrjahr Andreas, die es sich so wunderbar gedacht hatte, mit ihrem Vater im gleichen Werk zu arbeiten. Trotzdem gilt es, manche Klippe zu überwinden, ehe sie sich in ihrer neuen Lebenswelt richtig heimisch fühlt. Es bleibt ihr nichts erspart. Sie geht von einer Abteilung zur anderen und gewinnt so täglich neue Eindrücke und Kenntnisse. Sie muss wie ein Junge unter den Maschinen herumkriechen, und ihre

Hauptaufgabe ist zunächst, die vielen Gläser zu spülen, immer und immer wieder. Andrea aber lässt sich so leicht nicht unterkriegen; denn sie möchte doch Laborantin werden. Sie lernt nicht nur die interessante, geheimnisvolle Welt der Chemie kennen, sondern auch Menschen, die ihr etwas bedeuten und die ihr innerlich vorwärts helfen. So merkt sie am Ende ihres ersten Lehrjahres: sie hat viel gelernt, sie ist erwachsener geworden, sie ist auf dem richtigen Wege.

 

Der Sohn des Schmugglers / Von Kurt Burger (Franz Schneider Verlag, München. 167 Seiten mit vielen Illustrationen. DM 4,80)

 

ist wieder ein richtiges Jugendbuch. Es führt uns diesmal nach Südspanien. Hier führt Pedro Murillo, der Held des Buches, mit seinem Vater ein recht armseliges Leben. Der Fischfang bringt nicht mehr viel ein. Weil der alte Murillo seinen Sohn über alles liebt und ihm ein besseres Leben bieten möchte, entschließt er sich nach langen inneren Kämpfen, Schmuggler zu werden. Nun kann er Pedro einen Esel kaufen und sogar mit dem Jungen zum Stierkampf nach Sevilla fahren. Als Pedro merkt, woher der neue Reichtum kommt, ist sein Vater schon schwer in Schuld verstrickt, auch er selbst ist schon mit in das Schmugglerleben hineingezogen. Der Anführer der Bande behält Pedro als Geisel, weil er dem alten Murillo misstraut. Nun fliegt Pedro mit den Schmugglern, die den Fischern ihre Waren über der heimatlichen Bucht abwerfen. Erst nach ungewöhnlichen Ereignissen können Vater und Sohn sich von den im Innern verabscheuten Schmugglerleben lösen und zu ihrem einfachen Fischerleben zurückkehren. Ein richtiges Abenteuerbuch aus unseren Tagen mit einem liebenswerten Jungen im Mittelpunkt. Den Hintergrund liefert die sonnendurchglühte Landschaft Südspaniens. Hineingestreut ausgezeichnete Schilderungen des spanischen Volkslebens.

 

Und wie immer: das nächste Mal mehr! Gerd und Ute.

 

Seite 6   Gedenkblatt des Monats

Heinrich Albert

Obwohl der Geburt nach kein Ostpreuße, darf uns Heinrich Albert in unserer Porträtreihe nicht fehlen, war er doch der Begründer und mit Simon Dach Mittelpunkt des Königsberger Dichterkreises des 17. Jahrhunderts, der sogenannten „musikalischen Kürbishütte".

 

Heinrich Albert, der 1604 in Lohenstein im Vogtland geboren wurde, ging bereits mit 22 Jahren nach Königsberg verblieb hier bis zu seinem Tode am 06.10.1651. Er war ein Neffe des Komponisten Heinrich Schütz. Während sich dieser jedoch hauptsächlich der Kirchenmusik und der geistlichen Chormusik widmete, wendet sich Heinrich Albert in seinem Schaffen vorwiegend der weltlichen Liedkomposition zu, für die ihm die so reich sprießende barocke Dichtung die Texte liefert, vor allem aber Simon Dach mit seiner unerschöpflich fließenden Feder. Viele der Albert'schen Arien und Lieder sind auch heute noch unter uns lebendig, so die genialen Vertonungen von 'Anke von Tharaw' und Dachs 'Der Mensch hat nichts so eigen'.

 

Albert dichtet aber auch selbst. Als ein kleines Beispiel mag hier die Schlussstrophe aus seinem schönen Abschiedsgedicht an die Freunde stehen:

 

Gute Nacht, ihr meine Freund',

Ihr, o meine Lieben!

Alle, die ihr um mich weint,

Lasst euch nicht betrüben

Durch den Abtritt, den ich tu

In die Erde nieder!

Schaut: die Sonne geht zur Ruh,

Morgen kommt doch wieder!

 

Alberts Kunst bedeutet einen Höhepunkt in der ostpreußischen Musikgeschichte. Seine beiden Hauptwerke, die 'Arien' und die Lieder der 'Musikalischen Kürbishütte' (letzteres in acht Folgen), ließ er im Selbstverlag erscheinen und bestritt davon schlecht und recht den Lebensunterhalt seiner Familie. 1631 erhielt er die Organistenstelle am Königsberger Dom.

 

Seite 6   Die Musikalische Kürbishütte

Dr. L. H. Fischer, der 1884 die Gedichte des Königsberger Dichterkreises neu herausgab, beschreibt darin in seiner Einführung das in der Berliner Bibliothek aufbewahrte Exemplar der Musikalischen Kürbishütte folgendermaßen:

 

Auf der Vorderseite des ersten Blattes dieser Ausgabe befindet sich ein ca. 12,5 cm breiter, ca. 10 cm hoher Kupferstich. Derselbe stellt einen Garten dar, in dessen Mitte eine Kürbislaube sich erhebt. Die Kürbisse sind mit Inschriften versehen. Im Hintergrunde des Gartens erblickt man ein Häuschen. Ganz vorn liegt in der Mitte, am Boden des Gartens ein Totenkopf, gekrönt von einer geflügelten Sanduhr. Auf einem Banner, der von der Höhe der Laube vor derselben herniederhängt, befindet sich folgender Titel:

 

Musicalische Kürbis-Hülte, Welche uns erinnert Menschlicher Hinfälligkeit, geschrieben und in 3. Stimmen gesetzt von Heinrich Alberten.

 

Unten rechts am Boden des Gartens steht kaum erkennbar die Jahreszahl 1641. Die Rückseite des ersten Blattes ist leer; auf dem zweiten Blatte findet sich oben, von einem Kranze umgeben, der zweite Titel; sogleich darunter beginnt die Vorrede. Die Ausgabe besteht aus 2 ½  Bogen Folio ohne Blattzählung.

 

Seite 6   „Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen …“

Das Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen hatte es mir schon in meiner Jugend angetan. Dabei war ich einer „aus dem Reiche". So nannten uns die Ostpreußen, als nach dem ersten Weltkrieg der „polnische Korridor" Ostpreußen vom Mutterland getrennt hatte. Man sprach damals viel von der „Insel Ostpreußen".

 

Ein begeisterter Wassersportler — mir ist seither kein solcher Naturfreund wieder im Leben begegnet — nahm mich in jenen Jahren mit nach dem schönen Masurenland. „Das ist ein Seenparadies. Du wirst es zeitlebens liebgewinnen", prophezeite er mir. Es war an einem gewitterschwülen Hochsommertag, als wir unser Paddelboot in eine einsame, fast verwunschene Bucht eines der unzähligen Waldseen lenkten.

 

Auf einer samtgrünen Wiese schlugen wir unser Zelt auf, meilenweit entfernt von Menschen, Städten und lauten Straßen. Dafür lagen wir Allmutter Natur umso näher am Herzen und verspürten ihren sanften Pulsschlag umso eindringlicher. Und ihre Sprache verstanden wir von Tag zu Tag besser; ob sie uns die Lebewelt ihres Kleingetiers auf dem krautbewachsenen Grunde der stillen Seebucht zeigte, oder aus deren verschilften und versumpften Rändern durch Vogellaute zu uns sprach.

 

Mutter Natur deckte uns auch großzügig unseren Tisch vor dem Zelt mit den Schätzen ihrer Seen. Nie wieder habe ich so wohlschmeckende Schleien gegessen wie die vom „Seeparadies". An gewittrigen Tagen ließen sie sich mit Leichtigkeit sogar mit den Händen fangen. Das Wasser war stellenweise so kristallklar, dass wir bis auf den Grund hinunterschauen konnten. So oft dann ein großer Fisch drunten seines Weges zog, vermeinten wir den Stinthengst erschaut zu haben, jenen Märchenfisch der Masuren, der auf seinem Haupte eine goldene Krone tragen soll.

 

Wenn aber Wolkenberge das Himmelslicht verdunkelten, schauten uns die Waldseen mit schwarzen Augen traurig an.

 

Hatten wir hin und wieder einmal das Verlangen, einen Blick „in die weite Welt" zu tun, so erstiegen wir den höchsten der Moränenhügel, die sich zwischen den Seen aufbauten. Soweit dann das Auge reichte, ging es bergauf-bergab bis sich die Hügelketten am Horizont verloren. Sie stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem langen Baltischen Landrücken dar, und die Waldmeere der Johannisburger und Rominter Heide zählen zu den größten zusammenhängenden Waldgebieten Mitteleuropas. Bei solchem Anblick sannen wir auch darüber nach, wie in vergangenen Schöpfungstagen das nordische Gletschereis diese „bucklige Welt" Masurens erschaffen hat.

 

Da schlief das Land noch unter einer gewaltigen Eisdecke. Als sie schließlich zusammenschmolz, ließ sie einen Schuttmantel nordischer Steinlasten zurück und baute daraus ein ganzes Moränengebirge auf. Die wilden Schmelzwasserströme rissen tiefe Rinnen in das wüste Land und bereiteten so in grauer Vorzeit schon das Bett der zahllosen masurischen Seen. Die lebendige Welt nahm Besitz von der Steinwüste und bedeckte sie mit einem dichten Waldmantel: „Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen".

 

Von unserer Warte aus konnten wir auch ein masurisches Straßendorf aus Blockhäusern erspähen. Der weite Wald liefert seinen Bewohnern billiges Holz zum Hausbau. Hin und wieder begegnete uns in unserer Einsamkeit auch ein Bote aus der geschäftigen Welt der Menschen: ein schmuckes Dampfboot mit urlaubsfrohen Wanderern.

 

Manchmal stiegen wir auch auf eins der Flöße, die zu den Sägewerken gezogen wurden. Die Wälder sind Masurens „grünes Gold". Eines Tages machten wir an einer von Land aus unzugänglichen Stelle den Horstbaum zweier Fischadler aus. Da schlug uns das Herz höher; denn dieser königliche Vogel ist eine große Seltenheit im Seenland Masurens geworden. Zweimal beobachteten wir ihn, wie er — in seinen Fängen die Beute haltend — die Bucht überflog. Dabei stieß er einen eigentümlichen, klagenden Schrei aus. Ein andermal zeigte er uns seinen Sturzflug aus großer Höhe herab. Er stieß ins Wasser und schlug einen fetten Fisch. Den entführte er in seinen Fängen zum Horstbaum.

 

Kormorane, die hier auch eine Heimstätte haben sollen, konnten wir leider nirgends ausmachen. Einen Wecker brauchten wir nicht. Kuckuck und Wiedehopf schrien jeden Morgen zur selben Stunde aus dem nahen Walde.

 

Eines Nachts raschelte es längs der Zeltwand. Mein Begleiter löste das Rätsel mit dem Lichtblitz seiner Taschenlampe. „Das ist wirklich ein seltener Besuch!" rief er entzückt aus und legte mir im Zelt eine Schildkröte auf die nackten Beine. Wir mochten ihr wohl gefallen haben; denn am andern Abend war sie wieder da.

 

Nun müsste ich noch viel erzählen vom Chor aus Entenruf, dem Gesang der Rohrsänger und Schilfbewohner, vom Falkenschrei, von den nächtlichen Tierlauten des dichten Waldes um uns, von den Kreisen der Milane am blauen Himmelszelt. Ein buntes Seen-Bilderbuch müsste ich aufschlagen, wollte ich von den schönsten der masurischen Seen im Einzelnen berichten, vom Röthloffsee, dem Duzkanal, dem Bärtingsee, dem Drewenzsee, vom Niedersee und Rudczanny und dem Crutinnafluss, vom Mauersee und vom Spirdingsee – dem masurischen Meer.

 

Etwa 1000 Schritte vom Lagerplatz entfernt geisterte das Moor. Die Bäume an seinem Rande waren Zwerge; Schilf und hohes Riedgras standen unbeweglich in sumpfigen Lachen. In solchen Morästen sind Kraniche zu Hause. Wir vermeinten, des Nachts ihren Ruf vernommen zu haben.

 

Nach etwa zehn Tagen fuhren wir kilometerweit durch drei oder vier Seen, bis wir in ein Landstädtchen kamen. Unser Proviant war zur Neige gegangen.

 

Auf dem großen viereckigen Marktplatz war ein buntes Durcheinander von Bauern, Bäuerinnen, Fuhrwerken, Schweinen, Ochsen und allem möglichen Getier. Es war gerade Markttag. Nie werde ich die mannigfachen Gerüche dieses masurischen Marktes aus der Nase verlieren. Den erdigen Ruch frischer Kartoffeln, den Gestank zerdrückter Kohlblätter, den Duft von Hafer aus den gefüllten Futterkrippen der Gespanne, den scharfen Ruch von Möhrenkraut und den aromatischen der Äpfel. In einer Ecke handelten füllige Fischerfrauen mit ebenso feisten Fischen.

 

„Mannche, frische Maränchen!" rief uns eine der Frauen zu. — „Danke, davon haben wir selbst genug!"

Verwundert schaute sie uns nach und schimpfte wie ein Rohrspatz.

 

In langen Reihen standen die Bauernwagen auf dem weiten Platze. Die Männer in ihren grünen Joppen hatten sich viel zu erzählen, und dabei machten Schnapsflaschen die Runde.

 

Wir studierten die Namen der vielen Wirtsleute, die ihre Schänken alle am großen Marktplatz hatten. Da gab es Klimkats und Matuscheits, Josupeits und Lasaryks, und manchen masurischen Namen lasen wir, den die Zunge gar nicht so leicht auszusprechen vermochte.

 

Mein Freund hatte mit seiner Prophezeiung recht behalten: ich habe in Masuren ein Seenparadies erlebt, das ich zeitlebens nicht mehr vergessen werde. Das Land der dunklen Wälder hat sich im Sturme mein Herz erobert, und es gibt oft Stunden in der Hast und dem Lärm der Großstadt, da ich mich in seine erhabene Wälderstille sehne, wie sonst nach keinem anderen Flecken der Erde.

 

Seite 6   Masuren – Kleine Monographie in Stichworten

Masuren, im Süden Ostpreußens gelegen, erstreckt sich im Norden bis an die Rominter Heide und grenzt im Westen an das Oberland, seine südliche und östliche Grenze bildet die Reichsgrenze.

 

Den Charakter der Wälder gibt die dunkle Kiefer. Das Holz ist der Reichtum Masurens. Man nennt Masuren auch das Land der Kreuze. Von den Hügeln und Höhen ragen die Kreuze und Gefallenenmale aus dem ersten Weltkrieg in den Himmel. Bei Hohenstein das Tannenbergdenkmal, das große Kreuz auf der Jägerhöhe über dem Schwenzaitsee, das Ehrenmal bei Lyck und viele, viele andere.

 

Die Wälder Masurens und seine Seen waren ein Paradies der Vögel. Hier horstete noch der seltene Schwarzstorch, der Fischadler, der Milan zog seine Kreise, und man konnte das Krächzen der Reiher hören. Die Rohrdommel hatte im Schilf ihr Nest. Schwäne, Eisvögel, Birkhühner; wer nennt all die Namen.

 

Diesem Reichtum über der Erde und in den Lüften entsprach der Fischreichtum in den unzähligen Seen: Maränen, Bressen, Aale. Geräucherte Maränen wurden in vielen deutschen Städten als besondere Delikatesse geschätzt.

 

Aus Neidenburg stammt der bedeutende Historiker des 19. Jahrhunderts Ferdinand Gregorovius.

 

Die Bewohner Masurens waren Bauern, Fischer, Holzfäller, Flößer.

 

Sie führen ihre Herkunft auf die altpreußische Urbevölkerung des Landes zurück, vermischt mit Masowiern und deutschen Kolonisten.

 

Ihr Bekenntnis zum deutschen Volke konnte nicht eindringlicher vor Augen geführt werden als in der Volksabstimmung nach dem ersten Weltkrieg (1920). Mit 363 209 Stimmen bekannten sie sich zum Verbleib beim Deutschen Reich. Nur 7980 stimmten für Polen.

 

Nach 1945 wurde diese eingesessene Bevölkerung bis auf geringe Reste, man schätzt etwa 80 000, vertrieben, verstreut über ganz Restdeutschland.

 

Masuren, steht heute unter polnischer Verwaltung.

 

Masuren, war ein Paradies für jeden Naturfreund, vor allem für den Wassersportler. Aber auch im Winter zog es zahlreiche Besucher und Sportler an durch seine traditionelle Deutsche Eissegelwoche auf dem Schwenzaitsee.

 

Viele Dichter haben die Schönheit dieses Landes besungen oder auf den Hintergrund dieser Landschaft ihre Erzählungen aufgebaut. Erich Hannighofer schrieb das Volkslied gewordene „Land der dunklen Wälder". Einer seiner größten Söhne wurde dem Land in Ernst Wiechert geboren. Die Wiege des Lyrikers Arno Holz stand in Rastenburg.

 

Wie selten in einer anderen Landschaft wurde hier noch die Volkskunst in allen ihren Zweigen gepflegt: Schnitzwerk an Giebeln, Fenstern und Türen. Schnitzereien und Malereien an Möbeln und Deckenbalken. Kunstvolle Webarbeiten, Kachelmalereien. Die Motive weisen auf uralte Überlieferungen.

 

Seite 6   Lasst uns nach Hause gehen. Volkslied aus Masuren.

Lasst uns all nach Hause gehen,

weil die Stern' am Himmel stehen.

 

Schlafen all die lieben Vöglein,

sind so müd' die kleinen Äuglein.

 

Atmen Nebel unsre Felder,

stille stehn die dunklen Wälder.

 

Ruhet aus von eurer Mühe,

Gott bewacht euch spät und frühe

 

Seite 6   Wusstest du schon …

  dass der Bau der „Ostbahn“, die von Berlin über Dirschau, Königsberg nach Memel führte, bereits 1847 begonnen wurde?

 

… dass der Oberlandesgerichtspräsident von Königsberg/Pr. in der Kaiserzeit noch aus früheren Jahrhunderten her den Titel „Kanzler des Königreichs Preußen" führen durfte?

 

… dass vor etwa 150 Jahren Heinrich von Kleist in Königsberg/Pr. sein berühmtes Lustspiel „Der zerbrochene Krug" schrieb?

 

… dass Ostpreußen sein „Retablissement“ dem „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. von Preußen verdankt, der zwölf Städte und 332 Dörfer neu gründete, nachdem eine verheerende Pest Ostpreußen entvölkert hatte? Insbesondere kamen damals die „Salzburger Exulanten“ nach Ostpreußen.

 

… dass zwar schon von Peter den Großen an verschiedene russische Zaren und Zarinnen die Einverleibung Königsbergs und Ostpreußens in das Russische Reich anstrebten, was aber immer wieder unterblieb oder rückgängig gemacht wurde, weil dem Hofe in St. Petersburg schließlich doch gutnachbarliche Beziehungen zu Preußen wichtiger waren als der Besitz deutschen Gebietes?

 

… dass der seltsame Name „Treudank“ des südostpreußischen Grenzlandtheaters Allenstein seinen Anlass in der Volksabstimmung 1920 in Masuren zugunsten Deutschlands hatte? Zum Dank für diese Treue stiftete das Deutsche Reich dieses Theater.

 

… dass vor 600 Jahren im westpreußischen Ordensland ein jährliches Vogelpreisschießen mit Armbrüsten durch Verordnung des Hochmeisters eingeführt wurde?

 

… dass nach Berichten aus dem 14. Jahrhundert die heutige Halbinsel Hela vor der Danziger Bucht damals noch eine Insel war, die eine runde Form aufwies?

 

… dass es vor der Stadt Hela auf der gleichnamigen Ostseehalbinsel ein Alt-Hela gegeben hat? Die Kirche von Alt-Hela stand noch um 1700, die Stadt aber ist verschwunden, und man erzählt sich, dass sie auf dieselbe Weise untergegangen sei wie das sagenhafte Vineta.

 

… dass in Danzig 1644 beim Bau der Festungswerke durch Adam Whybe die erste vollkommene Seilbahnanlage in Deutschland zur Durchführung der Bauarbeiten urkundlich erwähnt wird?

 

Seite 7   Sudetenland – einst Herzland des Reiches

Führen nicht alle Heimatvertriebenen des deutschen Ostens immer wieder darüber Klage, wie wenig man von ihrer Heimat und von ihnen weiß?

 

Wir wollen heute einmal anders fragen: Was wissen wir denn von ihnen, den sogenannten Einheimischen? Oder noch anders: Was wissen wir Ostdeutschen voneinander, von denen, die das gleiche Schicksal mit uns teilten? Was wissen wir Ostpreußen beispielsweise von Schlesien, von Pommern oder gar vom Sudetenland, von den südostdeutschen Siedlungsgebieten in Ungarn und Rumänien, was wissen wir von den Balten? Seit Jahrhunderten trugen wir im Osten das gleiche Schicksal, teilten miteinander das gleiche Leid der großen deutschen Tragöde von 1945 und der schrecklichen Nachkriegsjahre. Und doch – wie wenig wissen wir voneinander.

 

Dieses Wissen, um unseren nächsten Nachbarn zu vertiefen, will diese Artikelserie aus der Feder einer Reihe namhafter Autoren dienen. In den einzelnen Arbeiten sollen jeweils auch die engen Verbindungen und schicksalhaften Verknüpfungen unserer Heimat zu der betreffenden ostdeutschen Landschaft aufgezeigt werden, Gemeinsamkeiten in Herkunft und geschichtlicher Entwicklung.

 

Vor mir liegt ein „Volkskalender für Sudetendeutsche“. Auf seiner ersten Seite finde ich einen Auszug aus den Regeln des Deutschen Ritterordens. Ich schrieb dem Herausgeber des Kalenders, dem sudetendeutschen Dichter Josef Schneider, von meiner Freude über diese Entdeckung. Er antwortete mir: „Der Deutsche Ritterorden hat auch zum Sudetenlande engere Beziehungen. Sie wissen sicher, dass die letzten Hoch- und Deutschmeister ihren Sitz im Ostsudetenlande (Troppau bzw. Freudenhal) hatten, so dass die Regeln des Deutschen Ritterordens auch zum Sudetenland echte landschaftliche Beziehungen hatten“.

 

Ich nehme dies als ein Symbol dafür, dass wir Ostdeutschen enger zusammenrücken und einander sagen sollten, was wir zu sagen haben. Der erste Missionar der Preußen war der in Deutschland erzogene Adalbert von Prag. Er wurde 998 im Samland erschlagen. Uns fällt ein, dass Königsberg seinen Namen nach König Ottokar von Böhmen trägt. Der große tschechische Prediger und Lehrer Johann Amos von Comenius lehrte auch in Elbing. Herzog Albrecht von Preußen siedelte um ihres Glaubens willen vertriebene „Böhmische Brüder“ in dem Gebiet zwischen Marienwerder und Soldau an. Auf der Elbinger Höhe führte ein Dörfchen den Namen Böhmisch Gut. Wir merken, dass von Ost- und Westpreußen nach Böhmen und Mähren schon lange Fäden hin- und hergelaufen sind.

 

Walter von Molo, geboren zu Sternberg in Mähren, schrieb mir einmal: „Es müssen da Zusammenhänge existieren zwischen den alten österreichischen Kultur- und den Kolonisationsländern Ost- und Westpreußen. Jedenfalls hatte ich, als ich aus Wien nach Norddeutschland kam, in Ost- und Westpreußen sofort heimatliche Gefühle“.

 

Den Anstoß zum Schreiben dieser Zeilen gab mir aber ein Gedicht von Agnes Miegel. In den „Ordensdomen" las ich ihre Verse von der „Lorenzkapelle vor der Marienburg". Ich vernahm von dem Bernsteinkelch, den ein Ordensherr zum Hradschin, der Prager Burg, getragen hat. Ich hörte vom „Ackermann und der Tod" und von den Bildtafeln, die ein deutscher Meister aus Böhmen für den Altar der Ordenskirche in Graudenz gemalt hat. Das ließ mich aufhorchen, und ich wollte davon mehr wissen. Ich fragte Agnes Miegel und erhielt Antwort.

 

Die Lorenzkapelle war die vor dem Tor liegende Kapelle des Laiengesindes der Marienburg. Der zuerst um 1880 in seinem Wert von Kölner Domherren erkannte, damals noch teilweise in Danzig bewahrte, später ganz in der Lorenzkapelle aufgestellte Altar stammte aus der abgerissenen Ordenskirche in Graudenz. Es war ein herrliches Werk, bis auf einen Außenflügelteil vollkommen erhalten, von dem Schmelz einer alten Ikone. Geschaffen war er von einem Meister der deutsch-böhmischen, stark von Burgund beeinflussten Schule. Zwischen dem Land an der Moldau und dem Deutschen Orden bestanden lebhafte Beziehungen. Davon zeugten viele Tafelbilder, Handschriften, Vesperbilder und Statuen. Der in der Lorenzkapelle aufgestellte Altar zeigte — bis ins Rahmendetail durchdacht — das Marienleben und die Passion, unvergesslich für jeden, der ihn jemals sah. Der schöne braunäugige, hellbraunlockige bärtige Christus war ganz unverkennbar Porträt. Alle Tafeln waren herrlich, am schönsten das Noli me tangere. Leider war dieser Altar kaum bekannt, da die Schlüssel zu der Kapelle und die Erlaubnis zur Besichtigung nur durch Oberbaurat Schmid zu erhalten waren. Der Altar soll im Auftrage eines Hochmeisters in Westpreußen gemalt worden sein. Der Austausch der kunstfrohen Gebietiger mit dem geistigen (auch in der Mystik) und in der Kunst bedeutenden Prager Hof war viel reger, als spätere Zeiten annahmen, da in der Reformationszeit vieles zerstört und verdeckt wurde.

