Wir Ostpreußen, Folge 11 vom 05.06.1950

Seite 6   Ostpreußische Gedenktage 

Der Juni bringt u. a. folgende ostpreußische Gedenktage:

04.06.1415: Heinrich Vogelsang in Heilsberg gestorben (geb. um 1360 in Heilsberg, Bischof von Ermland, im Gegensatz zum Hochmeister Heinrich von Plauen; begraben im Frauenburger Dom).

 

04.06.1865: Frieda Jung in Kiaulkehmen (Jungort), Kr. Gumbinnen, geboren (formschöne, von starker Heimatliebe getragene Dichtungen, gest. 1929 in Insterburg).

 

05.06.1781: Chr. Aug. Lobeck geboren (Meisterwerke zur griechischen Religionsgeschichte und Sprachwissenschaft; geistvolle lateinische und deutsche Festreden. Lobeck. galt als Zierde und Stolz der Albertina, gest. 1860 in Königsberg).  

 

07.06.1861: Joh. Mich. Guiise (Giese) gestorben (geb. 1796, der Altmeister planmäßiger ostpreußischer Burgenforschung, wertvolle Handzeichnungen).

 

09.06.1818: Joh. Fr. von Herrmann in Johannisburg gest. (geb. 1730, verteidigt Pillau mit Erfolg im unglücklichen Krieg 1806/07).  

 

10.06.1843: Theod. Gottl. von Hippel (d. J.) in Bromberg gestorben (geb. 1775 in Gerdauen. Mitarbeiter Hardenbergs, Anteil an Preußens Erhebung, verfasst den Aufruf „An mein Volk" vom

17.03.1813; später Präsident in Marienwerder und Oppeln. Freund und Helfer E. T. A. Hoffmanns.).

 

14.06.1854: Ch. Th. L. Lukas gestorben (geb. 1796, Schulmann und vielseitiger Wissenschaftler. Arbeiten zur altgriechischen und Ordensgeschichte sowie zur deutschen Literatur).

 

14.06.1405: Johannes von Posilge gestorben (geb. um 1340 in Posilge, schrieb eine preußische Chronik in lateinischer Sprache. Sie ist eine der wichtigsten Geschichtsquellen des Mittelalters).

 

14.06.1932: Ad. Emil Hering in Rauschen-Sassau gestorben (geb.1863 in Bosemb, Kreis Sensburg; Maler; besondere Erfolge seiner historischen Gemälde; Verkündigung des Todesurteils und Erschießung der Schillschen Offiziere).  

 

15.06.1670: Th. Ludw. Lau in Königsberg geboren (wechselvolles Lebensschicksal, philosophische und merkantilistische Schriften. Er führt das Wort „Nationalökonomie" ein; gestorben 1740).  

 

15.06. 1843: Joh. Jac. Gallandi in Paterswalde geboren (Major; er hat ostpreußische Wappen von 1500 bis zur Gegenwart u. a. gesammelt und handgezeichnet; in Königsberg 1918 gest.).  

 

18.06.1687: Friedrich Wilhelm, Herzog von Holstein-Beck geboren (Generalfeldmarschall, war für Friedrich II. „der gute alte Holstemer", eine Art Gegenstück zum Alten Dessauer. Nach ihm war das Schloß Holstein am Pregel benannt, gest. 1749 in Königsberg).  

 

20.06.1869 Gottfr. Döring in Elbing gest. (geb. 1801 in Pomehrendorf bei Elbing, Pflege der Musik in Elbing und Danzig, der Vater der preußischen Musikgeschichte durch sein Hauptwerk: Geschichte der Musik in Preußen, Elbing 1852).

 

21.06.1788: Joh. Georg Hamann gestorben (geb. 1730 in Königsberg, Packhofverwalter, Freund Imm. Kants, Geqner der Aufklärunq und der Kantischen Erkenntnislehre. Er betont die Schöpferkraft des Gefühls und beeinflusst stark Herder sowie die literarische Epoche des Sturmes und Dranges. Neue Hamann-Forschungen durch Jos. Nadler).  

 

21.06.1799: Chr. Fr. Keßler in Königsberg geboren (Landschaftsmaler des nördlichen Ostpreußen, Altarbild der Tilsiter Deutschordenskirche, gest. 1854 in Tilsit).  

 

24.06.1382: Winrich von Kniprode in Marienburg gestorben (geb. um 1310 in Kniprath im Rheinland. Ungewöhnlich schneller Aufstieg im Deutschen Orden durch Begabung, Charakter und kriegerische Tüchtigkeit. In seiner 30jährigen Hochmeistertätigkeit [1351 - 1382] wird der Orden zur ausschlaggebenden politischen und wirtschaftlichen Macht im Ostseeraum. Blütezeit des Ordenslandes durch steigenden Wohlstand, Aufschwung des geistigen Lebens und der Künste).

