Ostpreußen-Warte, Folge 11 vom November 1957

Ostpreußen-Warte

Folge 11 vom November 1957

 

Seite 1   Drei Fotos.

So sieht es heute in der Heimat aus.

Das ist das ehemalige Tannenberg-Ehrenmal (oben). Das Denkmal ist völlig zerstört, die Parkanlagen sind Weideland geworden. Vom Stadtkern Guttstadts ist lediglich der Giebel der mittelalterlichen katholischen Pfarrkirche erhalten geblieben (Mitte). Auch das Zentrum von Osterode (unten) ist im Wesentlichen zerstört. Nur die Ruine der evangelischen Kirche ragt trostlos in den Himmel. (Die Aufnahmen entstammen dem soeben erschienenen Reisetagebuch 1957 des Wiener Schriftstellers Charles Wassermann mit dem Titel „Unter polnischer Verwaltung“, das wir auf Seite 12 eingehend besprechen.)

 

Seite 1   Wiedervereinigung durch Gesamtdeutschen Rat. Stellungnahme zu dem Vorschlag des Hamburger Senators Plate

Die „Frankfurter Allgemeine" berichtete vor kurzem aus Bonn, dass man in Kreisen der Bundesregierung das Verhältnis zum Westen als geordnet betrachte und nun daran gehen wolle, die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten „auf eine vertrauensvollere Grundlage als bisher" zu stellen.

 

Es will scheinen, als ob die Bundesregierung den 2. Schritt vor dem 1. tun will und die Frage der Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen in den Hintergrund treten lassen könnte.

 

Da erscheint nun in der „Welt" vom 21. September ein Aufsatz des Hamburgischen Senators Plate mit dem Vorschlag, die Wiedervereinigung über einen „Gesamtdeutschen Rat" zu versuchen.

 

Dieser „Gesamtdeutsche Rat" sollte nach dem Vorbild des Parlamentarischen Rates 1948/1949 gebildet werden, zu dessen Konstitution damals die deutschen Ministerpräsidenten aufgefordert wurden. (Es wurden 65 Abgeordnete aus den Länderparlamenten als ordentliche und 5 Abgeordnete aus Berlin als beratende Mitglieder bestimmt.)

 

Die Sowjetzone sollte aus ihren früheren 5 Ländern Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Abgeordnete entsenden.

 

Aufgabe dieses „Gesamtdeutschen Rates" wäre es, solche Maßnahmen zu empfehlen und zu beschließen, die der schrittweisen Annäherung dienen könnten. Ähnlich wie der Parlamentarische Rat die Entwicklung bis zum Bundestag und Bundesrat vorbereitete, sollte auch der „Gesamtdeutsche Rat" die Entwicklung bis zum Gesamtdeutschen Parlament und Gesamtdeutschen Länderrat vortreiben.

 

Dieser Vorschlag Plates hat in Bonner Kreisen wenig Gegenliebe gefunden, obwohl er sich mit einer Reihe von Vorschlägen im Auswärtigen Amt deckt, so berichtet die Presse. Man wundert sich nur, warum das Gesamtdeutsche Ministerium sich nicht als federrührend gemeldet hat. Es ließe sich denken, dass ein neuer Minister mit ostdeutschen Erfahrungen, etwa wie Lemmer, sich hier aktiv einschalten könnte. Der Vorschlag Plates verdiente umso mehr Beachtung, als er geeignet wäre, sowohl die Bundesregierung und die Westmächte aus ihrer Verkrampfung mit den freien Wahlen zu lösen als auch die Sowjet- und die Sowjetzonenregierung aus ihrer Verkrampfung mit dem Staatenbund oder der Konföderation, auf die Ulbricht im „Spiegel“-Interview immer wieder hingewiesen hat.

 

Es ist auch von Plate der Gedanke mit Recht in den Vordergrund gerückt, dass das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetzonenregierung ein Staats- und kein völkerrechtliches ist, dass daher die Länder auch die Berechtigung haben, diesen Weg zu Gesamtdeutschland zu gehen.

 

Wenn die Westmächte die deutsche Initiative im Memorandum vom 7. September 1956 begrüßt haben, dann dürfte auch von dort aus kein Einspruch zu erwarten sein, zumal man ja auch den Besatzungsmächten die Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands nicht abnehmen kann. Alle ihre bisherigen Versuche sind gescheitert.

 

Wenn allerdings die Länder in der Sowjetzone wieder ins Leben gerufen werden sollen (man lehnt das von sowjetzonaler Seite nicht ab), dann allerdings wünschen die Pommern die Erhaltung eines von Mecklenburg abgetrennten Vorpommerns.

 

Die Pommern haben auch aufmerksam zu machen darauf, dass die Grenze der Sowjetzone heute nicht der Begrenzung von Potsdam 1945 entspricht, weil die Sowjetzone sich erlaubt hat, den Polen noch einen Streifen westlich dieser Linie (westlich von Stettin) in den polnisch-sowjetzonalen Verträgen vom Juni Juli 1950 zu geben. Sie müssen für die Bewohner dieses Grenzstreifens eine Vertretung verlangen und glauben auch, dass die sowjetzonalen Flüchtlinge in der Bundesrepublik zumindest beratende Vertreter wie Berlin erhalten müssten.

 

Die Berufung der Vertreter nach der Einwohnerzahl der Länder ist aufrecht zu erhalten. Ob man aber an Beschlüssen von zweidrittel Mehrheiten festhalten sollte, ließe sich überlegen, selbst wenn eine Einstimmigkeit längere Verhandlungen nach sich ziehen würde.

 

Das „Spiegel“-Interview von Ulbricht mit seinen Friedensforderungen und seiner krampfhaften Abwehr jeder Aussprache über die freien Wahlen — anders wird man das wohl nicht nennen können — lässt allerdings die politischen Gespräche sehr schwierig erscheinen und damit auch die Gespräche über den „Gesamtdeutschen Rat". Aber sollte auch Plate eigentlich nicht den 1. Schritt zur Wiedervereinigung der Westzonen im Frankfurter Wirtschaftsrat übersehen haben? Warum beschreitet man diesen Weg nicht, der doch zum Teil über die Währungsreform 1948 zum wirtschaftlichen Aufschwung geführt hat? Und wenn man dabei die Saarverträge, die Verträge „auf kleiner Fahrt", für den wirtschaftlichen Zusammenschluss, Vertrag „auf großer Fahrt" benutzt, dann dürfte sich an den wirtschaftlichen Spinnfäden über die wirtschaftliche Einheit auch die politische Wiedervereinigung finden lassen.

 

Die Bundesrepublik hat einen Handelsvertrag mit Jugoslawien abgeschlossen, verhandelt mit dem kommunistischen Sowjetrussland über einen Handelsvertrag, erwägt Handelsvertragsverhandlungen mit den anderen kommunistischen Ostblockstaaten. Sollte man nicht den Versuch wagen, nicht einen Handelsvertrag, sondern einen gemeinsamen deutschen Markt zu schaffen, dessen Ausstrahlungen auf die östlichen Nachbarn wohl nicht bedeutungslos wären? Dr. Oskar Eggert

 

Seite 1   „Wiedervereinigung liegt nicht im polnischen Interesse“.

Es wäre für Polen sehr schlecht, wenn die Wiedervereinigung Deutschlands erfolgen würde", schreibt der polnische Publizist Cat-Mackiewicz in einem Kommentar zu Erklärungen, welche der britische Labour-Abgeordnete Bevan anlässlich seines kürzlichen Besuchs in Warschau zur „deutschen Frage“ abgegeben hat. Bevan hatte u. a. geäußert, die Deutschen hatten für die Wiedervereinigung einen Preis zu entrichten, nämlich die Anerkennung der Oder-Neiße-„Grenze". Hierzu schreibt Cat-Mackiewiez, die Wiedervereinigung hege auch bei einer solchen Gegenleistung — der Anerkennung der Oder-Neiße-„Grenze“ — nicht im polnischen Interesse, da sich durch die Wiedervereinigung die tatsächliche Lage in Europa zu Ungunsten Polens verändern würde. Eine „Anerkennung" — das Wort ist im polnischen Text in Anführungsstriche gesetzt — der Oder-Neiße-Linie werde nur „ein Stück Papier erstellen, das höchstens von rechtlicher, theoretischer oder moralischer Bedeutung sein werde; aber „wir Polen sollten wissen welchen Wert ‚Garantien' jeglicher Art haben“. Bevan habe sich in seinen Erklärungen allein der polnischen „aura“ angepasst, „genauer jener „aura“ wie sie in vielen Kreisen Warschaus herrscht, welche weder den Stalinismus noch den amerikanischen Kapitalismus wollen, ja die überhaupt nicht wissen, was sie eigentlich  wollen“.

 

Seite 2   „Traurige Rekorde" in Allenstein

Die „Wojewodschaft" Allenstein weise in verschiedener Hinsicht „traurige Rekorde" im Vergleich „zu anderen Wojewodschaften“ auf, heißt es in einem polnischen Bericht. Hinsichtlich der Säuglingssterblichkeit entfielen auf je 100 Lebendgeburten nicht weniger als zehn Sterbefälle, womit eine Zahl erreicht worden sei, die sonst nur noch die Wojewodschaft Stettin und Bialystock aufwiesen.

 

Des Weiteren liege die „Wojewodschaft" Allenstein auch hinsichtlich der „Zahl der registrierten Verbrechen an führender Stelle" neben der „Wojewodschaft" Köslin. Mit einer Zahl von 184 Verbrechen je 10 000 Einwohnern sei nunmehr auch „die Wojewodschaft Breslau überrundet" worden. Die Kriminalität in der „Wojewodschaft" Allenstein sei nunmehr „dreimal so hoch wie in Warschau oder etwa in der Wojewodschaft Lodz", heißt es in dem polnischen Bericht hierzu.