 

Dies alles veranlasst mich, hier von den bis zu der großen Deutschenaustreibung in der Tschechoslowakei lebenden 3 ½  Millionen Sudetendeutschen zu erzählen. Diese Deutschen machten ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Tschechoslowakei aus. Sie zählten mehr Köpfe als ganz Dänemark Einwohner hat. Seit Karl dem Großen gehörte Böhmen durch alle Jahrhunderte bis 1806 zum Reich. Nach Karl dem Großen heißt das tschechische Wort für König král. Der Luxemburger Karl IV. machte Prag zur Hauptstadt des Deutschen Reiches. Nicht von allein, sondern von den Herren des Landes gerufen, kamen die Deutschen mit dem eisernen Pflug, der im tschechischen „pluh“ heißt. Sie kamen mit der Ordnung des Rechtes und mit der Kunst des Bauens und des Gestaltens in das Land, nachdem dort schon lange vor den Slawen die germanische Markomannen und Quaden gewohnt haben. Die Deutschen besiedelten vor allem die unwirtlichen, von den Tschechen gemiedenen gebirgigen, erst zu erschließenden Randgebiete sowohl Böhmens als auch Mährens und Sudetenschlesiens. Die Zeiten friedlichen Zusammenlebens waren immer Zeiten der wirtschaftlichen und kulturellen Blüte für die Deutschen ebenso wie für die Tschechen.

 

Weniges aus dem großen Reichtum, den deutsche Leistung diesem Lande schenkte, kann ich nur anführen. In Prag entstand die erste deutsche Universität. Das Deutsche der Prager Hofkanzlei gelangte über die kursächsische Kanzlei in Luthers Stübchen auf der Wartburg und wurde durch seine Bibelübersetzung zu der deutschen Hochsprache. Die Bauten Prags, der goldenen Stadt, sind das Werk deutscher Künstler, angefangen von Peter Parler, der den Veitsdom und die Karlsbrücke schuf. Die bewegte Loretto-Fassade auf dem Prager Burgberg ist ein richtiges deutsches Märchen. Der Barockbaumeister Böhmens ist der in Prag geborene Kilian Ignaz Dientzenhofer, der neben dem gleichfalls in Böhmen, in Eger, geborenen Balthasar Neumann und dem aus Danzig stammenden Andreas Schlüter zu den großen deutschen Barockbaumeistern gehört.

 

Albrecht von Wallensteins Herzogtum Friedland lag im nördlichen Böhmen, wo die Burg Friedland noch heute von der Zeit kündet, in der Wallensteins Herzogtum in allen Kriegsstürmen ein wirkliches Fried-Land war, in dem durch seine Tatkraft neue Industrien, wie die Tuchmacherei, aufblühten. Die Vorfahren Friedrich Ludwig Jahns wurden vor dem dreißigjährigen Krieg wegen ihres Glaubens aus Böhmen vertrieben. Franz Schuberts Eltern stammen aus dem Altvatergebirge, von wo sie nach Wien auswanderten. In Prag fand die erste Aufführung von Mozarts „Don Giovanni" statt. Rainer Maria Rilke ist in Prag geboren. Gregor Mendel, der Begründer der wissenschaftlichen Vererbungslehre, ist Sudetendeutscher, ebenso wie Böhmens größter Dichter Adalbert Stifter und der Literaturhistoriker Josef Nadler, der die Schriftumsgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften schrieb.

 

Wen soll ich noch erwähnen? Tausendfältig sind die Beziehungen des Deutschen Böhmens zum ganzen deutschen Volk. Gewaltig ist die Leistung der Deutschen für die mit den Tschechen gemeinsam bewohnte Heimat. Wohl übernahmen die Tschechen das Wort dik (= Dank) als Lehnwort in ihre Sprache, aber den Dank haben sie vergessen. Doch nimmt man die deutschen Züge aus dem Antlitz des Landes, so wird es grau und wesenslos.

 

Nur ein paar Namen noch, hinter denen für uns alle deutsche Leistungen stehen. Der Erfinder der Schiffsschraube Josef Ressel ist Sudetendeutscher. Der geniale Konstrukteur des Volkswagens, Porsche, ist in Maffersdorf bei Gablonz geboren. Harald Kreuzbergs Geburtsort ist Reichenberg. Hugo Lederer, der das Bismarckdenkmal in Hamburg schuf, ist Sudetendeutscher, ebenso wie der Bildhauer Franz Metzner, der Mitgestalter des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig.

 

Böhmisches Glas, böhmisches Leinen und Musikinstrumente aus Graslitz waren weltbekannt. Die Kargheit des Bodens hat die Sudetendeutschen früh gezwungen, sich neben der Land- und Forstwirtschaft nach einem weiteren Broterwerb umzuschauen. So sind diese Industrien entstanden. Haida, Steinschönau, Gablonz und Morchenstern waren die Hauptorte der Glasindustrie, von der ich noch etwas ausführlicher berichten will, als einem Beispiel für die anderen sudetendeutschen Industrien.

 

Die Glasmacherkunst der Deutschen in Nordböhmen trat bereits im Mittelalter in Konkurrenz mit der Venezianischen Glasindustrie. Die Sudetendeutschen stellten berühmte Glaskünstler aller Zeiten. Gläser werden aus Liebe geboren, aus Liebe zum Material und aus Liebe zur behutsamen Arbeit. Neben den vielen großartigen Bauten im ganzen Lande legt auch heute noch die weltberühmte Glassammlung im Kunstgewerbemuseum in Prag ein Zeugnis für die deutsche Leistung ab: Vasen, Teller, Schalen, Leuchter, Becher, Flakons in allen Techniken, geschliffen, geglättet, geschnitten, bemalt, vergoldet und was noch immer. Die Glasmacherkunst ist ein Gebiet, auf dem sich Handwerk und Kunst, der Industrialgedanke und die Persönlichkeitsgeltung, Heimatverbundenheit und eines Tief-in-die-Welt-Verströmens in einträchtigem Zusammenwirken begegnen, wie es in einem ausgezeichneten Büchlein über „Die böhmische Glaskunst und ihre Meister" von Stranik heißt. Die Wanderfahrten der böhmischen Glashändler führten durch ganz Europa, zu einem großen Teil zu Fuß mit dem Schubkarren. Diese böhmischen Glashändler sind wohl die ersten Hausierer in Europa gewesen. Sie boten keine Ramschware an, sondern beste Handwerkskunst. So ganz nebenbei erwarben sich die Glashändler durch ihre jahrelangen länderweiten Reisen eine nicht zu verachtende Welterfahrung.

 

Durch die Austreibung der Deutschen sind die geschlossen von Deutschen bewohnten Gebiete fast menschenleer geworden. Die Wiesen und Felder verwildern. Vielerorts wächst wieder Wald, wo der deutsche Mensch einmal mühselig der Wildnis den Boden abgerungen hat. Von den Tschechen, die aus dem fruchtbaren Landesinnern kommen, mag auch kaum einer auf dem kargen Gebirgsgrund hausen und sich mühen. In den Städten und Dörfern stehen viele Häuser leer oder werden abgebrochen, weil sie nicht mehr benötigt werden. Die Straßenbahnen stellen ihren Betrieb ein, weil er sich nicht mehr lohnt. Niemand kommt mehr von jenseits der Grenzen in die einst weltbekannten sudetendeutschen Bäder Karlsbad, Marienbad und Franzensbad.

 

Die vertriebenen Sudetendeutschen aber lassen den Kopf nicht hängen. So sind die Gablonzer, berühmt durch ihre Schmuckindustrie, ein Beispiel dafür, dass die Nachfahren das auch können, was die Ahnen vollbrachten, als sie die Wildnis bezwangen. Auf dem Gelände einer zerstörten Dynamitfabrik bei Kaufbeuren gründeten sie einen neuen Ort und nannten ihn Neu-Gablonz. Längst hat die Siedlung Schule und Kirche und Kaufhäuser. Selbst die für die Gablonzer Industrie dringend benötigte Fachschule ist wieder da. Mit einem Stück Blech aus einer alten Konservendose und einer Schere begannen sie, und heute haben ihre Erzeugnisse wieder Weltruf, geht ihr Export wieder über alle Meere.

 

Darüber hinaus haben sie aber wie alle Menschen des deutschen Ostens die Heimat nicht vergessen, sondern warten auf die Heimkehr, wie die Heimat auf sie wartet. Es tröstet sie wie uns alle aus dem deutschen Osten das Wort ihres Landsmannes Adalbert Stifter: „Solange die Geschichte spricht, hat Frevel nie dauernd gesiegt, nur die Zeit ist die Frage, und was zwischen Anfang und Ende liegt“. Bernhard Heister

 

Seite 7   Schmunzelecke.

Schlagfertig

Zu Friedrich dem Großen kam einmal ein Kandidat der Theologie und bewarb sich um eine Pfarrstelle. Der König fragte ihn, woher er gebürtig sei. „Aus Berlin!" erwiderte der Kandidat.

„Dann packe er sich fort, denn die Berliner Zucht taugt nichts!" erklärte der Herrscher in seiner bekannt barschen Art.

„Aber Majestät", entgegnete ungerührt der Bewerber, „manchmal gerät sie doch, und ich allein kenne zwei Ausnahmen!"

„Wer sind die?"

„Eure Majestät und ich!"

Daraufhin bekam der Kandidat umgehend seine Pfarrstelle.

 

Selbst gewaschen

Bei einem Manöverball in Pommern erschien einmal ein Leutnant, dessen Handschuhe nicht mehr ganz weiß waren. Papa Wrangel stellte den Leutnant zur Rede. Der Leutnant versuchte sich zu entschuldigen: „Bei den anstrengenden Manöverübungen habe ich meinem Burschen nicht mehr zumuten wollen, auch noch meine Handschuhe zu waschen!" Da zog Wrangel ein blendend weißes Paar Handschuhe aus der Tasche und knurrte: „Da nehmen Sie diese, ich hab sie mir selbst gewaschen!"

 

Der Zweifler Kant

Immanuel Kant, der große deutsche Philosoph aus Königsberg und Autor des Werkes „Kritik der reinen Vernunft", schloss einmal eine Versicherung ab. Die 26. Frage des umfangreichen Antragsformulars lautete: „Haben Sie schon einmal Blinddarmentzündung gehabt?" Kant schrieb darunter: „Darüber bin ich mir nie klar geworden! Mir wurde zwar der Blinddarm operativ entfernt, aber ich weiß bis heute noch nicht, ob es Blinddarmentzündung oder ärztliche Neugier war!"

 

Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk,

Das höchste Gut des Volkes ist sein Recht,

Des Volkes Seele lebt in seiner Sprache.

Dem Volk, dem Recht und seiner Sprache treu

Fand uns der Tag, wird jeder Tag uns finden!

Felix Dahn / Spruch am Rathaus zu Eger

 

Seite 7   Hockewanzel, ein sudetendeutsches Original

Hockewanzel, der Müllersohn Wenzel Hocke, der im 18. Jahrhundert Pfarrer und Erzdechant geworden war, ist eine der populärsten Persönlichkeiten gewesen, weil er ein so typischer Vertreter des sudetendeutschen Volkstums gewesen ist. Es sind von ihm eine Unzahl von Schnurren und Anekdoten im Volksmund der Sudetendeutschen lebendig. Eine davon berichtet, wie die Sandauer Bauern, welche dem Erzdechanten dezempflichtig waren, in Vergeltung für seine sprichwörtliche Sparsamkeit ihm einmal Küche und Keller leerten. Die Sandauer hatten dem gestrengen Erzdechanten ihre Zinsanteile an Roggen, Gerste und Hafer abzuliefern, was sie nicht gerade freute, da es der hochwürdige Herr mit Gewicht und Güte sehr genau nahm. Außerdem war das Dezemmahl, das der Priester den Zinspflichtigen nach alter Gewohnheit zu geben hatte, bei Hockewanzel nicht gerade üppig. Es bestand auch diesmal wieder nur aus Landbier und Butterbroten. Dazu war die große Stube an diesem kühlen Tage nicht geheizt. Aber die Sandauer wussten, was sie wollten. Als Hockewanzel nach geraumer Zeit, in der die Bauern schon mehr Bier als vorgesehen getrunken hatten, in den Raum trat, mit der Mahnung, seine Gäste würden sich erkälten, da erklärten ihm diese, auch kaltes Bier wärme, wenn man es nur bekomme. Um die sesshaften Bauern loszuwerden, ließ Hockewanzel tüchtig einheizen, so tüchtig, dass die Besucher ins Schwitzen kamen. Aber das war ihnen nur recht, sie zogen die Jacken aus, machten sich's gemütlich und tranken noch mehr von dem Bier ihres Kirchenherrn, bis dessen Keller auf die letzte Kanne geleert war. Schmunzelnd sah Hockewanzel den abziehenden Sandauern nach; er kannte ja seine Pfarrkinder.

 

Seite 7   „Das Gericht ist mein!“

Richtet gerecht, ihr Menschenkinder! Denn also mit welchem Maße ihr messet, damit soll auch gemessen werden. Das heißt, welches Urteil ihr über die Menschen aussprechet, die Gott bei seiner Kreuzigung so sauer geworden sind, das gleiche Urteil, es sei gerecht oder ungerecht, fällt in derselben Stunde auf euch! Ist es gerecht, so steht vor euren Augen das Wort, das König David spricht: Lobet Gott, ihr Richter des Erdreichs! Ist es aber ungerecht, so geht ihr in das ewige Gericht unseres Herrn ein zur ewigen Verdammnis. Denn Gott hat es ausdrücklich durch des Propheten Mund ausgesprochen: Das Gericht ist mein! Und darum sollt ihr wissen, dass ihr gerecht richten müsst, wenn ihr die ewige Verurteilung vermeiden wollt.

 

Und denket beständig daran, dass man um Gottes wegen bei Gericht sitzt; und darum geben die Richter mit ihren gerechten Urteilen Gott die Ehre. Und aus diesem Grunde müssen die Richter nach beiden Seiten gleichgesinnt sein, wenn sie vor der Gerichtsstätte sitzen. Im Besonderen dann sitzt man auch zu Gericht um der Menschen wegen. Und da nun der Mensch Gottes Geschöpf ist, das aus göttlichen Ursachen regiert werden soll, und wenn nun jemand an dem Geschöpf sündigt, der handelt übel an dem Schöpfer; deshalb muss er es auch an dem Schöpfer sowie an dem Menschen wieder gut machen mit einer Buße. Und weil nun der Richter an Gottes Stelle sitzt, so leistet man also dem Richter die Geldstrafe und jenem, an dem man gefehlt hat, die Buße.

Dieses Bruchstück eines Weichbildrechtes der Stadt Leitmeritz in Böhmen stammt aus dem 14. Jahrhundert. Es zeugt von der hohen sittlichen Kraft und dem wunderbaren Geist des Rechtes unserer Vorfahren.

 

Seite 7   Im alten Hause. Von Rainer Maria Rilke

Im alten Hause, vor mir frei

seh ich ganz Prag in weiter Runde.

Tief unten geht die Dämmerstunde

mit lautlos leisem Schritt vorbei.

 

Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.

Nur noch, wie ein behelmter Hüne,

ragt klar vor mir die grünspangrüne

Turmkuppel von Sankt Nikolas.

 

Schon blinzelt da und dort ein Licht

fern auf im schwülen Stadtgebrause. —

Mir ist, dass in dem alten Hause

jetzt eine Stimme ,Amen' spricht.

 

Seite 8   Willkommen in Mannheim. Die Patenstadt gerüstet für das Memellandtreffen am 21./22. September 1957

Mannheim hat allen Grund, seine Gäste von nah und fern in diesem Jahre besonders herzlich willkommen zu heißen, denn es dürfte sich inzwischen wohl auch bei den Memelländern herumgesprochen haben, dass ihre Patenstadt auf ein 350-jähriges Bestehen zurückblicken kann. Man braucht nur einige große Ereignisse dieses Jubiläumsjahres wie z. B. die Einweihung des neuen Nationaltheaters auf dem Goetheplatz, die Eröffnung des Reiss-Museums mit den städtischen Sammlungen, den Internationalen Rheintag und das Badische Landesturnfest zu nennen, um vor Augen zu führen, welch' Geistes Kind diese Stadt ist, und welche Kräfte ihre Entwicklung seit dem letzten Memellandtreffen 1955 bestimmt haben.

 

Besonders den Theaterbau, der jetzt zwei Spielhäuser unter einem Dach vereinigt und bis zu 2000 Zuschauer aufnehmen kann, haben die theaterbegeisterten Mannheimer als eine kulturelle Verpflichtung betrachtet, die sie der Tradition wie der Gegenwart schuldig zu sein glaubten. In der in- und ausländischen Presse hat diese Tat denn auch ihr entsprechendes Echo gefunden und Mannheim in den Mittelpunkt lebhafter Diskussionen gerückt. Kurz nach der Einweihung des neuen Hauses konnte am 24. Januar, dem Tage der Stadtgründung im Jahre 1607, das Reiss-Museum im wiederhergestellten Zeughaus seiner Bestimmung übergeben werden. Es zeugt für den hier immer lebendig gebliebenen Bürgersinn, dass es durch die Hinterlassenschaft eines großherzigen Mäzens möglich war, das Zeughaus, einen der letzten großen Barockbauten der Kurfürstenzeit, so herzurichten, dass dort die kostbaren städtischen Sammlungen nun eine dauernde Heimstätte finden konnten. Wer heute nach Mannheim kommt, wird weder am Nationaltheater, noch am Reiss-Museum vorübergehen wollen, ohne dort einen Besuch abzustatten, um neue Eindrücke von den Kulturleistungen dieser Stadt mitzunehmen.

 

Alle diese Leistungen wären jedoch nicht möglich ohne das gesunde Wirtschaftsgefüge, dem Mannheim in erster Linie seinen Wiederaufstieg nach dem Kriege verdankt. Der Internationale Rheintag gab reichlich Gelegenheit, die enge Verflechtung der Mannheimer Wirtschaft mit dem Ausland und vor allem den Anliegerstaaten des Rheinstroms sinnfällig zu machen. Von der Industrie, dem Handel und dem Verkehr gehen mehr denn je starke Impulse auf das gesamte öffentliche Leben aus. Dies kommt nicht zuletzt auch in der regen Bautätigkeit zum Ausdruck, die sowohl in der Innenstadt wie in den Wohnvierteln der Vororte allenthalben sichtbar ist. Auch im Hafengebiet gibt es manches Neue zu sehen, Speicher, Verwaltungsgebäude, Hubbrücken u. a. m., die dokumentieren, dass der steigende Warenumschlag im zweitgrößten Binnenhafen Europas Modernisierungen aller Art notwendig gemacht hat. In diesem Zusammenhang sei noch ein interessantes, für Mannheim wie Ludwigshafen gleichermaßen bedeutsames Bauprojekt erwähnt: die beträchtliche Verbreiterung der Rheinbrücke und die damit verbundene neue Verkehrsführung an den Brückenköpfen auf beiden Ufern, zur Zeit das größte Projekt des Bundesverkehrsministeriums, das insgesamt auf 60 Millionen DM beziffert wird, und dessen Durchführung etwa vier Jahre beanspruchen dürfte. Während mit den Vorarbeiten soeben begonnen wurde, ist die letzte noch kriegszerstörte Brücke über den Neckar neu wiederhergestellt und für den Verkehr freigegeben worden. Alle diese kostspieligen Verbesserungen sollen dazu dienen, den Verkehr in der regsamen Stadt flüssiger zu gestalten und auch eine direkte Verbindung zwischen dem Hafengebiet und der Autobahn zu schaffen.

 

Der Memelländer, der von außerhalb nur zu einem ein- oder zweitägigen Aufenthalt nach Mannheim kommt, wird sich freilich mehr noch für die Veränderungen interessieren, die innerhalb des Stadtbildes vor sich gegangen sind. So lohnt sich für ihn z. B. ein Gang zum Marktplatz, um dort das inzwischen renovierte Alte Rathaus zu besichtigen, in dessen neugestalteten Räumen jetzt das Standesamt untergebracht ist, es lohnt sich vor allem aber auch ein Besuch der Schlosskirche, deren Innenraum vollkommen stilgerecht wiederhergestellt worden ist und so als schönes Beispiel für die Kunst des 18. Jahrhunderts gelten darf, überrascht wird wohl mancher auch an den neuen Grünanlagen verweilen, die das Stadtzentrum mehr und mehr auflockern und ihm ein freundliches Gepräge geben. Das geplante Pflanzenschauhaus im Luisenpark verspricht dazu ein besonderer Anziehungspunkt zu werden. Mit einiger Enttäuschung wird der Gast allerdings bemerken, dass das Wahrzeichen der Stadt, der Wasserturm, am Friedrichsplatz, immer noch ohne seine angestammte Kopfbedeckung auf die Jubiläumsstadt herabsehen muss, aber es mag auch für ihn tröstlich sein zu erfahren, dass man den ihm geziemenden Hut nun bald beschaffen will.

 

Wohin man den Blick auch wenden mag, fast überall ist Mannheim in Bewegung und dabei, sein Gesicht zu verändern. Viele Baulücken haben sich geschlossen, moderne Geschäftshäuser und öffentliche Gebäude haben neue Akzente gesetzt, so die Hauptpost am Paradeplatz, der Mannheimer Hof als das modernste Hotel der Stadt an der Augusta-Anlage; selbst der lange vernachlässigte Bahnhof hat eine weiträumige Eingangshalle erhalten und im Zuge der fortschreitenden Elektrifizierung der Bundesbahn sind auch die hässlichen Bahnüberdachungen niedrigen Dachwölbungen gewichen.

 

Wer Zeit genug hat, sollte sich nicht die Ausstellung „Mannheim im Bild" entgehen lassen, die aufschlussreiche fotografische Dokumente aus den letzten hundert Jahren zeigt und interessante Vergleiche zwischen dem Einst und Heute zulässt, Vergleiche, die gerade den Memelländer mit seiner Patenstadt näher vertraut machen.

 

Dass Mannheim aber auch weiß, was es der Jugend und dem Sport schuldig ist, hat mit aller Deutlichkeit das so erfolgreich verlaufene Badische Landesturnfest bewiesen. Der Schauplatz dieses Ereignisses war das aus diesem Anlass teilweise neu hergerichtete Stadion und das erst im vorigen Jahr eröffnete Herzogenriedbad, dann aber auch die ganze Stadt, die wie immer bei solchen Gelegenheiten sich mit ihren Gästen besonders eng verbunden fühlt.

 

Beim diesjährigen Bundestreffen der Memelländer wird es nicht anders sein und deshalb ruft Mannheim schon heute seinen Gästen ein „Herzlich willkommen in der Patenstadt" zu. Pn.

 

Seite 8   Foto: Mannheim grüßt die Memelländer. Die Aufnahme zeigt den Friedrichsplatz im Zentrum der Stadt mit dem Wahrzeichen Mannheims, dem Wasserturm. Städt. Bildarchiv Mannheim (5290)

 

Seite 8   An Memel. Simon Dach (geb. 19.07.1605 zu Memel)

Ich hätte zwar der Dangen Rand

Noch gern einmal gegrüßet,

Gern dich, mein liebes Vaterland,

zu guter Letzt geküsset,

 

Eh' mich der Tod hätt' aufgeleckt,

Der mich verfolgt ohn' Ende

Und stets nach mir hält ausgestreckt

Die abgefleischten Hände.

 

Ich bin auf andre Lust bedacht,

Die Gott mir dort wird geben.

Du werte Mümmel, gute Nacht,

Du müssest glückhalt leben.

 

Kein Unmut, kein Verdruss, kein Leid

Geb Ursach dir zu trauern.

Empfinde Fried" und gute Zeit

Stets innen deinen Mauern.

 

Gehabt euch wohl, ihr Berg und Tal,

Stein, Bäume, Büsch' und Auen,

Wo ich gescherzt so manches Mal,

Ich werd' euch nicht mehr schauen!

 

Seite 8   Wat et nich aller göfft. Seltsamkeiten aus der Heimat.

„… wenn kein Mondschein stattfindet“

Wat et nich aller göfft! Diesen Ausruf kann man sich nicht verkneifen, wenn man von diesem Schildbürger- (Verzeihung Tilsiterstreich) hört. Geschehen vor genau hundert Jahren. Da ließen in der „Stadt ohnegleichen", wie das schöne Tilsit einstens in der Provinz genannt wurde, die sparsamen Stadtväter alle Straßenlampen löschen, wenn laut Kalender der Mond zu scheinen hatte! Denn wozu gab es denn diesen himmlischen Leuchttrabanten! Stand dieser aber turnusgemäß nicht im Kalender, vermochten die hier und da einsam baumelnden trüben Ölfunzeln auch nicht viel gegen die Dunkelheit, und wir müssen dem Zeitgenossen glauben, der uns eine „allenthalben im Städtchen herrschende ägyptische Finsternis" bescheinigt. Wahrscheinlich dieser hinlänglich bekannten Tatsache Rechnung tragend und auch wohl aus echter Sorge um das Wohl und Wehe der guten Bürger, so ihrem abendlichen Dämmerschoppen zustrebten, erließ der damalige Polizeigewaltige der Stadt, Herr Schlimm, die strenge Muss-Anordnung (wie hier im Original zu lesen), dass die Herren Gast- und Schankwirte selbst für " die Beleuchtung zu ihren Lokalitäten zu sorgen haben, um ihren Gästen hin- und den in den Knien etwas schwach Gewordenen heimzuleuchten. Wohlgemerkt, aber nur an denjenigen Abenden, an welchen kein Mondschein stattfindet, zu welchem Behufe dann noch ein uns jetzt sehr interessanter Kalenderauszug beigegeben wurde.

 

Von besonderem Interesse für uns Spätgeborene wäre nun noch zu wissen, was an den Abenden passierte, an welchen trotz Mondschein im Kalender sich dieser infolge Bewölkung den Tilsitern nicht zeigen wollte. Dann sah es wohl schlimm aus. Herr Schlimm?

Ja ja, die gute alte Zeit! ha.

