Ostpreußen-Warte, Folge 12 vom Dezember 1954

Ostpreußen-Warte
Folge 12 vom Dezember 1954

 

Seite 1   Foto: Tilsit im Winterschmuck. Die Deutschordenskirche am Fletchcherplatz (siehe auch Seite 3)

 

 

Seite 1   Winter in der Heimat. Von Gerhard Kamin

Wenn der November vorbei war, Regen, Nebel und Wind, kamen in der Heimat wie hier in der Fremde die langen Nächte, die dunklen Tage. In der Erinnerung erscheint es mir, als seien die Tage vor Weihnachten dunkler gewesen als hier, als hätten tagelang graue Schneewolken über den Dächern gehangen, ohne dass eine erste Flocke fiel. Und wir Kinder, tiefer und inniger als die Erwachsenen noch im Rhythmus der Natur lebend, ahnten die große Verwandlung im Geschehen des Jahres. So dass es eine bittere Geduldsprobe war, tagelang im nahen Park Luisenwahl nichts anderes als die kahlaufgereckten Äste der Bäume als schwarze Schatten gegen das Grau des Himmels zu sehen und unter ihnen neben den Wegen das verwesende, schwarzbraune Laub des längst versunkenen Sommers ...

 

Mitunter begann es wenige Tage vor Weihnachten, manchmal am Heiligen Abend selbst, selten schon einen ganzen Monat vorher: dass für uns Kinder — die Pforten des Himmels sich mit dem ersten fallenden Schnee öffneten.

 

Beseligte, unvergessene Stunden, wenn man am Fenster stand, die Stirn gegen die Scheiben gepresst, und zusah, wie die zahllosen kleinen weißen Boten aus den Wirbeln über den Dächern sich lösten und zu Hunderten gegen das Fenster trieben, an dem man wie hinter einem Gitter stand und in das Unbegreifliche hinaussah. Ebenso unvergessen wie der Augenblick, als man zum ersten Mal mit dem Schlitten auf die Straße ging und mit anderen Kindern zusammen über den weißen Teppich wunderbar dahinglitt ...

 

Habt ihr auch eine Stätte nur vergessen, an der wir Kinder sein durften? Den Landgraben in Königsberg zum Beispiel, an seinem stillen Lauf die glitzernd bereiften Birken und schneebehangenen Tannen, unter dem aufgebrochenen Eis, das leise, gurgelnd hin wallende Wasser, das uns begleitet? Auf Schneeschuhen fahren wir hinaus, auf Schlitten, leise mahlt der Schnee unter den Kufen, und näher, immer näher kommen die schwarzen und friedevollen Wände der Tannen und Kiefern von Metgethen ...

 

War es nicht einmal Wirklichkeit, ihr Kinder von Königsberg: dass ihr beim Klang der Glocken von der Luisenkirche mit euren Schlitten an einem Sonntag selbst von ganz anderen Stadtteilen kamt, um auf den Hängen des Parks Luisenwahl zu rodeln? Seht ihr nicht alles noch wie gestern: die weißen, von zahllosen Schlittenspuren zerfurchten Hänge, die „Todes“-, die „Stukerbahn“, die lange Abfahrt für die Gemeinschaftsschlitten, hört ihr nicht das tausend fache Läuten der Schlittenglocken, das fröhliche Lachen der Kinder, das Jauchzen der Kleinen? Sausend gleiten die Schlitten hinunter, mitunter bis mitten in den Hufenbach hinein, zwanzig, dreißig, vierzigmal derselbe Aufstieg, die gleiche Abfahrt, während langsam der Abend kommt und von der Höhe die Glocke zum Abendgottesdienst läutet. Ist auch nur etwas davon vergessen, und wird das Herz nicht schwer, wenn man jetzt in der Weihnachtszeit zurückdenkt an alles Glück, alle Freundschaft und kindliche Weihnachtsfreude, die sich mit der Erinnerung an die hohen, verschneiten Bäume jenes schönen Parks auf den Hufen verbindet?

 

Der Oberteich, der Schlossteich ... ihr wisst, wie viele Stunden beseligter Freude wir ihnen danken. Wenn sie mit ihren Schlittschuhen hinausgingen, durch die festlich leuchtende Junkerstraße, über den Tragheim zum Wrangeltor oder wir auf den Hufen durch den stillen Hammerweg zu den Zwillingsteichen. An wie vielen unvergesslichen Abenden bin ich als Kind über das Eis der beiden Teiche gelaufen, während die anderen schon alle fort waren und nur die Sterne geblieben waren, der Wind in den Uferbäumen, das beseligte Gleiten über die dunkle Fläche und der mahlend-knirschende Ton unter den Schlittschuhen, als schneide man mit den jahrelang geübten „Figuren“ geheimnisvolle Muster auf ungeschliffene Diamanten ...

 

An freien Tagen fahren wir mit der Samlandbahn zum Rodel- und Skigebiet des Galtgarben oder wir wandern mit unseren Schlittschuhen zu den überschwemmten und gefrorenen Pregelwiesen hinaus, spannen ein kümmerlich zugerüstetes Segel vor die Brust und gleiten unter dem Wind über die endlose Fläche ...

 

Oder das Haff und die Seen in Masuren sind zugefroren, und die Segelschlitten sausen von Ufer zu Ufer ...

 

Ja, alles war einmal Wirklichkeit, schöner und wunderbarer, als unsere Kinder es heute wissen und als die Fremde sie ihnen schenken kann. Und nicht das ist das Unvergessliche, dass wir mehr besaßen als andere, sondern dass wir in der Schönheit und in den Freuden unserer Winterheimat ihr das Tiefste ablauschten, was sie zu verschenken hatte: den Atem des Unvergänglichen und Geheimnisvollen, der mit dem Rauschen der Winterwipfel, dem Klang der Weihnachtsglocken, dem Frieden der weißen Stille und dem Laut der warmen Worte aus Kinder- und Erwachsenenmund uns segnend berührte. Winterabende in der Heimat, wenn wir vom Rodeln und Schlittschuhlaufen heimkamen, müde, angefüllt mit zahllosen Bildern der Schönheit und Stille, und wenn von irgendwoher über Stadt und Land Glocken und Lieder die nahende Weihnacht verkündeten: wer kann euch vergessen, wer daran glauben, dass ihr unseren Kindern und Kindeskindern nicht einmal wiedergeschenkt würde. (Geschrieben am 1. Advent 1954.)

 

 

Seite 1   Der BHE erreichte viel. 900 Millionen DM mehr für die Vertriebenen und Geschädigten.

Durch das an die Regierungskoalition gestellte Ultimatum ist es dem Gesamtdeutschen Block BHE gelungen, wesentliche Verbesserungen durch verschiedene Maßnahmen für die Vertriebenen und Geschädigten zu erreichen. Ein Teil der Forderungen wurde bereits erfüllt, und für einen weiteren Teil der sozialpolitischen Forderungen liegen Zusagen vor. Von der Erfüllung der noch offenen Forderungen macht die Fraktion des BHE ihr weiteres Verbleiben in der Regierungskoalition abhängig. Die bisher erzielten Ergebnisse machen immerhin rund 900 Millionen DM aus.

 

 

Erreicht wurde vor allem eine Erhöhung der Mittel für die Kriegsgefangenenentschädigung im laufenden Jahr von 50 auf 100 Mill. DM und im nächsten Jahr von 50 auf 150 Mill. DM. Den Sowjetzonenflüchtlingen wurden 50 Mill. DM mehr als ursprünglich vorgesehen für die Lagerräumung zugestanden. Außerdem wird zusätzlich zu den Mitteln aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs ein Betrag von 50 Mill. DM aus Haushaltsmitteln für Entschädigungszwecke zur Verfügung gestellt. Die Heimatvertriebene Wirtschaft erhält zur Umschuldung 80 Mill. DM Bundesmittel. Gewährleistet wurde die finanzielle Sicherung des Oberländerschen Eingliederungsplanes für die Vertriebenen. Während im Jahre 1953 nur etwa 8600 Bauern angesiedelt werden konnten, reichen nunmehr die Mittel aus, um im laufenden und im nächsten Jahr je 16 000 Bauern anzusiedeln. 1955 können 30 000 Heimatvertriebene aus Lagern in Neubauwohnungen umgesiedelt werden. Für 1955 wurden 75 Mill. DM für die Länderumsiedlung Vertriebener bereitgestellt. Dieser Betrag wird ausreichen, um die Länderumsiedlung bis Ende 1955 endgültig abzuschließen.

 

An kleineren Förderungsmaßnahmen wurde erreicht: 1,5 Mill. DM für den Gefangenensuchdienst des Roten Kreuzes, 180 000 DM mehr als bisher für die Unterstützung der Vertriebenenverbände und Landsmannschaften. Noch im Jahre 1954 werden an deutschen Hochschulen 54 Lehrstellen und weitere 60 im nächsten Jahr für vertriebene Hochschulprofessoren errichtet.

 

Die Lastenausgleichbank wurde endgültig dem Bundesvertriebenenminister unterstellt. Die wesentlichsten Anträge des Verbesserung des GB/BHE zur Verbesserung des Lastenausgleichs sind im Bundestagsausschuss zum größten Teil positiv erledigt worden. Neben der Unterhaltshilfeerhöhung, der Verbesserung der Krankenversorgung für Unterhaltshilfeempfänger und der nur noch hälftig anzurechnenden Elternrente auf die Unterhaltshilfe ist vor allem die Verlegung des Stichtages für die Berechnung zum Lastenausgleich vom 31.12.1950 auf den 31.12.1952 zu erwähnen. Sobald der Bundestag diese Maßnahmen beschlossen hat, werden also alle Vertriebenen, die erst in den Jahren 1951 und 1952 nach Westdeutschland kamen, lastenausgleichsberechtigt sein.

 

 

Das Eintreten des BHE für die Belange der Vertriebenen und Geschädigten wirkte sich auch bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern aus, wo es dem BHE gelang, erheblichen Stimmenzuwachs zu erzielen. In beiden Ländern nimmt der BHE Schlüsselstellungen ein, besonders in Hessen ist eine Regierungsbildung ohne den BHE nicht möglich. In Bayern erhielt der BHE 900 000 Stimmen und damit über 60% aller Vertriebenenstimmen. Rund 32% aller Vertriebenenstimmen entfielen in Hessen auf den BHE, während 68% übrige Parteien gewählt haben, vornehmlich die SPD, die sich hier während der Regierung durch eine aktive Vertriebenenpolitik einen guten Namen gemacht hatte. Allerdings verlor sie ihre bisherige absolute Mehrheit. – Auch bei den Wahlen in Berlin erzielte der BHE Stimmenzuwachs, konnte jedoch die 5%-Klausel nicht überspringen.

 

Das Tauziehen um die Regierungsbildung in Hessen und Bayern ist noch im Gange, mit großer Wahrscheinlichkeit wird der BHE in beiden Regierungen vertreten sein. Eine sensationelle Entwicklung bahnt sich in Bayern an, wo eine Regierungskoalition aus SPD, Bayernpartei, BHE und FDP im Werden ist. Wenn es nicht im letzten Augenblick dem Bundesvertriebenenminister Prof. Dr. Oberländer gelingt, die BHE-Fraktion in München umzustimmen, würde die CSU, die in Bayern zur stärksten Partei wurde, vor der Türe stehen.

 

 

 

Seite 1   Für und wider das Saarabkommen.

Der Verband der Landsmannschaften (VdL) fasste zum Saarabkommen eine Entschließung, in der es heißt, dass das Saarabkommen kein „Präjudiz“ für eine zukünftige Regelung der Ostfragen sei. Das Saarabkommen enthalte zwar eine Reihe „schwerwiegender Unvollkommenheiten“, wichtig sei aber die Tatsache, dass der bisherige Zustand an der Saar beendet würde. Das Abkommen sei ein Teil der London-Paris-Verträge und könne nicht von diesen gelöst werden. Da aber diese Verträge eine wesentliche Stärkung der Stellung der Bundesrepublik bedeuteten, würde ihre Annahme auch eine Besserung der heimatpolitischen Gesamtbelange der Vertriebenen zur Folge haben.

 

Das Präsidium des Bundes der vertriebenen Deutschen sprach sich dagegen in einer Erklärung gegen das Saarabkommen aus: Das Pariser Abkommen über die Saar müsse vom deutschen Standpunkt aus abgelehnt werden. Die Vertriebenen könnten einer solchen Regelung nicht zustimmen, da sie dadurch ihr eigenes Recht auf die Heimat in Frage stellen würden, und weil nach ihrer Überzeugung auf diesem Wege die Wiedervereinigung nicht zu erreichen sei.

 

 

 

Seite 1   Der Deutsch-Karolingische Kulturkreis „Der Fortschritt“ bleibt bei seinen Behauptungen.

Der Bericht des „Fortschritt“ über die Bestrebungen der in Köln gegründeten „Förderungsgemeinschaft Deutsch-Karolingischer Kulturkreis“, den wir im Auszug in der Novemberausgabe veröffentlichten, hat naturgemäß erhebliches Aufsehen erregt. Insbesondere befasste sich die Vertriebenenpresse mit den ungeheuerlich erscheinenden Behauptungen und knüpfte daran zum Teil sehr heftige Kommentare. Auch in der übrigen Öffentlichkeit erregte der Bericht mehr als Aufsehen. Das erzbischöfliche Generalvikariat in Köln, das vom „Fortschritt“ beschuldigt wurde, an der Gründung des Kulturkreises beteiligt zu sein, nahm gegen die Behauptung scharf Stellung und will gegen den Chefredakteur des „Fortschritt“, den FDP-Landtagsabgeordneten Siegfried Zoglmann, Strafantrag stellen. Ebenso soll der BHE in Hessen die in einem Flugblatt abgedruckten Behauptungen durch ein anderes Flugblatt richtigstellen. Auch der Bundeskanzler hat sich mit der Angelegenheit befasst und den Justizminister mit der Prüfung beauftragt, welche strafrechtlichen Maßnahmen gegen die Urheber des Artikels ergriffen werden könnten. Staatssekretär Thedieck vom Gesamtdeutschen Ministerium vermutete, dass es sich um eine reine Erfindung handele, was in dem Bericht behauptet wurde. Nach seiner Überzeugung wären im deutschen Volke keine Anhänger für solche Gedankengänge zu finden. Die Bundesregierung stehe unmissverständlich auf dem Standpunkt, dass die, Oder-Neiße-Grenze nicht als Staatsgrenze anerkannt werde und sie sich nicht mit der Lostrennung der deutschen Ostgebiete abfinden könne.

 

Dem gegenüber steht der „Fortschritt“, wie aus seinen drei letzten Ausgaben eindeutig hervorgeht, zu seinen Behauptungen, dass die Gründung des Kulturkreises in Köln stattgefunden habe. Das der Redaktion des „Fortschritts“ vorliegende Material sei so überzeugend, dass sie mit aller Ruhe allen kommenden Auseinandersetzungen entgegensehen könne. Noch in seiner Ausgabe vom 9. Dezember meint der Chefredakteur des „Fortschritt“, dass ihn die Drohung mit dem Strafrichter nicht beeindrucken könne. Die Prozesse würden eine Aufmerksamkeit erregen, die manchem Freude machen werde.

 

Wir meinen dazu, dass es jetzt wirklich an der Zeit ist, eindeutig zu klären, ob die Behauptungen des „Fortschritt“ stimmen oder nicht. Denn schließlich wurde bestimmten Personen der Vorwurf des schwersten und ärgsten Volksverrates gemacht.

 

 

Seite 2   Ostpreußen-Warte erscheint auch weiterhin. Trotz dunkler Machenschaften einer übelwollenden Clique.

In Folge 49 vom 4. Dezember veröffentlicht das „Ostpreußenblatt“ folgende Meldung in Fettdruck:

 

Wie das Amtsgericht Göttingen bekanntgab, ist über das Vermögen der Firma Elchland-Verlag Hellmuth Wander K. G. in Göttingen Konkurs eröffnet worden. In diesem Verlag erscheint die „Ostpreußen-Warte“.

 

Dazu stellen wir folgendes fest:

1.     Es trifft zu, dass das Amtsgericht Göttingen den Konkurs über unseren Verlag eröffnet hat. Die Konkurseröffnung ist aber bereits am 2. Juli erfolgt und zu diesem Zeitpunkt bekanntgegeben worden.

2.     Am 30. November 1954 hat der Gläubigerausschuss auf einer Sitzung mit sehr großer Mehrheit dem beantragten Zwangsvergleich zugestimmt. Der Vergleichsvorschlag ist nach Annahme durch den Gläubigerausschuss dem Amtsgericht zugeleitet worden.

 

Die Bekanntgabe der Konkurseröffnung hätte das Ostpreußenblatt bereits Anfang Juli vornehmen können, denn durch die Landsmannschaft Ostpreußen e. V. in Hamburg ist der Konkurs erzwungen worden (durch Aufkauf einer fristgebundenen Forderung). Obwohl dem Ostpreußenblatt bzw. der Hamburger Landsmannschaft der für den Elchland-Verlag günstige Beschluss des Gläubigerausschusses bekannt war, erfolgte die Veröffentlichung jetzt nach mehr als fünf Monaten. Und zwar nachdem alle Bemühungen vergeblich waren, die Ostpreußen-Warte auch nach dem 2. Juli aufzukaufen, um sie dann einstellen zu können. Der Zweck dieser Veröffentlichung ist offensichtlich: In die Reihen der Bezieher der Ostpreußen-Warte, die z. T. auch das Ostpreußenblatt halten, soll Verwirrung gebracht werden und in ihnen der Glaube geweckt werden, dass die Ostpreußen-Warte nicht mehr erscheinen würde. Durch einen glücklichen Zufall ist der Drucktermin der Dezemberausgabe der Ostpreußen-Warte um einige Tage verlegt worden, so dass wir in der Lage sind, unseren Lesern den wahren Sachverhalt mitzuteilen. Diesen Zufall hatte man in Hamburg wahrscheinlich nicht einkalkuliert. Bekanntlich wird in diesem Monat zwischen dem 15. und 23. das Bezugsgeld für das 1. Quartal 1955 für die Ostpreußen Warte durch die Post eingezogen !!!

 

Wir Überlassen unseren Lesern getrost das Urteil über diesen für die gesamte Landsmannschaft zutiefst beschämenden „Vorgang“. Wir sind überzeugt, dass alle gerecht und anständig denkenden Ostpreußen mit Entrüstung von den Methoden unserer Landsmannschaft Kenntnis nehmen werden. Die Ostpreußen-Warte aber wird auch weiterhin unbeirrt für unsere Heimat eintreten und für die Geistesfreiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Elchland-Verlag Hellmuth Wander K.G. Göttingen

 

 

Seite 2   Der Engelschnitzer vom Samlandstrand. Eine Weihnachtserzählung von Irmgard von Stein.

Er, der das kleine, jetzt schon ein wenig windschiefe Haus, das sich hinter der samländischen Steilküste in eine wiesenbegrenzte Talmulde duckt, bewohnte, ist nun schon lange tot. Er ruht auf dem verschwiegenen Dorffriedhof unter einem mächtigen Stein, auf dem zu lesen steht: Peter Macheit bleibt unvergessen.

 

Und wirklich — der Verstorbene lebt im Andenken jener schweigsamen, aber Treue haltenden ostpreußischen Menschen fort, die noch ihren Kindern und Enkeln von Peter Macheit, dem Engelschnitzer und Wohltäter erzählen.

 

Als er jung war, der blonde Riese, trug er die blaue Uniform der Kriegsmarine mit glücklichem Stolz. „Der schmucke Kreuzer ist meine Liebe und die Mädels meine Liebsten“, pflegte er lachend zu sagen und küsste herzhaft jeden roten Mund, der sich ihm bot. Und es waren viele Lippenpaare, die dem jungen Seemann Landurlaub und lustig durchtollte Hafennächte versüßten.

 

Doch dann sah er eine, die erschien ihm schöner als alle andern, die er bis jetzt gesehen. Und sein Herz entflammte in wahrer Liebe unter der blauen Bluse. Aber er wagte nicht einmal dem Mädchen, das den Kopf so frei trug wie eine Siegerin und Augen voller Klugheit und Erkenntnistiefe für alles Schöne und Gute besaß, von seiner Liebe zu reden, geschweige denn ihre Lippen zu küssen. „Der Peter ist ein Träumer geworden“, spotteten die Kameraden, wenn er — tief in Gedanken versunken — an der Reling lehnte und nicht mitmachte beim Trinken, Spielen und Küssen wie einst. Dann aber beim Abschied, als das Matrosenleben zu Ende war und der Peter wieder nach Hause zurückkehrte, sagte er dem Mädchen, wie sehr er ihr zugetan sei und wie er sich nach ihr sehne. „Werde mein Weib“, bat er, „mein Kahn und meine Netze sind gut. Die Fischerei bringt ein schönes Stück Geld, und ich werde uns ein Haus bauen, in dem es sich geborgen leben lässt dort oben an der Küste meiner schönen Heimat“.

 

Das Mädchen hatte ihm still zugehört. „Ich möchte wohl zu dir kommen“, meinte sie, „aber erst muss ich etwas anderes zu Ende bringen. Ob es mir gelingt, weiß ich noch nicht. Aber entscheidet das Schicksal so, wie ich es bitte, komme ich zu dir. Doch wann es ist, kann ich nicht sagen“. Damit küsste sie den Peter auf die sie beschwörend anblickenden Augen.

 

„Warten werde ich auf dich“, entgegnete der Heißliebende, „und das Haus bauen und einen Zaun darum zimmern, an dem wirst du deine Heimat erkennen. Denn ein Engel, der dir gleicht, wird an der Pforte stehen und nach dir Ausschau halten“. Damit zog der Abschied nehmende eine kleine Holzschnitzerei aus der Tasche und gab sie dem Mädchen. „Du bist ja ein wahrer Künstler“, lobte die Beschenkte und nahm das hölzerne Kunstwerk liebevoll zwischen beide Hände. Noch einmal küsste Peter sie — „Jetzt ist es Frühling — zu Weihnachten erwarte ich dich“. Damit schieden die beiden.

 

Das Haus stand — der Zaun umgab es. Und der Pfosten an der Pforte war ein Engel, der die Züge der Erwarteten trug und den Weg entlang schaute. Aber sein Lebensabbild kam nicht. Peter hatte zum Heiligabend ein Bäumchen geputzt — die schönsten Äpfel in die Ofenröhre gelegt und wartete. Heut am Heiligabend muss sie doch kommen — ich habe sie doch darum gebeten. Doch die Glockentöne verklangen und die Lichter brannten nieder, und sie kam nicht.

 

Im nächsten Jahr, tröstete sich der Einsame. Denn er ging den Menschen aus dem Weg, weil seine Gedanken nur bei der Geliebten waren, und er schnitzte allabendlich, wenn die Tagesarbeit getan war. Pfosten um Pfosten des Zaunes wurden zu immer vollendeteren Engelsfiguren. Sie falteten die Hände oder erhoben sie segnend. Sie wurden von den Bewohnern des Dorfes bestaunt und von manchem Fremden, der den Weg durch den idyllisch gelegenen Fischerort nahm, andächtig bewundert.

 

An einem Christabend aber gaben sie einem Heimatlosen, der müde seine Straße zog, auf der er einmal das große Glück suchte, den Mut, bei Peter Macheit anzuklopfen. Der trat sogleich vor die Tür — seine Augen leuchteten vor Erwartung. Doch als sie den Fremden sahen, wurden sie traurig. Der Obdachlose jedoch bat um ein Nachtquartier und einen erwärmenden Trunk.

 

Dann saßen die Männer am Scheite krachenden Ofen und Peter ließ sich von den Sorgen der Landstraße, den verwehten Träumen und erstorbenen Hoffnungen erzählen. Und er begriff: alle tragen ihr Leid mit sich durchs Leben. Leise strich er über die Tasche seines Rockes, in dem das einzige Lebenszeichen — eine vor langer Zeit geschriebene Karte der Erwarteten knisterte. „Ich komme einmal zu dir. Nur wann es sein wird, kann ich nicht sagen“. Bis sie kommt, werde ich andern, die ebenso einsam sind wie ich, ein Freund sein, beschloss Peter in dieser Christnacht und schnitzte dem Gast still zuhörend einen seiner schönsten Engel.

 

Und seltsam — kaum hatte der Mann, der sonst abseits gelebt, die Gemeinschaft mit den Menschen wieder aufgenommen, da kamen viele in sein Haus und schütteten dem einfachen Fischer, der durch die tiefe Liebe, die seine Seele ergriffen hatte, ein Philosoph geworden war, ihr Herz aus. Er verstand zu trösten und versuchte zu helfen, als wäre er vom Schicksal dazu ausersehen.

 

Am Heiligen Abend aber stand die Pforte — jetzt getragen von zwei Engeln — für jeden, der einsam war, offen. Auf dem Herd wurde ein schmackhaftes Fischgericht bereitet und im Ofen dufteten die Bratäpfel für die, die Hunger hatten. An der ganzen Küste wussten die Bewohner, wer allein, traurig und sorgenvoll ist, wird am Heiligen Abend im Engelshaus, wie Peter Macheits kleiner Besitz jetzt im Volksmund hieß, bewirtet und getröstet.

 

Dann erzählte der nun schon Ergraute wohl auch einmal von seiner glücklichen Matrosenzeit. Nur von der Frau, auf die er noch immer wartete, sprach er nicht. Aber in jeder Christnacht, wenn er die Lichter am Baum entzündete, bat er den Himmel: Lass sie ihr Versprechen halten und kommen!

 

Und sie kam. Aber viele, viele Jahre waren noch verflossen. Die Engel an der Pforte waren schon wetterzerfurcht und tiefdunkel geworden — aber die Meisterhand verrieten sie doch noch. Da trat die Frau, die einem Reichen angehören musste, um den Besitz des Vaters und das Erbe der Brüder zu retten, in den kleinen Vorgarten.

 

Hinter der Steilküste rauschte das Meer wie ein mächtiger, weltumschlingender Orgelton, und die Glocken des Kirchleins läuteten die Christnacht ein. Peter hielt zwei Kinder, deren Vater beim Fischen ertrank und deren Mutter aus Herzeleid starb, auf den Knien und erzählte ihnen und den andern, die gekommen waren, von Weihnachten in der Fremde, das die Sehnsucht nach der Heimat doppelt stark erwachen lässt.

 

Da trat die Frau ein. Sie war sehr verändert — nur ihre Augen leuchteten wie damals. In sie sah Peter tief hinein und erkannte das Mädchen, auf das er all die Jahre gewartet hatte. Bis die andern gingen, war sie sein Gast gleich jenen — doch dann saß sie mit dem, den auch sie immer geliebt, an dem wärmenden Ofen und sah in die leis verzuckenden Kerzen. Das ganze Leben mit seinem Verzichten müssen lag in den wenigen Worten, die sie sprach und auf die er antwortete: „Bleibst du nun bei mir?“ Da lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. „Nein, Peter, ich kann nicht“, entgegnete sie schmerzvoll. „Ich habe ein Kind, das mich nicht entbehren kann. Aber all meine Sehnsucht gehörte dir — die ganze Zeit hindurch. Oh, Peter, wäre nicht der Reichtum des andern der einzige Ausweg aus dem Unglück, das den Vater traf, gewesen, ich wäre am ersten Weihnachtsfest zu dir gekommen, um bei dir und deinen Engeln zu bleiben“.

 

Lange schwiegen die beiden. Draußen träumt die Christnacht und beschenkt die Menschheit mit schneeglitzerndem Frieden. Da beginnt die Frau wieder zu sprechen. „Peter, ich habe gehört, wie gut du zu den Einsamen und Glücklosen bist — wie gern du jedem von ihnen helfen möchtest. Lass mich daran auch einen Anteil haben. Nimm hier das Geld und gib es denen, die sich ein Lebensglück aufbauen wollen und die einander die Treue halten. Du kennst die, die solcher Hilfe wert sind“.

 

Über Peters Gesicht läuft ein Freudenschein. Er denkt an ein junges Paar, dem das Weihnachtsfest nun doch noch das Glück bringen wird. „Und was kann ich dir geben als Christgabe?“ fragt der Mann und schaut ihr tief in die klugen gütigen Augen. „Wenn du dich von ihm trennen kannst, gib mir den Engel, der an der Pforte steht und meine Züge von einstmals trägt. Der ließ mich dein Haus finden, ohne dass ich darnach fragen brauchte“.

 

Eine Frauengestalt, deren Antlitz mit unendlicher Sorgfalt und Liebe geschnitzt ist und die große Güte der liebenden Frau trägt, ersetzt am kommenden Christfest die nach Glück ausschauende Engelfigur. Diese ist weit fortgewandert und wird von manchen Kunstverständigen, die das Haus eines reichen Mannes besuchen, als Meisterwerk gelobt. „Ein einfacher Fischer, aber ein großer Künstler und ein noch größerer Mensch schuf sie“, sagt dann die Frau und ist voller Wehmut und Stolz.

 

Noch an vielen Christabenden empfing Peter eine Gabe, damit er im Engelhaus Freude spenden könne. Manch junges Paar hoffte auf den Heiligabend, an dem der ergraute Fischer die Einsamen und vom Schicksal Geprüften in seinem Haus erwartete. Er sprach dann von einem Engel, der helfend spendete und die Augen wurden ihm dabei feucht.