 

Künftig soll eine 30 km lange neue Eisenbahnlinie die Städte Liebstadt und Mohrungen verbinden, berichtet die polnische Presse. Mit dem Bau der Strecke soll im nächsten Jahr begonnen werden.

 

Eine internationale Studentengruppe, deren Mitglieder aus England, Belgien. Frankreich, der Schweiz, Schweden, den USA und der Bundesrepublik stammen, helfen im Posener Gebiet bei der Einbringung der Ernte.

 

Eine Fernsehumschaltestation soll noch in diesem Jahr in Allenstein errichtet werden.

 

An der Wirtschaftshochschule in Zoppot ist ein internationales Studentenzentrum geschaffen worden, dem unter anderen auch Studenten aus der Bundesrepublik angehören.

 

Umfangreiche Kanalbauten werden zurzeit im Kreise Lötzen durchgeführt, um eine etwa 600 ha große Fläche versumpften Landes zu entwässern.

 

Die Warmisch-Masurische Gesellschaft für Hilfe und Betreuung der bodenständigen Bevölkerung richtet zurzeit in Osterode, Bischofsburg und Ortelsburg Filialen ein.

 

Bei den polnischen Verwaltungsbehörden liegen 40 000 Gesuche „um die Erlaubnis zum vorübergehenden oder gänzlichen Verlassen Polens" vor, berichtet die Warschauer Zeitung „Zycie gospodarcze". In diesem Jahre haben, dem polnischen Bericht zufolge, bereits bisher über 16 000 Personen mit Auslandspässen die Wojewodschaft Breslau verlassen.

 

Ein größeres Bernsteinvorkommen im nördlichen Teil des Kreises Stolp sei entdeckt worden, berichtet eine polnische Zeitung in der pommerschen Stadt Stolp. Mit der Ausbeute soll noch in diesem Jahre begonnen werden.

 

Seite 2   Endlich Einheitsverband der Vertriebenen. Zusammenschluss des VdL und BVD zunächst auf Bundesebene.

In Bonn fand am 27. Oktober 1957 die Gründungsversammlung des neuen Einheitsverbandes der Vertriebenen statt. Der neue Verband fasst den bisherigen Verband der Landsmannschaften und den Bund der vertriebenen Deutschen unter dem Namen „Bund der Vertriebenen - Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände" auf Bundesebene zusammen.

 

Vertreter der Bundeslandsmannschaften, der Landesverbände des Bundes der vertriebenen Deutschen und des Berliner Landesverbandes der Vertriebenen billigten einstimmig den vorliegenden Satzungsentwurf für den neuen Einheitsverband. Bis zur Vereinigung der Vertriebenenverbände auf Landesebene sollen die bisherigen Präsidien des VdL und BvD den Vorstand des neuen Verbandes bilden. Die Übergangsbestimmungen, die ebenfalls einstimmig gebilligt wurden, sehen vor, dass diese Vereinigung bis zum 01.09.1958 vollzogen werden soll.

 

Die Versammlung wurde vom Sprecher der Landsmannschaft der Oberschlesier, Dr. Ulitz, geleitet, der in seiner Begrüßungsrede einen Überblick über die bisherige Arbeit der Vertriebenenverbände gab. Dr. Ulitz wandte sich mit Nachdruck gegen Verzichterklärungen deutscher und ausländischer Politiker auf die deutschen Ostgebiete. Mit dem neuen Verband wollten sich die Vertriebenen ein Organ schaffen, das den Willen der Heimatvertriebenen hörbar zum Ausdruck bringt.

 

Der Vorsitzende des Bundes der vertriebenen Deutschen, Dr. Linus Kather, betonte, dass es viele Probleme gibt, die noch nicht gelöst sind. Dies gelte sowohl für den sozialen Bereich als auch für die Außen- und Heimatpolitik. Die Vertriebenen müssen den Kampf für die Wiedervereinigung in Freiheit und das Recht auf Heimat fortsetzen. Die Bundesregierung, so sagte Dr. Kather, müsse erkennen, dass der neue Verband ihren Interessen nicht hinderlich, sondern nur förderlich sei. Dr. Kather unterstrich, dass die Haltung der Vertriebenen in der Vergangenheit stets maßvoll gewesen sei. Die Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland, die einen zeitlichen Vorrang hat, dürfe aber niemals um den Preis der Ostgebiete und des Selbstbestimmungsrechts erkauft werden.

 

Der Vorsitzende des Verbandes der Landsmannschaften, der CSU-Abgeordnete Dr. Baron Manteuffel-Szoege, erklärte, die Vertriebenen dürften nicht in eine Isolierung geraten. Die Anliegen der Vertriebenen müssten gleichzeitig Anliegen des ganzen deutschen Volkes sein. Die Arbeit der Vertriebenen könne sich nicht in Protesten erschöpfen. In diesem Zusammenhang forderte Baron Manteuffel eine enge Zusammenarbeit aller Vertriebenenabgeordneten im Bundestag. Außerdem forderte Baron Manteuffel den Ausbau der Ostabteilung im Auswärtigen Amt. Die Bundesregierung müsse endlich eine ostpolitische Konzeption erarbeiten. Es gehe weniger um die Regelung der Beziehungen zwischen den Staaten als um die Beziehungen zwischen den Völkern. Man müsse einen entscheidenden Unterschied machen zwischen den Völkern des Ostens und denen, die diese Völker unterdrücken. Den Westen warnte Baron Manteuffel davor, das Vertriebenenproblem zu bagatellisieren. Abschließend forderte er dann, dass die Vertreter der Vertriebenen bei allen den Osten betreffenden Fragen gehört werden.

 

Seite 2   Wiedervereinigung erster Schritt zu Europa.

Die Assemblee der versklavten europäischen Nationen (ACEN) hat den Unterzeichnerstaaten der Viermächte-Erklärung zur deutschen Wiedervereinigung, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland ein Memorandum überreicht, in dem es u. a. heißt:

 

Die Wiedervereinigung Deutschlands könnte in hohem Maße zu der Lösung des Gesamtproblems, nämlich der Wiedervereinigung Europas, beitragen; vorausgesetzt, dass es sich lediglich um einen ersten Schritt in dieser Richtung handeln würde und nicht um einen Akt, der den Status quo in dem übrigen Teil Mittel- und Osteuropas ausdrücklich oder stillschweigend sanktioniert.

 

Erste Voraussetzung für jegliche umfassende europäische Sicherheitsvereinbarung sollte ein internationales Abkommen über die Wiederherstellung der Unabhängigkeit und Freiheit in den Ländern Mittel- und Osteuropas durch freie Wahlen und den Abzug aller sowjetischen Streitkräfte sein.

 

Jedes andere Verfahren würde unweigerlich zu einem absoluten Fehlschlag der Bemühungen der Westmächte führen und lediglich die Versklavung unserer Völker durch die Sowjetunion gutheißen. Es würde auch im Gegensatz zu der Bermuda-Erklärung vom 8. Dezember 1953 stehen, in der Präsident Eisenhower, Premierminister Churchill und Premierminister Laniel erklärten: „Wir werden die derzeitige Teilung Europas niemals als berechtigt und fortdauernd hinnehmen" und zu dem Bekenntnis, welches Präsident Eisenhower und Premierminister Churchill am 23. Juli 1954 ablegten „dass sie keinen Anteil an einem Übereinkommen oder Vertrag haben wollten, die die widerwillige Unterordnung der früher souveränen, sich jetzt in Knechtschaft befindlichen Staaten bestätigen oder verlängern würden“.

 

Seite 2   Polen plant auf weite Sicht.

Mitglieder des volkspolnischen „Wirtschaftsrates beim Präsidium des Ministerpräsidenten", die gegenwärtig einen 15-Jahresplan für die volkspolnische Wirtschaft von 1961 bis 1975 ausarbeiten, haben der Warschauer Regierung vorgeschlagen, insbesondere die polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebiete in den 15-Jahresplan einzubeziehen. In volkspolnischen Wirtschaftskreisen wird die Ansicht vertreten, dass „der wirtschaftliche Stand der polnischen Westgebiete, wie er 1939 herrschte, frühestens in den Jahren 1965 bis 1970 wieder erreicht sein wird“. Es sei festgestellt worden, heißt es in den volkspolnischen Sachverständigenberichten, dass von je 1 Million Zloty, die die Warschauer Regierung - in den Oder-Neiße-Gebieten investiere, nahezu 500 000 Zloty „aus verschiedenen Gründen" verloren gingen. Bisher sei es nicht gelungen, die übrigen 0,5 Millionen Zloty ausfindig zu machen, da die Nachforschungen auf „erhebliche Schwierigkeiten" gestoßen seien. Besonders „schlimme Zustände" herrschten bei der Vergabe von Kleinkrediten, wo mit einem Verlust bis zu 80 v. H. der Kreditsumme gerechnet werden müsse. Bei Krediten unter 3000 Zloty betrage der Verlustprozentsatz sogar 85 bis 90 v.H.

 

Seite 2   Pressespiegel.