 

Bekanntmachung

Den Herren Gast- und Schankwirthen wird hierdurch bekannt gemacht, dass an denjenigen Abenden, an welchen kein Mondschein stattfindet, die Beleuchtung zu den Gast-Lokalen bestehen muss, und werden zugleich nachstehend derjenigen Abendwärter begrüßen, an welchen im Laufe des Jahres 1858 die Anzündung der Laternen erforderlich ist.

 

Vom 1. bis incl. Den 19. Januar,

Vom 30. Januar bis incl. den 17. Februar,

Vom 1. bis incl. den 17. März,

Vom 30. März bis incl. den 15. April,

Vom 28. April bis incl. den 30. April,

Vom 1. bis incl. den 16. September,

Vom 28. September bis incl. den 15. Oktober,

Vom 25. Oktober bis incl. den 13. November,

Vom 23. November bis incl. den 11. Dezember,

Vom 21. bis incl. den 31. Dezember.

???, den 4. Dezember 1857

Königliche Polizei-Inspektion. Schlimm

 

 

Seite 8   Preußischer Kulturbesitz.

Der Berliner Senat hat dem Bundesgesetz zur Errichtung der „Stiftung preußischer Kulturbesitz" zugestimmt. Die Stiftung wird ihren Sitz in Berlin haben. Sie hat die Aufgabe, das kulturelle Vermögen des ehemaligen Landes Preußen bis zur endgültigen Regelung nach der Wiedervereinigung für das deutsche Volk zu bewahren, zu pflegen und zu ergänzen.

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg – Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Allenstein wird Rose Maria Brunhilde Olstein, geboren am 7. November 1944 in Allenstein gesucht von ihrem Großvater Friedrich Kutz, geboren am 18. Juli 1894. Rose Maria Olstein wurde im Hindenburg-Krankenhaus in Allenstein, ehemalige Adolf-Hitler-Allee 10, geboren. Die Mutter des Kindes starb bei der Geburt. Schwestern aus dem Hindenburg-Krankenhaus könnten über das Schicksal des Mädchens Auskunft geben.

 

Aus Caspershöfen, Kreis Samland wird Helga Anita Muntau, geboren am 2. Oktober 1943 in Caspershöfen gesucht von ihrer Mutter Margarete Ball, geschiedene Muntau, geborene Lesch, geboren am 12. September 1924. Helga-Anita Muntau befand sich im Oktober 1947 bei ihrer Großmutter Maria Karp in Postnicken bei Nautzken, Kreis Samland. Sie wurde im Oktober 1947 von der Großmutter in ein Waisenhaus nach Königsberg gebracht. Seitdem wird Helga Anita Muntau vermisst.

 

Aus Fuchsberg, Kreis Samland wird Eckehard Juckel, geboren am 5. Mai 1943 in Königsberg gesucht von seinem Vater Erwin Juckel, geboren am 9. Juni 1914. Eckehard befand sich zusammen mit seiner Mutter Christa Juckel, geborene Liedtke, geboren am 17. November 1917, am 3. Februar 1945 auf der Flucht in Richtung Zinten/Ostpreußen. In Zinten musste die Mutter in das Krankenhaus.

 

Aus Guttstadt, Kreis Heilsberg werden Dieter Kraass, geboren am 13. September 1942 und Günther Kraass, geboren am 20. Februar 1940 gesucht von ihrem Vater Otto Kraass, geboren am 16. August 1915. Beide Kinder sollen sich mit der Mutter Johanna Kraass, geborene Preuss, 1945 noch in der Wohnung Guttstadt, Gerichtsplatz 5, aufgehalten haben.

 

Aus Herrmannshörst, Kreis Allenstein wird Helga Kanert, geboren am 21. November 1944 in Alt Allenstein gesucht von ihrer Mutter Margarete Kanert, geboren am 16. März 1913. Die Mutter musste ihr Kind am 26. Januar 1945 in Langgut bei Osterode in einem Kinderwagen ohne Räder stehen lassen.

 

Aus Hohenschanz, Kreis Ebenrode wird Klaus-Wolfgang Olschewski, geboren am 6. Februar

1942 in Hohenschanz gesucht von seiner Mutter Erika Grazatin, verwitwete Olschewski, geborene Reiner, geboren am 22. November 1921. Klaus-Wolfgang Olschewski soll sich in einem Lager in Miluhnen, Kreis Ebenrode befunden haben und im November 1947 mit einem Transport nach dem Westen gekommen sein.

 

Aus Insterburg, Boelckestraße werden die Zwillinge Christel Lange und Doris Lange, geboren am 24. Dezember 1940 gesucht von ihren Großmüttern Marie Lange und Luise Dannies. Die Mutter der Kinder Irmgard Lange, geborene Dannies, ist etwa im Februar 1945 nach Stolp geflüchtet und wohnte dort in der Schlawerstr. 80 im Hause des Herrn Lembcke. Irmgard Lange soll mit den Kindern in Gotenhafen gesehen worden sein.

 

Aus Königsberg, ehemalige Hermann-Göring-Straße 185 wird Waltraud Blum, geboren am 30. August 1944 in Königsberg gesucht von ihrem Vater Herbert Blum, geboren am 26. September 1908. Waltraud Blum wurde im Februar 1945 mit einer Lungenentzündung in die Kinderklinik „Volksgarten" in Königsberg eingeliefert. Seit der Evakuierung der Kinderklinik „Volksgarten" wird Waltraud vermisst.

 

Aus Königsberg, Hinter Roßgarten 10 wird Bernd Paulusch, geboren am 20. Februar 1944 gesucht von seinem Vater Walter Paulusch, geboren am 6. Januar 1888. Die Mutter Martha Paulusch, geboren am 9. Oktober 1902, soll 1943 bei einem Bombenangriff auf Pillau schwer verletzt worden sein. Bernd wurde danach im Gasthaus zum „Goldenen Anker" in Pillau untergebracht.

 

Aus Königsberg, Rosenauer-Straße 39 wird Gisela Pustan, geboren am 11. März 1943 in Königsberg gesucht von ihrer Schwester Waltraud Geilfuß, geborene Pustan, geboren am 30. September 1936. Gisela wurde während der Flucht von einer Familie auf einem Treckwagen mitgenommen.

 

Aus Liekeim, Kreis Bartenstein wird Bärbel Losch, geboren am 17. März 1943 in Bartenstein gesucht von ihrem Vater Richard Losch, geboren am 21. Oktober 1917. Bärbel Losch ist am 20. Februar 1947 in Kibarten/Litauen verloren gegangen. Während die Tante Gerda Kohse sich um eine Unterkunft bemühte, soll das Kind, dass sich bei einem Bauern in Kibarten befand, von einer Frau abgeholt worden sein. Bärbel Losch hat blaue Augen und blondes Haar.

 

Aus Mühlen, Kreis Osterode werden in einem besonderen Nachforschungsfall frühere Einwohner, welche über das Schicksal einer Emilia Kaminski und ihres Neffen Kurt Kaminski, geboren am 12. April 1940, aussagen können. Beide sollen zuletzt in Mühlen, Kreis Osterode, gesehen worden sein und sind vielleicht auch dort verstorben.

 

Aus Neuhäuser bei Pillau, Kreis Samland wird Marianne Kreuzmann, geboren am 16. Dezember 1941 gesucht von ihrer Tante Margarete Kreuzmann, geboren am 23. November 1901. Marianne Kreuzmann wird seit dem 15. April 1945 vermisst. Sie wurde von einem Sanitäter in Pillau I, zwischen Zitadelle und Lotsenturm, geborgen. Durch Wiederbelebungsversuche wurde Margarete gerettet und dann einer Roten Kreuz Schwester, welche die Absicht hatte nach Deutschland zu fahren, zur weiteren Obhut übergeben. Der Name der Schwester ist jedoch nicht bekannt. Wer erinnert sich an das Schiffsunglück in der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 in Pillau und kann über den weiteren Verbleib des Kindes Marianne Kreuzmann Auskunft geben? Das Kind war bekleidet mit einer rot/ blau karierten spitzen Mütze aus Wollstoff, einem blauen Mäntelchen und einem schwarzen Wollröckchen mit einer hellroten Samtpasse.

 

Aus Richenau, Kreis Graudenz werden Erika Opel, geboren am 2. April 1943 und Christel Opel, geboren am 28. Januar 1938 gesucht von ihrem Vater Paul Opel, geboren am 6. Mai 1909. Die Geschwister befanden sich in Pflege bei ihrer Tante Genofeva Opel, geboren am 29. Januar 1922. Die Tante wird ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Roczwozien, Post Zaromien, Kreis Mielau, werden Jochen Weick, geboren am 4. Mai 1938 und Günther Weick, geboren am 2. Mai 1937 gesucht von ihren Tanten Erna Tucher, geborene Weick und Frieda Ohm, geborene Weick.

 

Aus Spirdingsblick, Kreis Sensburg wird Sigrid Beckmann, geboren am 15. Oktober 1935 gesucht von ihrer Mutter Margarete Hamelmann, verwitwete Beckmann, geborene Blonski, geboren am 27. Dezember 1904. Sigrid Beckmann wurde am 10. März 1945 in der Nähe von Gossentin bei Neustadt Danzig verwundet und durch einen Leutnant Klaus, von einer Panzer-Einheit, dem ein Arm fehlte, zum Hauptverbandsplatz gebracht.

 

Aus Schaaken, Kreis Samland wird Helga Kaschuh, geboren am 13. April 1944 in Königsberg gesucht von ihrer Mutter Hilde Kaschub, geboren am 15. Juni 1914. Helga Kaschub wurde am 15. März 1945 in das Säuglingsheim für Flüchtlinge des Deutschen Roten Kreuzes in Zoppot, Markt 1, eingeliefert, während die Mutter in die Frauenklinik Langfuhr zur Entbindung kam. Die leitende Schwester des Säuglingsheimes in Zoppot, Markt 1, hieß Charlotte und könnte eventuell über den Verbleib des Kindes Helga Kaschub Auskunft geben.

 

Seite 9   Meerumschlungenes Hela / Verlorenes Ferienparadies. Seemann gib acht!

Wer weiß, in welcher Gestalt sich die Vorstellungen von der meerumgebenen Halbinsel Hela in der Zukunft erhalten werden. – Alle freundlichen, liebenswerten Erinnerungen an dies Ferienparadies einer einsamen und gewaltigen Natur retteten sich vor dem Höllenfeuerwerk, das 1945 auf das schmale Eiland niederging, in den letzten Winkel der gepeinigten Menschenseele. Sie versanken in dem Schmerz des Grauens und in der dumpfen Niedergeschlagenheit, die sich nach den letzten Einschlägen der Bomben und Granaten plötzlich auf die zusammengedrängten, zurückgebliebenen Menschen legte. Denn wer dies Inferno auch lebend überstanden hatte, — es erwartete ihn nichts als die stumpfe Zukunft einer unbemessenen Gefangenschaft voller Hunger und Elend. In diesen Tagen und Stunden schien sich das ungeklärte Wort „Hel" endgültig in seiner Bedeutung zur wahren „Hölle" verdunkelt zu haben. Selbst die Polen, eifrig und freudig mit Umbenennungen bei der Hand, hatten mit dem Wort nichts anzufangen gewusst, als ihnen 1919/1920 beim Herausschneiden des „polnischen Korridors" auch die Helaer Landzunge in die Hände fiel. Sie hatten es beim alten Hela belassen. Freilich zog damals mit dem Bau der Eisenbahn eine künstlich erregte Betriebsamkeit in die stillen Fischerdörfer ein, und die Einheimischen sahen stumm und kritisch und voller Zweifel der wenig überzeugenden Verwandlung zu. Mit kritischer Tünche und mondänem Lärm entstand hier im Orte die Fassade für den Badebetrieb der polnischen Oberschicht und der international-östlichen Gesellschaft. Die gewohnten deutschen Gäste, unter ihnen auch manche seltsame „Einzelgänger" aus dem Reich, suchten die einsamer gelegenen Fischerhäuser auf. Denn in diesen hatte sich seit Jahrhunderten nichts verändert. Da war der Peter Müller und der alte Pieper, der Johann, Josef oder Leo-Onkel, und fast alle waren miteinander verwandt. Da waren die Dörfer Großenfeld, Ceynowa, Kußfeld und Heisternest, und am äußersten, hier ganze drei Kilometer ausladenden Ende des 35 km langen, sonst fadendünnen Dünenwalles das Dorf Hela, das seit 1378 Stadtrecht besaß. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Winrich von Kniprode, hatte es zur Stadt erhoben; aber es war ein Dorf geblieben.

 

Die Sage freilich webt farbenprächtige Züge in den schlichten Teppich der sturmumtosten Vergangenheit Helas: Vineta-Sagen von einer einstigen Seestadt — Reichtum und Pracht einer im Meere versunkenen Stadt volle Paläste und Schätze aus aller Herren Länder, Gold und Marmor, hochfahrendes Wesen und üppiges Leben ihrer meerebefahrenden Bewohner. Wer am Pfingstfeiertage unweit der Ruinen am Meeresgestade in nordwestlicher Richtung vom heutigen Badeort aus in die klaren Fluten schaut, der kann die Herrlichkeiten und das geschäftige Treiben von Alt-Hela auf dem Meeresgrunde loch erblicken. Dumpf und traurig tönt das Glockengeläute der Stadt an die Meeresoberfläche empor. Aber die Fischer meiden an diesem Tage und in der darauffolgenden Nacht die Stelle. Sie birgt Gefahren und Unglück. Und es bleibt der alte Traum, den der Fischer an der Ostsee wohl überall träumt, wenn er in den Mondscheinnächten die silbernen Netze aus der dunklen Flut zieht, Netzte, in deren Schimmer eigenartige Zeichen geritzt sind.

 

So alt wie der Traum von Glück und Reichtum eines harten, bedrohten Fischerdaseins sind auch diese Zeichen. Sie haben die Polenzeit überstanden und manchen Schiffbruch, den Wechsel der Generationen und manche Sturmflut. Sie sind realistischer Ausdruck des Strebens nach Erwerb und Kennzeichen des Eigentums, ohne das der Mensch eine persönliche Lebensgestaltung und -Steigerung nicht erreicht. Zeugen einer natürlich gewachsenen, freien Rechtsordnung im Daseinskampf, dessen Erträge täglich unter Gefahr des Lebens dem Meer abgerungen werden mussten. Sie sind Zeichen steifnackiger Selbstbehauptung, die nur mit der zähen Heimatliebe der Fischer in Vergleich gesetzt werden kann. Beides entspringt einem tieferen Bewusstsein, das diese Menschen fähig machte, jahrhundertelang dem Sturm und den Sturmfluten zu trotzen. Und an solchen hat es auf der Helaer Nehrung nicht gefehlt. Mehrmals durchbrach die See an verschiedenen Stellen den schmalen Dünenwall. Eine Karte von 1655 zeigt, dass Hela damals aus sechs Inseln bestand, die durch breite Durchfahrten voneinander getrennt waren. Auch auf späteren Karten sind verschiedene Gatte verzeichnet. Im Jahre 1874 durchbrachen die Sturmfluten die Halbinsel an drei Stellen. Die Hafenbauverwaltung Danzig legte umfangreiche Schutzbauten an. Aber trotzdem zerriss das Meer — eine Generation später im Jahre 1905 — die Landzunge bei Kußfeld und Ceynowa, und schließlich überspülten die Fluten die Halbinsel wieder an mehreren Stellen in der Sturmnacht vom 9. zum 10. Januar des Jahres 1914.

 

Die Helaer Fischer haben, in freiwilligen „Kompanien" organisiert, den Gewalten der Natur standgehalten. Während die Bewohner der westlichen Dörfer kassubische Vorfahren hatten, war Hela ein rein deutsches Dorf. 1919/1920 war es von rund 500 alteingesessenen evangelischen Fischern bewohnt, die sich mit gewissem Stolz „Bürger und Fischer" nannten. Von hier aus hatten sich humaner Sinn und rechtliches Gefühl auf der Halbinsel ausgebreitet und das alte „Strandrecht" verdrängt. Dies Seeräuberrecht soll nach der Sage die ersten Ansiedler mit Namen Bumrow auf das Eiland gelockt und reich gemacht haben. Noch im 14. Jahrhundert, als schon im Orte Hela eine Kirche erbaut war, sollen die Helenser Räuber um einen „gesegneten Strand" gebetet haben. Aber der Strandraub verschwand dann doch allmählich, und die Gestrandeten erhielten ein christliches Begräbnis auf dem alten „Friedhof der Namenlosen" im Dünenwalde. Die Bürger Helas ruhen neben der Kirchenmauer unter langen Grabsteinreihen. Von manchem, der auf See blieb, zeugt nur die Inschrift.

 

Wie die berüchtigten Lockfeuer der Strandräuber verschwanden auch die sogenannten „Bliesen", warnende Leuchtfeuer der neueren Zeit. An ihrer Stelle recken sich Leuchttürme empor, von Rixhöft auf dem Festlande über Heisternest bis nach Hela im weiten Bogen der Halbinsel, die sich wie ein schützender Arm vor das alte Danzig legt. Vierzig Meter hoch erhebt sich der schlanke, weiße Leuchtturm von Hela über dem Wasser und wirft nachts sein rotierendes Licht unruhig über die breite Danziger Bucht und weit hinaus aufs Meer: Seemann, gibt acht!

 

Der Schatten der großen Faust, die 1945 über die deutsche Landkarte fuhr, legte sich auch auf die Halbinsel Hela. Viele der einheimischen Fischer stiegen in die Boote und machten fremden Platz, manche blieben und fristeten ihr hartes Dasein nun irgendwo an der Ostseeküste im Fischerei-Kolchos. Sie haben wie die Solen auf Heia wenig zu bestellen. Denn die militärischen Zwecke, die schon im zweiten Weltkrieg ihr Vorrecht auf das Eiland anmeldeten, haben die Halbinsel gänzlich in das System der russischen Ostsee-Küstenbefestigungen einbezogen und vollständig verwandelt: V 2-Abschussbasen — Marinestützpunkte — Stacheldraht. Zivilisten haben hier nichts zu suchen.

 

Das Senkblei des Schicksals lotet tief in unsere Seele. Ein Schimmer bricht durch, durch all das Geschehen, durch Rauch und Qualm, Sperrzonen und Stacheldraht, Grenzlinien und eiserne Vorhänge, ein Schimmer glücklich verbrachter Tage und Wochen in dem einstigen Ferienparadies von Hela. Und uns umfängt ein feiner Duft von Salzwasser, Seetang und Kiefernwald, ein kräftiger Geruch nach Teer und Räucherflundern: Seeluft, Sonne und Sand. Goldlack und Skabiosen vor den Fenstern der Fischerhäuser, in den Dünen Strandhafer und wunderbar erblühte Stranddisteln, und über allem: das monotone Lied der ewig dauernden Meeresbrandung. Dr. Walter Schlusnus

 

Seite 9   Abgebildet sind Fischermarken von der Halbinsel Hela.

Diese Helaer Fischermarken entsprechen in Sinn und Gebrauch den alten Hofmarken. Wie diese durften auch sie vielfach von germanischen Sinnbildern abgeleitet sein, denn meist verband sich in solch einem Zeichen mit der Eigentumskennzeichnung ein glückbringender oder unheilbannender Segenswunsch. Malkreuz und Hagalrune, Raute, Ingrune und Manrune lassen sich in der Reihe der Marken erkennen. Besonders lebhaft kommen die verschiedenartigen Abwandlungen durch mannigfaltige Zusätze zum Ausdruck, vom verwandtschaftlichen Zusammenhang der Inhaber zeugend. Wie weit die Überlieferung dieser Zeichen und ihres Gebrauchs zurückreicht, ist kaum bestimmbar. Doch weist ihre runenähnliche Art in frühe, altgermanische Zeit. Sie kommen in Hela nicht nur in die Flotthölzer der Netze eingeritzt vor, sondern waren auch in die Boote und Bojen eingeschnitzt.

 

Bis um die Jahrhundertwende waren diese Zeichen in Hela in lebhaftem Gebrauch. Dann verloren sie allmählich, als die notarielle Rechtsausübung auch die entlegensten Fischerhütten erreichte und die frühere freie Eigengerichtsbarkeit der Fischergemeinschaften ihr Ende fand, ihre alltägliche Rechtsbedeutung. Bunte Fähnchen an sogenannten Stehdern traten als Kennzeichen der Netze auf See an ihre Stelle. In der Überlieferung blieben die Helaer Fischermarken.

 

Seite 9   Thomas Manns Sommerhaus in Nidden.

Im Zusammenhang mit dem in unserer Juli-Ausgabe veröffentlichten Beitrag unserer Mitarbeiterin Wanda Wendlandt brachten wir auch ein Foto, das wir als das Sommerhaus Thomas Manns bezeichneten. Hier ist uns ein offensichtlicher Irrtum unterlaufen, der inzwischen aus unserem Leser- und Mitarbeiterkreis widerlegt werden konnte.

 

Herr Dr. Z., Bad König, schreibt uns hierzu: „Die Bezeichnung ist nicht richtig. Das Bild zeigt das Häuschen des Malers, Schriftstellers und Photographen Isenfeld. Das Haus von Thomas Mann ist bedeutend größer und liegt weiter nach Nordosten“. Die bekannte ostpreußische Schriftstellerin Charlotte Keyser konnte uns hierzu noch ergänzend mitteilen: „Das Isenfeld-Haus war in echtem Dorfstil erbaut. Dagegen war das Thomas-Mann-Haus weniger auf Stilechtheit und Schönheit, als auf Zweckmäßigkeit eingestellt, weil er mit einer großen Familie dort seine Sommerfrische verlebte, im Übrigen einen Zusammenhang mit den Dorfbewohnern nicht im Geringsten suchte. Sein Haus besaß noch ein oberes Stockwerk“.

 

Auch allen anderen Lesern, die uns auf unseren Irrtum aufmerksam machten, danken wir an dieser Stelle.

 

Seite 9   Meine ostpreußische Palwe. Ein Blatt der Erinnerung von Hermann Bink.

Ich habe sie von frühester Kindheit an geliebt, meine Heimatpalwe des väterlichen Besitzes im Samland, nahe der Bernsteinküste. Palwe ist die altostpreußische Bezeichnung für Heide und der in der ganzen Welt durch das einzige Bernsteinbergwerk berühmt gewordene Ortsname Palmnicken ist von der Wurzel Palwe abgeleitet.

 

Meine Palwe grenzte an das väterliche Ackerland, war hügelig und sandig. Unser Hirtenjunge weidete dort die Schafe. Aber auf der höchsten Erhebung der Palwe lag ein heidnisches Hünengrab. Da meine Vorfahren zu den Ureinwohnern des Samlandes gehörten — urkundlich in den alten Ordensakten schon 1268 erwähnt — besteht die Vermutung, dass die Ahnen in diesem Grabe ihre letzte Ruhestatt fanden.

 

Wie groß war meine Freude, dass ich im Bestande der Göttinger Universitätsbibliothek in dem Heimatbuche von Professor Dr. Albert Zweck eine Aufnahme dieses Grabhügels fand, die seiner Zeit der Königsberger Professor Dr. Schellwien gemacht hat! Zur Erinnerung ließ ich mir eine Reproduktion anfertigen, und nun steht ein Stück meines Kindheitsparadieses vor mir. Meine Heimatpalwe war nicht sehr groß, aber einzigschön, ebenso ansprechend wie die weiten Heideflächen in Schleswig-Holstein oder der Lüneburger Gebiete, die ich nun auch nach der Vertreibung kennen lernte. Heide ist eben Heide!

 

Schon der Weg zur Palwe, den wir „Trift“ nannten, war voller Zauber und Romantik,

breit, dass drei Pferdefuhrwerke nebeneinander Platz hatten und zu beiden Seiten mit grünem Samtteppich belegt. Und an den Rändern blühten die vielfarbigen Blumen, wuchsen die Erdbeeren, die so zuckersüß mundeten, da wucherten die Brombeeren, die Ende August oder im September nicht minder gut schmeckten. Jungbirken und Ebereschen begleiteten neben Ahorn und Pappeln hie und da diese Trift. An einer Weggabelung lag der Teufelsstein, ein Findling wie eine dunkle Platte, an welcher nach alter Überlieferung der Böse einst mit den Hirten Kartenspiel getrieben hatte.

 

Und dann die Palwe selbst, wo die Kaddickbüsche wie ausgeschwärmte Schützenketten warteten, kleinere, mittlere und auch größere. Hier hingen die blaugrünen Beeren, die in der Volksmedizin eine so große Rolle spielten und auch erkrankten Pferden verabfolgt wurden. Im Hause wurden die immergrünen Äste angebrannt, die so würzig und wie Weihrauch in der Kirche dufteten.

 

Vier hohe Zeiten hatte meine Heimatpalwe. Wenn in der Frühe eines lenzjungen Morgens die Lerche aufstieg, flimmerten noch die Sterne am blauseidenen Firmament, aber nach und nach folgten die anderen gefiederten Sänger und bald war die Luft der Palwe vom Singsang aus Vogelkehlen erfüllt.

 

Im Sommer blühten die Wangen der Palwe wie Rosenhauch, am Abend war alles in Glut und Glanz, in Feuer und Flammen getaucht, wenn Frau Sonne in die Wellen der nahen Ostsee untertauchte.

 

Ihr schönstes Kleid holte die Palwe im Herbst aus der heimatlichen Truhe. Ihr Gewand wirkte dann wie ein Krönungsmantel einer Königin aus dem Märchenreich aus Goldbrokat mit grünen Samtaufschlägen, durchwirkt von violetten Fäden und bestickt mit Perlen und leuchtenden Korallen. Palwe im Herbst, wenn das große, scharlachrote und purpurne Blühen schon versunken war und die weißen Birken im Goldrausch leuchteten, wenn die hohen Eichen im Warnicker Forst dunkelrot rauschten, wenn der frühe Nebel von den umliegenden Wiesen und Weiden aus aufschleierte und den Wald in eine ferne, verzauberte und verwunschene Welt verwandelte. Ganz voller Wunder war im späten Herbst die Palwe. Wunder, die sich aus den Nebelhüllen der See lösten, diesem großen Atem des Weltalls, der bis auf die Bauerngehöfte wogte und die Menschen zum Nachdenken zwang.

