Wir Ostpreußen, Folge 13 vom 05.07.1950

Seite 5   Das Kreuz des deutschen Ostens

Foto: Das Kreuz des deutschen Ostens, von Bad Harzburg aus gesehen 

In dem westlichen Teil unseres deutschen Vaterlandes, in der Bundesrepublik, gibt es jetzt schon zahlreiche Kreuze, von uns Heimatvertriebenen errichtet. Irgendwo in einem Ort erstand das Erste, immer mehr folgten, und vielleicht wird der Gedanke, durch ein Kreuz symbolhaft alles das auszusprechen, was wir Vertriebene zum Raub unserer Heimat und in dem Kampf um unsere Rückkehr zu sagen haben, so sehr Allgemeingut werden, dass bald in jeder Gemeinde solch ein Kreuz stehen wird.  

Das Kreuz aber, das am Johanni-Abend am Nordrande des Harzes geweiht wurde, hat eine besondere Bedeutung. Nicht, weil es das größte von all denen ist, die bis jetzt errichtet wurden, nicht, weil sein Sockel 312 tons wiegt und in ihm 130 cbm Beton und 3 t Baustahl verarbeitet worden sind, nicht, weil auch beim Kreuz selbst die Maße imponieren - es ist aus zehn Lärchenstämmen zusammengefügt, zwanzig Meter hoch und wiegt 4,5 Tonnen - der Ort vielmehr, an dem es steht, macht es so bedeutungsvoll. Mitten durch den Harz, durch das von Sage und Geschichte umwitterte Herzgebirge Deutschlands, geht jener Graben, den fremde Mächte durch unser deutsches Vaterland gerissen haben. Hier, unmittelbar an dieser Linie, die ohne Erlaubnis dieser Mächte zu überschreiten, einem Deutschen den Tod bringen kann, hier ragt auf granitenen Klippen 550 Meter über dem Meer dieses Mal. Wer vom Westen kommt, sieht schon viele Wegstunden vorher den Brocken, den höchsten Berg Mitteldeutschlands, mit seinem Turm. Er liegt schon auf der anderen Seite und damit wie in einer anderen Welt. Jetzt ist, für jeden von Westen Kommenden beinahe ebenso weit sichtbar, dieses Kreuz hinzugetreten, das Kreuz des deutschen Ostens . . .

 

Es hatte schon seinen tieferen Sinn, dass von all den Gästen, die zur Weihe des Kreuzes gekommen waren, von all den Ministern und Abgeordneten der Bürgermeister von Berlin, Professor Dr. Reuter, von den mehr als zwanzigtausend Teilnehmern besonders stark und herzlich begrüßt wurde. Auch ohne dass es ausgesprochen wurde, empfanden wohl viele, dass zwischen Berlin, dieser letzten, freien, von Gewaltherrschaft umbrandeten Bastion nach Osten zu, und diesem Kreuz eine starke innere Beziehung besteht, ist es doch wie das letzte Zeichen, das das Abendland nach Osten richtet.

„Berlin, die Stadt hinter dem Eisernen Vorhang, als Hort der Freiheit und der Einheit unseres Vaterlandes, grüßt durch mich alle Heimatvertriebenen. Wir werden die Heimat wiedergewinnen.* So schrieb Oberbürgermeister Reuter in das .Goldene Buch des Kreuzes des Deutschen Ostens". Bundesminister Lukaschek sprach im Namen aller Heimatvertriebenen, als er die Worte eintrug: .Wir vergessen niemals die Heimat, wir erkennen niemals an, was ruchlose Menschen als Verzicht auf unsere Heimat aussprechen." Diese Worte sagen es, was das Kreuz zu bedeuten hat. Es ist ein Mahnmal, mit dem wir Vertriebene nach dem Recht und damit nach unserer Heimat rufen, und es ist zugleich ein Ehrenmal für die ungezählten Toten, die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft geworden sind.