 

Als Peter Macheit mit gefalteten Händen auf dem Totenbett lag, wurden viele Herzen tieftraurig und unzählige Tränen flossen. Und mancher dachte mit Furcht und Gram an die nun für ihn in Zukunft freudlose Christnacht. Aber der Engelschnitzer hatte noch über seinen Tod hinaus an die, die seine Hilfe brauchten, gedacht. Der geschnitzte Zaun, der ein viel größeres Kunstwerk war als sein Schöpfer und die Dorfbewohner ahnten, wurde durch die Frau, an die er kurz vor seinem Tod noch einige Zeilen geschrieben hatte, an ein Museum verkauft. Die Gemeinde erhielt eine große Summe überwiesen, die nach dem Wunsch des Toten noch an vielen Christfesten sonst Unbeschenkte und arme Liebende beglückte.

 

 

Seite 2   Frohe Weihnachten!

Allen Lesern und Freunden unseres Heimatblattes wünschen wir ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches und schönes neues Jahr!

 

Möge die vorliegende Ausgabe allen Landsleuten ein wenig Freude bereiten und sie für einige Stunden in die geliebte Heimat führen. Auch im kommenden Jahre werden wir, wie seit nunmehr fast fünf Jahren, unseren Landsleuten ein treuer Begleiter sein und sie durch Wort und Bild an unsere unvergängliche Heimat erinnern.

 

Auf ein frohes Wiedersehen im neuen Jahre! 8 >5 Schriftleitung und Verlag der Ostpreußen Warte.

 

 

Seite 2   Nicht vergessen! Elternrenten jetzt noch beantragen.

Für die Anmeldung von Versorgungsansprüchen läuft für unsere Kriegereltern am 31. Dezember 1954 eine sehr wichtige Frist ab, auf die wir alle Eltern, die ihren Sohn bzw. ihre Söhne verloren haben, aufmerksam machen möchten.

 

Elternrente wird gewährt, wenn Bedürftigkeit vorliegt und die Ernährereigenschaft des Verstorbenen bzw. Verschollenen nachgewiesen ist. Elternrente erhalten der Vater, die Mutter, der Großvater, die Großmutter. Großeltern erhalten eine Rente jedoch nur, wenn keine anspruchsberechtigten Eltern mehr leben.

 

Bedürftig ist, wer körperlich oder geistig gebrechlich ist oder als Mutter das 50., als Vater das 65. Lebensjahr vollendet hat und wer außerdem nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, noch einen Unterhaltsanspruch gegenüber Personen hat, die imstande sind, ausreichend für ihn zu sorgen. Hat also beispielsweise eine Kriegermutter noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet, so wird ihr dennoch eine Elternrente gewährt, wenn sie körperlich gebrechlich ist. Körperlich oder geistig gebrechlich ist, wer infolge seines Gesundheitszustandes nicht in der Lage ist, durch eine Tätigkeit mindestens ein Drittel seines notwendigen Lebensunterhalts zu erwerben.

 

Elternrente wird gewährt, wenn der Verstorbene bzw. Verschollene der Ernährer seiner Eltern geworden wäre. Es ist also nicht unbedingte Voraussetzung, dass der Verstorbene der Ernährer war. Als Ernährer seiner Eltern wird angesehen, wer zu ihrem Lebensunterhalt regelmäßig in so erheblichem Maße beisteuerte, dass er sie vor Not schützte. Die Ernährereigenschaft ist im Allgemeinen auch dann zu bejahen, wenn der Verstorbene das einzige Kind war oder die Eltern alle Kinder verloren haben.

 

In welcher Höhe wird nun Elternrente gewährt?

 

Die volle Elternrente beträgt monatlich: bei einem Elternpaar 84 DM, bei einem Elternteil 60 DM.

 

Elternrente ist nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen folgende Monatsbeträge nicht übersteigt:

 

Bei einem Elternpaar 134 DM, bei einem Elternteil 95 DM.

 

Die Elternrenten sowie die Einkommensgrenzen erhöhen sich beim Tode von mehreren Kindern für jedes weitere Kind bei einem Elternpaar um 10 DM, bei einem Elternteil um 5 DM.

 

Wer um Elternrente ansuchen will, soll zunächst ein formloses Schreiben an das zuständige Versorgungsamt richten und darin um Übersendung eines Elternrentenantrages bitten. Bis zum Eingang dieses Antrages müssen dann folgende Unterlagen beschafft werden:

 

1.     ein Familienregisterauszug bzw. das Familienstammbuch (soweit vorhanden),

2.     eine Sterbeurkunde über den Tod des Sohnes bzw. die Mitteilung des Truppenteils; bei Verschollenen ist der Nachweis zu erbringen, zu welchem Ergebnis die Nachforschungen über den Verbleib des Sohnes geführt haben.

 

Da unseren donauschwäbischen Landsleuten erfahrungsgemäß fast immer die notwendigen Beweismittel fehlen, empfehlen wir, von vornherein beim zuständigen Bürgermeisteramt eine Versicherung an Eides statt abzugeben, aus der folgendes ersichtlich sein muss:

 

1.     Familienverhältnisse: a) Eheschließung, Zeitpunkt und Ort; b) Kinder aus der Ehe, Geburtsdaten usw.

2.     Wirtschaftliche Verhältnisse: Einkommen des Kriegervaters zur Zeit der Einberufung des Sohnes, bei Landwirten Angaben darüber, wie groß der landwirtschaftliche Besitz war.

3.     Wurde Familienunterhalt nach dem Familienunterhaltsgesetz bezogen?

4.     Ausführliche Angaben darüber, welcher Sohn der Ernährer geworden wäre.

 

Bei der großen Tragweite der Ausschlussfrist, nämlich dem Verlust des Rechtanspruchs auf Versorgung bei nicht rechtzeitiger Anmeldung, empfehlen wir allen Kriegereltern, die Frist vom 31. Dezember 1954 nicht zu versäumen.

 

Die Versorgungsämter sind bemüht, den heimatvertriebenen Kriegereltern in jeder Weise behilflich zu sein.

 

 

Seite 3   Tilsit im Winterkleid

Foto: Die Litauische Kirche in der Hohen Straße, — während des Siebenjährigen Krieges erbaut. Tilsit war damals schon eine Zeitlang russisch geworden und die Zarin Elisabeth stiftete ihren „Untertanen“ einen namhaften Betrag in Rubeln zum Kirchenbau. Wahrscheinlich war dies auch mitbestimmend, dass die Kirche, sonst im Rokokostil gehalten, das „östliche“ Langoval als Grundriss zu geben. Heute befindet sich dort ein „Tanzclub“, die Inneneinrichtung ist ebenfalls „liquidiert“.

 

Foto: Winterliches Idyll in der Goldschmiedestraße vom Schenkendorfplatz aus gesehen. Rechts der alte Fachwerkspeicher (zum Porzellangeschält Deskau, Deutsche Straße gehörig). Zum größten Teil in der Straßenzeile heute zerbombt

 

Foto: Zu unserem Bild auf Seite 1: Der Fletcherplatz mit Blick auf die Deutsche Straße, rechts auf dem Bild die Deutschordenskirche. Soeben fährt von der Luisenbrücke kommend ein Pferdeschlitten aus dem Memelland in die Stadt ein. Der Platz (früher Getreidemarkt) erhielt seinen Namen von Hauptmann Fletcher, der durch seine Entschlossenheit die angrenzende Königin-Luise-Brücke vor der Sprengung durch die abziehenden Russen am 12. September 1914 rettete. Der 12. September wurde in Tilsit als Befreiungstag alljährlich gefeiert. — Die aus vorreformatorischer Zeit stammende alt ehrwürdige Kirche dient jetzt nach Aussagen von Landsleuten, die aus Tilsit herauskamen, als Sägewerk. Alle in der Kirche befindlichen Kunstgegenstände sind mitsamt Gestühl, Orgel usw. zerhauen und dienten als Brennholz. Der Turm, eines der Wahrzeichen Tilsits, erregte beim Friedensschluss 1807 die Bewunderung Napoleons, so dass er den Turm abbrechen und nach Paris als Trophäe mitnehmen wollte. Dieser Turm sah übrigens auch den berühmten Friedensschluss auf einem Holz Floß im Memelstrom im Jahre 1807 (etwa 300 Meter entfernt) und grüßt noch heute, leicht beschädigt, weit in das ehemals deutsche Memelland

 

Foto: Winterlicher „Vorfrühling“ im Hofe Goldschmiedestraße 7. Rechts oben ist noch ein Stück vom Turme des Heimatmuseums sichtbar. Das Haus ist noch z. T. erhalten

 

Foto: Die Deutschordenskirche von der Schlossmühlenstraße aus gesehen. Rechts das ehemalige Grenzzollamt, links das allen Tilsitern bekannte Restaurant „Drei Kronen“ (Besitzer: Berger).

 

Sämtliche Aufnahmen hat Landmann Heinz Austin aus Tilsit in dem damals sehr strengen und schneereichen Winter 1940 gemacht und sie jetzt der „Ostpreußen-Warte" zur Verfügung gestellt.

 

 

Seite 4   Vor 10 Jahren.  Letzte Weihnachten in unserer Heimat. Von Armin Weinert

Am Morgen des 24. Dezember 1944 regnete es. Der Himmel war trübe und schwer. Ein leichter Westwind drückte die Tropfen an Häuserwände und Fensterscheiben der kleinen Stadt in Ostpreußen. Noch lagen Straßen und Plätze verlassen. Sie waren schmutzig und nass. Erst nachdem die Geschäfte geöffnet hatten, sah man Menschen in den Straßen. Sie eilten von Laden zu Laden, um die letzten spärlichen Einkäufe zu machen. Ihre Gesichter waren merkwürdig verschlossen, und ihre Augen blickten ernst. Es fehlte ihnen das freudige Leuchten, das gerade am Tag des Heiligen Abend die Erwartung auf das Kommende auszudrücken pflegt.

 

Alles war eben nicht mehr das Richtige. Wohl hatte man die Lebensmittelkarten voll beliefert und sogar Bonbons, etwas Schokolade bzw. Konfekt gegeben, aber was nützte das schon, wenn die Zeiten so furchtbar schwer waren. Die Herzen der Menschen bedrückte der Krieg im Osten.

 

In die ostpreußischen Grenzgebiete war die Rote Armee bereits seit Monaten eingedrungen und nicht mehr zurückgewichen. Trotz verzweifelten Widerstandes der fast zerschlagenen deutschen Armeen war der Zusammenbruch der deutschen Ostfront abzusehen. Obgleich die wenigsten der ostpreußischen Bewohner darüber orientiert waren, kam es ihnen doch nicht mehr ganz geheuer vor.

 

So hatte sich die ganze Wehmut dieses grauen Dezembermorgens auch in die Herzen der Menschen eingeschlichen, die immer noch etwas zu ahnen begannen. Irgendetwas Unbestimmtes — vielleicht etwas Furchtbares. War es wohl dieses Unbestimmte, das keine richtige Weihnachtsstimmung mehr aufkommen lassen wollte, das die Gesichter verschloss und den Blick trübte?

 

Das Leben in den Straßen erreichte seinen Höhepunkt am Nachmittag, als Geschäfte und Dienststellen schlossen und Frauen, Mädchen und ältere Männer durch die Stadt nach Hause gingen. Dann wurden die Straßen leer und still. Der Wind hatte nachgelassen und nur der Regen rieselte in winzigen Tropfen vom grauen, trägen Himmel, der über Stadt und Landschaft hing.

 

Auf dem Marktplatz befand sich ein großer Tannenbaum. Er stand einsam und scheinbar vergessen. Von seinen grünen Ästen tropfte das Wasser, das sich mit den trüben Pfützen auf dem Pflaster vermischte.

 

Als es dunkelte, begannen seine elektrischen Kerzen zu strahlen, doch sie vermochten auch keine Weihnachtsstimmung zu erzeugen. So wurde es dunkler und dunkler. Der Marktplatz lag gänzlich verlassen da, niemand war zu sehen. Gespenstisch schwarz standen die Häuserfronten und die dunklen Konturen des Kirchturms verloren sich in der schwarzen Nacht, die kein Stern erhellte. Dann dröhnten die Glocken. Sie riefen die Gläubigen zum Gottesdienst.

 

Von überall tauchten vermummte Gestalten auf. Sie gingen durch die Straßen zur Kirche, in der die Orgel aufbrauste und der Weihnachtsgottesdienst begann.

 

Auf dem Lichterbaum vor dem Altar brannten die Kerzen. Ganz anders als draußen auf dem Marktplatz strahlten sie hier Wärme aus. Wärme für die Herzen, die nicht verzagen wollten trotz Krieg und Entbehrungen, Schmerzen und Tod. Im Schein dieser Kerzen las der Pfarrer die Weihnachtsgeschichte und dann betete er zu Gott um baldigen Frieden, aber ahnten er und seine Gemeinde, wie nahe er war? Ahnten sie das, was an Furchtbaren noch dazwischen liegen sollte, zwischen diesem Weihnachtsfest und dem so lange ersehnten Frieden? Nein — sie alle ahnten es nicht und es war vielleicht gut so.

 

Der Regen hatte aufgehört, als die Kirchgänger in die dunkle Nacht hinaustraten und die Glocken das Christfest einzuläuten begannen. Das letzte Christfest im Kriege und in der Heimat für die Bewohner der ostdeutschen Lande.

 

Die Wolken hingen tief. Sie dämpften den Klang der Glocken, der dadurch kaum zu den naheliegenden Wäldern drang, in denen es einsam und unheimlich still war.

 

Fast überall in den Familien wurden um diese Zeit die Lichter am Tannenbaum angesteckt. Es war mollig warm in den Stuben. Die Kinder sagten ihre Gedichte auf und jubelten über die Geschenke, die zwar nicht in so reichhaltiger Zahl wie früher unter dem Tannenbaum lagen, aber dennoch Freude und glücklich sein schufen. Ja, die Kinder, für sie war es ein Weihnachten wie jedes andere. Sie merkten den Unterschied oft nur an den dürftigen „bunten Tellern“ und an der Tatsache, dass der Vater nicht zu Hause, sondern Soldat war. So waren die Kinder wohl die Glücklichsten unter den Tannenbäumen der Kriegsweihnacht 1944.

 

Ganz anders die Erwachsenen. Da saß in einer kleinen Stube eine alte Mutter, deren Sohn gefallen war. Sein Bild mit schmalem Trauerflor umwunden stand unter einem kleinen Lichterbaum, von dessen Kerzen das flüssige Wachs zu Boden tropfte. Und diese Mutter saß da und weinte. Weinte um ihren Sohn, der irgendwo in den Frost verstarrten Weiten Russlands in der hartgefrorenen Erde lag, während über das Grab der Schneesturm pfiff. Sie hatte andere Weihnachten erlebt — damals vor Jahren als ihr einziges Glück und ihre Hoffnung noch Blut und Leben hatten. Ja, damals — es war schon lange her, aber jetzt — gefallen für Deutschland. Nein, sie wollte nicht mehr — sie wollte nicht mehr leben, was hatte es noch für einen Sinn.

 

Oder eine junge Frau. Sie hatte ihren Säugling auf dem Arm, der mit großen Augen und kleinen Patschhändchen nach den leuchtenden bunten Kugeln griff und die Welt so schön fand, weil er sie noch nicht kannte. Die gleiche Welt, in der der Krieg tobte, der seinen Vater gemordet hatte. Was nützten Tränen und Schmerzen der jungen Frau und Mutter — nichts. Das Schicksal schlug zu, wo es hin traf. Es fragte nicht, es warnte nicht, es war gnadenlos und unerbittlich.

 

Doch nicht nur in diesen beiden Stuben waren Schmerzen und Tränen. In vielen, vielen Familien fehlte jemand. Da weinten Eltern um Ihre vermissten oder gefallenen Söhne, Geschwister um ihre Brüder, junge Witwen um ihre Männer, Kinder um ihre Väter und junge Mädchen um ihre Verlobten und Freunde. Aber da waren noch andere: Evakuierte und Flüchtlinge aus den Grenzgebieten, die teilweise schon verwüstet oder von Russen besetzt waren. Und diese Bombengeschädigten und Flüchtlinge hatten schon damals alles verloren, was sie einstmals besessen hatten, als in dieser kleinen Stadt noch niemand an Flucht auch nur zu denken wagte. So weinten sie nicht nur um ihre verlorenen Angehörigen sondern auch um ihre verlorenen, verwüsteten und niedergebrannten Heimstätten, in denen sie noch vor einem Jahr Weihnachten gefeiert und vor einigen Monaten gelebt hatten. Sie hatten es am schwersten von allen.

 

Aus den Sendern des Großdeutschen Rundfunks erklangen Weihnachtslieder. Helle Kinderstimmen sangen das Lied von der stillen, Heiligen Nacht. Oder auch „Fröhliche Weihnacht überall …!“ War es nicht eine grausige Ironie angesichts des unsagbaren Leids in der Welt und der Roten Armee im Land. Angesichts der hingemordeten Männer, der geschändeten Frauen und deportierten Menschen überhaupt z. B. im Kreise Gumbinnen! Angesichts der vielen toten und verwundeten Soldaten an den Fronten und der gerade in diesen Stunden sterbenden jungen Menschen. Fröhliche Weihnachten — mein Gott! Die Heilige Nacht wurde klar. Vom Himmel leuchteten unzählige Sterne, und der Wind hatte sich nach Osten gedreht. Hinter den abgedunkelten Fenstern verlöschten nach und nach die Kerzen der Christbäume. Die Menschen gingen zur Ruhe, aber viele lagen noch lange mit schweren Gedanken wach; nur die Kinder ruhten glücklich mit ihren Teddys und Puppen im Arm. Sie träumten von Engeln und dem Christkindlein.

 

Mit den langsam verrinnenden Stunden ging die Heilige Nacht ihrem Ende zu; im Osten aber, dort wo das Morgenrot zu leuchten begann, stand abwartend und sich auf ihren großen Schlag vorbereitend die Rote Armee. Zum Sprung geduckt wie ein Tiger, stand sie dort vor der eingeschneiten, dünnen deutschen Front.

 

Die beiden Weihnachtsfeiertage waren ruhig. Am Nachmittag des 25. Dezember setzte wieder der Regen ein, und die Straßen der Stadt waren nur wenig belebt. Dagegen waren Cafés und Lokale besetzt. Wer nach der Kaffeezeit kam, fand selten noch einen Platz. Die Gäste waren zum größten Teil Soldaten und junge Mädchen. Die wenigen männlichen Zivilisten waren ganz junge, noch nicht wehrdienstfähige Leute, sonst hätten sie bestimmt nicht hier gesessen.

 

Da sich seit vielen Monaten ein Lazarett und auch ein Ersatzbataillon in der Stadt befanden, stammten die meisten Feldgrauen, die in den Lokalen saßen, auch von dort. Sie unterhielten sich bei Kriegsbier, Heißgetränk oder einer mitgebrachten Flasche Kognak und feierten so auf ihre Art das Fest. Sicher wären sie viel lieber zu Hause bei ihren Angehörigen gewesen, aber nicht alle hatten Urlaub bekommen können und so mussten sie eben hier sitzen, wenn sie den Baracken und Lazarettsälen entfliehen wollten. Ihr Los war nicht gerade beneidenswert.

 

 

 

Seite 4 Ersatzkaffee und Kuchen auf Marken

Manche hatten seit Jahren das Weihnachtsfest in Schützengräben, Unterständen, Kasernen und Cafés gefeiert, während ihre Angehörigen alleine zu Hause saßen. Ja, so war der Krieg. Und dabei waren sie in diesem Jahr immer noch besser daran als ihre Kameraden an den Fronten. Diese hatten sicher auch Kognak aber keine warmen Stuben, keine Ruhe und nachts keinen Schlaf, auch waren sie nicht einmal ihres Lebens sicher. So konnten die jungen und alten Soldaten noch froh sein, dass sie hier in dieser fremden Stadt sitzen durften.

 

Von den Einwohnern der Stadt waren trotz des schlechten Wetters viele zu den nahen Ausflugslokalen hinausgepilgert. Hier hörten sie das Wehrmachtswunschkonzert und danach Schallplattenmusik. Bei Ersatzkaffee und Kuchen auf Marken fühlten sie sich einigermaßen wohl.

 

Der weit überwiegende Teil der Menschen aber saß zu Hause bei Kaffee, Kuchen und Radiomusik oder waren besuchsweise bei Verwandten oder Freunden. Die Männer spielten Karten, die Frauen unterhielten sich und die Kinder spielten mit den Sachen vom Weihnachtsmann. Das Thema Krieg war wenig aktuell. Man mochte nicht daran denken — absichtlich nicht, aus bestimmten Gründen. So verging der 1. Weihnachtstag, still und friedlich, ohne besondere Ereignisse weder in der Stadt noch an der ostpreußischen Front. — Am Morgen des 26. Dezember hatte es gefroren, über Nacht war der Wind umgeschlagen. Er blies kalt aus dem Osten und brachte Frost. Der Boden war leicht gefroren, und die Regenpfützen auf den Straßen trugen eine dünne Eisschicht. Das nun trockene Wetter lockte schon in den Vormittagsstunden die Frühspaziergänger aus den warmen Stuben. Wieder wurde in den häufigsten Fällen bei sich anbahnenden Unterhaltungen das Thema Krieg ängstlich gemieden. Warum sollten sie sich auch unnötig kopfscheu machen, wenn die Rote Armee wirklich marschieren sollte — nun, man würde sie schon rechtzeitig warnen und evakuieren, — dachten sie. Aber sicher würde es nicht dazu kommen. Der Führer hatte doch gesagt, er glaube nicht an eine russische Offensive. Und sie glauben ihm doch alle noch? Oder etwa nicht? Doch — sie glaubten.

 

Am Nachmittag erlebten Markt und Straßen einen kleinen Spaziergänger Rekord. Wieder wurden Besuche gemacht. Cafés und Ausflugslokale waren restlos besetzt. Und wieder sah man die gleichen Bilder wie am Vortage. Soldaten und Zivilisten in bunter Reihenfolge. Bier, Heißgetränke, Stimmengewirr und Radiomusik. Seltener geworden waren die Kognakflaschen. Sie hatten nur für den 1. Feiertag gereicht.

 

Da die Dunstschicht trotz des Frostes die Sonne nicht hindurchgelassen hatte, wurde es bald dunkel. Die Straßen leerten sich und wenige Zeit später erleuchteten die Kerzen des Tannenbaumes den Platz vor dem Rathaus, der wieder still und einsam dalag.

 

So kam die Nacht und mit ihr ging der letzte Weihnachtsfeiertag seinem Ende zu. Der Frost wurde stärker. Er drang in die Erde und ließ ihre Oberschicht mehr und mehr erstarren. Noch immer wehte der nun schärfer werdende Wind aus dem Osten. Er wehte über kahle Felder und schlafende Dörfer, über Städte und dunkle Wälder und auch über die alten Häuser dieser kleinen Stadt, in denen sich die Menschen zur Ruhe gelegt hatten und noch nicht wissen konnten, dass es für sie die letzten Weihnachten in ihrer Heimat gewesen waren, aber auch die letzte Kriegsweihnacht. Friedliche, ruhige Weihnachten 1944. Es war die Ruhe vor dem Sturm, vor der großen Katastrophe, die alles verschlingen sollte. Und alle in dieser Stadt hatten nur noch 28 Tage Zeit und wussten es nicht.

 

 

Seite 4   Neue Ostpreußische Bücher.

Charlotte Keyser. Und dann wurde es hell.

Stürme, angekündigt durch feines Wetterleuchten. Stürme, die in seelischen Bereichen alles, was unter ihren dunklen Schwingen steht, genauso beugen und niederschlagen wie Unbilden über weitem Land, ziehen herauf und formen Menschenschicksale. Aber mit der Stille, die den Wettern folgt verteilen sich die Schatten, und die Getroffenen finden den Weg ins Helle. 280 Seiten auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 8,50

 

 

Und immer neue Tage. Roman um eine memelländische Familie zwischen zwei Jahrhunderten (1700 - 1800). Das auf einem Gut der Memelniederung ansässige niederdeutsche Patriziergeschlecht der Kroegers steht im Mittelpunkt dieses großen Familienepos. II. Auflage im 76. Tausend, 452 Seiten auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 10,80

 

 

Schritte über die Schwelle. Alle Vorzüge ihres starken Erzählertalents zeichnen auch diesen Roman Charlotte Keysers wieder aus, der von der Zeit erzählt, als nach der großen Pest im Beginn des 18. Jahrhunderts in Tilsit am Memelstrom das erloschene bürgerliche Leben neue Form gewinnt. 4. Auflage. 480 Seiten mit Buchschmuck auf blütenweißem Papier, in Leinen gebunden DM 11,80

 

Bi ons to hus.  22 memelländische Lieder (mit Noten), 48 S., kartoniert DM 4,--

 

 

Ostpreußen. Unvergessene Heimat in 116 Bildern. Dieser erste große Dokumentarbildband zeigt Ostpreußen. Danzig, Westpreußen und Memel. Der Textteil bringt Beiträge von ostpr. Autoren. Buchformat  20 X 26 cm, 160 Seiten, Leinen DM 13,80, in Halbeder DM 18,50

 

 

Königsberg.  Ein Buch der Erinnerung. Dieses große Buch der Erinnerung erschien anlässlich der 700-Jahrfeier Königsbergs im Jahre 1955 mit 66 eindrucksvollen Bildern aus der alten Pregelstadt und wertvollen Beiträgen Königsberger Autoren- Buchformat 20 X 26 cm, 128 S., Leinen DM 11,80, in Halbleder DM 15,50

 

 

Heimat Ostpreußen.  Ein Bildbuch mit Geleitwort von Dr. Ottomar Schreiber. 4. Auflage, Buchformat 20 X 26 cm, 16 Text- und 64 Bildseiten, Leinen DM 7,50, kart. 6,--

 

 

Rudolf G. Binding. Das Heiligtum der Pferde. Der große Pferdeliebhaber Rudolf G. Binding schrieb den Text zu diesem schönen Bildwerk. Mit 69 Originalaufnahmen aus Trakehnen. 69. Tausend, 106 Seiten, in Leinen DM 9,80

 

 

Robert Johannes. Klops und Glumse. Aus Keenigsbarg und Ostpreissen. Mit einem Vorspruch von Walter Scheffler: Heimkehr nach Königsberg. - Neue Auslese aus dem 9-bändigen Deklamatorium des berühmten ostpreußischen Dialektrezitators, ferner enthaltend Gedichte aus dem unveröffentlichten Nachlass. Zunächst erschienen Auslese I und II zu je 64 Seiten, kart. je Band 2,50

 

 

Schabelbohnen. Plidder - Pladder (2. Band der „Schabbelbohnen“). Humoristische Gedichte in ostpreußischer Mundart, besonders geeignet zum Vortrag und Vorlesen an Heimatabenden von Dr. Alfred Lau. Jeder Band 44 Seiten, kart. DM 2,--

 

 

Wilhelm Reichermann. Starker Tobak. Auslese der plattdütschen Spoaskes: „Ut Noatange“. Humoristische Gedichte in ostpreußischer Mundart. 64 Seiten, kartoniert DM 2,50

 

 

Stadtplan Königsberg. Neudruck 1953 in 3 Farben im Maßstab 1 : 15 000, Format 62 X 44 cm. Preis des gefalzten Planes im Umschlag DM 2,--, plano für Rahmungszwecke in fester Papprolle DM 2,50

 

 

Bildkarte Ostpreußen. in 5-Farben-Reproduktion ein wertvoller Wandschmuck. Format 40 X 60 cm DM 6,--: gerahmt ca. DM 15,--

 

 

Ostpreussen-Kalender 1955. Ein lieber Begleiter aller Ostpreußen 17. Jahrgang. Abreißkalender mit 24 Fotopostkarten auf Kunstdruckkarton und Beitragen ostpreußischer Autoren, Im Format 15 X 21 cm, DM 3,50

 

 

Fritz Kudnig. Das Wunder am Meer. Das Lied einer Landschaft Gedichte von Haff, Meer und Dünenland. Mit 8 Bildern dieser Landschaft. 48 Seiten, kartoniert DM 2,80. Leinen DM 4,25

 

 

Walter Scheffler. Mein Königsberg. Spaziergänge in Sonetten und Liedern. Dem Buch sind 8 Bilder aus der Stadt Königsberg auf Kunstdruckpapier beigegeben. 48 Seiten, kartoniert DM 2,80, Leinen DM 4,15

 

 

Ferdinand Gregorovius. Idyllen vom Baltischen Ufer. 56 Seiten mit 4 Abb., kartoniert DM 1,50

 

 

Walther Hubatsch. Im Bannkreis der Ostsee. Grundriss einer Geschichte der Ostseeländer in ihren gegenseitigen Beziehungen. 98 S. mit 15 Kartenskizzen, kartoniert DM 1,50

 

 

Günther Schwab. Land voller Gnade – Die Landschaft Ostpreußens, wie sie lebt und webt. Ein Buch von Wäldern, Wassern und Wildnis. 634 S. mit zahlreichen Illustrationen, Ganzleinen DM 12,50

 

 

Aber das Herz hängt daran! Ein unvergessliches Zeitdokument – Ein Gemeinschaftswerk der Heimatvertriebenen dem ganzen deutschen Volke gewidmet. Das Wichtigste, Bedeutendste und Schönste aus 12 000 literarischen Einsendungen. 400 Seiten, hervorragend ausgestattet. Ganzl. DM 10,80

 

 

Seite 5   Berichte aus den Landsmannschaften

Göppinger Ostpreußen besuchten Heimatabend in Schorndorf.

Schorndorf. Ein fröhliches Beisammensein vereinigte unsere Schorndorfer Landsmannschaft mit zahlreich erschienenen Landsleuten aus Göppingen, an dem auch viele Einheimische und Gäste anderer Landsmannschaften teilnahmen.