 

Ganz anders die Palwe im Winterkleide, aber nicht weniger eindrucksvoll und schön. Wenn die schlanken Birken im Raureif wie mit Millionen Diamanten übersät funkelten und glitzerten. Da hatte Mutter Natur ihre allerfeinste Filigranarbeit drangesetzt. Bei solchem Anblick fragte man unwillkürlich: „Sind die Birken im Raureif oder im zarten Frühlingsschleier schöner?"

 

Alles zu seiner Zeit! Aber die Palwe liegt weit, weit hinter dem großen eisernen Vorhang der Weltpolitik und die Sehnsucht eilt mit der Erinnerung über den Raum und die Zeit in die Gefilde der Heimat, über die jetzt Fremde schreiten, die diese Heimat nicht verstehen.

 

Aber nichts ist ewig auf dieser Welt, als nur der Schöpfer allein, und seinem Schutze und seiner Hand vertraue ich dieses Heiligtum aus Kindheitstagen an, das Paradies meiner Jugend, meine Samlandpalwe!

 

Seite 9   Geh deinen Weg. Gedanken von Carl Lange.

Geh deinen Weg und fürchte nicht;

durch Schatten führt dein Weg zum Licht.

 

Ring dich hindurch, dann wirst du nicht erschlaffen,

Das Größte bleibt ein unermüdlich Schaffen.

 

Was immer dir an Leid begegnet,

vergiss es nicht,

dass Gott den Menschen straft und segnet

und selbst aus Dunklem zu uns spricht.

 

Nichts ist endlos, auch aus Leiden

reifen wieder stille Freuden.

 

Seite 9   Wanda Friese: Fischerfrau (Tuschzeichnung)

 

Seite 9   Fischerfrau. Von Wanda Friese.

Von den Wassern komm ich,

von den Fischen,

von den Dünen,

und die grüne Flut

rauscht mir noch im Blut.

 

Ob ich auch an fremdem

Strande weile,

ob mich auf und ab

das Leben treibt —

immer werd' ich Wasser lieben,

Netze, Fische

und die fernen Dünen,

die dem Fuß verwehrt.

 

Seite 10   Hermann Sudermann. Frühe Erinnerungen.

Zum 100. Geburtstag Hermann Sudermanns erscheint im Verlag J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachf., Stuttgart, die die Werke des Dichters von jeher betreut, ein Sammelband unter dem Titel Heimat im Osten, herausgegeben von Paul Fechter (250 Seiten Text, 44 Bilder nach Fotos sowie 8 Farbtafeln nach Gemälden, farbig bedruckter Leinenband, DM 9,80), dem wir den folgenden Abschnitt aus Sudermanns Bilderbuch meiner Jugend entnehmen.

 

Meine Mutter war eine geschäftige, kleine Frau, vom Morgen bis in die Nacht hinein auf die Wohlfahrt der Ihrigen und den Glanz des Hauses bedacht. Sie wusch und schneiderte, sie polierte und zimmerte, sie putzte und plättete immerzu. Das Lichtchen an ihrem Bette brannte bis zur Morgenhelle, und wenn mein Vater nachts aufstehen musste, weil Maische abzulassen oder nach der Gärung zu sehen war, dann war sie es, die ihn wachrief.

 

Meine früheste Erinnerung an sie: Abenddämmerung — ich zwischen den Gittern meines Kinderbettes — sie singend über mich geneigt. Und plötzlich kommt eine Angst über mich, eine wahnsinnige, atemraubende Angst, sie könne eines Tages nicht mehr da sein, und ich müsse allein in die Welt, die große Welt jenseits des Waldes, unbehütet, unbetreut, den bösen Menschen zum Opfer.

 

Nun, diese Angst wenigstens hat sich als grundlos erwiesen, denn ich bin vierundsechzig, und habe sie noch.

 

Die Welt aber jenseits des Waldes ist mir, bis ich ihn zum letzten Male durchfuhr, immer gefahrvoll geblieben.

 

Mit dem Walde selber, den Riesen darin und den Gespenstern, selbst mit den tollen Hunden, die zwischen den Stämmen dauernd ihr Wesen trieben, fand man sich schließlich ab: die Riesen tötete man, die Gespenster taten einem nichts, und den tollen Hunden, die bekanntlich geradeaus laufen müssen, ging man behutsam aus dem Wege — aber was dann kam!

 

Da war die große Landstraße, die nach der Grenze führte, und auf ihr Zigeuner und Juden, die darauf brannten, kleine Jungen, die, um Kaffeebohnen oder Farinzucker zu holen, nach Werden zum Krämer geschickt waren, ihrer Barschaft zu berauben oder gar nach Russland zu verschleppen, jenem wilden Lande, in dem man sich rettungslos verlor. Auf ihr gab es ferner betrunkene Litauer, welche vom Wagen her lachend mit „Ausschneiden" drohten — was das „Ausschneiden“ war, wusste niemand zu sagen, aber es musste etwas sehr Schreckliches sein, da sie bisweilen die Messer dabei zogen — oder gar alte Bettelweiber, die am Graben saßen und einem die Schnapsflasche hinstreckten. Und andere Schrecknisse mehr hatte die große Welt.

 

Ein Glück war, dass manchmal ein freundlicher Mann des Weges kam und fragte: „Mein Jungchen, wem gehörst du?" Und wenn dann die Antwort lautete: „Ich bin Sudermanns Hermann aus Matziken", dann wurde er noch freundlicher und nahm einen sogar bei der Hand, bis der Werdener Kramladen dalag — geweihter Boden, Kants Eltern haben darin gewohnt —, oder bis auf dem Rückwege der links liegende Wald seine dunklen Tore dem befreit Erschauernden auftat.

 

Vom fünften Jahre ab wurde gelernt. Die Fibel bereitete weniger Schwierigkeiten, und bald waren die Lesestückchen erreicht, die sich den Probesätzen angliederten. Das Schreiben erwies sich als weniger mühelos, und die Schiefertafel krachte unter dem zersplitternden Griffel.

 

Aber Mama mahnte: „Sei fleißig, mein Jungchen, wenn du gut lesen und schreiben kannst, bekommst du zum Geburtstag den ‚Kinderfreund'“.

 

Und dieser Kinderfreund musste etwas sehr Herrliches sein, denn sonst hätte Mama nicht immer von neuem auf ihn verwiesen. Die Verkörperung aller irdischen Lust und aller irdischen Weisheit musste er sein, da sein Besitz so harte Prüfungen verlangte.

 

Und immer wieder erging die Frage: „Mamachen, bin ich soweit? Bin ich soweit?"

O nein, noch war ich lange nicht so weit, ja es konnte sich ereignen, dass selbst der sechste Geburtstag ihn nicht bescherte.

Oh, diese Drohung kostete viele heimliche Tränen.

 

Da geschah es an einem rotdunstigen Abend, gegen Mitte September, dass meine Mutter, vom Markte aus Heydekrug heimkehrend, mit vieldeutigem Lächeln ein Buch vor mich hinlegte, das nicht viel dünner schien als die Bibel und das augenscheinlich für mich bestimmt war.

 

Hochklopfenden Herzens sah ich sie an.

Sie küsste mich und sagte: „Das ist er“.

 

In dieser Nacht habe ich nicht viel geschlafen, und da der Morgen immer noch auf sich warten ließ, so wagte ich es, leise aufzustehen, den Leuchter vom Tisch zu holen und das Talglicht — Mama goss sie selber, und nur selten verirrte sich eine vornehme Stearinkerze ins Haus — auf dem Kleiderstuhle in Brand zu setzen.

 

Niemals hat einem Backfisch ein verbotener Roman größere Erregung gebracht. Schon die erste Geschichte war von hinreißender Bedeutsamkeit und extra für mich zugeschnitten. Sie handelte von dem braven Karl der sechs Jahre alt war und der an jedem Abend beim Zubettgehen Jäckchen und Höschen sorgsam gefaltet neben sich niederlegte und diese Ordnung mit kreuzweise darüber gelagerten Strümpfen kunstreich vollendete.

 

Scheu besah ich mir den liederlichen Kleiderhaufen neben mir, in dem die Strümpfe gänzlich fehlten und den der draufgestellte Messingleuchter schamlos bekrönte.

 

Wie himmelweit war ich noch von den Tugenden des braven Karl entfernt! Und nur ein Gedanke tröstete mich in meiner Zerknirschung: Karl war schon sechs gewesen, mir aber fehlten noch volle vierzehn Tage an diesem achtungseinflößenden Alter. Wenn ich also die gegebene Frist benutzte, um mich von Grund auf zu bessern, so musste es mir gelingen, an meinem sechsten Geburtstag in eine neue tugendhafte Epoche meines Lebens zu treten, in der das Beispiel des Knaben Karl mir nicht mehr fürchterlich werden konnte.

 

Resultat: meine Strümpfe liegen noch heute am Boden, wenn sie sich nicht zufällig in den umgekrempelten Beinlingen unauffindbar verloren haben.

 

Und so ist es mir mein Lebtag mit jeder Tugend ergangen.

 

Das war der Hinterwald.

Wenn man den Gutshof durchquerte, ohne Furcht vor den Angriffen des Truthahns und dem Kettengerassel der Hunde, dann kam man an den hinteren Torweg, den zu durchschreiten noch strenger verboten war, denn dahinter hauste der wütende Bulle, der kleine Knaben einfach aufs Horn nahm. Und gesetzten Falles, dass man ihm glücklich entrann, dann fiel man den Hengsten zum Opfer, die mit den Hufen ausschlugen, oder dem großen Eber, der seine eigenen Kinder fraß und auch fremde sicherlich nicht verschonte. Und Zäune waren dort, die man durchkriechen musste, und Wassergräben, viel zu breit, als dass man heil hinüberkam.

 

Und jenseits all dieser Gefahren erhob sich in blauender Ferne der Hinterwald, der Zauberwald, der Wald der Schlangen und der Wölfe, aus dem noch nie ein neugieriger Knabe lebendig hervorgekommen war.

 

Ihn nur von nahe zu sehen, an seinem Rande schüchtern entlangzustreifen, wurde allmählich die heimliche Sehnsucht des Einschlafens, der Traum des Halbwachseins, wurde der Wunsch aller Wünsche. Und eines Julinachmittags, als die Eltern fortgefahren waren, nachdem sie mir wie immer das Gelübde abgenommen hatten, dem Schutze der heimischen Rasenbänke nicht zu entweichen, ergab ich mich ihm.

 

Oh, nicht wie Hans, der das Fürchten lernen wollte, zog ich aus, denn, um die Wahrheit zu sagen, ich fürchtete mich sehr. Schon vor dem Truthahn, obwohl er noch nie einen Menschen gebissen hatte, schon vor den Hunden, obwohl sie doch fest an den Ketten lagen. Und dann gar kam der Bulle. O Gott, der Bulle! Dicht am Wege stand er und glupte mich an. Aber ich hätte eher den Tod erlitten, als dass ich umgekehrt wäre. In einem Bogen der Ehrerbietung umkreiste ich ihn, und er hielt es nicht der Mühe für wert, mich zu spießen.

 

Dann folgte der Roßgarten, der glatt durchquert werden musste. Doch die Hengste beachteten mich nicht, nur die Jährlinge kamen und beschnupperten mich, und dass die einen kleinen Jungen nichts tun, das wusste ich lange. Der Eber war überhaupt nicht zu sehen, und über die Wassergräben hatte man Bohlen gelegt, um mir den Weg zu erleichtern.

 

So stand ich plötzlich vor dem Hinterwalde. Nun hätte ich umkehren müssen, denn mein Ziel war ja erreicht Aber der Hinterwald sah weit, weit schöner aus als andere Wälder, und der Wind, der in den Laubkronen wühlte, rief mir zu: Wer ein tüchtiger Kerl werden will, der fürchtet sich nicht.

 

Und während der Herzschlag mir zum Halse stieg, betrat ich, Schritt auf Schritt abmessend, den Rasenweg, der in die dunkeln Höhlungen führte.

 

Kein Wolf ließ sich sehen, keine Schlange ringelte sich mir entgegen. Nur Mäuse glitten raschelnd durch dürres Kraut.

 

Und dann wurde die Stille so tief, dass sie zu reden schien. Nur der Hall der eigenen Schritte hinderte, dass man sie hörte. Am Wege blühten fremde Blumen, und fremdes Buschwerk säumte meinen Weg.

 

Das freilich war ein anderer Wald, als sonst wohl Wälder sind. Silberbehaarte, grünmoosige Säulen, wie ich sie nie gesehen hatte, hoben sich weit und breit, die steil ansteigenden Äste zu undurchdringlicher Wirrnis verschlingend.

 

Ich weiß nicht, ob es vielleicht gar Buchen waren, die dort wuchsen, oder ob mein Erinnern das Erlebte mit späteren Bildern durcheinanderwirrt — ich kann es auch nie mehr nachprüfen, denn bis auf wenige kümmerliche Unterholzreste ist seit langem alles niedergeschlagen — aber ein Wunderwald muss es gewesen sein, wie er bei uns dort oben nirgendwo zu finden ist. Sonst hätte der Eindruck des Niegeschauten, des Heiligen und Hallenhaften nicht so in mir haben festwurzeln können, sonst würde der Schauer der Andacht, der mich stets überrieselte, wenn ich jenes Tages gedachte, nicht auch noch in diesem Augenblick durch meine Glieder gehen.

 

Und rings am Boden sprosste es wie von lauter jungen Palmen — das war das Farnkraut, das ich auch noch nie gesehen hatte —. Und dann wieder kam ein Blumenfeld, das schimmerte bald wie gelber, bald wie violetter Samt, je nachdem der Wind sich hob oder senkte. Das ist eine Waldweizenlichtung gewesen, wie ich erst sechs Jahre später erfuhr, als ich ein großer Botaniker wurde.

 

Und mit einem Male war ein Fluss da. Wohl kein anderer als der Fluss, der auch im Vorderwald regierte, und doch himmelweit von ihm verschieden. So gleiten die geheimnisvollen Ströme, in deren Wassern die Fee ihr Goldhaar wäscht.

 

Drüben aber erst war eine Art von Burgwall aufgebaut. Da ragte, von der Nachmittagssonne grell beschienen, eine Mauer von Schnee — Marmor, würde ich gesagt haben, wenn ich von Marmor schon etwas gewusst hätte — und darauf standen drei Reihen von Märchenbäumen mit blütenweißem Gezweig, auf dem wie Paradiesvögel goldgrüne Blättchen sich wiegten. Es waren nur junge Birken, Birken wie die, die mir vorm Auge gestanden hatten, seitdem es fürs Himmelslicht aufgetan worden war. Und doch hatte ich noch nie so Wunderbares geschaut.

 

Oft bin ich später den sandigen Steilhang drüben entlanggegangen, zwischen den Baumreihen mitten durch, die heute noch nicht höher sind als vor einem halben Jahrhundert. Und immer habe ich die Empfindung gehabt: Du schreitest auf den Mauern von Walhall.

 

Seite 10   Ausstellungen der Künstlergilde

Die Künstlergilde Eßlingen hat in der ersten Jahreshälfte 1957 hauptsächlich kleinere, landschaftlich oder thematisch begrenzte Ausstellungen durchgeführt. Nunmehr beginnt sie wieder mit ihren großen Jahresausstellungen. Nach dem guten Erfolg der Ausstellung 1956 in Darmstadt ist es besonders erfreulich, dass der hessische Erziehungsminister die Künstlergilde eingeladen hat, auch in diesem Jahr eine große Ausstellung in Hessen zu zeigen. Dieser großen Ausstellung mit Kunstwerken aus der Malerei. Graphik und Plastik, die im Vonderau-Museum in Fulda gezeigt wird, sind eine Sonderschau zum 80. Geburtstag von Alfred Kubin und eine kleine Gedenkausstellung für bedeutende ostdeutsche Künstler angeschlossen. Am 22. Juli wurde in der neuen Ausstellungshalle der Stadt Lüneburg eine weitere Aufstellung der Künstlergilde unter dem Titel „Ostdeutsche Maler sehen die Landschaft" eröffnet. Eine Kollektion der in Norddeutschland lebenden ostdeutschen Bildhauer ist dieser Sonderschau angeschlossen.

 

Seite 10   Schriftenreihe Deutsche Heimat im Osten

Dem Wunsch nach guten ostdeutschen Leseheften, die über die bisher erschienenen hinausgehen und besten Dichter einzelner Landschaften in ausgewählten Erzählungen altersstufengemäß darbieten, der insbesondere bei der Arbeitstagung „Deutsche Ostkunde im Deutschunterricht" zu Marburg immer wieder geäußert wurde, hat der bekannte niedersächsische Lehrmittelverlag Hermann Schroedel, Hannover Osterstraße 83, im Rahmen seiner „Schroedel Lesehefte, die bunte Lesereihe und Lesewerk für mittlere Schulen" mit den Heften „Deutsche Heimat im Osten" weitgehend in ansprechender Weise entsprochen. Es liegen vor: Hefte über Schlesien I und II, Ost- und Westpreußen I und II und Pommern. Grundsätzlich sind jeweils die ersten Hefte für das 10. und die zweiten Hefte für das 12. Lebensjahr zugeschnitten. Die jeweils 32 Seiten umfassenden Hefte mit auflockernden Illustrationen kosten im Umschlag kartoniert je DM 0,90 und bieten sorgfältig ausgewählte Prosa- und Lyrikstücke, in denen Geschichte, Kultur, Volkstum und Landschaft der einzelnen ostdeutschen Gebiete gut erfasst sind. Vertreten finden wir u. a. die bekannten Dichter Eichendorff, Keller, Hauptmann, Wittig, Freytag, Holtey, Kaergel,Stehr, Niekrawietz, Peuckert für Schlesien, Agnes Miegel, Graf Finkenstein, Ernst Wiechert, Siegfried Lenz, Simon Dach, Arno Holz, Sudermann für Preußen und für Pommern: E M. Arndt, Th. Fontane, Ehm, Welk u. a. Möge eine gute Aufnahme dieser ersten fünf Hefte einen baldigen weiteren Ausbau ermöglichen.

 

Seite 10   Der Dichter Ostpreußens.

Zu Hermann Sudermanns 100. Geburtstag. (Abbildung)

Hundert Jahre sind seit dem 30. September 1857 vergangen, dem Tage, da Hermann Sudermann in Matziken bei Heydekrug geboren wurde. Seine Eltern waren arm, und er hatte es schwer. Im „Bilderbuch meiner Jugend" hat er davon später, 1922, anschaulich und mit dem weisen Humor des Alters erzählt. „Bei der guten Tante in Elbing" lebte er ein paar Jahre, halb widerwillig geduldet, und besuchte die Realschule. Danach war er in Heydekrug Apothekerlehrling, ging aber bald noch einmal zur Schule, aufs Realgymnasium in Tilsit. Er studierte dann Philologie, wurde Hauslehrer und in Berlin Redakteur. Immer noch hatte er es schwer und musste viel literarische Fronarbeit leisten, um leben zu können.

 

Die Anfänge seiner erzählenden Kunst waren regelrecht Kolportage, nicht mehr. Doch langsam arbeitete er sich herauf, und sein 1887 geschriebener Roman „Frau Sorge" wurde eines seiner besten Werke. Es ist die an eigenen Kindheitserinnerungen reiche Geschichte eines jungen Menschen in ländlicher Umgebung Ostpreußens, auf dem Hintergrund schöner Landschaftsschilderungen erzählt. Not und Sehnsucht sind die Begleiter des Helden durch viele Jahre; er ist ein Träumer und Grübler, vom Vater geprügelt, von der Mutter geliebt, von den Freunden gehänselt. Sorge um die Geschwister und die Liebe zu einem jungen Mädchen wandeln ihn zum selbstbewussten, reifen Menschen. Der ebenso oft gelobte wie gescholtene Roman „Der Katzensteg" erschien 1888, die bekannte Erzählung „Jolanthes Hochzeit" 1892.

 

Doch Sudermanns große Liebe galt dem Theater, und er glaubte sich zum Dramatiker geboren. Das wurde ihm bestätigt durch seinen ersten Erfolg auf der Bühne. Nicht nur Schwärmer und schnell Begeisterte nannten ihn „den rechten Erben des jungen Schiller". Das war, als sein Schauspiel „Die Ehre" aufgeführt wurde, einen Monat nach der Premiere von Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang". Es gab keinen solchen Theaterskandal wie bei diesem; vielmehr war man aufs höchste entzückt, weil man die Anschauung, die der Durchschnittsbürger über Milieu und Atmosphäre von Vorder- und Hinterhaus in sich trug, hier bestätigt und anschaulich vorgeführt sah. Das war sicherlich etwas oberflächlich, aber doch spannend, dramatisch und wirkungsvoll „gemacht".

 

Das nächste Drama „Sodoms Ende" war tiefer durchdacht; es sollte eine Anklage gegen die hohle Welt der Emporkömmlinge sein. Aber die Kritik fand es doch gar zu unecht und zu konstruiert, um es als Kunstwerk anerkennen zu können. So wurde es Sudermanns erste große Niederlage, die gehässig sogar als „Sudermanns Ende" verhöhnt wurde.

 

Dagegen wurde sein drittes Drama, „Heimat", sein größter Erfolg, und wieder wurde der Vergleich mit dem jungen Schiller herangezogen. Doch nun wurden seine Gegner schärfer im Angriff gegen ihn, und nicht ein einziges seiner zahlreich folgenden Theaterstücke fand auch nur einigermaßen Gnade vor ihren Augen. „Die Schmetterlingsschlacht", „Das Glück im Winkel", die unter dem Titel „Morituri" zusammengefassten Einakter „Johannes", „Die drei Reiherfedern", „Es lebe das Leben", „Das Blumenboot", „Sturmgeselle Sokrates", „Stein unter Steinen", das Heimkehrerdrama „Wie die Träumenden", die Dramenreihe aus der Kriegszeit „Das heilige Schicksal" bis hin zu „Die Raschhoffs".

 

Es war alles vergeblich: die Kritik war grundsätzlich und unbarmherzig gegen Sudermann, — Maximilian Harden, Heinrich Hart und vor allem der junge Alfred Kerr. Ihr Ton wurde dabei mehr und mehr so verletzend, dass der Angegriffene dadurch bis aufs Blut gepeinigt wurde und Höllenqualen erdulden musste. Vergebens schrieb er 1902 eine Broschüre über „Die Verrohung der Theaterkritik". Jetzt erst recht wollte man ihn mundtot machen, ihn „erledigen", um es einmal im Jargon zu sagen, und Kerr schrieb die Gegenbroschüre „Herr Sudermann, der D ... D ... Dichter". Die Wirkung war unvorstellbar! In sonst kaum erreichbarer Einmütigkeit fiel die gesamte Kritik mit Hohngelächter über Sudermann her und zerfetzte ihn und sein Werk.

 

Der Traum war aus für ihn, dass sein Name als der eines großen deutschen Dramatikers verewigt würde; denn wenig konnte ihm die Genugtuung helfen, dass das Publikum eine weit bessere Meinung über ihn hatte: Er war der bekannteste und am meisten aufgeführte Dramatiker seiner Zeit. Wo moderne deutsche Kunst sonst kein Echo fand, Sudermann fand es. Er wurde in aller Welt gespielt, in Amerika ebenso wie in Japan. Und große und unvergessene Schauspieler stiegen in seinen Stücken von Erfolg zu Erfolg. Die junge Adele Sandrock war die Magda in „Heimat", wie es auch die Duse war, die darin entdeckt wurde; Josef Kainz spielte den Leutnant „Fritzchen" in dem gleichnamigen Einakter fünfhundertmal. Die Zähigkeit der Provinztheater, die wohl wussten, dass Sudermann ihnen Geld einbrachte, spielte ihn immer wieder; trotzdem stellte er das Dramenschreiben schließlich enttäuscht und mutlos ein und wandte sich, wie am Beginn seiner Laufbahn, wieder der Prosa zu.

 

Noch im ersten Weltkrieg, 1917, erschienen seine „Litauischen Geschichten", und Kritik und Publikum waren einmütig des Lobes voll. Hatten die Kritiker ihn bisher über die Maßen beschimpft als Macher und Routinier, so mussten sie hier anerkennen, dass Sudermann doch eine große dichterische Begabung war. Die Erzählungen aus diesem Buch: „Miks Bumbullis", „Jons und Erdme“ und „Die Reise nach Tilsit" mit den großartigen Bildern des Kurischen Haffs werden den Namen Sudermanns noch für lange Zeit in Ehren unvergessen halten.

 

Anderer Art sind die großen Romane dieser Zeit, wie „Der tolle Professor, „Purzelchen", ein Zeitroman aus den Nachkriegsjahren, und „Die Frau des Steffen Tromholt", der mehr Bekenntnis als Roman, mehr Bericht als Dichtung ist. Das Verdammungsurteil über Sudermann wurde nunmehr auf seine Dramen beschränkt und bis heute nicht aufgehoben. Trotzdem bewies noch während des zweiten Weltkrieges Jürgen Fehling im bald danach zerstörten Staatstheater mit einer großartigen Aufführung des „Johannisfeuer" die unverwüstliche Lebenskraft dieses Dramas und bewies zugleich, dass man den eigentlichen und wahren Sudermann in seinen Dramen erst noch zu entdecken habe. Man hatte ihn früher als Naturalisten — wie Hauptmann — eingeschätzt und gespielt, und das war er durchaus nicht. Paul Wegener, Maria Koppenhöfer und Juana Maria Gorwin nahmen teil an dem triumphalen Erfolg des Stückes. Der Dichter hat ihn nicht mehr erlebt. Er war bereits 1928 gestorben.

 

Albert Soergel schrieb 1911 im ersten Band seiner „Dichtung und Dichter der Zeit" nach einer im Allgemeinen ebenfalls recht ablehnenden Kritik: „Vielleicht beurteilt eine spätere Zeit Sudermann milder“. Inzwischen sind fast fünfzig Jahre vergangen. Wir brauchen Sudermann nicht „milder" zu beurteilen, wir wollen es nur gerechter tun. Er würde damit zufrieden sein. Heinrich Eichen

 

Seite 10   Ein kleines Lied. Von Marie von Ebner-Eschenbach

Ein kleines Lied! Wie geht's nur an.