Ein verhängnisvoller Trugschluss

„Wenn man glaubt, der Kreml werde eines schönen Tages seine Handlanger in Ostberlin fallen lassen, falls der Westen nur fest und geschlossen genug bleibe, dann kann man ebenso gut schließen, es genüge, die NATO mit allen Mitteln zu stärken, und die Wiedervereinigung werde einem irgendwann in den Schoß fallen. Ein solcher Glaube jedoch gehört in den Bereich der Mystik und nicht in den der Politik. Die Erfahrung beweist das Gegenteil. Jede Stärkung des Westens hat bisher die Konzessionsbereitschaft der Sowjets weiter vermindert. Und das ist begreiflich: Je fester sie die Tür der weiteren Expansion verriegelt finden, desto zäher halten die Sowjets an den Außenpositionen fest, die sie nach dem Krieg gewonnen haben. — Das bedeutet natürlich nicht, dass der Westen darauf verzichten sollte, stärker zu werden. Wohl aber muss der Westen sich über die Grenzen dessen klar sein, was er mit seiner Stärke erreichen kann. Die Wiedervereinigung gehört nicht dazu: Niemand gibt ein Vorfeld auf, wenn das Kräfteverhältnis sich zugunsten des Gegners verschiebt; nein, er sucht seine Vorfeldposition dann erst recht zu stärken. Genau das haben die Russen seit zwei Jahren in der Zone getan. Ihre Gegenzüge waren nichts als die logische Antwort auf die Tatsache, dass die Bundesrepublik sich konsolidierte und dass sie ihren Einschluss in die „große Allianz" des Westens vollzog. Die Annahme, ein Stärker werden des Westens werde die Russen „weicher" machen, hat sich damit als ein Trugschluss erwiesen. Die Zeit, Hamburg.

 

Beispiel Finnland

„Zum ersten Male überrascht die ruhige Selbstsicherheit, mit der das kleine Volk an seine Probleme herangeht. Keine Bilderstürmerei, keine Hysterie, weder nach Siegen noch nach Niederlagen. Als man nach dem verlorenen Krieg von 1944 acht der damals führenden Leute als „Kriegsverantwortliche" auf Weisung der Russen vor ein Gericht stellen musste, fügte man sich der Notwendigkeit. Man verurteilte. Aber die Politiker wie ihre Richter sind wieder im Amt. — Finnland lebt in der Gegenwart. Es hat seine schweren wirtschaftlichen und politischen Probleme, mit denen es nicht leicht fertig wird. Das wird unschwer erkennbar, als man dem Ministerpräsidenten gegenübersteht. Kein Warten in Vorzimmern, keine feierlich langen Gänge, die zu durchschreiten wären . . . — bei der prekären Lage Finnlands zwischen Ost und West spielt die Ost-West-Problematik eine entscheidende Rolle. Die Finnen nehmen dazu eine bewundernswert sachliche, von keinem ideologischen Vorurteil getrübte Haltung ein. In den Unterhaltungen kehrt in vielfacher Variation wieder: „Das sehen wir nur von der praktischen Seite“. Ob es sich um die Anregung eines neutralen Ringes der Ostsee-Anlieger, um Fragen eines Nordischen Marktes oder um das Verhältnis zu Russland handelt, immer geht der detaillierten Erläuterung dieser Satz voraus“. Frankfurter Allgemeine.

 

Wiedervereinigung zuerst

„Denn das Beispiel der kleinen Wiedervereinigung" an der Saar hat doch eins gezeigt: nur wenn die Deutschen selbst sich zunächst über die Lebensfragen ihrer Nation einigen, werden sie das „Ja" der Großmächte in Ost und West zur Wiedervereinigung erreichen ... — Dabei genügt der Ruf nach freien Wahlen für Gesamtdeutschland nicht. Freie Wahlen sind nur möglich, wenn zuvor eine Einigung zwischen Ost und West über die militärische Stellung Gesamtdeutschlands erreicht ist. Sie wird nur zustande kommen, wenn dem Sicherheitsbedürfnis beider Seiten Rechnung getragen wird. Das wäre nicht der Fall, wenn amerikanische Truppen an der Oder oder russische Truppen am Rhein stünden. Beide Seiten werden Zugeständnisse machen müssen. — Wie das im Einzelnen aussieht, kann allerdings heute niemand sagen. Denn die bisherige Bundesregierung hat es versäumt, überhaupt einmal ernsthaft mit den Westmächten und der Sowjetunion über diese Fragen zu verhandeln. Und deshalb lautet unsere Forderung an den neuen Bundestag und die nächste Bundesregierung nach wie vor: „Wiedervereinigung zuerst!" Deutsche Saar, Saarbrücken.

 

Viel wurde versäumt

„Viel wurde schon versäumt. Wir nahmen die diplomatischen Beziehungen mit Moskau auf, und dann haben wir nichts daraus gemacht. Ein ganzes Jahr seit den Ereignissen in Ungarn und Polen ist ungenützt verstrichen. Denn noch immer ist Osteuropa für die deutsche Politik ein weißer Fleck auf der Landkarte. Man hat geprüft und erwogen und alles hin und her bedacht. Gehandelt hat man nicht. Ja, es gibt noch immer keine wirkliche Ostabteilung in unserem Auswärtigen Amt. Und wenn die maßgeblichen Männer unserer Außenpolitik von osteuropäischen Dingen sprechen, so hat man den Eindruck, dass der Blinde von der Farbe redet. Die vorgefasste, reichlich schablonenhafte Meinung kann wirkliche Kenntnisse nicht ersetzen.

Unsere Außenpolitik wird so lange unzulänglich sein, als sie im buchstäblichen Sinne unvollständig ist. Wer nur ein Bild der halben Welt hat, kann kein ganzer Politiker sein. Wenn die Bundesrepublik wirklich für ganz Deutschland sprechen und handeln will, so bedarf sie mehr als irgendein anderer Staat des Blicks auch nach Osten. Die Treue zum Westen verlangt nicht von uns, dass wir ostblind bleiben“. Hamburger Abendblatt.

 

Aktive Ostpolitik

„Was wir fordern, ist eine aktive Ostpolitik, die den deutschen Interessen dient. Ausgangspunkt dieser Ostpolitik ist die geographische Lage Deutschlands im Herzen Europas. Sie zwingt uns, neben den vertraglich geregelten Beziehungen zu den westlichen Nachbarn die Beziehungen zu den östlichen Nachbarn zu pflegen und ihnen einen vertraglichen Rahmen zu geben, wie es Gustav Stresemann tat. Unser primäres Interesse gilt dabei der Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland, die ohne Verständigung mit Ost und West nicht denkbar ist, weil die Gewalt ausscheidet. Was die Gebietsfragen angeht, so wissen wir keine bessere Auskunft, als sie bis zu den Friedensverhandlungen zu vertagen. Wer vor dem Friedensvertrag aus ihnen ein Junktim zu machen sucht, sollte die Folgen bedenken: es dient weder den Polen noch den Deutschen wenn der tote Punkte weiterhin ihre Beziehungen bestimmt. Eine Verständigung dagegen, die weder auf deutsche Kosten geht noch das Veto Moskaus herausfordert, käme Europa zugute“. Die Deutsche Zukunft, Düsseldorf.

 

Schwere Hypothek für Wiedervereinigung.

„Die zunehmende Verzahnung der Zonenwirtschaft mit den Ostblockländern schafft vollendete Tatsachen, die eine schwere Hypothek für die Wiedervereinigung darstellen. Es geht dabei nicht um die politische Schuldfrage; denn die wirtschaftliche Integration der Bundesrepublik mit den westeuropäischen Ländern steht auf dem gleichen Blatt. Was festzustellen ist, ist lediglich, dass mit der fortschreitenden industriellen Arbeitsteilung innerhalb des Ostblocks ein Sonderproblem für die deutsche Wiedervereinigung auftaucht, das die Lösung der deutschen Frage nicht gerade erleichtert“. Frankfurter Rundschau“.

 

Seite 2   Der letzte Monat.

In Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, kam es in den letzten acht Wochen wiederholt zu heftigen Ausschreitungen gegen die schwarze Bevölkerung. Die farbigen Schüler konnten nur unter dem Schutz eingesetzter Bundestruppen die Schule besuchen, nachdem es an den Vortagen zu Tätlichkeiten seitens ihrer weißen Mitschüler gekommen war.

 

Mit Tränengas und Gummiknüppeln zerstreuten polnische Milizsoldaten und Polizisten in Warschau Protestkundgebungen von Studenten gegen das Verbot, der Zeitschrift „Po prostu". Zahlreiche Demonstranten wurden verhaftet.

 

„Einbruch ins Weltall gelungen", so und ähnlich reagierte die Presse der ganzen Erde auf die überraschende Nachricht vom, erfolgreichen Start des ersten künstlichen Erdsatelliten durch sowjetische Wissenschaftler. „Sputnik" rast nun bereits seit mehr als vier Wochen mit einer Geschwindigkeit von fast 29 000 Kilometer in der Stunde um die Erde.

 

Führende Politiker des Westens, vor allem aus europäischen Ländern, vertraten auf einer Tagung über Probleme der NATO-Verteidigung in Princeton (USA) die Ansicht, dass die Teilung Deutschlands zwar bedauernswert, aber vielleicht die beste Garantie gegen einen erneuten Führungsanspruch des deutschen Volkes in Europa sei.

 

Die Pankower Regierung hat völlig überraschend die bisherigen Ostmarknoten für ungültig erklärt und ihren Umtausch im Verhältnis 1:1 angeordnet. Der Umtausch beschränkte sich zunächst nur auf 300 Mark je Person. Von dieser sogenannten „kalten Währungsreform" wurden vor allem die Westberliner Banken und Wechselstuben hart betroffen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind durch diese Maßnahme etwa 35 Millionen Ostmark in Westberlin wertlos geworden.