 

Bei der herzlich gehaltenen Begrüßung sprach der 1. Vorsitzende August Preuß den Wunsch aus, dass die Göppinger und Schorndorfer Ostpreußen recht bald miteinander warm werden mögen und überreichte dem 1. Vorsitzenden Bruno Quaß Göppingen, zur Erinnerung an diesen nachbarlichen Besuch ein Bild der schönen Stadt Schorndorf. Mit herzlichem Dank sprach Bruno Quaß den Wunsch aus, die Schorndorfer Landsleute nach Fertigstellung der Göppinger Stadthalle auch einmal dort begrüßen zu dürfen.

 

Der erste Teil des außerordentlich reichhaltigen Programmes war ganz dem Gedenken an die alte Heimat Ostpreußen gewidmet. In dem Gedicht „Ich möchte heim“, vom Ehrenvorsitzenden Walter Gaedtke, und dem gemeinsam gesungenen Ostpreußenlied „Land der dunklen Wälder“ spiegelte sich so recht die tiefe Verbundenheit zu der unvergessenen Heimat wieder. Ein Vortrag über ostpreußische Sprichwörter und urwüchsiger Heimathumor ließen schnell eine fröhliche Stimmung aufkommen. In der Pause war Gelegenheit geboten, die sehr reichhaltig beschickte Ausstellung von eigenen Heimarbeiten und Arbeiten aus der Kriegsgefangenschaft zu besichtigen, die allgemein Bewunderung fand.

 

Im zweiten Teil bewiesen die Darbietungen viel politischen Humor, besonders gefiel der kleine Sketch „Die Straßenkehrer 08/54“. Der 2. Vorsitzende betonte dann, dass heute die Wiederbewaffnung und die Saarfrage im Vordergrund der politischen Verhandlungen ständen, dass aber von der Wiedervereinigung mit der alten Heimat kaum noch gesprochen würde. Es sei deshalb eine besondere Aufgabe der Landsmannschaften, die alte Heimat immer wieder vor Augen zu führen. An diesem Abend geschah das durch ein „Preis-Quiz“ mit Fragen über Ostpreußen, für die die Teilnehmer viele und wertvolle Preise erhielten.

 

In altbekannter, ostpreußischer Gemütlichkeit blieb man noch lange beisammen, und nur ungern trennten sich die Göppinger Landsleute zu vorgerückter Stunde von ihren Gastgebern in Schorndorf.

 

 

Deggendorf (Obb.)

Der Bund „Heimattreuer Ost- und Westpreußen“ führte bei seinem letzten Heimatabend die Vorstandswahl durch. Aus dem Kreis der Versammlung wurde vorgeschlagen, den alten Vorstand in seiner Gesamtheit wieder zu wählen, doch legte die bisherige 2. Vorsitzende Eva Hurtig-Christeleit ihr Amt nieder, sodass sich der Vorstand nun wie folgt zusammensetzt- 1. Vorsitzender Hans Vorwald; 2. Vorsitzender Fritz Bolz; Schriftführer: Franz Temlitz; Kassiererin: Gisela Meitz; Kulturreferentin: Eva Hurtig-Christoleit; Familienbetreuerin: Frau Temlitz; Veranstaltungsausschuss: Charlotte Krumm. — Hans Vorwald gab einen Überblick über die landsmännische Arbeit im verflossenen Jahr und berichtete u. a., dass allein in den letzten 3 Monaten über 20 Mitglieder Deggendorf verließen, da sie hier keine Beschäftigung fanden, im Westen aber Arbeit finden konnten. In diesem Jahr besteht die hiesige Gruppe 5 Jahre, doch muss wegen Geldmangel von einer Feier abgesehen werden. Die Gruppe hat sich seit ihrer Gründung durch Landsmann Otto Nosuta um fast 50% verkleinert, da Niederbayern – und besonders Deggendorf, was statistisch festgestellt ist, - zu den arbeitslosesten und von Flüchtlingen übervölkerten Gebieten des Bundelandes gehört. – Anschließend gedachte Vorwald der ostpreußischen Erntebräuche und belegte durch Zahlen das Ausfuhrpotential auf landwirtschaftlichem Gebiet unserer verlorenen Heimat. Auch auf den Sinn der landsmännischen Zusammengehörigkeit wies er hin und auf das Recht, das wir auf unsere Heimat immer haben werden. Er berichtete u. a. auch von der verlorengegangenen Propaganda einer kanadischen Zeitung, nach der Polen durch die Oder- Neiße-Linie wieder hergestellt sei, wie vor 1000 Jahren. Polen sei aber gerade vor 1000 Jahren erst im Entstehen gewesen. – Der Landesorganisationsleiter des BHE Ernst Diepenbruck gab anschließend ein groß angelegtes Referat über die Wiederansiedlung der vertriebenen Bauern. Er erwähnte u. a. besonders die bayerischen Verhältnisse. Von 19640 Siedlungsstellen wären nur 35% an Vertriebene gekommen. Das Hässlichste an allem aber sei, dass nur 35 Millionen DM für vertriebene Bauern ausgegeben wurden, während 100 Millionen zur Verfügung gestanden hätten. Der Bayerische Landtag hätte den Etat für die vertriebenen Bauern nun von 12 auf 4,5 Millionen DM herabgeseztz. Es gibt in Bayern allein 49 Staatsbetriebe mit zusammen 8966 ha. Von denen das Landw.-Ministerium 43 mit 4800 ha. Das Justiz-Ministerium 11 Betriebe, das Kultusministerium 3 und das Finanz- und Innenministerium je 1 Betrieb haben. München sei der größte Grundbesitzer Bayerns mit 5100 ha. – Prof. Dr. Oberländer habe die 300 000 vertriebenen Bauern das Geschenk an die Nation aus der Katastrophe genannt, aber man habe sie nicht als Geschenk bewertet. In Bayern verlassen jährlich 70 000 das Land und ziehen in die Stadt, da sie keine Siedlungsmöglichkeit haben. Ernst Diepenbruck belegte auch in Zahlen die Abwanderung der Bauern und der bäuerlichen Jugend in artfremde Berufe. – Zum Schluss des Abends brachte die DJO unter der Leitung unseres Landsmann Horst Dublaski Erntelieder und Erntesprüche. Die Weihnachtsfeier ist am 19.12.1954 (ohne Kinderbescherung) im Baumgartner Saal. Die Faschingsfeier am 12.02.1955 im Baumgartner Saal. Eva Hurtig-Christeleit.

 

 

Flensburg. Ostpreußen war Überschussgebiet.

Auf der letzten Mitgliederversammlung gedachte der 1. Vorsitzende, Schulrat a. D. Babbel, nach der kurzen Begrüßung der im letzten Monat verstorbenen Mitglieder, sowie u. a. des Ehrenmitgliedes Hermann Beutler. Nach Bekanntmachungen durch den 3. Vorsitzenden und Frau Dr. Wiedwald hörten wir einen Kurzvortrag über Bausparen. Dr. Kob, der Kulturwart der Landsmannschaft, hatte dann die weitere Ausgestaltung des Abends übernommen. Im ersten Teil seines Vortrages ging er auf die außenpolitische Lage ein. Besonders erwähnte er, dass nach der Londoner Akte für uns, d. h. für die Heimatvertriebenen, manche Fragen auftauchen.

 

Zum Beispiel: Wie werden sich die Verträge auf die Oder-Neiße-Linie auswirken? Wie wird es um Ostpreußen sein? Aus allem ist aber nicht klar zu ersehen, ob die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie in die Wiedervereinigung mit einbegriffen sind. Im zweiten Teil seines Vortrages zeichnete der Redner ein sehr anschauliches Bild dessen, was wir mit unserer Heimat verloren haben. Er unterstrich dieses mit statistischen Angaben und stellte fest, dass dieses Ostpreußen mit unserer Vertreibung sein altes Gesicht völlig verloren habe. Das, wovon die Bevölkerung einst lebte und davon dem ganzen Deutschen Reich abgab, sei nicht mehr.

 

Im Hinblick auf die erhoffte Wiederaufnahme dieses für die deutsche Ernährung so besonders wichtigen Landes stellte der Redner die bedeutsame Frage: „Was geschieht heute, um die fortgeschrittenen landwirtschaftlichen Kenntnisse in den heimatvertriebenen bäuerlichen Familien zu erhalten, zu verbessern und der neuzeitlichen Entwicklung anzupassen?“ Eine Antwort dafür fand er nicht. Dr. Kob stellte aber ganz besonders den wirtschaftlichen Widersinn der Tatsache heraus, dass diese kultivierten Gebiete für die ganze Welt heute als Ernährungsboden sinnlos ausfallen und man auf der anderen Seite mit erheblichstem Kostenaufwand an Kultivierungsarbeiten herangehen muss. Neben dem im Auftrag der UNO hergestellten Filmstreifen „Brot für 300 Millionen“ sahen wir noch zwei Kurzfilme aus der alten und neuen Heimat. In den Pausen machten wir wieder eine Rätselreise durch unsere geliebte Heimat.

 

Am Heldengedenktag beteiligten wir uns mit unserem Ostpreußenbanner an der Kranzniederlegung für die Gefallenen.

 

Am Totensonntag versammelte sich eine große Anzahl unserer Landsleute zu einer besonderen Gedenkstunde für unsere im Osten gestorbenen Schicksalsgefährten. Schulrat Babbel gedachte in seiner Gedenkrede all derer, die auf dem Golgathaweg der Flucht über das Eis der Haffe und Flüsse ums Leben kamen. Auch der vielen, die in der Heimat verblieben und dort den Tod fanden, gedachte der Redner. Bei der Kranzniederlegung senkten sich die beiden Banner (Ostpreußen und Bund der heimattreuen Ost- und Westpreußen). In stiller Andacht und Wehmut gedachten die Anwesenden ihrer verstorbenen Lieben. Armoneit.

 

 

Seesen (Harz).

Die Adventsfeier für die Mitglieder der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen am 11. Dezember ist mit einer Verlosung von Königsberger Randmarzipan verbunden. Die Ausgestaltung liegt in den Händen von Hilfsschullehrer Fenske (Heimatchor- und Kulturleiterin Lieselotte Donnermann, Märchenspiele).

 

Für die Kinder der Mitglieder wird am 22. Dezember eine Vorweihnachtsfeier veranstaltet.

 

Verein heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover.

 

Am Sonntag, 19. Dezember 1954, um 16 Uhr findet unsere diesjährige Weihnachtsfeier mit einer großen Kaffeetafel und Bescherung der Mitgliederkinder in dem ehemaligen Fürstenzimmer der Hauptbahnhofsgaststätten statt. Mitglieder, die Gäste und Gästekinder mitzubringen wünschen, müssen diese bis spätestens zum 15. Dezember 1954 gegen Zahlung des Selbstkostenpreises für das Kaffeegedeck und evtl. Kinderbescherung bei Landsmann Wilhelm H, Hannoverellwig, Bödekerstraße 96, angemeldet haben.

 

 

Seite 5   Neues E-Werk in Schippenbeil

Knapp sechs Kilometer von der Trennlinie zwischen polnisch-verwalteten Teilen und dem sowjetischen Sektor Ostpreußens liegt Schippenbeil. Hier mündet auch die Guber in die Alle. Eine Notbrücke besteht erst seit zwei Jahren, so vollzieht sich der minimale Verkehr in denkbar einfachen Formen. Autos sind seit Jahren nicht mehr nach Schippenbeil gelangt. Umso größer war das Erstaunen der 1200 Neubürger, als plötzlich ganze Fahrzeugkolonnen heranmarschierten. Sie luden Barackenteile aus und viele Bauarbeiter, die unverzüglich mit der Aufstellung ihrer primitiven Zugbuden begannen. Vermessungsingenieure steckten bestimmte Bezirke ab, dann erschienen auch zwei moderne Bagger. Heute sind vielleicht 5000 Menschen in dem Barackenviertel von Schippenbeil versammelt. Ihr Arbeitstag hängt vom Tageslicht ab, denn der elektrische Strom soll erst geschaffen werden durch den Bau eines Großkraftwerkes, das die Flussläufe ausnutzen wird. Man will die Alle stauen, um so den nötigen Druck für die Turbinen zu erhalten.

 

Da auch die Bartensteiner Ortschaften noch ohne ausreichende Stromversorgung sind, soll die neue Anlage weite Teile Mittel-Ostpreußens elektrisch erschließen.

 

In der kleinen Stadt herrscht ein völliges Durcheinander. Mitten auf dem Markt stehen Feldküchen, die das Heer der Arbeiter zu verpflegen haben. Die Unterbringungsmöglichkeiten sind äußerst bescheiden. Es ist üblich, zunächst das Baugerät heranzuschaffen, um erst danach für die Unterkünfte zu sorgen. Um Plünderungen zu verhindern, zogen auch Einheiten des Nationalen Wehrschutzes in Schipnenbeil ein. Bei der Anlage des neuen Kraftwerkes herrscht die Vermutung vor, dass man nicht zuletzt für die benachbarte Grenze einen brauchbaren Lichtgürtel schaffen will, der es Deserteuren unmöglich machen soll, die Waldzonen zu passieren.

 

 

Der Leiter des Sozialamtes der Evangelischen Kirche, Klaus v. Bismarck, ist zum stellv. Vorsitzenden des Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Vertriebene gewählt worden.

 

 

Seite 5   Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen

Der Königsberger Männerturnverein von 1842 veranstaltet eine Begegnung seiner Mitglieder bei der 700-Jahr-Feier der Stadt Königsberg in der Patenstadt Duisburg. Von der Festleitung ist die Bereitstellung eines geeigneten Lokals bereits zugesagt. Um einen Anhalt für die Beteiligungszahl zu haben, werden alle KMTVer, die zu Pfingsten 1955 in Duisburg dabei sein wollen, gebeten, ihre Absicht unverbindlich an Wilhelm Alm in Oldenburg (Oldbg.), Gotenstraße 33, mitzuteilen. Die Zusammenkunft des KMTV ist völlig zwanglos. Näheres über das Lokal und den Zeitpunkt an den einzelnen Tagen wird jedem, der sich meldet rechtzeitig vorher durch Rundschreiben mitgeteilt werden. Unterkunft in Duisburg kann durch den KMTV nicht beschafft werden. Hierzu muss sich der einzelne nach den Bedingungen für Teilnehmer an der 700-Jahr-Feier richten und, sobald dazu aufgerufen ist, bei der zuständigen Stelle anmelden. Die „Ostpreußen-Warte bringt laufend alles Wissenswerte von der 700-Jahr-Feier.

 

Herzliche Geburtstags - Gluckwünsche allen im Dezember geborenen Turnschwestern und Turnbrüdern. Besonders gelten unsere guten Wünsche dem ältesten Geburtstagskind,

 

Turnbruder Paul Ortmann, Danzig, der am 05.12.1954, das 81. Lebensjahr vollendet,

 

und denen die wieder einmal in ein neues Jahrzehnt eintreten:

 

am 12.12.1954:  Christel Littau-Podack (30 Jahre),

 

am 06.12.1954: Eva Krispin-Andrée, Labiau, (50 Jahre)

 

am 20.12.1954:  Frau Christel Wiese, KMTV (50 Jahre),

 

am 18.12.1954: Kurt Bessau, KTC (60 Jahre),

 

am 08.12.1954: Frau Herder, Elbing (70 Jahre).

 

Möge das neue Lebensjahr alle bei bester Gesundheit erhalten und ihnen recht viele kleine Freuden des Alltags bescheren.

 

Fröhliche Weihnachten! rufe ich allen Turnschwestern und Turnbrüdern zu. Fern der angestammten Heimat in einem verstümmelten und noch dazu gespaltenen Deutschland müssen wir auch in diesem Jahr das Weihnachtsfest begehen. Können und dürfen wir in solcher dunklen Zeit wirklich fröhlich sein? Wir müssen den Mut zum Frohsinn haben und aus unseren Turnerherzen wollen wir auch in unsere Umgebung Fröhlichkeit hinausstrahlen lassen in dem Bewusstsein, dass man nach ewigen göttlichen Gesetzen das Dunkel jeder Nacht durch einen neuen Tag und jeden Winters durch einen neuen Frühling verscheucht wird. Unser Mut zum Frohsein ist Weggenosse beim mutigen Voranschreiten in der Finsternis. Und jeder Schritt bringt uns dem Ziel, der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und der Wiedergewinnung unserer Heimat näher; vielleicht sind wir ihm näher, als wir alle ahnen!

 

Daher noch einmal für uns alle frohgemut und hoffnungsfreudig

 

Fröhliche Weihnachten

 

in gläubiger Gewissheit der Weihnachtsbotschaft

 

Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

 

 

Seite 5   Wir gratulieren:

Im Weihnachtsmonat Dezember 1954, können die nachstehend aufgeführten Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen in Flensburg ihren Geburtstag feiern.

 

Am 02.12.1954:  Marie Kollex, Flurstr. 19, früher Königsberg (Pr.), Dinterstr. 10, 76 Jahre.

 

Am 02.12.1954: Herr Hermann Schröder, Glücksburger Str. 27. früher Godnicken, Kreis Samland. 71 Jahre.

 

Am 03.12.1954: Frau Helene Dagott, Buchenstr. 2, früher Rantau, Kreis Samland, 72 Jahre.

 

Am 03.12.1954: Herr Julius Korzen, Lager „Zur Exe". 72 Jahre.

 

Am 03.12.1954: Frau Elise Neumann, Nerungsallee 12, früher Königsberg (Pr.), Steindamm 106/7, 84 Jahre.

 

Am 04.12.1954:  Meta Link, Teichstr 15, früher Königsberg (Pr.). Stiftstr. 1, 72 Jahre.

 

Am 05.12.1954: Herr Josef Erdmann, Egerstieg 2, früher Königsberg (Pr.), Rippenstr. 23. 73 Jahre.

 

Am 06.12.1954: Frau Anna Falkowski, Mühlenholz 25, früher Königsberg (Pr.), Kalthöfsche Str. 15, 71 Jahre.

 

Am 06.12.1954: Herr Julius Golloch, Moltkestr. 26, 84 Jahre.

 

Am 06.12.1954: Anna Kunz, Apenrader Str. 9, früher Tilsit, Kl. Gerberstr. 5, 82 Jahre.

 

Am 06.12.1954: Maria Mussel, Lager Strandweg, früher Elchwerder, Kreis Labiau, 81 Jahre.

 

Am 07.12.1954: Margarete Richter, Munketoft 32, früher Königsberg (Pr.), Rippenstr. 17, 72 Jahre.

 

Am 07.12.1954: Auguste Schulz, Heinrich-VoßStr. 28. 85 Jahre.

 

Am 09.12.1954: Herr Hermann Streich, Hafermarkt 19, früher Schippenbeil, Färbergasse 4. 72 Jahre.

 

Am 10.12.1954: Frau Käthe Witt, Flurstr. 14, früher Königsberg (Pr.), Altroßgärter Kirchenstr. 15. 80 Jahre.

 

Am 12.12.1954: Herr Bernhard Wiese, Südergraben 67, früher Insterburg, Gerichtsstr. 40, 75 Jahre.

 

Am 14.12.1954: Auguste Ludszuweit, Feldstr. 7, früher Duden, Krs. Pillkallen, 83 Jahre.

 

Am 16.12.1954: Frau Anna Breuer, DRK-Baracke am Bahnhof, früher Königsberg (Pr.), Besselstr. 17, 76 Jahre.

 

Am 16.12.1954: Frau Dorothea Müller, Solitüde 3, früher Goldap, Jablonkerstr. 6, 70 Jahre.

 

Am 17.12.1954: Henriette Isanowski, Dorotheenstr. 10, früher Labiau, Dammstraße, 72 Jahre.

 

Am 20.12.1954: Herr Gustav Habermann, Bismarckstr. 40, früher Königsberg (Pr.), 75 Jahre.

 

Am 21.12.1954: Martha Link, Nordergraben 3, 70 Jahre.

 

Am 24.12.1954: Samuel Scheidemann, Jürgensgarder Str. 68, früher Marienburg (Westpr.), 70 Jahre.

 

Am 26.12.1954: Friedrich Doering, Mühlenholz 25, 81 Jahre.

 

Am 27.12.1954:  Adolf Müller, Kielseng, früher Königsberg (Pr.), Lange Reihe 8, 74 Jahre.

 

Am 27.12.1954: Frau Amalie Siegmund, Fruerlundhof, früher Königsberg (Pr.), Vorderanger 13, 83 Jahre.

 

Am 28.12.1954: Anna Liehr, Duburger Str. 55, früher Königsberg (Pr.), Friedrichstr. 1, 70 Jahre.

 

Am 30.12.1954: Herr Anton Harnau, Kloster zum Heiligen Geist, früher Braunsberg, Bahnhofstr. 47, 72 Jahre.

Am 30.12.1954: Otto Schwellnus, Große Str. 61, früher Sangen, Kreis Heydekrug (Ostpr.), 75 Jahre.

 

Der Vorstand der Landsmannschaft Ostpreußen und die ganze Flensburger Ostpreußenfamilie wünscht ihren Geburtstagskindern alles Gute und gratuliert von ganzem Herzen.

 

Am 16. November 1954, wurde Großkaufmann Alphons Herrmann, geboren in Allenstein, 80 Jahre alt. Seit seiner Verwundung in Kamerun und Gefangenschaft in Marokko (1914 - 1917) ist er schwerkriegsbeschädigt. Nach dem ersten Weltkrieg war er bis 1945 in Königsberg wohnhaft, wo er Schrötterstraße 84 ein eigenes Haus besaß. Nach der Flucht lebt er in Bayern, und zwar seit 1951 in München 9, Schwanseestraße 19, mit seiner Frau und seiner Tochter.

 

Ihren 75. Geburtstag feiert am 20. Dezember 1954, Frau Maria Reich, geborene Schoreit, aus Tapiau. Sie wohnt bei ihrer Tochter in Hann. Münden, Veckerhagener Straße, Landübungsplatz.

 

 

Seite 6   Ein ostpreußischer Geistlicher / Sein Werden und sein Wirken. Der eigene Lebensweg geschildert von D. Matthias Lackner, Geheimer Konsistorialrat. 2. Fortsetzung.

Großes Foto: D. Matthias Lackner an seinem 90. Geburtstag (24. Dezember 1925)

Hermann Pelka war einer der edelsten, lautersten und tüchtigsten Persönlichkeiten, die ich in meinem langen Leben kennen gelernt habe. Schon als Student war er musterhaft fleißig, löste die Preisaufgabe der theologischen Fakultät über Joh. Cassianus und erwarb den Höchstpreis. In den theologischen und philosophischen Wissenschaften war er so bewandert, dass er die Kandidaten in allen Disziplinen prüfen und ein vollgültiges Urteil abgeben konnte. Auch war er ein gern gehörter Prediger und bereitete sich sorgfältig auf die Verkündigung des göttlichen Wortes vor. Und doch lag darin nicht seine eigentliche Stärke und sein Verdienst, sondern in der kirchlichen Verwaltung, die er zirka dreißig Jahre unter mehreren Präsidenten im Konsistorium ausgeübt hat. Er besaß das unbedingte Vertrauen eines Präsidenten Ballhorn, eines Siehr, eines v. Dörnberg, und nie hat er sie enttäuscht, ja er besaß auch das Vertrauen der Kandidaten und Geistlichen. Wohl konnte er bisweilen barsch erscheinen, wenn er einen Kandidaten, der bei ihm in Gummischuhen und mit Überzieher erschien, hinauswies und ihm bedeutete, er möge anders erscheinen; auch konnte er einem Geistlichen, der sich nach freien oder bald frei werdenden Stellen bei ihm erkundigte, kurz abweisen mit dem Bemerken, er sei kein Auskunftsbüro. Aber doch fühlten alle sein Wohlwollen und waren überzeugt von seiner unbedingten Gerechtigkeit. Für Nebenabsichten war er nicht zu haben, nur das Wohl der Gemeinden einerseits wie das Wohl der Geistlichen andererseits war für ihn maßgebend.

 

Dieses innige Freundschaftsverhältnis zu Pelka, seinem jüngeren Halbbruder Bercio, dem späteren Superintendenten und noch einigen gleichgesinnten Kommilitonen ersetzte mir eine studentische Verbindung, in die ich wohl sonst eingetreten wäre. Wir begründeten, acht Studierende, ein Shakespeare-Kränzchen, schafften uns die Übersetzungen von Schlegel-Tieck an, die ich noch besitze, lasen die herrlichen Dramen mit verteilten Rollen, machten uns auch bekannt mit dem, was Kritiker wie Gervinus über jene Dramen gesagt haben. Mein Verständnis dieses großen Dichters ist dadurch sehr gefördert worden.

 

Gern hätte ich auch harmloses, fröhliches Studentenleben kennen und auch fechten gelernt; ich schloss mich deshalb zuerst, wie in der Regel die Abiturienten von Gumbinnen, den Silberlitauern an, wurde Konkneipant, lernte fechten, war auch nicht ungeschickt, aber ich fühlte doch bald, dass ich nicht hinein gehörte. Wäre eine christliche Verbindung vorhanden gewesen, wäre ich sicher eingetreten. Es ist ja auch etwas Schönes, in der Jugend Freundschaften zu schließen, die für das ganze spätere Leben vorhalten.

 

In anderer Hinsicht habe ich manches verfehlt aus Mangel an Erfahrung und Reife. Mein wohlwollender Direktor Hamann hatte mir ein Empfehlungsschreiben an seinen Freund, den Professor der Kunstgeschichte Dr. Hagen, mitgegeben. Ich sollte mich mit dem Schreiben vorstellen. Der Professor empfing mich sehr freundlich, überwies mir als seinem Amanuensis den ihm zustehenden Freitisch, sagte aber nicht, welche Verpflichtung ich hätte. Ich erkundigte mich bei älteren Studenten, welches die Pflichten des Amanuensis seien. Unglücklich muss ich es dabei getroffen haben; man sagte mir von mehreren Seiten, ich hätte gar keine Verpflichtung, brauchte mich um den Herrn Professor gar nicht zu kümmern. Törichterweise glaubte ich das, besuchte ihn nie, um nach seinen Wünschen zu fragen, ebenso wenig sein Kolleg über Kunstgeschichte. Ein halbes Jahr ertrug er es, dann schrieb er mir freundlich ab, ich hätte wohl für ihn keine Zeit gehabt. Um einen doppelten Gewinn bin ich dabei gekommen: Ich würde durch den Herrn Professor mit der Kunst und Kunstgeschichte etwas mehr bekannt geworden sein, und ich hätte einen sehr edlen Mann kennen gelernt, wie er mir als späterem Pfarrer der Altstadt nahe trat, als er sein Gutachten über unser Altarbild und seine Renovation mit großer Klarheit abgab.

 

Vorlesungen bei Rosenkranz.

Auch eine zweite Gelegenheit, bedeutende Persönlichkeiten kennen zu lernen, ließ ich ungenutzt vorübergehen, um nur möglichst bald ins Amt zu kommen und eine Familie begründen zu können. Professor Erdmann hatte eine Hauslehrerstelle beim damaligen deutschen Gesandten in Petersburg zu vergeben. Er bot sie zuerst Pelka an, der eben wie auch ich das erste theologische Examen bestanden hatte. Pelka lehnte ab und bot die Stelle mir an, und nach dem, wie ich zu Erdmann stand, würde er auch mich wohl empfohlen haben. Wenn ich gewusst hätte, dass es sich um das Haus eines Bismarck handelte, um den Begründer des Deutschen Reiches, seinen ersten großen Kanzler, würde ich schwerlich abgelehnt haben. Wie sehr fanden wir uns, Pelka und ich, zusammen in der Verehrung und Liebe zu Bismarck. Obwohl es nicht Sitte war, uns gegenseitig zu den Geburtstagen zu beschenken, durchbrach er einmal diese Sitte und stiftete mir ein vorzügliches Bild des ersten Kanzlers, das ich noch besitze. Es handelte sich bei der angebotenen Hauslehrerstelle um den Unterricht der beiden Söhne Herbert und Wilhelm in den Anfängen der klassischen Sprachen.

 

Neben den theologischen Vorlesungen, die ich mit meinem Freunde Pelka ganz regelmäßig und ständig besuchte, auch mitarbeitete, hörte ich auch Vorlesungen bei Rosenkranz, der mich mächtig anzog und begeisterte. Leider habe ich viel Gewinn von diesen Nebenstudien nicht gehabt, wie ich hätte haben können; Grund war, weil ich nicht mitarbeitete noch nacharbeitete; denn das theologische Studium nahm mich ganz in Anspruch. Darin erreichte ich denn auch das Ziel in verhältnismäßig kurzer Zeit.

 

Meine Lehrer in der theologischen Wissenschaft habe ich sämtlich hoch geschätzt und verehrt. Senior der Fakultät und Vertrauensmann der Studenten war Professor D. Sommer. Er war damals noch unverheiratet und seine Schüler hielten ihn für sehr wohlhabend. Darum wandten sie sich in allen materiellen Anliegen zuerst an ihn und fanden in der Regel Gehör. Auch ich bat ihn, mein Gesuch um das litauische Stipendium zu unterstützen. Er tat es, ohne mich näher zu kennen und bestimmte seinen Freund, Pfarrer Kurschat, mein Gesuch zu befürworten. Von Professor Sommer sagten mir ältere Studenten: Das ist der gütigste unter den Theologen, den kannst du auch anpumpen; er leiht dir; aber du musst es ihm wieder abgeben, sonst nimmt er es übel. Seine Güte habe ich wohl kennen gelernt, aber ihn doch nie angepumpt, weil ich es nicht nötig hatte. Ich habe bei ihm Genies, Hiob, die Psalmen, Jesaias gehört und namentlich hebräische Altertümer, worin er Autorität war. Seine biblischen Abhandlungen, die Erklärung des Sela; vom Reim und der hebräischen Volkspoesie; die alphabetischen Lieder von Seiten ihrer Struktur; „Rein und unrein“ nach dem mosaischen Gesetz habe ich mit Gewinn studiert. In späterer Zeit, als er sich verheiratet hatte, stand ich mit ihm in regem Familienverkehr und habe an ihm einen edlen, selbstlosen, herzensgütigen Menschen kennen gelernt.

