Ostpreußen-Warte, Folge 03 vom März 1954

Ostpreußen-Warte

Folge 03 vom März 1954

 

Seite 1   Lastenausgleich soll verbessert werden. ZvD fordert Erhöhung der Unterhaltshilfe, Ausdehnung der Entschädigungsrente, Zuschlag zur Hausratsentschädigung.

Der ZvD hat der „an sich untragbaren Fassung des Lastenausgleichsgesetzes“ seinerzeit lediglich zugestimmt, weil die Lage der Betroffenen keinen Aufschub der Leistungen duldete. Gleichzeitig kündigte der Verband an, dass er „alles daran setzen“ werde, durch Initiierung einer Novellengesetzgebung die schlimmsten Mängel zu beseitigen. Nachdem nunmehr hinreichend Erfahrungen mit der Praxis vorliegen, hat der ZvD dieses Versprechen wahrgemacht und den Fraktionen des Bundestages sechs fertige Gesetzentwürfe zur Abänderung des Lastenausgleichs eingereicht.

 

Der Vorsitzende des ZvD, Dr. Kather, wies darauf hin, dass die Vorschläge, deren Verwirklichung insgesamt einen jährlichen Mehraufwand von 700 Mill. nötig machen würde, nicht nur den Vertriebenen, sondern auch den Kriegssachgeschädigten und den Flüchtlingen zugutekommen würden. Angesichts der seit 1950 erheblich gewachsenen Finanzkraft des deutschen Volkes: das Volkseinkommen ist seither um 30 Mrd. gestiegen, der Brutto-Vermögenszuwachs beträgt in diesem Zeitraum insgesamt 111 Mrd., das Steueraufkommen vom Bund, Ländern und Gemeinden betrug 1950 21 Mrd., 1952 30 Mrd., sei diese Mehrforderung im Interesse der sozialen Sicherstellung und Eingliederung der Vertriebenen, Geschädigten und Flüchtlinge durchaus zumutbar.

 

Die Begründung:

 

1. Erhöhung der Unterhaltshilfe von 85 DM monatlich für die Einzelperson auf 100 DM und von 122,50 DM für Ehepaare auf 150 Mark monatlich. Die Erhöhung wird allgemein als dringendes Bedürfnis empfunden. Der Satz für ein Ehepaar ist stärker erhöht worden, weil die bisherige Regelung die Ehefrau stiefmütterlich bedacht hat. Zwei Geschwister, die zusammen leben, erhielten bisher 170 DM, das Ehepaar nur 122,50 DM.

 

2. Ausdehnung des Kreises der Entschädigungsberechtigten. Es soll die Erhöhung der Grenze des Monatseinkommens von Anspruchsberechtigten von 200 auf 300 DM heraufgesetzt worden. Das Recht auf Entschädigungsrente soll nicht mehr von einem Vermögensverlust von mindestens 20 000 RM, sondern nur noch von 4200 RM abhängig gemacht werden. Durch die bisherige Regelung, bei der die Einheitswerte maßgeblich sind, ist praktisch der Mittelstand der Vertriebenen und Geschädigten von der Zusatzrente ausgeschlossen, da kaum ein Bauer, Handwerksmeister oder Eigenheimbesitzer mit seinem Vermögen die Einheitswertgrenze von 20 000 RM überschreite.

 

3. Ein Zuschlag beider Hausratsentschädigung soll künftig auch Kindern gewährt werden, die 1945 zum elterlichen Hausstand gehörten, 1953 aber bereits selbständig waren. Die bisherige Regelung ist unbillig, weil gerade diese Jugendlichen Anteil am gemeinsamen Haushalt hatten.

 

4. Es soll bei der Bemessung des Einheitswertes beim landwirtschaftlichen Vermögen hinsichtlich der Entschädigung nicht wie früher der 18-fache sondern der 25-fache Sollertrag zugrunde gelegt werden. Der Einheitswert ist von den Vertriebenen immer als unbillige und ungerechte Bemessungsgrundlage angesehen worden. Die Vertriebenen-Abgeordneten hatten deshalb schon bei der Verabschiedung des Gesetzes einen ähnlichen Antrag gestellt.

 

5. Beteiligung der Sowjetzonenflüchtlinge am Lastenausgleich. Auch dieses Gesetz lag schon dem ersten Bundestag vor. Es wurde jedoch vom Lastenausgleichsausschuss dem Plenum nicht übermittelt und daher auch nicht verabschiedet.

 

6. Die Hauptentschädigung soll endlich einen Fälligkeitstermin erhalten, damit sie beliehen werden kann. Der ZvD empfiehlt, nunmehr festzulegen, dass die Hauptentschädigung spätestens bis zum Jahre 1979 ausgezahlt wird.

 

7. Ein weiterer Gesetzentwurf sieht kleinere Abänderungen vor. U. a. ist eine Erweiterung der eingeschränkten Erbfolge, die Gewährung von Eingliederungsdarlehen auch an Gemeinschaften von Geschädigten, die Festlegung des Höchstbetrages für Arbeitsplatzdarlehen auf 300 000 DM vorgesehen.

 

8. Eine Generalstundung der Tilgung der Soforthilfe- und Lastenausgleichsaufbaudarlehen für die Vertriebenenwirtschaft wird vom ZvD dem ständigen Beirat und dem Kontrollrat beim Bundesausgleichsamt vorgeschlagen. Die allgemeine Lage der Vertriebenenwirtschaft macht schon den Zinsendienst schwierig, und eine forcierte Tilgung ist in der Mehrzahl der Fälle nicht zumutbar.

 

Die Mittel.

Der ZvD stellt nicht nur Forderungen, sondern macht auch Vorschläge für die Beibringung der Mittel. Für die Erhöhung der Unterhaltshilfe wird mit einem Mehraufwand von schätzungsweise 200 Mill. DM im Jahre gerechnet. Ein gleich hoher zusätzlicher Aufwand wird für die Verbesserung der Entschädigungsrente und den Zuschlag bei der Hausratshilfe geschätzt. Hinsichtlich der 200 Mill. für die Unterhaltshilfe schlägt der ZvD vor, Bund und Länder gleichmäßig mit diesem Betrag zu belasten. Weitere 200 Mill. sollen durch Fortfall der im Gesetz vorgesehenen Sperrklausel gedeckt werden. Diese Sperrklausel besagt, dass die Länder ihre Zuweisungen aus der Vermögenssteuer insoweit mindern dürfen, als aus den übrigen Ausgleichsabgaben jährlich mehr als 1,785 Mill. aufkommen. Es ist aber beträchtlich mehr aufgekommen, so dass die Länder gegenüber dem Voranschlag etwa einen Betrag in Höhe von 200 Mill. jährlich einsparen.

 

Bei der Änderung des Vertriebenengesetzes wird eine Ausweitung des Sowjetzonenflüchtlingsbegriffes zugunsten der Sowjetzonenflüchtlinge erstrebt, die im Frühjahr 1945 vor der Roten Armee nach Westdeutschland gekommen und nicht zurückgekehrt sind. Auch das ist eine alte Forderung des ZvD, die bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht durchgesetzt werden konnte.

 

Der ZvD hat hinsichtlich des Lastenausgleichs schon bisher mit beachtlichem Erfolg Anträge und Gesetze eingebracht. Sie dienten dem Bundestag, wenn auch vielfach in abgewandelter Form, als Unterlagen für spätere Gesetze und Abänderungen. Es ist dringend zu hoffen, dass er für die vorstehenden Vorschläge eine hinreichende Mehrheit bei den Parteien gewinnt.

 

 

Seite 1   Nach der Berliner Konferenz

VK.— „Wie soll es jetzt weitergehen, Herr Bundeskanzler?" fragte der Adenauer-Interviewer Friedländer in einem Rundfunkgespräch über die Berliner Konferenz, und der Kanzler antwortete: „Wir bleiben an der Seite des Westens und beschreiten von da aus alle Wege und Umwege, die zur Wiedervereinigung führen“. —

 

Auch Herr Friedländer hatte zu denen gehört, die „um der Hoffnung willen geneigt waren, den Sowjets nachzugeben, zuzugeben, „preis“- zugeben. Vier Wochen und vier Zeilen: „Keine Vereinbarung in der deutschen Frage!“ Das ist die lakonische Bilanz von Berlin, zugleich eine Bankrotterklärung der diplomatischen „Preis“-Politik. Zu den Höchstpreisen, die da am diplomatischen Schwarzen Markt gehandelt, offiziell aber gar nicht verhandelt wurden, gehörten neben dem EVG auch die Oder-Neiße-Gebiete. Selbst deutsche Zeitungen haben sich nicht gescheut, das Festhalten am Recht, den Anspruch auf ein wirklich gesamtdeutsches, also ein vereinigtes West-Mittel-Ost-Deutschland als Utopie, Illusion und Eigensinn zu verschreien. Noch während der Konferenz wollte ein großes westdeutsches bürgerliches Blatt aus diplomatischen Rücksichten den Vertriebenen verbieten, „von Königsberg zu sprechen, wenn man nach Frankfurt an der Oder wolle“.

 

Die Vertriebenen haben geschwiegen. Auch das hat nichts genützt. Auch nicht das beachtliche Schauspiel der westlichen Einigkeit in Berlin. Anscheinend waren die vorausgegangenen Symptome der Schwäche im westlichen Lager für die Sowjets überzeugender: EVG-Krieg in Frankreich, Locarno-Gelüste in England, isolationistische Bestrebungen gewisser Kreise in USA, das Wahlergebnis in Italien, Opposition um jeden Preis in der Bundesrepublik! Dazu boten politische Zwischenhändler an, was man nicht mehr (Oder-Neiße-Gebiete) oder noch nicht (EVG) besitzt. Und für diese nicht greifbaren Werte sollten die Sowjets hergeben, was sie fest in Händen halten? Über derlei Futter lachen, im Kreml die Hühner. Den Status quo behaupten und die Hegemonie über Europa schärfer ins Auge fassen, das ist Moskaus Antwort auf die westlichen Schwächeanwandlungen.

 

Wie es jetzt weitergehen soll? Neue Ansatzpunkte zu Berührungspunkten suchen, sagen die einen; dem Machtstreben mit entschlossener Stärke gegenübertreten, die anderen. Das letzte scheint konsequent und vernünftig. Aber mit Waffenstärke allein kann man den Materialismus, die eigentlich aggressive Kraft des Ostens, nicht in Schach halten. Der Kanzler warnte angesichts des schweren Schicksals der 18 Millionen in der Sowjetzone, die das Opfer der starren Njet-Politik des Kremls sind, davor, „satt, selbstzufrieden, selbstsicher zu werden“. Er sagte, dass es die erste Pflicht der Bundesregierung sei, das Los der Sowjetzonen-Deutschen zu erleichtern. Aber wie?

 

Und weder er noch sonst wer dachte angesichts der Enttäuschung über Berlin an das Schicksal der zwölf Millionen Vertriebenen hüben und drüben, deren Herzensziel, die ostdeutsche Wiedervereinigung mit dem Scheitern der mittel-west-deutschen Vereinigung gleichfalls und noch weiter in graue Ferne gerückt ist.

 

Die Vertriebenen haben sich keine Illusionen über die Konferenz gemacht. Ihre Verlautbarung zu den Verhandlungen zeugte von diszipliniertem politischem Kalkül. Nun, da sie gescheitert sind, halten sie sich nicht auf mit Lamentieren, sondern rüsten weiter für das Fernziel, indem sie sich einrichten, wo sie stehen. Vielleicht ist es kein Zufall. Zumindest aber ein Symptom, dass der ZvD gerade nach der großen Desillusionierung von Berlin mit einem mutigen Lastenausgleichs - Verbesserungsprogramm an die Öffentlichkeit und an die Parteien herangetreten ist. Die Verwirklichung dieses Programms wäre mehr als gefühlvoller Zuspruch geeignet, den eigentlichen Opfern von Berlin, den Vertriebenen und Flüchtlingen, Lebensmut zu geben und die Zonendeutschen hoffen zu lassen.

 

Auch die soziale Sicherheit ist einer der Umwege zum Ziel, von denen Adenauer sprach: „Um Sicherheit von außen und innen bittend“, sollte das deutsche Gebet lauten in diesen Tagen der Besinnung.

 

 

Seite 1   Hilfe für Malenkow

In aller Stille wurde kürzlich in Moskau ein englisch-sowjetisches Handelsabkommen unterzeichnet, das England zur Lieferung von Konsumgütern und Industrieerzeugnissen im Werte von rund 4,5 Milliarden Mark verpflichtet. Auch die Franzosen haben sich beeilt, mit den Sowjets recht umfangreiche Geschäfte abzuschließen. Der west-östliche Handel scheint also trotz aller Bedenken und trotz der amerikanischen Bremsversuche in Schwung zu kommen.

 

Die Frage, ob eine Intensivierung der westöstlichen Handelsbeziehungen gut ist und ob der Westen damit sich nicht ins eigene Fleisch schneidet, wird zurzeit lebhaft erörtert. Die schweizerische „Weltwoche“ ein Blatt, dem man echt eidgenössische Klugheit nachsagt, lieferte einen Beweis seltsamer Logik, indem sie schrieb, der Verkauf westlicher Waren an die Sowjetunion nütze zwar den Sowjets, schadet aber auch dem Westen nicht, weil die Verkäufer doch einen Gewinn daraus schlügen, und man müsse sich überlegen, ob man nicht einen Fehler begehe, wenn man dem Ostblock die dort so dringend benötigten Konsumgüter verweigere; denn der Mangel an Konsumgütern werde jenseits des Eisernen Vorhangs Not und Unruhe hervorrufen, und es sei niemals gut, wenn irgendwo auf der Welt Unruheherde bestünden.

 

Mit dieser mehr als merkwürdigen Argumentation bezieht sich die „Weltwoche“ auf folgenden Tatbestand: im gesamten Ostblock herrscht seit Monaten eine lastende zum Teil aber auch offen zutage tretende politische Krise, die von den fehlgeschlagenen Wirtschaftsplänen, vor allem aber aus dem sehr ernst gewordenen Mangel an Verbrauchsgütern herrührt. Um diese Krise aufzufangen, hat Moskau sich gezwungen gesehen, sowohl in der Sowjetunion selbst als auch in den Satellitenländern das Steuer herumzuwerfen und unter Einschränkung der Rüstungsproduktion die Erzeugung von Konsumgütern zu steigern. Trotzdem hält die Krise an, denn es hat sich gezeigt, dass der Ostblock außerstande ist, den Bedarf an Gebrauchsgütern aus eigenen Kräften zu befriedigen — es sei denn, die Sowjets entschlössen sich zu einem radikalen Verzicht auf die Herstellung von Kriegsmaterialien. Der Kreml wird sich jedoch hüten, eine derartige Maßnahme durchzuführen. Er deckt vielmehr den Bedarf an Waren einfach im Westen. Und die westlichen Geschäftsmänner tragen durch ihre Lieferungen nach Kräften dazu bei, dem bolschewistischen Regime bei der Festigung seiner schwankenden Position zu helfen und seine Kriegsrüstungen zu unterstützen.

 

Als der Kommunismus sich nach dem ersten Weltkrieg in Russland installierte und an wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu scheitern drohte, waren es ebenfalls westeuropäische und amerikanische Firmen, die gegen gutes Gold den kommunistischen Machthabern im Kreml aus der Patsche halfen. Heute spielt sich ähnliches ab. Der sowjetische Imperialismus und die Weltrevolution bedrohen die geschäftstüchtigen westlichen „Kapitalisten“ auf unmissverständliche Weise — aber dieselben Kapitalisten sind für klingende Münze sofort bereit, ihren Todfeind im Sattel zu halten. Man mag für die Belebung, des Ost-Westhandels argumentieren wie man will, der nackte Tatbestand ist jedenfalls der, dass jede Lieferung in den Ostblock dazu beiträgt, das sowjetische Regime zu festigen.

Wen Gott verderben will ….

 

 

Seite 1   Unbekannte Lager in Sibirien

Wie die Zeitschrift „Der Heimkehrer“ berichtet, sollen sich in Sibirien über 52 bisher unbekannte Gefangenenlager mit einigen tausend Gefangenen befinden. Unter den Gefangenen befinden sich nach Angaben eines deutschen Arztes deutsche Soldaten, deutsche Zivilisten, Amerikaner, Araber, Engländer und Neger.

 

 

Seite 1   Achtung! Lastenausgleichs-Termin beachten!

Das Bundesausgleichsamt weist noch einmal darauf hin, dass Anträge auf Feststellung von Kriegsschäden, Ost- und Vertreibungsschäden, bis spätestens 31. März 1954 eingereicht werden müssen.

 

Alle unmittelbar Geschädigten bzw. deren Erben, die die Feststellung ihrer Schäden noch nicht beantragt haben, werden daran erinnert, ihren Antrag auf dem vorgeschriebenen Formblatt umgehend bei Ihrem Ausgleichsamt einzureichen. Beweismaterial kann nachgereicht werden.

 

 

 

Seite 2   Knuth immer noch in Freiheit. Wann kommt der Gauner hinter Schloss und Riegel?

 Es ist verständlich, dass der üble Skandal um den berüchtigten Knuth-Quedenfeldt besonders in ostpreußischen Kreisen großes Aufsehen erregt hat. Das lebhafte Interesse, das dieser Fall bei den ostpreußischen Landsleuten gefunden hat, ist berechtigt. War Knuth doch der böse Geist in Ostpreußen und hat neben seinen zahlreichen Betrügereien und Gaunereien noch eine unauslöschliche Blutschuld auf sich geladen. Gerade die Ostpreußen haben ein gutes Recht darauf, zu erfahren, was dieser unheilvolle Mann alles verbrochen hat, und die Ostpreußen haben auch die Pflicht dafür zu sorgen, dass diesen Gauner ein für alle Mal das Handwerk gelegt wird. Das hat nicht im Geringsten etwas mit „Nazischnüffelei“ oder mit irgendwelchen sagenhaften parteipolitischen Absichten zu tun. Wenn man versucht, den Fall Knuth auf dieses schiefe Gleis zu schieben und sogar versucht, die Angelegenheit zu bagatellisieren, so ist der notwendigen Klärung keineswegs gedient. Es hat durchaus keinen Sinn, in diesem Falle den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als ob es keinen Knuth gegeben habe.

 

Durch den Konkurs der Knuth'schen Süßmosterei in Melle erschien Knuth wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Erst dadurch stellte sich heraus, dass er es verstanden hatte, sich mehrere hunderttausend DM Darlehen und Kredite zu ergaunern. Mit Recht sind die Heimatvertriebenen empört, dass es so einem Mann gelang, Kredite in solcher Höhe zu erhalten. Jeder vernünftige Mensch wird den Kreditfall Knuth nicht im Geringsten verallgemeinern, denn solche Fälle sind im Rahmen der Kreditgewährung an Heimatvertriebene äußerst selten. Auch ist den Kreditgewährenden keine Schuld beizumessen, denn sie haben die Ermittlungen angestellt, die ihnen möglich waren. Die Kreditinstitute mussten sich auf die Unterlagen verlassen, die von den örtlichen und sonstigen Stellen erstellt worden sind. Man kann auch kaum den Personen einen Vorwurf machen, die nicht um die Person des Knuth wussten und die Anträge befürworteten. Sie mögen im guten Glauben gehandelt haben. Aber es gibt viele Persönlichkeiten, die genau wussten, wer Knuth ist und welche Rolle er in Ostpreußen gespielt hatte. Und dieser Punkt ist es in erster Linie, der vor allem alle Ostpreußen angeht! Wer sind diese Leute, die dem Verbrecher Knuth die „Persilscheine“ ausgestellt haben? Das zu wissen, verlangen wir mit aller Entschiedenheit! Nicht, um unseren Lesern einen „Interessanten Stoff“ zu liefern, sondern damit diese Leute entfernt werden, die solche Verbrecher decken. Es geht darum, in den eigenen Reihen für Sauberkeit zu sorgen.

 

Gewiss, 300 000 DM — nach anderen Meldungen soll Knuth sogar 500 000 DM erhalten haben — sind kein Pappenstiel. Und es ist uns daher auch unverständlich, wenn der Wegweiser für Heimatvertriebene, Landesausgabe Niedersachsen u. a. unter der Überschrift „Falsche Optik“ schreibt:

 

„Der „Fall Knuth-Quedenfeld" hat ein Aufsehen erregt, das er keineswegs verdiente. Weder der Mann noch die Sache verdiente es, und bedauerlicherweise haben gerade manche Vertriebenenzeitungen — um den Lesern einen „interessanten Stoff zu bieten — dem Thema einen Raum zur Verfügung gestellt, der wahrlich einer anderen Sache nützlicher gewesen wäre.

 

Knuth-Quedenfeld war die Zeitungsseiten nicht wert, die man für ihn verwendete. Über Fleiß, Können und Erfolg derer, die es anders und besser machten, sollten Bücher geschrieben werden“.

 

Wir können es verstehen, dass der Skandal Knuth manchen Leuten sehr unangenehm ist. Als unabhängiges und überparteiliches Heimatblatt nehmen wir uns die Freiheit, das unseren Lesern zu sagen, was wir für richtig halten und das zu veröffentlichen, worauf unsere Leser zu erfahren ein Recht haben.

 

Nun, der Großbetrüger Knuth befindet sich noch immer auf freiem Fuß. Lediglich seine Süßmosterei ist vom Staatsanwalt unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Wir müssen nach wie vor mit aller Dringlichkeit an die zuständigen Justizbehörden die Aufforderung richten, diesen Mann endlich dort hinzubringen, wo er hingehört: nämlich hinter Traillen. Wir finden es unverständlich, dass dies noch immer nicht geschehen ist. Mit jedem kleinen Gauner und Betrüger macht man nicht viel Federlesens. Nun, man muss wohl schon ein Knuth sein ...

 

Einige Auswirkungen hat immer schon der Fall Knuth gezeitigt. Der Polizeipräsident von Osnabrück, Walter Tietje, wurde bereits vom Minister des Innern des Landes Niedersachsen von seinem Amt beurlaubt. Tietje, der mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Regierungs-Vizepräsidenten in Hildesheim beauftragt worden war und seine Übersiedlung von Osnabrück nach Hildesheim vorbereitete, musste zugeben, dass er seit längerer Zeit über die wahre Person des Knuth unterrichtet war. Tietje will Knuth geraten haben, seine Namensfälschung usw. dem Landesvorstand des BHE in Hannover zu unterbreiten.

 

Nach Aussagen des Polizeipräsidenten sei auch der jetzige Fraktionsvorsitzende des BHE im Bundestag, Rechtsanwalt Dr. Haasler schon lange vor den Bundestagswahlen informiert  gewesen. Man habe aber davon Abstand genommen, vor den Bundestagswahlen die Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Sollte es zutreffen, dass der Bundestagsabgeordnete Dr. Haasler nichts unternommen hat um den Verbrecher Knuth unschädlich zu machen, so können wir es uns schlecht denken, dass ein solcher Mann weiterhin an führender Stelle einer Partei belassen wird, die der Hauptsache vom Vertrauen der Heimatvertriebenen getragen wird. Wer sich vor den „Ostpreußenschlächter“ Knuth stellt, hat nicht das Recht, noch die Belange der Heimatvertriebenen in der Öffentlichkeit zu vertreten.

 

Wie wir erfahren, ist das Bundesministerium damit beschäftigt, den Fall Knuth zu untersuchen und festzustellen, welche Unterlagen ihm bei der Kreditgewährung gedient haben. Hoffen wir, dass es gelingt, die Personen festzustellen, die ihre Finger in dieser höchst unsauberen Angelegenheit hatten. 

 

 

Seite 2   Glänzende Auskünfte …

Der Landesverband Niedersachsen des BHE schreibt uns:

 

„Der zweite Tatbestand, den die mehr oder weniger politisch angehauchten Presseleute mit schulmeisterlich erhobenem Zeigefinger immer wieder herausstellen, ist die Kreditgewährung an das Süßmostherstellungsunternehmen von Knuth-Quedenfeldt, der zur Zeit der Kreditgewährung eben noch nicht als vertrauter Freund Kochs und verhasster Parteimann in Ostpreußen bekannt war.

 

Die vielen, von mehr oder weniger Sachkenntnis getrübten Artikel lassen den Schluss zu, dass Knuth-Quedenfeldts Kreditgesuch nicht nur nach sachlichen und fachlichen Gesichtspunkten geprüft worden ist.

 

Dazu ist folgendes zu sagen:

 

Insgesamt hat Knuth-Quedenfeldt Kredite in einer Höhe von 214 000 DM aus öffentlichen Mitteln erhalten, darunter einen Landeskredit und einen ERP-Kredit. Es ist klar, dass bei der Größenordnung dieser bewilligten Mittel umfangreiche Recherchen über die Persönlichkeit und Kreditwürdigkeit des Petenten angestellt wurden. Die Auskünfte, die auf diese Weise eingeholt wurden, waren in der Gesamtheit gut, wenn nicht glänzend.

 

Bei der Gewährung des Landeskredites haben sich befürwortend eingeschaltet: Die Interessengemeinschaft der Ostvertriebenen in Melle, die Süßmoster-Vereinigung Weser/Ems mit dem Sitz in Osnabrück, ferner der Herr Oberkreisdirektor in Melle.

 

Das ERP-Kreditansuchen wurde gefördert durch positive Gutachten vom SPD-Bundestagsabgeordneten Pastor Priebe. Wenn einige sozialdemokratische Blätter glaubten, in der Kreditangelegenheit Knuth-Quedenfeldt vom Leder ziehen zu müssen, so seien sie auf das berühmte Glashaus hingewiesen, in dem man bekanntlich nicht mit Steinen werfen darf ... Der interministerielle Ausschuss, der über die Kreditgewährung entscheidet, muss sich zunächst bei Ablehnung und Zustimmung auf die Begutachtungen der fachlichen Verbände, die sich am ehesten über die Wirtschaftlichkeit ein Bild machen können, stützen. In diesem Falle also auf die Stellungnahme des Süßmosterverbandes. Sodann war zu hören die lokalen Instanzen, die über den Bereich und die Person des Kreditstellers aus eigener Anschauung berichten und beurteilen konnten:

Der Oberkreisdirektor von Melle schrieb seine Befürwortung. Somit kann dem Ausschuss, der die Kreditmittel bewilligte, keineswegs der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden. Sollte der angestrebte Vergleich der Süßmosterzeugung Quedenfeldt-Knuth zustande kommen, wären die Landes- und Bundesmittel nicht verloren — und das scheint uns besonders wichtig — die 20 Arbeitsplätze für Heimatvertriebene und Flüchtlinge in dem industriearmen Kreise Melle wären fürs erste gerettet.

 

Über die Verluste bei der Kreditgewährung an Vertriebene herrschen in großen Kreisen der Bevölkerung falsche Vorstellungen. Sie sind gemessen an den Schwierigkeiten, mit denen die neuen Unternehmungen zu kämpfen haben, lächerlich gering. Bis Ende September 1953 — bis dahin ist die Kreditbewegung statistisch zu erfassen — wurden für die gewerbliche Wirtschaft und für die freien Berufe in Niedersachsen insgesamt 24 201 und für die Landwirtschaft 1571 LAG-Darlehen genehmigt. Davon mussten 1258 Darlehen gekündigt werden, also im Ganzen 5,18 Prozent.

 

Von den beteiligten Finnen gerieten 127 in Konkurs, 35 meldeten den Vergleich an. Man rechne sich den Prozentsatz gegenüber der absoluten Zahl der mit Krediten bedachten Unternehmungen aus! Aus diesem kleinen Zahlenaufriss ergibt sich auch für den böswilligen Kritiker unschwer, dass bei der Gewährung öffentlicher Mittel seitens der beteiligten Stellen des Staates mit der allergrößten Vorsicht und Sorgfalt verfahren wird“.

 

 

Seite 2   Heimatvertriebene als Staatsfeinde

Eine Entgleisung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Unter dem Titel „Staatsfeinde und Staatsschutz“ veröffentlicht der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. A. W. John, in einer Aussage der Bundesgrenzschutzzeitung „Die Parole“ einen Aufsatz über die Notwendigkeit des Staatschutzes.

 

Wir lesen in dieser Darstellung:

 

„Nur weltfremde Idealisten vermögen zu glauben, dass ein Staat wie die Bundesrepublik auf einen besonderen Schutz gegen ihre inneren Feinde verzichten könnte. Die Bundesrepublik ist von Feinden durchsetzt. In ihrem Gebiet leben Hunderttausende illegal: Flüchtlinge aus vielen östlichen Ländern, Heimatvertriebene, Gestrandete des Lebens, Kriminelle und  - nicht zuletzt – die „Politischen“, das heißt eine beachtliche Zahl von untergetauchten Führern und Funktionären des Naziregimes, eine Unzahl von infiltrierten und getarnten Agenten der bolschewistischen Weltrevolution. Diesen „Illegalen" bieten die Flüchtlingslager, die Trümmer der Großstädte, aber auch die Ahnungslosigkeit hilfsbereiter Menschen vor allem das, als Treue gepriesene, sture Zusammenhalten zwischen den unbelehrbaren Nazis ebenso wie die fanatische Zusammenarbeit unter den Kommunisten sicheren Unterschlupf und Betätigungsmöglichkeiten.

 

Man kann diese unglaubliche Entgleisung des Präsidenten des Bundesverfassungs-Schutzamtes wohl kaum als unglückliche Formulierung oder als Schönheitsfehler abtun. Denn die Heimatvertriebenen werden in seinem Artikel nicht nur als in der Bundesrepublik illegal lebende Personen bezeichnet, sondern auch mit den Gestrandeten des Lebens und den Kriminellen auf eine Stufe gestellt. Wir wissen nicht, was in dem Hirn des Herrn Dr. John vor sich ging, als er den unerhörten Artikel verfasste und die Heimatvertriebenen in Bausch und Bogen in dem bundesstaatlichen Organ verdächtige und beleidigte. Wir sind der Ansicht, dass der Herr Präsident wohl nicht der richtige Mann am richtigen Platz ist, wenn er in so unglaublicher Weise versucht, die Kluft zwischen Heimatvertriebenen und Einheimischen aufzureißen.

 

 

Seite 2   Hohe Geburtenziffern bei den Heimatvertriebenen

Auf Grund kürzlich aufgestellter Statistiken ist bei den Heimatvertriebenen in Westdeutschland ein Geburtenüberschuss von 16 586 über die Todesfälle festzustellen: für dieselbe Periode ist bei der einheimischen Bevölkerung ein Überschuss an Todesfällen notiert worden. Diese in Vergleich mit den Todesfällen hohe Geburtenziffer ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass durch die Massenausweisungen vorzeitig eine große Anzahl alter und kranker Personen ausgeschieden wurden, so dass die gegenwärtige Sterblichkeitsziffer bei den Ausgewiesenen vergleichsmäßig geringer ist als die Sterblichkeitsziffer der Bevölkerung Westdeutschlands.

 

 

Seite 2   Angerburg: Stangenwalde

Herr H. S. - Stuttgart schreibt uns zum Fall Knuth:

„Mehrfach pleitegemachter „Kaufmann“, dann Kreisleiter der NSDAP und Bürgermeister in Angerburg. Dort bekannt durch seine prunkvollen Parteitage. Tausende Fahnenmasten mussten auf Kosten der Bürger beschafft werden. Wer dagegen anmeckerte, wurde eingesperrt oder zum Teil von ihm brutal verprügelt. Angerburg hieß im Volksmund „Stangenwalde“. Später wurde Knuth zum KdF-Gauwart nach Königsberg berufen. Dort baute er im Auftrage seines Herrn und Meisters Koch und Ley die KdF-Halle. Die von Robert Ley bewilligten 2 Millionen RM reichten nicht aus. Die Halle kostete über 3 Millionen. Die Arbeiter, Baumeister usw. mussten Tag und Nacht schaffen, wurden von Knuth ununterbrochen zur Arbeit angetrieben und bedroht. Er fand seine vollste Unterstützung nicht nur bei Koch, sondern vor allem auch beim Organisationsleiter Dargel. Für dieses „Werk“ wurde der Verbrecher von Hitler mit dem goldenen Parteiabzeichen — gemeinsam mit Dargel — ausgezeichnet. Er galt im Übrigen auch in der ostpreußischen Parteiherrschaft als der übelste Lump. Es schwebten einige Dutzend Uschla-Verfahren gegen ihn. Er wurde immer wieder gedeckt. Ausdrücke wie Lump, Verbrecher, Saboteur am Nationalsozialismus, Schwein usw. waren seine gesellschaftlichen Umgangsformen. Im Kriege trieb Knuth in der Ukraine sein Unwesen. Dort beutete er die Bevölkerung aus. Ganze Güterzüge rollten durch seine Erpressungsmethoden nach Ostpreußen und ins Reich. Die sogenannte „Führerpaketaktion“ — bestehend aus beschlagnahmten Gütern der ukrainischen Bevölkerung — war seine Idee. Beim Kommiss war er im Schnellbeförderungsverfahren Leutnant geworden. Wegen Feigheit vor dem Feind wurde er vorher vor ein Kriegsgericht gestellt. Auch hierbei deckte ihn die Partei. 1945, als der Russe in Ostpreußen stand, zeichnete er sich erneut durch seine drakonischen Gewaltmaßnahmen aus. Hunderte deutsche Soldaten ließ er aufhängen.

 

Rechtzeitige Flucht

„Dass die Knuth-Bombe immerhin platzte, war ja vorauszusehen, nachdem sich alles über den „Fall“ unterhielt. Man muss die Sache Knuth richtig hinstellen! Der Mann ist ein Verbrecher! Tausende ostpr. Männer hat dieser Lump in den Tod gehetzt oder, da sie nicht an den Sieg glauben wollten, an die Laternen von Pillau und Königsberg hängen lassen. Es ist eine unglaubliche Unverschämtheit, dass so ein Lump noch die Stirn hat, überhaupt zu leben! Jeder Beschreibung aber spottet es, wenn er sich noch damit brüstet (zu Gleichgesinnten!), dass er die falschen Papiere schon im Dezember (1944) in der Tasche hatte, und dass seine Frau und die Dargelsche schon mit den neuen Namen auf die rechtzeitige Flucht gingen. Wo hätte Knuth uns gehängt, wenn wir etwas ähnliches auch nur erdacht hätten! Da gibt es kein Mitleid! Dieser Mensch soll büßen! Büßen für die 1000-de von Toten, büßen für seine lumpige Gesinnung und Handlungsweise und vor allem büßen dafür, dass er die Hinterbliebenen der von ihm Hingemordeten noch bestahl, indem er sich diesen hohen Kredit erschwindelte! R. T.

 

 

Seite 2   Aus der Sowjetzone

Recht herzlichen Dank für Deine schönen Briefe. Man liest diese nicht nur einmal, sondern so oft, dass man bald alles auswendig kann. Es ist doch immer die Heimat, die zu einem spricht. Alle Erinnerungen werden immer wieder wach. Ganz besonders denke ich am 1. Januar immer an die schönen Stunden im Blutgericht zurück, wo nur der Frohsinn herrschte und in keiner Weise an Politik gedacht wurde. Turnen im Westen und Osten ist so unterschiedlich wie weiß und schwarz. Wie lange schon versuche ich hier einen Turnbetrieb aufzuziehen. Immer und immer wieder treten hier besonders Mängel in der Gerätebeschaffung auf. Wenn ich jetzt schon einen kleinen Stamm von Geräteturnern habe, etwa 20 im Alter von 14 bis 40 Jahren, so wirst Du es Dir leicht vorstellen können, wie es bei uns zugeht. Wir haben wohl einen Eisenbarren, aber keine Holmen, und es ist mir und unserem Kreisausschuss für Körperkultur und Sport bisher noch nicht gelungen. Holme aufzutreiben. Der eine Hochbarren den die Stadt besitzt, steht auf dem Hof in Wind und Wetter und werden wohl die Holme auch bald dahin sein …

 

 

Seite 2   Lastenausgleichsbank zum Fall Knuth

Zum Fall Knuth-Quedenfeld stellt die Lastenausgleichsbank fest:

 

Den ersten Kreditantrag Quedenfeld hat die Lastenausgleichsbank im Sommer 1951 bewilligt. Der Antragsteller war damals unter dem Namen Quedenfeld seit Jahren im Kreise Melle, dessen Kreistag er als Abgeordneter angehörte, bekannt und darüber hinaus ein angesehener Mann. Seine Identität wurde durch die amtlichen Personal- und Vertriebenenausweise rechtsgültig und beweiskräftig nachgewiesen, so dass für die Lastenausgleichsbank keine Veranlassung zu Zweifeln vorlag. Das Amtsgericht Melle hatte ohne Einspruch der zuständigen Industrie- und Handelskammer im Bundesanzeiger vom 03.04.1951 die Eintragung der Firma Kurt Quedenfeld in das Handelsregister bekanntgemacht. Das Land Niedersachsen hatte ihm bereits im Jahre 1949 einen Landeskredit von 60 000 DM bewilligt.

 

Die Behandlung der Kreditanträge Quedenfeld erfolgte streng nach dem vom Aufsichtsrat der Bank beschlossenen Verfahren. Danach werden die Kredite nicht bei der Lastenausgleichsbank als zentralem Kreditinstitut der Bundesrepublik, sondern bei den örtlichen Hausbanken beantragt und von diesen ausgezahlt. Als Bank und der Banken hat die Lastenausgleichsbank keinen direkten Kundenverkehr. Sowohl die Hausbanken, wie die in den Ländern eingesetzten Kreditausschüsse prüfen jeden einzelnen Investitionskreditantrag mit größter Genauigkeit, wobei die Fachministerien, das Kreditgewerbe und 2 Vertreter der Vertriebenen-Organisationen mitwirken. Die so vorgeprüften Kreditanträge werden bei der Lastenausgleichsbank nochmals einer gewissenhaften Überprüfung unterzogen und in der Größenordnung des Falles Quedenfeld, die den Rahmen der Bankvorschriften nicht überschritten hat, dem zuständigen Kreditausschuss des Aufsichtsrats der Bank zur Entscheidung vorgelegt, sowie der Vertriebenen- und Geschädigten-Organisation besteht. Aufgrund zahlreicher bester Auskünfte und Befürwortungen von den zuständigen Organisationen der Vertriebenen, von Berufsauskunfteien, Fachverbänden und einwandfreien, teilweise im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeiten, sowie auf Grund der sachlichen Unterlagen wurden die Kredite genehmigt. Einsprüche aus landsmannschaftlichen und sonstigen Kreisen gegen den Namen Quedenfeld und gegen die an Quedenfeld bewilligten Kredite sind niemals erfolgt.