Dass man so lieb es haben kann,

Was liegt darin? erzähle!

 

Es liegt darin ein wenig Klang,

Ein wenig Wohllaut und Gesang

Und eine ganze Seele.

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Die Krähenkuhle / Von Tamara Ehlert.

Baitis war ein Sonderling und Trunkenbold. Niemand hatte je ein freundliches Wort von ihm gehört. Eines Tages brachte er aus der Memelniederung ein Mädchen mit, das er kurz darauf ohne den Segen des Pfarrers heiratete.

 

„Das nimmt kein gutes Ende“, sagten die Leute und gingen ihr aus dem Wege, wie sie seit Jahren dem Baitis aus dem Wege gegangen waren.

 

Anorte Baitis war gute zehn Jahre jünger als ihr Mann, ein schmales Ding mit dunklem Haar und schrägen Augen wie aus sehr durchsichtigem, farblosem Glas.

 

Das Haus des Baitis lag abseits vom Dorf zwischen alten Erlen, abweisend und ungastlich wie seine Bewohner. Dicht hinter dem verfallenen Zaun begann die Krähenkuhle, ein verlassener Steinbruch, der von hohen Bäumen umgeben war, in dem Hunderte von Krähen nisteten.

 

Die Dorfleute gingen nicht gern daran vorbei, es war unheimlich dort, besonders nachts. In der Dunkelheit konnte man leicht fehltreten und sich das Genick brechen.

 

Anorte Baitis hockte dort stundenlang und sah zu den Steinblöcken hinunter, die wie graue Tiere aussahen, über die gezackten Rücken dieser stummen, reglosen Herde strichen die großen Vögel und erfüllten die Luft mit ihrem Gekrächze. Anorte fütterte sie mit Brot und Fleischabfällen und sprach zu ihnen wie zu Menschen.

 

„Die Augen werden sie ihr aushacken", sagten die Leute.

 

Der einzige, der ab und zu ein paar Worte mit ihr redete, war der Pächter Schwitalla, ein alter Mann, der in seinem langen Leben viel gesehen hatte. „Du solltest nicht immer hier hocken", sagte er, „die Krähen sind keine gute Gesellschaft für so ein junges Ding wie dich."

„Lass man", sagte Anorte, „für mich sind sie gerade gut genug“.

Der Alte sah sie aufmerksam an. „Wenn du mal einen Rat brauchst, kannst immer zum alten Schwitalla kommen“.

„Schönen Dank", sagte Anorte, „aber ich glaube nicht, dass ich deinen Rat brauchen werde".

„Na denn nich, dickkoppsches Ding", brummte der Alte und ging davon.

 

Im ersten Jahr seiner Ehe hatte Baitis wenig getrunken. Aber nach und nach verfiel er wieder in seine alte Lebensweise. Wenn er betrunken im Hause randalierte, lief Anorte zur Krähenkuhle, setzte sich an den Rand und starrte böse in die Finsternis.

 

Eines Morgens fanden sie den Baitis mit gebrochenem Genick in der Krähenkuhle. Anorte wurde verhaftet, saß drei Monate im Untersuchungsgefängnis und wurde schließlich freigelassen.

 

Für die Dorfleute stand es fest, dass sie den Baitis zu den Steinen hinuntergestoßen hatte. Niemand beklagte sein Schicksal. Er hatte den Tod gefunden, den er verdiente.

 

Der Suff und die Frau, die es mit den Krähen hielt, waren ihm zum Verhängnis geworden.

 

Eines Abends klopfte es beim alten Schwitalla. Es war finster und mondlos, und er sah zuerst niemandem, bis sich ein schmaler Schatten an ihm vorbeischob. „Anorte", sagte der Alte, „komm man rein, Kind“.

Sie gingen ins Haus. Anorte ließ ihr Umschlagtuch fallen. Er sah ihr Gesicht, es war ein zerstörtes und verfallenes Gesicht“.

 

„Du weißt, was die Leute reden, Schwitalla“, sagte sie. „Sie sagen, ich hätte den Baitis umbracht. Auch die vom Gericht glauben es; sie haben mich bloß laufen lassen, weil sie es mir nicht beweisen konnten“.

Schwitalla hielt seine Hände ans Feuer und drehte sie langsam hin und her.

„Ich habe es nie geglaubt, Anorte", sagte er ruhig. „Ich weiß, dass du es nicht getan hast“.

„Das ist schön von dir", sagte Anorte.

Sie machte einen Schritt auf den Herd zu, und ihre Augen verengten sich, als der unstete Lichtschein hineinfiel. „Aber du denkst zu gut von mir. Ich habe es doch getan“.

 

Der Alte hörte auf, seine Hände hin und her zu drehen.

„Wenn das so ist, sagte er, „dann sei froh, dass sie es dir nicht beweisen konnten“.

 

Anorte schüttelte den Kopf. „Du denkst, ich hätte ihn hinuntergestoßen. Es wäre übrigens ganz einfach gewesen. Wenn Baitis betrunken war und man ihn anstieß, fiel er um wie ein Sack Kartoffeln. Aber ich habe es nicht mit meinen Händen getan. Ich habe es mit meinen Gedanken getan“.

 

„Das ist nicht strafbar, soviel ich weiß“, sagte der Alte.

„Du weißt, wie roh Baitis war“, sagte Anorte. „Wenn er trank, schlug er mich. Und dann war er eifersüchtig auf die Krähen. Weil ich immer zu ihnen ging und sie fütterte. Eines Tages nahm er sein Gewehr und schoss auf sie. Er wusste, dass sie meine einzige Freude waren. Und dann holte er sich Branntwein und soff sich voll. Ich bin aus dem Haus gelaufen und hab mich bei der Krähenkuhle hingehockt. Alles in mir war schwarz vor Hass und Wut. Und dann kam er, um mich zu suchen. Er schrie immerzu nach mir. Tritt doch daneben, dachte ich. Tritt doch daneben und brich dir das Genick. Und dann hörte ich ihn fallen und hinunterkollern. Ich wusste, dass er tot war. Wer da runterstürzt, ist gleich tot“.

 

Sie atmete tief und sah dem Alten gerade ins Gesicht.

„Als sie mich holten, war's mir gleich. Ich hatte ihn ja nicht runtergestoßen, wie sie sagten. Aber jetzt, wo ich zurück bin, da ist alles anders. Ich werd' den Baitis nicht mehr los, in allen Ecken steht er und grinst. Du hast es getan, sagt er, du hast es doch getan! Ich halte es nicht mehr aus, Schwitalla“.

 

Der Alte starrte schweigend ins Feuer. Der Wind zankte in den Dachziegeln und klatschte Regen und dürres Laub in die Pfützen des Hofes.

„Er ist immer da", flüsterte Anorte. „Er ist immer da“.

Der Alte wandte ihr sein Gesicht zu. „Geh fort von hier, Anorte", sagte er. „Du bist jung und kannst arbeiten. Geh weg von hier. Wenn du es nicht tust, wird der Schatten vom Baitis dich auffressen“.

 

Anorte bückte sich und hob ihr Tuch auf. „Vielen Dank, Schwitalla. Ich weiß, du meinst es gut mit mir. Ja, ich werd' fortgehen, vielleicht hilft das. Aber dann wird sich keiner mehr um die Krähen kümmern“.

 

Der Alte brachte sie zur Tür. Sie ging eilig davon. Die mondlose Weite, der Wind und der Regen schluckten sie auf.

 

Am nächsten Tag fand man Anorte tot im Steinbruch, unweit der Stelle, wo Baitis abgestürzt war. „Das schlechte Gewissen", sagten die einen. „Der Teufel hat sie geholt", sagten die anderen.

 

Der Steinbruch wurde von den Dorfbewohnern von da an noch mehr gemieden als früher. Nur ab und zu konnte man einen alten Mann dort beobachten, der Brotstücke aus seinen Taschen holte und sie den Krähen hinwarf.

(Aus Tamara Ehlert: Die Dunenhexe. Elchland-Verlag, Göttingen)

 

Seite 11   Ernst Mollenhauer: Fischerhäuser (Grafit)

 

Seite 11   Der brüderliche Blick. Von Josef Schneider.

Ich weiß, dass alle, die im Dunkel gehn,

einander innig in die Augen sehn.

 

Ein jeder trägt verschwiegen gleiche Last.

In Bruders Augen sucht er kurze Rast.

 

Dort schimmert aus Verborgenem ein Licht.

Ein jeder trägt es, aber sieht es nicht,

 

und erst ein ernster, brüderlicher Blick

in fremde Augen spiegelt es zurück.

 

Ich weiß, dass alle, die im Dunkel gehn,

einander innig in die Augen sehn.

 

Seite 11   Der wunderbare Urlaub / von Fritz Kudnig

Du hast ein ganzes Jahr lang schwer gespart. Rauchen und „geistige" Getränke stehen für dich nur noch im Wörterbuch, und sonstige Seitensprünge kennst du sowieso nur vom Hörensagen. Wie hast du dich über jede Reisesparmark auf deinem Konto gefreut. Nun hast du schon so und so viele Kilometer Bahnfahrt auf deiner Kasse liegen. Nun kannst du sogar schon acht Tage in der Fremde leben, ja, jetzt reicht es schon für ganze zwei Wochen. Nicht auszudenken: du bist ein Krösus geworden. Sieht man es deiner geschwollenen Brust, deiner himmelstürmenden Nase nicht an, dass du ein Mensch auf einer anderen Welt geworden bist? Blind müßsse sein, wer es nicht sieht.

 

Aber jeder sieht es. Jeder fragt: „Nun, wo werden Sie denn Ihre Ferien verbringen?" — Du tust furchtbar geheimnisvoll. Du wüsstest noch nicht. Nein, wahrhaftig, du hättest dir noch gar keine Gedanken darüber gemacht! — Im Stillen denkst du: Werde ich euch meine schöne Sommerfrische verraten, damit ich die Geister meines grauen Alltags womöglich wieder um mich habe, wenn ich grade einmal vor ihnen Ruhe haben will? Hand auf die Seele, wer denkt, wenn es in die Sommerfrische geht, nicht ebenso?

 

Aber jetzt, kurz vor deiner Abreise, wo auch die anderen sich bereits festgelegt haben, jetzt kennst du auch plötzlich dein Ferienziel. Jetzt möchtest du aber gar nicht mehr dorthin. Du möchtest überhaupt nirgends hin augenblicklich. Seit gestern haben sich nämlich die seit Monaten verschlossen gewesenen Schleusen des Himmels aufgetan. Eine neue Sintflut scheint hereingebrochen zu sein. Es regnet Bindfäden. Trotzdem bist du ja aber gezwungen, in die Sommerfrische zu fahren, weil du dort schon fest gemietet hast. Du fährst also, komme, was wolle.

 

Um die Sintflut vor deinem Eisenbahnfenster nicht dauernd vor deinen grauen Augen zu haben, vertiefst du dich in ein dickleibiges Werk über Rieselfelder. Doch fesselt dies Werk dich nicht so sehr, dass du nicht alle dreißig Sekunden zum Fenster hinausäugst, um festzustellen, ob sich der Wasserstand inzwischen nicht zu deinen Gunsten schon etwas geändert habe. Dem ist leider nicht so. Die Regenbäche sind vielmehr noch geschwollen, so dass deine vordem so schön geschwellte Brust jetzt nur noch ihre natürliche Größe hat.

 

Nun aber bist du auf deiner Endstation angekommen. Beim hurtigen Aussteigen schöpfst gu dir dort in einer Wasserlache zur Freude der Umstehenden zunächst deine Schuhe bis zum Rande voll Regenwasser. Doch dein Bauer begrüßt dich dennoch begeistert, weil endlich der Regen regnet, um den er seit zweieinhalb Monaten vergebens zum Himmel gefleht hat. Auch eine entfernte Verwandte von dir, die im Hause deines Bauern ebenfalls ihre Ferien verbringt, ist mit dem Wagen des Bauern zu deiner Begrüßung erschienen. Sie hat ein lachendes und ein weinendes Auge. „O — das Wetter!" lächelt sie unter Tränen und niest in ihr Taschentuch, dass es im Walde ein lachendes Echo weckt. Immerhin hat sie ein Mittel gegen den Wolkenbruch mitgebracht: einen Regenschirm von ungeheuren Ausmaßen, wie ihn wohl die Urgroßmutter der Bäuerin einst getragen hat, von der dieser Schirm geliehen ist. Weil er bereits ein so ehrwürdiges Alter hat schimmert er in allen sieben Regenbogenfarben; es können aber auch acht oder neun sein, wenn man genauer zählt. Außerdem ragen drei seiner langen Speichen, die sich vom Tuche gelöst haben, steil in die Luft. Und als euch einige Dorfbewohner begegnen, die euch kummervoll unter den Speichen hocken sehen, gehen ihnen vor Lachen die Augen über.

 

Doch endlich winkt deine Sommerfrische, das schöne, alte, strohgedeckte Bauernhaus. Die rundliche Bäuerin begrüßt dich, mit einem Blick auf den triefenden Regenschirm, nicht ohne Rührung; und so bist du sogleich gut Freund mit ihr. Sie zeigt dir dein Stübchen. Ein rechtes Poetenstübchen. Es liegt oben auf der Lucht. In der Großstadt sagt man: auf dem Boden. Auf diesem riecht es wunderbar nach Roggen, Gerste, Hafer und Weizen. Und in deinem Bodenluchtstübchen duftet es außerdem noch nach Kamille, Thymian, Pfefferkraut und Räucherspeck, ja, es lässt sich nicht leugnen: auch ein wenig nach Mäusedreck. Aber das gehört zu dem dörflichen Milieu. Da auch du jetzt dazugehörst, ist all das ganz naturgemäß. Und da du ein Naturfreund bist, wirst du dich nach den erst schlaflosen Nächten sicher an all den Duft gewöhnen. Auch daran wirst du dich mit der Zeit nicht mehr stoßen, dass an einer Stelle des gemütlichen Stübchens, glücklicherweise nicht gerade über dem großen Himmelbett, in dem du schlafen sollst, das Dach offensichtlich ein Leck hat. Doch da durch dies kein flüssiger

Teer, sondern nur sauberes Regenwasser tropft, ist das nicht weiter gefährlich, zumal man unter die Leckstelle bereits eine große Blechwanne gestellt hat. Das Klingen der da hinein fallenden Wassertropfen ist sehr melodisch und wird dich in seiner Eintönigkeit vielleicht eher in Schlaf singen, als du denkst.

 

Auch sonst lässt du dir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht nehmen. In den langen Regentagen erzählt deine entfernte Verwandte dir recht Interessantes von all ihren Angehörigen, und du selber berichtest ebenso warmherzig über die deinen. Als dieser Gesprächsstoff nicht mehr sehr ergiebig, ergeben sich weitere Themen in der Unterhaltung mit deinen wirklich reizenden Wirtsleuten über die vielen landwirtschaftlichen Sorgen, die sie haben. — Ab und zu musst du ins Dorf, um dir, neben nassen Füßen, neue Schnupfen- und Hustenmittel zu holen. Die Strümpfe trocknet dir die freundliche Bäuerin an ihrem Kochherde, ohne dass dies dem Mittagessen, auf das du bei ihr abonniert bist, seine Schmackhaftigkeit nimmt. Nachdem du dich schon in der kurzen Zeit von acht Tagen an den Regen gewöhnt hast, machst du mit deiner entfernten Verwandten allen feuchten Füßen zum Trotz, schon längere Feld-, Wald- und Wiesenspaziergänge. An den Abenden vorher hast du mit der Hilfe jener Jungfrau den großen Regenschirm repariert, so dass er nur noch das halbe Aufsehen erregt, wenn ihr darunter, Arm in Arm, im Regen lustwandelt. Dieser Arme wegen soll allerdings, wie die Bäuerin zu erzählen weiß, bereits das Gerücht umgehen, dass deine entfernte Verwandte mit dir verlobt sei, dass ihr aber auf alle Fälle ein glückliches Liebespaar seid. Darüber freut ihr beide euch herzlich, weil natürlich kein wahres Wort daran ist.

 

Eure Freude kennt aber keine Grenzen mehr, als es, ganz unverhofft, schon nach rund zehn Tagen aufhört zu regnen. Du wirfst die bis dahin nicht verbrauchten Husten- und Schnupfenmittel triumphierend in den Müllkasten und freust dich in den letzten Urlaubstagen, mit deiner entfernten Verwandten dankbar zum blauen Himmel aufblickend, am Duft der sonnendurchglühten Kiefernwälder und an den weiten, blaugoldenen Seen, die träumend darin liegen.

 

Und als du schließlich nach deiner Rückkehr, wieder in Amt und Würden, neugierig gefragt wirst, wie es denn in deinem Urlaub gewesen sei, da gibt es natürlich nur den einen begeisterten Ausruf: O, wunderbar. Wirklich, ganz wunderbar!

 

Seite 11   Früchte auf dem Bücherbord. Von Josef Mühlberger.

Ich habe eine Schüssel großer, gesunder Birnen geschenkt bekommen; sie müssten nur noch einige Zeit abliegen, dann wären sie gar und würden weich und süß.

 

Ich überlege, wie ich die Früchte aufbewahren soll und entschließe mich, sie, eine schön neben der anderen, auf das Bücherbord zu legen und zu stellen.

 

Am Abend merke ich, dass  — die Früchte vor den Bücherrücken — ein schönes Bild ist. Aber es wird mir noch mehr. Da ich hinlange, um ein Buch herauszunehmen, ist mir, ich griffe in das Laub eines Baumes und löste eine runde Frucht, die weich ist und noch warm von der Sonne des Tages.

 

Ich habe die Birnen an einen richtigen Platz gelegt. Auch die Dinge, die ich schon früher vor die Bücher gelegt habe, erhalten nun an dieser Stelle für mich ihre Bedeutung: eine Druse rauchbraunen Bergkristalls, ein Schneckenhaus, eine steinerne Blüte, die aus dem Schutt eines bombenzerstörten Domes aufgelesen wurde.

 

Nur darum ist mir das Gedruckte der Bücher wertvoll, und nur das ist mir wertvoll, was in einem geheimen Sinn die gestaltende Kraft der Natur des Geistigen einverleibt und auf eine besondere Weise wiederholt und übertrifft; das, was die Dinge unseres Herzens und Geistes wie die dunkle Masse des Gesteins zum Kristall erhellt und verdichtet; das, was vom Wortlosen zu Ausdruck und Form findet wie die Windungen eines Schneckengehäuses, Sinn und Nutzen in der einfachsten, darum schönsten Gestalt vereinend; das fruchtbar und nahrhaft, das schön und gut ist wie eine Frucht.

 

Die kleine steinerne Blüte aus einem Ornament des zerstörten Domes; wie weich im Stein, wie anmutig bewegt und duftig lebendig! — woran erinnert sie mich? An das Rankenwerk um das farbig schimmernde Glas eines Fensters in der dunklen Wand einer Kirche. Dies ist mir je und je als eine erhöhte Wiederholung des nie zu Ende genossenen Anblicks von dunkler Laubwirrnis vor dem leuchtenden Hintergrund des Abendhimmels erschienen. Und die gedruckten Verszeilen einer Buchseite leben für mich und sind schön in einer gepflegten Ordnung wie die Reihen von Rebstöcken in einem Weinberg oder die klar gezogenen Furchen eines gepflügten Feldes.

 

Als eine dieses Gemeinsame noch übertreffende Verwandtschaft empfinde ich das gestaltete Wort in den gedruckten Büchern, vor denen die Kristalldruse, das Schneckenhaus, die steinerne Blüte und jetzt die festen, grünen Birnen liegen. Aber auch eine leise Bangnis fühle ich, dass sich hier etwas geändert haben könnte, das durch ein allzu helles Wissen das Fruchtbare, Nahrhafte, die Verbundenheit mit dem Erdhaften verlorengehen, dass der Aufschrei den stillen Duktus und runden Schwung der Verszeile zerstören, dass der Geruch von Asphalt den Duft des Ackers übertönen, dass die Bilder der Ruinen den Sinn für die gefügte Ganzheit trüben oder verwirren, dass das Versprechen auf Glück, das im Grunde auch noch die leidvollsten Werke der Kunst offenbaren, der gestaltlosen Verzweiflung weichen könnte.

 

In der guten Ordnung, in der die Bücher nebeneinander auf den Borden stehen, sind sie mir immer wie Bienenwaben erschienen, gefüllt mit Honig, den köstliche Mühe aus den blühenden Erdensommern des Geistes zusammengetragen hat, als tröstliche Nahrung für die sonne- und blütenlosen Jahreszeiten unseres Daseins.

 

Seite 12   Der Vertrag von Wehlau. Vor 300 Jahren legte der Große Kurfürst Grundstein für das Königreich Preußen und die Erneuerung des Reiches.

Abgebildet Friedrich Wilhelm der Große Churfürst von Brandenburg.

Am 16. September 1957 sind es dreihundert Jahre her, seit in der Stadt Wehlau zwischen dem Herzogtum Preußen, dem heutigen Ostpreußen, und der Krone Polen ein Vertrag geschlossen wurde, der in der Folge von größter Bedeutung werden sollte, nicht nur für den deutschen Osten, sondern für die ganze Entwicklung Brandenburg Preußens.

 

Um die ganze Tragweite dieses Vorgangs recht zu würdigen, müssen wir einen kurzen Blick auf seine Vorgeschichte werfen. Das Herzogtum Preußen, das einstige Gebiet des Deutschen Ritterordens, stand seit zweihundert Jahren als Vasallenstaat unter der Oberhoheit Polens. Der junge Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, der als der Große Kurfürst in die Geschichte eingehen sollte, hatte ein Jahr nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1641 als Herzog von Preußen durch einen Sondergesandten den Lehnseid für sein Land ablegen müssen, allerdings recht widerwillig.

 

Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Im Westen des in ein Chaos aufgelösten Deutschen Reiches zeigte sich immer deutlicher die Hegemonie Frankreichs. Der staatsmännische Scharfblick Friedrich Wilhelms erkannte sehr bald, dass Erfolge in absehbarer Zeit wohl nur durch eine geschickte Politik im Osten zu erringen seien.

 

Nach Jahren der Sammlung und des Aufbaus schien das Jahr 1655 neue, umwälzende Ereignisse im Osten einzuleiten. Aufs Neue flammte der jahrzehntelange Kampf um die polnische Königskrone auf zwischen der damaligen Großmacht Schweden und Polen. König Karl X. Gustav, ein Vetter Friedrich Wilhelms und ein sehr bedeutender Feldherr, durchzog von Schwedisch-Pommern aus in raschem Siegeszuge die polnischen Lande und machte keinen Unterschied zwischen dem eigentlichen Polen und dem unter Polen stehenden Herzogtum Preußen. Der Kurfürst musste sich irgendwie entschließen; die geographische und staatsrechtliche Lage seiner Länder verbot ihm jene Neutralität, mit der sein Vater unter ähnlichen Umständen die traurigsten Erfahrungen gemacht hatte. Für die kleine verarmte Mark Brandenburg sowie für das Herzogtum Preußen bestand die Gefahr, von Schweden einfach verschluckt zu werden. In Polen waren die staatlichen Verhältnisse zurzeit so zerfahren, dass dem Kurfürsten von seinem Lehnsherren keinerlei Hilfe und Schutz zu teil werden konnte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als im Vertrag von Marienburg die Partei Schwedens zu ergreifen, was wohl auch seinen inneren Wünschen entsprach. Die vereinigten schwedisch-brandenburg-preußischen „Kriegsvölker" errangen im Juli 1656 in einer dreitägigen Schlacht bei Warschau einen völligen Sieg über die Polen. Dies war die erste glänzende Waffentat der jungen Kriegsmacht des Kurfürsten.

 

Aber dennoch konnte es dieser Sieg nicht verhindern, dass einige Wochen später unter polnischer Führung starke Tatarenhorden in Ostpreußen einbrachen; sie waren von Polen herbeigerufen, um Rache an dem abgefallenen Vasallen zu nehmen. Ein kleines kurfürstliches Heer von knapp 10 000 Mann wurde am 8. Oktober am Lyck-Fluss zwischen Prostken und Ostrokollen geschlagen, und nun erlebte das unglückliche Land in kurzer Zeit alles, was ihm im Dreißigjährigen Kriege erspart geblieben war: 13 Städte, 244 Dörfer wurden eingeäschert, fünf Sechstel des Ackerlandes wurden zur Brache, 34 000 Menschen wurden verschleppt in die Sklaverei. Pest und Viehseuchen breiteten sich aus über das ganze Land.

 

Nach der Schlacht bei Warschau waren zwischen König und Kurfürst Verstimmungen aufgetreten, die sich immer mehr verschärften. Um den Kurfürsten enger an sich zu fesseln, räumte ihm der König im November 1656 im Vertrag von Labiau die volle Souveränität über das Herzogtum Preußen ein. Da sich aber eine große Koalition gegen Schweden gebildet hatte, musste sich der König mit seinen Hauptkräften nunmehr gegen Dänemark wenden, so dass der Kurfürst trotz seines Bündnisses ziemlich isoliert dastand. Gefährlich war es für ihn, dass Polen sich inzwischen wieder aufgerafft und sogar ein Bündnis mit dem Deutschen Kaiser geschlossen hatte. Die stark veränderte politische Lage und nicht zuletzt das immer größer werdende Elend im Herzogtum Preußen, wozu sich noch ein polnischer Einfall im Oberland gesellte, bewogen Friedrich Wilhelm, einem Sonderfrieden mit Polen näherzutreten, was natürlich seinem schwedischen Verbündeten gegenüber einen plötzlichen Stellungswechsel mit sich bringen musste.