 

Dogmatik und Ethik lehrte Professor D. Sieffert, gleichzeitig Pfarrer an der reformierten Burgkirche. Er war ein klarer Kopf und scharfer Denker, er schulte uns in dogmatischen und ethischen Fragen. Von ihm zuerst habe ich die dogmatischen Probleme kennen und ihre Lösung finden gelernt, soweit es menschlichem Denken möglich ist. Beim theologischen Examen kam er auf diese Probleme zu sprechen, ich verstand ihn und konnte ihm mit seinen eigenen Lösungen antworten, was ihn sehr befriedigte und mir dann eine gute Zensur brachte.

 

Diese Methode theologischer Schulung übte an uns noch der damalige sogenannte junge Weiß, der vor kurzem als Senior der theologischen Fakultät in Berlin und als Exzellenz heimgerufen ist. Er sammelte die älteren Theologen zu einem wissenschaftlichen Kränzchen in einem einfachen Bierlokal. Einer hatte den Vortrag, stellte Thesen auf; dann erhob sich der Streit wogte hin und her, die kühnsten Ansichten und Behauptungen wurden ausgesprochen, Weiß hörte ruhig zu, ließ das Kühnste durch. Erst am Schluss zog er das Resultat und gab seine Meinung zu erkennen. Ich wie Pelka, die wir regelmäßig teilnahmen, hatten den Eindruck, dass wir durch dieses Kränzchen sehr gefördert wurden. Etwas freilich war unbefriedigend, ja störend, das Versammlungslokal. Während wir die tiefsten Probleme behandelten, über die beiden Naturen in Christo, über die Kenosis, über die Dreieinigkeit, tobte neben uns der wüsteste Lärm und wurden zotige Lieder gesungen, auch hörte man fortwährend Kreischen und Schreien. Das wurde uns zu viel. Wir ließen uns den Wirt kommen und fragten, ob er uns nicht mehr Ruhe verschaffen könnte. Ohne sich zu besinnen, erklärte er: „Ja, wenn eine Gesellschaft schwach ist (soll heißen: so wenig trinkt und verzehrt), kann sie keine Ansprüche machen, da geht eine größere Gesellschaft vor“. Wir verstanden, blieben aber doch noch einige Zeit dort, bis wir ein besseres Lokal fanden. – Aus Dankbarkeit schenkten wir Weiß wertvolle gelehrte theologische Bücher, von denen wir wussten, dass er sie sich gewünscht hatte; zur Überreichung wurde auch ich bestimmt.

 

 

Aufschwung im kirchlichen Leben.

Von Professor D. Erdmann habe ich in meinem Rückblick auf die Geschichte der Altstädtischen Kirchengemeinde vom Jahre 1895 gesagt: „Mit Erdmanns Eintritt ins Pfarramt beginnt eine neue Zeit des Aufschwungs im kirchlichen Leben der Gemeinde. Er war nicht bloß ein hochernster akademischer Lehrer, der vielfach in seelsorgerischem Verhältnis zu den Studierenden stand und ihrem ganzen Leben und Wirken die Richtung gab, sondern er nahm auch seine Pfarr amtliche Tätigkeit mit heiligem Eifer auf. Nie hat er sich in der Vormittagspredigt von den Diakonen vertreten lassen, dagegen war er jederzeit gern bereit, für den kränkelnden Heinel einzutreten. Ein dauerndes Andenken hat er sich gestiftet durch Begründung des Altstädtischen Kinderasyls.“. — Er lehrte neutestamentliche Exegese mit heiligem Ernst, wir schätzten ihn und hatten Gewinn aus seinen Vorträgen. Noch näher trat er uns in den Besprechungsabenden, zu denen er wöchentlich einmal seine Hörer in seinem Hause sammelte und jedes Mal ein bestimmtes Thema der Besprechung unterbreitete. Wir beteiligten uns zwar bei der Debatte, traten ihm aber nicht so frei gegenüber wie dem Professor Weiß, welcher uns auch dem Alter nach näher stand. Erdmann wurde bald nach meinem Abgang Generalsuperintendent, und ich ahnte es nicht, dass ich später sein Nachfolger im Pfarramt werden würde und die von ihm begonnene Arbeit am Altstädtischen Kinderasyl aufnehmen und fünfzig Jahre fortsetzen würde.

 

Professor für praktische Theologie war Cosack, zugleich Pfarrer an der Löbenichtschen Gemeinde; ein fein gebildeter Mann, dem ich in Homiletik, Liturgik, Katechetik viel verdanke. Seine Predigten, mehr für Gebildete wie für schlichte Gemeindeglieder berechnet, waren immer sorgfältig durchdacht und klar disponiert. Nicht ein großes Publikum sammelte sich um seine Kanzel, aber ein gewähltes und empfängliches. — Wir Studierende hörten ihn sonntäglich in den letzten zwei Semestern, wiederholten seine Predigt nach dem Gedächtnis und schrieben sie nieder, und das hat uns gefördert. Er ließ uns Predigten und Katechesen anfertigen und überwachte deren Entstehen. Schon die Disposition war einzureichen, sie wurde von einem Studierenden schriftlich beurteilt, dann im Kolleg von allen Teilnehmern und zuletzt vom Professor selbst. Ebenso entstand die Predigt. Das Endurteil des Professors war wohl scharf, aber gerecht, so dass wir volles Vertrauen zu ihm hatten und reichen Gewinn aus seinen Vorlesungen zogen. — Meine zweite Frau hatte er unterrichtet und eingesegnet. Den ganzen Lehrgang hatte sie sorgfältig nachgeschrieben und er gefiel mir so gut, dass ich ihn zum Muster für meinen eigenen Konfirmandenunterricht nahm, danach auch den von mir herausgegebenen Katechismus umarbeitete, der auch vielfach Anerkennung von Geistlichen gefunden hat.

 

Nach dreijährigem Aufenthalt auf der Albertina schied ich von ihr im Herbst 1861, blieb aber in Königsberg, um mich auf das zweite theologische Examen vorzubereiten in Gemeinschaft mit Pelka. In diese Zeit fällt die glänzende Krönung des Königs Wilhelm, an der wir lebhafte Freude hatten. Es war uns so, als müsste jetzt eine neue bessere Zeit für unser Vaterland anheben. Wir errangen zwar nicht einen Platz in der Schlosskirche, wo die Krönung stattfand, aber doch einen Platz auf dem Schlossplatz dicht an dem Gange, auf welchem König und Königin mit dem glänzenden Gefolge sich zur Schlosskirche begaben und aus derselben mit der Krone geschmückt zurückkehrten. Wir hörten auch die verschiedenen Ansprachen an den König und seine Erwiderung, ohne sie zu verstehen; aber die nächste Zeitung brachte sie. Unter den Gesandtschaften waren die glänzendsten die französische und russische; jene stand unter Mac Mahon, dem Herzog von Magenta, von dieser habe ich den Führer nicht erfahren können. Nicht mit freundlichen Augen sahen wir auf den französischen Glanz. Man fühlte damals schon, dass es zur Abrechnung mit Frankreich kommen müsste und würde. Nach diesen Festen begann wieder ernste Arbeitszeit, die abschloss mit dem Examen pro ministerio im Herbst 1862 und pro facultate docendi Ostern 1863 und dann begann die ernste zweiundfünfzig und ein halb jährige Amtszeit.

 

 

B. Sein Wirken

4. Im Schulamt

 

Schon als Mitglied des pädagogischen Seminars unter Provinzialschulrat Dr. Schrader hatte ich sechs Unterrichtsstunden am Friedrichskollegium, das damals Direktor Adler stand, zu erteilen, und nach erfolgter definitiver Anstellung am 1. August 1863 als Gymnasiallehrer zwanzig Stunden wöchentlich. Auch hatte Dr. Schrader mich veranlasst, in der Töchterschule des Fräulein Nebelung, mit deren Vater er befreundet war, vier Stunden in der Geographie und im Deutschen zu erteilen. — Nunmehr begründete ich auch einen eigenen Haushalt und holte mir nach fünfjähriger Wartezeit meine Braut als Gattin in das eigene Heim im September 1863.

 

Freundlich begrüßt wurde meine Frau zuerst von der Sexta, deren Ordinarius ich war. Drei Schüler traten in Festkleidung an, überreichten eine Tischdecke und eine Lampe, versicherte, dass sie immer fleißig und artig sein wollten, um mich nicht zu ärgern, damit ich nicht verärgert nach Hause käme. Bei dieser Ansprache muss wohl ein Kundiger etwas geholfen haben, aber meine Frau freute sich doch, ebenso über die Dreizahl der Schülerinnen, die herrliche Blumen brachten. Sie fühlte sich gleich heimisch. Auch konnte ich ihr bald einen kleinen, aber angenehmen und anregenden Verkehr bieten im Kreise meiner Kollegen und deren Frauen, vor allem mit dem Hause des neuen Direktors Wagner, auch nenne ich Lehnert und meine späteren Schwager Eckardt und Grosse.

 

 Und was war das doch in materieller Hinsicht für eine ganze andere Zeit, von der man wünschen möchte, dass sie wiederkehrte. Mit 600 Talern (man zählte damals noch nach Talern) wurde ich angestellt, allerdings bald aufgebessert auf 700 Taler. Für die Stunden an der Töchterschule erhielt ich auch 100 Taler, und für die Hilfspredigerstelle am Neuroßgarten, wozu ich anfangs 1864 ordiniert wurde, weitere 100 Taler. Auch schenkte meine Schwiegermutter meiner Frau jährlich 100 Taler, also verfügte ich über 1000 Taler. Dafür konnte ich eine Wohnung mieten von drei großen schönen Zimmern, den Haushalt bestreiten, ein Dienstmädchen halten, liebe Personen zum einfachen Essen bei mir einladen und behielt noch übrig zu einem vierwöchentlichen Aufenthalt am Strand in Neukuhren 1864, wo wir Freude hatten, mit der Familie Cosack zu verkehren. Wir machten auch mit der Familie einige Ausflüge. Meiner Frau war das alles neu und interessierte sie lebhaft, so dass

sich die fast zwei Jahre meiner Gymnasiallehrzeit als die glücklichste Zeit meiner kurzen Ehe nennen darf. Es wurde uns auch in Neukuhren von der Musikkapelle ein Ständchen gebracht: meine Frau wusste nicht, dass das nur eine Form war, die Steuer für die Musik von den Kurgästen einzuziehen; sie hielt es für eine besondere Auszeichnung, und ich ließ sie in diesem Glauben, weil er sie so befriedigte. Dazu kam im Jahre 1864 noch ein anderer Umstand, der unsere Herzen mit freudiger Erwartung und Hoffnung erfüllte. Am politischen Himmel, der bisher so dunkel gewesen war, schien die Sonne leuchtend aufzugehen. Man merkte schon, dass eine feste Hand das Staatsruder erfasst hatte und es lenkte, die Hand unseres großen Kanzlers Bismarck. Die beiden „up ewig ungedeelten“ Herzogtümer wollte er annektieren, aber er durfte das nicht sagen, weder den Mächten, noch der Volksvertretung. Mit welchem Hochmut und Neid hat er zu kämpfen gehabt. Als unsere und österreichische Kanonen in Holstein losgingen, hielt Napoleon eine Ansprache an seine Generale, die er mit der Frage begann: „Was sagen Sie, meine Herren! Sie schießen ohne uns!“ Und England übernahm gleich Vormundschaft über Dänemark, und, wenn möglich, auch über uns, berief eine Konferenz zur Schlichtung des Streites nach London. Aber es kam weder hier noch in Frankreich zu einem Eingreifen. Dänemark musste die Herzogtümer abtreten. Schrader, der so hoch patriotisch erregt war, rief mir beim Begegnen auf der Straße zu, bevor ichs erfahren hatte: „Düppel gestürmt!“ und ein andermal: „Alsen über“. Das war unsere politische Morgenröte, die uns neu belebte.

 

Im Anfang des Jahres 1865 wurde ein Geistlicher für die Altstädtische Gemeinde gesucht. Prediger Heinel kränkelte und konnte sein Amt nicht mehr wahrnehmen; es sollte ihm ein Adjunkt mit dem Recht der Nachfolge beigegeben werden. Das Gehalt war neben Wohnung im Pfarrhause auf 400 Taler festgesetzt! Obwohl ich schon als Hilfsprediger für den Neuroßgarten am 5. Februar 1864 ordiniert war, hatte ich mich doch um die Stelle an der Altstadt nicht beworben. Da ich der Gemeinde völlig unbekannt war, glaubte ich keine Aussicht zu haben, gewählt zu werden. Aber meine Schülerinnen in der Nebelungschen Schule, von denen zufällig mehrere Töchter der Gemeindevertreter der Altstadt waren, agitierten ohne mein Wissen und Wollen für mich. Auf ihr Veranlassen kam eine Deputation von Gemeindevertretern zu mir und ersuchte mich, meine Bewerbung einzureichen, was ich denn auch tat. Es war eigentlich schon zu spät, denn die Vertreter hatten sich bereits auf drei Pfarrer geeinigt, unter anderem auch auf einen Pfarrer Voigt. An der Spitze der Altstädtischen Gemeinde stand damals schon Professor D. Voigt. Als es nun unter seiner Leitung zur Aufstellung der Dreizahl kam und ein Pfarrer Voigt darunter genannt wurde, bat er dringend, die Vertreter davon Abstand zu nehmen, weil das Anlass gäbe zu unliebsamen Verwechselungen. In Würdigung dieses Grundsatzes nahm die Vertretung von Pfarrer Voigt Abstand und setzte mich dafür ein. Man erwartete die Wahl des Pfarrers Lis*. für den große Sympathie vorhanden war. Aber es kam anders. Es war Gemeindewahl und eine sehr starke Beteiligung. Auf mich hatte sich die große Mehrzahl vereinigt, und ich war somit als Adjunkt gewählt mit dem Recht der Nachfolge.

 

Es wurde mir nicht leicht, nach nur zwei Jahren schon meine Gymnasiallehrerstelle aufzugeben, denn ich fühlte mich als solcher ganz wohl, war mit meiner Amtstätigkeit zufrieden und fühlte mich auch heimisch im Kreise meiner Kollegen; darum bat ich den Provinzialschulrat Schrader, mich noch ein halbes bis ein Jahr im Schulamt zu belassen, da ich ja nur die Vertretung an der Altstadt hatte und nicht voll beschäftigt wäre. Er war auch nicht abgeneigt, aber noch VOT meinem Eintritt in das Pfarrhaus starb Heinel, ich musste gleich das ganze Amt übernehmen, so dass eine weitere Beschäftigung am Friedrichskollegium ausgeschlossen war.

 

 

5.     Fünfzig Jahre im Pfarramt.

Am 1. April 1865 wurde ich also von Konsistorialrat Sondermann ins Pfarramt der Altstädtischen Gemeinde eingeführt und bin darin geblieben bis zum 1. April 1915; zuerst war ich dritter Geistlicher zwanzig ein halb Jahre, dann zweiter viereinhalb Jahre und die letzten fünfundzwanzig Jahre erster, zuerst in Vertretung, dann von Amts wegen. Auf diese meine fünfzigjährige Amtstätigkeit an der Altstadt kann ich nur mit Demut und Dank gegen meinen Gott und Heiland und gegen liebe Menschen zurückblicken.

 

 Der Anfang freilich war nicht schön. Die Heineische Gemeinde hatte sich bereits zerstreut, und selbst von den dreiundsechzig Konfirmanden, die ich übernahm, blieben nur die Volksschüler, die anderen suchten sich andere Geistliche und verließen meinen Unterricht. Das blieb auch so einige Jahre. Weil ich nur alle vierzehn Tage am Nachmittag zu predigen hatte, konnte ich nicht recht Fühlung mit der Gemeinde gewinnen. Dazu kam noch ein Umstand, nämlich eine bescheidene schlechte Wohnung. Bei dem unerwartet schnellen Tode meines Vorgängers hatte ich das Gefühl, dass ich etwas für die Familie tun müsste, verzichtete für ein Jahr auf das Predigergehalt und begnügte mich mit der engen Wohnung und den 400 Talern, die ich als Adjunkt hätte bekommen sollen. Obwohl ich immer das Gefühl hatte, dass ich recht gehandelt, auch nie meinen Verzicht bedauert habe, litt doch meine Familie unter den engen Räumen, namentlich da mir mein erstes Kind, meine Tochter Gertrud, Oktober 1865 geboren wurde und ich mir meinen jüngsten Bruder zur Erziehung ins Haus holte. Noch trauriger wurde mein Los, als meine liebe frische Frau nach der Geburt des Kindes schwer krank wurde. Ich zog die besten Ärzte hinzu, auch ihre betagte Mutter kam zur Pflege der Tochter in mein Haus. Aber alles war vergebens. Es war Lungenschwindsucht, von der die Ärzte sofort geurteilt hatten, dass keine Hilfe sei. — Ich wusste es nicht, habe immer noch gehofft und mich getäuscht, zog Autoritäten hinzu; aber das Fieber wich nicht, sie schwand immer mehr und mehr, sie war nur noch ein Schatten. Sie hatte auch immer noch gehofft, aber doch zuletzt nicht mehr, hatte auch Ergebung gefunden in den Willen des Herrn. Fortsetzung: folgt in der Januar-Ausgabe

 

 

 

Seite 8   Ruf der Heimat. Von Fritz Kudnig

Du Land der weiten Roggenfelder,

die bis zu Gottes Füßen gehen,

du Land der ungezählten Wälder

und strahlend himmelblauen Seen,

du Land der roten Ordensmauern,

die leuchtend ragen aus dem Feld,

das einst bebaut von unsern Bauern,

du bist für mich das Herz der Welt.

 

Du Gräberland der alten ??unen,

von denen unsre Sage spricht,

du Land der goldnen Wanderdünen

in hellem, klar kristallnem Licht,

du Land, wo Meer und Haffe blauen,

von grünen Küsten hoch umsäumt

wo rätseltief die Elche schauen,

mein Sehnen nur von dir noch träumt.

 

O Traumrausch der Unendlichkeiten

von weiten Wassern, ewigem Wald! …

Doch plötzlich fremde Reiter reiten.

Dumpf tönt der Schlachtruf der Gewalt.

Ich seh mich mit Millionen fliehen;

und keiner, keiner weiß, wohin?!

Nun will mein Herz mich ruhlos ziehen

Dorthin, wo ich geboren bin.

 

O Land, von keinem überboten

an Qual und Leid und tapfrem Tun,

du Land, wo unsre heiligen Toten

von ihren harten Opfern ruhn

du Land auch meiner größten Schmerzen

und meiner tiefsten Seelennot

ich trag dich auch im wunden Herzen

in weher Liebe bis zum Tod!

 

 

Lichtwache. Von Käthe Andrée

Ein Licht in einem mächtigen Haus –

du siehst den warmen, steten Schein –

und Licht um Licht, landein, landaus,

und du bist nicht allein.

 

Vieltausend Lichter halten Wacht

und leuchten still vom Ich zum Du.

Ihr Schein wächst tröstend in die Nacht,

und du gehörst dazu.

 

 

Weihnacht. Von Gräfin Alice von Bassewitz

Die Menschheit liegt in Leid und Schuld

Und alle Herzen sind so müd und wund

Verblüht ist alle Sommerpracht

Und ringsum herrscht Wintersnacht.

Da – plötzlich sich ein Stern erhellt –

Ein Gott kam auf die Welt.

 

Und frohe Kunde fliegt von Mund zu Mund:

„Ein Heiland ist geboren uns zur Stund,

vergehen sollen Hader, Hass und Streit!“

Und alle Herzen sind so froh bereit!

Ein Gott kam auf die Welt.

 

Der Menschen Weg ist lang und schwer,

nun geht ein Kind uns nebenher

und trägt der Menschheit Last und Schuld

und harret uns’rer Liebe in Geduld.

Und jubelnder Glockenton es in die Lande schellt:

„Ein Gott kam auf die Welt!“

 

 

Nachtgebet. Von Walter Scheffler

Nacht kam aufgezogen;

Hoch am Himmelsbogen

Funkelnd Stern auf Stern erblüht.

Schöpfer all der Welten,

darf ich vor dir gelten,

ich und meiner Seele betend Lied?

 

Hast du uns Geringe

Vor die großen Dinge

Deines wunderbaren Werks gestellt -,

sieh, uns bannt das Böse;

hilf uns und erlöse

uns zum Bau’n an deiner bessren Welt!

 

 

Abglanz der ewigen Liebe. Dr. Graf von Brünneck. Landeshauptmann von Ostpreußen i. R.

Als einst des Lichtes hehrer Engel

Die Menschen aus dem Paradies

In diese Welt der Not und Mängel

Auf göttliches Gebot verwies

Und aufwärts seinen Flug dann wieder

Der Himmelsheimat zugewandt,

fiel eine Träne ihm hernieder

Gleich einem reinsten Diamant.

„Nur eins ist wert, wie sie zu werden“

Sprach Gott und hob sie himmelwärts,

das Treuste, was es gibt auf Erden

schuf Er daraus: Das Mutterherz.

 

 

Still, nur still.! Von Dr. Wilhelm Gaerte. Landesmuseumsdirektor a. D.

Unsere Seelen immer wieder irren

Rückwärts auf des Lebens bunter Spur,

und Gedanken locker, zitternd schwirren,

Faltern gleich, auf blumiger Sonnenflur.

Nimmer lässt das Herz sich so entmyrrhen,

heißer brennt das tiefe Sehnen nur,

Still, nur still! Und schlaff nicht rückwärts denken,

mag in Nacht ach lichter Tag sich senken.

 

Vorwärts rollt des Tages ewiger Wagen,

reiht zum Gestern stets ein andres heut.

Jahre steigen, Stunden aufwärtstragen

Pflichten aus dem Zeitenschoß erneut.

Willst du zagen? Willst du ängstlich klagen!

Frisch gewagter Tag nur Blüten streut

Still, nur still! Und straff nur vorwärts denken,

mag der Vater unser Schicksal lenken.

 

 

Seite 9   650-Jahresfeier des Stadtgymnasiums Altstadt – Kneiphof. Aus der Geschichte der ältesten Schule / Patronatsübernahme durch das Ratsgymnasium n Hannover / Glanzvoller Festakt in der Aula des Ratsgymasiums.

Foto: Das Lehrerkollegium des Stadtgymnasiums Altstadt – Kneiphof im Jahre 1924. Sitzend vierter von links Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz.

Foto: Eine Gruppe alter Stadtgymnasiasten aus den Abitur Jahrgängen 1926/1927 mit ihrem ehemaligen Lehrer (im Vordergrund), dem späteren Direktor des Prussia-Museums Dr. Gaerte, auf dem Begrüßungsabend. — Von links nach rechts: Oberstudienrat Rockel, Prof. Dr. Kaiserling, Dr. Passarge, Dr. Prissma, Dr. Riemann, Dr. Losch, Dipl. - Ing. Rolin, Dr. Gromelski. Aufn.: Herbert Wargenau

Am 13. und 14. November hatten sich in Hannover zahlreiche ehemalige Lehrer und Schüler des Königsberger Stadtgymnasiums Altstadt-Kneiphof aus allen Teilen Deutschlands zusammengefunden, um in einer Reihe festlicher Veranstaltungen den Tag zu begehen, an dem vor 650 Jahren ihre altehrwürdige Schule gegründet wurde. 1304 (Kneiphot) und 1333 (Altstadt) sind die Gründungsjahre der beiden kirchlichen Schulen, die später lutherische Lateinschulen und humanistische Gymnasien wurden. 1922 erfolgte die Zusammenlegung beider Gymnasien zum Stadtgymnasium, das im Gebäude des Kneiphöfischen Gymnasiums neben dem Dom mit der Kantgrabstätte und der Alten Universität seine Heimstätte fand. Bis zum 30. August 1944 wurde hier von einem hervorragenden Lehrkörper den Schülern antikes und modernes Bildungsgut in humanistischem Geiste vermittelt. Zahlreiche berühmt gewordene Männer sind hier zur Schule gegangen. Der zweite große nächtliche Bombenangriff auf Königsberg vernichtete mit dem Dom und der Alten Universität auch den Bau des Stadtgymnasiums.

 

Mit dem Verlust der geliebten Heimat wurde auch dem Wirken dieser Schule ein Ende gesetzt, aber das Band, das Lehrer und ehemalige Schüler über die Schule hinaus im Rahmen des 1927 gegründeten „Hilfsvereins des Stadtgymnasiums“ vereinte, war nicht endgültig zerrissen. Der letzte Direktor der Schule, der allseitig hochverehrte und als Wissenschaftler bekannte Oberstudiendirektor D. Dr. Arthur Mentz, knüpfte auf vielseitigen Wunsch das Band neu. Um ihn sammelte sich der „Freundeskreis der ehemaligen Stadtgymnasiasten“, und von ihm wurde im März 1947 in Fortsetzung der „Mitteilungen des Stadtgymnasiums“ die 1944 im 17. Jahrgang erschienen, der 1. „Rundbrief des Stadtgymnasiums Altstadt-Kneiphof zu Königsberg Pr.“ herausgegeben. Zur 650-Jahrfeier erschien im Oktober 1954 der 19. Rundbrief, der zugleich zum 26. Jahrgang der „Mitteilungen“ gehört. Rund 400 ehemalige Schüler gehören heute zum Freundeskreis des Stadtgymnasiums, fast 300 waren dem Rufe ihres alten Direktors gefolgt und hatten sich am 14. November in Hannover eingefunden.

 

Mit der Feier des 650-jährigen Bestehens der Schule war auch die Patronatsübernahme durch das altehrwürdige Ratsgymnasium zu Hannover, das 1315, also nur wenige Jahre, nach der Kneiphöfischen Domschule, gegründet wurde.

 

 

Der Begrüßungsabend.

Der Reigen der festlichen Veranstaltungen begann am 13. November abends mit einem inoffiziellen Begrüßungsabend in den Räumen des Hotels „Europäischer Hof“. Etwa 150 ehemalige Schüler und eine Reihe alter Lehrer hatten sich eingefunden, unter ihnen als Senioren des Abends die Söhne zweier ehemaliger Direktoren des Kneiphöfischen Gymnasiums (von 1870 bis 1922), die Herren Ludwig von Drygalski und Dr. Armstedt. Pastor Weigelt und der Direktor der Landeszentrale für Heimatdienst in Niedersachsen, Matull, neben Justizinspektor Schultz die Hauptorganisatoren des Hannoveraner Treffens begrüßten mit herzlichen Worten die erschienenen ehemaligen Lehrer und Mitschüler. Auf den Tischen lag als willkommener ostpreußischer Gruß das Heimatblatt aller Ostpreußen, die „Ostpreußen-Warte“, mit dem Festprogramm. Wie eine große Familie fühlten sich die alten Stadtgymnasiasten zusammengehörig und schwelgten mit ihren Lehrern in alten ernsten und frohen Erinnerungen bis tief in die Nacht hinein. Herr Wargenau, der das Amt des Fotoreporters übernommen hatte fing viele Szenen herzlichen Wiedersehens und Gruppen der einzelnen Jahrgänge in Bildern ein.

 

Den Höhepunkt der Jubiläumsfeier bildete am 14. November der Festakt in der vornehm schönen Aula des Ratsgymnasiums mit zahlreichen Reden und einem erlesenen Programm, welches das Ratsgymnasium darbot, unter der Regie von Oberstudienrat Dr. Zimmerina n n, dem Verbindungsmann der Patronatsschule zum Königsberger Stadtgymnasium. Das bcnuierorchester unter der Leitung von Studienrat Hanisch spielte festliche Musik für Streichorchester von Gluck und Händel. Der 1. Satz aus der Violinsonate in F-Dur von Händel und das Chorlied „Lob der Freundschaft“ von Simon Dach in der Vertonung von Heinrich Albert rundeten das musikalische Programm ab. Der literarische Teil umfasste Dichtungen von Agnes Miegel, Käthe Andrée, Heinrich Spiero und das Festgedicht „Zum 650. Geburtstag des Stadtgymnasiums“ von Otto Losch (veröffentlicht in der September-Nummer der „Ostpreußen-Warte“), vorgetragen von Primanern des Ratsgymnasiums. Eine lateinische Hymne „carmen saeculare“, von einem ehemaligen Lehrer des Stadtgymnasiums zu diesem Tage verfasst, bildete den Auftakt  zu der Aufführung der „Medea“ des Euripides in griechischer Sprache. Ein Primaner umriss vorher in einem kurzen Vortrag Inhalt und Wesensart dieser Tragödie. Die Darstellung, von Oberstudiendirektor Hohnholz einstudiert, war ein beredtes Zeichen für die intensive humanistische Erziehungsarbeit des Ratsgymnasiums. Sie hatte Bühnenreife, die ganz besonders in den Darstellern der Medea und der Amme, den Oberprimanern Häuser und Reißmann, zu Tage trat. Was von diesen beiden Schülern deklamatorisch und mimisch geboten wurde, verdient uneingeschränkte Anerkennung, es waren Leistungen, die auch einem Berufsschauspieler Ehre gemacht hätten. Die Beherrschung des schwierigen altsprachlichen Textes war bei allen Darstellern, wiederum Oberprimanern des Ratsgymnasiums, höchsten Lobes wert. Alle Requisiten der Aufführung waren von Schülern des Ratsgymnasiums unter der Leitung ihrer Lehrkräfte hergestellt worden, so zeichnete für die stilechten Kostüme Studienreferendarin Ruth Wiechert und für das würdige Bühnenbild Studienrat Troike verantwortlich. Eine Ausstellung von Bildern und Erinnerungsstücken des Stadtgymnasiums war im Lichthof des Ratsgymnasiums von Studienreferendar Kupfer zusammengestellt worden.