 

 

 

Seite 3   Ostpreußen grüßt Agnes Miegel. Zum 75. Geburtstag der „Mutter Ostpreußens“ am 9. März 1954.

Großes Foto: Agnes Miegel. Aufnahme: Ruth Willenberg

Am 9. März 1954 wird unsere verehrte Dichterin Agnes Miegel 75 Jahre alt. Das lädt zur dankbaren Besinnung auf die Quellen ein, die den Strom ihres reichen, gesegneten Lebenswerkes genährt haben.

 

Agnes Miegels väterliche Vorfahren stammen vom Nieder- und Oberrhein und aus der Oderaue, die mütterlichen aus dem Salzburgischen; jene waren Beamte und Kaufleute im edelsten Sinne preußischer Pflichttreue und Ehrbarkeit, diese in der Insterniederung ansässig und ganz dem Lande verhaftet. Ostpreußen war seit langem ihrer aller geliebte Heimat. Agnes wuchs in Königsberg in einem großen Verwandten- und Freundeskreise auf, dem bürgerlich schlichte Lebensweise, Naturverbundenheit, Liebe zur Musik und eine ganz unbetonte, hohe Allgemeinbildung selbstverständlich waren. Der Vater lehrte sie Straßen, Gebäude und Pflanzen kennen, machte ihr die Geschichte der Heimat lebendig und hielt zum Lesen der Bibel an, die Mutter hütete die altüberlieferten Bräuche, ließ sie an ihrer Arbeit teilnehmen und las ihr Gottfried Keller vor. Die Erziehung war bei aller gesunden Strenge sehr großzügig.

 

Agnes Miegel wuchs in diesen Lebens- und Bildungskreis hinein als in ihr eigenes. Ihre glückliche Blutmischung, ihre Bereitschaft zum Miterleben, die Fähigkeit, alle Eindrücke, klar aufzunehmen und einzuordnen, verbanden sich mit der heiteren Lebenskunst und dem redlichen Fleiße der Ihren. Sie fand bei ihnen Geborgenheit und Anregung zugleich und die Wärme, die uns im Wesen und in jedem Werke der Dichterin so beglückend anrührt. Da war auch schon früh ein Horchen auf die Stimmen der Tiefe, ein angeborenes Verständnis für Seelenzustände und -Spannungen, ein Drang, sie zu gestalten. Der erste Gedichtband der Zwanzigjährigen enthält neben schönster Mädchenlyrik schon so reife Menschenzeichnungen wie „Griseldis“ und „Henning Schindekopf“ und zeugt in seiner stofflichen Vielfalt von einer Geschichtskenntnis, der die Lernjahre in Frankreich, England und Berlin zu Gute gekommen waren.

 

Die Gedichte und Balladen, von denen zwei weitere Bände folgten, haben Agnes Miegels Ruhm begründet. Von Unzähligen ist ihre Kunst bewundert und gedeutet worden. Als das Eigenste im Schaffen der Dichterin empfinde ich ihre wirkliche Verbundenheit mit den Urgründen des Seins, ihren lebendigen Anteil an den verborgenen Kräften, ihre seherische Schau des Jenseitigen, sei es zukünftig oder vergangen. Das ist ebenso Teil ihres Wesens wie die treue Beobachtung der Dinge und die warme Teilnahme an Menschen und Ereignissen. Anschaulichkeit, innere Wahrheit, aus letzten Tiefen hervorleuchtende Bedeutsamkeit sind Kennzeichen ihrer Schöpfungen, dazu die zuchtvolle, treffsichere Sprache, die von schwebender Zartheit bis zu männlicher Kraft um alle Schwingungen und Ausdrucksmöglichkeiten in Vers und Prosa weiß.

 

Erst nach dem Verlust beider Eltern und dem bitteren Ausgang des ersten Weltkrieges begann Agnes Miegel auch Prosa zu veröffentlichen. Und zwei Gebiete treten da in immer neuer Formung hervor: ihre Familie und ihre ostpreußische Heimat. Vielleicht gab das Bewusstsein, die Letzte ihres Stammes zu sein, der Bindung an die Ihren diese ganz besondere Tiefe und Innigkeit, die wir aus den zahlreichen Erinnerungen der Dichterin, den zarten Gedächtnisblättern an Vater und Mutter und den Geschichten der fernen Ahnen kennen. Auch Erzählungen wie „Der Geburtstag“, „Dorothee“ und „Katrinchen . . .“ haben teil daran. Einzigartig ist Agnes Miegels geheimnisvolle Verbundenheit mit Ostpreußen, ihr Wissen um sein tiefstes Sein. In einer umfassenden Schau breitet sie Landschaft und Geschichte, Arbeit und Brauchtum, Not und geistige Größe der Heimat vor uns aus. Es ist, als ob das Land aus seinen uralten Kräften sich diese Seherin und Kündenn erweckt habe, damit sie Zeuqnis ablege von ihm vor dem Einbruch der großen Dunkelheit.

 

Eines der letzten Schiffe brachte Agnes Miegel noch Dänemark in ein Lager. Ihre Flüchtlingsgedichte aus dieser schweren Zeit erschienen, als sie schon in Bad Nenndorf wohnte. Fast gleichzeitig schenkte sie uns die beglückenden Erzählungen „Die Blume der Götter“ und zwei Jahre später (1951) den „Federball“. Es spannt sich wie ein Bogen zu der Vielfalt der Balladen hinüber. Nie war die Dichterin in ihrem Schaffen beengt. Schon in den altpreußischen Geschichten liefen die Fäden nach Byzanz, Westfalen und Westeuropa, „Der Weg“ brachte zarteste Fühlung in die japanische Welt. Diese neuen Erzählungen führen uns in fast alle Länder Europas und lassen jede Landschaft und Zeit wie seherisch vor uns erstehen. Die wunderbare Menschengestaltung, das geheimnisvolle Dunkel der Schicksalsmächte, die Kunst der Gesprächsführung und des Wortes machen aus ihnen Kostbarkeiten, über dem Reichtum ihres Lebens leuchtet Agnes Miegels gütiger Humor. Nichts ist für uns weit Verstreute stärkerer Ansporn und Trost als die mütterliche Wärme, Güte und Weisheit, die unsere so dankbar verehrte und geliebte Dichterin sich über Schrecken, Entbehrung und Leid bewahrt hat. Käthe Andrée

 

 

Heimweh. Von Agnes Miegel

 

Ich hörte heute Morgen

Am Klippenhang die Stare schon.

Sie sangen wie daheim, —

Und doch war es ein andrer Ton.

 

Und blaue Veilchen blühten

Auf allen Hügeln bis zur See.

In meiner Heimat Feldern

Liegt in den Furchen noch der Schnee.

 

In meiner Stadt im Norden

Stehn sieben Brücken, grau und greis,

An ihre morschen Pfähle

Treibt dumpf und schütternd jetzt das Eis.

 

Und über grauen Wolken

Es fein und engelslieblich klingt, —

Und meiner Heimat Kinder

Verstehen, was die erste Lerche singt.

 

(Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Eugen Diedderichs-Verlages, Düsseldorf, aus Agnes Miegel „Gesammelte Gedichte“).

 

 

Seite 3   Wissen Sie noch? / Ein Brief an Frau Agnes Miegel

Meine liebe Frau Miegel!

Nun kommt der Tag, an dem Sie mit vielen wohlverdienten Huldigungen und Ehrungen Ihren 75. Geburtstag feiern. Ich möchte Ihnen in der Einfachheit einer ostpreußischen Landfrau gegenüberstehen, Ihnen beide Hände reichen und in unserem Volksmunde sagen: „Weete Se noch?“ — Ich glaube, wir wissen es beide, wie die Stunden waren, die wir in unserer Heimat miteinander verlebten, Erinnerungen, die vielleicht für Sie gering, für mich bedeutend sind, in meinem Gedächtnis sind es Lichter im Dunkeln.

 

Als wir uns zum ersten Male in die Augen sahen, waren wir jung und wurden noch „Freileinche“ genannt. Ich hatte aus meiner Mappe: „Gelegenheits-Verlegenheitsverse“ von zuhause ein wirkliches Gedicht herausgesucht und brachte das — etwas scheu fragend — zur „Ostpreußischen Zeitung“ in die Collegiengasse. Die war zwischen „Schiefem Berg“ und „Roßgarten“. Sie schrieben „Marktberichte“, das war Ihr bescheidener Anfang. Als Sie Geburtstag hatten, riefen die Handelsweiberchen gewiss „Frues, Radies!“ Denn um diese Zeit gab es die ersten „Frühaufsteherchen“, die unter Glas aufgewacht waren. Der Ruf klang bis in Ihr Arbeitsstübchen hinein, das keine Frühlingssonne erhellte.

 

Einmal begegneten wir uns auf der Fischbrücke, auf der es aber auch anderes zu kaufen gab als Döbel, Strömling, Stint und Pomunkelskopp. Ich merkte, wie das Leben auf den Kähnen, die mit Kartoffeln und Gemüse beladen waren, Sie interessierte, wie Ihr erwachendes Dichterauge alles Schöne und Originelle aufnahm — aber: Sie machten Marktberichte: „Liebes Frauchen, wieviel kosten die Osterruten?“ — „Wat, Sie wollen Einem schmakostern? Na, dann nehmen Se man jleich drei Stick fir ne Mark.“ Erstaunend hörte ich zu, und weiter vernahm ich: „Dat Damche verwundert seck? Für all die Müh! weit im Wald jerennt! Ei, bei dem Dreck! — Und auffem Baum kraufen un Äst abreißen, un nachhaus schleppen! Und im Stubche Platz haben — un Warmwasser nachfillen, das se sehen ausjrinen — na, fünf Dittche fir ein Bund!“ — Sie notierten, wir gingen weiter. Ich flüsterte Ihnen zu: „Die Alte kenne ich, fährt bis Wickbold mit leeren Säcken, geht in den Tharauer Wald, holt Grünes, Weidenkätzchen, Maiblumen, frische Fichtentriebe, Walderdbeeren, Pilze“ — Sie nickten voller Verständnis und sehr gutmütig: „Das kenne ich: Blaubeeren, Moos zwischen die Doppelfenster, Preißelbeerkraut wird zu Kränzen lila gefärbt, das finde ich alles auf dem Markt“. — Ich zeigte die Form der vollgestopften Säcke: „So hoch, dass man von hinten keinen Kopf und keine Füße der Weiber sah!“ — „Mir haben“, sagten Sie, „die jungen Tännchen oft leidgetan, die über der Wurzel geköpft an Schaufenstern in Blumenkästen verwelken mussten, doch freundlich musste ich fragen, wieviel sie kosten und bekam manch grobe Antwort“.

 

Wir gingen um den Dom. An der verfallenen Stoa Kantiana stehen bleibend, meinten wir, unser großer Kant müsse gar kein Dach über seiner Grabstätte haben, sondern „den bestirnten Himmel“ — dort unter jener Linde.

 

Das alte Haus, wo ur-früher der Bischofssitz gestanden hatte, dort zeigten Sie mir durch Ihr Fenster den Blick über Fluss und Brücke. Doch zogen Sie nach einigen Jahren in die Nähe des Luisenwahler Parks, nicht weit vom „Gelben Krug“, der vor Zeiten Ihrer Vorfahren Besitz als einziger Ausspann auf den damals noch ländlichen „Ratshuben“ gewesen war.

 

Besinnen Sie sich noch auf die Pferdebahn, die vom Steindammer Markt bis zu Großkopfs Ecke fuhr? Ich weiß, wie unsere Dichterin, in Erinnerungen lebend, gern in die grüne Umgebung Königsbergs ging. Die Anlagen auf den alten Wällen, der Stadtgarten bei Maraunenhof wuchsen hoch, da gingen wir die blühenden Rosen bewundern. Plötzlich stillstehend machten Sie drei Knickse, denn der neue Mond stand über den Dächern der alten Stadt. Vielleicht ahnen Sie heute noch, was Sie sich damals wünschten, doch ahnten Sie nicht, dass die Dächer einstürzen würden in einer grausamen Nacht. Vielleicht wissen Sie noch, dass ich, Ihnen, nicht weit von der Stadt wohnend, mit meinem Schimmelchen entgegenkutschierte. Sie waren zu Fuß gekommen, saßen, mich erwartend, inmitten eines Weidegartens im grünen Gras und goldgelben Butterblumen; nicht weit davon rupfte eine Kuh. Als Sie in den Wagen stiegen, freuten Sie sich: „Bei dem schönen Wetter kam ich ein Stündchen früher, Adhumla hat mir Gesellschaft geleistet“.

 

Nun begannen wir einander zu Geburtstagen zu gratulieren. Da stand einmal in der Zeitung: „Zu Agnes Miegels Geburtstag Tharauer Pommeranzen“. Ich hatte Ihnen einen Orangenast mit Blüten und Früchten auf den Tisch gelegt. Unsere 200 Jahre alten Kübelbäume sind später kleingeschlagen und verbrannt worden, weil die Feinde aus dem Gewächshaus eine Bäckerei machten und Splitter brauchten.

 

Ich möchte Ihnen aber Frohes erzählen: Als Sie mir eine langstielige Lilie zusandten und ich Ihnen eine Lischke voller Kurzstielchen auf den Teppich schüttete, da bissen Sie gleich rein, dass es knackte.

 

Wissen Sie noch, als wir nach Karmitten abgeholt wurden und die dortigen Gutsleute uns mit Samländischen Tänzen erfreuten? Da sagten Sie mir in Ihrer bescheidenen Art: „Im Platt sind Sie mir weit überlegen“, worauf ich mich perschte: „Na jo, ik si doch im Peerdstall groot jeworde!“ Dennoch erhielt ich später zu meinem 75. Geburtstag ein Gedicht „auf Platt“ von Ihnen!

 

Unvergesslich bleiben uns die Abendstunden, wenn Sie uns vorlasen. In wieviel Herzen haben Sie sich hineingedichtet, Worte, welche jahrzehntelang weiterklangen und weiterklingen werden im Rhythmus der Zeit. Es öffneten sich die Herzen der Jüngsten, immer fester fühlten sich die Alten ein in das, was Sie ihnen gaben. Während Sie Ihre Verse sprachen, war alles still wie in einer Kirche. Vielleicht schlugen zwischen Ihren Zeilen draußen die Turmuhren an oder es fuhr ein vierspänniger Wagen durch die Straße. Oder es rauschte der Wind, es brauste die See, als grüßte Sie die Heimat, zu der Sie noch heute gehören.

 

Wissen Sie noch: Die Ausflüge des Hausfrauenvereins? Ging es den Pregel entlang nach Schloss Holstein oder über das Haff auf die Nehrung? Sie sahen es alles mit den Augen und mit der Seele an. Sie gingen allem auf den Grund des Spiels der Wellen und der Reife unserer Erde. Der LHV gab Ihnen die Erntekrone und Sie hatten Freude auch an den kleinen plattdeutschen Spielen. Von hinter der Bühne aus sah ich Sie in der ersten Reihe sitzen, Sie hatten Verständnis für das, was wir darboten. Das danke ich Ihnen, während der alte Reim mir in den Ohren klingt: „Zum Sperling sprach die Nachtigall: Nun, lieber Spatz nun sing einmal“.

 

Nun, liebe Nachtigall, lassen Sie weiterhin nicht „Ihre Flochten“ hängen, singen Sie — singen Sie weiter, denn es gibt viel tausend deutsche Menschen., die Ihnen lauschen. Dazu gehört

Ihre alte plattdeutsche Erminia Olfers

 

 

Seite 4   Gespräch mit den Ahnen / Von Agnes Miegel

Auf der alten Brücke stehe ich, zwischen Münchenhof und Lindenmarkt, und blicke stromaufwärts. Alles ist, wie es immer war: kleine wimpelbunte Dampfer tragen stadtmüde Menschen und wasserselige Kinder in den Wiesenfrieden der Pregeldörfer. Flinke Motorboote schnellen wie Fische unter den Brückenpfeilern vor, ein Holzkahn gleitet langsam hinter dem schwarzen Kohlendampfer über das blauspiegelnde, glänzende Wasser, über roten Giebeldächern und geteertem Schuppendach kreisen Taubenschwärme, goldene Kirchturmkugeln funkeln aus tiefer Augustbläue und vom Bollwerk drüben trägt der weiche, wasserfeuchte Wind den süßen frischen Heuduft der hochbeladenen Niederungskähne. Alles ist wie immer, hier und vom andern Geländer, wo ich dunkel vor dem goldstäubenden Spätnachmittagshimmel den Giebelzug der Fachwerkspeicher sehe, bunt und vertraut und über dem Ahornbaum am Ufer, der einmal in mein Fenster blickte, den Dom mit zierlichem Dachreiter zwischen spitzem Turm und schwerer Giebelwucht.

 

Alles ist, wie ich es als Kind sah vor mehr als einem halben Jahrhundert.

 

Nein, nicht alles. Die Brücke, auf der ich stehe, war wirklich und nicht nur dem Namen nach, eine Holzbrücke. Auf ihren Regen zerwaschenen, windgedörrten Planken standen die allerletzten der Buden, grau und zerfledert wie greise Bettlerinnen, an denen einmal das Geschick über das Leben des kleinen Jungen entschied, den es mir zum Vater bewahrte. Unten, wo im Vorgärtchen des hohen Mietshauses die ersten gelben Herbstblumen blühn, sah ich noch den rotgestrichenen, schiefen Fachwerkbau des alten Schlachthofs, so wie er ihn sah über dem Floß auf dem seine alte Retterin die Heringsfässer scheuerte. Seine Kinderwelt ragte noch in die meine. Aber meine lebt nur noch in ein paar verstreuten alten Menschen so weiter wie in mir. Langsam gleitet in mir das Bild meiner Vaterstadt, so wie ich es noch sah, hinab in die Dämmerung zu meinen Toten. Nicht vergessen. Aber ihnen gehörig und gegeben, Hort, den sie betreuen und mir bewahren, solange ich noch durch meinen Abend gehe und wach und begierig das neue Bild dieser Stadt, dieses Landes in mich aufnehme. In meine Seele trinke ich es, wie einst das Kind das Bild der alten Stadt, bis es sich mir unverlöschlich einprägt wie jenes. Herübernehmen will ich es in meinen letzten Schlaf, damit die drüben, die alle mit mir davon scheiden, träumen können von der Zukunft dieser Heimat, die sie sich selbst erwählten, die nach Leiden und Wanderung ihr schwererrungener, stumm und glühend geliebter Besitz war.

 

Nichts kannte ich als diese Heimat durch viele Jahre. Stadt war für das Kind immer nur diese Stadt, deren Dom es in den ersten Erdenschlaf gesungen, war vertrautes buntes Markttreiben zwischen Pregelbollwerk und schirmender Breite des mächtigen Schlosses, von dessen rotem Wächterturm der Choral herübergrüßte über Straßenlärm und Brückenklirren zu dem schwingen-brausenden Engel auf dem schlanken Turm im Süden, zu dem über Wälle und Friedhöfe die Militärsignale schmetterten.

 

Land war immer nur sanfter Hügelhang unterm Dorfkirchhof der alten Ordenskirche, waren die grünen, herdebunten Wiesenweiten Natangens um silberne Stromwindung, war meilenweit wogende blasse Roggenflut, sanft brandend am dunklen Waldrand auf jenseitigem Hügelufer. Küste war immer nur brandungsumtobter Samlandstrand, war dunstendes Tanggewirr, brausend verschüttet auf nassdunklem steinbunten Sand, wo man mit ungeduldigen braunen Händen kleine Bernsteinstückchen aus Algen und Tang klaubte, tiefer und tiefer einsinkend in mahlenden Sand, in strudelnde Feuchte, übersprüht von salzigem Nebel, windzerzaust wie Strandgras.

 

Und Ferne — was war Ferne? Ferne waren die Hochseedampfer im Hundegatt und an der Grünen Brücke, an deren Flaggen man die klingenden Namen lernte: Schweden und Schottland, Holland und Dänemark. Waren apfelsinengelbe Holzflöße, weit von Osten her, waren schwere Wittinnen mit klagendem Fiedellied. Aber nicht Ferne, sondern lustiger Nachbarbesuch waren die breiten Kähne vom Frischen Haff, die erste Kirschen brachten und Winterobst, dessen Duft überm Wasser lag, waren die andern langgestreckten Kähne, die zum Töpfermarkt das bunte Bunzlauer Geschirr herführten. Lockung nur zu Wanderschaft über das Nächstvertraute wie sie, waren die Schlesinger Frauchen mit den bunten Schürzen und Leintüchern in den hohen Tragkörben, waren die braunen Rheinländer, Sommervögel wie sie, die in den hohen Gestellen das schwere Steinzeug ihrer Heimat an unsere Türen trugen, froh und immer wieder begrüßt — erzählten sie nicht in einem Platt, das uns ganz vertraut klang, von ihrem Dom?

 

Weiter, aber längst nicht Ferne, nur ein Hof, zu dem man allezeit hinüberfahren konnte vom eigenen Grundstück, waren die Städte der Waterkant, deren Namen man lernte, kaum dass man sprechen konnte, an altem Schifferreim. Waren vor allem Danzig und Memel — mit gutmütigem Neid und Stolz genannte wohlhabend-angesehene Verwandtschaft, bei deren Namen man den Kienduft ihrer Holzplätze atmete, weiße Segeljachten, möwenumflattert, aus blauer Bucht, über stürmisches Tief in die offene See gleiten sah.

 

Aber die Ohmchenstub im Vaterhaus, Wunschtraum der ehrgeizigen Kinder, erst dem Erwachsenen offen um ehrwürdige Älteste bei Fest und Beratung zu hören — das war Hamburg! Hamburg, Vorburg am anderen Ufer, Hamburg, das aus blinkenden Feueraugen über die graue Nordsee blickt, von dessen Kai man mit Dampfern, groß wie eine Stadt, überall hinfahren konnte, wohin man sich sehnte — wenn man erst groß war!

 

Aber wo man hinkam, so gewiss wie auf der Schulbank und an den Kommunionstisch — das war Berlin. Berlin, tief im Land über Weichsel und Nogat, über Niederung und Heidesand, über Oder und Bruch — Berlin! Nicht das Sterntalermärchen, das auch so hieß, von dem wir uns abends im Winter, wenn draußen die Sterne in der eisigen Frostnacht funkelten, heimlich noch im Bett erzählten, jene immer helle Weihnachtsmarktstadt, wo jeder Arme Arbeit fand und auf den Reichen Kuchen und Braten warteten — nein, nicht jenes Berlin. Sondern das andre zwischen Brandenburger Tor und Wache, der lindengesäumte Tempelweg Preußens, den jeder von uns einmal gehen musste, um vor der Siegesgöttin, die dort vor den Wolken ihr Viergespann lenkt, das heilige Feldzeichen erhoben — sich erschauernd als das Kind des Volkes zu fühlen, das sie geführt. Um sich voll ergriffener Ehrfurcht zu fragen wie man das eigne kleine Ich in der stummen Selbstzucht pflichterfüllten Alltags solchen Ruhms, solch strenger Größe wert erweisen könnte!

 

In dieser Welt wuchs ich, aus ihr kamen, die mich erzogen. Keinen andern Ehrgeiz, keine andre Aufgabe kannten sie als diese.

 

Einförmig mögen sie andern erschienen sein, in ihrer Eigenart nur den Ihren ganz vertraut. Sehr schlicht waren sie in Wort und Wesen — nicht weltmännisch, wie es dann eine spätere, nun auch schon versunkene Zeit von ihnen verlangen wollte. Aber sie hatten die ruhige Würde der in ihrem Selbstgefühl Sicheren, der in Heimat, Beruf und Sippe Verwurzelten. Aufrecht waren sie, diese Nüchternen, deren Nüchternheit doch Liebe kannte und tiefste Ehrfurcht vor Ehrwürdigem. Gern schmückten sie ihr Leben mit Schönem. Offen und unbestechlich wie Kinder erkannten sie, die eignes Gewerbe von Grund aus gelernt, den Wert guter Kunst. Sie alle, der Arme und der Bescheiden-Wohlhabende (denn „Reiche“ gab es hier nicht — was so hieß, war wie schon in der Vorzeit nur der durch den Besitz schöner Pferde vor andern Bevorzugte) liebten als schönste Freude, als besten Schmuck ihrer gastfreien Feste die Musik. Ein allzeit liederfrohes Herz ist das Herz meines Landes — Volkslied, unerschöpfliches — holdes Kunstlied, Choräle aller Festzeiten und ihr, Arien aller alten Opern — kannte ich euch nicht schon mit den ersten Kinderreimen?

 

Es ist eine der lautesten, lebhaftesten Ecken der leben-brausenden Stadt. Autos hupen, Rollwagen mit schweren Pferden rasseln, Räder blitzen, die Straßenbahn klirrt vorbei, Menschen mit Marktkörben und Koffern hasten zum Bahnhof, Jugend marschiert mit wehendem Wimpel vorbei — da wo ich einmal mit dem Seehundranzen zum ersten Mal allein zur Schule ging, während die Mutter mir nachwinkte. Aber dort, wo die Schienen blitzend abbiegen, spannten sich kleine Holzbrücken über das dunkle Wasser des Zuggrabens, wo die Schaufenster der hohen Mietshäuser locken, rauschten alte Gärten. Nur das niedrige graue Haus am Marktplatz steht noch hinter den windzerzausten, straßenstaubgrauen Bäumen, die ich pflanzen sah. Aber keine Blumen nicken mehr bunt von der breiten Holzveranda in die Fiederblätter der alten Esche. Verschwunden ist sie wie das kleine Gärtchen darunter mit der Schneeballlaube, wie die Kastanien des Nachbarhofs. Die hohe Tür ist noch die gleiche, aber nie war sie so fahl verwaschen, all die vielen, immer wieder wechselnden Schilder hingen nicht an der Hauswand unter den großen Fenstern.

 

Das Licht spiegelt sich in ihnen — wie damals. Hinter den hohen blanken Scheiben steht der große stille, helle Saal — unverändert. Die großen weißen Flügeltüren, die Stahlstiche überm Sofa, die schmalen Spiegel blinken sanft im goldenen Schein des alten Kronleuchters, der weißen Kerzen am Klavier. Es ist sehr kühl hier, trotz der Glut, die der riesige Ofen ausstrahlt. Ein süßer, unwirklich holder Duft erster Hyazinthen schwebt durch den Raum, ein Festduft nach Kuchen und Obstsaft und Kölnischem Wasser. So festlich blinkt es von dem glänzenden Damasttuch des Tisches.

In weitem Halbkreis sitzen dort die Meinen alle, ich sehe die schwarzen Kleider, die ruhig feiernden Hände ihren entrückten Blick, ihr stilles Lächeln. Mit ihnen höre ich andächtig, wie die schönste Stimme, silbern wie die eines Geistes singt.

 

„O wie war glücklich ich

Als ich noch mit euch

Sahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht!“ …

 

Nun ist die Wolke hinabgesunken, die schiefergraue, hinter den Dom, den schon rötliches Abendlicht umsäumt — von den Gemüsekähnen am Zwiebelsteig qualmt blauer Rauch, stiller wird die Straße, kühler der Wind überm Wasser. Habe ich so lange von euch geträumt, ihr, die ihr davongefahren seid mit dem Schiff ohne Segel und Steuer, von der Glocke gerufen, die nicht klingt — zu dem Land, das weiter liegt als Übersee?

 

Was werde ich sagen, wenn dies Schiff kommt, mich zu euch zu holen?

 

Wie werde ich vor euch stehn, vor dem weißgedeckten Tisch, an dem ihr und alle vor euch auf mich warten, um mir, den letzten Platz, den einzig noch freien, zu weisen? Was kann ich berichten? Was euch aufweisen, ihr Stillen?

 

Dies will ich euch sagen, hier ins Wasser hinab spreche ich's: Alle Wege bin ich gegangen in dieser Stadt, in diesem Heimatland, die ihr gegangen seid. Sein Antlitz habe ich erforscht, wie ich das eure erforschte, als ich zuerst von eurem Schloss emporblickte, seinen Himmel habe ich gesehn wie einst eure Augen über den meinen. Seine Erde habe ich geliebt, wie man den Staub liebt, der die eigne Hülle formt. War das genug?

 

Ich sah die Stadt, ich sah dies Land wie ihr — euren Tagen bin ich nachgegangen und denen eurer Väter hier. Ich habe alles gekannt wie ihr und sie und die, die vor ihnen hier lebten. Ich habe andern davon erzählt, damit sie es so sahen, sie es so liebten — war das genug?

 

Nein, es ist nicht genug. Ein Kind soll seine Ahnen kennen, es soll den Hof kennen, auf dem es erwuchs, es soll des Hofes Geschichte kennen und es soll andern davon sagen. — Nicht genug!

 

Ich bin alle Wege gegangen, die ihr gingt. Ich bin alle Wege gegangen, die ihr wandertet, meine Vorväter, als ihr in diese Stadt, in dieses Land kamt. Ich habe den Niederrhein gesehn, wo du wohntest, Vorfahr, dessen Antlitz der trug, der mich erzeugte. Ich stand im schönen Garten Elsaß, von dem du noch träumtest, als du dich in die Professorengruft am Dom bettetest, Urahn, dem mein Blick gleicht. Ich sah die Sonnwandfeuer auf den Bergen lodern, wo euer Hof unter der Mur verschüttet liegt, von dem ihr mit Tränen ziehn musstet um eures Glaubens willen, Ahnen, deren Erbe ich trank aus meiner jungen Mutter Blut und Milch. Und ihr Vaters-Väter, deren Name ich führe, in deren Stadt an der Oder ich zum ersten Mal schlief in der Nacht, als ich ihn ein halbes Jahrhundert trug — ihr gabt mir den jähen heißen Zorn, den wilden Freiheitssinn, das zweite Gesicht des aus dem Bruchland geborenen und das lange seidene Haar, das wir alle haben seit den Tagen, wo wir's noch um die gewundenen Bronzespangen drehten —

 

Weit, weit bin ich gewandert, euch alle zu finden, weiter noch zu den Ländern eurer Frauen, vertraut war auch dort noch Sprache und Antlitz, Straße und Stube — war der Weg weit genug?

 

Nicht weit genug! Welch Kind geht nicht gern über Großvaters Schwelle? Welchem Kind schmeckt nicht Patenbrot wie Kuchen? Welchem Kind ist der Glasschrank in der Muhme Stube nicht Wunder und Lockung?

 

Aber ich habe andern davon erzählt — was ich sah und fand, ich teilte es mit meinen Geschwistern.

 

Muscheln und bunte Ketten, glänzenden Vogelbalg und fremde Götzen - bringt das nicht der Seemann mit für die Kinder zum Spielen?

 

Nicht zum Spiel nur. Zu schwer war mein Herz, als ich es heimtrug. Zu viel musste ich dafür hingeben: Jugend und Behagen, Freundschaff und Ruhe.

 

Hast du das alles für dich verlangt, als wir dich führten? Als wir dir die Viktoria zeigten auf dem grauen Tor?

 

Nein, ich habe es nicht verlangt. Verzeiht dass ich einen Augenblick traurig war. Ich habe es nicht verlangt. Ich habe an euch gedacht - und an die, die kommen, wenn ich erst mit euch vereint bin.

 

Hast du sie geliebt, wie uns?

 

Ich habe sie mehr als euch geliebt. Ich liebe sie, wie ihr mich liebtet. Mehr noch. Ich war euer Fleisch und Blut, war euer Geist und Wesen. Durch mich gingt ihr bis in diesen Tag. Ich gab mein Blut nicht weiter. Nichts gab ich als meinen Geist in meinem schwachen Wort an Jugend, die andere Mütter trugen. Nichts als dies — und meine große Liebe.

 

Verlangst du Dank dafür?

 

Nein — denn habt ihr ihn je von mir verlangt, ihr Geduldig-Liebenden?

 

Ob mein Wort weiterleben wird, ich weiß es nicht. Nie habe ich mich das gefragt. Ich sagte es, weil diese Gabe meine Spindel und mein Spaten, mein Acker und meine Schreibstube war und weil ihr mich lehrtet, zu wirken solange es Tag ist. Und das andere? Ich weiß, dass meine Liebe mit dieser Stadt, mit diesem Land, mit allem darin, mit allen meines Volks sein wird — denn war nicht eure immer bei mir? Sehe ich euch nicht da unten in dem treibenden Schiff auf dem dunklen Wasser?

 

Nichts siehst du, Kind, als einen Weidenbusch, als ein Stück Grassoden, vom Ufer gespült, das stromab treibt zu Haff und See. Blick fort von dem dunklen Wasser, blick auf — was hörst du?

 

Ich höre wie es still wird in den Straßen und auf den Schiffen. Ich höre den Choral vom Schlossturm und ich höre die jungen Soldaten singen und ihren Marschtritt auf der andern Brücke.

 

Und nun?

 

Nun sehe ich den stumpfen Giebel und den spitzen Domturm ganz schwarz vor hellem Himmel. Ich sehe sehr weiß und sehr klein den Abendstern über den Speichergiebeln. Und nun höre ich's von fern aus dem hellen Himmel wie das Dröhnen einer großen Orgel. Es ist wie das Klirren von tausend Rädern, es ist wie das Rasseln sehr großer Streitwagen. Es kommt näher und näher, unaufhaltsam wie das Brausen großer sturmgefüllter Segel. Es steht über mir und über der Brücke wie sehr große schwarze Fittiche.

Und nun?

Nun ist es wie das Rauschen von Adlerflügeln über mir. — Verzeiht, ich hielt die Hände vors Gesicht. Es war wie der Brand der großen Speicher, den ich drüben vom Kai sah. Es sprühte stürzend wie flammende Kräne. Verzeiht, ich weinte. Es knirschte zermalmend wie die getürmten Schollen im Eisgang, als ich in der Osternacht an meines Vaters Hand durch den eisigen Sturm über die Brücke ging und du Wasser hoch über das Bollwerk schäumte. Die Brücke schütterte wie damals, noch bebt sie, noch schwanken die Pfosten, noch bebt mein Herz, das euren Frieden nicht kennt. Aber der Schatten glitt vorüber, das Brausen verhallt. Nun ist es noch wie das Singen, der Sensen im Erntefeld, wie das Surren der Ähren, die auf die Stoppel sinken. Nun ist es nur noch wie das Summen der Bienenvölker, oben in den Linden. Nur noch wie das ferne Flüstern der jungen Saaten im Nachtwind.

 

Und wie ist der Wind?

Er ist flinker als ein Fohlen, er ist so weich wie Wiesengras an eines Kindes Wange, er ist süß vom Heuduft wie frische Milch, er ist dunkel und feucht vom Tau wie ein Holunderstrauch am Ufer. Er trägt das Singen und Gurgeln des Stromes her.

 

Was siehst du, was hörst du noch?

Ich sehe nichts mehr von der Stadt, von Türmen und Giebeln, so dunkel ist es geworden. Nur die Sterne sehe ich oben und ihre feurigen Tränen und ich sehe, wie sie sich unten im Wasser spiegeln. Ich höre nichts mehr als die Schritte eines Kindes, das verspielt auf der Brücke stehenblieb und durch ihr Geländer über den Fluss sah und das nun heimläuft zu seines Vaters Haus, zu dem Bett, das die Mutter ihm bereitet hat.

(Entnommen mit freundlicher Erlaubnis des Diederichs-Verlages aus Agnes Miegel „Unter hellem Himmel“)

 

 

Bekenntnis / Von Agnes Miegel

Ich stieg, mein Volk, aus Dir wie Halm aus Acker steigt,

Du hast Dich, Heimat, mir wie Mutter hold geneigt.

Ich ward,- und sieh, Dein Hauch belebte meinen Geist,

Ich wuchs in Deiner Hut, von Deiner Hand gespeist.

Ich durfte dienen Dir, wie Biene dient dem Schwarm,

Das macht mich reich und stolz, - vertrieben noch und arm.

 

Wie hab ich mich gesehnt, als Du noch frei von Ketten,

Heimat, in Deinem Schoß zur Ruhe mich zu betten!

Nun muss ich fern von Dir und meinen Vätern sterben, -

O lass mich, Herr, ein Grab in deutscher Erde erben;

Und lass ein Lied von mir in unsrer Jugend leben

Hab meine Hülle ich Dir längst zurückgegeben!

(Entnommen aus Agnes Miegel „Gesammelte Gedichte“ Eugen Diederichs-Verlag)

 

 

Seite 4   Zwischen Hommel und Hoppenbeek

(Walther Braun: „Zwischen Hommel und Hoppenbeek“, erschienen im Verlag Elbinger Nachrichten, Uelzen/Hann., 312 Seiten stark, steif geheftete Broschüre 6,70 DM, Hochglanzbroschur 7,-- DM, Ganzleineneinband 8,80 DM.)

Walther Braun - ein enger Freund und Mitarbeiter des bekannten ostdeutschen Sprachforschers Professor Ziesemer - der schon 1937 in Königsberg einen Literaturpreis erhielt, hat aus der Erinnerung an viele Jahrzehnte in der ost- und westpreußischen Heimat über 130 Erlebnisse, Erzählungen und Gedichte in hochdeutsch und in heimatlichem Platt niedergeschrieben, die jetzt als seine siebente Veröffentlichung in dem Heimatbuch „Zwischen Hommel und Hoppenbeek“ im Verlag Elbinger Nachrichten, Uelzen, erschienen sind.

 

Die unvergessene ostdeutsche Heimat wird beim Lesen dieses Buches wieder wach. Wir gehen durch die verträumten Straßen der Städte, begegnen vielen Originalen, erleben noch einmal die schönen Ferienerlebnisse und Schulstreiche der Jugendzeit, lesen über die Tätigkeit des letzten Elbinger Scharfrichters und Rittergutsbesitzers Schesmer und vieles andere mehr.