 

24.06.1685: H. von Lehwald in Legitten bei Labiau geboren (Generalfeldmarschall, kämpft u. v. a. 1757 mit Erfolg gegen russische Übermacht bei Gr.-Jägersdorf, gest. 1768 in Königsberg).

 

24.06.1748: Dav. Gottl. Kuwert in Nidden geboren (legt dort die Plantage an; beginnt die Festlegung der Dünen. Ihm wird die Einführung des Kurennetzes zugeschrieben; gest. 1827 in Nidden).  

 

24.06.1862: Rud. Otto Franke geboren (Verdienste um die Kenntnis der buddhistischen Literatur, Blüte der Indologie an der Albertina; gest. 1928 in Königsberg).

 

24.06.1911: Jul. Lippert gestorben (geb. 1866 in Stanneitschen bei Gumbinnen. Professor für Orientalistik in Berlin. Arbeiten zur arabischen Literaturgeschichte).  

 

25.06.1394: Dorothea von Montau in Marienwerder gestorben (geb. 1347 in Montau, lebte ein Jahr vor ihrem Tode in einer Klause im Dom zu Marienwerder; im Ruf besonderer Begnadigung stehend, wurde sie hauptsächlich im Ermland und in Westpreußen als Schutzpatronin Preußens verehrt).  

 

25.06.1822: Ernst Theodor Amadeus (Wilh) Hoffmann gestorben (geb. 1776 in Königsberg, Reg.-Rat; außerordentlich vielseitige Begabung: Dichter, Maler, Musiker. Seine Erzählungen, in denen Humor und Grausen, Märchenwelt und Wirklichkeit sich eigenartig mischen, gehören zum besten deutschen Novellengut).  

 

25.06.1858: Fr. Aug. Gotthold in Königsberg gestorben (geb. 1778; Wilh. von Humboldt überträgt ihm 1810 die Leitung des Friedrichskollegs, bedeutende Arbeiten zur Pädagogik, klassischen Philologie und Geschichte).

 

25.06.1904: Wilhelm Jordan gestorben (geb. 1819 in Insterburg, bearbeitete u. a. „Die Nibelungen" und übersetzte die Edda, Ilias und Odyssee).  

 

27.06.1786: Jos. Green in Königsberg gestorben (geb. um 1726 in Hull; Fa. Green, Motherby u. Co.; enge Freundschaft und Zusammenarbeit mit Imm. Kant - Kritik der reinen Vernunft -. Vorbild für Hippels Lustspiel: Der Mann nach der Uhr).  

 

29.06.1917: Richard Friese gestorben (geb. 1854 in Gumbinnen, Tier- und Landschaftsmaler des Ibenhorster Elchreviers und der Rominter Heide; besondere Förderung durch Wilhelm II).

 

Seite 7   Das volkstümlichste Krankenhaus Ostpreußens. Hundert Jahre „Barmherzigkeit“

Das segensreiche Wirken der Krankenanstalt und des Mutterhauses – Tanz über Gräbern

 

Das bekannteste und volkstümlichste Krankenhaus in Ostpreußen war die „Barmherzigkeit" in Königsberg, nicht nur, weil diese Krankenanstalt ihren alten, guten Ruf hatte und Kranke der benachbarten Landkreise dort Aufnahme fanden, sondern weil sie mit dem Diakonissenmutterhaus verbunden war und durch diese Schwesternsdiaft fast jede evangelische Gemeinde in Ostpreußen in enger Fühlung mit ihr stand. Aus allen Teilen der Provinz meldeten sich Schwestern zum Eintritt als Diakonissen, und wiederum gab die „Barmherzigkeit" ihre Schwestern auf die verschiedensten Arbeitsplätze, ob es nun Krankenhäuser waren oder Altersheime, Waisenhäuser oder Erziehungsanstalten, Carlshof oder das Angerburger Krüppelheim.

 

Aus kleinen Anfängen war die „Barmherzigkeit" entstanden. Zwei junge Gräfinnen *Dohna hatten auf einer Rheinreise das Diakonissenhaus in Kaiserswerth kennengelernt und wussten den Boden trefflich vorzubereiten für die Errichtung eines ähnlichen Hauses in Ostpreußen. So brachte Pfarrer Fliedner im Jahre 1850 drei Diakonissen nach Königsberg. Die bildeten den Grundstock der „Barmherzigkeit"; am 18. Mai 1850 wurde das Krankenhaus begründet. Jahr um Jahr wuchs das Werk und bewährte sich, besonders auch in Kriegszeiten, wenn in den Feldlazaretten und auch in der Heimat besonders hohe Anforderungen an den Schwesterndienst gestellt wurden. Das war 1866 und 1870-71 so, in weit höherem Maße noch 1914-18, und schließlich wieder auch im letzten Krieg. Es war das Mutterhaus stark gewachsen. Nach achtzig Jahren seines Bestehens gehörten ihm mehr als tausend Diakonissen an. Und aus dem bescheidenen Krankenhaus auf dem Hinterroßgarten an der Altroßgärtner Kirchenstraße war ein gewaltiges Viereck von Gebäuden entstanden, wovon der nördliche Teil, der Neubau, zu den schönsten und modernsten Krankenhäusern Deutschlands gehörte.