 

 

Dank an Oberstudiendirektor D. D. Mentz.

Den Kreis der Festredner eröffnete Oberstudienrat Dr. Zimmermann vom Ratsgymnasium mit einer Begrüßungsansprache. Nachdem er die Ehrengäste, insbesondere Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz und seine Gattin, sowie die Lehrer und ehemaligen Schüler des Königsberger Stadtgymnasiums und des Ratsgymnasiums mit ihren Damen, welche die große Aula füllten, willkommen geheißen hatte, verkündete er die Übernahme des Patronats über das Stadtgymnasium durch das Ratsgymnasium. Er dankte Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz für die aus diesem Anlass übermittelte Spende für ein Ruderboot und gab bekannt, dass dieses Boot den Namen „Königsberg Pr.“ tragen werde. Dann entwarf der Redner in gedrängter und prägnanter Kürze ein Bild Königsbergs als Verkörperung deutscher Geschichte und als geistiges Zentrum des deutschen Ostens. Er erinnerte an die Gründung der beiden Schulen des Kneiphof und der Altstadt und der Königsberger Universität und wies auf die Zusammenhänge hin, die zwischen den beiden Schulen, der Universität, dem Dom als kirchlichem Zentrum Königsbergs und vielen hervorragenden ostpreußischen Männern, an der Spitze Immanuel Kant, bestanden hätten. Königsberg sei wie Hannover immer eine schulfreudige Stadt gewesen, das bewies in jüngerer Zeit vor allem der Ausbau des Schulwesens unter Oberbürgermeister Dr. Dr. Lohmeyer. Königsberg möge dem deutschen Westen in seiner geistigen Haltung heute mehr denn je ein Vorbild sein. Unser aller Aufgabe sei es, das echte Heimatgefühl, das am heutigen Tage die alten Stadtgymnasiasten beseele und hier vereinigt habe, zu erhalten und zu pflegen, obgleich die Heimat verloren gegangen sei. Dem Redner, dessen Ausführungen von der persönlichen Kenntnis ostpreußischer Verhältnisse lebendig durchpulst waren, dankte herzlicher Beifall.

 

Anschließen sprach der Stadtschulrat Hannovers, Prof. Oppermann, als Vertreter des Oberbürgermeisters Weber. Er übermittelte dessen Grüße und gab seiner Freude Ausdruck, dass die Königsberger Schule nach dem Verlust ihrer Heimat das Ratsgymnasium in Hannover als Zufluchtsstätte gewählt habe. Dafür wollen wir dankbar sein und uns bemühen, das Leben und Wesen der aus Ostpreußen zu uns gekommenen Brüder und Schwestern zu verstehen, in uns aufzunehmen und zur Tat werden zu lassen. „Wir wollen aus Ihrem schweren Schicksal lernen“, so schloss der Redner, „helfen Sie uns bei diesem Bestreben zu unser beider Wohl“.

 

 

Dr. Lohmeyer als Ehrengast.

Den Reigen der Festansprachen setzte der als Ehrengast anwesende Oberbürgermeister der Stadt Königsberg Pr. von 1919 bis 1933 Dr. Dr. Lohmeyer fort. Er entwarf ein Bild des schulischen Lebens in Königsberg während seiner Amtszeit, in welche die Umwandlung sechs privater höherer Mädchenschulen in städtische Oberlyzeen, die Gründung der Mädchengewerbeschule und die Zusammenlegung des Altstädtischen Kneiphöfischen Gymnasiums zum Stadtgymnasium fiel, eine Maßnahme, die zunächst manche Missbilligung eintrug. Er gedachte in diesem Zusammenhang dankbar seines langjährigen, mit ihm befreundeten Stadtschulrates Prof. Dr. Stettiner, der ihm in seinen schulischen Plänen stets ein gewissenhafter und tüchtiger Helfer gewesen war. Im Folgenden bezeichnete der Redner das humanistische Gymnasium als die beste Schulbildung für alle, die seinen Anforderungen gerecht zu werden vermögen. In einem kurzen historischen Rückblick erinnerte Dr. Lohmeyer daran, dass die Altstädtische Schule die erste städtische Schule gewesen sei. Unter Wilhelm von Humboldt wurden beide Anstalten, der Kneiphof und die Altstadt, humanistische Gymnasien. Besonders unter der Führung des letzten Leiters des Stadtgymnasiums, Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz, hätten sich der Kreis der ehemaligen Schüler und Freunde dieser Schule eng zusammengeschlossen, welcher Zusammenhalt, wie wir sehen, bis heute gewahrt wurde. „Im nächsten Jahre feiert die Stadt Königsberg ihr 700-jähriges Bestehen“, so schloss dieser Redner, und da fragen wir uns angesichts der Gegenwart: soll all das unwiederbringlich verloren sein? Wir wollen unsere Blicke auf Kant richten und sprechen: „Wir heißen euch hoffen“.

 

Dann ergriff der letzte Direktor des Stadtgymnasiums Altstadt-Kneiphof D. Dr. Mentz, von herzlichem Beifall begrüßt, das Wort. Er dankte zunächst den Rednern für ihre freundlichen Worte und dem Direktor des Ratsgymnasiums für die Übernahme des Patronats. „Wir sind der Überzeugung, dass wir für unsere Schule eine gar gute, schöne Stätte gefunden haben“. Er gab sodann einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung der Schule und betonte, dass sie zweimal im Laufe der Jahrhunderte in ihrer Existenz bedroht gewesen sei: während der Reform und zur Zeit Napoleons. Sie sei die einzige Schule Ostpreußens gewesen, die seit 1928 ein eigenes Schullandheim gehabt habe. Dr. Mentz schilderte dann den Untergang der Schule in der Bombennacht im August 1944 und erzählte, dass er mit seiner Frau damals einige wertvolle Bücher und Schriften aus der Geschichte beider Gymnasien retten konnte, die er vorsorglich im Keller feuersicher gelagert hatte. Am 4. März 1945 sei er dann aus Königsberg ausgewiesen worden und habe in Rinteln seine neue Heimat gefunden. Eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Daten unserer Schulgeschichte habe er zusammengestellt und den Festteilnehmern überreichen lassen.

 

Gegen Ende 1946, so fuhr der Redner fort, erhielt ich einen Brief von einem früheren Schüler, Bernhard Mueller. Er regte an, Mitteilungen herauszugeben und die ehemaligen Schüler zu sammeln. Er half mir, die erste Nummer herzustellen, die im Mai 1947 erschien. 52 frühere Schüler und Lehrer waren der erste Bestand. Dann nahm ich die Herausgabe in die Hand. Im Oktober 1953 waren 324 Anschriften bekannt, und inzwischen sind es sicher 350 geworden. Gerade in diesen Tagen erreichte mich die Nachricht, dass sich die früheren Schüler in Berlin zusammengeschlossen haben. Herr Reinhold Matern meldete: Trotz der verschiedenen Altersstufen fühlten wir uns wie eine Gemeinde gleichgesinnter Menschen.

 

Weiter berichtete Dr. Mentz, dass das Ratsgymnasium 25 ostpreußische Schüler besuchten, die als Geschenk des Stadtgymnasiums Bücher von Agnes Miegel erhalten würden. Der letzte Direktor des Stadtgymnasiums schloss mit den Worten aus des Euripides Tragödie „Medea“, die unsere Lage im Jahre 1945 gut kennzeichnen:

 

„Heimatlich Land, heimatlich Herd!

Würd' es doch nie mein Schicksal,

in der Fremde verfemt zu leben,

notbedrängt, und keiner

zeigt ein mitfühlend Herz!“

 

„Aber wir kennen den Trost“, so rief der Redner aus, „ihn gibt ein lateinisches Wort: Post nubila Phoebus!“

 

Langanhaltender Beifall dankte dem verehrten Direktor für seine von Herzen kommenden Worte, die an die Herzen aller Erschienen sichtbar gerührt hatten.

 

Im Namen aller ehemaligen Schüler des Stadtgymnasiums ergriff sodann Pastor Weigelt, Hamburg, das Wort. Er dankte zunächst der alten Schule, ihrem verehrten Direktor D. Dr. Mentz und den Lehrern für alles, was sie den Schülern gegeben haben. „Unsere alte Schule ist nicht tot“, so rief er aus, „sie lebt, das sehen wir heute, wo sich ehemalige Schüler um ihren verehrten alten Direktor scharen. Wo er ist, da ist auch unsere Schule!“ Pastor Weigelt führte in seiner Rede u. a. aus: „Die alte Schule hat uns nicht nur Kenntnisse, sondern Einsichten in die Weiten und Tiefen des Menschengeistes vermittelt. Sie hat uns für das Leben vorbereitet in echtester und tiefster Ausdeutung des Satzes, dass wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, nicht im Sinne einer spezialisierten Berufsvorbereitung, sondern indem sie in uns den Gedanken der Humanitas weckte und entwickelte, die in Ursprung und Ziel von der Divinitas lebt. Hellas, Rom und das Christentum standen an der Wiege des Deutschen und gaben ihm das Gepräge, wie denn gleichsam symbolhaft der Dom, die Alte Universität, die Stoa Cantiana und unser Schulgebäude unseren Schulhof umschlossen. Die Gebäude sind nicht mehr, aber wir durften es am gestrigen Abend in beglückender Weise erfahren, dass die alte Schule noch da ist mit allem, was sie uns an Werten gab. Denn Heimat ist letzten Endes nicht nur ein geographischer Begriff, sondern der geistige Raum, in dem der Mensch sich befindet und zu Hause ist. Dass wir einen solchen Raum unser Eigen nennen dürfen, danken wir unserer Schule.

 

 

Verbindung mit Niedersachsen.

So sind wir in die Gemeinschaft des Ratsgymnasiums nicht als Fremde gekommen und haben das von der ersten Fühlungnahme an gespürt, über das hinaus, was Ostpreußen und Niedersachsen verbindet, empfinden wir hier besonders lebhaft und bewusst den Geist des humanistischen Gymnasiums, wie er uns vertraut ist. So gilt unser Dank in gleicher Weise wie unserer alten Schule auch dem Ratsgymnasium, seinem Oberstudiendirektor Hohnholz, seinem Oberstudienrat Dr. Zimmermann und allen seinen Lehrern, die uns eine neue Heimat bieten. Und wie wir unserer alten Schule danken, in dem Bestreben uns ihrer würdig zu erweisen, so soll sich auch der Dank an unsere Patronatsschule nicht in Worten erschöpfen, sondern soll Ausdruck finden in unserer tätigen Anteilnahme an ihrem Leben und Wirken. Damit wollen wir uns zum humanistischen Gymnasium an sich und seinen erzieherischen Werten bekennen“.

 

Abschließend gedachte der Redner der Generationen, die vor uns Lehrer und Schüler der beiden Gymnasien in Hannover und Königsberg waren und am Volkstrauertag besonders aller Gefallenen, Bombenopfer, Verschleppten, Vermissten und Gefangenen beider Schulen. „Doch in dieser Trauer soll uns die Statue des Jünglings, die am Ehrenmal für die gefallenen Stadtgymnasiasten des ersten Weltkrieges in unserer Schule stand, Symbol der Überwindung des Todes, Sinnbild der Hoffnung sein.

 

In sichtbarer Ergriffenheit hatte sich die Festversammlung erhoben und hörte stehend den Schluss der Rede, in der jedes Wort von der Liebe und Verehrung kündete, die der jubilierenden Schule von allen Anwesenden entgegengebracht wurden.

 

Den Abschluss der Reden bildete die großangelegte und für das humanistische Gymnasium grundsätzliche Festrede des Oberstudiendirektors Hohnholz vom Ratsgymnasium, der nach seinem Dank an Prof. Oppermann, Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz und Pastor Weigelt für ihre herzlichen Worte zunächst davon berichtete, wie es dazu kam, dass sein Gymnasium Patronatsschule für das Königsberger Gymnasium wurde. Er fuhr dann wörtlich fort:

 

„Die Lektüre der Rundbriefe, durch die es Herrn Dr. Mentz gelungen ist, die verstreute Schar der alten Stadtgymnasiasten zu sammeln zeigte mir, welche Verantwortung wir mit dieser Patronatsübernahme auf uns geladen hatten. Welche Liebe zur alten Heimat und zur alten Gemeinschaft spricht aus jeder Zeile dieser Briefe. Wirklich hier hat ein „vir vere humanus“ verstanden, ein geistiges Band zu knüpfen, das alle Schicksalsschläge überdauert hat, und die verehrende Liebe der Mitglieder dankt ihm mit jeder Zuschrift. Möge es uns Ratsgymnasiasten gelingen, die Gemeinschaft, die wir heute zum ersten Male in dieser schönen Aula bekunden, recht fest zu gestalten, möge es uns gelingen, aus der Tradition unserer beiden ehrwürdigen Schulen Kraft zu gewinnen für den schweren Kampf, den Europa heute zu bestehen hat, möge es unserer Schule gelingen, die Aufgabe zu lösen, die das alte Stadtgymnasium so viele Jahrhunderte mit Erfolg bestanden hat: Bollwerk der Freiheit am Randgebiet der abendländischen Kultur zu sein, Pflanzstätte der Humanität im Jahrhundert der Unmenschlichkeit zu werden, Pflegestätte humanistischen Geistes im Zeitalter der Vermassung und Technisierung zu bleiben. In diesem Sinne wollen wir das Patronat übernehmen über die beiden Königsberger Schulen, die — auf ähnliche Tradition wie unser Ratsgymnasium zurückschauend — sich im Stadtgymnasium vereinigt hatten.

 

In seiner weiteren Rede entwarf Oberstudiendirektor Hohnholz ein gerafftes Geschichtsbild des Stadtgymnasiums und des Ratsgymnasiums und zeigte Parallelen und Verschiedenheiten ihrer Entwicklung auf. Er erinnerte an die Krisen- und Glanzzeiten beider Schulen und unterstrich das Gemeinsame, „das immer stärker werdende Bewusstsein und Überzeugt sein vom Wert der humanistischen Bildung. Ein Bild vom antiken Menschen in seinen Grundzügen rundeten diesen Teil der Ausführungen ab.

 

Dann sprach Oberstudiendirektor Hohnholz von dem „schwersten Stand“, den die humanistischen Gymnasien während der nationalsozialistischen Zeit zu bestehen hatten. Wir sind stolz darauf“, so hieß es in der Rede, weiter, „dass der Geist unserer Schulen in enge Kampfgemeinschaft mit den Kirchen beider Konfessionen dem Ungeist dieser Jahre stand gehalten hat. Nicht zufällig entstammen alle führenden Köpfe der Widerstandsbewegung den Kreisen der überzeugten Christen und Humanisten. Und wenn ich in einem Ihrer Rundbriefe gelesen habe, dass 1945 von 750 Königsbergern, die zur Unterschrift einer Glückwunschadresse an Stalin gezwungen werden sollten, immerhin drei ihre Unterschrift verweigert haben, alle drei Humanisten, einer davon Schüler Ihrer Anstalt, dann zeigt das, dass die Gymnasien ihre Aufgabe erfüllt haben“. Und er fuhr weiter fort: „Denn sich zum Humanismus bekennen, heißt einzustehen für die Würde des Menschen. Homo res sacra Homini, sagt Seneca. In diesem Wort und in der alten Tempelinschrift in Delphi „gnothi seauton“ liegt alles beschlossen, was Humanismus bedeutet. – Um auf die Tradition unserer Schulen zurückzukommen: Der Sophist Antipnon, ein Zeitgenosse Platons, sagt: „Das Wichtigste in der Welt ist meiner Meinung nach die Erziehung; denn wie der Same ist, den man in die Erde sät, so ist auch die Ernte, die man erwarten darf. Wenn man in eine junge Seele edle Bildung sät, dann sprosst und blüht das durchs ganze Leben hindurch, und weder Regen noch Sturm kann es vernichten. Dieses Wort scheint mir symbolisch für das Ziel, das das Gymnasium sich steckt. Wir fragen bei der Auswahl unserer Bildungsmittel nicht nach ihrem geistigen Bildungswert. Wir wollen nicht ein Soll an Wissen übermitteln, das mit dem Abitur erfüllt ist, sondern einen Bildungsprozess einleiten, den Samen säen, der das ganze Leben hindurch blüht. So suchen wir an den Werken der großen Europäer in unseren Schülern den Sinn für Wahrheit, Schönheit und Rechtschaffenheit, für Freiheit und Verantwortlichkeit zu wecken. Aber auch den Schwachen und Hilflosen zu erkennen, der Mitleid und Hilfe von uns fordert, heißt Humanitas.

 

Warum wir den Werken der Griechen bei der Auswahl unseres Bildungsgutes den Vorrang einräumen, ist leicht beantwortet: die Besonderheit des Griechentums als Bildungsgut liegt darin, dass es allein vom jungen Menschen als Ganzes erlebt werden kann, da es, wie Herder sagt, das „Jünglingsalter des Abendlandes ist“.

 

„Die Freude des jungen Menschen am Griechischen ist, so meine ich, kein Snobismus, kein Dünkel den anderen Schülern gegenüber, sondern in ihr zeigt sich ein echtes Angesprochen sein, eine echte Ergriffenheit, wie sie in gleicher Stärke nur im religiösen Bereich in Erscheinung tritt. Der Jugendliche fühlt: hier ist ein Wert, der uns einen Halt gibt in dieser sonst so verworrenen Welt. Und dies Gefühl fand ich wieder in vielen der kurzen Feldpostbriefe, die in den Mitteilungen des Stadtgymnasiums während der Kriegsjahre abgedruckt waren“.

 

„Aber der schönste Lohn für Sie, lieber Her Dr. Mentz, mag es doch gewesen sein, als Ihnen Ihr Schüler Gert Schön schrieb, die Griechisch-Stunden seien ihm immer als etwas Höheres erschienen: jetzt aber, nach vier Jahren Krieg habe er vollends eingesehen, das humanistische Gymnasium bedürfe keiner Rechtfertigung. Und so wollen denn auch wir es nicht länger rechtfertigen, sondern froh sein, dass der Same, der in unseren Schulen gelegt wurde, so gut aufgegangen ist“.

 

Oberstudiendirektor Hohnholz schloss seine programmatische Rede mit den Worten: „Königsberg, die Stadt, berufen, zwischen Ost und West die Güter des Geistes zu vermitteln, das „Wittenberg des Ostens“, die Stadt Gottscheds und Herders, Kants und Hamanns, Kleists und Eichendorffs, die Heimat von E. Th. A. Hoffmann, Arno Holz und Agnes Miegel, Königsberg, der Vorposten Europas an der Grenze der abendländischen Kultur, ist dem Ansturm der Massen Asiens erlegen. Kaliningrad ist nicht mehr Königsberg, sondern ein Vorposten Asiens. Der Geist Königsberg aber wird weiterleben in den Herzen aller echten Deutschen, und dass er von den Schülern unseres Ratsgymnasiums gepflegt werde, soll unser Gelöbnis in dieser Stunde sein“.

 

Herzlicher Beifall dankte Oberstudiendirektor Hohnholz für seine gedankenreichen Ausführungen.

 

Im Anschluss an den Festakt fand im großen Festsaal des Alten Rathauses in Anwesenheit von Oberstudiendirektor Hohnholz und Oberstudienrat Dr. Zimmermann vom Ratsgymnasium ein Festessen der ehemaligen Lehrer und Schüler des Stadtgymnasiums mit ihren Damen statt. Namens der ehemaligen Schüler brachte Dr. Losch auf die beiden Gymnasien, ihre Direktoren und Lehrer und auf die alle verbindende Kameradschaft, „die nie erlahmen möge“, einen Trinkspruch aus.

 

Während des Essens wurden die vielen Glückwunschadressen zur 650-Jahrfeier verlesen: so die vom niedersächsischen Kultusminister Voigt, dem niedersächsischen Sozialminister Albertz, von der Regierungspräsidentin in Hannover Frau Bähnisch, von dem Leiter der Abteilung höhere Schulen, Regierungsdirektor Vogt, den Oberbürgermeistern der Städte Hannover und Duisburg, der Deutschen Pestalozzi-Gesellschaft, dem Sprecher des Kreises Königsberg, Konsul Bieske, einem alten Stadtgymnasiasten, der Landsmannschaft Ostpreußen, dem Göttinger Arbeitskreis, dem letzten Direktor des Königsberger Friedrichskollegiums, Prof. Dr. Schumacher, dem Löbenichtschen Realgymnasium, dessen letzter Direktor Hundertmarck viele Jahre Lehrer am Stadtgymnasium war, und vielen anderen.

 

In der anschließenden Aussprache über die künftige Gestaltung des Kreises der Schüler und Freunde des Stadtgymnasiums Altstadt-Kneiphof wurde der neue Exekutivausschuss des Freundeskreises durch Aklamation einstimmig gewählt. Ihm gehören an: als Vorsitzender Oberstudiendirektor D. Dr. Mentz, als Stellvertreter Oberstudienrat Dr. Klein, Pastor Weigelt und als Vertreter des Ratsgymnasiums Oberstudienrat Dr. Zimmermann, ferner als Beisitzer Kohlbach, Dr. Losch, Bernhard Mueller, Erich Schultz und Wargenau.

 

Unter freudigem Beifall gab dann noch Oberstudienrat Dr. Zimmermann bekannt, dass zu dem alljährlichen Schulfest des Ratsgymnasiums im August oder September alle Angehörigen des Freundeskreises stets herzlich willkommen seien. Auch im Literarischen Verein, Turnverein und Ruderklub des Ratsgymnasiums seien die alten Stadtgymnasiasten gern gesehene Gäste. Ferner sei die Einrichtung eines Gedenkzimmers für die Königsberger Schule im Ratsgymnasium geplant, für das Fotos oder andere Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt werden möchten. Diese wie auch neue Anschriften sind von jetzt ab an das Ratsgymnasium in Hannover, Waterloostraße 16, zu senden.

 

Von Pastor Weigelt und Direktor Matull wurde die Schaffung einer Festschrift angeregt, die für alle Mitglieder des Freundeskreises eine bleibende Erinnerung an die 650-Jahrfeier sein solle. Alle alten Stadtgymnasiasten werden aufgefordert, Beiträge, auch humorvoller und anekdotischer Art, über Lehrer und Schüler beizusteuern. (Anschriften: Direktor Matull, Hannover, Marienstr. 9 und Pastor Weigelt, Hamburg-Bergedorf, Hermann-Löns-Höhe 23.)

 

Direktor Matull schlug ferner vor, im kommenden Jahre bei der 700-Jahrfeier der Stadt Königsberg in Duisburg ein Treffen der Stadtgymnasiasten zu veranstalten. Abschließend dankte Pastor Weigelt den Organisatoren der 650-Jahrfeier und allen ehemaligen Lehrern und Schülern für ihr zahlreiches Erscheinen und schloss mit den Worten: „Wir wollen weiter an unserer alten Schule hängen und uns der neuen in herzlicher Zuneigung zuwenden“.

 

Nach Beendigung des offiziellen Teiles blieben noch viele Stadtgymnasiasten in regem Gedankenaustausch zusammen. Immer wieder hörte man, wie glücklich alle waren, diese beiden Tage miterlebt zu haben, und immer wieder klang der Wunsch auf, recht bald ein solches Treffen erneut zu veranstalten. Dr. Otto Losch

 

 

Seite 10   Weihnachtbummel durch Königsberg. Von Eva Fritschken

Je älter wir werden, desto mehr wandern die Gedanken zurück in die Vergangenheit, die uns in unserer Heimatstadt Königsberg Kinderzeit, Jugendjahre in hellstem Glänze aufleuchten ließ. Es ist eigenartig, dass Flucht, Internierung mit Lagerleben wie schwarze Schatten durch die Erinnerung ziehen — aber verklärend steht vor unserer Seele das heimatliche Weihnachtsfest!

 

Im November fing bei uns der Winter an mit seinem starken Frost und einem kristallklaren Himmel, und im Dezembermonat fielen und fielen die Flocken und deckten Sträucher und Bäume, Felder, Wiesen und Wälder mit einer weißen Schneedecke schweigend zu.

 

Mit Freude ging es dann in den Weihnachtsmonat hinein. Der Adventsanfang begann in unserer Familie in dem so trauten Steindammer Kirchlein. Einen Dank noch unserem hochverehrten Herrn Pfarrer Matz, der wie ein väterlicher Freund in seiner echten, ach so „trautsten“ ostpreußischen Sprache uns das Kommen des Heilands aus der althergebrachten Weihnachtsgeschichte verkündete.

 

Dann wanderten wir durch die hellerleuchteten Straßen, belebt von Menschenmengen aus den Provinzstädten, vom Lande kommend — alles kam freudig kaufend in unser schönes Königsberg. Wanderte man nun durch die Junkerstraße, sah man schon von weitem den Weihnachtsbaum leuchten:

 

„Unser ostpreußischer Tannenbaum“, aufgestellt inmitten einer verkehrsreichen Gegend und nach allen Seiten Ruhe ausströmend. Als schwarze Silhouette unser ehrwürdiges Schloss und im Hintergrund der Schlossteich!

 

Einen besseren Platz konnten unsere Stadtväter ihm nicht gegeben haben.

 

Vom Ufer des Schlossteiches sah ich mir den Baum des Öfteren an und immer wieder kamen mir die Worte in den Sinn:

 

„Östlicher Rosenhauch,

Südlicher Lorbeerstrauch  

Gleicht nicht des Tannenbaums duftendem Reis“.

 

 

„Was auch in weiter Welt

Herrliches aufgestellt,

Heiliges Heimatland, dir sei der Preis“.

 

Dann ging es entlang der Münzstraße. „Schwermer“ mit seinen Kuchenbergen und Marzipan lockte zur Einkehr. Am Ende der Münzstraße, Ecke der Burgstraße, lag das fast historische, kleine Geschäft von „Backe“. Ein Kunstladen, vollgepfropft voller Kostbarkeiten. Wenn man den Laden betrat, kam man sich vor, als ob man „in einer Krippe“ wandelte; so eng, so warm und dennoch voller Licht! Die steile Treppe, die nach oben in den Ausstellungsraum führte, war ein Kuriosum für sich! Von oben wurde gerufen: „Bitte, noch unten warten“. Der unten Wartende rief wieder nach oben: „Ist die Bahn frei?“ So gab es vorher schon immer ein Lachen und Freuen, bevor man den kleinen, hellerleuchteten Ausstellungsraum betreten konnte. Was gab es da alles zu sehen? Bis zum kleinsten Gegenstand kunstgewerbliche Arbeiten, wie bunte Schnitzereien aus Bayern und Schlesierland und wundervolle handgewebte Schürzen und Decken aus den ostpreußischen Werkstätten. Verließen wir diesen Laden, führte uns der Weg zum Paradeplatz. Zur rechten Hand lagen Stadttheater und Universität, still ruhend in einer weißen Schneedecke eingehüllt — nur die hellerleuchteten Fenster verrieten dem Vorübergehenden von geistiger Arbeit, die dort geleistet wurde.

 

Schräg gegenüber, in ein Lichtmeer getaucht, lag Europas größte Buchhandlung: Gräfe und Unzer. Das Haus der guten Bücher! Wie lockten die organisatorisch und künstlerisch ausgestatteten Schaufenster zum Einkauf. In dem Hause selbst ein Kommen und Gehen, ein Leben und Treiben, wie in einem Bienenkorb. Von Kantscher Weisheit — bis zum Kinderbuch der jüngsten Generation, eine Auswahl der herrlichsten Bücher.

 

Vorbei wanderten wir an dem Schaufenster der Blumenhandlung von Jean Müller. Mitten im tiefsten Winter lachte uns des Südens Blumenpracht entgegen: weißer Flieder, dunkelrote Rosen, Nelkensträuße in allen Farben und zwischen ihnen Tannengrün mit dem leuchtenden Gelb der Mimosen. Und dann Ostpreußens größte und einzig dastehende Sehenswürdigkeit, ein riesengroßes Schaufenster der „Bernstein-Manufaktur“. In künstlerischen Ausführungen lag dort „das ostpreußische Gold“ ausgebreitet! Ketten, Armbänder, Ringe, mit Silber-Schalen und Schmuckkästchen aus edlem Holz und Bernstein verarbeitet. Als letztes Ausstellungsstück: „eine Danziger Kogge“.

 

Vom Gesekusplatz, den Berg herunterkommend, sah man auf eine frohbewegte Menschenmenge, hellblitzende Lichterketten mit Tannengrün verschönten das Bild der Altstadt. Wieder wie ein Scherenschnitt, aus der Dunkelheit herausragend, das Schloss in seiner Vorderansicht. Und das Denkmal Kaiser Wilhelm I. Der Schnee hatte unserem ehrenwürdigen Kaiser einen Hermelinmantel umgehängt und statt der Krone eine Hermelinmütze aufgesetzt. Das sonst so dunkle Bronzeschwert in der Hand leuchtete weißsilbern auf. Dort oben das Wahrzeichen der alten Geschichte, unter ihm das Kommen und Gehen von Generationen — nun einsam und verlassen.