 

Stunden der Freude, derben und urwüchsigen Humors, aber auch Stunden ernster Besinnung bietet dieses mit vier ganzseitigen Bildern im Kunstdruck illustrierte Heimatbuch, das ein passendes Geschenk für jede Gelegenheit ist.

 

Seite 5   Wir gratulieren

Ostpreußenfamilie Flensburg.

Im Monat März 1954 können die nachfolgend aufgeführten, betagten Mitglieder der Ostpreußenfamilie in Flensburg ihren Geburtstag feiern und ein neues Lebensjahr beginnen.

 

Am 01.03.1954. Herr Rudolf Jakubel, Bundesstraße 4, früher: Labiau, 70 Jahre.

 

Am 02.03.1954. Frau Auguste Ahlrep, Heinz-Krey-Lager, früher: Schlagakrug, Kreis Johannisburg, 74 Jahre.

 

Am 02.03.1954. Frau Martha Diester, Kepplerweg 17, früher: Königsberg (Pr.), Rudauer Weg 30, 79 Jahre.

 

Am 03.03.1954. Frau Katharina Weinberg, Friesische Str. Nr. 113, früher: Neidenburg, Feldstraße,  74 Jahre.

 

Am 05.03.1954. Frau Wilhelmine Wendling, Mühlenholz 29, früher: Königsberg, Mitteltragheim Nr. 35, 79 Jahre.

 

Am 07.03.1954. Frau Anna Captuller, An der Reitbahn 12, früher: Königsberg, Haberberger Neue Gasse Nr. 36/37, 83 Jahre.

 

Am 08.03.1954. Frau Maria Zorn, Pregelstieg 2, früher: Königsberg (Pr.), Hagenstraße 7, 72 Jahre.

 

Am 10.03.1954. Herr Richard Stahnke, Lager Kielseng, früher: Kampen, Kreis Lötzen, 71 Jahre.

 

Am 14.03.1954. Frau Auguste Naggies, Mützelburglager, früher: Gilge, Kreis Labiau, 90 Jahre.

 

Am 16.03.1954. Herr August Kroß, Ochsenweg 30, früher: Sensen, Kreis Bartenstein, 75 Jahre.

 

Am 22.03.1954. Frau Henriette Orlowski, Tarup, Kreis Flensburg, 80 Jahre.

 

Am 22.03.1954. Herr Gustav Prange, Fruerlundlücke 13, früher: Königsberg, Auguste-Viktoria-Allee Nr. 12, 72 Jahre.

 

Am 27.03.1954. Frau Hedwig Koslowsiki, Mühlenholz 49, früher: Königsberg (Pr.), Luisenallee 70, 72 Jahre.

 

Am 30.03.1954. Frau Berta Farnsteiner, Brixstraße 57, früher: Blockwalde, Kreis Schloßberg, 79 Jahre.

 

Am 31.03.1954. Frau Elise Kossack, Neustadt 41, früher: Königsberg (Pr.), Neue Reiterbahn 3, 77 Jahre.

 

Die Landsmannschaft Ostpreußen in Flensburg, insbesondere der Vorstand, gratuliert allen Geburtstagskindern aufs herzlichste.

 

 Am 03.03.1954 begeht der Töpfermeister Karl Grüneberg, aus Frauenburg/Ostpreußen seinen 80. Geburtstag. Er wohnt z. Zt. in Bissendorf/ Hann., Wietzestrand 32.

 

Am 8. März 1954, feiert Frau Marta Czygan in Oldenstadt, Kreis Uelzen, in seltener geistiger Frische ihren 85. Geburtstag. Die Jubilarin ist die Ehefrau des verstorbenen Stadtverwaltungsoberinspektors Wilhelm Czygan aus Königsberg.

 

 

Herzog-Albrechtsschüler Rastenburg

Am Sonnabend, den 6. März 1954, ab 16 Uhr, findet das Herzog-Albrecht-Frühjahrstreffen (mit Damen) in Hannover statt. „Deutsches Bierhaus", Hannover, Am Thielenplatz. Anmeldung und Übernachtungswünsche an Apotheker Martin Schlunck, Hannover, Breite Straße 1. Palmowski

 

 

Seite 5   Aus den Landsmannschaften

Berchtesgarden.

Die Februarsitzung der Berchtesgadener „Vereinigung der Ost- und Westpreußen und Pommern“ wurde mit einem Gedenken des 1. Vorsitzenden Marian Hepke am 150. Todestag des Königsberger Philosophen Immanuel Kant eröffnet. Bekanntgegeben wurde, dass die Vereinigung als Kreisgruppe der Pommerschen Landsmannschaft anerkannt worden ist. Ein Lichtbildervortrag führte die zahlreichen Besucher durch Ost- und Westpreußen, durch Danzig und Pommern. Die Bilder zeigten nicht nur die Schönheit, sondern auch den Reichtum unserer verlorenen, aber nie vergessenen Heimat. Den Abschluss bildete eine frohe Kappensitzung mit Rezitationen, musikalischen und Gesangsvorträgen. — Einen wohlgelungenen Faschingsball beging die Vereinigung gemeinsam mit den Schlesiern im Hotel „Vier Jahreszeiten“.

 

 

Celle

Die Landsmannschaft Ostpreußen veranstaltete am 31. Januar in den Räumen der Union ihr diesjähriges Winterfest. Ein buntes Programm fand allgemeine Begeisterung; es wurde bestritten von: dem Chor der Hermann-Billung-Schule unter Leitung von Stud.-Rat Roß, Sabine Plaga, Gisela und Elke Müller; ferner Edith Winter auf dem Drahtseil und ihr 11-jähriges Töchterchen mit Bodenakrobatik, beide in höchster Vollendung. Nicht zuletzt begeisterte, wie stets, die „Celler Nachtigall“ — Margarete Bourry — und Max König, begleitet am Flügel von Gerhard Hüneke. Zum Tanz spielten dann die Kapelle Helmuth Wendt und unsere bewährte Hauskapelle Neubert-Powels auf. Das Konfektionshaus Warg überraschte die Teilnehmer mit drei wertvollen Preisen, die in einer Verlosung dankbare Gewinner fanden. Foto-Füllhaas „blitzte" an allen Ecken und zu jeder Gelegenheit. Nur zu schnell machte die Polizeistunde zwangsläufig ein Ende. Für die gelungene Vorbereitung zeichnet unser Landsmann Walter Krieger.

 

Die Landsmannschaft, der Ostpreußen in Celle-Stadt hielt am 27. Januar ihre diesjährige Hauptversammlung ab. Dem bisherigen Vorstand wurde nach abgegebenem Bericht Entlastung erteilt; einstimmig wurde von der Versammlung der bisherige Vorstand für das nächste Geschäftsjahr wiedergewählt. Auch die Bezirksleiter wurden entlastet. Die einzelnen Stadtbezirke wurden wie folgt besetzt: Krieger für Neuenhäusen. Gramsch für Neustadt. Füllhaas für Altstadt, Lehmann für Hehlentor und Kl.-Hehlen und Pohl für Blumlage.

 

 

Lübbecke

Die hiesige Landsmannschaft hielt im festlich geschmückten Saal des „Lübbecker Hofes“ ihre Monatsversammlung ab, die im Zeichen heimischen Brauchtums im Hinblick auf Fastnacht ausgestaltet war. Nach dem gemeinsam gesungenen Ostpreußen-Liede sprach Landsmann Kizio herzliche Worte zum 80. Geburtstage des Sprechers der Landsmannschaft W. Hardt. In seiner Dankrede lenkte derselbe auch die Gedanken der zahlreich Erschienenen auf die Berliner Konferenz. Dann folgte ein gemeinsames Fleckessen. Unter der Leitung des Landsmannes Kizio wickelte sich ein reichhaltiges unterhaltsames Programm ab. „Tante Malchen“ erschien zweimal, die Jugend sang und spielte und tanzte, auch die älteren Paare traten dazu an. Ein „ideales Brautpaar“ wurde gesucht und gefunden, das beste Tanzpaar erhielt ein Anerkennungsgeschenk, Schnelldichter zeigten ihre Gestaltungskunst usw. Viel zu früh schlug die Scheidestunde.

 

 

Seesen am Harz

Der „Bunte Abend“ zur Fastnacht war ein erneuter Höhepunkt in der Reihe der von dem Obmann Papendick gestalteten monatlichen Heimatabende der Ost- und Westpreußen. Unter Leitung von Bruno Scharmach rollte ein äußerst amüsantes Programm ab. In Kostümierung und Mimik wetteiferten unsere Landsleute Blaesner und Sande- Münchehof. Pasenau-Stauffenburg. Drugolinski und Frau Gardewischke - Herrhausen und Frau Fahlke - Seesen in der Darstellung ostpreußischer Dialekt- und Charakterszenen von Robert Johannes, Dr. Alfred Lau, Wilhelm Reichermann u. a. Auch die Seesener Stimmungskanone Herbert Lehmann erntete Beifallsstürme und Lachsalven. Lustige Lieder des kleinen Ostpreußen-Chors unter Leitung von Hilfsschullehrer Fenske  umrahmten den stimmungsvollen humoristischen Abend. — Die Heimatstunde am 6. März wird mit einem Vortrag von Reg.-Rat z. Wv. Augustin beginnen.

 

 

Wolfenbüttel

Am 28. Januar 1954 fand in der Aula der Schule Wallstraße die Jahreshauptversammlung der Landsmannschaft Ostpreußen im BvD statt. Trotz des sehr kalten Winterwetters waren zahlreiche Mitglieder erschienen. Bei Beginn gedachte der 1. Vorsitzende, Ldm. W.Oehmke der im vergangenen Jahre verstorbenen Mitglieder Dr. Müller und Hoffmeister und würdigte ihre Mitarbeit in der Landsmannschaft. Die Versammlung ehrte das Andenken der Verstorbenen durch Erheben von den Plätzen. Aus dem Jahresbericht des 1. Vorsitzenden ist besonders das Kreistreffen der Ost- und Westpreußen in Wolfenbüttel am 20.09.1953 zu erwähnen. Es war ein voller Erfolg in jeder Hinsicht. Vor allem war der Nachhall dieses ersten Versuches sehr stark: in allen Ortsgruppen des Kreises belebte sich die landsmannschaftliche Arbeit, neue Mitglieder meldeten sich an, und der Wunsch nach Wiederholung eines solchen Kreistreffens ist sehr rege.

 

Zur Bruderhilfe Masuren hat unsere Ortsgruppe: 526 kg Sachspenden und 197,30 DM Geldspenden beigetragen.

 

Die sehr saubere und ordnungsgemäße Kassenführung wurde von den Kassenprüfern besonders hervorgehoben.

 

Der alte Vorstand mit Ldsm. W. Oehmke, als 1. Vorsitzenden wurde einstimmig wiedergewählt. Der 1. Vorsitzende gab bekannt: In diesem Jahre findet ein Bezirkstreffen der Ost- und Westpreußen in Bad Harzburg statt, das als Tag des ostpreußischen Pferdes ausgestaltet wird. Unser neues Flecklokal ist das „Forsthaus“ Wolfenbüttel - Neuer Weg.

 

 

Verein heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover

Gemäß § 7 der Satzungen des Vereins heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover findet die diesjährige Hauptversammlung des Vereins am Sonntag, 14. März 1954, um 19.30 Uhr im ehemaligen Fürstenzimmer des Hauptbahnhofes Hannover statt. Folgende Punkte sind auf die Tagesordnung gesetzt:

 

a) Geschäftsberichte des Vorsitzenden und seiner Mitarbeiter,

b) Entlastung des Vorsitzenden und seiner Mitarbeiter,

c) Wahl des Vorstandes und seiner Mitarbeiter.

d) Festsetzung des Mitgliedsbeitrages,

e) Satzungsänderungen,

f) Verschiedenes.

Anträge zur Tagesordnung sind schriftlich und satzungsgemäß mindestens eine Woche vor der Versammlung beim Vereinsvorstand, Hannover, Bödekerstraße 96, einzureichen. Es wird um vollzähliges und pünktliches Erscheinen aller Mitglieder gebeten.

 

Vorankündigung: Für Sonntag, 16. Mai 1954, hat der Verein eine große Weserfahrt geplant. Der Selbstkostenpreis wird voraussichtlich 7,50 DM einschließl. eines einfachen Mittagessens betragen. Hiervon übernimmt die Vereinskasse für jedes dem Verein vor dem 01.01.1954 angehörende Mitglied einen Betrag in Höhe von 5,-- DM, so dass das betreffende Mitglied für diese Fahrt selbst nur 2,50 DM zu zahlen braucht. Fahrtroute: Hannover-Raschplatz (Abfahrt 8 Uhr) über Steinkrug — Holzmühle — Lauenstein (Ith) — Bodenwerder — an der Weser entlang (Mittagessen in Polle) — Holzminden — Eschershausen — Grünenplan (von 17 bis 22 Uhr fröhlicher Ausklang) — Hannover (Ankunft gegen 23.30 Uhr). Weitere Einzelheiten werden in unserer Hauptversammlung bzw. durch unsere besondere Einladung bekanntgegeben.

 

 

Bremerhaven Patenstadt für Elbing.

Die Übernahme der Patenschaft für die Stadt und den Landkreis Elbing durch Bremerhaven findet am 16. Mai in feierlichem Rahmen statt. Nach einem Empfang der Sprecher der Stadt und des Landkreises Elbing durch Oberbürgermeister Gullasch beginnt um 11.30 Uhr der Festakt in der Columbus-Halle auf dem „Bahnhof am Meer“, in dessen Verlauf die Patenschafts-Urkunde überreicht wird. Für den Nachmittag ist eine Sonderaufführung des Stadttheaters vorgesehen. Zur gleichen Zeit öffnet die Fa. Schichau für mehrere Stunden ihre Tore, um die Schichau-Werft als Miniaturausgabe besichtigen zu können. Des Weiteren stehen ein „Elbinger Heimatabend“ und ein „Elbinger Heimattreffen“ auf dem Programm. Man rechnet mit der Teilnahme mehrerer tausend Elbinger.

 

 

21. Infanterie-Division

Pfingsten findet das zweite Treffen in Bielefeld statt. Beginn Sonnabend 19 Uhr. Anmeldungen bis 15. März 1954 an den Traditionsverband zu Händen von Generalmajor a. D. F. Becker, Hamburg 33, Wasmannstraße 26, erbeten.

 

 

 

Seite 5   Meine Kinderzeit war schön. Agnes Miegel.

Ich bin am 9. März 1879 in Königsberg in Preußen geboren, in dem ältesten Teil der Ordensstadt, dem Kneiphof, der alten Handelsinsel, in der die Giebelhäuser vergessener Kaufherren um den roten Backsteindom stehn, an dessen Nordwand Kant schläft, wo seine Glocken über die Fischerkähne auf dem Pregel bis herüber zum Schloss oben auf dem Berg, und über den andern Pregelarm bis in die vorstädtische Langgasse klingen.

 

Meine Kinderzeit war reich und schön durch diese Stadt, die mein bestes, unerschöpflichstes Bilderbuch war. Ich wuchs in einem großen Kreis von Verwandten und Freunden auf. Von meines Vaters Seite waren es Kaufleute und Beamte, von Mutters Seite nur Landverwandtschaft. Fremden, Nicht-Versippten, begegnete ich zuerst, als ich mit dem zwölften Geburtstag auf eine richtige Schule kam — aber auch da fand sich immer noch Gemeinsames, denn bis auf meine nächste Schulkameradin, die mit mir den gleichen Geburtstag hatte, waren wir alle aus Königsberg oder naherer vom Land. Wir waren alle aus den Jahren, von denen alte Prophezeiung kündete, dass sie die Schwelle einer ganz neuen Zeit wären, die nach Krieg und Not eine Weltwende herbeiführen würde — aber davon merkten wir Kinder noch nichts. Unser kleines Leben ging noch den geregelten Gang in seiner kleinstädtisch ruhigen und in Haus und Familie altväterlich gesunden Umgebung. Ganz vereinzelt war manchmal schon ein andrer Geist zu spüren, selbstbewusst und protzig oder gar zu bildungsbetont — in unser Haus und in mein Leben kam nichts davon. Meines Vaters Geschwister hatten bei ihm Pate gestanden, meine frühverwaiste Mutter war von ihrer uralten Großmutter erzogen — so bewahrte mein Elternhaus das Preußisch-Schlichte einer jenseits der Weichsel schon versinkenden Welt noch bis lange in das neue Jahrhundert hinein. Es wäre eine sehr nüchterne Welt gewesen wenn nicht eine selbstverständliche tiefe, weil schwer erworbene Allgemeinbildung, eine ebenso tiefe aber ganz unbetonte Gläubigkeit, die allen Ostpreußen eigne Liebe zur Musik und lebendig gebliebener Volksbrauch sie reich und farbig gemacht hätten. Dies und die beiden Eltern und den meisten der Verwandtschaft verliehene Gabe, alles Schöne und Frohe mit heiterstem Sinn zu genießen und dankbar im Herzen zu bewahren, machte ihr und mein Leben trotz vielem sehr Schweren, das sie ergeben als Schicksalsprüfung hinnahmen — zu einem glücklichen, an das ich heute noch ohne alle Gefühlsseligkeit mit Dank und Liebe denke und das immer wieder vor mir liegt, wie einst vor dem kleinen Kind die bunte, menschenquirlende, wasserdurchfunkelte Stadt.

 

So kommt es ganz von selbst, dass die Gestalten meiner Toten immer wieder lebendig vor mir durch die Vergangenheit wandern und ich von ihnen spreche, wenn ich auch von ganz anderem beginne. Da ist mein Vater, an dessen Gestalt und Wesen, wie an der meines Paten und seiner andern Jugendfreunde, ich den Begriff „Ehrbarer Kaufmann“ in seiner tiefen Verpflichtung erkannte. Da ist Andreas, mein jungverstorbener Ohm, wie meine Mutter ganz und gar ein Landkind und so süddeutsch („dinarisch“ wie man es heute nennen würde) von Aussehen, Rede und Bewegung wie sie — als wären ihre Vorväter erst gestern und nicht vor zweihundert Jahren von dem Erzstift Salzburg in unsre grüne Insterniederung gewandert. Da ist „meine“ Minna, meine Amme mit dem breiten, bräunlichen Gesicht und den stillen Augen. Da sind meine geliebten Tanten, des Vaters Schwestern. Ein großes Schulmädchen war ich, als ich zum ersten Mal von einem Gast ihre richtigen altmodischen Taufnamen hörte. Für uns hießen sie „Lusche“ und „Usche“ mit den heute verklingenden niederdeutschen Kosenamen. Die Blindheit, die ein ferner Urahn, immer wiederkehrend uns mitgab und die zuletzt auch meines Vaters klare Augen erlöschen ließ, hatte die eine schon von Kind an gezeichnet. Dafür besaß sie das wunderbare Gedächtnis der Erblindeten, das heiterste Gemüt und die sanftesten geschicktesten Hände, zierlich wie Elfenhände. In den stillen Stiftsstuben meiner Tanten, zwischen den Birnbaummöbeln der Großmutter, durfte ich spielen und fragen wie ich wollte und bekam mit den Festgerichten der Vorfahren: Buchweizensuppe, Hirsebrei, Schwadengrütze und Akazienflinsen als beste Würze hundert Erinnerungen aufgetischt — so treu, so gegenwärtig bewahrt von den beiden Schwestern, als hätten sie alles noch miterlebt: Franzosenzeit und Erhebung, Großvaters und der Ohme Kriegszug, Urgroßvaters Reise nach Paris, das Haus des Urgroßohms am Münzplatz und meines kleinen Großonkels Kindertod in dem Landhaus, an dem ich heute — nun in der Stadt — wohne. Von ihnen erfuhr ich, dass unsre Vorfahren von Niederrhein und Oberrhein und aus der Oderaue kamen — spielend hörte ich's, zwischen Liedern und Rätselraten, zwischen Märchen und „Helfen“ in der kleinen Wirtschaft, die noch ganz an alte holländische Bilder erinnerte.

 

All das war schön — aber am schönsten für uns alle war die kurze Zeit unserer sehr bescheidenen Sommerfrische auf dem Land oder an der See. Nie war der Ostpreuße, auch der Städter, naturentfremdet. Immer zeigt er sein bestes Wesen, sein eigentliches, erst draußen unter dem singenden Feldwind. Gar nicht weichlich waren die Meinen. Unbekannt blieb mir das übersteigerte Entzücken an Stadtbild und Wald oder gar Sonnenuntergang über der See, das ich später so oft befremdet an Stadtgeborenen sah. Mein Vater führte mich durch die Stadt wie der Bauer sein Erbkind durch den Hof führt und alle Landwege, die ich mit den Meinen durch die Heimat ging, waren der Sonntagsweg des Besitzers durch seine Dorfflur. „Schön“ war immer nur die ganz freie Wildnis von Palwe und Sumpfwald, aber mehr noch der wohlgehegte Wald, das wohlbestellte, von Menschenhand in schwerer Arbeit, betreute Feld und Vieh. Was um mich wuchs und gedieh, Baum und Blume, Ähre und Frucht, Wildtier und Haustier — ich musste es kennen und nennen wie daheim Giebel und Gasse, Speichermarke und Schiffsflagge. Nie wurde ich lehrhaft dazu angeleitet, nie verlacht, wenn ich's falsch sagte — aber wie hätte ich anders als aufmerkend und liebend all dieses sehn und in mich aufnehmen können, was von den Eltern und den Ihren so andächtig und liebend verehrt wurde? Das „milde“ Vaterland ihrer Vorväter, das sie und mich speiste wie der Speicher die Tauben, Beginn und Schicksal und letztes Ziel unsrer Vergänglichkeit, uns überdauerndes Gleichnis des Höchsten.

 

Oft noch im Traum oder in einer stillen Dämmerstunde meine ich wieder so mit den Eltern zu wandern und immer endet der Weg auf dem für uns alle schönsten Platz: auf der kleinen Abendbank der Holzaltane an der weißen schindelgedeckten Mauer des alten Friedhofs um die spitztürmige Dorfkirche in Natangen. Es ist mir als sitze ich wieder dort, eine Blätterkette um die Schultern, den Feldblumenstrauß im Schoß. Hinter mir im Abendschatten rauschen die Linden über den Gräbern, vor mir liegt im goldenen Abendlicht der Wiesenhang mit den Kühen und Fohlen und Mohrchen, mein bester kleiner Freund, blickt mit bernsteingoldenen Augen in das Licht. Ich kann die Eltern nicht erkennen, aber ich weiß sie um mich. Den einen ehrwürdig und schirmend wie den Dom und die Mutter warm und vertraut wie das grüne Land vor mir.

 

Ich bin ein bisschen müde. Es war ein weiter Weg durch einen langen Sommertag, den ich ging. Nicht halb so romantisch war er wie man es denken könnte nach den Liedern, die mir im Wandern einfielen. Es war alles in allem ein Weg auf einer graden, guten, preußischen Chaussee. Aber über der schauten die Linden, die all unsre Heere marschieren sahn. Fern stoßen die Bäume zusammen und man denkt, nun ist man da oder es geht nicht weiter. Aber sie weichen zurück und die Straße führt weiter und weiter, an Friedhöfen und Wegweisern, an Grenzsteinen und Feldwegen vorbei, über Brücken und Dämme. Ich kam auf dieser Straße durch Krieg und große Schrecken, ich kam auf ihr in die neue Zeit, von der die Weissagungen redeten, als ich klein war.

 

Es tut gut nach der weiten Wanderung hier auf dem kleinen Altan an der Kirchhofsmauer  zu sitzen. Die Sonne steht schon tief, sie scheint durch die Schwarzerlen im Bachgrund, die Wolken brennen. Das Holz ist noch warm von ihrem Nachglühen, es ist gedörrt von Regen und Schnee, Kälte und Wind, es ist silbern vor Alter. Du Wandersmann, der die Schrift auf den Grabsteinen liest, du junges Mädel mit den Zöpfen, lang und lichtbraun, wie meine es einmal waren — kommt zu mir auf die Abendbank und lasst mich erzählen!

 

 

Seite 6   Oberamtsrichter a. D. Jamrowski, Gumbinnen – 70 Jahre alt. (Mit Foto)

Am 6. März 1954 wird Oberamtsrichter a. D. Gotthard Jamrowski in Peine, Sedanstraße 26. 70 Jahre alt.

 

Als ältester Sohn des Pfarrers Hermann Jamrowski und dessen Ehefrau Marie geborene Wegner in Silberbach, Kreis Mohrungen am 06.03.1884 geboren, besuchte er die Volksschule in Silberbach und wurde von seinem Vater in Latein und Französisch unterrichtet. So vorbereitet, kam er auf die Untertertia des Königlichen Friedrichs-Kollegiums nach Königsberg Pr., das er im Jahre 1902 mit dem Zeugnis der Reife verließ. Auf den Universitäten in Heidelberg, Leipzig und Königsberg studierte er die Rechte und bestand 1905 auf dem Oberlandesgericht in Königsberg Pr. das Referendarexamen und 1910 das Assessor-Examen in dem Justizministerium zu Berlin. Im April 1914 wurde ihm die Hilfsrichterstelle zu Soldau, Kreis Neidenburg übertragen, aber nach Ausbruch des 1. Weltkrieges wieder entzogen. Er verwaltete sodann Amtsrichterstellen in Heydekrug, Memelland, die durch die Einberufung ihrer Inhaber zu den Waffen erledigt waren. Da er nicht kriegs-, sondern nur garnisonsverwendungsfähig war, wurde er vom Waffendienst zurückgestellt und vom König Wilhelm II. zum Amtsrichter in Darkehmen ernannt. Da die Kriegsschäden, die durch den Einfall der Russen in die Grenzgebiete entstanden waren, beseitigt werden mussten, wurde er vom Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen zum richterlichen Mitglied und zugleich stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses zur Feststellung der Kriegsschäden im Kreise Darkehmen und vom Landrat zum Vorsitzenden im Ortsausschuss für Kriegsbeschädigtenführsorge bestellt. Im kommunalen Dienst betätigte er sich als Vorsitzender des Städtischen und Kreismieteinigungsamtes, und in kirchlicher Hinsicht als Vorstandsmitglied des kirchlichen (konfessionell-lutherischen) Vereins, ferner als Mitglied des Gemeindekirchenrats und der Kreissynode. Im Jahre 1926 wurde er in gleicher Eigenschaft an das Amtsgericht in Gumbinnen versetzt und 1935 zum Vorsitzenden des Anerbengerichts bei diesem Gericht ernannt. Seit 1937 führte er die Amtsbezeichnung „Oberamtsrichter“.

 

Wie bei seiner ganzen inneren Einstellung nicht anders zu erwarten war, suchte und fand er auch in Gumbinnen sogleich lebendige Fühlung mit seiner Kirchengemeinde. Daraus ergab sich sehr bald, dass auch hier ihm ein kirchlicher Dienst nach dem andern angetragen und von ihm nicht nur mit großer Bereitschaft übernommen, sondern auch in verantwortungsbewusster Treue erfüllt wurde. Wie schon in Darkehmen, war er auch in Gumbinnen Mitglied des Gemeindekirchenrats seiner, d. h. der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde, der Kreis- und Provinzsynode, in ihr Mitglied des Rechtsausschusses der Kirchenprovinz, ferner Mitglied der Generalkirchenvisitation, richterliches Mitglied, später stellvertretender Vorsitzender der Dienststrafkammer bei der Regierung, Obmann des Evangelischen Männerwerks und richterliches Mitglied der Disziplinarkammer bei der Regierung für evangelische Geistliche der, Provinz Ostpreußen und endlich stellvertretender Vorsitzender des Kreismännervereins vom Roten Kreuz. Er blieb seiner positiven Haltung gegenüber Kirche und Kirchengemeinde auch treu, als es für Beamte nicht gerade opportun war, Träger kirchlicher Ämter zu sein. 1940 wurde er an das Land- und Amtsgericht in Königsberg Pr. abgeordnet und tat dann, zurückgekehrt, noch Dienst in Gumbinnen bis 1944 und nach der Räumung der Stadt in Bartenstein und schließlich auf der Flucht in Wismar, bis es gelang, eine Wohnung in Wiemerskamp, Schleswig-Holstein, zu bekommen. Im Wege eines Wohnungstausches zog er 1949 nach Peine, wo er nun im Ruhestand lebt. Wie schon in Wiemerskamp, hatte er auch hier Gelegenheit, für landeskirchliche Zwecke und für das Hilfswerk der freien Wohlfahrtspflege zu sammeln, an den Sitzungen des evangelischen Männerwerks als Mitglied teilzunehmen und den Tierschutzgedanken durch Mitarbeit als zeitweiliger Vorsitzender des Vorstandes zu fördern.

 

Seit dem 3. November 1914 ist er mit Charlotte geborene Menzel verheiratet. Aus dieser Ehe sind 4 Kinder hervorgegangen: Siegfried, Forstassessor im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bonn, Asta, verheiratet mit dem Facharzt für Innere Krankheiten, Dr. med. Paul Preuß in Lübeck Travemünde, Reinhard, landwirtschaftlicher Berufsschullehrer in Niebüll, und Edelgard, verheiratete mit dem Hilfspfarrer Wolfgang Plitt in Kleinern über Bad Wildungen. Um 3 Enkel hat sich der Familienkreis vergrößert. Alle, die den verehrten Jubilar kennen, die mit ihm zu tun gehabt und erfahren haben, dass er in seiner richterlichen Tätigkeit bei aller Gebundenheit an die Paragraphen des Gesetzes sich allezeit sein warmes, menschlich empfindendes Herz bewahrt hatte, nicht zum wenigstens die, denen er innerhalb und außerhalb seines persönlichen Dienstbereiches ein treuer, geschätzter Mitarbeiter, Helfer und Freund gewesen ist, grüßen ihn zu seinem 70. Geburtstag herzlichst und wünschen ihm, dass er mit seiner Gattin zusammen, von Kindern und Enkelkindern geliebt, von Gottes Gnade gesegnet, noch lange des Ruhestandes sich freuen möge.

 

 

Seite 6   Wir gratulieren

Dr. Dembowski 70 Jahre alt.

Das Ehrenmitglied der Ostpreußischen Arztfamilie, Dr. Hermann Dembowski, konnte am 23. Februar 1954 in Lüneburg seinen 70. Geburtstag feiern. Regierungsdirektor a. D. Dr. Dembowski war seit 1933 Medizinaldezernent an der Regierung in Königsberg und während des Zweiten Weltkrieges Medizinalreferent beim Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen. Im April 1945 geriet er in sowjetische Zivilgefangenschaft und hat in den ostpreußischen Gefangenenlagern sich mit ganzer Person für seine Leidensgenossen eingesetzt.

 

Am 8. Februar 1954 feierte Fräulein Marie Schreiner, aus Königsberg in körperlicher und geistiger Frische ihren 90. Geburtstag. Fräulein Schreiner ist eine waschechte Ostpreußin, die sich auch in der Fremde die Liebe zur Heimat und den unverfälschten ostpreußischen Dialekt bewahrte und wunderschön von vergangenen Zeiten, von alten Sitten und Bräuchen der Heimat zu erzählen weiß. Ihr behagliches Fremdenheim in der Weißgerberstraße war bei vielen Ostpreußen wohlbekannt und für manche Familien so etwas wie ein zweites Zuhause. Nachdem ihr Haus, in dem sie Jahrzehnte hindurch gewohnt hatte, dem Bombenangriff zum Opfer gefallen war, suchte und fand sie Zuflucht im Studentinnenheim der Inneren Mission, das ihre jüngste Schwester, Margarete Schreiner leitete. Mit ihr zusammen ging die 81-jährige tapfer und ungebrochen im Januar 1945 auf die Flucht. Gemeinsam fanden sie in Hildesheim Einumerstraße 25, im Haushalt einer Nichte Zuflucht und während Fräulein Margarete Schreiner lange Jahre als Leiterin der Bahnhofsmission segensreich wirkte, hat „Tante Mariechen“, wie sie weit und breit genannt wird, rüstig, tatkräftig und ungebrochen den kleinen Haushalt betreut und für sich und ihre Schwester ein kleines ostpreußisches Zuhause aufgebaut.

 

 

Professor Karl Storch verstorben. (Mit Bild)

In Bad Segeberg starb kurz nach Vollendung seines 90. Geburtstages der bekannte ostpreußische Maler Professor Karl Storch d. Ä., Lehrer und Nestor des Akademischen Kollegiums der Königsberger Kunstakademie. Erst kürzlich, wurde er und sein Schaffen durch Verleihung des Bundesverdienstkreuzes geehrt. Prof. Karl Storch wirkte von 1902 - 1944 als erfolgreicher Lehrer und Künstler an der Kunstakademie in Königsberg (Pr.). Unter Verlust fast seiner ganzen Habe kehrte er im November 1944 in seine Vaterstadt Segeberg zurück und nahm trotz seines hohen Alters seine künstlerische Tätigkeit wieder auf.

 

 

Seite 6   Kant-Feierstunde in Hannover

Foto: Hellmut Gossing begrüßt Agnes Miegel in Hannover. Aufn.: Otto Hassenberg.

Hannover. Zu einer Feierstunde anlässlich des 150. Todestages des Königsberger Philosophen Immanuel Kant hatte die Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Niedersachsen im BvD, mehrere hundert Persönlichkeiten aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens geladen. Die Niedersächsische Landesregierung war durch den Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte, Erich Schellhaus, und mehrere Staatssekretäre vertreten. An der Spitze der Vertreter der Vertriebenenorganisation stand der Landesvorsitzende des BvD, Hellmut Gossing, der gleichzeitig Landesgruppenleiter der Landsmannschaft Ostpreußen ist. Die Feierstunde erhielt ihre besondere Note und ihr besonderes Gewicht durch die Teilnahme der Dichterin Agnes Miegel, der während der Feier und nach ihrer Beendigung überaus herzliche Beifallskundgebungen zuteilwurden.

 

Die Kantfeier, deren gesamter Verlauf durch den Nordwestdeutschen Rundfunk aufgenommen wurde, wirkte ebenso durch ihr geistiges und künstlerisches Niveau wie durch ihre Schlichtheit, die auf jede formelle Handlung verzichtete. Der 60-köpfige Chor des Kreisverbandes Göttingen des „Bundes der vertriebenen Deutschen“ entwickelte unter den formenden Händen seines Dirigenten, Prof. Dehne, stimmliche Klarheit und Fülle. Kammer-musikalische Darbietungen brachte das bekannte Hausegger-Quartett, während der Intendant der Landesbühne Niedersachsen-Süd, Walter Heidrich, Auszüge aus den Werken Kant's las, die so aktuell schienen, als wären sie unmittelbar für die Staatsmänner unserer Zeit geschrieben.

 

Mittel- und Höhepunkt des Programms war das Bild, das der Studienleiter der Nordostdeutschen Akademie Lüneburg, Dr. Karl Heinz Gehrmann, über den Philosophen und den Menschen Kant entwarf. Die Vielseitigkeit der Problemstellung und die Gediegenheit der Sprache, die mit Fachlichkeit gepaart waren, vor allem aber die Gegenwartsbezogenheit seiner Ausführungen fesselten die erlesene Zuhörerschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Gehrmann deutete Kant aus der ostpreußischen Landschaft, aus dem Geist und dem gesellschaftlichen Leben seiner Vaterstadt heraus, in der ebenso Nüchternheit und Vernunft als auch Gefühl für das Irrationale und Mystische zu Hause waren. Er beschwor jene Jahre, als Königsberg schon einmal russisch besetzt war und dennoch eine preußische Stadt blieb, als es erst recht zu einem Kraftzentrum geistigen Europäertums wurde. Das ganze Königsberg, sagte Gehrmann, sei vor 150 Jahren dem Sarge des Philosophen gefolgt, und ein größeres Königsberg ehre ihn heute, weil alle die, denen er in seinem Werk begegnete, auch von jener Stadt mitgeprägt, worden seien, aus deren Wesen Kant nur zum Gipfel aufsteigen konnte. Mit vollem Recht könne man daher auch von Kant als einem Vertriebenen sprechen, der seinen Nachkommen die Pflicht auferlege, Idee und Gefühl der Heimat zur Grundlage von Verantwortung und sittlichem Handeln zu machen, jener Heimat, die die Welt in sich einschließt.

 

 

Seite 6   Architekt Georg Peter, gestorben.

In Ottobrunn bei München starb am 20. Januar 1954 unerwartet der über Königsberg hinaus in der ganzen Provinz bekannte Architekt BDA und Sachverständige Georg Peter im Alter von 71 Jahren. In Treptow/Rega (Pommern) am 31.10.1882 geboren, besuchte Georg Peter zunächst die Baugewerkschule in Deutsch-Krone und war später bei verschiedenen Architekten und Baufirmen in Berlin tätig. Nach Verheiratung mit der Tochter des damaligen Direktors und Gründers des Königsberger Tiergartens, Geh. Rat Claahs, erfolgte im Jahre 1911 seine Übersiedlung nach Königsberg, wo er seine selbständige Tätigkeit als Architekt und Sachverständiger beim Oberlandesgericht und der Industrie- und Handelskammer aufnahm. Zahlreiche bekannte Gebäude in Königsberg wurden von ihm errichtet, so verschiedene Hallen der Deutschen Ostmesse, die Speicher von Tetzlaff und Wenzel, zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser, die Vereinsbank gegenüber der Börse, Kaffee-Rösterei Peters sowie zahlreiche Villen entstanden unter seiner Leitung. Maßgebend war er auch nach dem ersten Weltkriege am Wiederaufbau der zerstörten Städte beteiligt, hauptsächlich am Wiederaufbau von Goldap und Domnau. Auch die Siedlung Tannenwalde und Metgethen half er mit schaffen. Bekannt geworden ist Georg Peter auch durch seine Tätigkeit im Vorstand des Grundbesitzer-Vereins. Durch seine unermüdliche Tätigkeit schuf er sich selbst erheblichen Grundbesitz durch den Bau von fünf Wohnhäusern in der Hufenallee, Vogelweide, Brahmsstraße. Des Öfteren unternahm er auch Studienreisen ins Ausland. Diese Reisen führten ihn nach der Schweiz, Italien, Schweden, Österreich, Nordafrika, Mittelamerika u. a.