 Als an jenem Johanni-Abend die Finsternis aus den Bergen und Wäldern des Gebirges langsam nach unten stieg, als es dann ganz dunkel wurde, da flammte plötzlich hoch auf dem Berge jenes Kreuz im Licht auf, und neben den Tausenden von Heimatvertriebenen und Einheimischen, die zu der Feier selbst gekommen waren, sahen es weitere Zehntausende auf viele, viele Kilometer weit im Land. Von ferne muss es so gewesen sein, als ob ein leuchtendes Kreuz irgendwo hoch am Himmel schwebte. In mancher Ansprache und in manchem Grußwort wurde alles das gesagt und heraufbeschworen, was in dieser Stunde zu sagen war. Minister Lukaschek erklärte, als Vertreter des Bundespräsidenten und im Auftrage des Bundeskanzlers und des gesamten Bundeskabinetts zu sprechen. Er wünschte Glück und Segen zur Aufrichtung des Kreuzes hier an dieser Stelle und er dankte dafür, dass dieses Zeichen gewählt worden ist und nun herausstrahle in alle Welt. Er wolle noch einmal das Bekenntnis der Bundesregierung wiederholen, .wie es unser verehrter alter Reichstagspräsident Paul Löbe im Namen des Bundestags, des Bundesrats und der gesamten Bundesregierung ausgesprochen hat, als Protest gegen den ruchlosen, rechtlich übrigens völlig nichtigen Verzicht auf das Land hinter der Oder und Neiße." Und Bundesminister Lukaschek fuhr mit erhobener Stimme fort: „Ich darf heute hinzufügen, dass das ebenso für den Sudetengau gilt, der vor einigen Tagen ebenso verhandelt werden sollte. Die Bundesregierung wird niemals verzichten, und dieses Niemals wird stehen, solange es deutsche Menschen gibt. Ist dieses Kreuz heute ein Kreuz an der Grenze, dann wird es morgen ein Kreuz im Herzen Deutschlands sein, zur Erinnerung daran, dass man uns Unrecht getan hat, und dass das Unrecht sich in Recht verwandelt hat. Unter diesem Zeichen werden wir siegen! Sieg aber in Liebe. Und dieses Feuer, es drückt die heiße Liebe aus, und die Sehnsucht, die nie in uns verlöschen wird und die, meine lieben Landsmannschaften, den Gedanken an die Heimat und die Liebe zur Heimat aufrecht erhalten soll." Neben den Fackelträgern, die das weite Rund des Platzes aufhellten, gab es zwei große Lichtpunkte: Oben auf dem Berg das leuchtende Kreuz und unten das gewaltig lodernde Johannisfeuer, gerade uns Ostpreußen wie eine Verheißung, dass wir unter dem Zeichen des Kreuzes dort oben auf dem Berge einmal auch wieder in unsere Heimat kommen und die Johannisfeuer dort anzünden werden.

 

Am Sonntag war das Kreuz selbst das Ziel vor allem vieler Heimatvertriebener. In einer schlichten, aber würdigen Feier wurden die Wappen der einzelnen ostdeutschen Provinzen an den Quadern des Sockels als Symbole der Heimat befestigt. Zuletzt wurde in einem kleinen schwarzen Schrein eine große Kostbarkeit heraufgereicht, die ein alter Heimatvertriebener aus dem deutschen Osten mitgebracht hatte, Erde von dem Friedhof, in dem dieser Greis seine ermordeten Kinder und Enkel hatte beerdigen müssen. Diesem Mann, der als einziger von einer großen Familie jenes Grauen überlebt hat, erschien dieses Kreuz als der würdigste Platz, diese Erde aufzunehmen.

 

Nacht für Nacht soll nun dieses Kreuz erstrahlen, und nicht nur vom Westen her wird man es sehen, sondern auch von weiten Teilen jenes Deutschland, das nicht sagen darf, was es fühlt und denkt. Und mancher, der dieses Kreuz überhaupt nicht sehen kann, der viele hundert Kilometer entfernt von ihm lebt, wird sich, wenn er ganz verzagt werden will, dieses Kreuz im Geiste vorstellen, und aus dem Bewusstsein heraus, dass es, leuchtend, die Idee von Recht und Freiheit und Gerechtigkeit verkörpert, neue Kraft schöpfen.