 

Im Sommer 1657 begannen die Verhandlungen in Wehlau; man hatte diese Stadt gewählt, weil in Königsberg die Pest herrschte. Es waren langwierige und schwierige Besprechungen. Der Kurfürst musste alle seine Bindungen zu Schweden abbrechen und sich mit Polen verbünden. Aber er konnte schließlich doch sein Hauptziel erreichen: Polen entließ ihn als Herzog von Preußen aus jeglicher Lehnspflicht. Mit Ausnahme des Fürstbistums Ermland wurde Preußen jetzt ein souveräner Staat

 

Unter Glockengeläut wurde am 16. September 1657 im Wehlauer Rathaus (an dessen Mauern eine Bronzetafel an das Geschehnis erinnerte) der denkwürdige Akt mit aller Feierlichkeit unterzeichnet. Drei Jahre später, beim großen Friedensschluss im Kloster Oliva bei Danzig, wurde die preußische Souveränität von den Großmächten und vom Deutschen Kaiser bestätigt. Als kleines Pflaster für Polen war in den Vertrag die Klausel aufgenommen, dass Polen in Preußen erbberechtigt sein solle bei einem Aussterben der direkten Linie der Hohenzollern. Erst ein Jahrhundert später gelang die Löschung dieser Bestimmung unter Schwierigkeiten.

 

Mit dem Vertrag von Wehlau war mehr geschehen als die Verleihung der Souveränität an ein Land, das in weiter Ferne oben im Nordosten lag. Man hat das damals wohl auch irgendwie geahnt; denn es war nicht nur der plötzliche Frontwechsel, der überall Aufsehen erregte und für den man in den Kabinetten Europas das bittere Wort vom „brandenburgischen Wechselfieber" prägte. Am Hofe Ludwigs XIV. sahen die stets weitblickenden französischen Staatsmänner von jetzt ab mit fast prophetischem Argwohn auf das, was sich dort oben unter dem „Goten des Nordens" für die Zukunft als recht bemerkenswerter politischer Faktor abzeichnete.

 

Friedrich Wilhelm hat damals sehr deutlich die allerdings vorübergehende und mit einem gewissen Respekt verknüpfte Diskreditierung seiner Person empfunden. „Ich bin bei der ganzen Welt gleichsam und absonderlich bei den meisten Fürsten und Ständen des Reiches ganz verhärtet und verfeindet“, so urteilte er über sich selbst. Aber er wusste, was er tat, und die Geschichte hat ihm rechtgegeben.

 

Wir Heutigen müssen das überraschende und so vielfach verurteilte Umschwenken des Kurfürsten zunächst einmal aus seiner Epoche heraus betrachten: niemals sind wohl so viele Staatsverträge geschlossen und wieder gelöst worden wie in jenem Zeitalter des Barock. Auch wird man eine auf große Zukunftsziele zum Wohle eines Volkes gerichtete Politik nicht ohne weiteres vergleichen können mit den Maßstäben, nach denen sich das tägliche bürgerliche Leben aufbauen muss. Eine berühmt gewordene Flugschrift schloss der Kurfürst mit den damals durchaus nicht alltäglichen und selbstverständlichen Worten: „Gedenke, dass du ein Deutscher bist!" Es waren für ihn nicht bloß Worte, er hat danach gehandelt, als er das alte Ordensland, das sich trotz der Abhängigkeit von Polen sein Deutschtum getreulich bewahrt hatte, in Wehlau aus dieser unwürdigen Abhängigkeit befreite. Preußen war jetzt hineingenommen in den großen Strom deutscher Geschichte: er führte über das Königreich zur Großmachtstellung und schließlich nach zwei Jahrhunderten zur Neugründung des Reiches durch Bismarck. Und darin liegt die europäische Bedeutung des Wehlauer Vertrages. General a. D. Dr. Walther Grosse

 

Seite 12   Preußens unvergängliche Werte

„Preußenbrevier". Herausgegeben von Götz von Selle. Otto-Dikreiter-Verlag, Freiburg i. Br. - Frankfurt a. M. DM 4,80.

 

Der Geist Preußens darf nicht untergehen, wenn der Deutsche sein Vaterland nicht verlieren will. Das „Preußenbrevier" bringt uns in unser Bewusstsein, worauf dieses Preußen aus seiner geschichtlichen Notwendigkeit seinen Staat aufbaute und ausbaute. Durch kennzeichnende, treffende Verlautbarungen vieler bedeutender preußischer Männer, durch Abschnitte aus Verfügungen der Behörden wird uns deutlich gemacht, was es mit der Ordnung in diesem Rechtsstaat auf sich hatte und wie Souveränität, wie das Amt im Staatsdienst, wie Verantwortung und Gemeinwohl verstanden wurden. So wie Europa nicht ohne Deutschland bestehen kann, so auch Deutschland nicht ohne Preußen.

 

Was diesen Staat gegründet hat, was Ihn trägt und leitet, ist, wenn ich so sagen darf, eine geschichtliche Notwendigkeit. Zum Wesen dieses Staates gehört jener Beruf für das Ganze. In diesem Beruf hat es seine Rechtfertigung und seine Stärke. Er würde aufhören, notwendig zu sein, wenn er ihn vergessen könnte; wenn er ihn zeitweise vergaß, war er schwach, verfallend, mehr als einmal dem Untergang nahe. G. Droysen

 

Preußen ist ohne Mythos, aber Preußentum ist ein Prinzip in der Welt. Moeller van den Bruck.

 

Deutschland hat gewonnen, was Preußen erworben hat. Friedrich Wilhelm III.

 

Es ist Pflicht jedes guten Staatsbürgers, seinem Vaterland zu dienen und sich bewusst zu sein, dass er nicht für sich allein auf der Welt ist, sondern zum Wohle der Gesellschaft beizutragen hat, in die ihn die Natur gesetzt hat. Friedrich der Große

 

Es soll Niemandem ein Amt aufgetragen werden, der sich dazu nicht hinlänglich qualifiziert und Proben seiner Geschicklichkeit abgelegt hat. 1794, Allgemeines Preußisches Landrecht

 

In der gleichen Rechtshändeln gilt kein Stand, keine Geburt, kein Ansehen der Person. Friedrich der Große

 

Sie müssen wissen, dass der geringste Bauer, ja, was noch mehr ist, der Bettler eben sowohl ein Mensch ist, wie Seine Majestät sind und dem alle Justiz gewährt werden muss, indem vor der Justiz alle Leute sind, es mag sein ein Prinz, der wider einen Bauern klagt, oder auch umgekehrt, so ist der Prinz vor der Justiz dem Bauer gleich, und bei solchen Gelegenheiten muss nur nach der Justiz verfahren werden, ohne Ansehen der Person.

Friedrich der Große an das Kammergericht 1779 im Prozess des Müllers Arnold

 

Die Gesetze und Verordnungen des Staates dürfen die natürlichen Rechte nicht weiter beschränken, als der gemeinschaftliche Endzweck erfordert.

1794, Allgemeines Preußisches Landrecht

 

Wenn der Zeitgeist oder die Summe der Fortschritte der Menschheit zu einem höheren Ziele mächtig eingreift und im Innern oder von außen kräftig wirkt und die Lage der Dinge ändert, der Geist nach anderen Formen strebt und ohne die Änderung der Form kein neuer Schwung zu dem höheren Ziele möglich ist, dann ändert sich die Verlassung von selbst, wenn ihr nicht die Fesseln angelegt sind, die solches unmöglich machen. Diese Fesseln zu lösen, ist die Pflicht der obersten Gewalt im Staate. Die Änderung der Grundverfassung ist bloß ein Nachgeben gegen das, was der Zeitgeist erheischt. Die Kunst besteht darin, diesen Zeitgeist in der leisesten Äußerung richtig zu lassen und gehörig zu würdigen. Das höchste Ziel der Verfassung ist, dass in jeder Bestimmung derselben die Möglichkeit nicht nur, sondern sogar eine Veranlassung zum Fortschreiten liegt . . .

 

Aufgeklärte und kräftig fortschreitende Völker haben stets in ihrer Verfassung auch deren weitere Ausbildung und die Möglichkeit der Änderung nach besserer Einsicht berücksichtigt.

Denkschrift des Geh. Oberfinanzrates von Allenstein vom 11.09.1807

 

Seite 12   August Graf von Werder. Zu seinem 70. Todestag am 12. September 1957.

Einer der bekanntesten Armeeführer des deutsch-französischen Krieges 1870 war Korpsgeneral Graf von Werder, der Eroberer Straßburgs und Verteidiger von Belfort — ein Ostpreuße. Solange das Jahr 1870 im Gedächtnis unseres Volkes fortlebt, wird man auch dieses Mannes gedenken.

 

August von Werder wurde am 12. September 1808 in Norkitten bei Insterburg geboren, wo das Dragonerregiment, dem sein Vater angehörte, in Garnison stand. Er war fünf Jahre alt, als er seinen Vater in den Befreiungskrieg ausziehen und sieben Jahre, als er ihn als Oberst und Kommandeur einer Kavalleriebrigade heimkehren sah.

 

Mit siebzehn Jahren trat August von Werder in das Regiment Garde du Corps ein, kam später an die Kriegsschule in Berlin und avancierte vom Lehrer im Kadettenkorps in den Großen Generalstab.

 

Während der Jahre 1842 und 1843 nahm er an den Kämpfen der Russen im Kaukasus teil und wurde nach seiner Heimkehr dem 1. Infanterieregiment in Königsberg zugeteilt. Im Jahre 1863 rückte er während des polnischen Aufstandes in Russland zur Grenzbewachung in das Großherzogtum Posen, im Feldzug gegen Österreich kämpfte er als Generalleutnant bei Gitschin und Königsgrätz und erwarb den Orden pour le mérite.

 

Im deutsch-französischen Kriege führte General von Werder zunächst das aus den badischen und württembergischen Truppen gebildete Armeekorps, an dessen Spitze er erfolgreich in die Schlacht von Wörth eingriff. Nach dieser Schlacht wurde ihm der Oberbefehl über das Belagerungskorps von Straßburg übertragen. Am Tage der Übergabe von Straßburg, dem 27. September 1870, wurde er zum General der Infanterie ernannt. Aus den durch die Übergabe von Straßburg freigewordenen Truppen wurde nunmehr ein XIV. Armeekorps gebildet, das unter Werders Oberbefehl trat. Mit zäher Ausdauer hat er mit seinen Korps den ganzen Winter hindurch die verschiedenen französischen Armeen in Schach gehalten, die zum Ersatz von Belfort heranzogen und einen Einbruch in Süddeutschland zu erzwingen versuchten. Trotz aller Unbilden der Witterung hat er gegenüber einem um das Vierfache überlegenen Gegner tapfer standgehalten. Seine größte Heldentat war die dreitägige Schlacht an der Lisaine, im Süden von Belfort, in den Tagen vom 16. bis 18. Januar 1871, in welcher die Armee Bourbakis vollständig geschlagen und zum Rückzüge auf Besancon genötigt wurde. Das Großkreuz des Eisernen Kreuzes war der Lohn dieses Sieges, durch welchen er Süddeutschland von schwerer Gefahr befreit hatte.

 

Nach Friedensschluss wurden diesen tapferen ostpreußischen Heerführern mannigfache Ehrungen zuteil. Ein rheinisches Infanterieregiment erhielt seinen Namen, wie auch ein Fort von Straßburg seinen Namen trug. Die Städte Stettin, Gräfrath, Karlsruhe und Freiburg i. Br. ernannten ihn zu ihrem Ehrenbürger und die Universität Freiburg machte ihn zu ihrem Ehrendoktor. 1875 erhielt er den Schwarzen Adlerorden. Als er zwei Jahre später seinen Abschied nahm, wurde er in den Adelsstand erhoben.

 

Ein Jahrzehnt noch lebte der greise ostpreußische Heerführer in stiller Zurückgezogenheit in Grüssow bei Belgard, wo er an seinem 79. Geburtstage, dem 12. September 1887 starb.

 

Seite 13   Herbst daheim / Eine Symphonie in Farben. Von Christel Papendick.

Hell steht die Sonne am morgentlichen Himmel. Die Dämmerung hat sich gelöst. Das Nebelnetz, fein gesponnen wie Filigran, ist zerflattert. Es duftet nach Erde, die das Samenkorn in der Wärme des Sommers aufgehen und zu Blüte und Frucht werden ließ. Würzige Erde, aus der alles steigt: Halm, Blatt und Frucht — und an die alles wieder zurückfällt. Wärmende Strahlen der Herbstsonne durchfluten die weite Landschaft. Sie legen sich über die breiten und gepflegten Parkwege, über die noch grünen Rasenflächen, an deren Grashalmen der Morgentau in vielen kleinen silbernen Perlen haftet.

 

Dahlien in leuchtenden Farben, ein Mosaik in rot, gelb und rosa, stehen an der Südseite des alten Gutshauses. Sie neigen die zarten Blütenköpfe, aus ihren Schalen tropft das gefangene Wasser des Morgentaues. Am Giebelgemäuer, vielfach verzweigt, rankt sich der wilde Wein empor. Purpur leuchtet sein Laub. Altweibersommer webt seine zarten schlohweißen Fäden durch das Geäst. Glasklar und rein ist die Herbstluft. Gesegnete Stille. Nur das Gezwitscher der letzten Sommervögel lässt sie bisweilen leise erzittern. Wolkenschiffchen treiben mit weißen Segeln ruhig gleitend über den blauen Himmel.

 

Die letzten Rosen, rote und weiße, säumen die Auffahrt. Sanft fällt überall das gelbe Laub zur Erde. Im verspielten Frühwind rascheln die fächerartigen gelbbraunen Blätter der großen Kastanie. Dumpf fallen die Früchte, aus den hellgrünen Kapseln springend, blank und braun oder auch weißgescheckt.

 

Im Nussgang verfließen die Farben, rot und grün. In Büscheln hängen die Früchte in dem Geäst. Ein Eichhörnchen, noch im rotbraunen Sommerkleid, springt geschmeidig zur Erde, macht ein zierliches „Männchen" und verzehrt gewandt und schnell die erbeutete Nuss.

 

Am breiten Kiesweg steht der Flox in voller Blüte. Süßlicher Duft strömt aus seinen rosa, lila und weißen Blütenkelchen. Die Bienen sind summend und geschäftig am Werk, den letzten Honig des Jahres für den langen Winterschlaf einzubringen.

 

Und dann der Obstgarten! Ein Paradies mit lockenden Früchten. Gesunde Baumbestände stehen in langen Reihen bis an den Weg. Die mächtig ausgreifenden Wipfel filtern das Sonnenlicht und werfen Schattenornamente auf den gelben Sandweg.

 

Rotbäckige Äpfel, goldgelbe Birnen lachen aus den Zeigen. Dazwischen die jungen Pflaumenbäumchen, dunkelrot und blau ihre glatten Früchte. Als leuchtendes Gelb auf der Palette des Herbstes hineingemischt die kleinen Mirabellen.

 

Die niedere verwitterte Pforte zum Blumen- und Gemüsegarten ist von Klematis umrankt, die ihre lila Blüten der Sonne entgegenhält. Gemüse und die letzten Blumen verströmten einen herben Duft. Auch hier sind noch alle Farben des Sommers zu finden und lassen das Auge entzücken. Vom leuchtenden Rot der lang aufschließenden Gladiolen zum Weiß der gefiederten Asternsterne und der Herbstmargeriten. Und das Gelb der riesigen Sonnenblumen, das Violett des letzten Heliotrops. Daneben die kupferfarbenen zierlichen Monbretzien mit ihren schilfartigen mattgrünen Blättern. Im Maschengitter rankt noch die ziegelrote Kresse.

 

Ein langes Spargelbeet trennt das Blumenviertel von der Gemüseanlage. Moosgrün und tänzerisch leicht wiegt sich das Kraut im Winde. Blaugrün dahinter der so beliebte Lauch. Weißkohl reiht sich an, hellgrün die festen Köpfe. Auch ein Beet Rotkohl. Und dann die Tomaten, deren feiste Früchte die warme Herbstsonne reift.

 

In mächtigem Rankengewirr überwuchert der Kürbis den Komposthaufen und nimmt noch mit seinen langen Ausläufern Besitz von fremden Beeten und dem schmalen Weg.

 

Drüben der Geräteschuppen. Unter seinem vorspringenden Dach hängen Majoran, Zwiebeln, Lavendel und die bunten Büschel der Strohblumen zum Trocknen aus.

 

Den „alten Weg", der die Auffahrt fortsetzt und hinaus zu den Äckern und Feldern führt, geben die rauschenden Bluteichen noch ein Stück das Geleit.

 

Draußen ist man bei der Kartoffelernte. Dampfend ziehen die Pferde den Kartoffelgräber über das Feld. Gut riecht die Erde, wenn sie von den Schaufeln aufgerissen wird. Viele fleißige Hände sammeln die dicken gelben Knollen in die Körbe. In langen Reihen stehen die prallen Säcke mit dem Ackersegen. Es wird eine gute Ernte!

 

Und dann die Kartoffelfeuer, wenn die Felder abgeerntet sind. Es wäre kein richtiger Herbst, wenn sie fehlten. Tagelang liegt der unvergesslich würzige Rauch über dem Land. Wie das Feuer knistert! Und welche Lust, in seiner Glut herumzustochern! Und wie herrlich sitzt es sich auf den umgestülpten Kiepen um das qualmende Feuer. Wir werfen frische Kartoffeln in die Glut und lassen sie braten. Gibt es etwas Köstlicheres als diese im Feuer gebratenen Kartoffeln? Sie schmecken nach Erde und Rauch. Ihr Geschmack ist ebenso unvergesslich wie der Rauch der Feuer, den die Kleider noch lange bewahren.

 

Der Wind geht über die gelben Stoppeln der abgeernteten Getreidefelder. Bald kommt der Pflug und nimmt sie unter sein scharfes Eisen. Nur die Rübenfelder bergen noch ihre Frucht. Ihre saftigen Blätter zeichnen große grüne Rechtecke über das Land.

 

Die Sonne neigt sich dem Horizont zu. Im Untergehen tupft sie purpurne Flecken auf die bauschigen Wolkenkissen. Die Dämmerung zieht ihren dunklen Mantel über das weite Land. Hier und dort noch der verglimmende Schein eines Feuers. Das Rattern des letzten Kartoffelwagens ist längst verhallt. Die große Stille wächst aus dem Schoß der gesegneten, fruchtbaren Erde. Am Himmel blinken die Sterne auf.

 

So habe ich dich in Erinnerung, geliebte Heimat, wenn der Herbst sein Füllhorn über dich ausschüttete: reichen Segen und einen Rausch von Farben. So bist du auf den Grund meiner Seele gemalt, unauslöschlich. Ein Bild des Friedens und der Geborgenheit.

 

Seite 13   Matthias Claudius.

Gott gebe mir nur jeden Tag.

Soviel ich darf zum Leben.

Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach.

Wie sollt er’s mir nicht geben?

 

 

Memlings „Jüngstes Gericht"

Wie bekannt wird, ist das berühmte Gemälde Hans Memlings „Das Jüngste Gericht", das vor einiger Zeit von den Sowjets an Polen übergeben wurde, nicht wieder in der Danziger Marienkirche angebracht worden, sondern hat im „Museum Pomorskie" Aufnahme gefunden. Das Gemälde war gegen Kriegsende zur Sicherung vor Kriegsschäden nach Mitteldeutschland verlagert worden, von wo es die Sowjets zunächst nach Moskau brachten, um es sodann den polnischen Behörden zu übergeben.

 

Ernst Mollenhauer 65 Jahre alt

Der in Tapiau, der Heimat Lovis Corinths. geborene Maler Ernst Mollenhauer wurde am 27. August 1957, 65 Jahre alt. Nach Studienjahren an der Königsberger Akademie arbeitete er einige Jahre in den USA. Aber seine ganze Liebe gehörte stets Ostpreußen. Bis zum Zusammenbruch hat er in Nidden gelebt und hier eine bedeutende Rolle in der Künstlerkolonie und im Kreis um Max Pechstein gespielt. Mollenhauers farbstarke Bilder leben vom Geist und der Atmosphäre der ostpreußischen Landschaft. Auch wenn er in den Nachkriegsjahren, nach Düsseldorf verschlagen, am Niederrhein oder in der Bretagne, in Spanien, Italien oder an der Nordsee arbeitet, ist es vor allem die Landschaft seiner Heimat, die er in immer neuen Formen gestaltet. In den Kunstgremien von Nordrhein-Westfalen ist er ebenso tätig wie an der Spitze der Fachgruppe Bildende Kunst und der Düsseldorfer Landesgruppe der Künstlergilde.

 

Schuld und Verheißung

Der Ostkirchenausschuss und der Konvent der zerstreuten Evangelischen Kirchen veranstalten vom 7. bis 10. Oktober in Hameln eine Arbeitstagung zum Thema „Schuld und Verheißung deutsch-polnischer Nachbarschaft". Namhafte Wissenschaftler und Publizisten werden über historische, politische und kulturelle Aspekte des deutsch-polnischen Verhältnisses in Vergangenheit und Gegenwart sprechen.

 

Neuer Kapitularvikar

Das Domkapitel von Ermland hat den Konsistorialrat Paul Hoppe, Pfarrer in Wilster in Holstein, zum Kapitularvikar der Diözese Ermland gewählt. Er tritt die Nachfolge des verstorbenen Kapitularvikars, Prälat Artur Kather, an.

 

Die „Gesellschaft der Freunde Kants" in Göttingen (früher Königsberg) hat den amerikanischen Abgeordneten Dr. jur. B. Carroll Reece in Würdigung seiner Verdienste um die Vertretung des Rechtsgedankens im Sinne der Kantschen Philosophie zu ihrem ordentlichen Mitglied ernannt. Der amerikanische Abgeordnete hat in seinen Reden vor dem amerikanischen Repräsentantenhaus wiederholt auf die Bedeutung der Universität Königsberg und des Lebenswerks Immanuel Kants für die abendländische Kultur hingewiesen.

 

Deutsche Bücher in der UdSSR. Der Druck einer Reihe deutscher Bücher, die ins Russische übersetzt worden sind, ist vorgesehen. 1958 soll zum ersten Mal eine Wilhelm-Raabe-Ausgabe erscheinen. Eine Neuübertragung von Schillers „Maria Stuart" ist in Arbeit. Auch eine zehnbändige Thomas-Mann-Ausgabe soll demnächst erscheinen.

 

Seite 13   Preußischer Buchdienst

Heute empfehlen wir besonders:

Tamara Ehlert: Die Dünenhexe. Erzählungen. Band 3 der „Kleinen Elchland-Reihe“ 56 Seiten – 2,20 DM.

Selten fand der Erstling eines jungen Dichters so begeisterte Aufnahme, wie sie diesen Meistererzählungen der jungen Königsbergerin zuteil wurde. Presse und Rundfunk stimmten darin überein, dass wir in Tamara Ehlert einem einmaligen Talent gegenüberstehen.

 

Dr. Josef Mühlberger schrieb in Welt und Wort über dieses Buch:

 

Auf 56 Seiten 14 Erzählungen, die in sich geschlossene Meisterwerke sind. Wie da ohne Umschweife auf drei, vier Seiten Menschenschicksal beschworen wird, das ist in unserer heutigen Prosa kaum noch zu finden. Dabei handelt es sich um eine Dichterin und ihr erstes Buch. Sie ist Ostpreußin, und alles an ihr und in ihren Erzählungen ist ostpreußisch. Ungeheuer lebendig bei letzter Knappheit: solche Gestaltungskraft ist erstaunlich. Hier haben wir Prosastücke, von denen kein Wort weggelassen werden kann, so dicht und richtig ist alles. „Die rote Strickjacke" ein mütterliches Kriegserleidnis von unerhört selbstverständlicher Symbolik und doch völlig neu in Ton und Geschehen; „Das Stück Bernstein" — eine der schönsten und überzeugendsten Flüchtlingserzählungen; und — es ist wie ein Wunder—„Die Mondscheinküche", eine Liebesgeschichte, die wie wenige, die wir kennen, ans Herz greift. Die Gestaltungskraft wie der menschliche Ton lassen uns so staunen wie sie uns beglücken.

 

Seite 14   Wir gratulieren!

Zum 88. Geburtstag

Herrn Johann Brennenstuhl, aus Tomken, Kreis Strasburg (Westpr.) am 22. August 1957 in Dingwörden, Kr. Otterndorf.

 

Zum 84. Geburtstag

Frau Auguste Hempel, gebürtig aus dem Kreis Rastenburg, am 22. August 1957 in Oberndorf/Niederelbe.

 

Zum 80. Geburtstag

Frau Auguste Reuter verwitwete Krampitz, aus Danzig, gebürtig aus Obory, Kr. Kulm, am 25. August 1957 in Dalum/Emsland.

 

Frau Anna Gutzeit geb. Brachaus, Witwe des Postbetriebsassistenten Albert Gutzeit, aus Könisberg, am 26. September 1957 in Seesen/Harz, Engeladerstraße 1.

 

Fräulein Emma Kolless, die erst im Mai 1957 ihren ostpreußischen Heimatort Neuberstendorf verlassen hat, in Anderten bei Misburg. (Der Tag des Geburtstages wurde nicht mitgeteilt)

 

Zum 79. Geburtstag

Herrn Otto Wichert, Rentner, aus Frödenau (Westpreußen), am 17. August 1957 in Altencelle.

 

Zum 75. Geburtstag

Herrn Kurt Bonus, letzter Deichhauptmann aus Dirschau/Westpr., am 28. August 1957 in Ebstorf bei Uelzen.

 

Seite 14   Flensburger Geburtstagskinder

Berta Wispereit, aus Metgethen/Kbg. am 6. September 1957, 81 Jahre.

 

Rosa Schulz, aus Braunsberg am 3. September 1957, 80 Jahre.

 

Dr. Walter Schulz, aus Allenstein am 2. September 1957, 80 Jahre.

 

Bernhard Just, aus Cranz am 4. September 1957, 74 Jahre.

 

Theophil Hans, aus Allenstein am 12. September 1957, 70 Jahre.

 

Anna Knorr, aus Königsberg am 13. September 1957, 79 Jahre.

 

Waldemar Nielsen, aus Königsberg am 16. September 1957, 80 Jahre.

 

Therese Heppne,r aus Heisten bei Mehlsack am 19. September 1957, 76 Jahre.

 

Marie Schlömp, aus Schippenbeil am 26. September 1957, 70 Jahre.

 

Hulda Lindenblatt, aus Königsberg am 29. September 1957, 75 Jahre.