 

Nachdem Georg Peter sein Lebenswerk in Schutt und Asche versinken sah, musste er auch im Februar 1945 fliehen und traf über Dänemark mit seiner Familie wieder in München zusammen. Wohl arbeitete er hier mit seinem Sohn, dem Dipl.-Ing. Architekt Bernhard Peter, als Architekt und Sachverständiger zusammen, aber die Existenzgrundlage fehlte. Seit 1950 lebte er praktisch nur noch von der kleinen Soforthilferente. Ehrenamtlich war er noch bei der Heimatauskunftstelle der Stadt Königsberg tätig. Noch im Oktober führte er dort Verhandlungen mit Herren des Bundesausgleichsamtes über Bewertung von Grundstücken in Königsberg. Obwohl Georg Peter schwer krank war, war er jedoch geistig bis zu seinem so plötzlichen Tode von ungeheurer Regsamkeit und großer Schaffensfreude erfüllt.

 

 

 

Foto: Die Witwe Gertrud Rehs, aus Königsberg, Haus Biene, jetzt Kiel, Sternwartenweg 41, begeht am 18. März 1954, ihren 80. Geburtstag. Ihr in hervorragender Weise um die ostpreußische Bienenzucht verdienstvolle Ehemann, der ehemalige Lfgr.-Vorsitzende, Schriftleiter, der Bienenvater Carl Rehs, verstarb 1945 in Königsberg. Frau Rehs hat die dreijährige Russenzeit in Königsberg überstanden, erfreut sich guter Gesundheit und ihrer 16 Enkelkinder und 6 Urenkelkinder.

 

 

Seite 6   Gesucht wird:

Ostpreußen, vermutlich Allenstein: die Angehörigen der Ruth Arensburg, geb. etwa 1918, Büroangestellte. Die Mutter und die Schwester Romana wurden ebenfalls verschleppt.

 

Ostpreußen, vermutlich Kreis Bartenstein: die Angehörigen des Erich Hein, geb. etwa 1901, Mühlenpächter.

 

Ostpreußen, vermutlich Weißenstein, Kreis Samland: die Angehörigen der Frau Gorbel, geb. etwa 1917/1922.

 

 

Seite 7   Bei den Nehrungfischern im Winter. Professor Eduard Bischoff erzählt.

Zeichnungen: E. Bischoff („Zander und Schnepel, Bleie und Bressem klatschen aufs Eis …“

(„… und bei diesem Treffen auf dem Eise bekamst du phantastische Gestalten zu sehen …“)

 

In Ostpreußen formte mit großem Schwunge die Hand des Schöpfers ein langes Riff, die Kurische Nehrung und setzte darauf das Volk der Fischer, kräftig, klaräugig, hilfsbereit zuverlässig und mutig. Unter diesen lauteren Helden fühltest du dich selber kräftig und froh. Nirgendwo anders als auf der Nehrung warst du dem Wahren, dem Guten so nah, warst du dem Bösen so weit entfernt. Keine Verdiener, keine Unternehmer gaben ein eiliges Tempo an, und du fandest im Fischer die treue Seele, an die du eigentlich nicht mehr geglaubt.

 

Kam ich im Sommer mit meinem Faltboot nach Pillkoppen geschippert, dann hatte mein Freund, der Fischer Karl Balsch, mich längst gesehen, wenn ich den Skielwietschen Haken umkreuzte und dann Kurs auf Pillkoppen nahm. „Nu häv ek nich Tied, nu mot ek goane, dem Herr Bischoff dem Anker affnähme, he well an Land“. Und aus dem Boot half mir mein Freund, genannt Kameruner, gleich auf den Strand von Sansibar, dann war ich in Pillkoppen.

 

Als ein machtvolles, dunkles Stück Natur hob sich im Winter die Figur des Nehrungsfischers von der weiten, einsamen Eisfläche des Haffes ab. Verschwunden war der buntschillernde Sommergast, verschwunden die weiß-bemantelte Mal-Dame. Ich war allein unter den Eingeborenen und fühlte mich ganz zu ihnen gehörig. „Wat sich nich hüd ooch aller uppe Haff römdrifft!“ Ich bezog diese Bemerkung, die unter dem vereisten Schnauzbart eines Rossitter Fischers hervorquoll, nicht auf mich, wer weiß wen der Schnauzbart damit meinte.

 

Schon zeitig war der Pillkopper Fischer reisefertig. Noch mussten 2 Stunden vergehen, ehe das Stockdunkel schwand. Heftiger Wind aus Südwest stieß das Donnern der Seebrandung in die Ohren. Schwarzes löste sich aus dem schwarzen Wintermorgen und bewegte sich auf das Haffeis zu; fünfzig und mehr glockenlose Fischerschlitten starteten zum Angriff auf die Bressem. Unglaublich lautlos schob sich das Schlittenrudel zusammen, verharrte, wartete, warum? Und unheimlich fröstelnd lag mir der nächtliche Traum in den Gliedern: in die Enge getrieben, gab‘s kein Entrinnen vor blutrünstigen Räubern, blutig waren ihre Gesichter und blutig die greifenden Hände. „Häßt good gedrömt?" war die erste Frage des Fischers am Morgen. Der mich heute fragte, prophezeite mir ein baldiges Ende. Sollte das heut sein? Mir passte es heute noch so gar nicht, und schöner dachte ich mir das Ertrinken im klaren Wasser der See. „Drömst nich von Isstückers, Speck, Holzspoale, Weshaun und grönem Kartoffelkraut, gifft nich veel Fang, dat kannst du mi gloove“.

 

Es ging auf Biegen oder Brechen.

Stärker noch schnaubte der Wind und drehte noch mehr nach Westen, während es wochenlang vorher aus entgegengesetzter Richtung blies. Das musste Veränderung geben! Würde heut mit wahnsinnigem Krach die Eisdecke des Haffes bersten? Die Strömung der See presste durch das Tief in das Haff hinein. Nun wurde es ernst: es ging auf Biegen oder Brechen. Zunächst noch bog das Eis, aber dann musste es brechen. Dann war die Situation da für ein gewaltiges Drama, wo Mann und Pferd und Schlitten versinken konnten in grausige Tiefe, wo Fischer in schwarzer Nacht umherirrten auf treibenden Eisschollen, wo die Mütter und Kinder klagten und jammerten am Haffstrand, wo nach den Ertrunkenen gesucht wurde mit Laternen bei Sturm und aufgerissenem Eise.

 

Riesige Fischergestalten, wie Ritter so schön, in Südwester und Wetterkleidung, planschten im Stauwasser umher, sie schienen sich zu beraten. So, nun wurde wohl der Schlitten bestimmt, der an der Tete führen sollte, denn das Schwarze rollte sich auf! Es bewegte sich die Schlittenschlange. Eilig ging es nun durch die Steppe von Eis, Schnee und Wasser; seekrank wurde, der dazu neigte, es ging über gefrorene Wellen, zwanzig Kilometer im Gestuker auf südlichem Kurs. Wir wechselten beim Fahren aus Rot in Weiß des Rossitter Leuchtfeuers, und nun wurde es heller und es gab viel zu sehen.

 

Zunächst betrachtete ich die Fischer, auf deren Schlitten ich saß. Waren die noch jung, ich musste die beiden bewundern. Dauernde Alarmbereitschaft und Geistesgegenwart bei Gefahren gaben den Gesichtern den offenen Blick und den kühnen Ausdruck. Weiter ging die Fahrt durch ein richtiges Eisgebirge, das sich aus wechselndem Wind aus treibenden Schollen gebildet hatte. Gletscherblau leuchtete das Eis in den Tälern dieses Gebirges, und smaragden glänzten die Zinnen und Zacken vor dem blutroten Morgenhimmel. Dann fuhren wir über Flächen, so schwarz wie offene Stellen, über die der starke Wind Wellen des Stauwassers trieb.

 

Das Eis war geborsten!

Und plötzlich, wie auf ein Kommando, standen alle fünfzig Schlitten, und fünfzig Mal drei Mann liefen zum ersten Fangloch. Mit viel Hallo und Gelächter befragten sie das Orakel, ob der heutige Tag ein lohnender sein würde. O weh, die vernichtende Antwort: ein kopfloser Kaulbars! Und jetzt und besonders nun grad! Und wie ein Echo auf solche Lebenskraft erscholl in der Ferne ein gewaltiger Donner: das Eis war geborsten! Die Schlitten, die Fischer verstreuten sich jetzt, ein jeder suchte seine Fanglöcher auf, und ehe du dich umsehen konntest, waren alle verschwunden, kaum dass in der Ferne ein Pünktchen sich zeigte. Wir drei blieben allein. Es ging an die Arbeit, zunächst wurde ein Windschutz für die Pferdchen aus einem großen Segel errichtet. Ich freute mich, ich brachte meinen Leuten Glück. Das merkte man schon nach den ersten Netzen. Zander und Schnepel, die beiden Edlen, Bleie, Bressem und Quappen klatschten aufs Eis. Und ein mächtiger Hecht, ein Zwanzigpfünder, wurde erst mit der Runge zur Strecke gebracht; sein Leben ist zäh, er wehrte sich heftig und zeigte uns das scharfe Raubtiergebiss.

 

Die Fischerbrüder schufteten, alles wurde mit bloßen Händen getan. Mit Geduld und unendlicher Sorgfalt wurden die gänzlich verdrehten Netze geklart und nach dem Gefrieren, gleich blonden Garben, auf den leeren Schlitten gelegt. An der Linken des Bruders Hermann blitzte ein goldener Verlobungsring; die Pillkopperin konnte sich freuen, die diesen arbeitenden Herrn zum Manne bekam. — Eifrig und lächelnd half der jüngere Bruder, der wohl schon Bärenkräfte hatte, über vier Zentner betrug unsere Beute mit dem letzten, dem achtundzwanzigsten Netz.

 

Heute war Sonnabend. Hermann schaute nach dem „Kuppscheller“, dem Fischhändler aus; aber nirgends auf der unendlichen Fläche zeigte sich ein Pünktchen, das einem Kuppscheller ähnlich schaute.

 

Fünfzig Schlitten ...

Merkwürdig, wie von unsichtbarer Hand geleitet, treffen die fünfzig Schlitten zusammen, und bei diesem Treffen hier auf dem Eis bekommst du phantastische Gestalten zu sehen. Fischer aus Inse und Karkeln, Rossitten und Nidden stellten sich auf diesem Thingplatz ein. Aus den Fängen der einzelnen Fischer erforschte man des Bressems Aufenthaltsort, denn der Bressem ist dauernd am Wandern, und ihm galt hauptsächlich die Jagd. Eine Figur, wie ein Störtebecker, beherrschte einmal ganz den Vordergrund, und alsbald hörte ich von den Fischern dieser Bombenkerl wurde wirklich so genannt. Große Fischer voll Würde und Haltung, in ihre zottigen Pelze gehüllt, und daneben ganz andere Typen, verwegen wie Strandräuber anzusehen, und die Jugend von 15 bis 20 lieferte sich hier manch harten Strauß. Ich dachte: „Werdet ihr eigentlich niemals müde? Strengt euch der Harte Dienst nicht an?“ Die Münder verzogen sich zum frohen Grinsen, zeigten ein blendend weißes Gebiss.

 

Ließe sich hier ein Kuppscheller blicken, so hätte er glatt ausgespielt. O, wie musste der gestern bluten, nach altem Brauch wurde er ausgeraubt. Tabak, Zigarren, Wurst, Pfannkuchen, Kautabak, Steinpflaster, etwas zum Trinken, alle diese nützlichen, guten Sachen verteilten die Fischer unter sich.

 

.... Nun war man sich einig, wo es heute hinging, Aufgesessen! Und los brauste die Jagd, der Stärkste der Beste, der Schnellste, der Erste, so rasten die Schlitten auf den neuen Kurs. Die ganze Wildheit eines Naturvolkes tobte sich in diesem Jagen aus. Und hier kippte ein Schlitten, dort flog einer herunter, kopfüber auf ein spitzes, scharfes Stück Eis.

 

Die Eisdecke dröhnte

Unser Schlitten hielt nach 10 Kilometern, die andern zerstreuten sich nach vorn, rechts und links, und 28 Löcher wurden wieder gehauen in das harte, dreiviertel Meter starke Eis. Jedes Loch wurde zum Einführen des Netzes mit den nötigen Ausbuchtungen versehen. Diese Figur des hauenden Fischers war wohl die schönste an Gewandtheit und Kraft. Aus einem Sockel klobiger Seestiefel wuchs schlank der schöne Körper heraus. Bei dieser Arbeit flog Pelz und Jacke, dem Hauer wurde warm, rot glühte sein Gesicht, die Axt zischte hernieder, die Eisdecke stöhnte, dort löschte ein Fischer an der Wuhne seinen Durst.

 

Schnell wurden die Netze unter das Eis geschoben, denn der Weg war weit bis zum Nehrungsdorf, und es wurde früh dunkel; ein Eisriss wird breiter, wenn abends die Kälte das Eis zusammenzieht. Wir fuhren und fuhren, ein Weilchen wurde gehalten, die dampfenden Pferdchen wollten verschnaufen und wir die verklammten Glieder bewegen. Weiter ging es im scharfen Traben, die baumelnden Eissporen klimperten im Takt. Bei uns auf der Kurischen Nehrung gab es noch Menschen, die durch gemeinsames Schicksal verbunden, eine einzige Gemeinschaft waren. Einer für alle, alle für einen, sonst schwamm kein Kahn, sonst gab es keinen Fang, einer sprang zu, dem andern zu helfen, der Trockene zog für den Nassen die Hose aus.

 

War es nicht ein schöner Zustand? Alle, alle bildeten eine große Familie. Da gab es keine Angst, Geschrei, noch Schmerzen; „froh nahmst dem Isäxt und hautest em rinn“.

 

 

Seite 8   Meine erste Eisenbahnfahrt und was ich erlebte.

Großes Bild: Bildnis einer Elchjagd in der Gauleder Forst am Goldadler.

Der Wagen fuhr von der Haustür ab, meine Geschwister hatten das Nachsehen. Ein wenig neidisch blickten sie auf des Jagdwagens schmale Rückenlehne, auf des Kutschers gestreifte Sommerlivrée, die ebenso glatt gebügelt war wie meiner Mutter heller Staubmantel, und auf meines braunen Zopfes Ringellocke, die unter der roten Seidenschleife über mein Matrosenjäckchen hing. Ich rückte mir das ungewohnte Hütchen zurecht und beobachtete die vier Pferdeohren und des Kutschers Peitsche, indem wir der Chaussee entgegentrabten.

 

Ja — jetzt war ich noch in Mamas Schutz, wenn wir aber über Schönmoor (im Volksmunde: Schmor) hinaus sein würden, kämen wir bald nach Lövenhagen, wo ich in den Zug gesetzt werden sollte. Mama brachte mich zur Ostbahn, es würde billiger sein, die Strecke abzukürzen, man fuhr zunächst über Land. Das sollte mir Vierzehnjährigen meine erste, selbständige Eisenbahnreise zur Tante Irene bedeuten, die gerade mich ausgesucht hatte, weil ich als Nebennamen, den dieser Tante trug. Wie fühlte ich mich erwachsen! Still schwelgte ich in diesem Glück und schaute, alles beobachtend, in die liebe, flache ostpreußische Landschaft, über deren Wiesen schwarzweiße Herden, durch deren Weidegärten edle Fohlen weideten. Der Kutscher wies mit der Peitsche nach vorn rechts: „Da, wo wilde Enten ziehen! Die fliegen ins Zehlaubruch“. — „Ach, Mama", flüsterte ich, „über das Zehlaubruch hat in der Stunde Fräulein Zander mich so ausgelacht. In der Kunstgeschichte ärgerte sie sich, dass ich gar nicht aufpasste, als ich von der Akropolis irgendwas lernen sollte und sie schimpfte“. Aber da sagte ich: „Ja, wenn die Akropolois hinter Uderwangen am Zehlaubruch stehen würde, da würde sie mich interessieren — aber soweit — in Griechenland? Da komme ich ja doch nie hin!" — Meine Mutter legte den Arm um mich — ich fühlte, ich war das Heimatkind, das nicht weit fortdachte, sondern tief in ostpreußischer Erde wurzelte.

 

Nun kamen wir nach der Bahnstation Löwenhagen. Der Zug lief ein. Ich hörte die Mama ins Coupéfenster rufen: „Kindchen, lehne dich nicht hinaus und fahre nicht durch Tapiau durch. Tante Irene wird dich ja abholen. Und vergiss nicht, ihr die Hand zu küssen. Und grüß mir auch den lieben, alten Herrn von Keudell — du weißt — Großpapas Jugendfreund! Lass dir den Lindengarten zeigen. Verliere nicht dein Billet — lass dein Köfferchen nicht stehlen. Und wenn Dienstag Tante Irene dich nach Königsberg zurückbringt, holt Fräulein Zander dich vom Ostbahnhof ab und bringt dich nach Tharau zurück, dann brauchst du ein anderes Billet. Adieu, adieu, und vergiss in Bonslack deine Zahnbürste nicht!"

 

Ich sah noch, während der Zug fuhr, am Bahnhofsgebäude vorbei unsere Pferde, die nicht stehen wollten. Warum hatte mich denn der Kutscher mit den Worten verabschiedet: „Wer zu viel wagt, kommt nach Tapiau!" — Wagte ich denn zu viel? — Ich fühlte mich sehr allein im Abteil und hielt mein kleines Portemonnaie mit der grünweißen Fahrkarte krampfhaft in der Hand, die sollte mich also nach Tapiau bringen, es war ja meine erste selbständige Reise. Die dauerte gar nicht so lange, wie ich dachte. Der Schaffner hatte fünfzig Pfennig bekommen und hob mich mit starken Armen hinab, was mich kränkte, denn ich war im Juni vierzehn Jahre geworden und durfte allein reisen. Da kam schon Tante Irene und dort stand ihr Fuhrwerk. Obgleich es Sommer war, lag eine Pelzdecke im Wagen, aus der sich ein kleiner Hund Piko entpuppte. Der sprang freudig an mir hoch und versuchte mir die Hände zu lecken. Da fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, Tante Irene die Hand zu küssen. Sie machte noch im Städtchen ein paar Einkäufe und zeigte mir ein paar alte Giebelhäuser am Markt und die Ordenskirche. Der breite Pregel floss durch die Wiesen, die schmale Deime mühte sich durch Strauchwerk dem Haff entgegen. Tante Irenes Hand zeigte geradeaus: „dort — das ist Bonslack".

 

Schon lenkten die Pferde in den Vorgarten ein, in dem ein uraltes, umranktes Torwächterhäuschen stand, dahinter das Gutshaus, aus dessen Tür der alte Herr trat: „Guten Tag, Töchterchen. Ich habe schon deine Mamachen gekannt, als sie noch mit meinem Irenchen spielte und dort an der Kastanie schaukelte. Na, Marjellchen, was willst du an Bonslack sehen? — „Die Mama lässt grüßen und ich soll den Lindengarten sehen“. — So — den Lindengarten, in dem mehr Eichen als Linden stehen — gut — aber erst wollen wir Kaffee trinken. Du bekommst die zweihenklige Tasse, die hat mir dein Großvater geschenkt, als wir noch in Königsberg Studenten waren“. Mit noch kräftiger Stimme sang er: „Die Seele schwinget sich wohl in die Höh — juchhe! Der Leib allein bleibt auf dem Kanapee", wobei er sich in die Polster der Rohrbank warf, die in der Vorlaube stand.

 

Da wurde die messingne Kaffeemaschine, eine Kanne Schmand und ein Teller mit Raderkuchen auf die weiße Tischdecke gestellt. Von diesem Platz aus sah man über Rasenflächen und Blumenbeete auf die Krone des tiefer liegenden Lindengartens, und kaum hatte ich die Henkeltasse geleert, als ich schon neben Tante Irene einen Grassteg entlang hinunterlief und wie verzaubert vor einer dunklen Wasserfläche stand. Rundherum wuchsen uralte Bäume, die mit den Ästen ins Wasser tauchten, auf dem vertraulich wilde Enten schwammen, die zwischen Pfeilkraut und Mummelblättern schnabulierten. Mein Fuß zerknackte ein paar Eicheln. „Die haben unsere Wildschweine übriggelassen“, erzählte die Namenstante, „im Winter kommen sie vors Haus und Vaterchen schießt durch die Fenster. Sieh, hebe das Donnerkeilchen auf, versteinerte Schnecken aus der Urzeit. Hier leben auch noch die Sumpfschildkröte und der Salamander. Dort am anderen Ufer baut der Otter alle Jahre seine kleine Burg zurecht. Und siehst du die dicken schwarzen Stämme dort mitten aus dem Morast ragen? Das sind Reste von Pfahlbauten aus heidnischer Zeit. Als die Ordensritter herkamen, werden sie diese Bewohner zu Untergebenen gemacht haben, denn „Bonslack“ heißt „Knechtsfeld“. Ja, was Tante Irene alles wusste, ich glaube, sie freute sich meiner Begeisterung. Dies alles war mir wertvoller als das, was mein „Lehrfräulein“ mir beibringen wollte! Was war das hölzerne Pferd von Troja gegen einen Trakehner Vollblüter! — „Sieh“, hörte ich wieder die Stimme neben mir, „dort den abgestürzten Buchenstamm, immer mehr fallen molche Brocken ins Wasser und wenn sie da schwimmen, leuchten sie im Dunkeln, das ist phosphoreszierendes Holz, unsere Irrlichter“. Ich pflückte eine Pyrola und einen Stengel Frauenschuh für mein Herbarium und seufzte: „Hier möchte ich immer sein“. Aber Tante Irene zog mich mit ins Haus zurück.

 

Artig bemühte ich midi um eine Unterhaltung mit dem alten Herrn, während aber meine Augen überall herumsuchten um Interessantes zu entdecken. Da hing der perlgestickte Klingelzug, dort stand das birkene Tafelklavier, daneben der Pfeifenständer mit bunten Porzellanköpfen an langen Röhren. In der Abwurfschaufel eines Elches lagen rostige Speerspitzen, Armspangen und ein Steigbügel aus Gräbern der Pruzzenzeit, dazwischen versteinertes Holz und Bernsteinbrocken. An der langen Wand über dem Sofa hingen alte, verdunkelte Ölgemälde aus den Familien v. Schön und v. Keudell — daneben Pferdebilder in Sepiazeichnung und Lithographie. „Das da sind Ridingers“, zeigte der alte Herr nach oben auf Jagdbilder in glatten schwarzen Rahmen, „und darüber eine Elchjagd am Goldadler“. — „Irenchen, lang mal das Bild von der Wand“. Tante Irene wischte erst den Staub von der goldenen Leiste und während ich das Bild betrachtete, hörte ich auf die Erklärung: „Das sind wohl nun an die sechzig Jahre hin. In der Gauleder Forst und den Wäldern rundherum war gut jagen! Schießjagden und Reitjagden. Die Jäger wurden durch reitende Boten zusammengerufen, kamen per Achse oder per Kufe, manche zu reiten. Im Kruge zum Goldadler war Stelldichein“.

 

Ich machte große Augen, sah bald den alten Herrn an und blickte bald aufs Bild, das Tante Irene in Händen hielt. „Waren Sie dabei?“ fragte ich, „Nein, Kindchen, ich war ein junger Student und musste mit den Treibern gehen, aber dein Großpapachen, der war mein liebster Freund, wir studierten in Königsberg, Kameralia — das war Landwirtschaft — wir hatten jeder sein Pferd und kamen gern zur Jagd, um auf Elch oder Fuchs, manchmal sogar in kaltem Winter auf Elch zu treiben. Sieh, da liegt der Stangenelch, der Perbandt zeigt auf ihn, wahrscheinlich hat er ihn erlegt“. „Und wer sind alle die anderen?" fragte ich. „Tochterchen, das weiß ich nicht mehr genau, als jüngerer Großvater wusste ich es noch. Der Fuchsjäger scheint mir der Knobloch aus Puschkeiten zu sein, und der dahinter der Düneninspektor Epha, der kam immer zu Wasser angefahren mit dem Rautenburger Grafen bis Labiau. Und sieh, das ist der Onkel Hippel aus Kuglack. Der Friedrichsteiner war auch immer da. Sieh — sieh — da hab ich den Brausewetter — und nun find ich den Ferno, meinen Vetter. Von den anderen können meine alten Augen nicht genaues mehr erkennen. Da hinten kommen die Treiber — da bin ich mit dabei!“ — „Irenchen, häng wieder auf“.

 

Es ist gewiss nirgends mehr da, dies alte, für ostpreußische Weidmänner interessante Bild, das manche Erinnerung an Urgroßväterzeiten wecken könnte. Später habe ich das gleiche Bild auch in anderen Gutshäusern wiedergesehen. Darum hoffe ich, dass irgendjemand noch einen Ahnherrn in dieser Jagdgesellschaft erkennen und mir seinen Namen nennen wird — ich wäre ihm dankbar.

Erminia v. Olfers-Bartocki aus Tharau z. Zt. Bad Harzburg, Huchstr. 16

 

 

 

Seite 8   Zur „Brudermordkeule“. Am Kneiphöfschen Rathause zu Königsberg/Preußen.

Bild: Gerichtsplatz mit Blumen und Schranken, Gerichtsbüttel mit Keule.

Zu dem Aufsatz von Meinhardt Mühlpfordt über „Den Kneiphöfschen Markt usw." in der Februar-Nummer der „Ostpreußen-Warte" erlaube ich mir, eine kurze Erklärung über die wahre Natur der sog. „Brudermordkeule“ an der Freitreppe des Kneiphöfschen Rathauses nachzutragen. Ich setze dabei die Kenntnis des betreffenden Aufsatzes voraus.

 

Dem Leser wird es aufgefallen sein, dass man eine Keule, mit der nach dem Chronisten Caspar Stein „Eltern“ totgeschlagen sein sollen, „Brudermordkeule“ genannt hat. Schon diese Unstimmigkeit fordert die Kritik an der Überlieferung heraus. Außerdem dürfte es sehr seltsam erscheinen, dass die Bewohner des Kneiphofes eine Mordwaffe, die einmal als solche zum fluchwürdigen Verbrechen benutzt worden sei, „zum Gedenken“, oder sei es auch zum abschreckenden Beispiel beim Rathause aufgehängt hätten.

 

Die Angelegenheit muss man daher von einem anderen Gesichtspunkt betrachten, man muss die Keule selber sprechen lassen. Der Anbringungsort neben dem Pranger - Halseisen, einem klaren

Werkzeug der Gerichtspflege, macht die Keule verdächtig, auch ein Gegenstand der Gerichtsbarkeit gewesen zu sein. Vergleiche mit anderen Ortschaften Deutschlands lässt diese Vermutung als gesichert erscheinen. Vielfach wird überliefert, dass an Toren vornehmlich ostelbischer Städte Keulen hingen. In Crossen hat eine solche an Ketten am Odertor gehangen, später aber über dem Rathauseingang aufgehängt worden. Derselbe Vorgang kann für den Kneiphof vorausgesetzt werden. Diese Keulen verkörperten die Macht der Stadtobrigkeit, dem Recht mit iher Handhabung Geltung zu verschaffen, waren also eigentliche Zeichen der peinlichen Gerichtsbarkeit, die über Leben und Tod entschied. Auch viele altdeutsche Bilder zeugen für den hier bezeichneten Gebrauch der Keule als eines obrigkeitlichen Machtsymbols; gewöhnlich findet sie sich in der Hand des Büttels, des ursprünglich „entbietenden“ Gerichtsbeamten, bei Ratssitzungen und Hinrichtungen. Das Göttinger Rathaus zeigt einen Keulenträger über dem Eingang zur Ratsstube. Wie in Hannover — in Ostpreußen die Kriwule, gewundene Stäbe — wurde auch die Keule zur Ladung in der Gemeinde herumgeschickt, um der Tätigkeit des Gemeindedieners hierbei ein obrigkeitliches Ansehen zu verleihen. Unser „Klub“ — vom engl. club = Keule - geht letztlich auf solche Ladungen zu Männerbünden mittels einer Keule zurück.

 

So viel über den kulturhistorischen Hintergrund der Amtskeule vom Kneiphof. Um das missverstandene Königsberger Stück hat sich dann später eine Fabel gerankt, die in Missverständnis über das wahre Wesen des Gegenstandes diesem eine volkstümliche Erklärung gibt. Für diesen Vorgang bieten andere Städte Beispiele gleichen oder ähnlicher Art.

Landesmuseumsdirektor a. D. Dr. W. Gaerte

 

 

Seite 9   „Königsberger Blutgericht“. Dem Andenken der berühmten Weingaststätte.

Foto: Eingang zum Blutgericht vom Schlosshof aus. Aufnahme: Foto Pohle

Foto: Im tiefen Keller … Holzschnitt von Daniel Staschus.

Kellergewölbe haben ihre eigene Romantik. Aus dem schweren Gestein unterirdischer Bauten wusste die Kunst und Architektur anheimelnde Gaststätten zu schaffen, deren es in deutschen Gauen recht viele dieser Art gab und, gottlob, auch heute noch gibt. Doch eine der berühmtesten und ältesten ist mit der Endphase des zweiten Weltkrieges leergebrannt, das alte „Königsberger Blutgericht“.

 

„Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“ O, das alte Gästebuch nannte einst viel berühmte und bekannte Namen, Feldherren, Fürsten, Politiker, Dichter, mächtige Handelsherren, schlichte Bürger, Sterbliche und Unsterbliche.

 

Das Blutgericht gehört zu den Kellereien, die in die Literatur eingegangen sind. Auerbachs Keller zu Leipzig hat Goethe berühmt gemacht. In seinem „Faust“ lässt er die vier lustigen Gesellen beim Trunk durch Mephistopheles nachführen. Lutter und Wegners Weinkeller zu Berlin hat auch viele Dichter und Literaten gesehen. E. T. A. Hoffmann, der philosophierende Ostpreuße, wohnte hier mehr als er „gastierte“ und schrieb hier seine „Elixiere des Teufels“. Wilhelm Hauffs „Phantasien im Ratskeller zu Bremen“ bildeten ein Muster für den Schriftleiter der „Ostpreußischen Zeitung“. Paul Züge, der sein Buchwerk: „Im Blutgericht zu Königsberg“, ein Weingruß aus dem Osten, in die Welt hinaus sandte und sehr viel Anklang fand.

 

Er hat köstliche Szenen geschildert, in einer lässt er die Weinflaschen zur Mitternachtsstunde sprechen unter dem Vorsitz des Meisters Sekt, wobei sich eine Burgunder- und Bordeauxflasche politisch in den Haaren liegen. Während des Streites passierte etwas Ungewöhnliches: --- „die französische Soldateska im Schnitzwerk am großen Fass hinter dem Glockentisch — eine Darstellung des Franzoseneinbruchs in die Weinkellereien am 16. Juni 1807 — belebten sich plötzlich und legten Verwahrung ein gegen den ihrem Landsmann zuteil gewordenen Ordnungsruf, sprangen aus dem Fass auf den Tisch und hielten dem Vorsitzenden die Bajonette unter die Nase, aber in diesem Augenblick kam David Schindelmeisser (einst Inhaber des Blutgerichts) mit ihrem Kommandeur, die sich als Freimaurer erkannt hatten, die Treppe herunter. Der schlug mit den Säbel auf den Tisch, und die Troupiers sprangen wieder in ihr Fass zurück. Im nämlichen Augenblick waren auch die beiden Menschengeister wieder erloschen“.

 

 

So geht es im Buche fort mit ansprechenden Visionen, Erlebnissen und Episoden. Wundervoll ist der Ausklang der Züge'schen Phantasien: „Der wilde Wein glühte dunkelrot an der grauen Burgwand im Schlosshof; lieferte keine Trauben nach unten, streute aber Poesie in seiner Art in die Nacht. Ein letzter Gast stieg die Treppe des alten Weinkellers hinauf, verhielt an der Tür, atmete tief die milde Nachtluft ein und breitete die Arme aus, als wollte er alles Lebensglück an seine Brust drücken. Da rauschte es plötzlich in der Linde, dem einsamen Baum auf dem Schlosshof, und dann sang's von dorther mit summender Stimme: „Steh‘ ich in finstrer Mitternacht“. Dem hat's das liebe Lied von Wilhelm Hauff angetan, meinte der Mann an der Tür und ging dem Klange nach. Und wie er wenige Schritte von der Linde war, stand dort plötzlich ein junger Mann in der Tracht der 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts, erhellt von dem matten Goldlicht“. --- Es war Hauff selbst, der andere eben Zuge, der mit seinem Dichterkollegen weiteren Dialog führt: --- „Ich bin Schriftsteller und habe soeben ein kleines Büchlein über das Blutgericht drüben geschrieben. Wie haben Sie's denn angefangen, mein allverehrter Hauff, dass Ihre Phantasien im Bremer Ratskeller so schnell ins Volk gedrungen sind und auf welchem Wege wandert der Erfolg? - - Lueg, s‘isch so'ne Sach. S' bescht Mittel isch, du machscht wi i. Und das wäre? fragte der andere. „I bin vieri oder fünfi Woch'n drauf gstorbe“.

 

Alles in Allem: Züge's Buch ist ein vortreffliches Werk, im Trojanischen Geist geschrieben und ein Leser aus Traben-Trarbach bekannte: „Die deutsche und die Weinseele hüpft beim Lesen dieser mit großer Liebe und Verständnis zum Blutgericht geschriebenen verschiedenartigsten Kapiteln“.

 

Blutgericht! Der Name klingt etwas unheimlich, und ich erinnere mich noch, als eine nach Königsberg neu engagierte Schauspielerin auf dem Hauptbahnhof eintraf und den großen, schwarzlackierten Lieferwagen mit der roten Aufschrift: „Blutgericht“ sah und ausrief. „Mein Gott, wo bin ich bloß gelandet?“ Nun, diese Dame, die ob des Anblicks einen grausen Schreck bekam, landete später im Kollegenkreise recht oft im „Blutgericht“ und fühlte sich recht wohl dort.

 

Der Name ist von der Sage umwoben. Eine Überlieferung wusste zu erzählen, dass in denselben Räumen im „finsteren Mittelalter dort „Blutgericht“ gehalten wurde, weshalb ein Raum der Gaststätte auch noch den Namen „Marterkammer“ trug. Otto Anthes, der verdienstvolle Lübecker Schriftsteller,  hat über die Entstehung des Namens auch eine Geschichte geschrieben, aber nur „Phantasie“. Tatsache ist, dass im Jahre 1823 Mitinhaber der Gaststätte Kommerzienrat Richter wurde und seit der Zeit wurde die Stätte vermutlich Blutgericht genannt, wie es denn auch im Verbindungsgang zwischen „Haupthalle“ (der Raum mit dem Glockenstammtisch und den fünf Weinfässern) und der „Marterkammer“ einen „Blutrichtertisch“ gab, wo die „Blutrichter'' (alte Stammgäste) Sonntags zwischen 12 und 14 Uhr in vergangenen Jahrhunderten saßen.

 

Lange bevor das „Blutgericht“ sein Verließ öffentlich machte, gab es hier Weintrinkstuben, wo schon die Ordensritter becherten und fromme Mönche ihren Umtrunk hielten nach Psalm 104: „Der Wein erfreut des Menschen Herz“.

 

Im tiefen Keller zu trinken, ist gottlob nicht jedermanns Sache. So kam ein ermländischer Bauer nach Königsberg, besuchte seine studierenden Neffen, die mit ihm „gegen die Sonne gingen“ und im Blutgericht zum Abschluss kamen. Im Schlosshof, bei Mondschein, fragten die Musensöhne ihren Ohm, wie es ihm denn im Blutgericht gefallen hätte. Ganz empört über diese Frage antwortete er: „Päh, so a Kella wie dene, hat jeda Paua öns onsem Derff“; sieht den Mond an und fährt fort: „was hot a hia fer a klinge Mond? onsa Mond öß vel, vel größa; eck komm goa nich me nag Knesbäk, ech blaiw höm!“

 

Die verständnisvollsten Besucher waren eben die alten, würdigen Herren, die in der kultivierten Stille untertauchen wollten und hier den Lärm des Tages vergessen: das war Freude und Erholung. Man empfand das altersgraue Gewölbe wie einen unzerstörbaren Schutz gegenüber den Gefahren der hastenden Großstadtstraße und des Lebens.

 

Im Blutgericht gab es verschiedene Stammtische, aber die erwähltesten und ältesten beherbergte das sogenannte „Zivil- und Militärkabinett, zwei kleine Trinkstübchen mit eichennachgedunkelten Wandtäfelungen und prachtvoll geschnitzter Dicke. Hier verkehrten die alten Exzellenzen und die Vertreter des ostpreußischen Landadels, manche schon in mehreren Generationen, bedient von dem allbekannten Küfer Hermann, der fast ein halbes Jahrhundert seines Amtes waltete und die Besucher genau kannte. Von den Wänden grüßten die Bilder all derer, denen die Weinpokale schon längst aus der Hand geglitten waren.

 

Königsberg war eine alte Universitätsstadt und die studentischen Korporationen suchten gern den „Remter“ oder die „Haupthalle“ im Blutgericht auf, um nach irgendeinem Verbindungsfest Exfrühschoppen abzuhalten.

 

„Da wird das uralte Gemäuer wieder jung, und in der großen Halle sieht es bei den buntfarbigen Mützen aus, als hätten sich hundert rote, blaue, gelbe, weiße Schmetterlinge in den Keller verflogen und säßen nun mit zuckenden Flügeln auf dem Becherrande, um zu nippen und immer wieder zu nippen. Aber genippt wird da an den Tischen nicht; es ist ehrlicher germanischer Umtrunk“.

 

So konnte auch am 5. April 1902 Ernst von Wolzogen sprechen:

 

„Hab' solche hohen Feierstunden

Auch hier im Blutgericht gefunden.

Hier, wo's von rauchgeschwärzten Mauern

Herabweht voll Erinnerungsschauern,

Es heut sich heut Mann, Weib und Kind,

Dass statt des Bluts nur Rotwein rinnt,

Kein Ketzerrichter Ränke spinnt

Und — Jungfrau‘n nicht mehr eisern sind“.