 

Bei einer Tagung der Europa-Union in Königswinter kam es zu einem lebhaften Meinungsstreit über das Göttinger Manifest der 18 deutschen Physiker. Der bei dieser Tagung anwesende Mitunterzeichner, der Atomphysiker Prof. Riezler, musste sich belehren lassen, dass ein Physiker dem deutschen Volke keine politischen Ratschläge geben könne, er sei nicht dafür verantwortlich, was die Menschheit mit seinen Ergebnissen anfange. Eine Empfehlung, auf Atomwaffen zu verzichten, liege nicht in seiner Kompetenz.

 

Die erste konstituierende Sitzung des dritten deutschen Bundestages fand erstmalig nach dem Kriege in der Reichshauptstadt Berlin statt. Zum Bundestagspräsidenten wurde Dr. Gerstenmaier wiedergewählt.

 

Diplomatische Beziehungen haben die Regierungen in Pankow und Belgrad aufgenommen. Sie sollen sich zunächst auf den Austausch von Gesandten beschränken. Mit diesem Schritt hat Jugoslawien die Pankower Regierung formell anerkannt. In einer hierzu veröffentlichten Erklärung äußerte Jugoslawien den Wunsch, im Geiste seiner blocklosen Politik der aktiven Koestistenz gute Beziehungen zu beiden deutschen Staaten zu entwickeln. — Die Bundesregierung, hat die Anerkennung Pankows durch Jugoslawien zum Anlass genommen, ihrerseits die diplomatischen Beziehungen zu Belgrad abzubrechen.

 

Syriens Staatspräsident Kuwatli warnte auf einer Pressekonferenz die Bundesregierung vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel und hat angekündigt, dass die Bundesrepublik anderenfalls die Freundschaft aller Araber verlieren würde. Die arabischen Staaten würden den deutschen Schritt mit der Anerkennung der Pankower Regierung beantworten.

 

Präsident Eisenhower und Premierminister Macmillan haben ein grundsätzliches Übereinkommen über die Zusammenlegung der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und Arbeiten an der atomaren Waffenentwicklung zwischen Großbritannien und den USA geschlossen. Besonders ist hier an die Weiterentwicklung der Raketentechnik gedacht.

 

Die Fortdauer der deutschen Teilung bezeichneten Präsident Eisenhower und der britische Premier Macmillan in einem gemeinsamen Kommuniqué als „Ungerechtigkeit, Torheit und Gefahr". Die Wiedervereinigung Deutschlands solle auf Grund freier Wahlen angestrebt werden.

 

Als ein Triumph amerikanischer Raketentechnik wird der erfolgreiche Start der Vierstufenrakete „Farside" bezeichnet. Die Rakete erreichte eine Höhe von beinahe 6400 Kilometern. Der Start erfolgte in 30 km Höhe von einem Ballon aus.

 

Präsident Eisenhower will von nun an das amerikanische Programm für Weltraumflüge persönlich beaufsichtigen. Gleichzeitig soll der amerikanische Präsident nachdrücklich den Bau einer ersten amerikanischen Mondrakete gefordert haben.

 

Der sowjetische Nationalheld Marschall Schukow, der Sieger von Stalingrad, scheint im Zuge einer neuen Säuberungsaktion in Ungnade gefallen zu sein. Er wurde vom Posten als Verteidigungsminister der UdSSR abgelöst. Dieser Entlassung folgte der Ausschluss Schukows aus dem Präsidium und dem Zentralkomitee. Schukows Nachfolger als Verteidigungsminister ist der 59 Jahre alte Marschall Malinowski.

 

Vertreter des Roten Kreuzes aus 82 Ländern haben sich auf der 19. internationalen Jahrestagung der Rot-Kreuz-Gesellschaften für eine Erweiterung der Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung ausgesprochen. Eine von Indien vorgeschlagene Entschließung, wonach Maßnahmen gefordert werden, die die Menschheit für alle Zeiten gegen die schrecklichen Folgen chemischer, bakteriologischer und radioaktiver Waffen schützt.

 

Seit Sonntag hält die sowjetische Nachricht vom Start des „Sputnik II" die Menschheit von neuem in Atem. Der neue Satellit ist mit rund 510 Kilogramm sechsmal so schwer wie sein Vorgänger, der im Zeitpunkt des Startes von Sputnik II die Erde 441 Mal umkreist hat. Neben komplizierten Messgeräten hat Sputnik II einen Versuchshund an Bord. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit dass ein Lebewesen im Weltraum kreist.

 

Seite 3   Labiau – Ein russisches „Potsdam“. Situationsbericht aus der Kreisstadt am Kurischen Haff.

Wer heute die alte Reichsstraße Nr. 126 von Königsberg im sowjetisch verwalteten Nord-Ostpreußen in Richtung auf das Kurische Haff befährt, der muss einige Kilometer vor der Kreisstadt Labiau in Groß-Legitten die ersten Militär-Kontrollen über sich ergehen lassen. Labiau und seine Umgebung gehören zu den vielen Standortgebieten russischer Streitkräfte in Ostpreußen. Ja, die Stadt ist zu einem sowjetischen „Potsdam" geworden, in dem Verbände aller Waffengattungen zu finden sind.

 

Sichtbarer Ausdruck der Militärherrschaft über Labiau ist das erhalten gebliebene Schloss unweit des Deime-Flüsschens. Über dem Schloss flattern heute die roten Fahnen von Heeres-, Marine- und Luftwaffen-Kommandeuren, die sich hier eingerichtet haben und über beträchtliche Streitkräfte gebieten. In Labiau wimmelt es heute von den Uniformen aller Waffengattungen, so dass darunter die zivil gekleideten Menschen völlig in den Hintergrund treten.

 

Auch akustisch macht sich das Militär bemerkbar. In unmittelbarer Nähe der Stadt hat die russische Luftwaffe mehrere Flugplätze eingerichtet, auf denen lebhafter Betrieb herrscht. Die Stadt wird am meisten von dem Lärm startender und landender Maschinen auf dem südlich von Labiau gelegenen Flugplatz Eichwalde betroffen. In dem Dreieck Gut Goldberg, Eichwalde und Gut Westenhöfen wurden die Flugplatzanlagen so ausgebaut, dass hier jetzt Düsenjäger stationiert werden konnten. Da auf dem Fliegerhorst auch Allwetter- und Nachtjäger eingesetzt sind, hört man praktisch Tag und Nacht in Labiau den Lärm der Propellerflugzeuge und der Düsengetriebe.

 

Weniger laut geht es bei der Marine und der Infanterie zu. Die Marine hat eine Kommandantur in der Kreisstadt und mehrere Stützpunkte in Deime-Münde, Rinderort und Haffwinkel. Truppen des Heeres dagegen findet man rings um die gesamte Stadt, wo sie entweder zur Bewachung der Flugplätze und anderer militärischer Objekte oder zur Ausbildung eingesetzt sind. Alle Waffengattungen zusammen entsenden ihre Urlauber in die Stadt, so dass Labiau die Note einer östlichen Soldatenstadt ähnlich Potsdam erhalten hat.

 

In Labiau leben heute 6000 Russen gegenüber früher, 6500 Deutschen. Die Stadt leidet unter einer großen Wohnungsnot, weil dreißig Prozent der Gebäude den Kämpfen und den Brandschatzungen zum Opfer gefallen sind. Hinzu kommt noch, dass viel mehr Gebäude als zu deutscher Zeit für Behörden, Militär und Organisationen beschlagnahmt wurden. Man kann sagen, dass derselben Einwohnerzahl wie 1939 nur noch die Hälfte des damaligen Wohnraums zur Verfügung steht. Wird das auch weitgehend durch die russische Anspruchslosigkeit bzw. die vom Staat eingeführten Gepflogenheiten wettgemacht, so fehlen doch noch viele Wohnungen. Labiau trägt alle Merkmale einer überfüllten Stadt.

 

Die Wohnungsnot wird noch dadurch gefördert, dass immer neue Außenviertel der Stadt in die militärischen Wohnbezirke einbezogen werden. Ob man nun nach Radtkenhofen, Reiken, Neuhof, Gartendorf oder Friedrichsgraben sieht — überall sind in die Siedlungen oder Villenviertel Offiziere mit ihren Familien oder Stäbe eingezogen. Die Bevölkerung wird immer mehr auf das Zentrum Labiaus zwischen dem Kleinbahnhof und dem Schloss zusammengedrängt.

 

Das hat vor allem für die russischen Pläne zur Ausweitung der Industriebetriebe mancherlei Folgen. Der Stadt-Sowjet will diesen Schwierigkeiten nun durch die Anlage einiger Barackenviertel für Arbeiter aus dem Wege gehen. Vor kurzem eingetroffene Nachrichten besagen, dass beispielsweise bei dem Sägewerk im Ortsteil Grabenhof an der Straße nach Hindenburg-Haffwerder derartige Massenunterkünfte entstehen.

 

Wichtigster Betrieb ist in Labiau die Fischverarbeitungsfabrik. Von den rund 2000 arbeitsfähigen Männern der Kreisstadt ist die Hälfte in diesem Betrieb beschäftigt. Schon bald nach dem Kriege begann der Stadt-Sowjet damit, die alte deutsche Fischfabrik wieder in Betrieb zu nehmen und sie langsam zu vergrößern. In mehreren Etappen erfolgte der Ausbau, der durchaus als gelungen bezeichnet werden kann. Da reichlich Investitionsmittel bereitgestellt wurden, ist inzwischen die Labiauer Fischverarbeitungsfabrik zur größten ihrer Art im sowjetisch verwalteten Teil von Nord-Ostpreußen geworden! Die an der Deime gelegenen Betriebsanlagen erhielten moderne technische Einrichtungen aus der Sowjetzone und aus der UdSSR selbst. Man holte sogar Fachleute aus Leningrad und aus dem Baltikum, die die Vergrößerung der Fabrik leiteten. Auch nach unseren Maßstäben kann dieser Betrieb heute als modern eingerichtet und rentabel gelten.