 

Wie allen kirchlichen Anstalten bereitete der nationalsozialistische Staat auch der „Barmherzigkeit" Schwierigkelten genug. Dann kam der Zusammenbruch. Um der großen Aufgaben willen, die. in Königsberg bei der Nähe der Front und dem beginnenden Flüchtlingselend ganz besonders dringlich waren, blieb das Diakonissenmutterhaus auf seinem Arbeitsplatz. Es teilte darum das schwere Geschick der ostpreußischen Bevölkerung. Die Fliegerangriffe auf Königsberg vom 27. und 30. August 1944 zerstörten Einiges, ließen aber das Wesentliche des Krankenhauses noch weiter bestehen. Unter den Schwestern gab es auch drei Todesopfer. Aber mit dem 9. April 1945 brach auch für dieses Haus die entsetzlich schwere Russenzeit herein. Das Haus war übervoll von Kranken und Verwundeten, besonders waren die weit ausgedehnten Keller mit Betten vollgestellt. Das Zeichen des Roten Kreuzes störte die Sieger in keiner Weise. Rücksichtslos wurde Beute gemacht: Uhren, Gold, Frauen . . . Verwundete deutsche Soldaten, auch Peter und Max - so wurden die beiden französischen Kriegsgefangenen genannt, die dort zur Arbeit eingesetzt waren - stellten sich schützend vor die Frauen. Sie wurden über den Haufen geschossen. Zwei Tage nach der Kapitulation kündete ein russischer General dem Leiter des Hauses, Pfarrer Stachowitz, an, dass in zwei Stunden das Haus in Brand gesteckt werden würde. Die völlig sinnlose Brandstiftung geschah, Deutsche wurden am Löschen gehindert, und nun mussten die Kranken durch das ärztliche und Pflegepersonal ins Freie geschafft werden. Die Oberin, Renata Gräfin Stolberg, trug selber auf ihrem Rücken polnische Typhuskranke aus dem brennenden Haus ins Freie. Vorübergehend wurde das Krankenhaus in Maraunenhof untergebracht; dann im Oberfinanzpräsidium, schließlich siedelte es auf russischen Befehl wieder in das alte Gebäude zurück. Es waren nur der Dachstuhl und das oberste Geschoss durch den Brand zerstört bzw. beschädigt, und es mussten deutsche Handwerker, so gut es bei dem Mangel an Baumaterial möglich war, den entstandenen Schaden beseitigen. Das Haus war nicht nur durch Brand beschädigt, es war auch völlig ausgeplündert. Nun musste alles wieder neu beschafft und eingerichtet werden. Besonders machten sich die Schäden im Winter 1945 zu 1946 bemerkbar. Es floss das Wasser durch alle Stockwerke herab. Anstelle der Zentralheizung schafften eiserne Öfen kümmerlich etwas Wärme, und durch verpappte Fenster zog der Wind. Bettwäsche war nur für einen geringen Teil der Patienten vorhanden. Die Verpflegung war so dürftig, dass den neu aufgenommenen Kranken eröffnet wurde, dass sie hier nicht bestehen könnten, wenn nicht von Angehörigen zusätzliche Verpflegung gebracht würde. Aber Eines blieb: Der Geist des Hauses.

 

 

Seite 7   Fröhlicher Gesang von Kindern

 

Dann und wann klang vom Garten her ein Lied, von einer großen Schar von Kindern gesungen. Wer irgend zum Fenster gehen konnte, sah hinaus: denn ein fröhlicher Gesang von Kindern war wohltuend wie stärkende Medizin. Da zog gerade eine Schar von Kindern aus, um etwas in den benachbarten Anlagen oder Gärten Brennesseln oder Melde zu suchen, zur Bereicherung der kargen Ernährung. Das waren nicht die Kinder der Kinderstation; die lagen ja krank, die konnten nicht gehen, sondern diese gehörten zu Müttern, die in das Krankenhaus aufgenommen werden mussten und die für ihre Kinder niemand hatten, der sie in dieser Zeit betreuen konnte. Wo waren denn auch Menschen, die ihr eigenes knappes Brot mit fremden Kindern hätten teilen können? So wurden sie also in der „Barmherzigkeit" auf einer besonderen Abteilung unter der Diakonisse Marie Dembowski untergebracht. Es war aber nicht leicht, für diese Schar - es waren oft an zweihundert - die nötigen Lebensmittel von den Russen bewilligt zu bekommen.