 

Das Heimatblatt „Ostpreußen-Warte" wünscht allen Jubilaren viel Glück und auch fernerhin beste Gesundheit.

 

Seite 14   Grüße aus Polen

Der polnische Rundfunk hat in seine deutschsprachigen Sendungen Verwandtengrüße über die Oder-Neiße-Linie hinweg aufgenommen. Diese Grüße stammen nach Mitteilung des Verbandes der Landsmannschaften zumeist von den in den deutschen Ostgebieten gebliebenen Deutschen, die Familienangehörige in der Bundesrepublik oder in der Sowjetzone haben.

 

Wöchentlich einmal werden diese Grußbotschaften jeweils etwa 20 Minuten nach Deutschland gestrahlt. Die angesprochenen Verwandten werden nach Angabe des Verbandes der Landsmannschaften vom Warschauer Rundfunk rechtzeitig schriftlich informiert, dass ihre Verwandten an einem bestimmten Tage über eine bestimmte Wellenlänge zu ihnen sprechen werden.

 

Seite 14   Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

 

Zum Geburtstage herzliche Glückwünsche allen Septemberkindern,

am 26.09.1957: Lorenz Wolff (KTC Kbg.), 40 Jahre

 

am 30.09.1957: Charlotte Stutz-Hartwig (Labiau), 40 Jahre

 

am 03.09.1957: Eva Lubjuhn-Wrissenberg (Insterburg), 50 Jahre

 

am14.09.1957: Else Huwe-Urban (Treuburg), 50 Jahre

 

am 22.09.1957: Sepp Kossessa (Allenstein), 50 Jahre

 

am 25.09.1957: Erich Ristow (Marienburg), 50 Jahre

 

Lisbeth Sahnau (Lyck), 60 Jahre

 

Anna Tribukait (KMTV Kbg.), 70 Jahre

 

Hermann Geisendorf (Elbing), 83 Jahre.

 

Die Kartei mit den Anschriften auf dem Laufenden zu halten, ist eine der wichtigsten Aufgaben. Leider kommen immer wieder einzelne Postsendungen zurück mit dem Vermerk „Unbekannt verzogen". Wer seinen Wohnsitz wechselt, den bitte ich daher um Nachricht, damit die Verbindung aufrechterhalten werden kann. Vor allem wichtig ist dies für die Anschriften in der Sowjetzone. Wer von einem Wohnungswechsel drüben Kenntnis erhält oder den Umzug eines Turners aus der Zone nach Westdeutschland erfährt, den bitte ich in jedem Falle um Mitteilung darüber für die Kartei.

 

Karteizugänge seit Januar 1957:

Tgm. Danzig: Carlo Baumeister, Hans Struschka;

Fr. TV. Danzig: Ingelore Graf, Eva Jahr, Gerda Schötzau-Lee, Gisela Thomé-Mielke;

ETG Elbing: Gertrud Witt-Melzner;

MTV Gumbinnen: Edith Barsnick-Maeder, Fritz Boßukat, Waldemar Dittomben, Otto Groell, Fritz Maschke, Franz Neubereit;

KMTV Königsberg: Gertrud Milthaler-Voss, Dr. Markus Timmler;

KTC Königsberg: Edith Barsnick-Maeder (auch unter Gumbinnen aufgeführt), Marianne Buchwald-Fieber, Ruth Frost-Mill, Rudolf Hertel, Paula Kohn, Dr. Elsa Lüder, Dr. Kurt Losch, Dr. Werner Perrey, Gertrud Perrey-Kloster, Lucie Sitzenstock-Radtke, Lena Witt-Basnick;

MTV Ponarth Königsberg: Fritz Dorbrandt;

MTV Lyck: Hilde Schlegle-Gliemann, Martha Winter;

TV Marienwerder: Hans Kling, Gerda Schmidt-Heumann. Anneliese Timm;

MTV Memel: Erna Attow-Petereit, Erna Richter-Anders, Alice Röhmann-Anders, Alfred Sternberg;

MTV Pillau: Horst Böttger;

MTV Pr.-Holland: Herta Rosner;

MTV Treuburg: Kurt Günther;

TV Zoppot: Dora Batzer.

 

Das Deutsche Turnfest München 1958 und unser damit verbundenes X. Wiedersehenstreffen (27.07. bis 03.08.1958) kommen mit Eile auf uns zu. Sparen! Sparen! Sparen! heißt die Parole. Einen Auszug aus dem Programm für die Festwoche sende ich auf Wunsch gern zu. Alle Einzelheiten werden im Übrigen durch die monatlich erscheinenden „Festblätter Deutsches Turnfest 1958 München" bekanntgegeben. Auch die Wettkampfausschreibungen werden darin erscheinen. Bezugspreis vierteljährlich DM 2,40 zuzügl. Postgebühren. Bestellung beim örtlichen Postamt oder beim Wilhelm Limpert-Verlag, Frankfurt (Main), Zeil 65 - 69.

 

Turnschwestern und Turnbrüder aus der Sowjetzone möchten wir recht zahlreich in München begrüßen. Gebt mir recht bald Anschriften, an die ich Einladungen richten soll. Nach den Erfahrungen der Vorjahre kann damit gerechnet werden, dass wir die Mittel zusammenbekommen, um Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung für die Besucher aus der Zone zu bezahlen

 

Seite 14   Aus den Traditionsverbänden

Traditionsgemeinschaft der ehem. 61. Ostpreußischen Inf.-Division. Angehörigen-Treffen in Düsseldorf

Zum ersten Mal nach Kriegsende findet am 28. und 29. September in Düsseldorf ein Treffen der Angehörigen der ehemaligen 61. ostpreußischen Infanterie-Division statt. Wir hoffen, gelegentlich dieses Treffens eine Reihe von Vermisstenschicksalen unserer Kameraden klären zu können, deren Klärung trotz der vorbildlichen Suchdienstarbeit des Deutschen Roten Kreuzes bis heute nicht gelungen ist. Wir bitten um eine recht rege Beteiligung an unserem Bundestreffen. Alle Anfragen sind zu richten an Dipl.-Ing. Horst Mathow, Köln-Lindenthal, Meister-Ekkehart-Straße 1.

 

Ostverein für Prüfung von Gebrauchshunden zur Jagd — Königsberg/Pr.

Viel ist vom lieben, alten Ortsverein nicht zu berichten. Die meisten Mitglieder sind tot oder verschollen, die übriggebliebenen in alle Winde zerstreut, alt geworden oder in schwerstem Existenzkampf. Ich selbst hätte, als ich endlich aus der Ostzone überwechselte, Zeit genug gehabt um mich für den Ortsverein einzusetzen; aber der „nervus rerum" fehlte. Jetzt im eigenen Existenzkampf, fehlt die Zeit. Auf der letzten Verbandsversammlung in Bingen klagte ich dem Verbandsvorsitzenden mein Leid, weil ich das Rennen aufgeben wollte. Herr Ostermann hat mich aber gebeten, den Ortsverein als Traditionsverein aufrecht zu erhalten, ist er doch der zweitälteste Verbandsverein. Das ist natürlich Verpflichtung. Und sollte das Schicksal uns ein Wiedersehen mit der Heimat gönnen, so wäre es durch die Beziehungen zum Verband und den Zuchtverbänden möglich, wertvolles Hundematerial zu erhalten. Dann sollen auch gern diejenigen, die uns jetzt unterstützen, unsererseits nicht vergessen werden, wenn es um die Jagdeinladungen geht, selbst wenn es nur Wölfe sind, die wir ja wohl reichlich vorfinden werden. Aber auch anderes Wild dürfte in den Wildnissen und Dickungen, die auf unsern fruchtbaren Feldern entstanden sind, sich gut vermehrt haben und uns starke Trophäen bescheren.

Neu zum Verein gestoßen sind die Gebr. Nelson, Königsberg.

Ich würde mich sehr freuen bald den Beitrag 1957 zu erhalten von den angemeldeten Mitgliedern und von möglichst viel Neuzustoßenden. Mindestbeitrag 2,-- DM, kein Eintrittsgeld. Postscheckkonto Nr. 871 33 Dortmund, Dr. Otto Gehrmann „Vereinskonto'' Münster/Westf. Erbitte Anschriften von alten Mitgliedern und Interessenten. Mit Waidmannsheil! Dr. Otto Gehrmann (Gr. Neumühl), Münster/Westf. Norbertstraße 1.

 

Vereinigung ehem. Sackheimer Mittelschüler Königsberg/Pr.

Anlässlich des 37-jährigen Bestehens der Vereinigung laden wir alle ehemaligen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler unserer Schule herzlich ein zu der am Sonntag, dem 6. Oktober 1957, 14 Uhr, stattfindenden kleinen Stiftungsfeier in Düsseldorf, Suitbertusstr. 1, Gaststätte Kohnen.

 

Im Zusammenhang mit diesem Treffen bringen wir eine Tonbandaufnahme von unserem Jahreshaupttreffen 1957 in Hamburg und Sauensiek zu Gehör. Außerdem liegen uns eine größere Anzahl von Fotos dieses Treffens vor.

Sonntag, den 17. November 1957 (Volkstrauertag), 11 Uhr, findet, wie alljährlich, in unserer Patenschaftsschule, der Knabenrealschule in Duisburg, An der Wacholderstraße, eine Totengedenkfeier mit Kranzniederlegung statt. Die Gestaltung dieser Feierstunde hat unsere Patenschaftsschule übernommen.

 

Wir erbitten zu beiden Veranstaltungen eine rege Beteiligung.

Gleichzeitig sei nochmals an die „Geschichte der Sackheimer Mittelschule Königsberg/Pr." von Herrn Rektor Zeil erinnert. Sie ist bei Schulk. Herbert Minuth. Düsseldorf, Suitbertusstraße 34, gegen Voreinsendung von 1,20 DM erhältlich. Herbert Minuth. 1. Vorsitzender.

 

Seite 14   De Erleichterung

Wer hat noch dem Role Kaweischus gekannt?

Viel Durst hadd er meist, aber wenig Verstand.

Dem Deppke verbeilt und de Bixen zerrissen,

Von Arbeit wolld er all garnuscht wissen,

So lebd er dahin wie e alter Wenktiener

In seine Kaburr mit zwei spillrige Hiehner,

Die haben dem Teller, dem Tisch und dem Schäckert,

Dem Schaff und de Schlafbank behuckt und bekleckert,

De Kriemels ihm dreist außern Schnurrbart gepickt

Und treiherzig ihm inne Augen gekickt.

Die waren entzindet, verglast und verschwommen,

Das is von die Fusikalien gekommen,

Vom Bier und vom Kornus und anderem Stoff,

Der Role der trank nich, der Role der soll!

Da kriegd er — es klopfd, und er sagt Herein! —

Mit eins Besuch von e frommem Verein,

De Schwester Lottche mit schwarzem Kapottche,

Die wolld ihm erleichten. Da sagt er: „Ach Gottche,

Bemiehen sich nich, ich wer ja bald sterben,

An mir is nu wirklich nuscht mehr zu verderben“.

Doch die hat ihm weiter gut zugesprochen,

De Hiehner die hädden vor Angst sich verkrochen,

Geporrt und gepranzelt und eingeladen

Zu eine Versammlung mit Kaffee und Fladen.

Bloß Schnaps, dem gab nich! — Da fiel dem Lottche

E Klacks'che vom Huhnche auf ihrem Kapottche.

Das war dem Role doch sehr schenierlich,

Drum sagd er: „Scheen Dank, und ich komme natierlich!“

Er brauchd de Erleichtung, er war ja verdiestert,

Drum is er auch wirklich mal hingebiestert

Und prahld, ob mit oder ohne Befeichtung,

Nu, wo er bloß konnd, von die große Erleichtung.

„Erscht häbbe se mi tom Hucke geneedigt,

Denn wurd gesunge on wurd geprädigt,

Denn geew et Kaffee on seetem Kooke,

Bloß nuscht to supe on nuscht to rooke,

Denn keeme se an möt grote Posaune

On häbbe gebloase. Doa kunndst obber staune!

Dat schlog oppet Liew mi on brusd mi öm Kopp,

On wie et to End weer, doa heerde se opp.

Toletzt, öck deed nu all zöttre on bäwe,

Doa wurd noch e Teller möt Göld romgegäwe,

On wie dä an mie nu verbie ös gekoame,

Doa häbb öck mi ook twee Gille genoame“. Dr. Alfred Lau.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt (49)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Nichts is so verrickt, als dass nich ieberall e paar Dumme dadrauf reinfallen. Zu diese Sorte, wo nich aller wird, geheert auch de Emma, was meine Frau is. Se bildt sich wer weiß was auf ihre Intelligänz ein, fuhrwerkt mang die Fremdwörters rum wie e Wildsau mang e Kartoffel, aber wenn se was inne Zeitung gegne Gesundheit liest, denn is ihr Verstand im Eimer. Se hat doch somittem Einsprung im Kreiz zu tun. „Weißt," sagt se vor ungefähr drei Wochen, hield mir das Kreisblatt untre Nas und tippd mittem Finger auf e kleine Annongze, „da schreib ich hin!"

 

Ich huckd mir de Sehmaschien aufe Nas und las: „Hexenschuss, moderne suggestiv-telepathische Fernbehandlung, tausende Dankschreiben, Näheres gegen Voreinsendung eines Unkostenbeitrages von 3,60 DM“. Ich weiß nich, was suggestiv, auch nich, was telepathisch is, ich weiß bloß, dass es Blödsinn und Betrug is, und das geniegt mir.

 

Aber ihr geniegt es nich, se schrieb. E paar Tage später war e Brief da mit e rundes Stickchen Schmirgelpapier. Dreimal täglich solld se sich vorem Spiegel hucken und andächtig in dem Schmirgelpapier versenken. Dabei solld se zwanzig Minuten murmeln „Der Hexenschuss geht weg!" Aufe andre Seit wolld denn der Herr Suggestiv-Rat ihre telepathische Strahlen aufgreifen, mit Fernheilkraft beladen und zurickkoppeln. Und wenn denn einem Tag in ihrem Horoskop „starke Erfolgstendenz, vor allem, wenn um dreivirtel sieben geboren" stand, solld se so machen wie de Hundchens, wo besonders naturverbunden sind. Was se nu aber so machen solld, missd se selbst rauskriegen, indem dass se de Hundchens „sorgfältig beobachten" tat.

 

Ich lachd mir de Huck voll, aber de Emma war beigeistert. Nu huckt se dauernd vorem Spiegel, kickt dem Schmirglpapier an und murmelt. De iebrige Zeit humpelt se mit ihrem Einsprung innes Dorf rum und belauscht de Hundchens. Zu essen giebt bei uns nuscht mehr, und von meine Strimpfe sind alle Hacken durch, denn de Emma hat keine Zeit zum Kochen und zum Stopfen. „Erfolgstendenz" hat se bald jedem zweiten Tag in ihrem Horoskop. Denn gnurrt und bellt se, apportiert meinem Schlorr, verrenkt sich ihre lahme Hiften mit Beincheheben am Schrank, und morgen muss ich ihr Pferdeäppel aufe Straß sammeln gehn, auf die will se sich kullern und schobben.

 

Ich weiß nich, wie das enden soll. Se behauptet zwar, es is all e bissche besser mittem Einsprung, aber das sagt se bestimmt bloß aus Eigensinn, weil se ihren Reinfall nich zugeben will. Und während se mit ihre Fernbehandlung beschäftigt is, muss ich mir mit Fernberatung abgeben, wo meinen alten Freind Franz Willuweit betrifft. Se wissen doch noch, der wo mir vor drei Jahre besuchen tat, der mit die alte, molsche Witze, wo er denn immer de Poänkte vergaß und wo seinem Gebiss innes Abe suchen tat, wo es aber gar nich drin lag. Wenn der mal de Feder an mir ergreifen tut, denn is bestimmt Holland in Not.

 

Und so war es auch. „Mein lieber Ernst", schreibt er, und einer sieht orndlich an die Buchstaben, wie er vor Aufregung zittert, „de Menschen sind schlecht, und es giebt keine Gerechtigkeit mehr aufe Welt. Ich hab dir doch damals von meine Hauswirtin erzählt, wo mir aus eins zergen und piesacken tut. Se is drei Jahre älter wie ich, lang und dinn wie e Kreizung von Schniersenkel und Regenwurm, und e Stimm hat se wie e Reibeisen. Die ieberschlägt sich dauernd, und denn heert sich das an wie e verrostete Kreissäg. Bei jede Gelegenheit peerschte se sich mit ihre plätrige virzig Morgen, wo se trotz meine Bemiehungen nich von satt wird. Das Land taugt nuscht, und se wendt auch nuscht nich an. De Rieben sind klein wie de Radieschen. Wenn se Weizen sät, gehen bloß Disteln auf, und de Kartoffel musst mitte Winschelrut suchen. Und immer hat se mir am Schlips, immer hab ich Schuld. Wenn ich ihr denn tagieber genossen hädd, ging ich abends im Krug, um mir beis Fernsehen zu erholen und e bissche was fier meine geistige Bildung zu tun. Einer verkommt ja rein bei sone Zustände. Wenn ich denn zu Haus kam, hädd se de Hausentier abgeschlossen, und ich missd e halbe Stund bullern, dass alle Hunde im Dorf anfingen zu bellen. Endlich machd se auf, stelld sich mit ihre vertrocknete Figur mitten inne Tier, e altes Laken umgehongen — vleicht war es frieher auch mal e Hemd gewesen — und braschd mir an: „Wenn Sie nicht um neun Uhr zu Hause sind, können Sie im Mülleimer auf dem Hof übernachten, wo Sie hingehören!" Bei „Mülleimer" und „hingehören" ieberschlug sich de Stimm, und denn rauscht se ab in ihre Kementate, und ich stand da wie e Kuh, wenn se donnern heert. Das ging so e paar Mal, und denn machd se ieberhaupt nich mehr auf. Se stelld sich hintre Gardien und schnarchd im Stehens, dass ich denken solld, se liegt im tiefen Schlaf. Alles Bullern und Brillen half nuscht, bis mir plötzlich e guter Einfall kam. Der kommt ja selten bei mir, aber diesmal kam er. Ich flisterd durchem Fenster: „Ich hab Ihnen was Scheenes mitgebracht“. Ich hädd gar nich, ich tat bloß so, aber de Hauptsach war, es half und se ließ mir rein. Lieber Ernst, erspar mir zu erzählen, was ich nu alles zu heeren kriegd. Es war schrecklich! Ich kniff de Ohren an und drickd mir an ihr vorbei, und am anderen Tag ließ ich mir e eignen Hausschlissel machen. Das kriegd se natierlich schnell raus, und nu steckseld se de Hausentier von innen zu. Was macht einer mittem Hausschlissel bei e zugesteckselte Tier? Nuscht macht einer, aber weil ich nich im Milleimer iebernachten wolld, wo ich hingeheer, schlug ich e Fenster von meine Stub ein, fassd durch, hakd auf und kletterd auf diesem ungewöhnlichen Weg in meine Bucht. Aber das konnd ich nich jede Nacht machen. Abgesehen davon, dass ich mir an das Glas de Hand zerschnitten hädd, wurd es mir mit de Zeit auch zu teier. Jedem Tag e neie Fensterscheib, das hält de scheenste Rente nich aus! Deshalb war ich verzweifelt. Innerlich ausgewiehlt, als wenn zwanzig Hiehner auf meine Seele rumgetrazt hädden, de rechte Hand mitten alten Kodder bewickelt, de Plautz voll Zorn, fassd ich dem kiehnen Entschluss, mir zu rächen. Hädd ich es bloß nich' getan, aber ich tat es. Wie se gester allein auf es Feld ging, hab ich de Hausentier ausgehängt und kurz und klein gehackt. Nu kann se mir nich mehr aussteckseln. Aber war es richtig, was ich gemacht hab? Schon beis Hacken quäld mir mein Gewissen, aber nu war es zu spät, denn mit eins stand de Hauswirtin , vor mir, und ich duckd mir und dachd, nu wird se mir zermalmen. Aber se zermalmd nich, sonder -lern mir einer, sich mit die Weiber auskennen! — tat ganz friedlich lächeln. Und nu erfuhr ich, dass se mir immer bloß aus Liebe kujeniert hädd. Aus Liebe zugesteckselt, aus Liebe angebrascht, aus Liebe im Stehens geschnarcht! VIeicht hädd ich ihr auch bloß aus Liebe de Hausentier zerhackt? Aber ich missd glauben, denn mit eins sagd se sanft wie e plüschenes Sofakissen: „Wollen Sie mich nun endlich heiraten?" Mir verschlug foorts de Red, und denn hab ich mir acht Tag Bedenkzeit ausgebeten. Und nu bitt ich dir, lieber Ernst, mir in meine große Bedrängnis zu helfen. Soll ich ihr heiraten oder soll ich ihr e neie Hausentier kaufen? Virzig Morgen sind ja nich zu verachten, wenn bloß das weibliche Anhängsel nich wär. Und e neie Hausentier kost viel Geld. Soll ich dem „Regenwurm" schlucken oder nich? VIeicht giebt auch Hausentieren auf Stottern? Ich weiß wirklich nich, was ich machen soll. Meine große Freid, dass se mir nich mehr aussteckseln kann, is umgeschlagen in tiefe Betriebnis. Se lässt sich auch nich einreden, dass se keine Hausentier brauch. Se bleibt dabei: So oder so! Se is mir ebend ieber. Nu leg ich meine Sorg in deine Freindeshand, verlass mir nich, sonst frisst es mir inwendig auf. Herzliche Grieße von deinem tieftraurigen Freind Franz Willuweit“.

 

Ja, was macht einer nu? Es kann gut gehen mit dem „Regenwurm", es kann aber auch schlecht gehen. Es is ja e bestechender Gedanke, der Franz als Bauer auf virzig Morgen, da könnd einer bei wenigstens immer billige Kartoffeln kriegen. De Emma weiß auch nich genau. Deshalb werd ich ihm schreiben, er soll vorleifig e altem Sack vore Tier hängen, dass nich so zieht, und soll de Entscheidung noch e paar Wochen vertagen wie aufes Gericht, wenn se nich weiter wissen. Und inzwischen ieberleg ich es mir und grieße Ihnen aller herzlich! Ihr alter Ernst Trostmann • Landbriefträger z. A.

 

Ja, was macht einer nu? Es kann gut gehen mit dem „Regenwurm", es kann aber auch schlecht gehen. Es is ja e bestechender Gedanke, der Franz als Bauer auf virzig Morgen, da könnd einer bei wenigstens immer billige Kartoffeln kriegen. De Emma weiß auch nich genau. Deshalb werd ich ihm schreiben, er soll vorleifig e altem Sack vore Tier hängen, daß nich so zieht, und soll de Entscheidung noch e paar Wochen vertagen wie aufes Gericht, wenn se nich weiter wissen. Und inzwischen ieberleg ich es mir und grieße Ihnen aller herzlich! Ihr alter Ernst Trostmann • Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Wiedersehen mit der „Heimat“. Ostpreußische Gemeindeschwester fand „ihr altes Schiff“ am Neckarufer wieder.

Von einem nicht alltäglichen Wiedersehen wusste kürzlich das „Heidelberger Tageblatt“ zu berichten. Eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei ostpreußische Menschen und das Schiff „Heimat“, das früher einmal „Memel“ hieß. Aber folgen wir selbst der Feder des Berichterstatters:

 

Dass ein Wiedersehen mit der „Heimat" gleich im doppelten Sinn möglich ist, erlebten wir gestern am Neckarufer, wo sich zwei alte Bekannte die Hände schüttelten, nachdem sie sich mehr als zehn Jahre lang aus den Augen verloren hatten. Hermann Götz, Besitzer des stolzen Neckarschiffes „Heimat" und Frau Alexandra Becker geborene von Drygalski, ehemals Gemeindeschwester im ostpreußischen Rossitten, hatten sich durch einen reinen Zufall wiedergefunden. Verantwortlich für diese seltsame Wiederbegegnung aber war das Schiff „Heimat". Doch hören wir von Anfang an, wie es dazu kam.

 

Frau Becker weilte zu Besuch in Heidelberg. Ihre ostpreußische Heimat hatte sie in den letzten Wochen des Krieges verlassen. Sie lebt seit einigen Jahren in Oberbayern. „Schau doch mal, mit so einem Schiff bin ich früher immer an der Kurischen Nehrung gefahren", sagte sie zu ihrem in Heidelberg lebenden Schwager, mit dem sie am Neckar spazieren ging. „Nun ja", meinte dieser, „dieses Schiff gehört einem Mann namens Hermann Götz“. „Hermann heester? (wahrsch. Druckfehler)", platzte da unsere Ostpreußin heraus, „dann ist er es, dann ist das auch unser altes Schiff, die „Memel". Und schon stürzte sie über die Planken, um dem alten Bekannten aus ihrer ostpreußischen Heimat um den Hals zu fallen.

 

Wir kamen in diesem Augenblick ebenso zufällig an der „Heimat" vorüber und erlebten dieses gewiss nicht alltägliche Wiedersehen. Mag auch unsere schicksalsschwere Zeit nicht gerade arm sein an ähnlichen Erlebnissen, so ist es doch erschütternd, wie derlei Begegnungen plötzlich wieder die ganze Dramatik der letzten Kriegswochen aufreißen. Und da es ein Schiff war, das in diesem Falle zwei alte Bekannte zusammenführte, so mag nun zunächst auch für den Nichteingeweihten erklärt werden, wieso aus der „Memel" von der Kurischen Nehrung die „Heimat" vom Neckar geworden ist.

 

Hermann Götz stammt aus Wertheim, wohin er auch nach seiner erlebnisreichen Odyssee vor einigen Jahren wieder zurückkehrte. Als Einundzwanzigjähriger war der unternehmungslustige Mann, dessen Ahnen bis ins 15. Jahrhundert hinein Schiffsbauer und Schiffer waren, hinaus in die Welt gezogen, um nach dem ersten Weltkrieg in Ostpreußen festen Fuß zu fassen. Dort nahm sich Hermann Götz besonders der darniederliegenden Binnenschifffahrt an, gründete Verbände und Genossenschaften, und im Jahre 1930 konnte er selbst eine kleine Reederei übernehmen, die er in einem Jahrzehnt zu dem wohl bedeutendsten Personenschifffahrtsunternehmen in der Kurischen Nehrung ausbaute.