 

In Labiau sind weiter holzverarbeitende Werke, eine kleine Werft und einige Fischereibetriebe tätig. Die Werft dient ausschließlich der Fischereiflotte, die hier Holzkutter geringer Tonnage herstellen lässt und Reparaturaufträge vergibt. Auf Grund von russischen Zeitungsmeldungen ist bekannt, dass zurzeit auch eine Vergrößerung dieses Schiffbaubetriebes vorgenommen wird. Allerdings sollen auch weiterhin nur Boote gebaut werden, die lediglich zum Fischfang im Haff oder auf der Seeseite der Kurischen Nehrung in Küstennähe eingesetzt werden. Im Übrigen ist die Labiauer Fischfabrik auch nicht auf die Verarbeitung der in diesen Seegebieten gefangenen Fische eingestellt. Vielmehr werden im Wesentlichen Fänge verarbeitet, die in Häfen am Frischen Haff angelandet werden. Die Fabrik erhält zum Beispiel laufend Heringe aus den Häfen Großheidekrug, Peyse und Holstein zur Weiterverarbeitung. Über den Pregel und die Deime werden die Heringe auf Binnenschiffen nach Labiau geschafft. Die Werft hat also nur die Aufgabe, kleinere Schiffe für den Fang in örtlichen Gewässern zu bauen. Die Boote dagegen, die die meisten Fänge für die Labiauer Fabrik einbringen, kommen aus Exportlieferungen der Sowjetzone oder von russischen Werften und haben ihre Standorte auf der anderen Seite des Samlandes. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die größeren Betriebe in Labiau in gutem Zustand sind, was leider von der Stadt wegen der Zerstörungen nicht gesagt werden kann.

 

Wenden wir uns nun den gegenwärtigen Verhältnissen im Einzelnen zu. Da wäre als erstes die Frage des Verkehrs. Die Reichsstraße 126 ist relativ gut erhalten und wird auch ab und zu überholt. Der Verkehr ist gering und beschränkt sich auf Transporte der Wirtschaft und vor allem des Militärs. Privatfahrzeuge sind sehr selten. Besuche höherer Verwaltungsbeamte und Offiziere, die aus der Sowjetunion kommen, vollziehen sich in letzter Zeit immer öfters auf dem Luftwege, was durch die vielen Flugplätze in allen Teilen des Samlandes begünstigt wird. Auch Hubschrauber wurden in den letzten Monaten festgestellt. Der Eisenbahnverkehr ist noch intakt, aber äußerst gering geworden. Täglich verkehren nach und von Königsberg nur zwei Züge — der eine kommt von dort, und der andere fährt in die ostpreußische Hauptstadt. Dem mäßigen Personenzugverkehr steht ein ziemlich reger Güterverkehr entgegen. Labiau wird oft von Güterzügen mit verarbeiteten Fischen, Hölzern aller Art usw. verlassen. Der Bahnverkehr leidet etwas unter dem zerschossenen Labiauer Bahnhof, der bis heute noch nicht wiederaufgebaut worden ist. Die russische Bahnverwaltung hat nur Mittel für ein behelfsmäßiges Bahngebäude bewilligt, das dann in Form einer Baracke entstand. Sonstige Anlagen unserer früheren Reichsbahn wurden einigermaßen wieder instandgesetzt.

 

Andere Verkehrsmöglichkeiten bestehen über See. Dampferlinien gibt es von Labiau nach Memel und Tilsit. Die Memeler Strecke ist erst vor einiger Zeit in Betrieb genommen worden, nachdem die Polen in der Danziger Bucht einen deutschen Dampfer bargen, reparierten und den Russen überlassen mussten. Abfahrtsstelle für Passagierschiffe ist die Labiauer Adler-Brücke. Bei Bedarf werden auch Personen in Haffwinkel mitgenommen. Der Omnibusverkehr ist wie die Eisenbahn organisiert: jeden Tag kommt ein Wagen aus Königsberg und fährt wieder nach dort zurück. Der Fahrzeugpark ist sehr veraltet, obwohl in diesem Sommer aus Ungarn moderne Omnibusse vom Typ „Ikarus" geliefert worden waren. Den Militärkommandanten gelang es jedoch, diese Wagen für die Truppen zu erhalten.

 

Wenn wir die heutigen Verhältnisse in unserer Heimatstadt richtig einschätzen wollen, so müssen wir an folgendes denken: die Russen sind sehr viel vernünftiger und zielstrebiger als die Polen in Süd-Ostpreußen vorgegangen, um eine Stadt von der Größe Labiaus zu überfremden und zu verwalten. Was Industrie, Verkehr, Kommunalverwaltung usw. betrifft, so haben die Sowjets in der Mehrzahl Fachleute herangebracht, so dass es nicht zu solch irrsinnigen Maßnahmen wie in Süd-Ostpreußen kam. Der Stadt-Sowjet erließ nach der ersten Normalisierung sogleich scharfe Bestimmungen, die den Abriss oder die Demontage von Häusern und Fabriken unter schwerste Strafen stellte. Konnte man auch keinen Wiederaufbau des zerstörten Stadt-Drittels auf die Beine stellen, so wurde doch immerhin der weitere Verfall aufgehalten. Dadurch war es in der letzten Zeit möglich, Gelder und Material für die Reparatur und kleinere Neubauten aufzuwenden. Auf diese Weise gelang es dem Stadt-Sowjet, die unzerstörten Stadtteile zu erhalten und Parallelen zum Niedergang wie in Süd-Ostpreußen zu verhindern.

 

Seite 3   Trotz Kolchosenwirtschaft kaum Brachland.

Wir haben nicht die geringste Veranlassung, derartige positive Seiten der russischen Verwaltung zu verschweigen. Im Übrigen liegt es ja in unserem eigenen Interesse, dass möglichst viel von unserem Eigentum erhalten bleibt. Mag es auch in vielen anderen Teilen Nord-Ostpreußens nicht so gut wie hier stehen, so ist doch Labiau für die russische Verwaltungspraxis (wie man sie gern überall sehen würde) charakteristisch. Der Stadt-Sowjet hat sich im zivilen, kommunalen und wirtschaftlichen Bereich an die durch uns schon geschaffenen Bedingungen gehalten. Weder das Stadt- noch das Kriegsgebiet wurden wesentlich verändert. Man beließ alle Verwaltungen in der Stadt und fügte lediglich noch neue hinzu. Für den Kreis ist Labiau in allen Dingen die Zentrale geblieben.

 

Ein scharfes Auge hatte man auch bald auf die umgebende Landwirtschaft. Wurden auch die Einzelwirtschaften durch Kolchosen ersetzt, so hat man es doch verstanden, die Bildung von Brachland zu vermeiden. Unsere Landsleute werden es schon richtig verstehen, wenn wir sagen: die Polen könnten sich in Labiau an dem Russen ein Beispiel nehmen, wie man treuhänderisch verwaltetes Land bebaut! Tatsache ist ferner: wenn die russischen Bewohner des Kreises Labiau etwa versuchen sollten, derartige Zustände wie beispielsweise in Preußisch-Holland einreißen zu lassen, so würde man ihnen sehr schnell auf die Finger klopfen. Der Stadt-Sowjet bemüht sich allen Ernstes, keinerlei Verwilderung oder Versteppung aufkommen zu lassen. Man sieht das nicht zuletzt an den am Stadtrand von Labiau gelegenen Feldern, Gärten und Wiesen, die alle unendlich sorgfältiger bestellt sind als in Süd-Ostpreußen. Können wir den Russen auch viel bezüglich ihrer Nachkriegsverwaltung vorwerfen, so zumindest doch in Stadt und Kreis Labiau keine bewusste Schlamperei.

 

Dem gegenüber gibt es in der Kreisstadt nicht wenige Merkmale russischen Unvermögens, einen geregelten Wiederaufbau zu beginnen. Man geht lieber den Weg der geringeren Schwierigkeiten, indem man sich in den unzerstörten Gebäuden so gut wie möglich einrichtet. Da man es nicht zum Neubau des zerstörten Rathauses brachte, wurde ein Wohnhaus für diesen Zweck eingerichtet. Verboten ist es aber, die Trümmer der zerstörten Gebäude en groß abzutragen und nach außerhalb zu verkaufen. Die Stadtverwaltung will die Möglichkeit behalten, aus den Ruinen für einen etwa doch noch möglichen Wiederaufbau Baumaterial zu gewinnen. Auch das ist in Süd-Ostpreußen anders, wo man Material aus beschädigten und heilen Häusern reißt und in andere Landesteile verhökert. Besser ist es in Labiau auch mit der Versorgung der Einwohner. An jedem Sonntag findet ein großer Markttag statt, der – da auf ihm die wichtigsten Waren zu haben sind – das Aufkommen eines Schwarmarktes verhinderte. Allerdings wurde der Labiauer Markt in die Haff-Straße verlegt, weil die Polizei den alten Platz wegen des Militär-Durchgangsverkehrs nicht freigab.