 

Dieses Kreuz ist auch ein Beweis dafür, was wir Heimatvertriebene erreichen können, wenn wir nur alle wirklich etwas wollen. Es ist nur wenige Wochen her, da war die Errichtung dieses Kreuzes nichts weiter als ein Plan. Und dann packte man an, und in sechs Wochen wurde trotz aller Schwierigkeiten und Widerstände dieses eindrucksvolle Mahnmal erbaut. Es soll hier nicht die Rede sein von den Verdiensten einzelner Personen, es soll auch nicht weiter darauf eingegangen werden, dass das deutsche Erbübel, die Zwietracht, auch hier wieder in Erscheinung trat und dass man soweit ging, in der Zeitung einer großen Partei einem Vertriebenen, der sich besonders tatkräftig eingesetzt hatte, den ungeheuerlichen Vorwurf zu machen, die Errichtung des Kreuzes sei sein größtes Geschäft - überflüssig zu sagen, dass die entsprechenden Organisationen der Heimatvertriebenen es sind, welche die gesamte finanzielle Seite erledigen und beaufsichtigen, - es soll nur betont werden, dass es nicht irgendwelche Behörden oder Regierungen waren, die mit öffentlichen Mitteln dieses Kreuz errichteten, sondern dass Gedanke und Tat aus dem Kreis der Heimatvertriebenen kamen. Wenn von missgünstiger Seite aus persönlichen Gründen erklärt wird, man hätte die zehntausend Mark, die dieses Kreuz koste, für bessere Zwecke verwenden können, dann sei darauf nur geantwortet, dass diese Kosten eines Mahnmals, das uns Heimatvertriebenen heilig ist, nur einen Bruchteil von dem betragen, was Blumendekorationen, die übrigens der Steuerzahler bezahlen muss, und Feuerwerke in Bonn gekostet haben. Jene Blumen sind verwelkt, die Raketen und die Sonnenkugeln über dem Rhein waren in wenigen Sekunden zerstoben - das Kreuz des deutschen Ostens, das an dieser Stelle für all das steht, was Ostdeutschland bedeutet, das ein Sinnbid auch dessen ist, was das Abendland gegen Asien zu verteidigen hat, soll leuchten, bis unsere Sehnsucht Erfüllung wird.

 

Seite 6   „Polen besitzt weiterhin die Grenzen von 1939“

Polnisches Organ stellt fest:

Die von den Exilpolen in London herausgegebene Zeitung „DZIENNIK POLSKI" berichtet, dass ein vom amerikanischen State Department verfasstes amtliches Dokument feststellt, dass die Vereinigten Staaten die Veränderung der polnisch-sowjetischen Grenze von 1939 nicht anerkennen. Ein weiteres Dokument des Präsidenten Truman über die Revision der Einwanderungsquote habe das polnische Kontingent unverändert gelassen. Das polnische Blatt bemerkt zu diesen Tatsachen: „Es wird damit festgestellt, dass Polen für die Vereinigten Staaten weiterhin die Grenzen von 1939 besitzt, dass weder die im Osten durchgeführten Gebietsveränderungen, noch die polnisch-deutsche Grenze die Vereinigten Staaten verpflichten und dass beide nicht anerkannt werden." Ohne in der Interpretation zu weit zu gehen, könne man saqen, dass die USA sich an das Abkommen von Jalta nur in politischer, nicht aber in rechtlicher Hinsicht gebunden betrachteten.

 

Aus dem in der polnischen Zeitung auszugsweise wiedergegebenen Dokument des State Department geht des weiteren hervor, dass die USA die deutschen Gebiete jenseits der Oder und Neiße nur als „von Polen und der Sowjetunion de facto annektiert" betrachten. Es ist bezeichnend, dass das

 

State Department diese Gebiete ausdrücklich als .unter vorläufiger polnischer Verwaltung östlich der Flusslinie von Oder-Neiße" befindlich charakterisiert und hinzufügt, dass sich die Feststellungen des Dokuments auch auf Danzig und den sowjetisch besetzten Teil Ostpreußens beziehen.

 

 

Seite 7   Wiegenlied, von Gerda Hoefs

 

Schlafe, mein Kind. Die Heimat ist ferne.

Still halt’ ich deine Hand.

Dort - wie auch hier - stehn flimmernd die Sterne

Über dem traurigen Land.

 

Schlafe, mein Kind.- Vom Haine her schallet heiserer Vogelruf.

Einsam aus dunkelndem Hofe nur hallet

fremd eine Pferdes Huf.

 

Schlafe, mein Kind. Im Hause nun schweiget

jedes bittere Wort  

Leuchtend der Mond hinterm Walde aufsteiget

über die Wolken fort.

 

Schlafe, mein Kind. Es träumet der Garte längst in tauiger Ruh.  

Brauchst auf den Vater nie mehr zu warten;

Kühl deckt die Erde ihn zu.

 

Schlafe, mein Kind. Die Haustür knarrt leise,

bang rührt ans Fenster der Wind,

Summt von der Heimat trostlose Weise.