 

Unter dem Schein der Sachlichkeit und Neutralität wurde der Kampf gegen die Kirche geführt. Staat und Kirche sind getrennt, das war der russische Standpunkt, und so wurde die Arbeit der beiden Pfarrer schwer betroffen. Pfarrer Stachowitz durfte nur die Diakonissenschaft seelsorgerisch betreuen, und nur, wo er von Kranken gerufen wurde, eine Andacht halten. Pfarrer Leitner wurde im Raum des Krankenhauses jede Seelsorge untersagt.

 

Ein schwerer Schmerz war für das Diakonissenihaus der Abtransport der alten und arbeitsunfähig gewordenen Schwestern. Die Russen versprachen, für sie aufs beste zu sorgen. Aber leider erwies es sich wieder einmal, dass man keinem russischen Wort glauben darf. Die in den schönsten Farben geschilderten Unterkünfte in Neukirch - dorthin ging der Transport - hatten zum Teil nicht einmal Fenster, Türen und Öfen, und es war schon Anfang Dezember. Dass von der Schwesternschaft für diese Alten nun nicht mehr gesorgt werden konnte, wurde von allen als schwere Last empfunden. Unter ihnen galt die Regelung, dass die Gehalt empfangenden Schwestern die nicht verdienenden in gleicher Werse versorgten wie sich selber. Im Laufe des Jahres 1947 setzten immer mehr Entlassungen ein.

 

Seite 7   Ein Leprakranker  

Dann aber fing der Abtransport an. Kleine Transporte waren im Frühjahr gegangen; aber seit dem

22. Oktober 1947 gingen große Transporte von je zweitausend Mann, und jedem Zuge wurden mehrere Schwestern als Sanitätsbegleirpersonal zugeteilt. Ende November ging der letzte Transport. Dann begann erst Mitte März 1948 der weitere Abtransport der deutschen Bevölkerung. In Königsberg blieben nur etwa 500 deutsche Zivilisten zurück, zu ihrer Betreuung eine Gruppe von etwa zwölf Diakonissen und Frau Dr. Führer als letzte deutsche Ärztin. Diese kamen im Herbst 1948 heraus. Nur zwei Diakonissen blieben zurück - übrigens zwei leibliche Schwestern -, die den letzten Lepra-Kranken nicht verlassen wollten. Das bei Memel gelegene Lepraheim war gegen Ende der Kriegszeit nach Königsberg geschafft worden. Von den zwölf bis sechzehn Leprakranken, die es meistens barg, waren nur noch wenige übriggeblieben, die auch bis auf Einen in Königsberg starben. Diesen Letzten wollten die Schwestern nicht allein und unversorgt zurücklassen. So blieben sie auf ihr Anerbieten hin bei ihm, bis er im Herbst 1949 nach Litauen in ein Krankenhaus geschickt wurde und sie nun auch die Reise ins Reich antreten konnten.

 

Die in diesen schweren Zeiten in Königsberg verstorbenen Diakonissen - es waren einige zwanzig - waren im Garten der „Barmherzigkeit" beerdigt worden. Kreuze und Blumen schmückten die Gräber. Am Gründonnerstag 1948 ebnete ein russisches Arbeitskommando die Gräber ein und errichtete auf diesem Platz eine Bretterlage. Darauf wurde am Tage danach - es war gerade Karfreitag - getanzt . . .

 

 

Seite 7   Ein neues Mutterhaus in Berlin  

Nun ist die große Schar der Schwestern weit zerstreut in der Ost- und Westzone. Viele Arbeitsplätze

-  Krankenhäuser und Gemeindepflegestationen - sind mit unseren Königsberger Schwestern besetzt. Ein neues Mutterhaus ist in Berlin im Entstehen begriffen. Junge Mädchen melden sich zur Aufnahme als Diakonissen, und es beginnt nach den furchtbaren Verlusten der letzten Jahre - rund 250 Diakonissen fanden durch den Krieg den Tod - ein neues Leben und Wachsen. Hundert Jahre hat die „Barmherzigkeit" ihren Dienst in unserer Heimat und über ihre Grenzen hinaus getan. Es bestanden z. B. in Berlin zwei große, mit „Barmherzigkeits"-Schwestern besetzte Gemeindepflegestationen. Wie Gott nun das Geschick des Hauses lenken wird, wir wissen es nicht; aber das wissen wir, dass er seine Werkzeuge m Feuersgluten schmiedet, und darum ist dies unsere Hoffnung und unser Wunsch und unsere Fürbitte, dass durch die dienende Liebe, die aus dem Glauben an unseren Herrn und Erlöser kommt, ein großer Dienst unserem Volk geleistet werden möge

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