 

Was ist nun zerstört, und was ist erhalten geblieben? Vernichtet wurden: die evangelische Pfarrkirche unweit des Marktplatzes (völlige Ruine); Kaufhaus „Schreiber"; eine größere Anzahl von Gebäuden am Marktplatz; das Rathaus; Haus „Langanke"; der Bahnhof; einige Gebäude nach Neuhof zu und Häuser an der Straße nach dem Gut Bulbeckshöfchen (nördlich der Eisenbahnlinie). Wenig bekannt ist über die Zustände in Viehof (Domäne), Kreuzweg, Glückshöfen, Restaurant Kleinhof am Beginn des Erlenwaldes, die Forstämter Hindenburg und Erlenwald beim Bismarckturm, Rothöfen, Waldhausen und Brandfelde. In der Kreisstadt blieben erhalten: die Post (heute Geldinstitut); das Krankenhaus (keine Änderung); die Brauerei (in Betrieb); Hotel „Deutsches Haus" (heute Parteizentrale); Getreidespeicher; Haus „Koppetsch" (heute Gerichtsgebäude) und das Landratsamt (heute Militärkasino). Über die Hotels „Lemke" und „Kronprinz" liegen widersprechende Nachrichten vor. Wahrscheinlich ist aber, dass sie zerstört sind. In einigen Wohn- und Geschäftshäusern findet man heute Abteilungen der Kreisverwaltungen (die einzeln untergebracht sind), des Fischereiamtes, des Finanzamtes, der Polizei und der militärischen Dienststellen.

 

Allgemein ist zu sagen, dass wir nichts von böswilligen Vernichtungsaktionen in Labiau wissen. Die Russen verhalten sich so, wie sie es in ihrer Heimat auch tun. Vor allem fehlt die in Süd-Ostpreußen so bezeichnende Atmosphäre von Abbruch, Verkommenheit und sinnlosen Vernichtungswillens. Dass unsere vergleichenden Ausführungen nichts an unserem Standpunkt der ungesetzlichen Sowjetverwaltung in Nord-Ostpreußen ändern, brauchen wir nicht besonders auszuführen. Die Stadt Labiau erhielt bereits vor genau 700 Jahren eine deutsche Ordensburg und wurde 1642 zur Stadt erhoben! Ein Dutzend Jahre russischer Verwaltung ändert nichts an dem deutschen Charakter dieses Gebietes und nichts an unserem bestehenbleibenden Rechtsanspruch, den wir niemals aufzugeben gewillt sind!

 

Seite 3   Scharfe polnische Kritik am Wiederaufbau Danzigs. Historische deutsche Architekturen werden der Wohnraumschaffung vorgezogen.

In Polen mehren sich die scharfen Kritiken der Presse an dem Wiederaufbau in den deutschen Ostgebieten. An erster Stelle wird Danzig genannt, wo in den letzten Jahren mit erheblichem Aufwand Gebäude und Fassaden der historischen Altstadt möglichst originalgetreu wieder aufgeführt wurden, während sich die Verkehrs- und Wohnverhältnisse täglich verschlimmern. Wieder aufgerichtet wurden die Patrizierfassaden an der Langgasse. Man setzte die Marienkirche und das Rathaus, den Stockturm, das Hohe Tor und den Artushof instand. Das Krantor steht an nächster Stelle auf dem Programm.

 

Die Seitengassen der Langgasse münden jedoch nach wenigen Schritten in Schutthalden. Für die Unterbringung der Viertelmillion Menschen, die in Danzig wohnt, wurde kaum etwas getan. In Warschau sucht man dem wachsenden Unwillen mit der Erklärung zu begegnen, es sei vordringlich gewesen, den polnischen Aufbauwillen vor allem auf kultureller Ebene zu beweisen. Dabei ist es wie eine Ironie, dass man gerade die unverkennbar deutschen Architekturen wiederhergestellt hat.

 

Danzig, das die Kampfhandlungen fast unversehrt überstand, wurde erst nach der Eroberung durch polnische Freischärler in Brand gesteckt. Für die dringenden Lebensbedürfnisse der Stadt, die als Hauptwerft der polnischen Wirtschaft eine überragende Rolle in den Warschauer Wirtschaftsplänen spielt, wurde durch den bisherigen Wiederaufbau nichts geleistet. Die Regierungsvertreter wohnen in den Vororten, und die Bevölkerung ist gezwungen, in katastrophalen Wohnverhältnissen zu existieren.

 

Seite 3   Schnee- und Regenfälle behindern Erntearbeiten.

Die sechzehn Staatsgutgemeinschaften, die in der Zentrale Lötzen zusammengefasst sind, haben bis Ende September nur 10 v. H. der Kartoffeln ernten können, da das Wetter so außerordentlich schlecht war, dass die Erntearbeiten dauernd unterbrochen werden mussten. Wie die polnische landwirtschaftliche Fachzeitschrift „Robotnik rolny" mitteilt, konnte aus dem gleichen Grunde die Herbstbestellung nur zu 30 v. H. des Plans durchgeführt werden. Infolge endloser Regenfälle stehen weite Ackerflächen unter Wasser, das Gelände des Bahnhofs Lötzen ist ebenfalls überschwemmt. In der ersten Oktoberwoche haben im südlichen Ostpreußen umfangreiche Schneefälle stattgefunden.

 

Wie die polnische Fachzeitschrift des Weiteren bekanntgibt, war den sechzehn Staatsgutgemeinschaften der Zentrale Lötzen die Gestellung von 1400 Aushilfskräften für die Kartoffelernte zugesagt worden. Tatsächlich wurden nur zwei Kompanien Soldaten abkommandiert. Die Lage hinsichtlich der Ernteeinbringung sei umso ernster, als sich der Wasserspiegel der masurischen Seen und damit der Grundwasserspiegel um nicht weniger als einen Meter gehoben haben.

 

Seite 3   Räuberbanden in Ostpreußen

Eine „gefährliche Räuberbande" die seit längerer Zeit das Gebiet der ostpreußischen Stadt Allenstein unsicher gemacht hat, ist von der polnischen Bürgermiliz ausgehoben worden. Wie die Zeitung „Glos Olsztynski! (Allensteiner Stimme) berichtet, haben die 17 bewaffneten Banditen Passanten und Geschäfte überfallen und beraubt, wobei sie die Opfer schwer misshandelten. Der Bandenführer Josef Tomaszewski wurde bei seiner Festnahme verletzt, weil er Widerstand leistete.

 

Die Zeitung schreibt, der Kampf gegen das „Bandenunwesen in der Allensteiner Wojewodschaft“, werde von der polnischen Bürgermiliz verstärkt. Die Bevölkerung der Wojewodschaft wurde aufgefordert, den Polizeibehörden durch Hinweise und Mitarbeit bei der „Liquidierung von Räuberbanden“ zu helfen.

 

Seite 3   Braunsberg.

Nur zehn Kilometer liegt die ostpreußische Stadt Braunsberg von der polnisch-sowjetischen Demarkationslinie entfernt. Schon nach fünf Kilometer Weges in ostwärtiger Richtung stößt man auf Stacheldrahtverhaue und tiefe Gräben. Hier beginnt das  „Sperrgebiet". Es darf nicht betreten werden. Soweit neu angesiedelte polnische Bauern noch Ackerland jenseits der Vorsperren haben, dürfen sie die Arbeiten dort nur unter Aufsicht bewaffneter polnischer Miliz verrichten. Auf der eigentlichen Linie befinden sich in Abständen von 300 bis 400 Meter 15 Meter hohe Wachtürme. Dort versehen jeweils zwei Sowjetsoldaten den Wachdienst. Ihre Bewaffnung besteht aus einem Maschinengewehr. In den Drahtverhauen befinden sich überdies mechanische Vorrichtungen, die bei leisester Berührung der Drähte Leuchtkugeln in den Himmel schießen.

 

Braunsberg heißt heute „Braniewo". Die dortige Ordensburg wurde 1241 erbaut. Sie gab den Anstoß zur Gründung der Stadt, die ab 1284 nach lübischem Recht lebte und Mitglied der Hanse war.

 

Nach polnischer Quelle zählt Braunsberg heute 8500 Einwohner gegenüber 21 000 vor dem Kriege. Die Zahl der Deutschen ist auf 50 Familien zusammengeschmolzen. Die Stadt erlitt beträchtliche Kriegsschäden. Das Rathaus wurde 1945 gesprengt. Der Marktplatz ist völlig zerstört. Vom Bischofspalast — Braunsberg war von 1255 bis 1298 Residenz des Bischofs von Ermland — steht nur noch der Torturm. Die Speicherbauten verwahrlosen oder sind abgetragen worden. Unser Bild zeigt einen der malerischen Winkel Braunsbergs am Stadtgraben.

 

Seite 4   Polen hofft auf verstärkten Touristenverkehr. Vor allem die deutschen Ostgebiete sollen für den Reiseverkehr erschlossen werden.

Berlin. Im Jahr 1958 sollen Polen und die deutschen Ostgebiete noch mehr als bisher dem westlichen Touristenverkehr erschlossen werden. Besonders im Riesengebirge und an der Ostseeküste werden gegenwärtig der Wiederaufbau und die Renovierung von Hotels und Pensionen vorangetrieben. Das bisher recht unerschlossene Gebiet der masurischen Seen wird jedoch auch im nächsten Jahr außerhalb der allgemeinen Reiseroute liegen, da nur ein halbes Dutzend Hotels bestehen, die allesamt von Gewerkschaftsangehörigen belegt sind.

 

Das polnische Reisebüro Orbis nahm nach einer offiziellen Aufstellung bis Mitte Oktober etwa 1 Million Dollar an westlichen Devisen durch 30 000 Touristen ein, davon kamen über die Hälfte aus der Bundesrepublik und Westberlin. Im kommenden Jahr will man die Summe verdoppeln, wobei man besonders damit rechnet, dass viele deutsche Ferienreisende ihren Urlaub — wie früher — in den renovierten Bauden des Riesengebirges verbringen werden.

 

Voll befriedigend, so meint Orbis, wird die Unterkunftsfrage für Touristen aus dem Westen nur in Warschau gelöst werden, da im Frühjahr nächsten Jahres dort das „Grandhotel" mit eigenen Gaststätten, einem Schwimmbassin und 650 Betten in Betrieb genommen wird. Ein zweites Hotel dieser Größe wird 1959 in Warschau eingerichtet.