 

Wer den stillen, jetzt schon 69-jährigen Käpt‘n der „Heimat" kennt, der weiß vielleicht, dass man solcherlei Dinge kaum von ihm selbst erfährt. Aber jetzt musste sich ja einmal seine Zunge lösen, als Frau Becker alte Erinnerungen auskramte, und so wusste der unerwartete Besuch dem Zeitungsmann zu berichten, dass Hermann Götz in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg als „König der Kurischen Nehrung" galt, dass ihm nicht nur zehn stolze Personenschiffe, das größte, die „Kranzbeek", 1200 Personen fassend, gehörten, sondern auch das Kurhaus Rossitten mit Platz für 1000 Personen und ein 1935/1937 erbautes neues Hotel mit 150 Betten.

 

Alles, was Hermann Götz von seinem einstmals stolzen Besitz retten konnte, war sein damals fünftgrößtes Schiff, die „Memel", die mit etwa 200 Verwundeten an Bord den Sperrriegel in der Ostsee durchbrochen hatte, die Insel Bornholm angelaufen war, um später von den Engländern beschlagnahmt zu werden. Und auch nur einem Zufall hatte Hermann Götz es zu verdanken, dass seine Irr- und Suchfahrt nach Kriegsende ihn eines Tages in Hamburg seine „Memel" wiederfinden ließ. Für alle seine neun anderen Schiffe gab's nur noch die traurige Gewissheit: versenkt, verschollen, durch Volltreffer gesunken.

 

Die „Memel" aber eiste der arm gewordene Reeder bei den Engländern bald los, brachte sie ins Land seiner Väter nach Wertheim am Main, half dort die Glasindustrie ansiedeln, tat zwei Jahre Dienst als Landrat, um dann aber wieder die Wanderlust in den Knochen zu verspüren, die ihn zwar diesmal nur bis hinunter nach Heidelberg führte, wo er nun in jeder Saison seine „Heimat" — die frühere „Memel" — und neuerdings auch den „Siegfried" — ein wieder neu erworbenes Schiff — im Personenverkehr einsetzt. Mit der gleichen „Heimat", als sie noch „Memel" hieß, fuhr die ehemalige Gemeindeschwester Alexandra Becker alltäglich von Rossitten nach Cranzbeek, um dort ihre Krankenbesuche zu machen, damals in den Jahren vor dem letzten großen Kriege. Und nun hat sie in der „Heimat" ein Stück ihrer Heimat wiedergefunden.

 

Das Leben schreibt doch die besten Geschichten ...

 

Seite 15   Fahrt „ins Blaue" bei grauem Himmel

Wilhelmshaven. Der Wettergott hatte leider nur wenig Einsehen, als die Landsmannschaft Ostpreußen kürzlich mit mehreren Sonderbussen ihre sommerliche „Fahrt ins Blaue" unternahm. Die Versuche, das Reiseziel zu erraten, nahmen kein Ende, bis sich schließlich als erste Station der schönen Fahrt Wiesmoor in herrlichem Blumenschmuck darbot. Allgemeine Überraschung gab es, da die meisten Teilnehmer Wiesmoor noch nicht kannten und außerordentlich überrascht waren über den Umfang dieser größten Treibhausanlage Europas. Es wurden Vergleiche mit der Heimat angestellt, stammten doch die meisten Teilnehmer aus ländlichen Gegenden Ostpreußens.

 

Dann ging es leider bei strömendem Regen zum nächsten Reiseziel, das wiederum nicht erraten werden konnte. Es war der fast wie in Ostpreußen im Grünen gelegene „Friesenhof" in Gödens. Dort fand man sich zunächst zu einer gemeinsamen Mittagstafel zusammen, die nach ostpreußischer Art zubereitet war. Zahlreiche wohlvorbereitete Belustigungen der Kinder, die für das Freie geplant waren, mussten leider im Saale durchgeführt werden, was aber der Stimmung keinen Abbruch tat. Der Vorsitzende, Obermedizinalrat Dr. Zürcher, erklärte dann, dass einmal auf ganz andere Weise als früher eine bleibende Erinnerung an diesen Tag geschaffen werden solle, und zwar durch eine Verlosung, in der jedes Los gewann, meist recht brauchbare und freudebringende Preise. Daneben gab es Süßigkeiten für die verschiedenen Wettkämpfe und schließlich erhielten die eifrigsten Besucher der Jugendgruppe Sonderbelohnungen für ihre Treue, die anderen Kindern zugleich als Ansporn dienten. Überraschungen löste die seitens der Landsmannschaft gespendete wohlgedeckte Kaffeetafel bei Alt und Jung aus, und dann wurde eifrig getanzt, während ältere Landsleute Spaziergänge durch den Schlosspark machten und Vergleiche mit ähnlichen Schlössern und Burgen der Heimat anstellten.

 

Als dann die Sonne wieder schien, konnten auch die Kinder von Schaukeln und Karussell im Garten reichlich Gebrauch machen. Mütter und Väter kegelten inzwischen eifrig, wobei schließlich eine Frau als Gesamtsiegerin aus dem Wettbewerb zur allgemeinen Erheiterung hervorging. Die Heimfahrt wurde mit Gesang verkürzt. Man war sich in der Meinung einig, dass noch keine Fahrt so interessant und so schön gewesen sei, wenn sich auch der Himmel nicht von der besten Seite gezeigt hatte.

 

Seite 15   Hof/Saale

Nach zwei Jahren fand im Juli wieder eine Generalversammlung der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen in Hof statt. Der Vorsitzende, Studienrat Bergner gab nach einem Gedenken an die Heimat einen kurzen Überblick auf die abgelaufenen zwei Jahre. In den neuen Vorstand wurden gewählt: 1. Vorsitzender Studienrat Bergner, 2. Vorsitzender Lm. Wenker, Schriftführer Lm. Fischer und Frau Biel, 1. Kassierer Lm. Gischas.

 

Rastatt

Die „Linde" konnte die Gäste kaum fassen. Die Gaststube war mit Zeichnungen von echt ostpreußischen Volkstypen, Sprüchen in der Mundart, Speisekarten mit ostpreußischen Nationalgerichten und nicht zuletzt mit den Wappen verschiedener ostpreußischer Städte und des Deutschritterordens geschmückt. Der Vorsitzende Lm. Kiep begrüßte Bürgermeister Ertel sowie einige Stadträte und einheimische Freunde, insbesondere den Gast des Abends. Dr. Lau. Dieser hatte sehr rasch Kontakt mit seinen Zuhörern, und nun folgte ein Programm, das wohl alle Erwartungen übertraf. Der Vortragende zauberte mit seinen Erzählungen eine heimatliche Atmosphäre. Der Vorsitzende erklärte Dr. Lau anschließend: „Wir haben uns selbst in unserer Art erlebt“.

 

Seite 15   „Ostdeutsche Woche" an den Schulen West-Berlins

Die erste umfangreiche „Ostdeutsche Woche" in den Westberliner Schulen wird vom 2. bis 9. September im Zusammenhang mit dem „Tag der Heimat" am 8. September veranstaltet. Aufgabe der „Ostdeutschen Woche" ist es, in den Schulen Anliegen und Themenkreise Ostdeutschlands verstärkt im Unterricht zu behandeln. Die „Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht" hat in Verbindung mit dem „Haus der ostdeutschen Heimat" in Westberlin den Schulen Dichterlesungen von Hugo Hartung, Paul Fechter, August Scholtis, Gerhart Pohl, Dr. Kurt Ihlenfeld und Ruth Hoffmann angeboten. Ferner sind Vorträge in ostpreußischer, pommerscher und schlesischer Mundart, Filmvorführungen mit Vortragsheften über ostdeutsche Landschaften sowie Darstellungen aus dem ostdeutschen Geistesleben vorgesehen. Prof. Dr. Möbus wird einen Vortrag über die „Stellung des Menschen im Weltbild Herders" und Dr. Zillmann über „Weltweh und Himmelssehnsucht bei Gerhart Hauptmann" und Dr. Reichow (Hamburg) über „Ostdeutsche Baukunst" halten.

 

Seite 15   Elbinger „Lottokönig" geht eigenen Weg. Zwei moderne Wohnblocks als Dank für Aufnahme nach der Flucht

Dass Musterbeispiel eines „Lottokönigs", der mit dem über Nacht zugefallenen Reichtum klar zu disponieren weiß, ist der Montageschlosser Erich Kienast aus Schönwald in Oberfranken. Der junge Mann, der vor einigen Monaten 500 000 DM gewann, will zur Freude der Gemeindeverwaltung mit dem größten Teil seines Geldes einen wesentlichen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot in Schönwald leisten. Er beabsichtigt, zwei moderne Wohnblocks mit je neun Zweizimmer-Wohnungen (Küche, Bad, Balkon, Garage und Gartenteil) zu bauen, die etwa 300 000 DM kosten werden. Die Grundstücke sind bereits erworben, die Pläne fertiggestellt. Am 1. September soll mit dem Bau begonnen werden.

 

Erich Kienast will seine Wohnungen nicht an „Meistbietende" vermieten, sondern vornehmlich an Heimatvertriebene, die schon jahrelang auf die Zuteilung einer Wohnung durch das Wohnungsamt warten. Der aus Elbing stammende Lottokönig und seine junge Frau wollen auf diese Art der Gemeinde Schönwald dafür einen Dank abstatten, dass sie hier nach dem Kriege als Flüchtlinge Aufnahme fanden. Seine persönlichen Ausgaben hat das Ehepaar nach dem großen Gewinn in sehr bescheidenen Grenzen gehalten. Es ließ sich weder durch zahlreiche Offerten für „günstige Kapitalanlagen", noch durch die verlockenden Warenangebote hunderter Vertreter, noch durch eine Flut von Bettelbriefen aus der Ruhe bringen, von denen der unverschämteste lautete: „Um ein Haar hätte ich in dieser Ziehung auch einen Sechser getippt. Es wäre daher nur recht und billig, wenn Sie mir von Ihrem Gewinn 200 000 DM abgeben!"

 

Seite 15   „Überfüllter Saal . . . Stunden stürmischer Heiterkeit"

„Ein Programm, das wohl alle Erwartungen übertraf“

So berichten „Badische Neueste Nachrichten" und „Badische Tagblatt" am 7. August 1957 über eine Veranstaltung der Landsmannschaft „Deutschordensland" in Rastatt mit dem ostpreußischen Mundartdichter und Landsmann

 

Dr. Alfred Lau.

 

Sie bereiten Ihren Landsleuten eine große Freude, wenn Sie Dr. Lau zu einem fröhlichen Heimatabend einladen. In den Monaten Oktober und November 1957 sind noch einige Tage frei. Sie müssten sich aber schnell entschließen. Alles Nähere, vor allem die auch für kleinere Gruppen tragbaren Bedingungen, erfahren Sie auf Anfrage. Bitte, geben Sie die von Ihnen gewünschten Termine an (möglichst mehrere zur Auswahl) und schreiben Sie nur direkt an Dr. Alfred Lau, Bad Grund/Harz, Hübichweg 16.

 

Seite 15   „Wir vergessen die Heimat nicht". Westpreußische Landsleute in Canada.

Man kann sagen, dass unsere Landsleute infolge der Vertreibung in alle Welt verstreut wurden. Wo immer sie sich aber treffen, schließen sie sich enger zusammen, pflegen die deutsche Sprache und halten das Andenken an die ferne Heimat wach. Das beweist wieder ein Brief, der kürzlich aus Canada kam und aus dem wir nachstehend einen Auszug bringen:

 

„Wir sind ja nun schon beinahe sechs Jahre hier und haben uns ganz gut eingelebt. Den Kindern fällt es ja leichter als uns, da ihre Erinnerung nur ganz schwach ist, so ist es auch sprachlich für sie leichter. Sie kommen in der Schule gut vorwärts. Wir haben eine Milchfarm mit 55 acres und melken 33 Kühe. Landschaftlich ist es wunderschön hier, auch klimatisch, wenn es mal nicht zu viel regnet. Neben der Milchwirtschalt haben wir noch 3 acres Himbeeren und Maisanbau. Wirtschaftlich ging es uns 1951/1952 recht gut (unsere ersten Jahre hier) 1953 bis Ende 1956 war es recht mäßig. Nun geht es langsam bergauf, so dass man wieder etwas mehr Mut schöpft. Vancouver, die Hafenstadt zum Pazifik liegt etwa 80 Meilen entfernt, das ist die Länge fruchtbaren Unterlaufs des Fräserflusses Frasernusses. Rechts und links dieses breiten Tales steigen hohe Berge auf (unser nächster Berggipfel – etwa fünf Meilen entfernt – ist über 7000 Fuß hoch). Es wohnen hier eine ganze Gruppe Westpreußen, meistens Mennoniten. Die Russland-Mennoniten, die schon 1925 bis 1930 aus Russland hierherkamen und es inzwischen zu Wohlstand gebracht hatten, halfen uns westpreußischen Mennoniten mit Bürgschaft und Reisevorschuss aus. So können Sie sich denken, dass man noch viel mehr Deutsch als englisch spricht; man hört hier auch viel plattdeutsch. Das nur zur Information, wohin wir als westpreußische Landsleute geraten sind. Wir vergessen unsere Heimat nicht, aber es ist gut, dass man viel zu schaffen hat, sonst könnte das Heimweh einem manchmal arg zusetzten …“

 

Seite 15   Heimattreffen

Landestreffen Westpreußen

Aus Anlass des Tages der Heimat in Berlin am Sonntag, dem 8. September, findet am Nachmittag ein westpreußisches Landestreffen in Spandau-Hakenfelde im Schützenhof statt.

 

Posener Kirchentag

Ein „Posener Kirchentag" findet am 8. September 1957 in Dortmund statt. Im Programm sind ein Gottesdienst in der evangelischen Martinskirche, ein gemeinsames Mittagessen, ein Vortrag „Der Herr der Geschichte" sowie ein Lichtbildervortrag „Unsere Heimat einst und jetzt" vorgesehen.

 

Kreistreffen Osterode

Am 5. und 6. Oktober findet in Herne/Westf., Kolpinghaus, Neustraße, das diesjährige Kreistreffen des Kreises Osterode/Ostpreußen statt. Damit verbunden ist eine Wiedersehensfeier der ehemaligen Panzer-Jäger-Abt. 21, Osterode.

 

Marienwerder

Heimatkreistreffen Das diesjährige Marienwerder Heimatkreistreffen findet am 7./8. September in der Patenstadt Celle statt. Die Gedenkrede in der Federstunde am 8. September, die im Zeichen des Marienwerder Dichters Ernst Hammer und des Historikers Prof. Dr. Schumacher stehen wird, hält der Dichter und Schriftsteller Carl Lange.

 

Kulmer Tag in Bremen

Der Kulmer Tag findet in diesem Jahr am „Tag der Heimat", dem 22. September, in Bremen statt. Gleichzeitig wird das 725-jährige Bestehen Kulms gefeiert.

 

Elbinger Heimatkreistreffen

Das diesjährige norddeutsche Elbinger Heimatkreistreffen findet am 21. September 1957 in allen Räumen des Winterhuder Fährhauses in Hamburg statt.

 

Ostkirchentagung

Der Ostkirchenausschuss und der Konvent der zerstreuten evangelischen Ostkirchen laden zu einer Arbeitstagung der zerstreuten evangelischen Ostkirchen in der Zeit vom 7. bis 10. Oktober nach Hameln ein. Das Arbeitsthema der diesjährigen Tagung lautet „Schuld und Verheißung deutsch-polnischer Nachbarschaft". Zahlreiche Referate und Gemeinschaftsveranstaltungen füllen ein umfangreiches Programm. Anmeldungen sind zu richten an den Ostkirchenausschuss in Hannover, Andreasstraße 2 A. Anmeldeschluss: 17. September.

 

Ostpreußisches „Gold"

Aus privater Initiative ist in den letzten Jahren in Stuttgart ein Bernstein-Museum entstanden, die einzige Sammlung dieser Art im Westen. Schulklassen, die das Museum ständig aufsuchen, wird ein wertvoller Anschauungsunterricht zu der in Süddeutschland oft stiefmütterlich behandelten Ostkunde erteilt.

 

Den Kern der Sammlung bildet der Privatbesitz des ostpreußischen Bernsteinfachmanns Walter Bistrick, früher Inhaber des größten ostdeutschen Schmuck- und Uhrenhauses, das mit der Bernsteinmanufaktur in Königsberg zusammengearbeitet hat. Bistrick fand in Stuttgart eine neue Heimat und führte seine durch zahlreiche Leihgaben ergänzte Sammlung im Herbst 1953 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor.

 

Dr. Schmauch 70 Jahre

Am 13. August ist der ostdeutsche Historiker Dr. habil. Hans Schmauch, früher Dozent an der Staatlichen Akademie in Braunsberg (Ostpreußen), jetzt Leiter der Ostdeutschen Abteilung des Institutes für Kultur- und Kirchengeschichte Ostmitteleuropas in Ingelheim am Rhein, 70 Jahre alt geworden. Dr. Schmauch, ein gebürtiger Danziger, hat sich besonders durch seine Forschungen und Veröffentlichungen über Leben und Werk seines großen Landsmannes Nikolaus Kopernikus einen Namen gemacht.

 

Seite 15   Es starben fern der Heimat

Georg Kaatz, aus Königsberg am 12. August 1957 im Alter von 75 Jahren in Varel/Oldenburg.

 

Frau Selke, Gattin des Pastors Selke, am 8. August 1957, zwei Tage vor Vollendung ihres 82. Geburtstages.

 

Albert Stubel, Stadtoberinspektor in Delmenhorst, gebürtig aus Gumbinnen. am 19. August im Alter von 59 Jahren.

 

Deutsche Brüder in Not.

Liebe Landsleute, unterstützt durch euren Beitrag den Kultur- und Volkstumskampf der deutschen Südtiroler Bevölkerung.

Was Volkstumskampf bedeutet, wissen unsere Landsleute aus den Abstimmungsgebieten und dem Korridor-Gebiet. Er bedeutet: Kampf um jede Schule, um jeden Kindergarten, ja um jedes deutsche Buch in den Schulbibliotheken.

Helft, wo deutsche Brüder in Not!

Werdet Mitglied des Berisel-Bundes, des Südtiroler Schutzverbandes!

Beitrag für Freunde: DM 0,20 monatlich

Beitrag für Förderer: DM 2,-- monatlich

Beitrittserklärungen und Zahlkarten erhältlich bei: Bergisel-Bund, München 23, Schließf. 263

 

Seite 16  Heimkehrwille der Vertriebenen. Untersuchungsergebnis zweier Umfragen / Von Prof. Dr. K. V. Müller.

Im Zusammenhang mit der Frage, wie sich die Vertriebenen zur Frage der Rückkehr in die Heimatgebiete jenseits von Oder und Neiße stellen, verdient das Ergebnis einer Umfrage des Instituts für Meinungsforschung in Bielefeld, der EMNID KG, Beachtung, die im Juli 1956 an einem strukturgetreuen Querschnitt der erwachsenen Bevölkerung im Bundesgebiet (außer dem Saarland) gerichtet wurde. Die genaue Fragestellung lautete: „Wenn morgen die Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, also Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Ost-Brandenburg, wieder zu Deutschland gehörten, würden Sie dann in diese Gebiete gehen wollen, um dort zu bleiben, oder käme das nicht für Sie in Frage?" Die Gliederung der Antworten auf diese Umfrage vermittelt ein sehr aufschlussreiches Bild, sowohl was die Einstellung der Heimatvertriebenen aus den Oder-Neiße-Gebieten, der Vertriebenen aus sonstigen Vertreibungsgebieten, der Zuwanderer aus der Sowjetzone und der einheimischen Bevölkerung Westdeutschlands zur Teilnahme an der Wiederbesiedlung der Ostgebiete anlangt.

 

Von den befragten Heimatvertriebenen aus den polnisch und sowjetisch verwalteten deutschen Ostgebieten jenseits der Oder und Neiße selbst erklärten sich, wie eine genauere Aufgliederung der Antworten ergab, 65 Prozent zur Rückkehr in die Heimat bereit und zwar von den Männern 62 Prozent und von den Frauen sogar 68 Prozent. Verneint haben die Frage nur 15 Prozent, von 1 Prozent wurde keine Antwort gegeben, und ein knappes Fünftel war unentschieden. Das Ergebnis ist sehr überraschend, da aus den verschiedensten Gründen — wirtschaftliche Eingliederung, Verschwägerungsbande, soziale Sicherung in Westdeutschland gegenüber der Aussicht auf ein ungesichertes und wahrscheinlich sehr mühevolles und entbehrungsreiches Pionierdasein in der Heimat — ein dermaßen starker Ausschlag nach der Seite der Rückkehrbereitschaft an sich nicht zu erwarten stand. Die Überraschung ist aber umso größer, als die Aufgliederung nach Altersklassen das Ergebnis hatte, dass die jugendlichen Jahrgänge in noch höherem Maße als die älteren den Willen zur Rückkehr zum Ausdruck brachten. Es zeigten nämlich die Altersgruppen von 16 bis über 25 und von 25 bis 30 Jahren gleichermaßen zu 71 Prozent Rückkehrbereitschaft, bei den 30- bis 50-jährigen waren es dagegen 63 Prozent, bei den 50- und 65-jährigen 65 Prozent, bei den noch älteren 62 Prozent.

 

Von besonderem Interesse ist zudem, dass der Umstand der Verheiratung eines Ostvertriebenen mit einer Einheimischen nicht viel an dem Gesamtbild ändert: Statt 66 Prozent sind bei diesen 53 Prozent rückkehrbereit.

 

Wie stark der Rückkehrwille der Vertriebenen ist, hat auch die Schlesierbefragung ergeben, die unter Leitung von F. Lorenz vorgenommen wurde und deren Veröffentlichung bevorsteht. Die am unmittelbarsten in den zur Erörterung stehenden Problemkreis eindringende Frage lautete: „Würden Sie im Falle einer friedlichen Neuordnung des Ostens auch dann nach Schlesien zurückkehren, wenn Sie auf längere Zeit mit Opfern, Not und Armut rechnen müssten?" Hier ergab sich trotz der Betonung der Risiken der Rückkehr und trotz der beruflich meist recht günstigen Eingliederung der weitaus meisten Befragten, dass 60 Prozent nach Schlesien zurückzukehren erklären. Sehr wichtig ist dabei, dass auch hier bei den Jugendlichen der Hundertsatz der Rückkehrwilligen ebenfalls über 70 Prozent beträgt!

 

In diesem Zusammenhange ist zugleich die weitere Frage von besonderem Interesse, inwieweit die Vertriebenen aus den nicht reichsdeutschen Gebieten, die Zuwanderer aus der Sowjetzone (Mitteldeutschland) sowie die einheimische Bevölkerung Westdeutschlands an einer Wiederbesiedlung der deutschen Ostgebiete jenseits der Oder und Neiße teilnehmen würden. Hierzu hat die EMNID-Umfrage folgendes erbracht: Von den befragten Sowjetzonenflüchtlingen erklärten 21 Prozent, von den Vertriebenen aus Gebieten außerhalb der Grenzen von 1937 sogar 29 Prozent, dass sie mit den Rückkehrern zusammen in die Oder-Neiße-Linie umsiedeln würden; und was die Einheimischen anlangt, so erklärten sich 4 Prozent dieser Gruppe der Befragten bereit, in die deutschen Ostgebiete umzusiedeln. Was diese letztere Gruppe anlangt, so ergab sich wiederum eine Spanne zwischen Jugend und Alter: Von den Einheimischen unter 25 Jahren sind nicht weniger als 10

Prozent entschlossen, in Ostdeutschland das Leben eines Pioniers zu führen, bei den älteren Einheimischen 3 Prozent. Auch das ist unerwartet; es kommt darin ein unter den gegebenen Umständen erstaunlich verbreiteter Drang gesunder pionierhafter Aktivität und eine überraschende Vertrautheit mit dem Gedanken zum Ausdruck, Ostdeutschland als eine gesamtdeutsche Verpflichtung zu empfinden.

 

Nimmt man die Begründungen, die für die einzelnen Stellungnahmen gegeben wurden hinzu, so ergibt sich folgendes Bild: Bei aller Zurückhaltung, mit der Meinungsbefragungen für die Bewertung der soziologischen Realität ausgedeutet werden müssen, scheint doch sicher zu stehen, dass eine entschieden kräftige, von starken Emotionen getragene Strömung des Rückkehrwillens bei den Vertriebenen unabhängig von der relativ fortgeschrittenen Eingliederung in Westdeutschland lebendig ist. Ganz besonders wichtig scheint dabei das Ergebnis, dass die heimatvertriebene Jugend eher noch rückkehrfreudiger ist als die älteren Jahrgänge und dass dieser Gegebenheit die verhältnismäßig stark ins Gewicht fallende Neigung zur Ostsiedlung bei der einheimischen Jugend entspricht.

 

 

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Seite 16  Todesanzeige

Am 10. August 1957 entriss uns der Tod unseren lieben Turnbruder  Oberstleutnant a. D. und Mittelschulkonrektor a. D. Werner Semprich vom Turnverein Neufahrwasser im Alter von 65 Jahren. Seine Bemühungen, mitzuraten und mitzutaten auf dem Wege des deutschen Turnens zur Ertüchtigung des deutschen Volkes, vor allem der Jugend, verschafften ihm Achtung und Wertschätzung in weitesten Kreisen. Sein Andenken werden wir hoch und in Ehren halten.

Turnerfamilie Ostpreußen - Danzig – Westpreußen. Wilhelm Alm

 

Seite 16   Suchanzeige

Drengfurter! Wer kann über das Schicksal der Stadt Drengfurt, Kreis Rastenburg nach 1945 berichten? Zuschriften unter Nr. 005 an die Ostpreußen-Warte, Braunschweig, Donnerburgweg 50.

 

Fotos von Drengfurt, Kreis Rastenburg gesucht. Angeb. Unter Nr. 004 an die Ostpreußen-Warte, Braunschweig, Donnerburgweg 50

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