 

So ist auch uns allen nur ein Erinnern an solche Feierstunden im Kellergewölbe der alten Ordensburg geblieben. Durch den Untergang Ostpreußens sind wir, die ehemaligen Freunde des Blutgerichts, überall verstreut. Aber was gilt in dieser schweren Zeit eine althistorische Gaststätte, eine zerstörte Stadt oder ein verlorenes Land. Jetzt, da in der Welt große politische Probleme gewälzt werden, muss ich an die Worte denken, die Prinz Heinrich, der Bruder des letzten deutschen Kaisers, am 22. Oktober 1922 ins Stammbuch des Blutgerichts schrieb:

 

„Ohne Deutschland kein Europa, Gott mit uns." HB

 

 

Seite 9   Die alte Firma: C. Jautschus.

Das Bild des einstigen Wohnhauses von Immanuel Kant in der Prinzessinstraße in Königsberg in der Januar-Nummer dieser Zeitung gibt Anlass zu einer kleinen Beobachtung aus dem Alltagsleben in Königsberg vor fünfzig bis 60 Jahren. Auf diesem Bilde befinden sich über Ladentür und Fenster rechts vom Hauseingang ein schwer lesbares Firmenschild: C. Jautschus Nach f. Inh. C. Kehler. Es war das ein bekanntes und angesehenes Schuhgeschäft, durch das die Stadt- und Landbevölkerung mit Maß-Schuhen und -Stiefeln beliefert wurde. Dieses Geschäft befand sich später — wohl nach Abriss des Kanthauses — jahrelang In einem weit größeren Laden einige Häuser weiter in der Prinzessinstraße an dem Berge, der zwischen dem Schloss und dem Gesekusplatz zur Kantstraße hinunterführte.

 

Nun darf man aber nicht denken, dass die Verhältnisse damals so lagen wie heute, dass nämlich Schuhe wie Stiefel in vielerlei Arten und Formen, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, von großen Fabriken für den Fertigverkauf hergestellt wurden. Außer den derben Stiefeln und Hausschuhen für die arbeitende Bevölkerung auf dem Lande, in der Schifffahrt usw., die an den Türen der einfachen Läden in der Wassergasse hingen und fertig gekauft wurden, wurde die übrige Fußbekleidung in einer Reihe von Betrieben des Schuhmacherhandwerks nach Maß hergestellt. Darunter war die Firma Jautschus Nachf. einer der ersten. Zu jener Zeit trug die Herrenwelt neben Schaftstiefeln nur Gummizugstiefel. Man wurde als hypermodern und geckenhaft angesehen, wenn man die gerade aufkommenden Schnürschuhe trug. Die Damenwelt von damals darf man sich nur in hohen Knopfstiefeln vorstellen, die allerdings bei den langen Kleidern wenig in die Erscheinung traten. Die heutigen Frauen und Mädchen würden damit wohl kaum einverstanden sein. Sicherlich bedeutet die jetzige Lage einen erfreulichen Fortschritt gegenüber jener Zeit. Immerhin muss man den früheren Betrieben des Schuhmacherhandwerks das Zeugnis ausstellen, dass sie ein nach damaliger Ansicht elegantes Schuhwerk herstellen.

 

 

 

Seite 10   Landsleute, bitte herhören!

In letzter Zeit gehen hier immer wieder Suchanträge nach ehem. vermissten Königsbergern ein, die von uns nicht mehr bearbeitet werden können. Unsere Sucharbeit erstreckt sich nur auf den Bereich unserer Arbeitskameraden. Zuständig für alle anderen Königsberger Landsleute ist zunächst die Patenstadt Duisburg, Auskunftstelle Königsberg/Pr., Bunker Oberstraße.

 

Die an Kollegen Günther Gerber adressierten Briefe sind nicht nach hier, sondern (21b) Siegen. Effertsufer 52. zu richten.

 

Allen Anfragenden zur Kenntnis, dass Oberbürgermeister Dr. Helmut Will Ende 1953 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist.

 

Am 28. Februar 1954, hatte Kamerad Stadtrat a. D. Paul Wolff, (21b) Ferndorf, Schlehdornstr. 9, Geburtstag. Nachträglich unsere besten Glückwünsche!

 

Erst heute erhielten wir die Nachricht, dass unser lieber Arbeitskamerad Speichermeister Karl Schirrmacher am 7. Dezember 1945 in Malchim (Meckl.) im Entlassungslager gestorben ist.

 

Ferner fanden einem Bericht zufolge Telegr. Inspektor i. R. Paul Schmolski und seine Ehefrau Antonie Schmolski ausgangs Winter 1946/1947 an Entkräftigung in Königsberg den Tod. Beide Landsleute sind auf dem Neuen Luisenfriedhof, Hammer Weg, in einem Massengrab beerdigt worden.

 

Mit aller Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass Lehrer Bruno Singer im Lager Pr.-Eylau (Lazarett) 1945 verstorben ist.

 

Im Februar 1945 verstarb St.-Inspektor Willi Grimm,

 

Im Februar 1946 fand Lotto Kaddack (Wi.-Amt) den Tod.

 

Am 21.12.1945 starb Oberstudienrätin Dr. Gertrud Toussaint.

Wir werden das Andenken dieser Landsleute stets in Ehren halten!

 

Es haben sich im letzten Berichtsmonat von den Gesuchten gemeldet resp. konnten deren Adressen ermittelt werden:

 

Rektor i. R. Erich Büttner,

 

Edith Bronsert.

 

Kraftfahrer Ernst Diekert (Fuhrges.),

 

Stadttheater-Friseuse Frau Helene Fiedler,

 

Witwe des St.-Insp. Willi Grimm,

 

Angest. Ewald Hein (St.Amt 93),

 

Angest. Frau Gertrud Kaske (Bücherei).

 

Arbeiter Otto Königkeit (Fuhrges.),

 

Witwe des St.-Insp. Kurt Klinger,

 

Hedwig Lange,

 

Lehrer Adolf Pohl (Kantschule),

 

Bez.-Hptm. der Feuerschutzpolizei Richard Preuß,

 

Angest. Radziwill,

 

Hauptkassierer Herbert Rehberg (Hafen),

 

Witwe des St.-O.-Sekr. Ernst Singpiel,

 

Arbeiter Max Sabrowski (Hafen),

 

Studienrat Dr. Friedrich Schröder,

 

Spark.-Angest. Ernst Schwarz,

 

Tochter des Speichermeisters Karl Schirrmacher.

 

Frau Margarethe Scholz,

 

Witwe des Walter Tobien (Fuhrgesellschaft),

 

Frau L. Zimmermann (Feuerschutzpolizei),

 

St.-Insp.-Anwärter Fritz Zins.

 

Beweisen uns all diese Namen immer wieder, dass in erster Linie der Dank unserer Heimatzeitung „Ostpreußen-Warte" B mit Beilage der „Königsberger Neue Zeitung“ gebührt. Ihre stete Bereitwilligkeit unsere Artikel kostenlos aufzunehmen, gibt uns Veranlassung, noch mehr für sie zu werben als bisher. Je mehr Leser es werden, desto schneller werden wir unsere Suchfälle klären können! Es lohnt sich daher bestimmt, neue Abonnenten zu gewinnen. Bei entsprechender Anzahl neuer Geworbener erhält jeder Werber eine Buchprämie. Wir bitten daher unsere Arbeitskameraden, auch ihren Anteil an der Werbung beizutragen und uns mitzuteilen, wie viel neue Leser geworben sind. Damit hat dann jeder bewiesen, dass es ihm auch sehr am Herzen liegt, an der Aufklärung unserer Suchfälle interessiert zu sein.

 

Unsere Arbeitskameraden:

Frau Edith Justies,

 

Günther Gerber,

 

Frau Schulze,

 

Max Wetzki,

 

Wilhelm Schneider,

 

Waldemar Anstädt,

 

Max Pischalla,

 

Gertrud Seidler usw.

 

haben bisher Hervorragendes geleistet.

 

Unser Königsberger Kamerad Heinz Gruschkus (Kanada) liest die „Ostpreußen-Warte" B mit großem Interesse und ist über das heimatliche Geschehen stets erfreut. Auch unsere Arbeitskameraden in England und Spanien lesen die „Ostpreußen-Warte“ B.

 

 

Für die Berichterstattung im vergangenen Monat danken wir folgenden Landsleuten:

 

St.-O.-Insp G. Kowalczik.

 

Erna Klein,

 

Max Beaer,

 

Elli Schirrmacher.

 

Helmut Bundzios,

 

Hervorgehoben werden muss der Bericht des:

Landsmannes Realschullehrer Herbert Casemir vom 01.02.1954, der im April 1948 aus Königsberg kam. Fünf Suchfälle konnten dadurch sofort geklärt werden. Namens der Angehörigen danken wir unserem Landsmann Casemir recht herzlich dafür.

 

Und wer berichtet in diesem Sinne?

Wir suchen:

 

Otto Urmoneit (Standesamt),

 

Straßenreiniger Vogel,

 

Stenotypistin Ilse Voigt.

 

Arbeiter Voß (Hafen).

 

St-Insp. Herberth Wirth und Frau,

 

Angest. Paul Wiesenthal

 

St.-O.-Insp. Hermann Wernin.

 

Spark.-Hptst.-Leiter Wilhelm Weiß,

 

St.-Insp. Herbert Wichmann.

 

Anna Welch.

 

Otto Wiechert (Kohlenimport).

 

St.-Insp. Martin Wiechert,

 

St.-Insp. Wiegratz.

 

St.-B.-Insp Werner,

 

Straßenr. Wichmann.

 

Stenotypistin Hildeg. Wennischkat,

 

Prokurist d. Stiftung Bruno Wiemer.

 

St.-O.-Insp. v. Wasdowski,

 

Angest. Wypischeck,

 

St.-O.-Insp. Wetzker,

 

St.-O.-Insp. Witulski,

 

St.-Ass. i. R. Adolf Wischnewski.

 

St.-Insp. Siegfr. Waitschies.

 

Angest. Friedr. Wächter (Fuhrges.),

 

Brückenaufseher Ernst Wolff.

 

Frau Otto Wilfert (Fuhrges.),

 

Arbeiter Wolf (Hafen),

 

Lehrer Emil Weißenberg.

 

Spark.-Angest. Hellmuth Westphal,

 

Kühlhausaufseher Julius Wisch,

 

Angest. Gertrud Wenskat (Wi.-Amt).

 

Kurt Franz Werner (K. W. S.).

 

Rudolf Wiechert (Fuhrges.),

 

Lehrer Wolf (Fichtelschule),

 

Rangiermeister Zacharias (Hafen),

 

Rechn.-Direktor Zielinski,

 

St.Insp. Zabe,

 

Ziegler (Feuerlöschpolizei).

 

Hausmeister Erich Zenker (Kr.-Anstalt Sam. Allee),

 

Oberwachtmeister der Feuerschutzpolizei Fritz Zimmermann.

 

Bei Rückfragen bitte Freiumschlag beifügen! Anschriften-Sammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -angestellten und -arbeiter (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1.

 

 

Staatliches Hufenoberlyzeum Königsberg (Pr.) (Hufenschule, Oberschule für Mädchen)

Der Stadt Duisburg, Auskunftstelle Königsberg, liegen vor:

 

1. Abiturientinnen-Verzeichnisse aus den Jahren 1926 bis 1945

2. Verzeichnis der Lehrkräfte

3. Aufzeichnungen über die Geschichte der Schule.

 

Auskünfte werden auf schriftliche Anfrage erteilt. Um prüfen zu können, ob und in welchem Umfange es angebracht ist, die Schulgeschichte im Druck herauszugeben, werden interessierte Personen gebeten, ihre Wünsche mitzuteilen.

Stadt Duisburg, Patenstadt für Königsberg (Pr.)

 

 

Seite 10   Hans von Sagan – der wackere Schuhmacher-Geselle

Eine alte Urkunde über die Schuhmacherzunft von Barmstedt in Holstein erzählt von einem zinnernen Kruge, auf dessen Deckel sich eine Kriegergestalt befindet, die als „Hans von Sorgen“ bezeichnet ist.

 

Weiter heißt es in dem Schriftstück, dass die Gesellen bei besonderen Anlässen aus diesem Kruge tranken und danach sangen:

 

„Hans von Sorgen, so wurde er genannt.

Sein rechtes Bein, das war ihm abgeschossen

und dennoch schwang er seine Fahne unverdrossen;

drum so singen wir mit frohem Schall: Vivat, vivat überall!

Königsberg, das liegt in Alt-Preußen,

wer's nicht glauben will, kann selber hinreisen.

Da warteten uns auf zu der Zeit: Fürsten,

Grafen, Edelleut!“

 

Dieser fälschlich als „Hans von Sorgen“ bezeichnete Mann ist ein aus dem schlesischen Sagan gebürtiger Altgeselle des Schuhmacherhandwerkes, der in Königsberg lebte und in seinem Handwerk tätig war und als Bürger der Stadt an der Schlacht bei Rudau (unfern der Samlandküste) am 17. Februar des Jahres 1370 teilnahm.

 

Eine alte Chronik „Von der Radauischen Schlacht und derselben zum Andenken aufgerichteten Säule“ berichtet:

 

„Außer dem heldenmütig verstorbenen Marschall Schindekopff soll nach der gemeinen Tradition Hans von Sagan in der Radauischen Schlacht viel Ehre eingelegt haben. Die Schlacht war kaum angegangen, da einige Ordensvölker sich all bereits nach der Flucht umsahen, auch dahero die Fahnen und Waffen von sich warfen. Gedachter Hans von Sagan, ein Schlesier von Geburt und eines zugewanderten Kneiphöfischen Schusters Sohn, der mit ins Feld gegangen war, ergrimmte über diese Zaghaftigkeit, ergriff das hingeworfene Ordens-Panier, ging auf die Feinde los und richtete damit so viei aus, dass die zur Flucht stehenden Soldaten nunmehro desto hertzhaffter auf den Feind eindrungen, auch nicht eher, als bis der Sieg gewonnen, abließen.

 

Wegen dieser tapferen Tat verlangte Hans von Sagan keine große Belohnung an Geld oder Ehre, sondern bat sich nur so viel aus: Dass jährlich vor dem Fest der Himmelfahrt Christi, den Kneiphöffischen Bürgern zur Lust und Freude, ein Gastmahl zu Schloss auff Unkosten der Herrschaft möchte gegeben werden. Winrich von Kniprod (als Hochmeister) willigte gleich in dieses geringe Begehren ein. Unsere Vorfahren haben diese Mahlzeit das Schmeckbier genennet und sich Mühe gemacht, das Andenken dieser Sache beyzubehalten“.

 

In der Nähe der Kirche auf dem Oberhaberberg zu Königsberg i. Pr. stand noch bis zur Jahrhundertwende eine alte hölzerne Pumpe, auf der sich auch eine hölzerne Figur befand, die im Volksmunde „Hans von Sagan“ hieß. An einem Eckhause des Alten Gartens war als ein Wahrzeichen ebenfalls Hans von Sagan figürlich verewigt. Ein Steinbildnis von dem Bildhauer Ernst Fielitz hatte die Stadt Königsberg an der Freitreppe des alten Kneiphöfschen Rathauses errichtet, also in dem Stadtviertel) wo sich die Wohnung des berühmten Schusters befand. Der bildende Künstler hatte das Motiv aus dem Augenblick der Kampfhandlung entnommen, als Hans die Fahne vom Boden ergriff und im Begriff war sich zu erheben. An den Seiten des Denkmals befanden sich kleinere Figuren, die mit derber Komik auf das Schmeckbier hinweisen sollten.

 

Dass ihm das rechte Bein abgeschossen sei, wie das erwähnte Barmstedter Lied angibt, trifft nicht zu; die Überlieferung sagt, er sei durch einen Pfeilschuss an seiner Ferse verwundet; er hinkte noch, als er mit dem Aufgebot der Schuhmacherzunft, mit der er zur Schlacht gezogen war, nach seinem Wohnsitz zurückkehrte.

 

Hans hatte am rechten Arm, womit er das Fähnlein in der erwähnten Schlacht hochhielt, einen blauen Ärmel. Daher haben die Kneiphöfer der Stadt Königsberg auch den Arm mit dem blauen Ärmel im Wappen, dessen Hand die Krone emporhält.

 

 

Seite 10   Neuerwerbungen der Auskunftstelle Königsberg (Pr.)

Die Aufrufe der Auskunftsstelle Königsberg bei der Patenstadt Duisburg, Königsberger Auskunftsmaterial  und Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen, haben in den letzten Monaten wieder einen guten Erfolg gehabt.

 

Die Sammlungen wurden um folgende Stücke bereichert:

 

Königsberger Einwohnerbuch (Adressbuch) von 1935,

Besoldungsordnung der Stadt Königsberg (Pr.) von 1928.

Statut der Stadtsparkasse Königsberg (Pr.) von 1886.

Satzung der Handelshochschule Königsberg (Pr.),

Satzung der Ostpreußischen Mädchengewerbeschule Königsberg (Pr.),

Satzung der Stiftung für gemeinnützigen Wohnungsbau Königsberg (Pr.),

Abschriften von Beschlüssen und Verfügungen über die Angestelltenversicherungsfreiheit von Angestellten der Stadtverwaltung Königsberg (Pr.) der Königsberger Werke und Straßenbahn GmbH.,

der Messamt Königsberg (Pr.) GmbH.,

der Stiftung für gemeinnützigen Wohnungsbau Königsberg (Pr.) und

von Mitgliedern des städtischen Orchesters Königsberg (Pr.).

 

Königsberger Erinnerungsstücke wurden gestiftet von:

 

den Herren Günter Becker, Duisburg,

 

Arnold Bistrick in Fa. Walter Bistrick, Stuttgart,

 

Dipl.-Ing. P. Brandt. Amerang (Obb.),

 

Max Fleischer. Rheinhausen,

 

Werner Kruppa, Duisburg.

 

Erich Reichelt, Stuttgart.

 

Allen Spendern und Mitarbeitern sei auf diesem Wege herzlicher Dank übermittelt. Um den auskunftssuchenden Königsbergern noch wirksamer als bisher helfen zu können, bleibt es weiter sehr erwünscht, gerettete, aber verstreut aufbewahrte Druckschriften. Veröffentlichungen, Akten, Listen und Archivstücke der Patenstadt Duisburg zu überlassen, damit sie durch allgemeine Auswertung nutzbar gemacht werden.

 

Rückporto beilegen!

Um Zeugen für die Geltendmachung von Renten- und Pensionsansprüchen zu erhalten, fragen die heimatvertriebenen Königsberger — häufig auf Empfehlung der Patenstadt Duisburg — bei ehemaligen Personalsachbearbeitern und Anschriftensammelstellen Königsberger Betriebe, Behörden und Vereinigungen an. Die in Anspruch genommenen Auskunftspersonen beantworten diese Anfragen privat. Da sie nicht nur gelegentlich, sondern häufig befragt werden, haben sie nicht unerhebliche Geldaufwendungen. Es wird daher gebeten, den an private Auskunftspersonen und Auskunftsstellen gerichteten Anfragen Rückporto beizufügen.

 

 

Seite 10   Eine tapfere Ostpreußen-Frau. Die Russenherrschaft in der Provinzhauptstadt erlebt von Margarete Raabe

(3. Fortsetzung)

Eines Tages stand die Nachbarsfrau, eine russische Ärztin, bei mir in der Küche. Da sagte ich folgendes zu ihr: „Ich sah vor einigen Tagen, dass der 9-jährige Nachbarsjunge eine Handvoll Scheine aus dem Küchenschrank nahm und damit loslief. Ich glaube, er hatte Rubel“. Da stutzte die Frau und sagte: „Wenn der Junge etwas genommen hat, wird er es sagen“. Ich glaubte nicht, dass der Junge das zugeben würde, aber in dem Augenblick wusste ich auch, dass ich als Dieb verdächtigt wurde, denn dazu passte die mir zuteil gewordene schlechte Behandlung. Der Junge leugnete anfangs wirklich, dann durchsuchte man seine Sachen. Ob was gefunden wurde, weiß ich nicht. Ich wurde aber ins Zimmer gerufen, alle lächelten mich freundlich an, und ich wurde gefragt, wann ich gesehen hätte, wie der Junge die Scheine nahm. Die Behandlung wurde wieder etwas besser, aber das Essen war nicht zureichend, der Hunger trieb mich, Kleinigkeiten, wie z. B. ein Stückchen Brot, einen Löffel Grütze in den Mund zu stecken, dabei begab ich mich aber immer wieder in Gefahr, ertappt zu werden. Anfang August warf man mir und auch Frl. W. erneut Diebstahl vor. Wir sollten durchaus Milch gestohlen haben, aber man suchte wohl nur einen Grund, um uns zu entlassen. Nun brach alles über uns zusammen, wir wussten nicht wohin. Alle in Norkitten untergebrachten deutschen Menschen mussten in der Sovjose (Kollektivwirtschaft) arbeiten. Das bedeutete von früh bis spät, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Felde sein. Wer dann am Tage irgendwo anders angetroffen wurde, wurde festgenommen und zum Kommandanten gebracht, wo festgestellt wurde, warum er nicht gearbeitet hatte; denn eine andere Arbeit als die Feldarbeit kam für eine deutsche Frau nicht in Frage. Da ich aber diese Arbeit nicht leisten konnte, musste ich mich möglichst verstecken; vor dem späten Abend wagte ich nicht durch den Ort zu gehen und wenn das geschah, dann musste ich gehetzt über brachliegende Felder und Trümmer laufen, möglichst in gebückter Haltung.

 

Hatte nun das Gewissen der Frau, bei der ich bis jetzt arbeitete, geschlagen, ich weiß es nicht, jedenfalls kam sie mit der Ärztin als Dolmetscherin und bot mir an, ihre und ihrer Nachbarn Kühe zu hüten (5 Stück), es wäre leichte Arbeit und ich würde jeden Tag 1 Liter Milch und 200 Gramm Brot bekommen, ich sagte zu, obgleich ich nicht wusste, wie man mit Kühen umgehen muss, aber ich hoffte auf die Hilfe, die mir bisher noch immer in Not zuteil geworden war. Wie oft hatte ich mir den Vers aufgesagt: „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“.

 

Frl. W. bekam die Hausarbeit im Hause der russischen Ärztin, deren Mann als Tierarzt in der dortigen Kollektivwirtschaft arbeitete. Das Ehepaar hatte ein Söhnchen, 9 Monate alt. Im Obergeschoss des Siedlungshäuschens, das die Familie bewohnte, war ein Stübchen, das Frl. W und mir als Schlafraum zugewiesen wurde. Möbel waren darin nicht enthalten, aber wir besaßen jeder einen Holzkasten, der unsere Habseligkeiten barg, und eine Schlafmatratze ohne Bettgestell, es lag sich etwas hart auf dem Fußboden. Mit der Zeit brachten wir es auch zu einem selbstgebastelten Tisch und zu „feudalen“ Hockern, d. h. kurzgesägten Baumstämmen. Mit dem einen Liter Milch und einer dicken Schnitte Brot konnte ich nun tagsüber schlecht auskommen. Aber ich bekam Näharbeit, die ich während des Hütens ausführen konnte, und so verdiente ich noch entweder Kartoffeln oder Brot dazu. Am 10. August früh sollte meine Hirtentätigkeit beginnen. Wie ich den ersten Hahnenschrei hörte, erhob ich mich von meinem Lager und machte mich bereit. In Ermangelung der notwendigen Bekleidung hatte man mir leihweise eine alte Russenjacke und einen Regenumhang gegeben; denn am Morgen war es kalt und nass. Da man annahm, dass ich in meiner neuen Arbeit ohne jede Übung sei, bekam Frl. W. den Befehl, mit mir zusammen den ersten Tag die Kühe auf die Weide zu bringen. Diese lag in einem Tal, durch das ein Nebenfluss des Pregels floss. Nun verließ mich Frl. W. Mir war etwas beklommen zu Mute, ich presste meine Hände zusammen und sagte: „Lieber Gott, hilf!“

 

Die Kühe verspürten noch keine Lust zum Grasen, vielleicht merkten sie auch, dass sie eine

neue Hüterin hatten oder es war noch zu früh, und sie verspürten noch keinen Hunger; die Sonne war ja noch nicht aufgegangen. Als ich ihren Aufgang bewunderte und die Kühe einen Augenblick unbewacht ließ, setzten sie sich in Bewegung und gingen schnell auf den Fluss zu, um ihn, o Schreck, zu durchqueren und auf der anderen Seite hinter den Büschen zu verschwinden. Mich erfasste ein Schrecken ohnegleichen. Die Schuhe auszuziehen und auch durchs Wasser zu gehen, wagte ich nicht, das Wasser erschien mir so tief. Ich lief den Weg entlang über die Brücke und kam keuchend zu den Kühen, die in einem verbotenen Garten friedlich grasten. Von Tag zu Tag wurde mein Hütegeschäft leichter: Die Kühe gewöhnten sich an mich und an meine Zurufe, die oft so laut schallten, dass ich meinte, mein Mann müsste sie in Berlin hören. Ich verlor die Scheu vor den Tieren, es machte mir Freude, sie zu beobachten.

 

Die Hüterei gefiel mir je länger, je besser; meine Beine waren nicht mehr geschwollen, das häufige kühle Fußbad und das ständige Barfußgehen, dazu Luft und Sonne taten dem Körper so gut. Mein Leben lang hatte ich noch nie so viel dem Hang zum Alleinsein nachgehen können wie jetzt, dazu konnte ich nach Herzenslust meine Lieblingsbeschäftigung, das Träumen, ausüben. So lebte ich in meiner Welt, ohne Menschen, mit den Tieren, mit dem Wasser. Ich beobachtete die Sonne, wie sie tagsüber ihren Bogen am Firmament dahinwandelte, ich sah dem wechselvollen Spiel der Wolken zu, ich bewunderte die kleinen und kleinsten Tierchen, die mir auf die Hand flogen die Blumen, die Gräser, die sich in ihrer Feinheit und Zartheit auf ihren schlanken Halmen im Winde neigten; mir kamen die Worte eines Liedes in den Sinn, das mir mein Mann so oft vorgesungen: „Wie groß ist Gott, wie groß ist Gott im Kleinen“.

 

So vergingen die Tage, ich bemerkte das kleiner werden des Bogens, den die Sonne täglich durchmaß. Es dunkelte merklich früher. Ich fing am späten Nachmittag schon an zu frieren, ich musste meine Füße beziehen. Das Wasser, durch das die Kühe mussten, sah dunkel aus, ich empfand eine Abneigung, die Fußbekleidung zu entfernen und hindurch zu waten. Aber auf die andere Seite musste ich doch. Da blieb mir nichts anderes übrig, als die Kühe ins Wasser zu treiben und dann schnell über ein Stück Weide, über eine Brücke, über ein Stück Straße zu laufen, um wieder zu meinen

Kühen zu kommen. Wenn ich dann endlich keuchend auf der anderen Seite stand und ins Tal hinabsehen konnte, standen meine Kühe noch auf dem Fleck im Wasser, auf den ich sie getrieben hatte und glotzten alle 5 mit großen Augen auf die Stelle, an der ich auftauchen musste. Dann schrie ich ihnen laut auf Russisch zu: „Nun aber schnell, schnell nach Hause“. Alsdann setzten sich die Tiere in Bewegung und gingen, bis auf die Mielka, die alleine gehen wollte, im Gänsemarsch dem Stalle zu. Es dunkelte dann bereits stark. Wenn ich den Mond sah, nickte ich ihm zu und sagte: „Siehst du, alter Gesell, wieder ein Tag näher dem Tode“.

 

So kam das Ende meiner Hirtentätigkeit im Sommer 1946. Die Russenfrau, Lida mit Namen, die mich wegen „Diebstahl“ aus dem Hause gejagt hatte, wollte verreisen. Sie fand aber niemand, um ihren Haushalt zu betreuen als mich, die „deutsche Margarita“. Ich musste von Mitte September ab wieder im Haushalt arbeiten und neben dem russischen Hausvater und 2 Gästen, Kuh und Schwein versorgen, d.h. nicht nur das Essen für die Menschen, sondern auch für die beiden Tiere herrichten. Das Futter für die Letzteren musste im Garten der Natur gesammelt werden. Es grenzte an das Siedlungshäuschen ein großes Feld Zuckerrüben. Was tat nun Margarita? Sie ging im Morgengrauen, wenn noch alles schlief, tief gebückt aufs Feld und ritz, ratz, flogen die Rüben über den Zaun, um dann für die Tiere Verwendung zu finden. Wie freute sich dann meine Kuh, die Schirnabrowka, wenn sie zum Abend in einem blitzsauberen Stall einen Bottich voll süßer Rüben fand, und das Schwein schnarchte in süßer Ruh, wenn es den Bauch dick voll Rübenbrei hatte. Doch habe ich vom Schweinebraten nichts bekommen, ich durfte nur die Därme säubern, bis mir übel dabei wurde. Aber in den 3 Wochen der Abwesenheit der „Herrin“ brauchte ich nicht zu hungern, ich habe die wunderbare Milch getrunken, den wohlschmeckenden Quark und frische Kartotfeln gegessen. In dieser Zeit lernte ich auch die Kuh zu melken, es wurde mir nicht leicht, Hände und Knie zitterten, aber ich freute mich, wenn die Kuh ausgemolken war, und ich 4 – 5 Liter schäumende Milch im Eimer hatte. Als dann die Hausfrau von ihrer Reise aus Russland zurückkam, fing das elende Magddasein für mich wieder an. Wohl bedankte sich die Frau für das gute Versorgen ihrer Wirtschaft, aber bald wurde ich wieder schlecht behandelt.

(Fortsetzung folgt)

 

 

 

Seite 11   Sommer im Bernsteinland. Von Alexis. 10. Fortsetzung.

Foto: Der Zipfelberg bei Gr. Kuhren.

Zwei Fotos: Am Samlandstrand bei Warnicken und Georgenswalde.

Natürlich erkletterten wir den Leuchtturm und sahen dabei mit Erstaunen, welcher Taktik sich die Wellen bedienten, um unserer Landfeste zuzusetzen. Während sie zur Linken vom Wind geradewegs gegen die Küste getrieben wurden, die sie in immer wieder hervorbrechenden Schwarmlinien angriffen, langten sie gleichzeitig in einer großartigen Schwenkung um das Kap herum, um es von der anderen Seite, nahezu aus entgegengesetzter Richtung, zu berennen

 

In alten Zeiten wurde die Klippe vielen Schiffern zum Verhängnis. Da Strandgut den Anwohnern gehörte, pflegte man in den Kirchen allsonntäglich „Gott segne unsern Strand“ zu beten. Was dem eenen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall — dieses schöne Sprichwort kann man auch hier anwenden.

 

Die Aufdachung des Samlands ist von der Plattform des Leuchtturms aus in die Augen springend. Wie ein Pult ist es ins Wasser gestellt. Legte ein Riese seinen Federhalter zwischen Warnicken und Neukuhren hin, würde er unten bei Heidekrug ins Frische Haff rollen, nachdem er sich, auf halbem Weg durch den Galtgraben bedingt, einmal um die eigenen Achse gedreht hätte.

 

Da man sich vom Badeleben nicht ganz ausschließen kann, wenn man einmal in Königsberg wohnt, besuchten wir manchen Platz an der Küste, bis wir herausfanden, dass es in Neuhäuser am lustigsten ist. Hier ist die schlanke Linie vorherrschend und es scheint, als hätten sich Menschen, die vom lieben Gott geformt, eine Handvoll Lehm zu viel abbekommen, stillschweigend von dieser Dürrländergesellschaft abgesondert.

 

Reizende kleine Nacktfrösche bevölkerten den Strand. Je nach Veranlagung vertrauten sie sich der großen Badewanne wie geborene Wasserratten an oder nahmen schreiend von jeder Welle reiß aus, wodurch zwischen den Eltern, die ihren Liebling von der Strandburg aus beobachteten, eine Verstimmung entstand. Denn während Mutti ihr Kleines bei der Hand nahm, um ihm zu zeigen, dass die Klatsch-Klatsch-Welle doch gar nicht weh tue und nicht nur den Beinchen, sondern auch dem Bäuchlein guten Tag sagen wolle, biss  sich Papi auf die Lippen und stellte fest, dass diese ängstliche Wasserscheu unmöglich von ihm herrühren könne.

 

Den Altersgenossen, die es fertig brachten, stundenlang regungslos auf einem Fleck zu liegen, nachdem sie sich gegenseitig liebevoll mit Sand behäufelt hatten, zollten wir höchste Bewunderung.

 

Das Duldertum indischer Fakire, die sich eingraben lassen, bis eine Bananenstaude auf ihnen Früchte reifen lässt, konnte in unseren Augen nicht größer sein. Wie bei Alligatoren verriet nichts, als ein feines Körnerrieseln beim Heben und Senken der Brust, dass in diesem Boden gefährliches Leben stecke. Aber wie die Panzerechsen nur faul sind, um desto größere Lebensenergien aufzuspeichern, so auch hier: plötzlich barst der Berg und ein Körper schnellte ins Wasser.

 

Für Cranz konnten wir uns immer erwärmen. Um dem Strom der Badegäste zu entgehen, verlegten wir unsere Besuche meist auf regnerische Tage, an denen wir uns ganz allein draußen befanden.

 

Einmal hatte uns die Neugierde herausgelockt, als von der Küste ein starker Sturm gemeldet war. Schon auf der Fahrt durch die Fritzensche Forst stellten wir an den umgestürzten Bäumen mit Befriedigung fest, dass wir ein „kurisches Wetter“ antreffen würden. Am Strand gingen die Brecher bis auf den Korso, so dass wir uns durch die Plantage zum Verlobungsweg schlängeln mussten.

 

Man sagt von dieser Promenade sehr witzig, dass sie selbst für die schüchternsten jungen Leute lang genug sei, sich alles zu sagen. Heut wäre das nicht gut möglich gewesen. Immer waren wir von niederbrechenden Ästen bedroht; bisweilen überspülte eine gewaltige Woge die Dünen und zerrann, eine Menge feinen Sand mit sich führend, auf unserem Weg.

 

Dennoch kämpften wir uns bis Klein-Thüringen durch, wo wir den Aussichtsturm erkletterten, um das prächtige Bild der tobenden See wie ein aufregendes Schauspiel von hoher Warte aus zu genießen. Befriedigt traten wir den Rückzug an, um uns im Hinterzimmer eines Restaurants in Cranz wie zwei gebadete Katzen das Fell zu recht zu zupfen.

 

Wenn man vor Beginn der Reisezeit durch die stillen Straßen dieser Ortschaft mit ihren in kleinen Gärten gelegenen Häusern geht, wird der Zauber des ehemaligen Fischerdorfes Kranzkuhren noch einmal lebendig. Doppelt mussten seine Bewohner dies Fleckchen Erde lieben, wenn ihre Boote nach dem gefahrvollen Tagewerk zu ihm zurückkehrten. Das Ineinanderfließen von See und Bauernland schien uns überhaupt das anziehendste an diesem Teil des Samlandstrands.

 

Doch nicht allein dies war es, was auf die Wanderer einen besonderen Reiz ausübte. Es ist die unmittelbare Nähe der Kurischen Nehrung, die als etwas ganz einzigartiges in Europa zum Begehen lockt. Wie ein langgestreckter Arm weist sie nach Nordosten. In seiner Achselhöhle liegt das Forsthaus Schwentlunt, von dem aus der Blick über das Haff gleitet, das trotz seiner Größe mit schilfbewachsenen Ufern und brackigem Wasser den Eindruck eines Binnensees vermittelt, während jenseits, nicht viel weiter als tausend Meter entfernt, die offene See gegen die Landzunge brandet. Das wechselreiche Bild begleitete uns, sooft wir die Alte Poststraße nach Sarkau gingen, denselben gewundenen Waldweg, den schon der Reisewagen der Königin Luise nach Memel dahinflüchtete und der viel lohnender ist, als die neue Straße, die jetzt befahren wird.

 

Im „Fichtenhain" sind wir einst eingekehrt, weil uns allein sein Name verpflichtete, denn wer erinnerte sich nicht gern Schillerscher Balladen, die er noch ganz oder teilweise auswendig kann. Freilich sind in dem Teil des Waldes, in dem der Krug liegt, nur Kiefern zu finden, was aber der Erwartung, mit der man das weitläufige Holzhaus betritt, keinen Abbruch tut.

 

Der Wirt, mit dem wir ins Gespräch kamen, hatte zwar mit der finsteren Gottheit nichts gemein, konnte uns dafür aber manches von seinen Seereisen erzählen, die ihn bis in den Krieg nach dem Fernen Osten geführt hatten. Das Bild, wo die Deutschen von Admiral Seymour begrüßt, zur Front marschieren, hing an der Wand.

 

Ich habe die Kurische Nehrung kennen gelernt, als wir uns vor Jahren in Nidden treffen wollten. Ähnliche Gefühle trieben mich an, wie die königliche Landesmutter; es konnte mir nicht schnell genug gehen. Bis Cranz flog mein Rad nur so dahin, aber dann machte mir der Wind das Vorwärtskommen schwer, so war es schon spät, als ich in das Bereich der Dünen kam.

 

Die Landschaft fand ich ur-einsam. Seit einer Stunde hatte ich keinen Menschen erblickt. Ich versteckte mein Rad im Gebüsch und stieg einen hohen Sandberg hinan. Oben angekommen, bot sich mir ein vielgepriesener Anblick dar. Während das Haff schon in violette Schatten gehüllt lag, stand über der See die abendliche Sonne. Nicht aber das zauberhafte Farbenspiel schien mir in diesem Bild das anziehendste. Vielmehr waren es graphische Motive, die das Auge in ihren Bann zwangen; die schmale Landbrücke mit ihren vom Wind geformten scharfen Graten, die wie eine schartige Sichel im Wasser ruhte.