 

In Krakau, Posen, Kattowitz, Swinemünde und in den größeren Orten des Riesengebirges fehlen jedoch ausreichend Unterkünfte für westliche Besucher. Lediglich eine Reihe von renovierten kleineren Pensionen, die insgesamt über 1000 Betten anbieten, werden neben dem „Europa-Hotel" in Hirschberg (500 Betten) die Basis für die Erweiterung des Touristenverkehrs in diesem Gebiet sein. Zum ersten Mal seit Kriegsende bemüht man sich — allerdings in beschränktem Maße — private Quartiere auch für westliche Besucher zu organisieren. Nach den bis jetzt bekannten Unterlagen wird im nächsten Jahr eine 14-tägige Pauschalreise ins Riesengebirge bereits ab 360 DM zu buchen sein. In der „Komfortklasse" verteuert sich die Reise auf etwa 450 DM. Ähnlich werden die Preise für den Besuch der Ostseebäder sein, lediglich Zoppot mit seinem bekannten, luxuriösen Grandhotel ist inkl. Reise und Gebühren und Vollpensionen für 14 Tage nicht unter 560 DM zu haben. Dafür ist man dann allerdings im exklusivsten Badeort Polens.

 

Eine besondere Attraktion für den Touristenverkehr verspricht man sich in Polen. Von der Aufnahme des Fahrgastverkehrs auf der Oder und von hier aus über die anderen Binnengewässer an bestimmte Fahrtziele. Von dieser neuen Maßnahme werden allerdings vor allem die Mitteldeutschen profitieren, da die erste Fahrgastlinie im Sommer zwischen Ostberlin und Stettin mit Anschluss an die Linie Stettin-Danzig und zwischen Frankfurt (Oder) und Breslau eröffnet werden soll.

 

Nach Auskunft des polnischen Reisebüros Orbis können Ferienreisen von Bundesbürgern von jedem westdeutschen Reisebüro vermittelt werden. Das Visum für diese Reisen wird binnen 14 Tagen von den Polen erteilt. Durch den günstigeren Touristenkurs von 6 Zloty für 1 DM-West stellt sich ein Tag Hotelaufenthalt mit Verpflegung und Nebenausgaben auf durchschnittlich 15 - 20 DM.

 

Seite 4   Gegenwartsarchiv der Heimatvertriebenen

In Hammelburg (Bayern) wurde seit einigen Monaten mit dem Aufbau eines Gegenwartsarchivs der Vertriebenen begonnen. Das Archiv sammelt in der Hauptsache periodisch erscheinende Veröffentlichungen über die Vertriebenen, die Vertreibungsgebiete, Mitteldeutschland und Osteuropa. Auch andere Publikationen werden, soweit verfügbar, im Archiv eingereiht. In einer besonderen Abteilung werden alle Veröffentlichungen staatsbürgerlichen und politischen Inhalts erfasst, die von den einzelnen Bundes- und Landesdienststellen zur Verfügung gestellt werden. In einer weiteren Abteilung werden Zeitungsausschnitte über verschiedene Sachgebiete gesammelt und systematisch eingeordnet.

 

Das Archiv kann nur Material auswerten, das von den Herausgebern zur Verfügung gestellt wird. Bisher fördern rund 150 Verlage und Dienststellen diese Einrichtung. Schon heute stehen 158 Periodica, über 300 Einzelpublikationen und einige tausend Presseausschnitte zur Verfügung.

 

Seite 4   Prof. Herbert Brust ausgezeichnet.

Dem ostpreußischen Komponisten Professor Herbert Brust wurde in Anerkennung seiner kulturellen Verdienste um die Heimat das Ehrenband der Marienburg verliehen. Die feierliche Übergabe erfolgte durch Stadtsuperintendent Wendebourg.

 

Seite 4   Wir hielten Umschau.

Bekannte ostpreußische Firmen heute.

Gewürzmühle Staesz.

Kürzlich konnte der bekannte Elbinger Kaufmann und Fabrikant Robert May, Hersteller des bekannten Staesz-Pfefferkuchengewürzes, in seltener körperlicher und geistiger Rüstigkeit seinen 70. Geburtstag feiern. M. ist gelernter Drogist. Als Mitinhaber der Groß- und Kleinhandelsfirma May & Guhl in Elbing beschäftigte er laufend im Durchschnitt 28 Angestellte. 1931 gründete er in Elbing auch noch die weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt gewesene „Jurolin-Lackfarbenfabrik". Nach der Vertreibung gründete M. in Bremerhaven die Pharmazeutische Großhandlung May & Dependörp. Seit 1953 ist er auch wieder alleiniger Inhaber der neu aufgebauten Gewürzmühle Staesz jun. in Nesse bei Bremerhaven, die zurzeit wegen der Herstellung des Pfefferkuchengewürzes auf Hochtouren läuft (vgl. heutige Anzeige).

 

Seite 4   Gräfe und Unzer Verlag

Der 1722 gegründete weit über Ostpreußens Grenzen hinaus bekannte Buchverlag Gräfe und Unzer, dessen fünfstöckiges „Haus der Bücher" am Paradeplatz in Königsberg jedem Königsberger ein Begriff ist, hat in diesen Tagen seinen Verlagssitz von Bad Wiessee am Tegernsee nach München 19, Hubertusstraße 4, verlegt. Nach dem Verlust der Heimat hat der Verlag bereits im Jahre 1946 seine verdienstvolle Verlagsarbeit wieder aufgenommen, zunächst bis 1949 in Marburg, später in Bad Wiessee.

 

Seite 4   Walter Bistrick

Die bekannte Königsberger Firma Walter Bistrick — Uhren, Bestecke, Heimatschmuck, Bernstein, Alberten — hat ihren Betrieb am 3. Oktober 1957, dem Tag ihres 64-jährigen Bestehens, von Stuttgart nach München 8, Vaterstetten, verlegt. Der soeben erschienene Bistrick-Bild-Katalog „Heimatgrüße" ist so interessant und zeigt eine so erfreulich heimattreue Grundhaltung, dass wir ihn allen Landsleuten warm empfehlen möchten. Er wird kostenlos abgegeben.

 

Seite 4   Teucke & Koenig (Foto)

In unsrer letzten Ausgabe berichteten wir kurz von dem Besuch des sowjetischen Botschafters in Bonn, Andrej Smirnow auf dem Ausstellungsstand der Firma Teucke & Koenig (früher Königsberg, jetzt Hannover), Herstellerin des echt ostpreußischen „Bärenfang" nach alten Hausrezepten. Diesen Augenblick hielt eine fixe Kamera fest, und so können wir heute unseren Lesern die Illustration zu unserem Bericht liefern. Wie der Bärenfang dem hohen Gast (ganz rechts) mundet, brauchen wir wohl nicht näher auszuführen, man sieht es. Ganz links der Mitinhaber der Firma, Herr W. Koenig. In der Mitte mit Mantel Münchens Oberbürgermeister Wimmer. Xaver Heilmannseder, der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes, ist mehr für den „Wodka", eine andere Spezialität des Hauses Teucke & Koenig. Er angelt sich das kostbare Nass aus der Tiefe. Ja, denn Prost!

 

Seite 4   Bilanz der „Aussiedler“-Transporte

Wie das Deutsche Rote Kreuz mitteilt, sind bisher 117 000 „Aussiedler" aus den deutschen Ostgebieten in die Bundesrepublik gekommen. 1955 waren es 13 000, 1956 26 000 und bis Ende September dieses Jahres 78 000. Der Direktor des Suchdienstes, Ohlsen, erklärte, dass es gegenwärtig etwa 200 000 deutsche Ausreisebewerber aus dem polnischen Bereich gäbe.

 

Die Gespräche mit dem Roten Kreuz der CSR seien nach Mitteilung Ohlsens erfolgreich gewesen. Dasselbe könne für die Rotkreuz-Gesellschaften von Rumänien und Ungarn gesagt werden.

 

Die Repatriierung und Familienzusammenführung Deutscher aus der Sowjetunion wurde von Ohlsen dagegen als schwierig bezeichnet. Im Jahre 1956 sind aus der SU 800 Personen und im laufenden Jahr bisher etwa 870 Personen ausgereist. Mit Jugoslawien ist die Familienzusammenführung bis auf einige hundert Fälle abgeschlossen.

 

Seite 4   Weihnachts-Besuchsreisen.

Die polnische Regierung will Deutschen in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten vor Weihnachten Besuchsreisen in die Bundesrepublik erlauben. Im Hinblick auf die schwierige Devisenlage Polens sollten die Reisenden — dies geht aus Presseberichten hervor — in polnischer Währung nur Fahrkarten bis an die Oder-Neiße-Linie lösen können. Die übrigen Fahrtkosten sollten von Angehörigen in der Bundesrepublik getragen werden.

 

Seite 4   Kirchenbuchauszüge

Das Zentrale Katholische Kirchenbuchamt für Heimatvertriebene hat seit kurzem begrenzte Möglichkeiten, kirchliche Matrikelauszüge aus den Oder-Neiße-Gebieten zu beschaffen. Die Beschaffung dauert durchweg drei Monate. Entsprechende Anträge nimmt das Kirchenbuchamt, München 8, Preysingstraße 21, entgegen.