 

„Plouda’s“ altbekannte Konditorei muss bei der Weihnachtswanderung mit eingeschlossen werden, denn der größte Marzipanversand erfolgte von hier. In den Schaufenstern lagen die noch nicht geschlossenen Marzipan-Pakete mit Aufschriften der internationalen Welt! Als Prunkstück und meine letzte Erinnerung „das Königsberger Schloss“ in Marzipan modelliert.

 

Im eigenen Heim fing man 14 Tage vor dem Fest mit dem Pfefferkuchenbacken an. Eine der schönsten ostpreußischen Sitten! Der Duft, der dann das ganze Haus durchströmte, erweckte weihnachtliche Vorfreude. Zurzeit leben wir in Fürth-Nürnberg, wo „fabrikmäßig“ die Pfefferkuchen hergestellt werden — aber unsere „eigengebackenen“ Pfefferkuchen gehören heute noch in den ostpreußischen Flüchtlingshaushalt.

 

Als Höhepunkt der ostpreußischen Weihnacht war der Heilig Abend mit seinen „Stadtmusikanten“. Sechs Bläser durchwanderten ab 18 Uhr die Straßen der Stadt Königsberg und alle Fenster öffneten sich weit, wenn durch die klare, stille Winternacht Dr. Martin Luthers Lied „Vom Himmel hoch da komm ich her“ erklang.

 

Meine weihnachtlichen Erinnerungen schließe ich mit dem tröstlichen Gedanken von Kant:

 

„Nicht weinen, weil es vergangen,

Danken — weil es gewesen“.

 

 

Seite 10   35 Jahre Vereinigung ehem. Sackh. Mittelschüler.

Im Rahmen der 700-Jahr-Feier der Stadt Königsberg/Pr. begeht unsere Vereinigung Pfingsten 1955 in unserer Patenstadt Duisburg ihre

 

35. Stiftungsfeier.

 

Wir rufen alle ehem. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler unserer Schule hierzu auf und bitten, sich bis zum 1. Februar 1955 beim 1. Vorsitzenden Schulkam. Herbert Minuth, Düsseldorf, Suitbertusstraße 34, durch Postkarte schriftlich anzumelden. Um die entsprechenden Vorbereitungen treffen zu können, ist diese Meldung sehr wichtig. Diese Feier ist gleichzeitig unser Jahreshaupttreffen 1955. Der Vorstand.

 

 

Königsberger Sondertreffen

Vereinigung ehem. Königin-Luise-Schülerinnen. Anmeldungen an Frau Käte Bode, Frankfurt a. M., Wiesenau 6.

 

 

Seite 10   Wir gratulieren

Frau Agathe Schön, geb. Gerhardt, früher Königsberg, Ziegelstraße 24, feierte am 07.12.1954 ihren 70. Geburtstag. Jetzige Anschrift: Vlotho, Herforder Straße 31.

 

 

Seite 10   Ruinen werden beseitigt.

Die Trümmer des Tannenbergdenkmals bei Hohenstein (Ostpreußen), das 1945 von den deutschen Truppen gesprengt worden war, sind nicht beseitigt worden. Nur die Ruinen der Nebengebäude wurden abgebrochen, ihre Steine sind bei Neubauten verwandt worden. Die zahlreichen Deutschen in Hohenstein können ihre Kinder nicht mehr in deutsche Schulen schicken. Sonntags wird jedoch evangelischer Gottesdienst gehalten.

 

 

Seite 10   Min Kaffetopp. Von E. v. Olfers-Batocki, aus Tharau, Ostpreußen.

Mi'm leewe ole Kaffetopp —

Wat ek dem jeern beseh!

Jätt ek all Doag dem Kaffe op,

Jait he doch nich entwee.

 

Am Oawend, wenn ek schloape goh,

Stell ek em inne Rehr.

Am Morje, wenn ek früh opstoh,

Kickt he all to mi her.

 

He es von deeje feste Art,

Haft noch keen Brusch, keen Sprung,

On jroads so fählt min alet Hart

Sek noch im Iller jung.

 

Ward sachtke witt min oler Kopp,

Stellt bold de Dod sek in,

Denn bringt mi no‘m leewe Kaffetopp

Met mi no'm Kerchhof hen.

 

Denn flick ju Ros' un Astre aff

Un jreenet Bohnekrut,

Denn stait met Bloome stramm und straff

Min Kaffeloopke un min Graff, —

Ek schloap mi drunder ut.

 

 

Seite 10   Die Brücke ging hoch. (Meinen Königsberger Freunden gewidmet). Von Erna Karmeinski (Montevideo, Uruguay)

 

Oft gehe im Traum ich durch Königsbergs Straßen

Bergauf und bergab die Winkel und Gassen.

Ich höre vom Schlossturm Choral erklingen

Und sehe die Möwe in der Luft sich schwingen.

Ich sehe den Pregel wie er sich krümmt

Und Kähne und Schlepper und Holz mit sich nimmt.

Ich bin im Bootshaus, Kommando ergeht:

„Das Boot Richtung Arnau, Richtung Holzbrücke dreht“

 

Albertina und Oper, ich bleibe stehn

Bei Gräfe und Unzer die Bücher zu sehn.

Ich gehe auch den Schlossteich entlang

Und setz' mich am Oberteich auf eine Bank.

Ich bin in der Prussia, man zählt „eins, zwei, drei“

Ich schwimme und springe, bin sorgenfrei.

Jetzt komm' ich vom Schulhof, an der Kirche Wand

Eine Grabschrift les ich: „Immanuel Kant“.

Da tönts von der Straße: „Ei Buttzand, ei Stint!“

„Schenk Marzipan mir“, bittet das Kind.

Dort locket ein Schild: „Frische Rinderfleck“.

Ich muss zur Brücke, da fasst mich ein Schreck,

Ich kann nicht hinüber, die Brücke ging hoch,

Doch winken vom Ufer die Freunde noch. —

Dann schwillt der Pregel von Tränen und Blut,

Wir verlieren die Heimat, das höchste Gut.

Jetzt seid Ihr wie wir an fremdem Ort,

Eure Brücke ging hoch, der Strom riss Euch fort,

Des Krieges Furie setzte in Brand

Die blühende Stadt am Pregelstrand.

Und Geistesbrücken uns bauen wir

Nach Königsberg hin, Ihr dort, wir hier

Und suchen den Freund, der zu uns hielt,

Der unsere Not einst mitgefühlt.

Wir grüßen ihn über Meer und Land,

Tröstend zu drücken ihm seine Hand.

Die Brücke ging hoch? Sie geht auch nieder,

Zur richtigen Zeit senkt sie sich nieder.

Dann schreitet aufs neu Ihr den Pregel entlang

Und höret vom Schlossturm den Lobgesang:

 

Ehre sei Gott in der Höhe

Und Friede auf Erden.

 

 

Seite 10   Kommt zur 700-Jahrfeier

In der Sitzung des Hauptausschusses des Festkomitees Königsberg Pr. in Duisburg am 05.11.1954 wurde der Termin der 700-Jahr-Feier auf Pfingsten 1955 (29. und 30. Mai) festgelegt. Wir sind ebenfalls der Auffassung des Ausschusses für volkstümliche und gesellige Veranstaltung in Duisburg, dass ein Wiedersehen für den Einzelnen erlebnisreicher und wichtiger sein wird, als der förmliche Festakt. Unvergessen ist uns das 4. Magistratssondertreffen 1952 in Duisburg beim 1. Königsberger Treffen in Duisburg geblieben.

 

Irgendwie werden wir daher zum Sondertreffen nach dem Festakt zusammenfinden und alte Erinnerungen austauschen. Gemäß Bekanntgabe in der „Ostpreußen-Warte“ (Novemberausgabe) haben sich schon jetzt alle Arbeitskameraden der Stadtverwaltung Königsberg, die am unseren Sondertreffen teilnehmen wollen, bei der Duisburger Kbg. Auskunftsstelle zu melden, damit ein entsprechendes Lokal für uns bereitgestellt wird. Auch ist es notwendig, dass jeder Arbeitskamerad diese Mitteilung dem nächsten Kollegen, der dieses Heimatblatt noch nicht hält, weitergibt. Vergesst bitte nicht die Angehörigen verstorbener Arbeitskameraden, mit denen ein Briefverkehr stattfindet, in Kenntnis zu setzen. Es darf niemand vergessen werden. Auch rufen wir unseren Landsleuten im Auslande zu: „Kommt zu unserer 700-Jahrfeier, insbesondere aber zu unserem Sondertreffen nach Duisburg“. U. a. denken wir dabei an unsere Landsleute

 

Heinz Gruschkus, Kanada;

 

Frl. Ida Ritzkowski, USA;

 

Heinrich Müller, USA;

 

Frau Dr. Eisenlohr, verehel. Cooper, England;

 

Frau Jähne, Spanien;

 

Frl. Puttkammer, Palästina, usw.

 

Wir bitten alle Arbeitskameraden, die Ihren 70. Geburtstag überschritten haben, uns das genaue Geburtsdatum mitzuteilen.

 

Ihren Geburtstag feiern am

 

Am 7. Dezember 1954:  Frau Elsa Schulze, geb. Poohse, (22c) Hoppstädten über Kirn, Hauptstraße 2a;

 

am 9. Dezember 1954: Frau Frieda Schulz, geb. Brustat, (22) Duisburg, Prinzenstraße 73 I;

 

Stadtinspektor Wilhelm Schneider, Magdeburg beging am 28. November 1954 seinen 63. Geburtstag.

 

Allen Geburtstagskindern unsere besten Glückwünsche und alles Gute für das weitere Lebensjahr.

 

In letzter Zeit mehren sich die Fälle, wo Arbeitskameraden hier eine Bescheinigung über die von der Stadtverwaltung verwendeten Invalidenmarken haben wollen. Ohne Personalakten oder Unterlagen des Lohnbüros, können wir solche Bescheinigungen nicht ausstellen. Jeder Antragsteller wende sich daher an seinen damaligen Vorgesetzten oder Arbeitskameraden der betreffenden Abteilung und lasse sich dann eidesstattliche Versicherungen geben. Soweit wir informiert sind, genügen zwei solcher Bescheinigungen, um wenigstens eine angemessene Inv.-Rente zu bekommen. Mit einem kleinen Verlust wird daher jeder Antragsteller rechnen müssen, die nur solche Unterlagen vorweisen können. Ratsam ist es aber, schon jetzt, diese Unterlagen zu beschaffen und nicht erst abzuwarten, bis zur Erreichung der Altersgrenze.

 

In unserer Suche nach vermissten Arbeitskameraden muss in der letzten Berichterstattung im Monat Oktober unsere Arbeitskameradin Elisabeth Schadlowsky ganz besonders hervorgehoben werden. Sie ist es immer wieder, die schwierige Suchfälle zu lösen vermag. Namens der Suchenden unseren herzlichen Dank für die Berichterstattung. Fräulein Schadlowsky kam 1948 aus Königsberg. Aber auch all der stillen Berichterstatter, die uns einen kleinen Hinweis gaben, wollen wir dankbaren Herzens gedenken. Ohne sie alle wären wir keinen Schritt weitergekommen. Und wie viele Arbeitskameraden fehlen noch? Unzählige, deren Schicksal sich leider nicht klären lässt, aber auch nur, weil es noch Landsleute gibt, die unseren Ruf, uns alles Wissenswerte über den Gesuchten mitzuteilen, nicht gehört haben. Wer nun diesen Artikel liest, gibt die Ostpreußenwarte weiter an den Kameraden, der sie noch nicht hält oder halten kann. Nur so hoffen wir noch manches Schicksal lösen zu können.

 

Wir suchen und wer berichtet:

 

St.-O.-Insp. Walter Schimmelpfennig,

 

Stadtrevisor Schmidt.

 

St.-Sekr. Hermann Schwarz,

 

Angest. Schwenteck,

 

Garteninspektor Schäfer,

 

Angest. Gustav Schwarzrock (Wi. A.),

 

Brückenwarter Heinrich Schrade,

 

Angestellte Ellen Schultz,

 

St.-Insp. Alfred Schusterius (gestorben?),

 

Kranführer Schlemminger (Hafen),

 

Heizungskontrolleur Horst Schwarz,

 

Verw.-Ob.-Insp Schimke,

 

die Hafenangestellten Schwibbe. Minischke. Schottke und Schirmacher,

 

Wilhelm Schmidt (Pumpwerk),

 

Artur Schmidt Pumpwerk Ratshof,

 

St.-Insp Kurt Schröder,

 

Mag.-Schulrat Max Schimkat,

 

Helene Schmidtke (Wi. A.).

 

Betr.-Ing. Herbert Schneider,

 

Straßenbauaufseher Hermann Schlemminger,

 

Lehrerin Frieda Schlemminger (Volksschule Krausallee),

 

Lehrerin Frieda Schneider.

 

Angest. Schäfer (Wi. A.),

 

Meister d. Feuerschutzpolizei Schink.

 

Arbeiter Gustav Sahm,

 

Gartenarbeiter Kurt Schenk

 

Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -Angestellten und -Arbeiter (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1

 

 

 

Seite 11   Jetzt und in die Ewigkeit.

Ein Kind ist uns geboren,

das Gott und Mensch zugleich.

Eröffnet Herz und Ohren,

ihr Christen, freuet euch!

Zu Bethlehem im Stalle

kehrt unser Heiland ein:

Er kommt zum Trost für Alle,

geliebet will er sein.

 

Die Hirten hörn das Singen

der frohen Engelschar.

Gekrönte Fürsten bringen

Gold, Weihrauch, Myrrhen dar.

Sie legen Herz und Krone

zu Jesu Füßen hin;

sie sehn in Davids Sohne

Gott selbst und preisen ihn.

Erfüll mit Deinen Gnaden,

Herr Jesu, dieses Haus!

Tod, Krankheit, Seelenschaden,

Brand, Unglück treib hinaus!

Lass hier den Frieden grünen,

verbanne Zank und Streit,

dass wir dir fröhlich dienen

 jetzt und in Ewigkeit!

 

 

Seite 11   Wir berichten aus der Heimat. Patrouillenboote auf dem Pregel.

Mit blubberndem Diesel schwimmt das Motorschiff „Koroschkin“ den Pregel aufwärts. Vorbei an Taplacken tuckert das schwerbeladene Boot mit dem Roten Stern am Bug. An Bord sind einige Matrosen und der Kommissar für den Distrikt Insterburg, den die Russen heute Tschernjachowsk nennen. Einmal in der Woche fährt die Marine-Flottille aus Königsberg nach der Burg an der Inster. Bis hier reichen die Wassertiefen aus für die flachgehenden grauen Kanonenboote, deren Wiege in Travemünde stand. Auffällig ist dem Beobachter vor allem die schwere Armierung der Kriegsfahrzeuge, die noch immer auf Patrouillen-Kurs eingesetzt sind ...

 

Einige Wracks liegen rostüberzogen auf dem Pregel-Ufer dicht bei Norkitten. Das Land ist flach und weit und menschenleer. Krähen-Familien segeln frech über dem Boot, das bis nach Tapiau noch von Seemöwen begleitet wurde. Die Russen haben sich seit der Freimachung des Fahrwassers nicht mehr auf den Hauptbahnstrang verlassen, sie benutzen für Reisen nach Insterburg hauptsächlich das Schiff. Für Zivilpersonen ist diese militante Verkehrseinrichtung freilich verboten. So müssen die 20 000 Einwohner von Insterburg auf den Zug warten der manchmal nur bis nach Wehlau fährt, weil ihm die Kohlen in letzter Minute versagt worden sind.

 

Das Gesicht der alten deutschen Stadt ist von Grund auf verändert. Daran sind nicht allein ganze Holzbuden-Viertel schuld, viel schlimmer wirken sich die Halteplätze für die Panjewagen aus. Man bedenke: Mitten auf dem Markgrafen-Platz blockieren Tausende primitivgebauter Fuhrwerke alle Zugänge. In der Mittelschule sind Soldaten einquartiert, die mit den Händlern lebhafte Diskussionen führen und bei nötigem Wodka-Gehalt gelegentlich auch die Maschinenpistole zücken.

 

Kriegsschäden fallen nicht auf. Die Reitbahn-Straße beherbergt zahlreiche Verwaltungsdienststellen der Armee. Selbst im früheren Gymnasium unterhalten die Russen eine große Intendantur. Das Stadtwerk wurde erst vor zwei Jahren wieder betriebsfertig. Eine Straßenbeleuchtung gibt es auch heute noch nicht. Gasleitungen wurden abmontiert, die Frau des Neubürgers aus Charkow kocht am liebsten mit trockenem Reisig, das einen penetranten Gestank verbreitet und in allen Gassen zu riechen ist.

 

Gottesdienste finden nicht statt. Es gibt auch keine kulturellen Veranstaltungen. Für die Angehörigen der starken Garnison werden Kinowagen aus deutschen Wehrmachtsbeständen eingesetzt.

 

Konsumgüter werden nur in dem Staatswarenhaus am Bahnhof verkauft. Das sowjetische Intorist-Reisebüro befindet sich im ehemaligen Altersheim in der Augustastraße. Hier wird zugleich ein kleiner Hotelbetrieb unterhalten, der für Funktionäre und durchreisende Offiziere Absteigequartiere stellt. Auf dem ehemaligen Turnierplatz, der seinerzeit zu den modernsten Anlagen der Vorkriegszeit zählte, üben Rotarmisten das Hantieren am bespannten Geschütz.

 

Der für das friedensreiche Insterburg so typische Viehmarkt, die weltbekannte ostpreußische Hochzucht für Pferde, Rinder und Schweine, all das ist heute vergessen, weggewischt. Insterburg ist eine Soldatensiedlung ostischer Prägung geworden. Den Kindern der Bevölkerung stehen drei Schulen zur Verfügung, auf denen auch die deutsche Sprache gelehrt wird. Eine Provinzredaktion der Prawda sorgt für schnelle Verbreitung der amtlichen Soll-Vorschriften, die durch ein Landwirtschaftskommissariat überwacht werden. Das zuständige Kreisgericht verurteilte allein im vergangenen Jahr 130 Bauern wegen „Verstoßes gegen die Bestimmungen“ zu insgesamt 1000 Jahren Zuchthaus!

 

Die sowjetische Pregel-Flottille errichtete auf dem Nord-Ufer eine Reihe von Baracken und Öl-Bunkern. Das gesamte Gebiet wird bewacht, es ist durch Stacheldrahtzäune von den übrigen Stadtteilen abgetrennt. Für Rotarmisten mussten Zwangsarbeiter auch eine Badeanstalt bauen, die vor einigen Monaten fertiggestellt wurde. Sonst ließen sich in der fernen Heimatstadt keine Bauvorhaben feststellen. Die Stille beherrscht den verlassenen Platz …

 

 

Seite 11   Hütet das ostdeutsche Kulturerbe.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt wendet sich an die Deutschen in Westdeutschland und Westberlin und bittet die Bundesregierung wie die Regierungen der Länder und die Verwaltungen der Städte und Gemeinden, ihre Anregungen tatkräftig zu unterstützen.

 

Die deutschen Provinzen jenseits von Oder und Neiße waren durch Jahrhunderte auch Provinzen deutscher Kultur. Sie haben in Kunst und Wissenschaft bedeutende eigenwüchsige Leistungen hervorgebracht. Die nach göttlichem und menschlichem Recht bestehende Forderung auf Rückkehr der Vertriebenen aus den östlichen deutschen Gebieten in ihre angestammte Heimat lässt sich nur erfüllen, wenn das deutsche Geistesleben im Osten in unserem Bewusstsein wacherhalten wird. Wir rufen daher auf, die Mundarten des deutschen Ostens in den Hochschulen durch Forschung und Sammlung vor dem Absterben zu bewahren und den Neubauten von Schulen, Jugendheimen, Instituten, Siedlungen, Straßen usw. in der Bundesrepublik und Westberlin die Namen bedeutender Kulturstätten und Persönlichkeiten des deutschen Ostens zu geben. Hierbei sollten an sichtbarer Stelle erläuternde, die Erinnerung stärkende Inschriften angebracht werden. Ferner sollte der „Ost-Unterricht“, also die Beschäftigung mit dem literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Erbe Ostdeutschlands, überall dort, wo er noch nicht oder unzulänglich durchgeführt wird, ausreichend entwickelt werden.

 

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird nicht müde werden, die Öffentlichkeit daran zu mahnen. Nichts ist in Wirklichkeit verloren, was nicht geistig verlorengegeben wird.

 

 

 

Seite 12   Unsere Eisfreuden daheim. Von Wanda Wendlandt

Welch' ungeheure Weiten boten uns allein schon unsere Teiche zum „Schlietschohrenne“ und zum Eissegeln mit den Schlitten der Kleinen, an denen wir einfach nur eine Harke und daran etwa ein altes Laken befestigten, ja, bei besonders heftigem Wind, wie er bei uns wirklich nicht selten war, genügte es schon, sich selbst als Mast auf den Schlitten zu stellen und seinen Mantel ausgebreitet als Segel gegen den Wind zu halten. „Volldampf voraus" hieß es dann und man fegte nur so über die blanke Fläche. Aber das waren nur Kinkerlitzchen, richtig zünftig und der Gipfelpunkt der Eisfreuden waren die Fahrten mit dem Eisboot über die unabsehbaren Weiten des Haffes.

 

Mein Bruder hatte als halbwüchsiger Junge von etwa 14 Jahren sich selber ein Eisboot gebaut, heimlich und ohne jede Anleitung und mit allen Schikanen, sogar das Segel selber genäht. Es fasste gut drei Personen und entwickelte erstaunliche Geschwindigkeiten und sein Wimpel, auch heimlich selber gemacht, flatterte lustig im Fahrtwind.

 

„Nu hefft mi doch de krätsche Jung wedder de beste Bräda ute Waogenschuur jemuust on tersaogt“, klagte aber unser Onkel Ernst kummervoll. „Laot em — laot em — ut dem Jung wart ock noch maol wat Grootet — de hefft so e anschläjie Kopp“ verteidigt Guste ihren Liebling. „Ja und ich habe doch Mutter gefragt“ rechtfertigt er sich nun auch noch selber „ob ich mir ein paar Bretterstücke nehmen darf!“ – „Jao, scheene Stöckkes!“, grollt Onkel Ernst, „Jung, Jung, möt Di wart dat noch emaol kein good End nehme – möt Di un diene Wöppkes“. Onkel Ernst umschreitet das Machwerk und mustert es mit Kennerblick und offenbarer Anerkennung und Wohlgefallen, indem er nachdenklich seine umfängliche Nase mit der unvermeidlichen Prise versorgt. „Möt Di wart dato ok noch maol so gaohne, wi dat mienem goode Frind Karl jing – Oih! mi schuddert noch, wenn eck bloß dran denk! – De had söck ook so e Iesboot tosammejeschustert on dat Dings seej ook recht nao wat ut – ackraod wi Dien Maokwark ook! – On dao proscht he mi on noch eenem andre goode Frind, dem Emil, wi sulle möt em äwre Haff nach Schaoke sejle. Na de Emil, de had jo nu kein Lost nicht on redt em aw: Dao sulle äwerall groote Windwaokes oppe Haff sön on bi dem stieve Noordoost michd wi dem leichte Iesboot nich hohle könne. Aover de Karl de jeckt em ut: „Na, wenn Du de Böxe voll häst, denn bliev man tohuus on laot Di von uns Oma Flinse backe!“ – Na dat wull söck denn de Emil doch nich sejje laote, he haolt söck seinem Pij on de groote Wandhandschkes on wie sejelte aw“.

 

Onkel Ernst macht eine Pause – „Na los! Wie ging es denn nu weiter?“ unsere Neugier ist geweckt und ungeduldig drängen wir zum Schluss, aber Onkel Ernst kramt erst wieder in aller Gemächlichkeit und Seelenruhe nach seiner Schniefkedose, ehe er fortfährt: „Et weer Ies on de Wind puust nich schlecht on et jing wi doll on wi hadde ons all ganz hoch oppe Haff ropjekriezt. „Na, Du oll Suurdiektopp, wi jeföllt Di dat nu?“ lacht ons Karl dem Emil ut. Aower de stunn anne Mast opjereckt, stiev on starr, on kickt stiev on starr nao väre, ömma stiev on starr värut. Op eenmaol aower, dao rett he de Ooges ganz wie dop – so – o – un bröllt ut Leibeskräfte: „Schmiet röm dem Stier! schmiet röm! – Dao – e grrot Windwaok!“ Karl rött wat he kann dem Stier röm, aower von dem scharpe Ruck floge wi beide, eck on de Emil ute Boot – on de Emil schorrd oppe Buuk oppe blank Ies ohne Haoling – on schorrd – on schorrd bät anne Windwaok – on so ön Faohrt on ohne Haoling dorche Windwaok dorch – on – Oih! Wat schuddert mi noch op ander Sied vonnem Windwaok annem scharpe Ieskant schnett em doch wi öttem Schlachtermesser de Kopp aw – reinwech aw – on de Kopp schorrd wieda oppe blanke Ies on schorrd on schorrd – on wijjelt op on daol – op on daol – on de Muul op on daol – op on daol – op on daol: „Dat docht eck mi – dat docht eck mi – dat docht eck mi ---„

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„Ohl Uhleespeejel!“ grollt Guste und dreht ihm betont ihre mächtige Hinterhand zu, dass die weiten Röcke wippen „ömma ohle Mönsche to Narre Maoke!“

 

 

Seite 12   Und wir loben es leise --- Von Ursula Enseleit-Riel

Müssen wir fern voneinander

Uns dennoch begegnen,

Uns dem Licht hingeben,

Den Wolken, den Winden?

Müssen wir uns an andere

Wesen binden,

Die zueinander uns führen,

Uns schirmen und segnen?

 Bruder, die Räume sind groß

Und beschwerlich die Reise.

Aber sie ist unser Los.

Und wir loben es leise.

 

 

Seite 12   „Noch einmal Ännchen von Tharau“. Von Paul Wittko (aus Ragnit, 88 Jahre alt).

In dem aufschlussreichen Aufsatz unter dem Titel „Ännchen von Tharau" in Nr. 11 Seite 12 ist die hübsche Versdichtung „Ännchen von Tharau“ von Franz Hirsch nur in einem kurzen Sätzchen erwähnt. Sie erschien 1882 und war in den letzten 18 Jahren des vorigen Jahrhunderts in allen besseren Bürgerhäusern Ost- und Westpreußens, namentlich da, wo es einen Bruder Studio und eine oder ein paar „höhere Töchter“ gab, unfehlbar anzutreffen, ebenso bildete sie einen festen, immer wieder sich erneuernden Bestand in jeder besseren Buchhandlung, zwischen Memel, dem Geburtsort Dachs', und Thorn, woher der Autor Franz Hirsch stammte. Hirsch war Leiter des „Schorers illustriertem Familienblatt“ in Berlin und Verfasser einer dreibändigen „Geschichte der deutschen Literatur“, eines Werkes, das bei anthologischem Charakter viele Vorzüge besaß, indem es namentlich geistreiche Parallelen und Perspektiven aufwies und in schlagkräftiger Form die Eigenart eines Dichters ins Licht rückte.

 

In seinem „Ännchen von Tharau“ findet Universitätsrektor Simon Dach an der anmutigen Titelheldin platonisches Gefallen. Ännchen aber liebt den munteren Studenten Portatius, der das Pfarrertöchterlein bei einem Austritt aus der Kirche zu küssen die Keckheit besessen hatte. Er verfällt deswegen der üblichen akademischen Strafe, erringt aber die Gunst des Rektors und des lieben Mädchens. Dach unterdrückt seine Neigung. Man erfreute sich an den heiteren Lebens- und Liebesszenen der Dichtung, die die Lokalfarbe Königsbergs vorzüglich getroffen hatte. In die eigentliche, in reimlosen vierfüßigen Trochäen abgefasste Erzählung sind, wie in ihrem Vorbilde, Scheffels „Trompeter von Säckingen“, allerlei Lieder und Liedchen in wechselnden Rhythmen eingestreut, frisch und schlicht, munter und schalkhaft.

 

 

Seite 12   600 000 Neubürger für Danzig.

Die Planungen der Warschauer Abteilung „für die rückeroberten Gebiete“ sehen vor, dass die sogenannte „Dreistadt“ (Danzig—Zoppot— Gdingen) bis 1960 von 600 000 Menschen bewohnt sein soll. Bis jetzt hausen etwa 420 000 Neubürger unter schlechtesten Wohnverhältnissen in der Städte-Gemeinschaft. Nach amtlichen Angaben gelang es nicht, die Soll-Ziffern für den Wohnungsneubau auch nur annähernd zu erfüllen. Durchschnittlich müssen sieben Erwachsene in einem Raum kampieren! Bevorzugte Wohnungsaspiranten sind nur Funktionäre, „Intelligenzler“ und Aktivisten. Im Norden der alten deutschen Hansestadt wird jetzt ein Wohnkomplex errichtet, der 20 000 Einwohner aufnehmen soll. Selbstverständlich wird ein „Kulturhaus“ den Mittelpunkt des Viertels bilden. Da die Neubauten sich nicht immer durch besondere Haltbarkeit auszeichneten — allein in Danzig fielen innerhalb von zwei Monaten drei Wohnkasernen in sich zusammen —, ist die Einhaltung der angegebenen Termine äußerst fragwürdig.