Schlafe, o schlaf nur, mein Kind.

 

Seite 7   Corinth lernte in Königsberg malen

 

Von den Schülern, welche die Kunstakademie Königsberg im Laufe ihres hundertjährigen Bestehens gehabt hat, ist Lovis Corinth am berühmtesten geworden. Dieser größte Maler, den Ostpreußen hervorgebracht hat - er wurde am 21. Juli 1858 in Tapiau geboren und starb am 17. Juli 1925 in Zandvoort in Holland -, hat in seiner Selbstbiographie in dem Kapitel „Werden“ geschildert, wie er nach dem Besuch der Schule In Königsberg an die Kunstakademie kam und welche Verhältnisse dort herrschten.

 

Ich ging aus der Sekunda B mit dem Zeugnis für das Einjährigen-Examen ab. Leider muss ich gestehen, dass ich und die Lehrer uns sehr freuten, einander aus dem Gesichtsfeld zu kommen. So ging ich denn eiligst nach der Akademie in der Königstraße, um mich dort als Schüler anzumelden. Es fiel gerade Ostern mein Lebensberuf auf den Maler, denn fast jeden Monat hatte ich eine andere Leidenschaft, mein Leben einzurichten: Soldat, Matrose, vor allem Landwirt wechselten in buntem Reigen und heute wollte es das Schicksal, dass ich Maler werden wollte. Bei diesem Berufe verharrte ich nun treu und niemals wollte ich es bereuen. Es wäre denn der Jammer, welcher über jeden Künstler fällt, wenn er Leben und Kunst als verfehlt ansieht und über die Stärke seines Talents Zweifel hegt.

 

Die Akademie war jedem Königsberger vom Aussehen bekannt, ein viereckiger, mit Bronze beschlagener Schornstein ragte vor dem Biedermeier-Hause in die Luft und ein schöner lateinischer Vers stand über dem Gesims, dass dieses Gebäude zur Erziehung von jungen Künstlern gegründet wäre. Aber über das Tun der Maler waren die guten Königsberger ebenso wenig instruiert, wie etwa über die Freimaurer, von denen sie glaubten, dass diese alle eines Tages vom Satan geholt würden und zur Hölle abführen wie der Teufel mit dem Doktor Faust. Ich wusste über die Malerei nicht mehr als mystische Geschichten, welche mir die Tante erzählt hatte. Auch ein Schulfreund hatte mich schon einigermaßen bekanntgemacht mit Namen, Berühmtheiten, die aber für mich leerer Schall blieben.

 

Ich sah einen alten verwilderten Herrn mit breit krämpigem Hut, weißem Schnurrbart, „Sanft-Jacke" mit fliegender Krawatte über den Schloßberg eilen. Das sollte der frühere Direktor der Akademie sein. Er hieß Rosenfelder. Ich hatte sein großes Bild im Bildermuseum bewundert: Die Übergabe der Marienburg. In der Geschichte war ich gut bewandert, und dieses Bild konnte ich nicht genug bewundern. Solche Bilder möchte ich malen: Harnische, wallende Mäntel, sammete Draperien und namentlich, wie der Hochmeister in geäderter Hand den Festungsschlüssel hält. Das waren meine Motive um das Jahr 1876. Ein Kunsthistoriker würde darüber in seinen Heften notieren, dass die Historienmalerei zu jener Zeit am höchsten bewertet wurde. Mit diesen schwachen Kenntnissen trat ich dann mit einigen Zeichnungen unter dem Arm aus dem Gymnasium in die Akademie in das Atelier ein, wohin man mich gewiesen hatte, dass dort die Aufnahme stattfinden solle.

 

Ich kam in die Kopierklasse, wo ich Vorlegeblätter nach „Julien" nachzeichnen sollte. Die höchste Kunst schien, und man hielt den für sehr begabt, welcher eine Kriehuber'sche Lithographie überwunden hatte. Der Lehrer meiner Klasse war der Kupferstecher Trossin. Sein Lieblingswort war: „Nicht zu pechig", wenn die Vorlage zu schwarz mit der Kreide abschattiert war.