 

Als ich mich Rositten näherte, war es Nacht geworden. In der Nähe schrie ein Elch und vom Haff ertönte vielstimmiges Geschnatter der Wasservögel. Die Naturnähe überwältigte mich geradezu. Im Grund hatte ich — Mensch — hier an diesem Platz ebenso wenig Daseinsberechtigung, wie ein Sperling in der Großstadt. Endlich war das Dorf erreicht, aus dessen Fenstern überall gelbe Lichter hervorschimmerten, was auf zahlreichen Gästebesuch schließen ließ.

 

(Meine Bemerkung: Der nächste Satz ist für mich nicht verständlich) Müde, wie ich war, verdross es mich, so oft vergebens mein „Kämmerchen zu vermieten“ anbringen zu müssen, zumal, da die Weekenten bequem mit dem Dampfer von Cranzbeek herübergekommen waren, der hellbeleuchtet und von Jazzmusik tönend im Hafen lag. Frau Adomeit meinte, bei Frau Josupeit müsse noch ein Zimmer zu haben sein. Als ich nach langem Herumfragen endlich in ihren Garten gestolpert

kam, meinte Frau Josupeit, ich möchte doch mal bei Frau Adomeit nachfragen. Dadurch brachte ich, gewitzigt, bei Frau Pipereit vor, ich sei von Frau Josupeit geschickt, die ich wiederum durch Frau Adomeit empfohlen worden sei. So wuchs meine Einwohnerkenntnis ins ungeheure, bis sich mir endlich ein höflicher Jüngling, der in Königsberg als Handlungsgehilfe tätig war, zum Führer anbot. Es gelang ihm auch wirklich, mich bei einer Fischersfrau unterzubringen, die das Herz auf dem richtigen Fleck hatte, denn sie schaffte nicht nur den nötigen Platz für mäßiges Entgelt, sondern nahm auch noch spät nachts ihren Mann in Empfang, der von Pillkoppen heimkam, wo er reichlich gefeiert hatte. Ich wachte davon auf, wie sie ihren Brummbären mit freundlichen Worten in seiner Koje verstaute.

 

Wer sagt, wie lange es noch dauern wird, bis auch die preußische Wüste einer grünen Insel hat Platz machen müssen? überall ist man beschäftigt, die Dünen in mühseliger Arbeit wieder aufzuforsten, um der Nehrung ihr ursprüngliches Gesicht wiederzugeben, das sie durch den- Raubbau in ihren Wäldern verlor. Noch kommen hier und dort uralte Baumstubben wieder zum Vorschein, noch zeigen dunklere Stellen im Dünenhang die Reste einstigen Humusbodens an. Märchenhaft klingt es, wenn wir hören, dass es hier einst Forstmeister, Jäger und Wildwärter gab, die auf dem „Haskeberg“ jährlich ein großes Treiben auf Häslein veranstalteten und neben dem Elch auch Rehen, Füchsen und allerlei Raubzeug nachstellten.

 

Nichts, als die Namen der untergegangenen Dörfer Lattenwalde, Kunzen, Preden, Karwaiten und Negeln geben davon Kunde, dass hier Ortschaften bestanden, die von Milliarden feiner Sandkörner zugeweht wurden.

 

Mit Wasser und Feuer waren die Fischer immer fertig geworden. Aussichtslos aber wurde ihr Kampf gegen den Sand, mit dem der Wind die Kahlschläge bedeckte, den geringen Nachwuchs erstickte, sich in die Gärten hineinfraß, immer höher und höher wuchs, Fenster und Türen verschüttete, dass es dunkel in den Häusern wurde und im Wachsen nicht nachließ, bis sie ihre Heimat verlassen mussten und nichts Lebendes zurückblieb, als ein paar hungernde Katzen, deren Schreien nachts den Wanderer begleitete, sooft er dort eilends vorüberzog.

 

Die seltsame Erscheinung des Triebsandes, der einen Menschen wie ein Fischmaul verschlucken soll, wenn er ahnungslos darüber hingeht, beschäftigte uns natürlich und wir versuchten alle Leute auszufragen, von denen wir annehmen durften, dass sie uns nicht gleich einen Bären aufbinden würden. Niemand wird diesen von Wasser gesättigten Stellen zum Opfer fallen, wenn er nicht so hilflos ist, dass er auch in einer Badewanne ertrinken würde. Sie sind, ähnlich Schneebrettern auf leuchtendem Firnfeld, durch eine andersartige Färbung unschwer zu erkennen. Gerät man unversehens auf sie, hat man das Gefühl, auf einen Gummiball spazieren zu gehen, bis man plötzlich bis über den Knöchel im feinen Sand steckt und es vorzieht, den Rückzug anzutreten. Selbst die Tatsache, dass ein Tälchen zwischen den Dünen der Postillionsbruch heißt, weil dort ein reitender Bote verschwunden sein soll, konnte uns nicht davon überzeugen, dass der Treibsand ein ausgesuchter Menschenfresser ist. Eine alte Frau, deren Mann dreißig Jahre lang die Briefe zwischen Cranz und Nidden befördert hatte, als es noch keine neue Straße gab, wobei er der Kürze halber den Weg am Strand zu nehmen pflegte, wusste uns zu erzählen, dass Pferd und Wagen wohl oftmals im Sand stecken geblieben, aber mit eigener oder fremder Hilfe doch immer geborgen worden seien.

 

Ähnlich ist es mit den Dünen selbst, die durch Sandrutsche unzählige Menschen unter sich begraben haben sollen. So erzählt Pisanski von einer vierzehnköpfigen Gesellschaft, die vom Markt in Memel heimkehrend bis auf eine Überlebende vom „Mons Blesz“ bei Kunzen verschüttet wurde.

 

Während für viele am Strand der Blick in die Ferne, das Rauschen des Winds und das ewige Spiel der Welle schon Beruhigung ist, konnten wir die See in nicht jeder Stimmung vertragen. Irgendetwas bleibt, was wir nicht erklären können.

 

Einmal fühlten wir es deutlich. Wir waren von Pobethen nach Rantau gelaufen, mühten uns durch den versandeten Wald und setzten uns an den Strand. Wir waren allein, unruhige Wellen spülten an das Ufer; ein regnerischer Wind überspannte die Dünung wie eine trübe Glocke.

 

Möwen schrien, seitwärts aber brauste eine stärkere Brandung gegen das vom letzten Sturm verwüstete Ufer. Wir glaubten zu gewahren, wie die gefräßigen Wellen am Werk waren, das Land zu zernagen; wir sahen die Küste schmelzen, während sich zur selben Zeit jenseits des Belts Neuland aus der Tiefe erhob.

 

Gleichgültig schleuderte ein Brecher fahlgelben Tang vor unsere Füße; Muschelschalen und Bernsteinsplitter saßen darin. Wasser tropfte hernieder, versackte im feuchten Sand wie auf Fließpapier, eine dunklere Färbung hinterlassend. Dann stiegen, winzigen Fontänen gleich, Luftblasen empor.

 

Das Meer ist nicht nur im steten Wechsel begriffen, es ist auch die Wiege der Schöpfung. Aus Einzellern, dem bloßen Auge nicht erkenntlich, entwickelte sich das Leben und stieg an Land. Doch lassen wir uns nicht gern daran erinnern, woher wir stammen, weil wir es nicht zu fassen vermögen. Immer gruselte es mir vor der Deutlichkeit uralter atavistischer Einflüsse, die ich in schizophrenen Zeichnungen wiederfand. Ein großer Teil davon hätte dem Werk des alten Haeckel „Kunstformen der Natur“ entnommen sein können: Quallen, Seesterne, Seefedern, Seeigel. Diese Beobachtung wurde erhärtet, als sich mir Gelegenheit bot, einen Menschen beim Zeichnen zu sehen, der dies unter einem unerklärlichen Zwang tat. Dieser Mann, der im Übrigen seinem bürgerlichen Beruf nachging, in dem er Hervorragendes leistete, griff im Trancezustand mit geschlossenen Augen in ein Bündel Buntstifte, wechselt die Farben mit Sicherheit nach einem ihm eigenen harmonischen Farbenkanon und brachte, über einen Bogen weißes Papier kurvend, lauter seegetierähnliche Gebilde zustande. Am merkwürdigsten erschien mir dabei, dass die Linien gleichmäßig nebeneinander lagen und sich niemals überschnitten.

 

Alles dies ging uns durch den Sinn, während sich der Himmel mehr und mehr umzog.

 

Den Rückweg nahmen wir über Felder und Koppeln. Hier streichelten wir ein Pferd, dort brachen wir eine Blume. Ein befreiender Regen strömte aus den Wolken. Wir schmeckten, süßes Wasser angenehm auf unserem Gesicht. Die Muscheln, die wir gesammelt hatten, verbrannten wir, seine rußige Flamme durchduftete das Zimmer, Geruch urweltlicher Bäume, deren Harz Jahrtausende überdauert hatte.

 

Manche behaupten, es zöge den Menschen immer in die Landschaft, in der seine Väter beheimatet waren. Demnach müssten die Vorfahren von halb Königsberg Fischer gewesen sein. Die Sache wird sich doch wohl anders verhalten.

(Fortsetzung folgt)

 

 

 

Seite 12   De lewe Kinderkes  

„Jao — jao — dao häwt doch eener noch emaol e recht Hartensfreid!“ Mit innigem Wohlgefallen strählt und bürstet Mutter Loneit die langen blonden Haare der Marjellens, in denen die Sonnenstrahlen mit neckischem Gefunkel Verstecken spielen. „Dat ös mi doch noch e ganz ander Korn“, säd de Meller un beet oppe Muusgrompel. — Jao — dät ös mi doch noch e ganz ander Sach wi disse ohle zoddrije Bubekepp, wo ömmer uutsehne wi e ohl awjefegt strompje Struukbessem! — Dao jammre un stähne se denn ömmer, dat se kein Jöld nich hebbe, aower färem Friseer dao ös ömmer Jöld, dem to mäste — dao schleppe se denn de Kinder rein ute Windle all hen und laote bi de fiew Haor ön säwe Rehje ook all „Dauerwelle“ maoke, dat de fine dönne Haorkes söck verfilze wie e ohl FilzwuschI Un kämme dohne se söck meindag nich oddentlich, damit doch die Frisur nich leidetl — Oh nä — wenn eener ömmer so e verfilzt Koppdack väre Ooges häwt, denn mott eener doch denke: Wat dao woll aller under hucke mag! — Un eenem jäkt dat önne Klaues, dao maol Grund to schaffe möt Waoter un jrön Seep un denn oddentlich motte Luushark hinderher! — Aoh nä — wat freit mi dat doch ömmer, so e hibsch blank Koppke te sehne un so glatte Zepp!“

 

Mutter Loneit streichelt liebevoll über die straffgeflochtenen Zöpfe und netzt den Zeigefinger an der Zunge, um damit ein vorwitziges Ringellöckchen auch noch fest in Reih und Glied zu kleben. „Aower wat? — bloßig wedder de ohle Spenges?! — Nä wenn Ju opp Jeburtstagsschmaus gaohne wolle, mott Ju ook Schleifes önne Zepp hebbe! — Wat? so e ohl Drapp! dat ös jao meer wi Heehnerkack!" Und richtig, unter ihren immer noch erstaunlich kräftigen Fingern zerschleißt die oft gebrauchte dünne Seide mit leisem Knirschen. „Schnurrz! — Seh Ju? — Jao „Wat old ös, dat rött!“ säd de Diewel, dao hadd he sien Großoma e Ohr awjeräte“. Ungerührt wirft Mutter Loneit die Fetzen beiseite. Dann holt sie ihren Einkaufbeutel vor und kramt darin, provozierend umständlich, um die Neugier der Mädchen auf Höchsttouren zu bringen, bis sie endlich unter deren Jubel funkelnagelneue leuchtendweiße Seidenbänder auswickelt. „Aber Mutter Loneit — Sie verwöhnen doch die Marjellens unverantwortlich und werden sie noch ganz eitel machen!" wage ich einen Einwand. „Ach wat! — Kleeder maoke Lied — Koddre maoke Lies!“ damit bindet Mutter Loneit die schon vorbereiteten Bänder zu prächtigen Schleifen, die lustig auf den Rücken der vor Freude und Vorfreude ganz exaltierten Marjellen wippen.

 

Durch das Küchenfenster sieht Mutter Loneit den Marjellens mit zärtlichem Wohlgefallen nach. „Herrjemersch nä — dat ös doch aower de reinst Gotteswunder, dat uut der Kleenst noch so e hibsch un munter Marjellke wäre kunn! Wenn eck noch denk, wi se uutseech — so dönne Aormkes un Beenkes un opjedräwne Buuk-ke un möt ehre veer Jaohr bloßig 17 Pfund — un dat weer doch all twee Jaohr naoh em Kriej un wi Se segge, hadde Se dao all dat Allerallerschlömmste all äwerstande! — Aower dao kann eener wedder sehne, wi wenig so eegentlich to em Läwe jeheert un wi onnödig alle de Fisematente sön, wo se hiedjendaogs mötte kleene Kinder opstelle! Dat fangt all önne Mutterliew damöt an! Dao sönd denn dat junge Wiewer, jesund un stark kannst e Rung önne Naosch tweibräke, aower denn renne se all värher bi e Doktersch un laote söck hinde un väre undersöke un Verhaltungsmaßrejle jäwe.

 

To mien Tied, dao weer wi junge Wiewersch jao noch nich so bewandert möt sowat alles, dao hadde wi jao noch kein Aohning nich von solke Undersökinge un dao kunn dat noch passeere, wi dat e jungverfriet Wiewke jejange weer. Dao weer nu all e paor Jaohr kein Kindersejen nich jekaohme un dao hadde goode Frind dem junge Mann geraode, dat doch maol woandersch to versöke, dat söck uutwiese sull, wer von beide annem fehlende Kindersejen schuld weer. Na, un dat hadd de jung Mann denn ook rasch sien Wiewke verklaort un öh ehr Angst, dat he dat woll ook waohr maoke wull, foot se söck e Hart un leet ehr Schamhaftigkeit tohuus un jing bi e Dokter, wi ehr Mutterke ehr dat jeraode hadd. Na de Dokter de heerd ehr ook niep to un wi se möt ehrem Klaoge to end weer, säd he: „Na, denn ziehen Sie sich mal unten herum aus!" Dao weer aower ons jung Wiewke oppe Dod verschrocke un staomert: „Achottke! nä, Herr Dokter — dem erschte Kindke hadd eck doch giern von mienem lewe Mannke jekräje!“

 

Jao jao — dat weere noch ander Tiede — aower dat ös e besonder Kapitel, davon war wi noch e andermaol rede! — Eck kann man bloß ömmer möttem Kopp schlackre, wat hiedjendaogs mötte Kinder alles so opjestellt un anjejäwe ward: Dao wäre so verpömpelt un vertöntelt dat eenem rein schlecht ware kann! Dao ös denn de Melk von een Koh nich good jenog un ook nich vonne ander vär so e Prinzke, dao ös denn ook nich Wienergrieß maol fin jenog fär sienem „zarte“ Maogke un et mott sonst wat sön, wat ön fröhere Jahre keiner nich kennt, un Keiskes un Plätzkes un weet de Diewel wat aller! Un Möhre un Äppels kann so e zart Maogke bloßig jeräwe krieje un alles mott värem extra jekokt ware un womäglich bloß Kalwfleesch un Duwkes möt zart Jemies — dat ös denn e Opstand un Jewese. Un wenn denn dem Prinz ke e Pupske dwars önne Naosch stockt, denn ward fortzig bi em Dokter hen jerennt — un denn ware dat aller so vermösquiemte halwkrepierte Fijure ohn Saft un Kraft (wo nich de Mamake ärem Rock loslaote) — wat sull denn dao ook andersch von ware?! — Aower eck segg Ju: Jäwt man june Babies e oddentliche Knust Growbrot to kaue, so e oddentlich verdreejte, denn ware se ook stark ware un jesundeTähn krieje! Und laot se man oddentlich Äppels un Möhre sölwe gnautsche, denn sön se bei „angenehm un nitzlich“ beschäftigt, un wenn se de denn önne Sand kullre, denn schaodt dat gaonuscht, denn de Sand schiert oddentlich dem Maoge uut! Dao weer eck doch maol kort värem Kriej ook anne See, ön Niekuhre weeret, un huckd dao mangke Strandkerw. Op eenmaol seh eck doch, wi dao dichtbie hinder eenem Strandkorw Twäsche (Zwillinge) von vleicht ¾ Jaohr hucke un eenträchtiglich, jeder von een End, anne dick fett Spöckaal von wo dree bis veer Pund naoge. Bet de jung Mama ute Waoter keem, weer baold nuscht mehr äwrig vonnem Aol. Na de fung jao nu e groot Jeschömp an oppe ‚Freilein‘, wo nich oppe Kleene un dem ewend jekoffte Aol opjepaßt had und lewer väre Korw huckd un möt eenem Schmisser hibsche Ooge wechseld, un lamenteerd un sackereert, wat de Babies nu woll starwe mußde. „Ach laote Se man, Fruke", treest eck ehr, „Se wäre sehne, dat ward de Kleene gaonuscht schaode!" Na un so weer et ook: Dem andre Dag huckte se dao wedder poppelostisch önne Sönnke! —

 

Herrjemersch nä, un wat so verpömpelt un vertöntelt Jissel ook terfraore sön — rein wi e Stöck Schiet! Dao bejejent eck doch vär e paor Wäke, wi dat so e böske önne Näs kneep von Frost, morjens dem eene Jungke von ne Naowersch (ook so e paor wittnäsije Hubberhaos kes!), wi he alleen un önjepummelt wi e Fastelaowends-Baor önne School jing. „Na is denn Dein Bruderche vleicht krank?“ fraogt eck em. „Ach nei“ säd he dao, „bloß es muss immer einer von uns inne Stub bleiben, weil der andre alle unsre warme Sachens auf einmal anziehen muss!“ - Ach Du jrieset Kattke!! Wenn eck dao an mienem Jingste, mienem Gustavke denk, wo ook önne verflucht letzt Kriej jefalle ös - nä wat weer dat färe Jung!! Wiveel Maol os de barwt un natt wi e Katt vonne Ies jekaome, wo he bi et Schorre önjebraoke weer, denn wenn bloßig e Näsloch voll Frost önne Nacht jewäse weer, weer doch bi em morjens kein Hohle nich! Enmaol dao fund eck em doch — he weer so e Butzerke von vleicht dree Jaohr — bei wo twintig Graod Frost önne kort Hemd buute barft önne Schnee staohne und dem Katt bi e Zaogel hochhohle. „Warscht rön!“ schrie eck em an, aower he blewt ruhig staohne: „Eck freer dem Katt, de Krät häwt mi jeklaut!“ — Jao, ons Kinder kunne nich bloß ömmer möt Granse un

Quare bie e Mutterke anne Rock bammle - dao hadde de Muddersch kein Tied nich un de jrötre Kinder mußde noch oppe Kleene oppasse un fär de graodstaohne. Dao kunn den ook maol sowat passeere: Wi hucke aller önne Kirch un et ös mucksenstöll, weil de Pfarrer so scheen predijt vonne Freide un Herrlichkeite des Jenseits un wi aller sön ganz in Andacht versunke — dao ward doch möt Jekrach de schwaor Körchedär opjeräte un de strubblige Flaßkopp von ons Naowersch Emil, wide vleicht fiew Jaohr weer, kickt rön: „Herr Pfarr, ös ons Ma hier?“ — „H — m!“ — „Aower se mott hier sön!! — Un se mott tohuus kaohme! Ons kleen Fried ---„ „Pst! Pst! Pst!“

 

„Dat ös man nich bloß „Pöß - pöß – pöß!“ De Fried häwt oppe Dösch jescheete, he firrzt un farrzt un ward noch mehr schiete!“

 

Jao — sowat kunn woll maol passeere! Aower wem schaodt dat ook wat? Dao mott eck doch möt onsem Herr Pfarr rede: „Dem Reinen is allens rein“.

Wanda Wendlandt.

 

 

 

Seite 12   Offener Brief an Frau von Bassewitz

Liebe Landsmännin aus Ostpreußen!

Ihre Erinnerung an die originelle Gärtnerin Anna Siegfried hat mir große Freude bereitet, sodass ich Ihnen danken möchte. Doch wird es Ihnen vielleicht auch etwas Freude machen, wenn ich einige Erinnerungen dazu füge.

 

Ich kenne Anna Siegfried gewiss länger als Sie, denn sie war ein „älteres junges Mädchen“ als sie in unserer Nachbarschalt, der Gärtnerinnen-Lehranstalt Wittenberg, mit Frau Ihssen-Loertzer zusammen wirkte. Zwischen all den jungen Lernenden wirkte sie, die Lehrerin, wie die Jüngste. Besonders aber trat sie mit Frohsinn in unseren Kreis, als ich mich der Gärtnerei zu einem Ausflug nach Masuren angeschlossen hatte. Bei einer Wanderung durch die Heide regneten wir derart nass, dass wir in einer ländlichen Kruge Halt machten, Schuhe und Strümpfe über den Herd hingen und uns im Saale barfuß trocken tanzten. Als eine von uns, tanzend, mit dem Kopf gegen die in der Mitte des Saales hängende Lampe stieß, schreiend nach oben sah, da hingen „Siegfriedchens“ nasse Schnürschuhe an den verknoteten Senkeln vom Beleuchtungskörper herab. „Warum biegt Ihr nicht aus?“ fragte die Siegfriedchen lachend und von da an wurde unser Tanz um die Mitte noch fröhlicher.

 

Jahre gingen hin. Der erste Weltkrieg ließ mich allein — Mann und Bruder waren einberufen worden. Von eines alten Onkels Erbschaft besaß ich etwas Geld, das aber, der Inflation zufolge, immer weniger wurde, sodass ich so schnell wie möglich mir ein altes Haus mit verwuchertem Garten in Quednau kaufte. Wer kam mir helfen, als alt neu machen?“ Die Siegfriedchen! — Ich glaube, es waren noch dieselben Schuhe von der Hängelampe, die sie in knapper Zeit noch trug und diese Schuhsohlen haben so oft kräftig den Spaten in die Erde gestoßen. Sie arbeitete unverdrossen und ihr Zimmer sah ähnlich aus, wie Sie, Frau von Bassewitz, es schilderten. Gingen wir am Nussbaum vorbei, begann ich zu singen:

 

„Es grünt ein Nussbaum vor meinem Haus, duftig, duftig breitet er seine Äste aus“.

 

Da begann die Siegfriedchen mitzusingen, aber sie sang immer daneben. Doch als der Nussbaum Früchte trug da war, die Siegfriedchen in ihrem Element. Alle Morgen sammelte sie die grün und schwarz gefleckten Mäntelchen der harten Walnüsse in ihre sackleinene Hängeschürze. Die sah bald traurig aus, und schüttete alle in ihr Zimmer. „Das gibt schöne Ernte zu Weihnachten“ strahlte meine Gartenhilfe. „Sie müssen erst dann in meine Stube kommen, wenn alles da ist".

 

Als der Baum kahl war, ging ich nach oben. Schon der Türdrücker fasste sich feucht an. Aber erst das Zimmer! Siegfriedchen saß auf einem umgekippten Blumenkasten am Fußboden, um sie herum lagen Wälle von Walnüssen, dazwischen alles, was sie an Schalen, Töpfen, Körben hatte auftreiben können; und gefüllte Gießkannen standen herum. Die arbeitenden Hände waren dunkelbraun verfärbt, da die äußeren Nussschalen, von den Fingern abgelöst, alles, was sie berührten, schwärzten; dunkle Wasserlachen sammelten sich auf den gescheuerten Dielen. In den Gefäßen stand alles schwarzbraun. Spritzer bemusterten die Bettdecke, den Vorleger, die Gardinen. Und die Schürze über Siegfriedchens Knien spreizte sich straff und das Wasser floss auf ihre Strümpfe. Ich stand und sah. Ich unterdrückte einen Seufzer. Unterdrückte ihn, denn die guten, blauen Augen sahen mich so strahlend und siegesbewusst an, dass ich nicht den Mut hatte, etwas gegen dies Unternehmen zu sagen. — Am anderen Tage war es ähnlich: da hatte die Attentäterin alle nassen Nüsse, alle aufgeweichten Schlauben auf das Pappdach gelegt, das vor ihrem Fenster den Anbau deckte. Dazwischen sortierte, die Siegfriedchen, ihre Schätze, die Stiefelsohlen waren schon quatschnass. „Unten muss ich auch noch suchen", meinte sie, „die Kreeten rollen mir immer runter“. Schon färbten die braunen Sohlen die Treppenstufen. — Auch da siegte meine Gutmütigkeit und ich bewunderte alles mit großem Dankgefühl.

 

Später habe ich die Siegfriedchen nur noch einmal gesehen. Sie saß in der Elektrischen. Dieselben Schuhe erkannte ich an dem Flick am Ballen. In ihrer Jacke steckte eine Pelargonienblüte. „Hab ich gefunden“, sagte sie stolz, „die lag auf dem Markt, der wurde schon gefegt“ — „Hübsch“, meinte ich bewundernd. Ich merkte, dass sie, mir gegenüber, einschlief. Ihr Kopf fiel haltlos auf die rote Blume. „Fräulein Siegfried, Sie müssen raus, hier ist Lobeckstraße“, und ich half ihr. Ich hätte sie lieber schlafen lassen, sie war müde nach all Ihrer: Lebensarbeit. — Es ist gut, dass die Originale nicht aussterben. —

In diesem Sinne grüßt Sie Ihre alte

Erminia von Olfers

 

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (8)

Liebe ostpreissische Landsleite!

Geradzig wie ich anfangen will mittes Schreiben, is hier mit eins inne Stub e große Aufregung. De Emma war e bische rausgegangen aufem Hof und hat draußen e Fuchs gesehn, wo bei die drei lahme Hiehner vom Bauerochse reinwold. Vleicht war er auch all drin gewesen. Der Fuchs hat de Emma nu ganz tief inne Augen gekickt, weiter aber auch nuscht, und nu is se ieberzeigt, dass se de Tollwut kriegd. „Er hat dir doch nich gebissen“, sagd ich. „Ja“, meind se, „aber das Ankicken is menchsmal gefährlicher wie das Beißen. Das heiß Augendiagnose." Se lässt sich ebend nuscht nich sagen. Wenn se nu de Tollwut wenigstens mit Ruhe und Genuss erwarten mechd, sich inne Eck am Ofen hucken und de große Löcher in meine Strimpfe stoppen mechd, bis der Tollwutgeist ihr bedrickt. Ich mechd schon aufpassen, wenn se anfängt, nach mir zu schnappen und ihr de Kinnladen zubinden. Aber mit die is ja nuscht zu machen. Jetz rennt se inne Stube rum von eine Eck inne andre und lamentiert, was ihr auch all alles passieren muss und dass ich kein Herz nich fier ihr hab und dass ich ruhig weiterschreib, als wenn garnuscht passiert is. Und dabei kann se jedem Augenblick dem Verstand verlieren und dem Kichentisch anbeißem. Nu wurd es mir aber doch zu viel, ich stand auf und sagd: „Jetz riehrst dir aufe Stell e Schisselche Majonnäsensoß zusammen, denn so trocken schmeckt der Tisch nich, und ohne Soß rutscht das Holz schlecht durche Gurgel runter“. Da hädd ich nu aber erst richtig immen Schmalztopp reingetrampelt. Ersparen Se mir dem Rest, es war firchterlich. Vonnes

Ankicken kann iberhaupt keiner nich de Tollwut kriegen, und dem Bauerochse seine verhungerte Hiehner werden auch keine tollwietige Eiers nich legen. Aber der muss ebend noch geboren werden, wo de Emma einem Blödsinn ausreden kann, wo se sich eingeredet hat. Soll ich ihr nu impfen lassen? Neetig is es bestimmt nich, aber emmend beruhigt es ihr. Oder zieh ich ihr nachdem, wenn se das Schlimmste ieberstanden hat und sich hinhaut, wieder orndlich de Beine lang? Denn kriegt der Tollwut-Bazillus Angst und hopst von ihr weg. Jedenfalls schreib ich ruhig weiter und lass mir von ihr besacken. Das ärgert ihr am meisten, wenn ich still bin. — Eben kreischt se und rollt ganz schrecklich mitte Augen, dass ich denken soll, es is all soweit. Aber dadrauf fällt e heeherer Postbeamter nich rein. Soll se man richtig dem Stuhl anknabbern und de Wände inne Höh gehen, sonst glaub ich ihr de Tollwut einfach nich. — Eine Aufregung is das heite bei uns! Ebend rief mir der Bauerochse raus und wolld wissen, warum de Emma so brilld und ob wir sich priegeln. Aber in Wirklichkeit ging es ihm garnich umme Emma und um dem Fuchs, wo ieberhaupt e großer Kater gewesen war, wie sich jetz rausstellt, sondern um seinem schlechten Gewissen. Sehn se, das kam so: Unsre Kartoffel im Stall wurden im Zusehens weniger und weniger. Und immer passierd es inne Nacht. Da ließ ich mir vom alten Jurgeleit, wo auch hier innes Dorf wohnt, e paar Meisefallen bauen. Das versteht er sehr gut, und wenn der Biegel von seine Fall rumhaut, denn kann es einem foorts de Fingerknochen brechen. Drei Stick von diese Fallen stelld ich nu abends aufe Kartoffel rauf, und am andern Morgen hädd der Bauerochse mit eins seine rechte Hand mit e großem Kodder bewickelt. Ich hab nuscht gesagt, bloß so richtig dreckig gegrinst. Dadrauf grinst der Bauerochse auch, aber nicht dreckig, sondern ängstlich und verlegen, als wenn e ungezogner Gnoß dem Rohrstock sieht. So ging das nu all drei Tage. Immer wenn wir sich trafen, sagden wir nuscht, sondern grinsden bloß. Und nu hielt er dem Zustand nich mehr länger aus, sondern wolld bei mir raushorchen, ob ich ihm in Verdacht hädd. „Ich hab mir doch mittes Brotmesser geschnitten“, meind er. „So? Schneiden Se denn mitte linke Hand?“ „Nei, das passierd beis Wetzen“. — Große Pause, und ich grinsd noch dreckiger wie sonst. Denn sagd ich: „Und wie kommt das, dass auf meine Kartoffel ausgerechnet dieselben Knöpfe wachsen, wie an Ihrem Ärmel dran sind?“ Dabei hield ich ihm einen Knopf untre Tuntel, wo ich auf meine Kartoffel gefunden hädd. Da wurd er aber fuchsteufelswild und brilld: „Ach, Sie denken vielleicht, ich geh mir an Ihre dreckige Kartoffel vergreifen, wo ich selbst genug von hab. Wenn Se mir hier auf meinem eignen Hof beleidigen, werd ich Ihnen e Räumungsklage am Hals hängen. Denn das brauch ich mir ja nu nich gefallen zu lassen!“ Dadrauf grinsd ich noch dreckiger, ließ ihm stehen und ging zurick bei e Emma. Jetz heer ich ihm draußen weiterbrillen, und de Emma hat direkt ihre ganze Tollwut vergessen. Anne Kartoffeln wird der Bauerochse nu nich mehr rangehen. Eigentlich is sowas ja kaum zu glauben, aber das war nich das erste Mal, dass ich ihm bedrickt hab. Er will uns ebend rausekeln, indem er uns dem Aufenthalt so ungemietlich wie bloß irgend meeglich. Aber diesmal lass ich mir das nich mehr gefallen. Morgen geh ich beim Schiedsmann und verklag ihm. Missen Se sich mit Ihrem Hauswart auch so rumärgern? Schreiben Se mir doch mal! Wissen Se, wenn einer sich so kujenieren lassen muss, dass einem rein der Kragen platzen könnd, denn spiert einer doppelt und dreifach, was einer verloren hat. Wie gemietlich war es doch zu Haus, geradzig jetz inne Fastnachtszeit! Wie scheen schmeckden die fetten Krapfen, und wie kreischden de Mergellens beis Tanzen und Hoppsen! Und dazu denn die geistreichen Pillkaller Ballgespräche: „Freilein, essen Se gern Erbsen?“ „I nei, die kullern immer so vonnes Messer!“ -  Oder „Freilein, haben Se schon die scheenen Toaletten bewundert?“ „Nei, ich war noch nich draußen“. — Oder: „Freilein, mechden Se gern e Schwan sein?“ „I wo, bloß nich! Denken Se man, dem ganzen Tag mittem Bauch innes kalte Wasser liegen!“ Pillkallen war ieberhaupt e beriehmte Stadt, sogar einen scheenen Schnaps hädden se nach ihr getauft. Ich bin in meine junge Jahre mal in Pillkallen gewesen, weil mir einer dort zufreien wolld, aber es wurd nuscht drauß, weil die Mergell Glotzaugen wie e Pogg hädd und e Stimm wie e Reibeisen. Se schlug auch mitten Knippel, dass der eigene Vater vor ihr Angst hädd. Da zog ich mir zurick, und das war gut, sonst hädd ich de längste Zeit von mein Leben emmend mit gebrochene Rippen innem Kreiskrankenhaus gelegen. Damals passierd auch die Sache mit dem Gumbinner Regierungsrat. Der hädd sich innem Breslauer Hof geheerig beschlaucht und vergessen, wo er wohnd. Deshalb ging er ohne Hut und Mantel raus, und ein Polezist fand ihm im Rinnstein untre Latern, wie er mitte Hand inne Umgebung rumgrabbelt. „Suchen Se was?“ fragd er heeflich. „Ja, ich such meine Brieftasche, die is weg!“ Nu half der Polezist suchen, und es kamen immer mehr Leite, wo sich an die Sucherei beteiligten. Auch der Birgermeister kam und andre, wo mit ihm im Krug gesessen hädden. Aber die Brieftasche war weg und blieb weg. Endlich fragd ihm einer, wo er de Tasch zuletzt gehabt hädd. Das wussd er nich mehr, aber er wussd genau, dass er se aufe andre Seit vonne Straß verloren hädd. „Ja, aber warum suchen Se denn hier und nich aufe andre Straßenseit?"“ „Ich mechd ja all, aber da is so diester!“ — Sehn Se, so gemietlich war das damals in Pillkallen und ieberall bei uns zu Haus. Nu wird es langsam Friehling werden, und der wird auch unsre Hoffnung wieder e bissche aufleben lassen. Jedenfalls denken wir gar nich dran, uns damit abzufinden, dass wir unsre Heimat verloren haben. Meegen se reden und schreiben, was se wollen, einmal werden wir dem guten alten Pillkaller auch wieder in Pillkallen hintrem Schlips gießen. Womit ich mir fier heite von Ihnen verabschiede. Herzliche Heimatgrieße!

Ernst Trostmann Landbriefträger z. A.

 

 

Seite 13   Heimkehrer-Aussagen über Zivilgefangene

Wir veröffentlichen nachfolgend Namen von in die UdSSR Verschleppte, die dort noch zurückgehalten werden, bzw. dort verstorben sind. Der Suchdienst Hamburg ist bemüht, die Anschriften der Angehörigen zu ermitteln, um sie benachrichtigen zu können. Sollten Sie die Namen und Anschriften von Angehörigen kennen, schreiben Sie an den Suchdienst Hamburg, Abteilung II (Zivilvermisste), Hamburg-Altona, Allee 131.

 

Allenstein oder Umgebung von Allenstein, die Angehörigen des Dieter Arend, geb. etwa 1930, stammte von einer Landwirtschaft.

 

Allenstein: die Angehörigen des Karl Büttner, geb. etwa 1901; hatte einen Sohn.

 

Angerapp: die Angehörigen des Karl Gehrmann, geb. etwa 1900, Bäcker.

 

Kreis Allenstein: die Angehörigen der Jutta Klinger, geb. etwa 1922

 

Bartenstein: die Angehörigen der Frau Lindemann, geb. etwa 1900, verheiratet, 1 Kind.

 

Bartenstein, vermutlich Memelstraße: die Angehörigen der Maria Schneider, geb. etwa 1902. Ihr Ehemann war Oberzahlmeister

 

Blankenberg, Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Herrn Vorname vermutlich Anton Rautenberg, geb. etwa 1895, Bauer. Vermutlich wurde seine Tochter ebenfalls verschleppt.

 

Bogen, Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Josef Schmeier, geb. etwa 1906, Landwirt. Er wurde mit dem Amtsvorsteher Mandel aus Bogen zusammen verschleppt.

 

Braunsberg: die Angehörigen der Anni Braun, geb. etwa 1927, Hausgehilfin.

 

Elbing: die Angehörigen des Herrn Vorname vermutlich Karl Raatz, im Stadtwerk der Firma Schichau als Kantinenverwalter tätig, guter Cellospieler. Seine Ehefrau war eine geborene Bitter.

 

Elbing: die Angehörigen der Erna Reimers, geb. etwa 1924

 

Elbing: die Angehörigen der Frau Rhode, geb. 1905/1915, verheiratet, hatte drei Kinder.

 

Elbing: die Angehörigen des Otto Brodowski, geb. etwa 1900, Elektriker

 

Elbing: die Angehörigen der Frau Martha oder Meta Eglinski, geb. etwa 190?, verheiratet.

 

Elbing: die Angehörigen des Herrn Bluhm, geb. etwa 1900, und seines Sohnes, geb. etwa 1929.

 

Elbing: die Angehörigen der Frau Hardass, Kaufmannsfrau.

 

Elbing: die Angehörigen der Irmgard Heller.

 

Elbing: die Angehörigen der Mia Laabs, und ihrer zwei Schwestern, geb. in der Zeit zwischen 1915 bis 1925

 

Elbing: die Angehörigen der Gretel Richter, geb. etwa 1928

 

Elbing: die Angehörigen des Herrn Sachs, geb. etwa 1890, bei der Straßenbahn angestellt.

 

Elbing: die Angehörigen des Ewald Sperling.

 

Elbing: die Angehörigen des Herrn Eichholz, geb. etwa 1890, Schlosser auf der Schichau-Werft. Sein Sohn war gefallen, die Schwiegertochter wohnte Bunsenweg 3.

 

Elbing: die Angehörigen der Gertrud Hippler, geb. etwa 1923.

 

Elbing: die Angehörigen der Frau Koschorreck, geb. etwa 1922. Der Vater soll Postbeamter gewesen sein.