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (17)

Liebe ostpreißische Landsleite!

De ganze Welt is auße Fugen geraten. Seitdem dass die Menschen mit die Atombomben pinksern und maddern, giebt es ieberhaupt kein vernimftiges Wetter mehr. Oder is das nu vleicht e Wetter, wie es sich fierem Dezember geheert? Oder wie war es im Sommer und im Herbst? Der Bauerochse hat nich emal seine Rieben — hier sagen se Runkschen — reingekriegt, aber davon erzähl ich Ihnen später. Wenn einer emal aus Versehen inne Zeitung kickt, denn wird einem grien und blau vore Augen: Sturmfluten und Erdbeben, Mord und Verbrechen, Autobahngangster und Priegelei innem Wahlkampf. Es is wirklich wie im alten Rom. Nei, nei, wo sind wir bloß hingeraten! Da muss einer ja direkt innem anständgem steifen Grog Vergessen suchen. Und das haben wir denn auch mit meinem Freind Willuweit ganz grindlich und geheerig getan. Wir waren so vergniegt wie einst im Mai und sangen dreistimmig „Man mißte noch mal zwanzig sein“. De Emma sang nämlich mit, denn se hadd sich von uns breitschlagen lassen und auch zwei Glas Grog getrunken. Nu missen Se aber wissen, dass se rein garnuscht nich verträgt. Die is all sozusagen blau, wenn se bloß e leere Flasch sieht. Nu stellen Se sich de Emma mit zwei Glas Grog vor! Nei, das können Se sich einfach nich vorstellen. Zuletzt wolld se Koppche stehn und mit ihrem neien umgetauschten Wintermantel „Venus im Pelz“ spielen. Na heern Se, das geht doch wirklich zu weit, wenn ich auch all sehr großziegig bin. Se hat also doch e verdorbene Fantasie, wie ich ihr all im Verdacht hädd. Da sieht einer aber auch mal wieder, was der Alkohol aus einem gutbirgerlichen Menschen machen kann. Na jedenfalls haud ich mitte Faust aufem Tisch, und sie haud zurick, dass foorts e Bein von dem Bauerochse seinem wackligen Tisch abbrach und der Tisch sich neigen tat wie der schiefe Turm von Pasi — nei, Pißa. Gerad dass ich noch die Rumbuddel zergrabbeln und unterm Arm klemmen konnd, sonst wär se in die Brandung zerschellt wie zwei von die drei Groggläser. Nu dachd ich natierlich, jetz kommt de Bauerochse und macht einem firchterlichen Spektakel, denn ich hädd ihm unten all immer so verdächtig husten geheert, und das is e Zeichen, dass sein Kragen kurz vorm Platzen is. Ich lauerd und lauerd, aber er kam nich. „Weisst Willuweit", sagd ich da, „das hat bestimmt nuscht Gutes nich zu bedeiten. Denn wenn der jetzt seinem Zorn in sich reinfrisst, denn giebt nachdem bei Gelegenheit doppelt und dreifach“. Und es hädd wirklich was zu bedeiten, und das werden Se gleich heeren. Jedenfalls haben wir zuletzt das Schlachtfeld aufgeräumt und das abgebrochene Tischbein aus Versehen verheizt, indem dass es hubbrig geworden war und der Willewut mit seine falsche Zähne klappern tat. Denn gingen wir inne Posen, und dem andern Morgen war dem Willuweit sein Gebiss weg. Und nu gab er an wie e Wildsau mang e Kartoffeln. „Das muss ich finden! Ich kann doch nich ohne Zähne zu Haus fahren“. Da kroch er untres Bett und tat mite Streichholz unterm Schrank leichten. „Aber das muss ja da sein“, beruhigt ich ihm, „Du hast doch um zwölf noch damit geklappert!“ „Weißt, wo das sein wird“, meind dadrauf de Emma, „Dir wurd doch e bissche bliemerant und da bist Du rausgegangen. Emmend is dir aufem Klo das Ambrot außes Gesicht gefallen und das Gebiss gleich mit rauschgerutscht“. Da wurd er ganz kreideweiß und ging gleich nachsehn. Aber da war weit und breit nuscht zu finden. Und denn mit eins kam er strahlend wieder rein hield dem Desertöhr inne Hand, indem dass er inne linke Tasch von seinem Jampel aufjestöbert hädd. Nu war de Freid natierlich groß, und da kam all der Bauerochse und lud uns aller drei freindlich ein, ihm beis Riebenreinholen behilflich zu sein. Was sollden wir nu machen? Wir hädden auch e bissche schlechtes Gewissen wegen die nächtliche Ruhesteerung, und deshalb konnden wir nu gar nich anders wie ja sagen. Der Willuweit war außerdem so ieberglicklich wegen das wiedergefundene Gebiss, dass er dem Bauerochse aufe Schulter haud, dass er foorts inne Kniee ging, und dabei sagd er großziegig und leitselig: „Aber natierlich helfen wir Ihnen, die paar Radieschen reinzuholen!“ Das hädd er nu wieder aber nich sagen solld, denn das nahm der Bauerochse als perseenliche Beleidigung, wie Se gleich sehn werden. Tagieber war er still, weil, er nich riskieren konnd, dass wir ihm mit seine Radieschen allein ließen. Aber es lag immer wie e Gewitter inne Luft, und richtig, bei die letzte Fuhre fing er mit eins an. Einer merkd direkt, wie er Streit suchd. Die Rieben waren nich sehr doll geraten, er hädd viel zu wenig gehackt. „Habt Ihr vleicht in Ostpreißen greeßere Runkschen gehabt! Die Flichtlinge nehmen aller dem Mund so voll, dabei is Eich innes ganze Leben noch nich so gut gegangen wie jetz. Einer quält sich von morgens bis abends, und Ihr feiert Orjen bis inne Nacht rein!“ Nu ging aber der Willuweit hoch: „Wir sind so dusslich und gutmietig und helfen Ihnen, und dafier kujenieren Se uns! Das können Se mit einem machen, wo keine Kremp am Hut hat. Schad, dass Se nich all morgens damit rauskamen, denn hädden wir Ihnen was gehust, aber nich geholfen!“ Damit schmiss er de Forke hin und haud ab. Er konnd sich ja was erlauben, denn er fuhr wieder weg, aber wir konnden uns nich mucksen, schon wegen dem zerbrochenen Tisch, und denn missen wir ja weiter mit ihm innes Haus zusammenleben. Deshalb waren wir still. Ich ärgerd mir auch ganz aasig, es fuchsd mir wie doll, aber ich bezähmd mir und sagd kein Ton. Hädd ich man auch de Fork hingeschmissen, das war besser gewesen, denn wie der Willuweit wieder abgefahren war, da mißden wir wieder de ganze Klunkersupp ausfressen. Und zwar hädd der Bauerochse sich was ganz Besondres ausgedacht, er nageld das Tierche mittem Herzche zu, indem dass er sich e Patscheimer inne Stube stelld. Aber das ließ ich mir nich gefallen und zog de Nägel wieder raus. Dem andern Tag hädd er de Bretter vonne Rickseit weggerissen, so dass einer von hinten nu reinkicken konnd wie in eine Kleinkunstbiehne. Nu missen Se aber wissen, dass de Rickseit von das kleine Häusche nache Dorfstraß geht. Da war de Emma empeert und ging zu ihm runter und sagd, er solld sofort de Bretter wieder rannageln. Aber er lachd ihr aus und sagd: „Wieso? Von hinten kennt Ihnen doch keiner!“ Was blieb mir iebrig? Ich mißd mir selbst Bretter besorgen und annageln. Denn sehn Se, einer kann doch nich immer wegen jedem Dreck gleich aufes Gericht rennen. Ich bin ieberhaupt nich dafier, und de beste Tracht is immer noch de Eintracht, womit ich ihm das denn auch sagd und wir sich wieder vertragen haben. Es geht ja schließlich langsam auf Weihnachten, und das is ja doch das Fest der Nächstenliebe. De Emma is all ganz krieslig wegen die Pfeffernisse, wo se backen will, und ich werd ja wohl wieder e kleines Baumche besorgen missen. Geschenkt giebt natierlich nuscht, der Wintermantel is all e firstliche Gabe. Ieber die Rentennachzahlung hab ich mir natierlich sehr gefreit, aber es is ja doch blos e Troppche aufem heißen Stein, weil indem dass es doch immer noch und ieberall an alle Ecken fehlen tut. Aber der Kornus und der Grog beim Willuweit-Besuch mißden sein, denn wenn einer wenigstens einmal e bische iebre Stränge schlagen kann, denn kann einer e ganze Weil wieder alles leichter ertragen. Wenn einmal richtig Luft giebt, denn hält das e Weilche vor. Womit ich fier Ihnen dasselbe hoffe. Besorgen Se sich man auch zu Weihnachten e bissche was von geistliche Getränke in unsre „Ostpreußenwarte“ haben ja ostpreißische Firmen annongziert, und Se können alles kriegen, was Se brauchen, sogar unserm scheenen Marzepan! Und denn winsch ich Ihnen allen vergniegte und gesunde Feiertage, und de Emma schließt sich dem Herr Vorredner an! Rutschen Se gut iebre Schwell von 1955!

Es grießt Sie aller in ostpreißische Treie Ihr Ernst Trostmann Landbriefträger z. A.

 

 

Seite 13   Unsere Buchbesprechungen.

Wir hoffen sehr auf Kronstadt

Wir hoffen sehr auf Kronstadt. Roman, 346 Seiten, Ganzleinen mit mehrfarbigem Schutzumschlag. 12,50 DM. Greven Verlag. Köln

 

Während die Ost-West-Spannung einen dramatischen Höhepunkt erreicht hat, während weltgeschichtliche Entscheidungen heranreifen, erscheint ein Buch, das wie ein greller Blitz hineinleuchtet in die Konferenzen und Verträge, das die Vergangenheit auferstehen lässt, um die Gegenwart zu warnen, ein erschütterndes Fanal von unheimlicher Zeitnähe. In meisterhafter Form hat hier ein ungenannter Dichter den Todeskampf der Festung Kronstadt geschildert, deren Besatzung sich gegen die kommunistische Diktatur erhob. Die hier für die Freiheit bluteten und starben, waren einst Lenis Leibgardisten gewesen, Matrosen der russischen Ostseeflotte, die im November 1917 das Winterpalais gestürmt und damit die rote Brandfackel entzündet hatten. Vier Jahre kommunistischer Herrschaft hatten genügt, um aus ihnen unerbittliche Widersacher der Moskauer Sklavenhalter zu werden. So erhoben sie sich gegen Lenin, um die Freiheit zu erkämpfen. In einem Blutbad ohnegleichen wurde dieser Versuch nach wochenlangem, heldenhaftem Widerstand niederkartätscht. Während überall in Russland Unruhen und Streiks aufflackerten, sah die westliche Welt untätig zu. Während man auf Waffenhilfe von außen hoffte oder wenigstens auf politische Intervention, trafen lediglich aufmunternde Funksprüche ein: „Wir hoffen sehr auf Kronstadt“. Erst mit der Eroberung dieser letzten Bastion der Freiheit hatte die kommunistische Revolution in Russland wirklich und endgültig gesiegt.

 

Der Autor ist Augenzeuge dieses Ringens und hat die Ereignisse zu einem zeitgeschichtlichen Roman von ungewöhnlicher Spannung gestaltet, in dem blutvolle Menschen leben, lieben und leiden: Petrischenko, der ehemalige Schiffsschreiber der „Petropawlowsk“ und spätere Befehlshaber und Held von Kronstadt, Leonid Gussew, der Bauernmatrose mit der zaghaften, rührenden Liebe zu der tapferen Nastja und alle anderen, deren Schicksal mit dem der Ostseefestung verbunden ist.

 

Eine Warnung an die Gegenwart nannte ich eingangs das Buch und wies auf seine unheimliche Zeitnähe hin. Ist es nicht, als ob die Freiheitskämpfer des 17. Juni 1953 rufen, wenn wir die Kronstädter Resolutionen lesen: „Wir wollen freie Wahlen! Wir wollen die Einheit und Brüderlichkeit, wir wollen keine Einheitspartei, die alle anderen vergewaltigt!“ Und sind die Worte nicht tagesnah, die Petrischenko am 11. März 1921 aus der im Sterben liegenden Festung funkte: „Die Welt kann nicht bereit sein, sich Schritt für Schritt versklaven zu lassen!“ Damals rief er vergebens, wir hoffen sehr, dass die Stimmen der Freiheit in der westlichen Welt diesmal nicht ungehört verhallen. L.

 

 

Prof. Wilhelm Treue: Der Krimkrieg und die Entstehung der modernen Flotte. „Musterschmdt“ Wissenschaftlicher Verlag, Göttingen. 145 S., Leinen. 12,80 DM.

 

Wilhelm Treue liegt es nicht daran, in diesem Buch einen summarischen Bericht über den Krimkrieg (1854 - 1856) schlechthin zu geben, sondern er beleuchtet ihn vor allem von der seekriegsgeschichtlichen Seite her. Traten während dieses Krieges doch gerade der Flotte gegenüber erhebliche Probleme auf: Wie war es möglich, das französische und das englische Heer samt Ausrüstung und Tross vom eigenen Land zum weit entfernten Kriegsschauplatz zu schaffen? Welch ungeheure Aufgabe fiel der Flotte in der Versorgung dieses Heeres zu! Wie konnten Kriegsschiffe die Landtruppen beim Einsatz unterstützen und wie bewährte sich die Flotte bei diesen Aktionen? Über diese und andere Fragen, denen wir im letzten Krieg bei der Invasion in Norwegen und dem Einsatz in Nordafrika wiederum begegnet sind, erhalten wir interessante und eindrucksvolle Aufschlüsse. — Zugleich lässt uns das Buch die Entstehung der modernen Kriegsflotte miterleben; so erfahren wir unter anderem die Beweggründe, die Anlass gaben zum Bau des ersten Panzerkreuzers der Welt, der „Gloire“, die Ende 1859 vom Stapel lief.

 

Es ist ein Buch, das nicht nur dem Historiker viel zu sagen hat und jeder Schule wertvolles Quellenmaterial für einen lebendigen Geschichtsunterricht liefert, sondern das in seiner leichtverständlichen Art jeden anspricht, der sich nicht dem Zeitgeschehen verschließt. H. R.

 

 

Die Königin.

Die Königin. Roman von Edith Mikeleitlis. Verlag Velhagen & Klasing. Geb. 12,50 DM.

 

Es ist kein neues Buch, auf das wir heute unsere Leser hinweisen, aber ein ostpreußisches, denn der fesselnde Roman spielt zum großen Teil in Königsberg, Memel und Tilsit, und der Name der Dichterin verrät, dass ihre Vorfahren aus dem nördlichen Ostpreußen stammen. Es ist das herzergreifende Schicksal der Preußenkönigin Luise, das hier zu einem erschütternden geschichtlichen Dokument gestaltet ist. Aber es steht nicht etwa eine historische Persönlichkeit vor dem Leser auf, die sich in den Grenzen der Schulbuchüberlieferung bewegt, sondern eine lebenswarme Frau, die uns in ihren großen seelischen Nöten so nahe kommt, dass wir sie streicheln und trösten möchten. In ihrer Hingabe an ihre Familie und ihr Volk, in ihrem leidenschaftlichen Kampf für Preußens Wiedergeburt und ihrer entsagenden Liebe zum jungen, strahlenden Zaren Alexander bleibt sie immer die Königin und Mutter, zu der auch die Ärmsten des Volkes in unendlichem Vertrauen aufsehen. So konnte nur eine wahre Dichterin, eine mitfühlende Frau, den Lebensweg der armen und innerlich doch so reichen Luise nachzeichnen, und so ist es zu verstehen, dass bisher schon rund 200 000 Exemplare dieses einzigartigen Buches den Weg zu den Lesern gefunden haben. Im nächsten Jahre wird

der Verlag Otto August Ehlers in Darmstadt diesen Roman neu herausgeben, aber eine Restauflage bei Velhagen & Klasing gibt Ihnen die Möglichkeit, das Buch sofort zu erwerben, wenn Sie lieben Angehörigen oder Freunden eine besonders große Weihnachtsfreude bereiten wollen.

 

 

Hans Ulrich Rudel: Zwischen Deutschland und Argentinien. Plesse-Verlag Göttingen. Geb. 12,50 DM.

 

Wer Rudels Bücher „Trotzdem“ und „Aus Krieg und Frieden“ gelesen hat — wer es bisher versäumte, sollte es schleunigst nachholen, — wird sich voll froher Erwartung auch in dieses neue Buch des großen Soldaten vertiefen. Wie Rudel jederzeit den Feind anging, tapfer und hart, so spricht er auch in diesem Buche. Er erzählt, warum er Deutschland verließ und wie er es wiedersah, von Peron berichtet er und von seiner neuen großen Aufgabe in Argentinien. Er schildert den Aufbau des von ihm ins Leben gerufenen Hilfswerkes für die eingekerkerten Kameraden und ihre Familien. Mit den deutschen Problemen setzt er sich auseinander, von der Besteigung des höchsten Vulkans der Erde gibt er Bericht. So reiht sich eines an das andere, und alles mit einer Klarheit und Geradheit gesehen und ausgesprochen, wie wir sie im Deutschland der Nachkriegszeit nur bei wenigen Autoren finden. Rudel ist vielen heute unbequem, weil er in die Konzeption von Bonn nicht hineinpasst und weil er vieles sagt, was man nicht widerlegen kann. Man braucht ihm auch nicht in allen Punkten zuzustimmen. Aber wie er alles sagt, ehrlich, treu, geradeheraus, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, das geht wie ein aufrüttelnder Sturmwind über einen hin. So kann nur ein Mann sprechen, der im Grunde seines Herzens immer Soldat war und geblieben ist, trotz allem!! Deshalb wird der Schlesier Rudel, heimatvertrieben wie wir alle, bei abertausenden Soldaten und soldatisch Fühlenden ein begeistertes Echo finden. Sie werden sich aufrichten an der Frische seiner Sprache, an seiner Treue und seinem Glauben, an ihm selbst, dem der Fahneneid noch eine heilige Verpflichtung bedeutet, der durch seinen zähen Willen und seine Bewährung in allen Lagen des Lebens unserer Jugend Vorbild ist. Deshalb legt das Buch Euren Jungen auf den Weihnachtstisch! L.

 

 

Seite 13   Eßlinger Begegnung 1954

Auch in diesem Jahre führte die Künstlergilde e. V. als Verband der heimatvertriebenen Kulturschaffenden für die Bundesrepublik und Berlin in Eßlingen a. N. ihre festliche „Eßlinger Begegnung 1954“ durch. An der für alle ostvertriebenen Künstler so bedeutungsvollen Tagung, die vom 4. November bis 9. November 1954 stattfand, nahmen als Vertreter der ostpreußischen Landesgruppe u. a. die Maler Klumbies, Lankau und Mollenhauer sowie erstmalig auch die Fachgruppen Schrifttum, Musik, Darstellende Kunst und Film teil.

 

Eine besondere Aktivität kann insbesondere die vor zwei Jahren in Tübingen geschaffene „Gruppe der Jungen“ für sich in Anspruch nehmen, deren Gründungsmitglieder Herbert Hajek und Hans-Helmut Lankau sowohl mit der Schaffung einer Stifter-Büste für die Walhalla bei Regensburg als auch mit dem 1. Preis für die Ausgestaltung einer Krypta für ein Soldaten-Ehrenmal in Frankreich besonders eindrucksvolle Erfolge erringen konnten.

 

Die von musikalischen Veranstaltungen, Dichterlesungen, Rundfunk-Aufführungen und Kunstausstellungen umrahmte „Eßlinger Begegnung“ fand ihren Abschluss mit einer Fahrt zu den bekanntesten württembergischen Kunststätten in Reutlingen, Blaubeuren und Ulm.

 

 

Seite 13   Dokumente europäischer Leistung in den Heimatgebieten der deuten Vertriebenen

 

Ein neues Buch in der Reihe „Deutsche Baukunst im Osten“ des Göttinger Arbeitskreises. Hölzner-Verlag in Kitzingen (Main). 60 ganzseitige Fotos und Text. Preis 6,-- DM.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Heimatvertriebenen, die Leistungen der deutschen Kultur und der verlorenen Heimat im Osten der heutigen Generation nahe zu bringen. Wer diese Heimat noch erlebt hat, erbaut sich immer wieder an der Auffrischung seiner eigenen Kenntnisse. Die Kinder der Heimatvertriebenen sollen vor allem den deutschen Osten, wie er bis 1945 war, kennen lernen. Aber auch allen übrigen Landsleuten, ganz gleich ob im Inland oder im Ausland, soll es immer vor Augen geführt werden, dass der deutsche Osten aus dem Westen hervorgegangen, in stetiger Wechselwirkung mit diesem geblieben und schließlich ein Teil des europäischen Kulturgebietes geworden ist.

 

So ist das Erscheinen des obigen Bildbandes zu begrüßen. Sein bescheidener Umfang bedingt es, dass er nur einen zusammengedrängten Überblick geben kann über eine gewaltige Gesamtleistung, deren Anfänge bis in die Zeit um 1000 n. Chr. zurückreichen und an der seitdem viele Generationen mitgeschafft haben.

 

Die Auswahl der wertvollen Künstlerfotos erfolgte mit der Absicht, aus jedem der Einzelgebiete etwas Charakteristisches zu bringen, angefangen vom Baltikum über die bis zuletzt deutschen Ostprovinzen und das Sudetenland bis nach Siebenbürgen im Südosten Europas. Der kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aufbau ist dabei berücksichtigt; die Kirchen, Burgen, die Rathäuser und Bürgerbauten, die Guts- und Bauernhäuser, die Hafen- und Industrieanlagen beweisen es. Der Vertriebene aus dem Norden lernt so den Süden kennen und umgekehrt. Eine Kartenskizze gibt einen Überblick über das behandelte Gericht.

 

Das Buch regt zum Nachdenken und zum Vertiefen in weitere Einzelgebiete des deutschen Ostens an, über die der Verlag lt. seinem Prospekt eine lange Reihe von Veröffentlichungen herausgebracht hat.

 

Neu ist der mehrsprachige Text, der bei aller Kürze gut unterrichtend abgefasst ist. Das Buch wird für viele ein sinniges Weihnachtsgeschenk sein, zumal ein Teil der Aufnahmen wenig bekannt ist, und sollte vor allem ins Ausland versandt werden. Dass das behandelte Gebiet nicht etwa einen politischen Anspruch bedeuten soll, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. K. Hauke.

 

 

Unsere alte gute Frau Pastor.

Also unsere gute alte Frau Pastor fuhr am Silvester-Heiligenabend im Pfarrhausschlitten bei zwanzig Grad Kälte von Wirmischken, wo sie Einkäufe gemacht hatte, hart an der russischen Grenze entlang zurück nach dem Pfarrhaus in Schirmonken. Es waren noch allerschönste Friedenszeiten, der Schnee lag hoch, die Sterne flimmerten, der Schlitten war klein, die Pferde dampften, und unsere gute alte Frau Pastor saß in dem Offizierspelz, der bereits die Freiheitskriege mitgemacht hatte und seit hundert Jahren nach irgendeiner scharfen Medizin roch, saß dick und würdig, bis über den Kopf vermummt in der Muschel des Schlittens und hielt unter dem Pelz ihre vielen Pakete und Paketchen verwahrt, wie eine Henne ihre Küchlein- drei Pfund Zucker, ein Dutzend Pfannkuchen, zwei Stück Mandelseife, eine Tüte voll Korinthen und Zitronat, ein halb Stück Butter, ein Mandelchen Eier, und für den Pastor ein Kistchen Zigarren. Hinten, dampfend im Schafspelz, saß der alte Friedrich und ließ die Pferde laufen, wie sie wollten. Denn die Pferde kannten den Weg.

 

Und nun geschah es, kurz vor dem ersten Haus in Schirmonken, dass der alte Friedrich zuerst dreimal „Madamchen“ rief, dass darauf sofort der Schlitten umkippte und unsere gute alte Frau Pastor auf der blanken Chaussee lag, noch dazu in einem Haufen von Pferdeäpfeln und rings herum ihre Pakete und Paketchen. Da lag sie nun, und kein Mensch wird unserer guten alten Frau Pastor verdenken, dass sie sehr ungehalten war.

 

Nun, die Sache war nicht so schlimm: Unsere gute alte Frau Pastor hatte keinen Schaden genommen, die Pferde standen gleich wieder auf, und auch die Pakete und Paketchen waren unversehrt geblieben, bis auf das Mandelchen Eier, das in den Offizierspelz gelaufen war. Der alte Friedrich leuchtete mit der Laterne, die Sterne flimmerten, unsere gute alte Frau Pastor sagte dreimal „Duschak“ und sonst nichts weiter, sammelte die verstreuten Pfannkuchen zusammen, drückte das halb Stück Butter zurecht, überzählte alles, stieg wieder in den Schlitten und war nach ein paar Minuten im Pfarrhaus. Aber als unsere gute alte Frau Pastor ihre Einkäufe auspackte und nochmals überzählte, gab es eine Überraschung: Denn auf einmal waren in der Tüte mit den Pfannkuchen nicht zwölf Pfannkuchen, sondern dreizehn.

 

„Na, und den dreizehnten hättet Ihr bloß sehen sollen“, sagte unsere gute alte Frau Pastor, wenn sie diese Geschichte erzählte. Carl Bulcke.

 

 

Seite 13   Der Maler Karl Hübner Zum 75. Todestage am 5. Dezember 1954. Von Paul Wittko.

Der Ostpreuße Karl Hübner aus Königsberg, geboren 1814, war freigeistiger Protestant. Er war der typische Maler der politischen Vormärz-Stimmung. In Heines Gedicht von den schlesischen „Webern“ hatte das Sozialrevolutionäre der Epoche wiedergeklungen. Im Jahre darauf zeigte Hübner in Düsseldorf sein Erstlings-Gemälde, das den Notstand der schlesischen Weber in ergreifender Form behandelt. Man sieht, wie später in Gerhart Hauptmanns berühmtem „Weber“-Drama, das Kontor einer Leinwandfabrik, in dem Arbeiten abgeliefert, mit äußerster Härte geprüft, zurückgewiesen oder schlecht bezahlt werden. Die Gegensätze von satter Wohlhabenheit und dürftiger Armut vereinigen sich zu einem wirksamen Tendenzbilde. Es wurde vervielfältigt und Hübner in weiten Volkskreisen hoch gepriesen. Des Künstlers soziale Einstellung sowie der errungene Erfolg veranlassten sein Weiterschreiten in der eingeschlagenen Richtung. Doch etwas Versöhnendes lag in seinem zweiten Bilde, auf dem ein Mädchen einer verkommenden Weberfamilie Brot und Feuerung in die Hütte bringt. „Das Jagdgericht“, auf dem ein Bauer in Verteidigung seines Feldes gegen ein Wildschwein von der Kugel eines Försters getroffen wird, ist aber wieder ein heftiger Aufschrei gegen die Gerichtsbarkeit. Es folgten in den nächsten Jahren „Die Auswanderer"“ (Museum Oslo), „Die Pfenndung“ (Museum in Königsberg), „Die kleinen Holzdiebe“, „Der Wucherer“ u. a. m., Werke, in denen Hübner fortfuhr, über die Nöte der Armen und den Kampf um die Menschenrechte zu predigen. Zum ersten Male hatte ein Maler zu den breiten Volksmassen im Sinne des sozialen Sessianismus gesprochen.

 

Hübner hatte seinen ersten künstlerischen Unterricht von Professor J. Wolf in Königsberg erhalten, war dann ein Schüler Schadows und Karl Sohns in Düsseldorf geworden und hat dort sein ganzes Leben zugebracht, war nur einmal bald nach dem siebziger Kriege nach Amerika gereist.

 

Seine „Sünderin an der Kirchtür“ erwarb die Berliner Nationalgalerie.

 

 

Seite 13   Berufung für Wilhelm Matull.

Wilhelm Matull, Kunstkritiker und Schriftsteller aus Königsberg/Pr., wurde zum Leiter der Landeszentrale für Heimatdienst innerhalb der Niedersächsischen Staatskanzlei berufen. In den letzten Jahren stand er an der Spitze der Volksschulbewegung in Niedersachsen und machte sich um die Förderung des ostdeutschen Gedankens unter den Hörern der Volksschulen sehr verdient. Kürzlich erschien aus Matulls Feder ein Buch der Erinnerung an Königsberg.

 

 

 

Seite 14   Unsere Buchbesprechung

Brandenburg – Preußen.

Erich Hassinger. Brandenburg-Preußen, Russland und Schweden 1700 - 1713. Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München, Band II. München, Isar-Verlag, 1953. Gr. 4 . 319 S.

 

Nachdem infolge des Verlorengehens des 2. Weltkrieges die Osteuropa-Institute der Universitäten Breslau und Königsberg für die deutsche Forschung ausgefallen sind, ist es sehr zu begrüßen, dass u. a. das Osteuropa-Institut München in die Bresche getreten ist und bereits 4 umfangreiche Bände einschlägiger Forschungen herausbringen konnte. Die vorliegende, als Habilitationsschrift bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg gedruckte Darstellung stützt sich vornehmlich auf die reichhaltigen Bestände des ehemaligen Preußischen Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem, die für diesen Themenkreis bei weitem noch nicht so intensiv ausgeschöpft waren, wie die Dresdner und Stockholmer; aber auch sonstiges reiches, bereits veröffentlichtes Quellenmaterial und eine Unzahl gedruckter historischer Darstellungen sind mit verarbeitet, während die praktische Unzulänglichkeit der Moskauer Archive, aus denen zur Geschichte Peters des Großen nur für Teile des hier behandelten Zeitraumes neuere russische Quellenpublikationen vorliegen, einen besonders fühlbaren Mangel bedeutet.