 

Nach dem überstandenen Examen hatte ein Lehrer die Königsberger Akademie als zu schwächlich und korruptionslüstern in einer Zeitung denunziert. In der Tat verband ein Lehrer aus Bromberg zugleich mit seinem Studium eine Brunnenkur auf Anraten seines Arztes. Inzwischen arbeitete ein junger, armer Akademiker an seiner jungfräulichen Diana und so blieben ihm nur die mechanischen Fächer übrig, welche er glaubte, leicht überwinden zu können. So setzten bereits die kleinen Intrigen ein, die auch in dem heiteren und harmlosen Künstlervölkchen in der Ostpreußischen Residenz üblich werden sollten. Wir zahlten drei Taler vierteljährliches Honorar und hatten dafür alles: Heizung, Handtücher und die Bilderschüler sogar ein schönes Atelier. Ferner war für alle Akademiker einen Monat vor den großen Ferien Zeichnen und Malen nach der Natur. Zu diesem Zweck zog man in einen angenehmen Ort der Umgebung Königsbergs, wenn er besonders mit einem Park oder nahem Walde verbunden war. Ein reicher Spender hatte den Malern und jungen Schülern das Mittagessen geschenkt und viele arme Schlucker lebten in diesem Monat angenehmer, als in den übrigen Zeiten des Jahres. Zu Weihnachten waren dann Stiftungen ausgesetzt für Arbeiten guter Studienköpfe, Aktzeichnungen, landschaftliche Zeichnungen und sogar für den Ankauf von Ölbildern jüngster Künstler. Diese Erwerbungen nannten wir zum Scherz „die Suppe", weil, nachdem die Schulden notdürftig bezahlt waren, nur für einen Teller Suppe übrig blieb. Ich selbst hatte einmal so viele Prämien eingeheimst, dass meine Freunde sogar Austern essen durften, so viel sie wollten.

 

Als ich nach der Gipsklasse versetzt war, wurde auch ein neuer Lehrer für dieses Atelier angestellt. Er hieß Otto Günther, kam aus Weimar und war in Königsberg schon von der letzten Ausstellung im Moskowiter Saale rühmlichst bekannt. Jedenfalls regte Günther uns vielfach an. Er gründete einen jüngeren Künstlerverein, der verbunden war mit einem Kompositionsabend und reizte uns, Reisen nach Berlin und sogar nach Thüringen zu machen. Mir persönlich hat Günther künstlerisch Anregungen gegeben, welche für mein vollkommen naives Gehirn leicht zu erfassen möglich waren. Diese Zeit war die schönste meiner Jugend: Frei von allem Schulzwang, eine anständige Wohnung bei meinem Vater und gleichgesinnte Freunde. Wir waren alle stark und jung. Ich muss vorausschicken, dass zu jener Zeit der Genuss alkoholischer Getränke denkbar am höchsten gestiegen war und gar in meiner Heimat, wo der ostpreußische Maitrank berühmt war. Kein Student und kein Soldat konnten in den Augen seiner Mitmenschen tüchtig gelten, wenn er nicht auch ein berüchtigter Trinker war. Diese Trunksucht wurde bald von uns zu großer Meisterschaft gebracht.

 

Kohnert, Minzloff und alle meine neu gewonnenen Freunde tranken und betranken sich, dass wir nicht unterscheiden konnten, wer von uns allen am meisten leisten konnte. Viele, die ich nur vom Hörensagen kannte, z. B. Borries und ein Pillauer, dessen Namen ich vergessen habe, entgleisten durch dieses Laster schon sehr früh und starben als Jünglinge, ohne dass ein Hahn nach ihnen gekräht hätte. Der Hauptgrund dieser Entgleisung war ihre geringe Schulbildung und ihre zu große Armut. Alle waren Stubenmaler gewesen. Der Alkohol hatte bei ihnen offene Tür, und wenn sie kein Geld hatten zu Grog oder Schnaps, so nahmen sie auch mit Brennspiritus vorlieb, welchen sie auf der Bude ihrer Freunde stibitzten, und so hatten sie die paar Jahre eine traurige Berühmtheit für unsere Akademie erlangt.

 

Corinth schildert dann sehr ausführlich und in drastischer Art, wie eine Fahrt nach Wargen und Preil zu einem alkoholischen Exzess ausartete, dessen Folgen nur mit großer Mühe zu einem Taler Ordnungsstrafe wegen Unruhe auf der Straße abgebogen werden konnten. Nachdem er dann von Intrigen künstlerischer und finanzieller Art spricht, die an der Kunstakademie in Königsberg im Gange waren, erzählt er, wie er schließlich von Königsberg an die Kunstakademie von München kam.

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