 

Elbing, vermutlich Klein Wunderberg, Ecke Sternstraße: die Angehörigen des Oskar Krebs, geb. etwa 1904. Seine Ehefrau wurde ebenfalls verschleppt. Der Sohn Walter arbeitete in der Käserei Wüthrich, Mühlendamm.

 

Elbing, Nähe Königsberger Tor/Vogelsang: die Angehörigen des Erich Sager, geb. etwa 1908. War auf der Schichau-Werft tätig.

 

Elbing: die Angehörigen der Frieda Wagner, geb. etwa 1914, Angestellt.

 

Elbing: die Angehörigen des William Wenzel, geb. etwa 1892, Motorschiff-Besitzer

 

Kreis Elchniederung: die Angehörigen der Rosa Auskat.

 

Kreis Elchniederung: die Angehörigen der Minna Knoch, geb. etwa 1895, verheiratet, drei oder vier Kinder.

 

Ellernitz-Zuckau, Kreis Karthaus: die Angehörigen des Herrn Patzke, geb. etwa 1905, verheiratet, Eisenbahner.

 

Fischhausen, Kreis Samland: die Angehörigen des Otto Schwarz, verheiratet, mehrere Kinder, von Beruf: Melker.

 

Gerdauen: die Angehörigen der Johanna Bork, geb. etwa 1900, verheiratet.

 

Gegend von Allenstein: die Angehörigen der Frau Schittka, geb. etwa 1895, und ihre Tochter Lieschen, geb. etwa 1929. Frau Schittka war Bäuerin.

 

Hirschfeld, Kreis Preußisch Holland: die Angehörigen der Erna Görcke, geb. etwa 1930

 

Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Anton Gehrmann, geb. etwa 1910, Landwirt

 

Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Herrn Hantel, geb. etwa 1900

 

Heilsberg: die Angehörigen des Kurt Behrendt, geb. etwa 1900, Autovermieter.

 

Kreis Insterburg: die Angehörigen der Hannelore Seger, geb. etwa 1928, Studentin

 

Insterburg: die Angehörigen des Hans Becker, geb. etwa 1931

 

Krauden (auch Krauleiden genannt), Kreis Tilsit-Ragnit: die Angehörigen des Herrn oder der Frau Gernus oder Girnus, geb. etwa 1901.

 

Königsberg, Schönfließer Allee: die Angehörigen des Kurt Eggert, geb. etwa 1902, Werkmeister bei der Firma Steinfurt.

 

Königsberg, Nasser Garten oder Knochenstraße: die Angehörigen des Vorname Fritz oder Bruno Gehrke, geb. etwa 1916, Rundfunkmechaniker, arbeitete in einem Geschäft Auf dem alten Garten, verheiratet, zwei Kinder.

 

Königsberg: die Angehörigen des Dr. Röder, geb. etwa 1886, Chemiker. Er stammte aus München und war während des Krieges in Königsberg tätig.

 

Königsberg: die Angehörigen des Adolf Tesch, geb. 1892, Vorarbeiter. Sein Bruder Kurt Tesch soll in Ketschendorf bei Berlin wohnhaft gewesen sein.

 

Königsberg: die Angehörigen des Herrn Feyerabend, Rechtsanwalt.

 

Königsberg, Studentenhem Schietenberg: die Angehörigen des Herrn Liedke, geb. etwa 1895, Pensionär

 

Königsberg, Schönfließer Allee 28a: die Angehörigen des Pilzecker, geb. etwa 1895, Generalvertreter der Feurich-Keksfabrik. Er hatte drei Söhne und eine Tochter Helga. Eine Schwiegertochter hieß Ursel.

 

Königsberg: die Angehörigen des Herrn Schmidt, geb. etwa 1890, Werkmeister bei der Reichsbahn.

 

Königsberg, Juditter Allee: die Angehörigen des Herrn Wolf, geb. etwa 1900, angestellt im Konfektionshaus Siebert in Königsberg. Seine Ehefrau stammt aus Marienburg, Westpreußen, und war eine geborene Treuge. Sie hatte zwei Töchter.

 

Königsberg: die Angehörigen des Fräulein Albrecht, geb. etwa 1915, Sportlehrerin.

 

Königsberg, vermutlich Strötterstraße: die Angehörigen der Frau Vorname vermutlich Gisela Hinkel, geb. etwa 1907. Studienrätin.

 

Königsberg-Kohlhof: die Angehörigen der Eliese Kohn, geb. etwa 1901, verheiratet, ein Sohn Dieter, geb. etwa 1930. Elise Kohn war Aushilfsverkäuferin bei Kepa, der Ehemann am Schlachthof tätig.

 

Königsberg: die Angehörigen des Siegfried Seidler, geb. etwa 1930

 

Königsberg oder Kreis Samland: die Angehörigen der Frau Suhr, geb. etwa 1910; Ehemann war Melker, sie hatten mehrere Kinder.

 

Königsberg-Ponarth: die Angehörigen der Martha Buchholz, geborene Neumann, geb. etwa 1900

 

Königsberg: die Angehörigen der Margot Polokowski, geb. etwa 1920

 

Königsberg: die Angehörigen der Anna Reinke oder Reineke.

 

Königsberg, Oberhaberberg 44: die Angehörigen des Günter Seifert, geb. etwa 1931. Der Vater war Schuhmacher

 

Königsberg, Friedmannstraße 51, Hof II: die Angehörigen des Ehepaars Stürmer. Herr Stürmer war Hafenarbeiter.

 

Königsberg-Rosenau, Schrebergarten: die Angehörigen des Erich Evert.

 

Königsberg-Rosenau, Schrebergarten: die Angehörigen der Lisbeth Darige.

 

Königsberg, Am Ziegelhof 2: die Angehörigen des Eduard Laser, geb. etwa 1877, verheiratet, Oberlandjägermeister i. R.

 

Königsberg, vermutlich Samitter-Allee: die Angehörigen des Herrn Ludwig, geb. etwa 1903, verheiratet, drei Kinder (?), Klempnermeister.

 

Königsberg-Juditten: die Angehörigen der Minna Minuth, geb. etwa 1895.

 

Kersten, Kreis Sensburg: die Angehörigen der Gerda Sender, geb. etwa 1927, ledig.

 

Lötzen: die Angehörigen der Minna Dreier, geb. etwa 1910, verlobt, Abteilungsleiterin bei den Gebr. Rimmek/Lötzen.

 

Lengden, Kreis Leipe: die Angehörigen der Emilie Bonkowske, geb. etwa 1910

 

Langanken, Kreis Sensburg: die Angehörigen der Helene Johr, geb. 27.02.1927, Bauerntochter. Ihre Schwester Gertrud Obenauf soll in Gera (Thüringen) wohnhaft gewesen sein.

 

Mohrungen: die Angehörigen der Erna Klein.

 

Marienburg: die Angehörigen des Kurt Soot, geb. etwa 1925

 

Mohrungen: die Angehörigen des Herrn Olschewski, geb. etwa 1900, Fleischermeister

 

Mohrungen: die Angehörigen der Gertrud Pelz, geb. etwa 1920.

 

Neuteich, Kreis Gr.-Werder: die Angehörigen der Frau Kunkel, geb. etwa 1900, verheiratet, zwei Kinder.

 

Neidenburg: die Angehörigen des Friedrich Hartmann

 

Ostpreußen, vermutlich aus dem Kreis Tilsit-Ragnit (Memelgebiet): die Angehörigen der Irmgard Grigoleit, geb. etwa 1924. Der Bruder Gerhard Grigoleit, Autoschlosser, wurde ebenfalls verschleppt.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Frau Vorname Martha oder Anna Volkmann, geb. etwa 1907

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Geschwister Gertrud Abermeit, geb. etwa 1928, und Martha Abermeit, geb. etwa 1929.

 

Ostpreußen: die Angehörigen eines Herrn oder Frau Ditjurkies, geb. etwa 1900

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Herrn Erdmann. Seine Tochter wurde ebenfalls verschleppt.

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Gustav Dahl Wagenbauer.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Gertrud Dreier, geb. etwa 1926

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Else Hoppe, geb. etwa 1922, Landwirtschaftsgehilfin.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Ida Kröhnert, geb. etwa 1920

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Frau Hartrich, geb. etwa 1910

 

Kreis Ortelsburg: die Angehörigen der Gertrud Drenseck, geb. etwa 1925. Der Vater war Bauer im Kreis Ortelsburg und ihre Schwester Grete war Verkäuferin bei Thams & Garfs in Domnau, Ostpreußen

 

Preußisch Eylau: die Angehörigen des Gustav Schäfer, geb. etwa 1895, Arbeiter.

 

Rössel: die Angehörigen der Elisabeth Erdmann, geb. etwa 1910. Sie führte ein Lebensmittelgeschäft, ihr Ehemann war Wachtmeister.

 

Schippenbeil, Kreis Bartenstein oder Umgebung: die Angehörigen der Erna Kutzki, geb. etwa 1923. Die Eltern besaßen einen Bauernhof in Lauternhagen, Kreis Heilsberg.

 

Sensburg: die Angehörigen der Waltraud Salomon.

 

Sensburg: die Angehörigen der Gertrud Stalinski, geb. etwa 1931, Haustochter

 

Tilsit: die Angehörigen des Dr. Weißhaar, geb. etwa 1900, vermutlich aus Berlin stammend. Arzt, vermutlich Professor-Titel

 

Sternberg, Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Franz Thiel, geb. etwa 1900. Landwirt. Er hatte zwölf Kinder

 

Willenberg, Kreis Ortelsburg: die Angehörigen des Wilhelm Meitza, geb. etwa 1895, Landwirt. Seine Tochter Ida Meitza, geb. 10.09.1924, soll in Langenwetzendorf, Thüringen wohnhaft gewesen sein.

 

Westpreußen, Ostpreußen oder Pommern: die Angehörigen der Schwestern Edith Scheffler und Elly Scheffler, geb. in der Zeit zwischen 1918 und 1925. Beide waren Landarbeiterinnen.

 

Westpreußen, vermutlich Elbing: die Angehörigen der Frau Bergmann, geb. etwa 1910

 

Wilhelmshöhe, Kreis Preußisch Eylau: die Angehörigen der Elli Sanewski, geb. etwa 1923

 

 

Seite 13   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg – Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihrer Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären!

 

Adlermarkt, Kreis Angerapp: Gerhard Grabowski, geboren 19.12.1937, und Werner Grabowski, geb. im Februar 1944, von ihrer Tante: Therese Grabowski, geb. 19.12.1905

 

Allenstein, Engelsberg 39: Paul Kiwitt, geb. 18.05.1933, und Horst Kiwitt, geb. 23.08.1939 in Allenstein, von ihrer Tante: Inge Kannenberg, geborene Skrotzki, geb. 07.03.1923

 

Birgen, Kreis Tilsit: Willi Haag, geb. 1933, und Ursula Haag, geb. 1934, von ihrem Bruder: Heinz Haag. Die Kinder sollen nach Litauen gegangen sein.

 

Corkeiten, Kreis Samland: Heidi Szambin, geb. 04.04.1940 in Corjeiten, von ihrer Tante: Helene Ewert, geborene Vogel, geb. 03.03.1915

 

Cranz, Kreis Samland, Ostpreußen, Kirchenstraße 10: Horst Zachran, geb. 20.11.1944, von Lisa Franz, geb. 23.04.1924.

 

Didzeln, Kreis Heydekrug, vermutlich bei Lene Hoppe: Inge-Erika Hermann, geb. etwa 1941/1942 in Wuppertal-Barmen, von ihrer Tante: Emilie Babe, geborene Artschwager, geb. 26.12.1900. Das Kind soll nach einem Luftangriff auf Wuppertal-Barmen im Jahre 1943 in den Kreis Heydekrug, Ostpreußen, vermutlich Didszeln, zu Verwandten evakuiert worden sein. Die Eltern des Kindes sind verstorben. Frau Lene Hoppe, etwa 30 bis 35 Jahre alt, aus Didzeln könnte über Inge-Erika Hermann, geb. etwa 1941/1942 Auskunft geben.

 

Döhrings, Kreis Rastenburg: Hans Scheffler, geb. 15.09.1937 in Döhrings, von Rudi Sahm, geb. 19.01.1929. Hans Scheffler befand sich 1946 in Hanzhagen in Pommern.

 

Friedrichswalde, Kreis Samland: Christel Kallweit, geb. im Oktober 1938, und Erwin Kallweit, geb. im Juli 1941, von ihrer Tante: Frieda Knöffler

 

Gertlauken, Kreis Labiau, bei Anna Domscheit: Gerda Rentz, geb. 16.09.1939 in Königsberg, von ihrer Mutter: Minna Gebhard, geborene Rentz, geb. 23.05.1909.

 

Heiligenbeil, Herzog-Albrecht-Straße 7: Waltraud Unruh, geb. im März 1934 in Heiligenbeil, von ihrer Großtante: Johanne Wilhelm, geborene Pelikan, geb. 22.11.1884

 

Hermsdorf, Kreis Preußisch-Holland: Manfred Kerst, geb. 30.01.1938, von seinem Vater: Rudolf Kerst, geb. 28.03.1900. Manfred Kerst ist mit den Großeltern Hugo und Minna Arndt aus Hermsdorf, Kreis Preußisch-Holland, geflohen. Alle drei sollen bis in den Kreis Stolp, Pommern, gekommen sein.

 

Königsberg-Ratshof: Klaus-Dieter Freimann, geb. 06.12.1940 in Königsberg, und Dieter-Jürgen Freimann, geb. im Juli 1943, von ihrem Onkel: Walter Kitscha, geb. 20.01.1918

 

Königsberg, Bismarckstraße 4: Erika Schulz, geb. 1939 in Königsberg, von ihrem Onkel: Walter Schulz, geb. 17.02.1913

 

Königsberg, Selkestraße 2: Gisela Freitisch, geb. 1937 in Königsberg, von ihrer Tante: Elisabeth Chucholowski

 

Kuttenhof, Kreis Tilsit-Ragnit: Marianne Reintraut Link, geboren 16.10.1942 in Kuttenhof, von ihrer Mutter: Herta Link, geb. 23.09.1922 in Ostmoor. Mutter und Kind sowie Großmutter Auguste Böhm, geboren am 5. Juni 1864, befanden sich am 12. Februar 1945 von Kuttenhof aus auf der Flucht. Sie kamen mit der Bahn bis Heiligenbeil. Der Bahnsteig musste geräumt werden, weil ein Lazarettzug eintraf. Die Kindesmutter, die das Gepäck fortschaffte, gab das Kind der Großmutter in Obhut. Als die Mutter zu der betreffenden Stelle zurückkam, war die Großmutter mit dem Kind nicht mehr da. Marianne Link hat blaue Augen, blondes Haar, und als besonderes Merkmal am linken Bein eine kleine Brandnarbe.

 

Lindental, Kreis Elchniederung: Dieter-Wolfgang Sakautzki,geb. 19.04.1936, Alfred-Klaus Sakautzki, geb. 30.07.1939, und Renate-Irene Sakautzki, geb. 24.07.1943, von ihrer Tante: Auguste Rochna, geborene Sakautzki, geb. 02.04.1898. Die Kinder befanden sich im März 1945 in Wolfsdorf, Kreis Samland.

 

Memel, Baderstraße: Hertha Gerteit, geb. 22.07.1940 in Memel, von Ruth Götze

 

Siegenau, Kreis Johannisburg: Hellgard Garstka, geb. 10.12.1940, und Reni Garstka, geb. 24.01.1942, von ihrer Tante: Anna Bogun, geborene Papies, geb. 4.10.1913. Die Mutter Baldfriede Garstka, geborene Papies, wird ebenfalls noch gesucht.

 

Schröttersburg, Krankenhaus: Helga Schütz, geb. 22.09.1941 in Warschau, von ihrer Mutter Magdalena Schütz, geborene Gede, geb. 12.05.1905

 

Arissau, Kreis Samland: Eckhardt Mai, geb. 17.03.1941 in Königsberg, und Anneliese Mai, geb. 08.08.1942 in Arissau, von ihrem Vater: Ernst Mai, geb. 18.03.1905. Außerdem wird die Mutter Frieda Mai, geb. 18.12.1911 in Lischkau, Kreis Samland, gesucht. Die Gesuchten sollen zuletzt in Schloßberg, Ostpreußen, gesehen worden sein.

 

Buddern, Kreis Angerburg: Rosemarie Schulzki, geb. 09.10.1942 in Buddern, von ihrer Großmutter: Auguste Schulten, geb. Schultzki, geb. 18.01.1884.

 

Groß-Dirschkeim, Fliegerhorst, Kreis Samland: Klaus-Dieter Freimann, geb. 06.12.1941, und Dietmar Freimann, geb. 26.09.1943 in Königsberg, von ihrem Onkel: Walter Kitschka, geb. 20.01.1918.

 

Gumbinnen, Bismarckstraße 72: Dieter Zwirnlein, geb. 09.06.1941, von seiner Mutter: Lina Zwirnlein, geb. 27.04.1901. Das Kind befand sich im Februar 1945 mit der Mutter auf der Flucht. Während eines Fliegerangriffes am 9. Februar 1945 auf dem Bahnhof Neubrandenburg mussten sie den Zug verlassen. Infolge der Wirrnisse verlor die Mutter den Knaben. Später hörte sie, dass eine unbekannte, etwa 40-jährige Frau, die aus Memel stammen soll, sich des Kindes angenommen hat. Dieter Zwirnlein, geb. 09.06.1941 in Gumbinnen, hat blaue Augen, mittelblondes Haar und trug am Verlusttage einen blauen gestrickten Pullover mit roten Streifen, blaue gestrickte Hose, schwarzen Mantel und eine hellblaue gestrickte Mütze. Welche Frau nahm sich in Neubrandenburg des Kindes an oder kann über den Verbleib des Knaben Auskunft geben.

 

Gumbinnen: Karl-Heinz Rimkus, geb. 1940/1942 in Königsberg, von Walter Reddig, geb. 24.03.1901.

 

Insterburg, Königsberger Straße: Heide Jehrmann, geb. etwa 1943 in Insterburg, von Albert Schwarzkopf, geb. 20.05.1888

 

Königsberg, Nassengärter Feuerweg 50/I.: Ingrid Becker, geb. 21.05.1938 in Königsberg, von ihrem Vater: Karl Becker, geb. 07.12.1906. Ingrid Becker wohnte bis Juni 1947 in Königsberg-Ponarth, Dreysestraße, Block 12.

 

Königsberg, Nasser Garten 114: Christel Risack, geb. 11.08.1933 in Königsberg, von ihrer Tante: Lisbeth Norrmann, geborene Widitzki, geb. 14.06.1894.

 

Königsberg-Ballieth, Kaserne, Block 4: Inge-Marlies Podak, geb. 18.07.1942 in Königsberg, von ihrem Vater: Willy Podak, geb. 14.03.1912. Das Kind befand sich zuletzt bei der Mutter, die ebenfalls noch vermisst wird. Mutter und Kind wollten mit Lotte Dölle am 23.01.1945 Königsberg verlassen und in Richtung Berlin fahren.

 

Aweyden, Kreis Sensburg: Karl Koyro, geb. 1944 in Borkenwalde, von seiner Mutter: Friedel Volgenau, verwitwete Koyro. Karl Koyro soll 1945 im Waisenhaus in Sensburg gewesen sein.

 

Groß-Franzdorf, Kreis Insterburg: Walter Massalski, geb. 02.05.1934 in Franzdorf, von Frieda Steffen, geborene Massalski, geb. 23.07.1924

 

Friedrichsfelde, Kreis Gumbinnen: Renate Nikoleit, geb. 29.08.1941 in Friedrichsfelde, von ihrer Mutter: Hilda Nikoleit, geb. 03.04.1920

 

Georgenwalde, Kreis Samland, Steinstraße, Haus Theodor: Frank Hageleit, geb. 24.01.1943, von seiner Großmutter: Elisabeth Eppelmann, geb. 09.11.1900. Der Knabe befand sich bei seiner Mutter Margarete Hageleit, geborene Eppelmann.

 

Goldap, Mühlenstraße 16: Ursula Narewski, geb. 13.04.1936 in Gurnen, von ihrer Tante: Grete Mohr, geborene Steiner, geb. 10.11.1911

 

 

Grieslienen, Kreis Allenstein: Gertrud Konetzka, geb. 15.08.1937 in Grieslienen, von ihrem Vater: Andreas Konetzka, geb. 08.11.1906.

 

Groß-Blumenau, Kreis Samland: Günther Gerlach, geb. 23.02.1935 in Geidau, von seinem Vater: Erwin Gerlach, geb. 22.04.1912. Günther Gerlach befand sich 1945 im Waisenhaus in Pobethen, Kreis Samland

 

Groß-Engelau, Kreis Wehlau: Sieglinde Kampf, geb. im September 1942, von ihrer Tante: Johanna Seidler, geb. 08.11.1905. Sieglinde Kampf wurde 1945 von der Mutter auf der Flucht auf dem Bahnhof Osterode getrennt und zwei fremden Frauen übergeben.

 

Groß-Neumühl bei Allenburg, Kreis Wehlau: Walter Buntrock, geb. 16.03.1935 in Wattenscheid, von seiner Schwester: Gertrud Welteroth. Walter Buntrock befand sich im August 1946 in Frischenau, Kreis Wehlau, bei Frau Feuerabend.

 

Groß-Ottenhagen, Kreis Samland: Gisela Szillat, geb. 29.06.1940 in Tilsit, von ihrer Pflegemutter: Anna Witt, geborene Klumbies

 

Jommendorf bei Allenstein: Aloysius Kämpfer, geb. 14.06.1936 in Jommendorf, von seiner Schwester Anna Lindemann, geborene Kämpfer, geb. 08.04.1925

 

Königsberg, Schindekopstraße 16: Elfrun Pentzek, geb. 21.07.1936 in Königsberg, und Helmut Pentzek, von ihrem Vater: Doktor Ernst Pentzek, geb. 03.12.1898

 

Lötzen: die Geschwister Ursula Röder, geb. 24.12.1934, Irmtraud Röder, geb. 24.09.1939, und Helmut Röder, geb. 20.07.1942, von ihrer Schwester: Siegrid Clemens, geborene Röder, geb. 10.01.1927

 

Lötzen, Hauptweg 79: die Geschwister Bernhard Zöllner, geb. 08.08.1936 in Lötzen, Gerda Zöllner, geb. 10.05.1938 in Lötzen und Horst Zöllner, geb. 08.02.1940 in Lötzen, von ihrer Schwester: Marta Ochozisnki, geborene Zöllner, geb. 23.02.1920

 

Memel, Mühlendamm 17: Günther Willumeit, geb. 25.12.1941 in Memel, von seinem Vater: Ernst Willumeit

 

Memel, Rippenstraße 7: Hildegard Munschies, geb. 03.07.1936 in Memel, von ihrem Vater: Ludwig Munschies, geb. 13.06.1911.

 

Motzischken, Kreis Tilsit-Ragnit: Hilde-Elli Preukschat, geb. 08.07.1934 in Motzischken, von ihrer Mutter: Selma Preukschat

 

Mühlhausen, Kreis Preußisch Holland, Mauerstraße 4: Alfred Schwesig, geb. 11.01.1936 in Mühlhausen, von seiner Schwester: Lisbeth Mielcarek, geborene Schwesig, geb. 23.06.1930

 

Nettienen, Kreis Insterburg: Erich Barkowsky, geb. 19.06.1933 in Nettienen, und Edeltraut Barkowsky, geb. 07.05.1936 in Nettienen, von Anna Schmidt, geborene Barkowsky, geb. 28.04.1911. Die Kinder können auch auf den Namen Schmidt hören. Sie befanden sich im Mai 1947 in Berschkallen, Kreis Insterburg.

 

Canditten-Schatzberg, Kreis Preußisch Eylau: Bruno Sohn, geb. 28.04.1936 in Canditten-Schatzberg, von seinem Vater: Franz Sohn, geb. 23.02.1904.

 

Eicen über Tapiau, Kreis Wehlau: Ulrich Ackermann, geb. 06.05.1938, von seiner Mutter: Ursula Finck. Ulrich Ackermann wurde 1945 auf der Flucht bei Pollwitten, Kreis Samland von seiner Mutter getrennt. Er war dann mit seiner Großmutter Luise Kagelmacher, aus Eichen, Kreis Wehlau, zusammen. Als diese verstarb, soll Ulrich Ackermann in ein Waisenhaus in Ostpreußen gekommen sein. Er hat blaugraue Augen und hellblondes Haar. Seine Wäsche war mit dem Buchstaben „A“ gezeichnet. Auf der Flucht trug er lange Hosen und eine Joppe.

 

Friedland, Kreis Bartenstein, Siedlerweg 30: die Geschwister Alfred Hinz, geb. 06.11.1936 in Friedland, Rosemarie Hinz, geb. 07.08.1938 in Friedland, und Harald Hinz, geb. 15.1.1943 in Friedland, von Benno Pose.

 

Jägerfreude, Kreis Gumbinnen: Siegfried Didszum, geb. 11.07.1939 in Puspern, von Auguste Strukat

 

Königsberg: Wolfgang Has, geb. etwa 1933, von seiner Schwester Hannelore Has, geb. 19.01.1938.

 

Königsberg, Alt-Roßgärter-Prediger-Straße, bei Familie Plorin: Erhard Schöttke, geb. 05.06.1939, von seiner Großmutter: Maria Wiechert

 

Königsberg, Lawsker Allee: Ernst Kemsat, geb. im März 1937 in Königsberg, von seinem Vetter: Heinz Wiese, geb. 11.12.907

 

Königsberg, Stägemannstraße 62: Bärbel Milkereit, geb. 09.12.1934 in Königsberg, von ihrer Großtante: Marie Milkereit. Bärbel Milkereit wurde 1944 mit anderen Kindern nach Sachsen oder nach dem Harz evakuiert.

 

Lakendorf, Post Ibenberg, Kreis Elchnierderung: Heinz Killat, geb. 1935 in Bolzfelde, von seinem Vater: Otto Killat, geb. 10.08.1906

 

Stenken, Kreis Labiau, Heim: Franz Bauszas, geb. 27.08.1934 in Lapallen, von Martha Simoneit, geborene Bendig, geb. 07.04.1913. Der Leiter des Heims hieß Fabricius. 1945 soll Franz Bauszas angeblich ins Altersheim Tapiau, Kreis Wehlau gekommen sein.

 

Lichtenau, Kreis Braunsberg: Leo Kramp, geb. 14.03.1933 in Bürgerwalde, von Agnes Thamm, geborene Bitz, geb. 29.05.1895

 

Moorweide, Kreis Heydekrug, bei Maria Szuggarz: Claus-Dieter Karallus, geb. 20.05.1940, und Peter Jürgen Szuggarz, geb. 24.09.1943, von ihrer Mutter: Meta Neuber, verwitwete Karallus, geborene Szuggarz, geb. 29.11.1912.

 

Nemmersdorf, Kreis Gumbinnen: Lieselotte Faak, geb. 12.12.1938 in Nemmersdorf und Gisela Faak, geb. 1942 in Nemmersdorf, von ihrem Großvater: Friedrich Grabowsky, geb. 21.06.1885.

 

Schorschehnen, Kreis Samland: Anneliese Oltersdorf, geb. 18.08.1934 in Bärwalde, von ihrem Vater: Franz Oltersdorf, geb. 29.08.1905.

 

Seehöhe, Post Eichendorf, Kreis Johannisburg, bei Familie Zander: Hildegard Pilchowski, geb. 28.05.1940 in Seehöhe, von ihrem Vater: Johannes Pilchowski

 

 

Seite 14   Turnerfamilie Ost- und Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33

Herzlichste Geburtstagswünsche allen Märzgeborenen, ganz besonders zum

 

50. Geburtstage, Turnschwester Vally Küwning-Rieger (Insterburg) in Hamburg 20, Contastraße 6.

 

am 27. März 1954, zum 60. Geburtstage, Turnbruder Hans Falsehr (Tgm. Danzig) in Hamburg-Nienstedten, Georg-Bonne-Straße 89,

 

am 1. März 1954, Turnbruder Konrad Merkator (KMTV Kbg.) in Johannisberg (Rheingau), Weingut Zerbe,

 

am 16. März 1954, Turnbruder Henry Wittkowski (KTC Kbg.) in Celle, Feigerstraße 34,

 

am 19. März 1954, zum 91. Geburtstage unserem Senior Turnbruder Paul Werner (KTC Kbg.) in Hamburg 13, Hochallee 111, Pensionat Hindelang.

 

In tiefer Trauer nimmt der MTV Lyck und mit ihm die ganze Turnerfamilie Ost- und Westpreußen Abschied von Turnbruder Ernst Koewius den der Tod am 1. Oktober 1953 in Russland ereilte, als er bereits zu hoffen wagte, seine Frau und seine sieben Kinder, die in Bardenfleth über Delmenhorst Unterkunft gefunden haben, bald wiederzusehen. Möge Dir, lieber Ernst, die fremde Erde genau so leicht sein, wie die geliebte Heimaterde. Wer Dich gekannt, Du treues Turnerherz, der spürt den bittern, schweren Schmerz! Du sollst uns unvergessen bleiben!

 

Der Tod mäht weiter in unseren Reihen.

 

Im 60. Lebensjahr hat er nach längerer Krankheit Turnbruder Herbert Woelk vom Königsberger Männer-Turn-Verein von 1842 dahingerafft. Weit über den Vereinskreis hinaus war er als jederzeit hilfsbereiter, immer freundlicher und froher Geselle bekannt, dem Turnertum selbst und mit seiner ganzen Familie treu ergeben. In Halle hatte er wieder Fuß fassen können. Sein Wunsch, an einem Wiedersehenstreffen teilzunehmen, ist unerfüllt geblieben. Sein Name ist in die Vereinsgeschichte unauslöschlich eingeschrieben. Seiner Gattin und allen anderen Angehörigen gilt unsere herzliche Anteilnahme.

 

Die Anschriftensammlung ist jetzt in handlicher Form im Buchdruck fertiggestellt und wird den leider nur wenigen Bestellern zugestellt werden. Es sind darin über 1300 Anschriften von Turnern und Turnerinnen aus rund 100 ost- und westpreußischen Vereinen. Bestellungen am einfachsten mit Zahlkarte über 1,50 DM Kostenbeitrag auf Postscheckkonto Hannover 11 60 75 (Wilhelm Alm, Oldenburg).

 

Für das 8. Wiedersehenstreffen in Hameln vom 19. bis 23. August 1954 haben schon erfreulich viele Turnerinnen und Turner ihre Teilnahme in Aussicht genommen. Da es in das Bundesalterstreffen des Deutschen Turnerbundes eingebaut wird, geht das nächste Rundschreiben mit den Einzelheiten des Zeitplanes und den Teilnahmebedingungen an die Interessenten heraus, sobald die Ausschreibung für das Bundesalterstreffen erscheint, voraussichtlich bis Ende März 1954.

 

Wer weiß etwas über das Schicksal oder kennt die heutige Anschrift von Mittelschullehrer (Konrektor) Franz Lackner ausKönigsberg, Hintertragheim 38. Nachricht erbittet Wilhelm Alm, Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

 

 

Seite 14   Siegfried Perrey und das große Pech

Siegfried Perrey, der frühere deutsche Handball-Nationalspieler aus Königsberg, der nach dem Krieg als Spielwart des Deutschen Handball-Bundes tätig war und mit großem Erfolg die Sportschule in Flensburg-Mürwik aufbaute, wurde dieser Tage in Flensburg zu zwei Monaten Gefängnis und 500 DM Geldstrafe verurteilt. Das Gericht billigte ihm drei Jahre Bewährungsfrist zu, wenn er eine Buße von 500 DM an die Stadtkasse zugunsten des Jugendaufbauwerks zahlt.

 

Perrey hatte 1949/1950 Landesmittel für das Jugendaufbauwerk, das damals in der Sportschule mit untergebracht war und ihm als Jugendamtsleiter der Stadt gleichzeitig unterstand, zugunsten der Sportschule verbraucht. Zwar handelte es sich um überschüssige Mittel, die also den Zöglingen des Jugendaufbauwerks nicht etwa entzogen oder vorenthalten wurden, zwar hat sich Perrey direkt an diesen Mitteln persönlich in keiner Weise bereichert, aber die Paragraphen waren gegen ihn.

 

Vergeblich beteuerte er, dass die verantwortlichen Stadtväter von seinem Vorgehen gewusst und es gebilligt hätten — in der drei Tage dauernden Verhandlung wollte niemand etwas wissen, obwohl tatsächlich die Mitanteile der Stadt, um die es sich in erster Linie handelte, ganz offiziell der Sportschule überwiesen worden waren.

 

Einige Monate lang hatte Perrey auch Bratkartoffellieferungen für das JAW höher berechnen und für die Differenz Getränke und Tabakwaren zu Repräsentationszwecken der Sportschule liefern lassen, für die er von der Stadt keine Mittel zur Verfügung hatte. (Erst später billigte man ihm offiziell einen Repräsentationsfonds von mehreren hundert D-Mark im Monat zu.)

 

Nur so gelang es Perrey damals, internationale Beziehungen anzuknüpfen und prominente Gäste aus dem In- und Ausland zu bewirten. Die Sportschule gedieh nicht zuletzt zugunsten der Stadt Flensburg, die, außer dem mittelbaren Propagandawert, noch viele Tausende aus internationalen Sportveranstaltungen einnahm, die Perrey heranzog. Heute, nach seinem Ausscheiden, liegt die Sportschule praktisch still, und auch die letzte prominente Stütze, die Medau-Gymnastikschule, wird in Kürze nach Coburg übersiedeln.

 

Das Gericht erkannte die Verdienste Perreya ausdrücklich an, erklärte aber, dass auch seine redlichen Motive an der begangenen Untreue nichts änderten. Das ist Perreys Pech. Denn persönliche Zerwürfnisse, Neid, Missgunst, Kleinstadtklatsch und Eifersucht — von Perreys selbstherrlichem Auftreten reichlich geschürt — führten dazu, dass man den schuldigen Dank vergaß und ihm nach Jahren aus einer Affäre den Strick drehte, ohne die wahrscheinlich aus der Sportschule nie etwas geworden wäre.

 

Nur so konnte der Staatsanwalt davon sprechen, dass neben Perrey auf der Anklagebank eigentlich auch der „geschäftliche Ungeist des heutigen Sports" säße, obwohl es doch die Stadt war, die hier in erster Linie von dem Geschäft profitierte, das der Sport bot, und die früher nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß ihr dieser Profit äußerst willkommen war. Deshalb auch wies Perreys Verteidiger, Dr. Wülfing, der Syndikus des Deutschen Sport-Bundes, in seinem auf Freispruch lautenden Plädoyer darauf hin, dass vielmehr die verantwortlichen Stadtväter neben Perrey auf die Anklagebank gehörten, denn sie hätten ihn in seinen Manipulationen zumindest nicht gehindert.

 

Dass Städtväter (und Minister) heute am Sport oft vor allem deshalb Interesse haben, weil er für die Stadtsäckel so einträglich ist, das ist nicht nur Perreys Pech, sondern ein Unheil für den Sport schlechthin. Denn sie machen sich mitschuldig am „geschäftlichen Ungeist des Sports von heute". (Aus „Welt am Sonntag".)

 

 

Seite 14   Dauerndes Ruherecht für Kriegstote in Italien

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge teilt zu irreführenden Meldungen über die Gefahr einer Aufhebung deutscher Soldatengräber in Italien folgendes mit:

 

1. Die deutschen Soldatengräber in Italien unterliegen nicht einer turnusmäßigen Auflassung zehn Jahre nach ihrer Anlegung. Das italienische Kriegsgräbergesetz vom 09.01.1951 Nr. 204 sichert auch den deutschen Kriegstoten auf italienischem Boden das dauernde Ruherecht.

 

2. Es trifft nicht zu, dass Überführungen deutscher Gefallener aus Italien nach Deutschland auf Wunsch von Angehörigen nur noch in diesem Frühjahr möglich sein sollen. Es kann keine Rede davon sein, dass solche Uberführungen befristet sind.

 

Die Angehörigen deutscher Kriegstoter in Italien mögen sich durch irreführende Behauptungen privater Geschäftsunternehmen nicht in Unruhe und Sorge versetzen lassen, Das dauernde Ruherecht deutscher Gefallener in Italien ist gesetzlich gesichert.

 

 

Wir gratulieren

Das Abitur bestand an der Auguste Viktoria-Schule in Itzehoe/Holstein Carola von Bassewitz, aus Fuchshöfen bei Waldau, Landkreis Königsberg.

 

 

Seite 14   Unsere Leser schreiben: „Die Flucht aus Wehlau“.

Unter dieser Überschrift ist der Erlebnisbericht des Frl. Eva Kuckuck aus Allenburg in der Februarausgabe der „Ostpreußen-Warte“ veröffentlicht. Ich habe nicht die Absicht, diesen Erlebnisbericht zu zerpflücken. Jeder hat seinen Anteil an dem furchtbaren Schicksal zu tragen gehabt. Aber in einer Hinsicht muss den Ausführungen unbedingt widersprochen werden. Das sind die Bemerkungen des Frl. Kuckuck über den „Landrat v. E.“. Gemeint ist damit der Landrat Horst von Einsiedel.

 

Horst von Einsiedel stammt aus einer preußischen Offiziersfamilie. Sein Vater starb im Jahre 1913 als aktiver Major. Vor seiner Ernennung zum Landrat des Kreises Wehlau war Horst von Einsiedel Regierungsrat im Preußischen Ministerium des Innern. Er war also Fachbeamter preußischer Schule. Sein Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein standen ebenso außer jedem Zweifel, wie seine charakterlichen Eigenschaften. Nach meiner Kenntnis wurde Landrat von Einsiedel bereits einige Zeit vor Einbruch der Katastrophe im Januar 1945 zur Artillerie nach Mohrungen einberufen. Als einfacher Kanonier geriet er in russische Gefangenschaft. Obwohl er vorher vollkommen gesund war, hat ihn die Kriegsgefangenschaft zu einem menschlichen Wrack gemacht. Er starb nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft m. W. Ende 1945 einige Tage nach seinem Eintreffen in Berlin. Man soll also einen Menschen, dessen Schicksal sich so erfüllt hat nicht nachträglich mit Vorwürfen für Geschehenes belasten, für das er nicht verantwortlich war.