 

Leider treten in den bisherigen Forschungen von schwedischer und polnischer Seite einige wesentliche Momente, vor allem die Verzahnung der Geschehnisse in Nordost- und Westeuropa, nicht so deutlich in Erscheinung, wie es zum tieferen Verständnis der gesamteuropäischen Geschichte dieses Zeitraumes erforderlich ist.

 

Die Untersuchung des Verfassers reicht zeitlich vom diplomatischen Vorspiel des Nordischen Krieges bis zu dem Augenblick, als die nach NO gerichteten Sicherheitsbestrebungen Preußens gegenüber den auf den Erwerb Vorpommerns gerichteten Absichten in den Hintergrund zu treten begannen. Diese Wendung der vorhergehenden Interessenrichtung fällt mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. (1713) zusammen, die eine Zusammenarbeit mit dem Zaren ermöglichte, wodurch Preußen erhöhte diplomatische und militärische Bewegungsfreiheit erhielt.

 

Auf Einzelheiten der klaren, in 10 Kapitel aufgeteilten Darstellung der wechselnden Beziehungen Brandenburg-Preußens zu Polen, Sachsen, Schweden, Russland kann in dieser Besprechung natürlich nicht eingegangen werden. Doch sei erwähnt, dass der Danziger Frage des Jahres 1704 ein besonderes Kapitel (Nr. V) gewidmet ist. Karl Andrée

 

 

Seite 14   Suchanzeigen

Wer kann Auskunft geben über meine Eltern: Gustav Geschwandtner oder Geschwandter, geb. 1882. und Anna Geschwandtner oder Geschwandter, geb. 1878, aus Zohpen, Kreis Wehlau? Vater wurde im Mai 1945 von den Russen aus der Wohnung geholt. Mutter soll außer in Zohpen auch in Neu-Lindenau gewesen sein und ist im November 1947 mit anderen Frauen nach Litauen gefahren. Auskunft erbittet Paul Geschwandter, (14b) Herlazhofen über Leutkirch/Allgäu.

 

Wer kann bezeugen, dass ich als Marine-Bauinspektor in Memel, Königsberg und Pillau tätig war? Meine letzte Anschrift war Memel, Grabenstr. 5 b. Klumbies, dann Bertuleitstr. 10 v. I. rechts. Meine sämtlichen Papiere sind mir durch Plünderung und Ermordung meiner Frau, die noch Unterlagen bei sich trug, restlos abhandengekommen. Da ich die Bestätigung meiner Tätigkeit dringend für meine Rentensache benötige, bitte ich um Zeugen für meine Beschäftigung. Wer kennt Oberleutnant Heinz Haase, aus Gumbinnen? Nachr. erbeten an Bernhard Wendicke, 13b Reit im Winkl/Obb

 

Königsberger. Wer kann mir Auskunft geben über das Schicksal meines Vaters Hermann Schönke, beschäftigt bei K. W. S., und das meiner Mutter Antonie Schönke, geb. Altrock? Wohnhaft i. Ratshof, Kapornerstraße 21 a. Mutter schrieb im Dezember 1945 noch eine Karte aus Königsberg, Speichersdorfer Straße, nach Bremen, die ich erhielt. Auch über Anhaltspunkte wäre ich sehr dankbar. Um Nachricht bittet: Herbert Schönke, (13b) München/12, Bergmannstraße 42 I.

 

Brigitte Jablonski, geboren 01.02.1926, aus Allenstein, Tannenbergstr. 2, wurde auf der Flucht Ende Januar 1945 wegen ihrer Lungenkrankheit in Königsberg von einer Schwester in die Universitätsklinik eingeliefert. Welche Schwester hat diese Hilfsdienste geleistet? Um Nachricht bittet für den Vater, der noch in Ostpreußen ist, Franziska Neumann, Paderborn, Winfriedstraße 53.

 

Martha Pelz, geb. Pörner, geb. ca. 1900, Königsberg/Pr., Lucia Pelz, geb. ca. 1916, Adr. wie oben, Charlotte Göbel. geb. ca. 1900, Königsberg/Pr.. Neue Dammgasse 30, Konfitürengeschäft, Fritz Ragnit, geb. ca. 1888, Landwirt, Gauleden bei Gr.-Lindenau, Kr., und Frau Ragnit, wohnhaft wie oben, werden gesucht von Elisabeth Branies, Hamburg-Altona. Düppelstraße 24.

 

Stalingradkämpfer! Wer kennt Heinrich Bebba, geb. 05.06.1922 in Jankowen, Kreis Ortelsburg, Ostpreußen. Ausgebildet in Zinten (Ostpreußen) bei der Artillerie, Abtl. 37. Bei Stalingrad erkrankt an Gelbsucht. Letzte Nachricht vom 24.12.1942. Nachricht erbittet: Adam Hartwich. Herten i. W., Augustastraße 38.

 

Wer kann Auskunft geben über das Schicksal meiner Frau Paula Anhut, geb. Huhn, geb. 08.04.1913 in Bürgerwalde (Ostpreußen). Wohnort: Mawern, Kreis Heilsberg. Verschleppt Februar 1945. Auch die kleinsten Angaben nimmt dankend entgegen Eduard Anhut, (22a) Werze, Kr. Geldern (Niederrhein).

 

Gesucht wird Töpfermeister Ernst Friese, aus Königsberg, Hindenburgstraße 61 – 63. Der Genannte wird in einer dringenden Rentensache dringend benötigt. Nachricht an August Falk, Sasbach am Kaiserstuhl, Hauptstraße 12, Süd-Baden.

 

Gesucht wird Paul Jankowski, geb. 15.01.1926 in Königsberg/Pr. Letzte Feldpostnummer 66 828 D. Letzte Nachricht vom 13.01.1945 Arys/Ostpreußen. Nachr. erbeten an Elsa Schneider, geb. Jankowski, Loppersum, Kr. Norden (Ostfriesland).

 

In einer dringenden Versorgungssache werden gesucht: 1. Arthur Waschke, Alter ca. 45 - 50 Jahre, kaufm. Angestellter, geboren in Königsberg in Ostpreußen; 2. Franz Grigoleit. Alter ca. 50 - 60 Jahre, Landwirt, beide aus Ostpreußen stammend. Vorgenannte lagen im Jahre 1947 vom Juni bis August im russischen Kriegsgefangenen-Hospital Swerdlowska 256/5927 (Donezgeb.). Weitere Kameraden, die sich ebenfalls in der angegebenen Zeit im Hospital Swerdlowka befanden, werden um Mitteilung gebeten an: Walter Künsebeck, (21a) Bielefeld, Virchowstraße Nr. 7.

 

Gesucht werden: Kurt Schultz, Malermeister, geb. in Zoppot 13.11.1881? Johanna Schultz, geb. 08.01.1885, geborene Lux, Wohnung in Königsberg. Unterhaberberg 62, bis Dezember 1944. Beide sind dann mit ihrer Tochter und deren zwei Kindern geflüchtet. Charlotte Ringwitz, geb. 05.08.1914 in Königsberg (geschieden von Heinz Ringwitz) und die Kinder Marianne Ringwitz, geb. 14.03.1939 und Hans Ringwitz, geb. 25.10.1942? Charlotte Ringwitz war med.-techn. Assistentin beim Gesundheitsamt. Nachricht erbeten an Thea Wolf. Berlin-Friedenau, Hähnelstraße 19.

 

Russlandheimkehrer und Rumänienkämpfer! Wer kann Auskunft geben über den Verbleib meines Bruders Johann Mrotzek (Oberfeldwebel), geb. 28.03.1902 in Gordeyken, Kreis Treuburg (Ostpreußen). Vor Ausbruch des Krieges 1939 wohnhaft gewesen in Königsberg/Pr., Koggenstr., Nr. unbekannt, letzter Truppenteil und Feldp.-Nr. unbekannt. Neue 6. Armee. Rückzug vom Brückenkopf Nikopol nach Rumänien. Im August 1944 in Rumänien verschollen. Kameraden, die über sein Schicksal Nachricht geben können, bitte ich, sich zu melden. Unkosten werden erstattet. Franz Mrotzek, Soest (Westf.). Kölner Ring 67.

 

Wer kennt und kann nähere Auskunft geben über Ernst Westphal, aus Tilsit (Holzhandlung) sowie über den früheren Apotheker Bruno Grahm, aus Cranz und Frau Gertrud sowie über Frau Anna Thiel und Söhnen Herbert und Bruno Strugies, aus Königsberg. Pobether Weg 9.

 

Suche Horst Krause, geb. 01.10.1927, aus Schönwalde über Zinten. Horst soll März 1946 in der Rothensteiner Inf.-Kas. und April 1946 in der Tannenberg-Kaserne, Devau Soldat gewesen sein. Wer war sein Kamerad/Ausbilder, wer kann mir die Feldp.-Nr. angeben? Unkosten werden erstattet. Max Krause, Ellhöft bei Süderlügum.

 

Gesucht wird Herr Jäger, Subdirektor bei der Ostdeutschen Spedition in Königsberg, Sattlergasse. Jäger war Invalide und trug eine Holzprothese. Wer kennt seine Anschrift und kann mir Auskunft geben? Nachricht erbeten an Gerhard Pannenberg, Bunde/ Ostfriesland (Generalagentur der Iduna-Germania).

 

Wer kann Auskunft geben über meinen Sohn, San.-Obgefr. Otto Rieß, Feldp.-Nr. 19184 A, geb. 10.09.1919 in Brandenburg am Frischen Haff (Ostpreußen), Kreis Heiligenbeil. Letzte Nachricht vom 16.03.1945 aus dem Oderbruch. War da im Lazarett beschäftigt. Nachricht erbeten an Frau Marie Rieß, Ellhöft. Post Süderlügum, Kreis Südtondern.

 

Welcher Heimkehrer weiß etwas über den Stabgefreiten Hans Günther, Feldpostnummer 25 749, Panzerkorps 14. Seit Stalingrad vermisst. Von Beruf Fleischer, früher Königsberg, Samlandweg 31. Nachricht erbeten an Hugo Günther, Braubach / Rhein, Sonnengasse 1.

 

Suche meine Schwester Elisabeth Behrend. geb. Leipenat, geb. 30.01.1909 in Königsberg, zuletzt wohnhaft in Königsberg. Letzte Nachricht kam von ihr 1948 aus einem Vorort von Königsberg. Vermutlich soll sie nachher nach Mecklenburg gekommen sein. Wer kennt sie oder kann über ihr Schicksal etwas berichten? Nachricht erbeten an Frau Charlotte Canditty chez A. Carrelet, Arches-Vosges/Frankreich.

 

 

Seite 15   Familienanzeigen

Herbert Budinski, Amtsgerichtsrat, Königsberg Pr., Philosophendamm 6 und Dr. Gerda Budinski-Bauer, geb. Heu. Vermählte. Düsseldorf, von-Gahlen-Straße 8

 

Fern ihrer geliebten ostpreußischen Heimat entschlief am 16. November 1954 sanft und unerwartet im 84. Jahre ihres an Arbeit und treusorgender Liebe reichen Lebens unsere herzensgute, liebe Schwiegermutter, Großmutter, Urgroßmutter und Tante Else Oesterreich geb. Schroen.

Herbert Kleine, Ministerialrat a.D., Hannover. Jürgen Kleine, Buenos Aires. Barbara Kleine geb. Görg. Dr. Hubertus Kleine, Zahnarzt, Bad Godesberg. Eleonore Kleine geb. Walther. Rüdiger Kleine, Ingenieur, Mülheim/Ruhr. Adalbert Kleine, Kaufmann, Duisburg. Friedrich Brilling, Düsseldorf. Erna Brilling geb. Klatt. 2 Urenkelkinder. Hannover-Kleefeld, Senator-Bauer-Straße 29.

Die Beisetzung hat am Montag, dem 22. November 1954, auf dem Seelhorster Friedhof stattgefunden.

 

Fern ihrer geliebten ostpreußischen Heimat, immer sich nach ihr sehnend, ging heute, 2.45 Uhr, nach langer, schwerer Krankheit, im Alter von fast 84 Jahren, meine liebe Frau, meine treusorgende, liebe Mutter, unsere liebe Großmutter, Schwester, Tante und Schwägerin Frau Emma Hardt, geb. Saborowski, Inhaberin des Verdienstkreuzes des 1. Weltkrieges, in ihre himmlische Heimat ein. In stiller Trauer: Walther Hardt. Hildegard Pieper, geb. Hardt. Als Enkel: Eberhard. Bernd-Volker.

Lübbecke / Westf., den 15. November 1954. Andreasstraße 30. Früher: Kreuzburg, Königsberg, Heiligenbeil, Preußisch-Eylau

 

Am 30. November jährte sich zum 13. Mal der Todestag meines lieben Sohnes und Bruders Heinz Herrmann (Obergefreiter) geboren 24. April 1920, gefallen 30. November 1941. Er ging seinen Brüdern Alfred Herrmann (Hauptmann) geboren 22. August 1917, gefallen 23. Juli 1944 und Siegfried Herrmann (Obergefreiter), geboren 30 August 1922, gefallen 18. August 1944 voran. Mein Mann, Emil Herrmann, geboren 11. April 1889, war in Königsberg-Ponarth beim Volkssturm eingesetzt. Seine letzte Nachricht stammte vom Februar 1945. Wer war mit ihm zusammen und kann über seinen Verbleib Auskunft geben? Anna Herrmann geb. Krantz, als Mutter. Martin Herrmann und Arno Herrmann, als Brüder. Früher: Königsberg Pr., Schreberastraße 13. Jetzt: Peine/Hann., Bahnhofstraße 25

 

Wir betrauern tief das Ableben unseres lieben Corpsbruders Zahnarzt Dr. med. dent. Herbert Riege, aktiv SS 1919, gestorben am 29. Oktober 1954 in Lübeck. Der Altherrenverein des Corps Masovia. Das Corps der Palaiomarchia-Masovia, Kiel.

 

 

Seite 16   Zwei verdienstvolle Ostpreußen. Mit Fotos.

Oberstudiendirektor Prof. Dr. Bruno Schumacher, der von Ostern 1922 bis Ostern 1934 das Staatliche Gymnasium zu Marienwerder leitete und dann als Oberstudiendirektor des Friedrichskollegiums nach Königsberg berufen wurde, wo er 1937 zum Honorarprofessor an der Albertus-Universität ernannt wurde, feierte am 2. Dezember 1954 seinen 75. Geburtstag.

 

Gartenbaudirektor Ernst Schneider, dem Königsberg seine einzigartigen Grünanlagen verdankte, beging am 3. Dezember 1954 seinen 80. Geburtstag

 

 

Seite 16   Das Kirchdorf Mühlhausen. Von Pfarrer Georg Nietzki.

Im schönsten Wald und Wiesengrunde, vom fischreichen Beisleidflüsschen mit seinen Schleusen und Mühlenwehren durchflossen liegt im Kreis Pr. Eylau das alte Kirchdorf aus der Ordenszeit, Mühlhausen. Eine Siedlung der Ritter aus dem 13. Jahrhundert. Die alten Kirchenchroniken datierten vom Burg- und Kirchenbau des Jahre 1250. Im dortigen idyllisch von Linden, Jasmin und Flieder umgebenen Pfarrhause, erblickte ich vor 60 Jahren das Licht der Welt. Gegenüber dem Pfarrhause und dem Pfarrhofe stand die uralte Kirche, umgeben von alten Linden, umfriedet von einer Kirchhofsmauer, die an die benachbarte Schule grenzte. Uralte Linden umhegten den Friedhof, über die der Schlag der Kirchturmuhr dem Dorfe die Zeit verkündete.

 

Ein 33 Meter hoher Turm, mit 16 Dachtürmchen gekrönt, mit einer großen eisernen Kugel mit Wetterhahn, ein Zeuge aus längst vergangenen Tagen, schaute er weit in die Wiesen und Waldgegend. Im eichenen Glockenstuhl hingen drei Glocken, von denen die kleinste abends jeden Sonnenuntergang einläutete.

 

Das Innere der Kirche war mit Bildern und Epitaphien reich geschmückt, besonders die Bänke der Patronatsstände und Kirchenvorstandsstände, die Eporen an der Nord- und Westseite, mit allerlei Wappen.

 

An der Westseite hinter der Orgel in Fresko das Jüngste Gericht. An der Ostseite der unendlich schöne, reich vergoldete Altar mit Abendmahl- und Kreuzigungsgruppe und Lamm Gottes in Gold, gestiftet von Herrn von Kalkstein. Unmittelbar neben dem Altar rechts die stark vergoldete Taufkammer; links: der alte vergoldete Reichsstuhl. Vor der Taufkammer nach Westen hin die Kanzel, reich geschmückt, getragen von einem großen Engel. Neben der Kanzel an der Südwand eine selten schöne Kopie von Lucas Kranach, den großen Reformator darstellend. Seine Tochter Margarete hatte in dieser Kirche vor dem Altar im Schoße ihrer Familie ihre letzte Ruhestätte gefunden. Dieses Bild war ihr Geschenk an ihr geliebtes Gotteshaus.

 

In jungen Jahren hatte sie ihren Gatten als Student in Wittenberg kennen und lieben gelernt und war dann seine Frau und Gutsherrin im schönen Knauten, dem Patronatsgut, geworden. Dort führten dann die beiden im Schoße ihrer Kinder ein glückliches Familienleben, das leider durch den frühen Tod der Gattin ein jähes Ende erfuhr. Vor der Kirche rechts und links an dem großen Eingangsportal, hatte sie junge Linden gepflanzt, nun standen sie groß und wuchtig, in ihrem Schatten spielte auf dem Schulplatz die Dorfjugend.

 

An den Nord- und Südwänden im Innern der Kirche hingen zahlreiche alte Ritterrüstungen und vergilbte Fahnen alter Geschlechter. Schnell waren die Jahre dahingegangen. Generationen waren gekommen und gegangen, waren getauft und konfirmiert worden, und hatten in frohen und schweren Tagen Kraft und Trost aus Gotteswort gehört, und waren dann auf dem Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Im Jahre 1906 war die Kirche grundlegend erneuert worden und mit einer modernen Heizung versehen. Im Sommer 1906 wurde das alt ehrwürdige Gotteshaus in einem feierlichen Gottesdienste von hohen staatlichen Würdenträgern der Gemeinde feierlich übergeben und ist seit dem eine Zierde unter den ostpreußischen Gotteshäusern gewesen.

 

Mühlhausen lag idyllisch schön von großen Wäldern rings umkränzt. Kam man von Schrombehnen, fuhr man an dem Gut Schultitten vorüber, und war nach 3 km Chausseefahrt im Dorf.

 

Rechts und links überall riesige Waldungen mit viel Wild. Dazwischen schlängelte sich die Beisleid, von schilfigen Ufern eingerahmt. Vor Mühlhausen wurde das Mühlenfließ von dem angestauten Fluss abgesondert und bis zur Wassermühle geleitet. Dort wurde durch das herabfließende Wasser ein großes Mühlenrad getrieben. Diese Mühle mag in alter Zeit dem Dorfe den Namen gegeben haben. Der Hauptarm des Flusses ging zu einem großen Stauwehr, das die Wassermassen durch eine Schützeneinrichtung regelte und es im Wasserfall in einen 20 Meter tiefen Teich herunterfallen ließ.

 

Über eine Brücke ging der Landweg an dem alten Richtstein vorbei, zu dem Romitter-Schloss, das Herrn von Kalkstein gehörte. Rechts von Romitten lag 2 km entfernt das Gut Knauten, das Herrn von Boddein gehörte. Er war ein Patron der Kirche.

 

In dem angrenzenden Forst, der ungemein wildreich war, und über Pr. Eylau bis Bartenstein führte, wurden des Öfteren im Winter größere Treibjagden gehalten, die sehr ergiebig waren und ganze Wagenladungen mit Wild lieferten; Hasen, Fasanen, Damwild und Wildschweine. Ein herrliches Stückchen Erde ist diese ganze Gegend. Ein Eldorado für Jäger und Angler. Oft gingen wir mit unseren Gästen an herrlichen Sommertagen mit Angelgerät zum nahen Zigeunergeschlunge oder setzten uns mit einem Ruderboot im hellen Sonnenschein an fischreichen Buchten fest, wo der Angelsport richtig Spaß machte und Rotfloß und Barsch anbiss. Wie gern fuhren, wir auf diesem Flüsschen nach Knauten zu, lagen stundenlang im Sonnenschein in fischreichen Buchten, und kamen frisch und froh mit reicher Beute heim.

 

Im Frühjahr begann das große Karpfen fischen in den zahlreichen Gutsteichen mit riesigen Ergebnissen. Fische bis zu 30 Pfund! Sobald im Winter das Eis hielt, und die großen Wiesen wie ein glatter Spiegel vor uns lagen, begann der Schlittschuhlauf mit Schlitten und „Hektor“, dem prächtigen Bernhardiner, der mit unheimlicher Kraft im sausenden Tempo uns über das Eis zog. Vorbei ging es an Schilf und Gesträuch, an den Höhlen der Fischotter vorbei, in die Knauter Wälder und den herrlichen Park. Oft gab es einen wilden Seitensprung, wenn ein Hase unseren Weg querte, so dass die Seile rissen und Hektor davonraste.

 

Am Mühlenberg links vor dem neuen Friedhof war ein Dorfrodelplatz, wo die ganze Jugend diesem fröhlichen und gesunden Sport huldigte. Wie lachte jedes Mal die dicke Müllerin, wenn ganze Schlittenreihen plötzlich umkippten und sich alles im Schnee wälzte. —

 

Alle diese Erinnerungen stehen mir lebendig vor Augen, und leben, in lieben Gedächtnis in mir fort, als das Paradies meiner Jugendzeit. Auf dem Mühlenberg hatte einst 100 Jahren die deutsche Artillerie gestanden, die nach der unentschiedenen Schlacht bei Pr.Eylau den Rückzug der Russen und Preußen nach Königsberg deckte. Die Eisenkugeln fanden wir noch an den alten Pfählen im Fluss, große Erinnerungen an ruhmreiche Kämpfe in uns weckend.

 

 

 

To Sylvester. Von Wanda Wendlandt.

Na, nu ös et boold so wied —

man bloß noch e korte Tied

dat wi oppe Seegersch kicke

wi de Zeigersch vorwärts ricke,

bet wi segge: Prost Nijohr!

Prostke! schiet oppt ohle Johr!

 

Veel möt Wönsche on Verlange

ward dat nie Johr anjefange,

öck murschel nich so wiedlöftig,

hebb bloß eenem eenzje Bedd:

dat de nie Johr fünfonföfftig

nuscht to wönsche äwrig lett!

 

Prost Nijohr! — Prost Nijohr!

Schiet oppe ohle Johr!!

 

 

Seite 16   Christnacht in Ostpreußen. Eine Erinnerung aus der Kindheit von H. Kwella.

Die Bescherung war vorbei. — Ich trat aus der Haustür und blickte mich um. Überall an den Gartentoren standen Menschen in ländlicher Tracht, zum Kirchgang bereit, Bauern und Bäuerinnen und wohl auch Leute aus der Stadt, die gekommen waren, in der fast vergessenen Heimat ihrer Kindertage das Christfest zu feiern.

 

Ich ging ins Haus und fragte, wann wir gehen wollten. Es wäre doch langsam an der Zeit. —

 

Endlich war es soweit. Während die Glocken läuteten, strömten von allen Seiten Menschen herbei und wünschten sich gegenseitig ein gesegnetes Fest. Immer mehr Leute kamen aus der schützenden Wärme ihres Hauses in die weiße Nacht hinaus und schlossen sich den anderen an. Unter dem traulichen Schein des Mondes gingen sie dahin, ein langer, stiller, fast gespenstisch wirkender Zug, der kein Ende zu nehmen schien. Nebenher glitten die Schatten. Langsam verschwand die lange Reihe in der schönen Dorfkirche.

 

„ ... mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht...“, sang die Gemeinde, und ich fand, es müsse eine Nacht wie diese gewesen sein, sternenklar und kalt. Ich hörte nicht, was der Herr Pfarrer sagte. Ich begann zu träumen. Oder war es Wirklichkeit? Das Kerzenflackern an dem großen Christbaum — denn es war sonst kein Licht in der Kirche — hüllte alles in ein geheimnisvolles Dämmerlicht, der Duft von frischem Tannengrün und Weihrauch betäubte mich fast. Ich sah die Krippe am Altar — und bemerkte, wie die Figuren sich bewegten. Und es wunderte mich nicht; denn es war ja die Heilige Nacht. Maria lächelte und liebkoste die Tiere, die ganz nahe zu dem Kind in der Krippe kamen.

 

Joseph nickte schüchtern zu der armseligen Krippe hin; es schien mir, als getraue er sich nicht, das zarte Wesen darin mit seinen großen Händen zu berühren, aber da richtete sich das Kindlein auf, lachte und streckte den beiden, Maria und Joseph, seine rosigen Ärmchen entgegen. Zärtlich küsste die junge Mutter ihr Kind, und ein Engel, der sie umschwebte, entlockte seiner Harfe eine wundersame, süße Melodie, die seltsam zu Herzen drang. Ich wagte kaum zu atmen. Und nun geschah etwas Unglaubliches: das Jesuskind winkte mir zu, mir! Ein holdes Lächeln lag auf seinem Gesichtchen, und es war mir, als riefe mich der kleine Mund. Und ganz im Banne dieses Lächelns tat ich mit gefalteten Händen ein paar Schritte. Vor der Krippe wollte ich niederknien und beten mit den Hirten ...

 

Da riss mich eine große, derbe Hand wieder auf meinen Platz zurück und zerstörte meine selige Freude. Es war dies nicht die Hand des Joseph an der Krippe, unser Nachbar war es, der mich mit rauhem Griff wieder in die Wirklichkeit zurückführte. Nun sah ich nicht mehr die Menschen Maria und Joseph mit ihrem Kinde, sondern nur die geschnitzten Puppen mit dem steifen und ein wenig dummen, angefrorenen Lächeln, gerade so, wie es die anderen auch sahen.

 

Ich verstand nicht, wovon der Herr Pfarrer sprach, ich war ja noch klein, so klein. Und er machte heute solch ein feierliches Gesicht, das gehörte wohl mit zum Weihnachtsfest. Die Gestalten der Krippe aber wurden nicht wieder lebendig, sie blieben, wie sie vorher warenleblos und starr.

 

„Und Maria hörte alle diese Worte und verwahrte sie tief in ihrem Herzen . . .“ tönte es von der Kanzel herab. Und nun ging mir ein Licht auf, nein, gleich ein ganzer Weihnachtsbaum voller schöner weißer Kerzen, und ich wusste, dass auch ich eine Botschaft des Himmels empfangen hatte, eine Botschaft des Christkindes an mich.

 

Am nächsten Abend sagte ich dann noch einmal mit feierlichem Ernst mein Gedichtchen auf: „Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen . . . !“ Niemand wusste um mein Geheimnis, das tief, tief verborgen in meiner Brust ruhte. —

 

Jedes Jahr, wenn ich zur Weihnachtszeit durch den geheimnisvoll knirschenden Schnee stapfe, und in den Zimmern brennen die Kerzen am Adventskranz, von irgendwoher tönt Kindersingen, und ein Geruch — so nach Bratäpfeln und Pfefferkuchen — liegt in der Luft, dann denke ich an ein Weihnachtsfest, fern von allem Trubel, aus einer Zeit, da es noch keinen Weihnachtsmann im Hubschrauber gab, an ein Weihnachtsfest, das für immer hinter mir liegt und dessen Zauber nie wiederkehren wird; wenn ich die Bäume im Park sehe, die Häuser und die alte Pumpe an der Ecke, die unter den Mützchen aus Schnee so liebe Gesichter haben, dann wird eine wehmütige Erinnerung in mir wach: Christnacht in Ostpreußen!

 

 

De Suprindent önne Sandkuhl (Eine wahre Begebenheit). Von Dr. Hans Friese

In Ilau läwt e Suprindent,

Wo jeder Mönsch bie'm Noame kännt;

Wenn de om Soamer Ferje kräg

So veer- ok menchmoal noch mehr Wäk,

Denn fohr hei möt de Iserboahn

Böt an de Schweizer Alpe ran.

Doa klattert hei denn op on doal

On kullert runner ok menchsmoal.

Wer dat nich kännt, dem ös dat schwoar,

Drom, eh de Suprindent hönfoahr,

Doa säd hei söck: „Erst mit Vergnügen

Werden die Berge wohl bestiegen.

Wenn man die nöt'ge Übung hat;

Die kriegt man nicht hier in der Stadt.

Drum in der Sandgrube dort drüben

Will ich im Bergsteigen mich üben“.

On ön de Sandkuhl väle Moal

Doa klättert hei nu op on doal. —

Een Buer, de kömmt deichter ran

On kickd söck sacht dat Renne an

On schlackert hen und her dem Kopp

Wie nu de Suprindent horcht opp,

Doa kömmt hei to dem Bure ran

On säggt to em: „Mein lieber Mann,

Sie sahen mir ja eben zu —

Was dachten Sie wohl, was ich tu?“

Der Buer säggt ohn veel Schenäre:

„Hadd‘ öck nöch gewußt, wie öck Enne kickd‘.

Dat Sei de Suprindeatke wäre –

Öck hadd‘ gedocht, Sei sönn verrickt“.

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