 

Restgutsbesitzer Herr Otto von Weiß aus Gr Plauen war im Kreise Wehlau immerhin eine Persönlichkeit und als Führer des Kyffhäuserbundes in der Provinz Ostpreußen bekannt. Die Schilderung seines tragischen Endes dürfte somit allgemeines Interesse finden (mir persönlich war es bereits seit 1945 bekannt). Es wird auch zugestanden, dass Frl. Kuckuck zur Schilderung seines Schicksals berufen war, jedoch durfte dieser Bericht wohl nicht recht als „Die Flucht aus Wehlau“ überschrieben werden (Gr.-Plauen liegt, von dem Anmarschweg der Russen aus gesehen, immerhin 13 km hinter Wehlau. Die Flucht aus Wehlau selbst begann am Sonntag, den 21. Januar 1945 in den Morgenstunden und dehnte sich bis Montag, den 22. Januar in den Mittagsstunden aus).

 

Selbst wenn das Ende des Herrn Otto von Weiß so tragisch war, bleibt für mich dennoch die Frage offen, wie er sich als Zivilist aus Ostpreußen absetzen konnte, obwohl er im ersten Weltkrieg Major im Großen Generalstab war und im zweiten Weltkrieg Oberst wurde. Ich (der als Soldat in Nordfinnland stand und noch im April/Mai 1945 bei den Kämpfen um Berlin eingesetzt wurde) kann mir das umso weniger erklären, als m. W. jeder Mann (auch solche, die mit Herrn von Weiß gleichalterig waren und nicht seinen militärischen Dienstgrad bekleideten) zur Verteidigung der Heimat im Volkssturm eingesetzt war.

 

 

Kurt Schoen,

(Regierungsoberinspektor aus Wehlau, jetzt in Marburg/Lahn, Joh.-Müller-Str. 11)

Der von uns veröffentlichte anschauliche Bericht war dem Band I/1 der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen entnommen. Dieses umfangreiche Werk der Dokumentation ist erst kürzlich vom Bundesministerium fürVertriebene herausgegeben worden. (Die Red.)

 

 

„Der schwarze Engel", von Jul Hufschmied. Roman. Lw. 7,80 DM. AWA-Verlag, München.

Nach mehrjährigem Schweigen kommt Jul Hufschmied mit diesem schönen und spannenden Roman heraus.

 

Der schwarze Engel ist ein teils seine Umgebung bezaubernder, teils abstoßender Mann, der überall, wo er hinkommt, Unheil sät. Es ist ein Mensch voller dunkler Leidenschaften, der nur für seine Freude und Vergnügen lebt. Durch die reine, verantwortungsbewusste Liebe des anderen Mannes, seines Gegenspielers, gelingt es der jungen Frau, die jahrelang im Bann dieser dunklen Leidenschaften stand, sich von den unheimlichen Seelenkräften des „Schwarzen Engels“ zu befreien. Jul Hufschmidt schenkt uns mit diesem neuen Buch einen wertvollen Unterhaltungsroman, der jeden Leser packen und innerlich befriedigen wird.

 

 

„Der siebente Sinn“, von Otto Bohr. In der Kreuzring-Bücherei des Johann Josef Zimmer Verlages Trier. 1,90 DM.

„Eine Schau des ganzen Menschen“ ist der Untertitel dieses Büchleins. Der Verfasser, Optikermeister und Akademiker zugleich erforscht aus dem Licht und immer wieder aus dem Licht heraus den ganzen Menschen. Jede neue wissenschaftliche Erkenntnis offenbart immer deutlicher das Werk eines denkenden Schöpfergeistes. Der moderne Mensch sucht Gott. Die höchste und feinste Form alles Gedanklichen ist das Denken an das denkbar Höchste: an die Überwelt, an Gott. Das höchste und schönste Ziel des Menschen ist, diesen siebenten Sinn, den Gottessinn, voll und ganz zu entfalten. Klar und sehr volksnah ist dieses Büchlein geschrieben, das nach zehnjähriger Arbeit entstanden ist. Jeder, der dieses wertvolle Buch liest, wird es mit viel Interesse tun und es wird eine große innere Bereicherung für ihn sein.

 

 

Foto: In ihrem neuen Heim in Bad Nenndorf bei Hannover wird Agnes Miegel die Glückwünsche, der Ostpreußen, zu ihrem 75. Geburtstage empfangen.

 

 

Seite 14   Norddeutsche Künstler-Einung e. V. in der Künstlergilde e. V. Eßlingen.

Während Maler Rudoll Strey im Auftrage der Künstler-Einung die norddeutsche Künstler erfreut, so in Niebühl, Schleswig, Flensburg und jetzt Husum, hat Ida Wolfermann-Lindenau in der Städtischen Kunsthalle in Recklinghausen eine Sammlung bester Bevölkerung mit dem Schaffen der aus Ostpreußen, Danzig und Pommern stammenden Arbeiten der Mitglieder der „Einung“ zusammengebracht, sie zum Teil selbst In den Ateliers ausgesucht. Diese Ausstellung wird Sonntag, den 7. März 1954, um 11 Uhr in feierlicher Stunde der Öffentlichkeit übergeben.  

 

Regierungspräsident a. D. Angermann, jetzt in Recklinghausen tätig, gab gelegentlich des Wiedersehens mit Ida Wolfermann, die Anregung zu dieser Ausstellung.

 

Prof. Dr. M. H. Boehm spricht in der Eröffnungsfeier über das Thema „Vom Geist des deutschen Nordostens“. Die ostpreußische Violinvirtuosin Nora Ehlert rahmt die Stunde ein mit der Chaconne aus der d-moll-Partita für Violine allein von Johann Sebastin Bach und der Sarabande von Johann Sebastian Bach.

 

Am Abend des 7. März findet im Saalbau in Recklinghausen im Rahmen der Ausstellung ein Sinfoniekonzert mit dem Städtischen Orchester unter der Leitung von Musikdirektor Gerhard Scholz mit der Violinvirtuosin Ehlert statt.

 

Programm: 1. Beethoven, Ouvertüre zum Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“, 2, Brahms, Konzert tür Violine, 3. Bruckner, Sinfonie Nr. 3.

 

Es ist eine glückliche Idee, in der Ausstellung in Recklinghausen einige Künstler kellektiv zu zeigen, so Karl Eulenstein, Berlin, Eduard Bischoff, Fritz Burmann, Norbert Dolezich, Jan Holschuh, Erich Kaatz, Rudolf Grisard, Hanns Radau, Rudolf Strey, Fritz Heidingsfeld, Fritz Pfuhle, Wolfram Claviez, Paul Holz, Bruno Müller-Linow, Kurt Schwerdtfeger.

 

Die Ausstellung bleibt bis zum 28. März in Recklinghausen geöffnet und wird dann vom Museum in Osnabrück übernommen, wo sie am 4. April feierlich eröffnet wird und wandert danach ins Museum in Lüneburg.

 

 

Seite 15   Todesanzeigen

Nach langem Leiden entschlief sanft unsere geliebte Schwester, meine liebe Schwägerin, Frida Siegfried, Studienrätin i. R., früher Königsberg Pr., geboren 23.07.1877 Nadrau, Kreis Fischhausen, gestorben 12.02.1954 a. d. Ems. Elisabeth Siegfried. Helene Siegfried, Studienrätin i. R. Bad Ems, Lahnstraße 44, Haus Wilhelma. Hanna Siegfried, geb. Berges, Köln-Dellbrück, Berg.-Gladbacherstraße 981. Die Beerdigung hat in Bad Ems am Mittwoch, den 17. Februar 1954 stattgefunden

 

Plötzlich und unerwartet entschlief am 20. Januar 1954 mein lieber, guter Mann, unser treusorgender Vater, Schwiegervater, Opa, Bruder, Schwager und Onkel, Architekt BDA und Sachverständiger Georg Peter, früher Königsberg, Preußen, Hufenallee 20, im Alter von 71 Jahren. In stiller Trauer: Luise Peter, geb. Claaß, Ottobrunn, Dahlienstraße 8. Bernhard Peter und Frau Emmy, geb. Neubauer, Dipl.-Ing.-Architekt, Ottobrunn, Dahlienstraße 8. Eva Peter, Modezeichnerin, Hamburg-Volksdorf, Wensenbalken 72. Dora Weber, geb. Peter und Dr. Ing. Gustav Weber, München-Allach, Am Lochholz 38. Seine Enkelkinder: Frank Lothar, Regina-Angelika, Jörg-Dietmar Peter. Christoph, Wolfgang, Cornelia Weber. Ottobrunn b. München, Dahlienstraße 8

 

Nach einem schaffensfrohen, an hohen Ehrungen und Auszeichnungen reichen Leben ist unser Vater, der Maler, Professor Karl Storch d. A. Lehrer an der Kunstakademie zu Königsberg, Preußen, tiefbetrauert von seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln, am 11. Februar 1954, im Alter von 90 Jahren zur ewigen Ruhe eingegangen. Detlev Storch, Oberst a. D. Käthe Storch, geb. Braemer. Gesche Storch, Konzertsängerin. Prof. Karl Storch, d. J. Helga Storch. Karl Petzel. Gesche Petzel, geb. Storch. Ilse Storch (Stockholm). Detlev Storch. Klaus Storch. Thomas Brachert. Hinrich Storch. Christian Storch. Jörn Storch. Alexandra Petzel. Christina Elisabeth Petzel. Thomas Petzel. Bad Segeberg, Hamburg, Kiel, Duisburg, den 11.02.1954. Die Beerdigung fand am Mittwoch, dem 17. Februar 1954, auf dem Friedhof in Bad Segeberg statt.

 

Wir betrauern tief das Ableben unserer lieben Corpsbrüder: Dr. jur. Walter Domin, aktiv SS 1913, gestorben am 21.12.1953 zu Bad Harzburg; Studienrat Walther Aßmus, aktiv SS 1908, gestorben am 17.01.1954 zu Berlin. Der Altherrenverband des Corps Masovia. Das Corps Palaiomarchia – Masovia Kiel

 

 

Seite 15   Suchanzeigen

Gesucht wird Frl. Erna Dewigkeit, aus Königsberg, Drummstr. 9. Nachricht erb. an Frau N. Hoffmann, Osnabrück, Rich.-Wagner-Straße 65

 

Familie Steffen, aus Liewenberg, Krs. Heilsberg wird gesucht von Frau Anna Wien, Misselwarden. Post Engbüttel, Krs. Wesermünde.

 

Suche Straßenmeister Alex Weiß, fr. Trakseden, Krs. Heydekrug u. Hoch- und Tiefbauunternehmer Hermann Dommscheit aus Memel. Nachr. erb. an Michael Jacksteit. Lübeck-Marli, Paul-Behnke-Straße Nr. 21a (fr. Klugohnen.Krs. Heydekrug).

 

Ich suche die Eltern oder Angehörigen von meinem Kriegskameraden Walter Schulz, Tohmsdorf, Krs. Heillgenbeil (Ostpr.). Nachr. erb. Franz Reschetzki, fr. Braunsberg (Ostpr.), Karl-Freiburger-Straße 20. jetzt (20a) Hannover, Am Listholze, Sperlingslust 17.

 

Welcher Heimkehrer kann üb. den Verbleib meines Sohnes Auskunft geben? Ehem. Uffz. Erich Hintz, Feldpost-Nr. 08 600 C, 11. A. K., Inf.-Rgt. 505, 1. Komp., 2. Zug, 1. Gruppe. Nachricht erbittet Frau Hintz, Beidendorf üb. Wismar/Mecklenburg.

 

Suche meinen Mann, den Bauern Aloys Wienert, geb. 19.12.1908 zu Bischofstein, Kreis Rössel. War zuletzt Soldat beim Landesschützenbatl. 211, 3. Komp.. Er ist im Mai 1945 auf Hela in Gefangenschaft gekommen und war bis August 1945 im Lager in Graudenz. Soll dann nach Russland gekommen sein. Wer kann etwas über sein Schicksal berichten oder war mit ihm zusammen? Nachr. erb. Frau Helene Wienert, Nevern b. Neukloster. Krs. Wismar in Mecklenburg.

 

Heimkehrer! Wer weiß etwas über den Verbleib meines Mannes, Feldwebel Erich Skronn, Feldpostnummer 01805. Letzte Nachricht aus Kaciola (Rumänien) im August 1944. Er war in der Stabskompanie, Inf.-Regt. 239 der 106. Inf.-Div. Nachr. erb. Fr. Anni Skronn, Bissendorf/Hann. Früher wohnhaft in Königsberg-Ponarth, Textilgeschäft, Brandenburger Str. Nr. 13.

 

Achtung, Heimkehrer! Welcher Kamerad kann mir Auskunft geben über meinen Sohn Bernhard Gurzki, geb. am 19.02.1922 in Bagnowen, Krs. Sensburg. Er war bei den Panzer-Grenadieren. Im Januar 1945 war er In Urlaub und ist am 19. Januar 1945 wieder zu seiner Kompanie zurückgekehrt, die bei Insterburg in schweren Kämpfen stand. Seitdem fehlt jede Spur. Für jeden kleinen Hinweis wäre ich dankbar. Um Nachricht bittet Martha Gurzki in Walsrode, Krs. Fallingbostel, Hinter dem Friedhof 1.

 

Frau Maria Schilling, geborene Wnendt, geboren i. Ortelsburg, zuletzt wohnhaft in Altendorf, Krs. Gerdauen, von dort aus zum Kriegshilfsdienst eingezogen in den Warthegau. Wer etwas über das Schicksal der Genannten aussagen kann, möchte sich bei Worms, Berufsschuldirektorin i. R., München-Solln, Fröhlichste. 1, melden.

 

Wer kann Auskunft über das Schicksal meiner Mutter, Maria Kretzer, geb. Riel, aus Schulen, Krs. Tilsit-Ragnit, geben? Letzter bekannter Aufenthalt war Heilsberg, Anton-Peter-Straße 2b, bei Frau Schulz. Weiß jemand etwas über Angehörige der Familie Schulz? Nachricht erbittet: Erna Kretzer, Frankfurt/Main, Orthstraße 4 III.

 

 

Achtung — Heimkehrer! Anneliese Platz, geb. 16.07.1927 Königsberg. Wer weiß etwas über ihr Schicksal, befand sich bis 1948 im Lager Pr.Eylau, dann angeblich in Kallemlingken und Hospital Georgenburg gewesen. Nachricht erb. die Mutter Anna Platz, Wipperfürth b. Köln, Josefstraße.

 

Achtung, Heiligenbeiler! Wer kann Auskunft geben über den Verbleib des pensionierten Eisenbahners Karl Howe und seiner Ehefrau Anna geb. Wegner, wohnhaft in Heiligenbeil (Ostpr.), Gartenstraße 12. Im Sommer 1945 sollen die Gesuchten noch in Heiligenbeil gewesen sein. Gesucht wird ferner Ernst Wegner, pensionierter Postbeamter, geb. 11.02.1899, wohnhaft in Hohenfürst, Kreis Heillgenbeil (Ostpr.). Der Gesuchte soll im März oder April 1945 beim Einmarsch der Russen in Pommern gewesen sein. Nachricht erbeten an Franz Wegner, Apelstedt 10, (23) Bassum-Land (fr. Wormen b. Korschen, Krs. Rastenburg).

 

Wer kann Auskunft geben Uber meinen Mann Friedrich Gusovius, geb. am 10.06.1903 in Gilgenburg (Ostpr.), letzter Wohnsitz Königsberg/Pr., Tannenwalde. Letzte Nachricht aus Gr.-Holstein

am Frischen Haff vom 17.02.1945. Er soll sich kurz vor der Kapitulation noch in Königsberg/Pr. aufgehalten haben. Vor Auflösung des Offlzierskasinos in Stablack, war er dort Rechnungsführer. Nachricht erbeten, Wanda Gusovius, Adorf/Waldeck, Mühlentor 180.

 

Königsberger meldet Euch. Wir suchen Familie Leskien, Am Stadtwald; Familie Hehlert, Jägerhofstr., Otto Weidkuhn, Artur Mollenhauer, Maria Korioth, Cranz. Auch Kameraden v. Luftgaukommando l und Flugplatz Heillgenbeil werden um Nachricht gebeten oder wer weiß etwas von Genannten. Sommerfeld, Düsseldorf. Schirmerstr. 10.

 

Heimkehrer, wer kann Auskunft geben? Bäckerzug b. Großdeutschland, Feldpostnr. 23 606. Heinrich Kühl, aus Güdingen (Saar). Letzte Nachricht 13.01.1945 aus Kultwangen, im Raum von Königsberg. Meldung erbeten an Frau Gertrud Friedrich, Weilheim/Obb. 13 b, Schießstattweg 7.

 

 

Seite 16   Jungen im Grenzland. Unter dem Lilienbanner. Foto.

Unsere Gruppe der Deutschen Freischar führte kein abgeschlossenes Sondersdasein für sich allein. Sie stand vielmehr mitten im Leben des Alltags und unseres Volkes. Vor allem mit den Kameraden unseres Bundes standen wir in lebendiger Verbindung. Die Gruppen aus den Städten rund um die Marienburg bildeten einen Ring der nach der Marienburg den Namen „Die Burg“ führte und dessen Symbol die Marienburg war. Alle Gruppen Ostpreußens und der Freien Stadt Danzig gehörten zum Gau Altpreußen der Deutschen Freischar. Die Gaue des Reiches und Österreichs bildeten den Bund. Das stolze Bewusstsein der Zusammengehörigkeit war immer da, doch, was uns Ring, Gau und Bund bedeuteten, veränderte sich und wuchs, je mehr wir selbst unsere Gruppe, an Gehalt, Tiefe und Bedeutung zunahmen. Zuerst war es nur das Wissen um die Dazugehörigkeit, dann mehr und mehr aktive Teilnahme an allen Dingen, die den Bund angingen.

 

Der Ring war jung wie unsere Gruppe, und alles war erst im Werden, aber doch schon Wirklichkeit. Einer der lebendigsten Gruppenführer im „Die Burg“ war der Marienburger, Dachs genannt. Er war der einzige Bruder von sieben Schwestern, und wenn er auf Fahrt gehen wollte, beschäftigte er alle sieben Schwestern mit den Vorbereitungen. Dachs lernte in Elbing bei Schichau, und oft holte er mich in der Mittagspause oder am Feierabend vom Dienst ab, um mit mir von seiner Gruppe und vom Ring zu sprechen.

 

Einmal war der ganze Ring auf einem großen Elternabend in Marienburg versammelt. Ein anderes Mal feierten alle Gruppen aus Elbing, Marienburg, Marienwerder und Dt. Eylau die Sommersonnenwende an, der Dreiländerecke, bei Weißenberg. Nach einem großen Thing loderte unser Feuer auf dem Weißen Berg gleich neben dem großen granitnen Westpreußenkreuz und grüßte weit über die Weichsel die vielen deutschen Menschen jenseits der Grenze. Überall entlang der Grenze sahen wir Sonnenwendfeuer, und auch von Anderen Seite grüßten uns zwei, drei Feuer zurück.

 

Unter den Erinnerungen meines Lebens werde ich ein Erlebnis nicht aus der Seele verlieren, und mit diesem verbindet sich für mich das Bild des Gaues Altpreußen. Es war auf einem Führertreffen des Gaues in der Herderstadt Mohrungen, und noch sehe ich und höre ich die Kameraden durch die engen Straßen des Städtchens marschieren hinter der weißen Fahne des Gaues mit der schwarzen Lilie. Die Fahne flatterte und bauschte sich im Dezemberwind. „Es blies ein Jäger wohl in sein Horn“ klang unser Lied und brach sich an den Mauern. Welche Gestalten, was für Gesichter sehe ich vor mir, neben mir marschieren, sehe ich am nächsten Tage zu einer Adventsfeier in der Jugendherberge versammelt. An einem langen Tische saßen wir in einem Raum, von dem mir die schweren Deckenbalken jetzt in Erinnerung sind. Es duftete nach Tannen, mit denen der Tisch geschmückt war. Wir knabberten Kekse, Nüsse und Äpfel, die in Bergen darauf lagen, und vor uns flackerten viele Kerzen. Flöten ertönten, und wir hörten die Worte von Raianer Maria Rilke:

 

Der Abend kommt von weit gegangen

durch den verschneiten leisen Tann.

Dann presst er seine Winterwangen

an alle Fensler lauschend an.

 

Und stille wird ein jedes Haus;

die Alten in den Sesseln sinnen,

die Mütter sind wie Königinnen,

die Kinder wollen nicht beginnen

mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen

nicht mehr. Der Abend horcht nach innen;

nur innen horchen sie hinaus.

 

Wieder erklangen die Flöten, knisterten die Kerzen, und ein Kamerad sprach dieses Gedicht von Heinrich Eichen:

 

Es liegt so viel Freude in der Welt,

Man muß sie nur heben.

Ein Leuchten der Sonne fällt

In jegliches Leben.

Wenn wir das fassten und brächten

Ein jeder dem andern zum Gruß,

Das wäre in dunkelsten Nächten

Noch Freude im Überfluss.

 

Untrennbar gehörte für uns zum Gau der gute Willi Eberle, getreuer Eckart des Gaues und aller Gruppen. Obwohl ohne besonderes Amt, war er die Seele von vielen. Von ihm kamen die Gaubriefe, die uns von den anderen Gruppen erzählten und in denen manch junger Führer das erfuhr, was ihn beschäftigte und bedrängte und worauf er in der Abgeschiedenheit seines kleinen Städtchens irgendwo allein oft keine Antwort erhalten konnte. Willi Erberle fuhr im Land umher und besuchte die Gruppen, stand mit Rat und Tat allen zur Seite.

 

Das „Ostvolk“ der Deutschen Freischar in Königsberg war eine Gruppe, die uns viel beschäftigte, ja, die uns in manchem Vorbild war, dem wir nacheiferten. Sicherlich war es eine Gruppe wie viele andere auch, mit Vorzügen und weniger schätzbaren Eigenschaften, aber sie hatte ein eigenes Gesicht wie wenige. Dieses „eigene Gesicht“ eben wollten wir auch gewinnen. Vielleicht lag es daran, daß unsere Gruppe noch nicht so alt war, wir allesamt noch so junge Burschen waren, da das Gesicht unserer Gruppe noch nicht so ausgeprägt war, aber wir waren auf dem Wege dahin. Wie unser „eigenes Gesicht“ geworden wäre, habe ich erst später erfahren, als es unsere Gruppe schon nicht mehr gab, als die Hitler-Jugend ihr ein Ende bereitet hatte. Unser „eigenes Gesicht“, erst später klar sichtbar geworden, war so, dass es neben dem „Ostvole“ wohl bestehen konnte. Meine Kameraden, die sich heute an die Gruppe zurückerinnern, werden gleich mir dieses Gesicht erkennen und es ebenso empfingen. Das „Ostvolk“ hat aber gar nicht gewusst, welchen Einfluss es auf uns damit ausübte, als wir einmal von ihm eine in braunen Karton gebundene Mappe mit Berichten aus seinem Leben erhielten. Die Mappe schmückte ein Elchkopf, und auf den Blättern wurde sehr lebendig von den Fahrten der Gruppe erzählt.Das Elchrevier in der Niederung am Kurischen Haff, die Nehrung wurde geschildert und der Memelstrom, und alles nahm uns so gefangen, dass wir in Gedanken gleich mit auf einer Fahrt in Litauen waren, unter Birken unser Zelt bauten, den „Dainos“ (das sind die litauischen Volkslieder) lauschten, usw. usw. Von einer Adventsfeier draußen im vorwinterlichen Walde wurde erzählt, und alles war eben so heimatverbunden, persönlich, echt und wahr, dass durch dieses Heft von den „Weißen Rittern“ zum „Ostvolk“ Beziehungen entstanden, von denen die „Ostvolk“-Kameraden wohl bis heute keine Ahnung haben. Das Heft war übrigens Vorbild für zwei eigene Gruppenhefte, und als ich viel später für einen größeren Kreis, schon lange nicht mehr im Bunde, einige Hefte unter dem Titel „Jungen im Grenzland“ mit Berichten von Grenz- und Auslandsfahrten herausgab, schwebte mir bisweilen dabei das „Ostvolk“-Heft vor, und selbst heute, da ich diese Seiten schreibe, liegt es in Gedanken vor mir.

 

Der Gau führte große Fahrten durch, wie in die Karpathen und nach Schweden. Veranstaltete Gaulager zu Pfingsten in den Wäldern Masurens oder des Oberlandes, Führerlager und vieles andere noch.

 

Mit dem Bund verband sich für uns alles was die Jugendbewegung für unser Volk bedeutet und geleistet hat. Der Bund rief uns auch zu den großen Bundestagen und -lagern. Von einem der großen Bundeslager der Deutschen Freischar will ich erzählen. Die Rinqe und Gruppen des Gaues Altpreußen trafen sich in Marienburg, und von dort fuhren wir mit einem Sonderzug durch den Korridor bis nach Crossen/Oder. Schon das Zusammensein auf der Anfahrt mit den vielen Kameraden aus dem Gau, dann nachher in Crossen und auf dem Marsch das Treffen mit den Jungen aus Nord und Süd, aus Ost und West unseres Vaterlandes und darüber hinaus war ein Erlebnis.

 

Nicht weit von Crossen, wo der Bober eine große Schleife macht, war unser Lager. Verstreut im Gelände hatte jeder Gau für sich seine Zelte gebaut, unterschiedlich in der Anordnung und der Bauweise, jeder nach seiner Art. Welch schönes Bild war es, als die Gaue mit ihren Fahnen und Wimpeln singend angezogen kamen, als der Bund — alle Jungen in weißen Festhemden — auf dem weiten Platz stand. Bis zum Walde hin erklang es:

 

Burschen heraus!

Lasst es schallen von Haus zu Haus!

Wenn der Lerche Silberschlag

grüßt des Maien ersten Tag,

dann heraus und fragt nicht viel,

frisch mit Lied und Lautenspiel!

Burschen heraus!

 

und am Mast stieg die Bundesfahne mit der schwarzen Lilie auf weißem Feld.

 

Wir lagen faul in der Sonne, und wenn es uns zu heiß wurde, sprangen wir in den Bober und ließen uns von der Strömung ein Stück flussabwärts oder an das andere Ufer treiben. An einem Abend sahen wir das Spiel „Der unsichtbare Elefant“ von Martin Luserke. Beim Bundesfeuer berichtete Schlesien von seiner Bessarabienfahrt. An den anderen Abenden besuchten sich die Gaue einander an ihren Gaufeuern. Überhaupt war ein großes Kennenlernen, Wiedersehen, Erzählen, Berichten, Freundschaft- und Kameradschaft-schließen.Die Jungmannschaft traf sich zu etlichen wesentlichen Referaten und Besprechungen. Bernhard Heister.

 

 

 

 

Seite 16   Gedanken wandern wie immer zurück … Von Eva Fritschken

Ein eisiger Nordost fegte über die Straßen. Klirrender Frost und Schneegestöber erschwerten und verlangsamten unseren Fluchtweg nach Pillau. Wir hörten nur das „Hüh“ und „Hott“ unseres alten Kutschers, der Müh und Not hatte, seine vier Pferde nicht zu Fall bringen zu lassen; hinter uns das Rufen der Frauen und Mütter „Nehmt uns mit“ und das Weinen der hilflosen, frierenden Kinder. Vor uns das eintönige Marschieren der von Pillau neu angekommenen Truppen, hinter uns ein wogendes Meer von Flüchtlingen.

 

Plötzlich ein Knall! Es wurde taghell, als wollte der Himmel sich öffnen: der Flugplatz Seerappen flog in die Luft! Hoch aufbäumten sich die Pferde und in rasender Fahrt ging es über die zu Glatteis gefrorenen Felder und Landwege. Der nicht enden wollende Schneesturm, der erneute Anmarsch kämpfender Truppen, zwang zur Einkehr in Caspershöfen. Dort herrschte ein wildes Durcheinander, aus allen Gegenden strömten die Flüchtlinge zusammen. Wir bekamen von den Soldaten eine heiße Erbsensuppe und vom Besitzer Milch und Brot. Unterkunft mit Hunderten von Flüchtlingen auf sauber geschüttetem Strohlager im Kuhstall. Das so beruhigende „Muh“ der Tiere, das eintönige Klirren der Halfterketten der Pferde und diese wärmeausströmende tierische Nähe brachte uns allen den erquickenden Schlaf.

 

Um 4 Uhr morgens ertönte der Ruf: „Pillau gesperrt — Königsberg nur für Soldaten frei“.

 

So ging die Fahrt im Morgengrauen nach Palmnicken. In Germau lagen schon kleine versprengte Truppenteile der Russen. Wie ein aufgestochenes Wespennest empfing uns das sonst so stille Palmnicken. Wir bekamen noch Unterkunft und hatten die Hoffnung im Herzen: „entweder nach Königsberg zurück oder Flucht über Pillau?“

 

So erwarteten wir den Frühlingsanfang!

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Ein harter ostpreußischer Winter musste nun auch in der Natur überwunden werden, und als Stadtkind habe ich noch nie das Kommen des Frühlings so belauschen können wie in den Märztagen des Jahres 1945 an der Samland Küste. Das erste zarte Grün der Birken in dem Palmnicker Schlosspark; von der Küste der Ausblick auf das leicht anrollende Meer, das gleichmäßige, noch etwas müde Plätschern der noch mit Eiskrusten behangenen Wellen und die Luft so frisch und herb. Über uns der weitgespannte Himmel in einer aufleuchtenden Klarheit, wie es nur in Frühling und Herbst an unserer Ostpreußischen Küste möglich ist. Auf den Feldern das sehr „zaghafte“ Aufsteigen der ersten Lerchen.

 

„Not lehrt beten“. Wir gingen am letzten Sonntag vor unserer Flucht noch einmal in die Palmnicker Dorfkirche, die nun überfüllt von Flüchtlingen war. Alle Bänke waren entfern, und überall, selbst auf dem Altar, war Stroh geschüttet. Wir knieten alle während des Gottesdienstes auf dem Strohlager und die gläubigen, verzweifelten Seelen fanden Trost in folgendes Psalmworten, die ein alter Pfarrer von der Kanzel verkündete: „Es mögen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer“.

 

So traten wir am 13. April trosterfüllten Herzens die Fahrt ins Ungewisse an. Im frühen Morgennebel fuhren wir mit Lastwagen vorbei an brennenden Dörfern nach Pillau. Ein kleiner Dampfer brachte uns bis vor Hela, dort ankerten wir über Nacht. Vor unseren Augen sank ein Dampfer, der eine Stunde vor uns Pillau verlassen hatte, rotglühend in die Fluten. Viele Menschen konnten noch von Soldaten auf einem Prahm errettet werden, aber unsere Nachbarin aus Palmnicken verlor ihren Mann mit ihren vier Kindern.

 

So wurden wir im frühesten Morgennebel mit 4000 Verwundeten auf offenem Meer auf einen Frachter umgeladen. Damit wurde erneut die Fahrt ins Ungewisse angetreten.

 

 

 

Seite 16   Kapitalabfindungen nach dem Bundesversorgungsgesetz

Ein gerade für die heutige Zeit bedeutsame Einrichtung ist die im Bundesversorgungsgesetz vorgesehene Kapitalabfindung.

 

So können Beschädigte, die Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v. H. haben, durch Zahlung eines Kapitals abgefunden werden, und zwar zum Zwecke des Erwerbs oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes, aber auch zum Zwecke des Erwerbs grundstücksgleicher Rechte, wobei unter grundstücksgleichen Rechten das Miteigentum an einem Grundstück oder ein Stockwerkseigentum zu verstehen ist.

 

Eine Kapitalabfindung kann darüber hinaus gewährt werden

 

1. zum Erwerb der Mitgliedschaft in einem als gemeinnützig anerkannten Wohnungs- oder Siedlungsunternehmen, sofern hierdurch die Anwartschaft auf baldige Zuteilung einer Wohnung oder Siedlerstelle durch dieses Unternehmen sichergestellt ist;

 

2. zum Abschluss eines Bausparvertrages mit einer Bausparkasse. Mit Hilfe der Kapitalabflndung soll vornehmlich der Erwerb eines Eigenheimes oder einer Siedlerstelle, sei es im Eigentum oder im Erbbaurecht, ermöglicht werden.

Zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zählen alle Maßnahmen, die der Erhaltung oder Verbesserung des Grundbesitzes oder der Hebung seiner Ertragsfähigkeit dienen, wie

 

a) Entschuldung und Verbesserung der Belastungsverhältnisse des Grundstücks;

 

b) Aufbau, Instandsetzung und Erweiterung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden;

 

c) Erwerb von Landflächen zur Vergrößerung des Grundbesitzes;

 

d) Ausführung von Bodenverbesserungen und dergleichen.

 

Der Umstand, dass ein Dritter, insbesondere die Ehefrau des Beschädigten, Miteigentümer des Grundstücks ist oder werden soll, steht der Bewilligung einer Kapitalabfindung nicht entgegen. Eine Kapitalabfindung kann auch gewährt werden, wenn das Grundstück Bestandteil eines gemeinschaftlichen Vermögens ist, beispielsweise einer Miterbengemeinschaft, Gesellschalt usw. Die Kapitalabfindung darf jedoch in diesen Fällen den Teil des Grundstückswertes nicht übersteigen, der dem Anteil des Beschädigten an dem gemeinschaftlichen Vermögen entspricht.

 

Unter welchen persönlichen Voraussetzungen kann nun eine Kapitalabfindung gewährt werden? Zunächst muss der Beschädigte das 21. Lebensjahr vollendet haben, darf jedoch nicht älter als 55 Jahre sein. Nur in Ausnahmefällen kann auch über das 55. Lebensjahr hinaus eine Kapitalabfindung gewährt werden. Eine weitere Voraussetzung ist. dass der Versorgungsanspruch durch rechtskräftigen Bescheid anerkannt ist, ferner, dass nach der Art des Versorgungsgrundes (des anerkannten Schädigungsleidens) nicht zu erwarten ist, dass innerhalb des Abfindungszeitraumes die Rente, z. B. durch wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes, weglallen wird. Schließlich muss für eine nützliche Verwendung des Geldes Gewähr bestehen.

 

Bei der Errechnung der Kapitalabfindung wird lediglich die Grundrente oder ein Teil dieser Rente zugrunde gelegt, nicht jedoch die Ausgleichsrente. Die Grundrente beträgt bei Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. mtl. 25,-- DM, 60 v. H. = mtl. 35,-- DM, 70 v. H. - mtl.45,-- DM, 80 v. H. mtl. 55,-- DM, 90 v. H. = mtl. 65,-- DM bei Erwerbsunfähigkeit 75,-- DM. Kapitalisiert wird der neunfache Jahresbetrag und als Abfindungssumme gezahlt. Wünscht z. B. ein Erwerbsunfähiger eine Kapitalabfindung, so ergibt sich für die Kapitalisierung folgende Berechnung: Grundrente 75,-- DM X 12 (Monate) 900 X 9 = 8100, -- DM. Die Höchstbeträge sind nach der 2. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz nunmehr wie folgt festgesetzt:

 

a)     Für Beschädigte unter Zugrundelegung einer MdE von 50 v. H. = 2700 – DM, 60 v. H. = 3780,-- DM, 70 v. H. = 4860,-- DM, 80 v. H. = 5940,-- DM, 90 v. H. = 7020,--  DM.

Bei Erwerbsunfähigen, wie oben schon errechnet, — 8100,-- DM.

b)    Für Witwen mit einer Grundrente von monatlich 20,--  DM = 2160,-- DM, von monatlich 40,-- DM = 4320,-- DM.

 

Die Möglichkeit, daß nunmehr auch Witwen eine Kapitalabfindung erhalten können wurde durch die Verabschiedung der 2. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz geschaffen. Voraussetzung ist auch hier, dass die Witwen einen Anspruch auf Rente haben.

 

Schließt eine abgefundene Witwe erneut eine Ehe, so ist nach der Eheschließung die Abfindungssumme insoweit zurückzuzahlen als sie die Gesamtsumme der bis zu ihrer Wiederverheiratung erloschen gewesenen Versorgunesbezüge übersteigt. Die Heiratsabfindung nach dem BVG ist auf den zurückzuzahlenden Betrag anzurechnen.

 

Wie verfahre ich nun, um eine Kapitalabfindung zu erlangen? Man richtet zunächst ein formloses Schreiben an das für den Wohnort zuständige Versorgungsamt und bringt darin den Wunsch nach Kapitalisierung der Rente zum Ausdruck. Das Versorgungsamt übersendet daraufhin die entsprechenden Antragsformulare, die dann in zweifacher Ausfertigung mit den im Vordruck bezeichneten Unterlagen entweder direkt an das Versorgungsamt oder auch an die zuständige Fürsorgestelle gesandt werden. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass, solange der Bewilligungsbescheid nicht ergangen ist, keine bindenden Verträge abgeschlossen werden dürfen, die mit der Kapitalabfindung erfüllt werden sollen.

 

Die den Versorgungsämtern übergeordnete Verwaltungsbehörde (Landesversorgungsmat) trifft auf Grund der Vorprüfung und des Ergebnisses der von der Hauptführsorgestelle durchgeführten Prüfung in einem Zeitraum von etwa 4 Wochen die endgültige Entscheidung über den Antrag. Nachdem die Höhe der Abfindungssumme festgesetzt ist und die notwendigen fiskalischen Sicherungen erfüllt sind (Eintragung einer Sicherungshypothek usw.) wird die Abfindung an den Verkäufer bzw. das Wohnungs- oder Siedlungsunternehmen oder an die Bausparkasse ausgezahlt.

 

Kapitalabfindungen, die bis zum 9. Mai 1945 gezahlt worden sind.

Für die Versorgungsberechtigten des 1. Weltkrieges dürfte es von besonderem Interesse sein, dass Kapitalabfindungen, die bis zum 9. Mai 1945 gewährt worden sind, nicht mehr zurückgezahlt werden brauchen. Es empfiehlt sich jedoch, einen Antrag auf Löschung der Sicherungshypothek zu stellen.

Helmut Wegner

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