 

Seite 4   Heimatvertriebene Bauern fordern volle Entschädigung

Die bisherigen Maßnahmen des Lastenausgleichs trügen lediglich einen Wohlfahrtscharakter, stellte die Arbeitsgemeinschaft deutscher Landwirte im „Bauernverband der Vertriebenen" in Hannover fest. Die Arbeitsgemeinschaft forderte eine echte Entschädigung für die jenseits der Oder und Neiße und der Zonengrenze verbliebenen Höfe. In einem an die Bundesregierung gerichteten Appell wird vorgeschlagen, die Hauptentschädigung bis zur Höhe des Verkehrswertes der Höfe festzusetzen. Der Erwerb eines neuen Eigentums soll den Anspruchsberechtigten durch eine mittels Vorfinanzierung beschleunigte Auszahlung ermöglicht werden.

 

Seite 4   Es starben fern der Heimat

Gustav Bettin, aus Tilsit, im Alter von 74 Jahren am 23. September 1957 in Flensburg.

 

Ernst Buettner-Schönsee, Rittmeister a. D., aus Carlsbach/Westpr., zuletzt Fidelkommissbesitzer auf Rittergut Schönsee im Kreise Wirsitz/ Westpr. am 14. Oktober 1957 in Lüneburg.

 

Wilhelm Gosda, aus Weichselburg/Westpr., im Alter von 74 Jahren, am 10. Oktober 1957 in Lüneburg.

 

Paul Henning, Lehrer i. R., aus Kussenberg/ Ostpr., im Alter von 70 Jahren am 9. Oktober 1957 in Lüneburg.

 

Fritz Wagner, Kaufmann, aus Stallupönen, am 10. Oktober 1957 in Gerdau.

 

Seite 4   Eltern suchen ihre Kinder

Tauende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg- Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit. das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Beldahnsee, Kreis Sensburg wird Hildegard Nowak, geboren am 7. August 1940 in Beldahnsee, gesucht von Erich Nowak, geboren am 12. Juni 1903.

 

Aus Boyen, Kreis Lötzen wird Dietmar Liesener, geboren am 1. November 1942, gesucht von seinem Vater Siegfried Liesener. Dietmar Liesener verlor seine Eltern am 29. Januar 1945 auf der Kurischen Nehrung. Er soll dann mit einem Treckwagen und dem polnischen Mädchen Wanda Polanek am 10. März 1945 in Stanz bei Karthaus/Westpreußen gesehen worden sein. Als körperliches Merkmal hat Dietmar Liesener am rechten oder linken Oberschenkel ein Muttermal. Auf dem rechten Auge hatte er einen Sehfehler, so dass er etwas nach innen schielte.

 

Aus Eisseln, Kreis Samland wird Wolfhart Wiese, geboren 1944, gesucht von seiner Mutter Charlotte Wiese. Am 4. Februar 1945 um 7.30 Uhr war der Junge mit seinen Eltern auf einem Munitionswagen in der Nähe des Gutes Eissen. Der Junge wurde durch Pakbeschuss vom Wagen geschleudert. Er lag in einem grauen Naether-Kinderwagen mit Chrom verziert und trug eine rote Hose und eine grüne Strickjacke. Es ist möglich, dass Einwohner aus Eisseln sich des Kindes angenommen haben.

 

Aus Gertlauken, Kreis Wehlau wird Lothar Krause, geboren im Juli 1937 in Gertlauken, gesucht von seiner Tante Emma Konrad, geborene Kurschat, geboren am 4. August 1906. Lothar Krause ist nach dem Tode seiner Eltern, die verhungert sind, 1947 nach Litauen gewandert.

 

Aus Groß-Lindenau, Kreis Samland, Wärterhaus 139 werden: Hans Balk, geboren am 30. Juli 1938, Ursula Balk, geboren im August etwa 1937, Hildegard Balk, geboren etwa 1934 in Kleinhof und Helmuth Balk, geboren 1934 in Kleinhof, gesucht von ihrem Vater Otto Balk, geboren am 7. August 1897 und von ihrem Großvater Gustav Braun, geboren am 10. Juni 1880. Die Mutter, Lina Balk, geborene Braun, wird ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Guttstadt, Kreis Heilsberg, Kirchenstraße 18 wird Agnes Koch, geboren am 13. Februar 1935 in Guttstadt, gesucht von ihrem Vater Otto Koch, geboren am 9. Dezember 1910 in Liebstadt. Das Kind war im Jahre 1945, 5 Monate in einem polnischen Waisenhaus (ehemaliges Krankenhaus) in Guttstadt.

 

Aus Klein-Rödersdorf, Kreis Heiligenbeil werden die Geschwister: Annemarie Kollmann, geboren am 2. Januar 1940 und Brigitte Kollmann, geboren am 5. Dezember 1937, gesucht von ihren Eltern Gerhard Kollmann und Erna Kollmann. Die Kinder befanden sich bei ihrer Großmutter, Frau Arndt, geborene Dröse. Es ist auch möglich, dass die Kinder den Namen Arndt führen. Die Großmutter ist im September 1946 verstorben. Die Geschwister Kollmann sollen nach dem Tode ihrer Großmutter in einem Kinderheim in dem Dorf Lank, Kreis Heiligenbeil, Aufnahme gefunden haben.

 

Aus Königsberg/Pr. Artilleriestraße 10/11 wird Irmgard Oberland, geboren am 30. Juli 1940 in Königsberg, gesucht von ihrem Vater Willi Oberland, geboren am 23. Januar 1907 und ihrem Onkel Paul Oberland, geboren 1904.

 

Aus Königsberg, Beydritter Weg 13 werden: Klaus Wöhrmann, geboren am 5. März 1939 und Inge Wöhrmann, geboren am 10. Januar 1937 In Königsberg/Preußen, gesucht von ihrem Vater Erich Wöhrmann, geboren am 29. Dezember 1910 in Königsberg. Inge und Klaus Wöhrmann sind auf der Flucht zurückgeblieben und sollen Mitte April 1945 in das Lager Pobethen, Kreis Samland gekommen sein.

 

Aus Königsberg, Abbau-Liep wird Gerhard Kariegus, geboren am 11. Februar 1938, gesucht von seinem Vater Friedrich Kariegus, geboren am 24. Juli 1892. Nach dem Tode der Mutter wurde das Kind von der Wirtschafterin Erna Neumann, geboren am 15. September 1893, betreut. Erna Neumann stammte aus Goldap.

 

Aus Königsberg-Kohlhof, Straße 1049, Nummer 5, wird Helmut Masuhr, geboren am 24. September 1936, gesucht von seiner Mutter Betty Masuhr, geborene Fischer, geboren am 6. Juli 1911 in Mehlsack/Ostpreußen. Helmut Masuhr war zuletzt im Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg.

Aus Königsberg-Spandienen 3, Straße 1775, Nummer 16 werden Winfried Schröder, geboren am 2. Dezember 1942 und Günter Schröder, geboren am 14. Juni 1940, gesucht von ihrer Großmutter Wanda Jansen, geboren am 5. April 1894. Mit den beiden Kindern wird auch die Mutter, Margarete Schröder, geborene Jankowski, geboren am 2. März 1919, vermisst. Angeblich wollte die Mutter mit den beiden Kindern Ostpreußen mit dem Schiff verlassen. Der Knabe Winfried wurde „Winnie" gerufen.

 

Aus Lichtenfeld, Kreis Heiligenbeil wird Helga Maaß, geboren am 16. Juni 1941, gesucht von ihrer Tante Martha Schönert, geborene Maaß. Helga Maaß war mit ihrer Mutter, Gertrud Maaß, geboren am 1. Oktober 1921, gemeinsam auf der Flucht. Die Mutter soll mit dem Kind bis Braunsberg gekommen sein.

 

Aus Neuhufen, Kreis Gumbinnen wird Günter Fabricius, geboren am 12. Oktober 1941, gesucht von seinem Vater Fritz Fabricius. Günter Fabricius soll mit seiner Mutter und einer Tante Emma über Marienburg nach Pommern geflüchtet sein.

 

Aus Osterode, Hohensteinerstraße 8 werden die Geschwister: Helga Grams, geboren am 23. September 1942, Margot Grams, geboren am 9. Oktober 1939, Inge Grams, geboren am 28. August 1937 und Elfriede Grams, geboren am 4. Februar 1936, gesucht von ihrem Vater Erich Grams, geboren am 14. Januar 1904 in Leissen und von ihrer Tante Clara Stück, geborene Grams. Die Mutter, Berta Grams, geborene Seefeldt, geboren am 30. September 1902, wurde mit ihren 4 Kindern am 29. Januar 1945 beim Einsteigen auf dem Schiff „Wega" in Hela gesehen. Das Schiff soll in Lübeck angekommen sein. Wer hat Frau Grams und ihre Kinder auf dem Schiff „Wega" gesehen?

 

Aus Rauschen-Kirtigehnen, Kreis Samland wird Paul Hellmig, geboren am 3. Oktober 1937, gesucht von seinem Vater Herbert Hellmig, geboren am 16. Juni 1907 und von seiner Mutter Erna Zander, geschiedene Hellmig, geborene Köstler. Das Kind soll im Winter 1946 in das Waisenhaus Pobethen, Kreis Samland gekommen sein.  

 

Aus Schillmeyßen, Kreis Heydekrug/Memelland werden: Günther Radszuweit, geboren am 9. April 1943 und Traute Radszuweit, geboren am 29. Dezember 1941, gesucht von ihrem Vater Karl Radszuweit. Die Mutter der Kinder, Meta Radszuweit, geborene Bertuleit, geboren am 7. Januar 1920, wird ebenfalls noch gesucht.

 

Aus Schmilgen, Kreis Schlossberg wird Horst Werner Bergau, geboren am 7. Mai 1941 in Schmilgen, gesucht von seinem Vater Ernst Bergau, geboren am 17. Dezember 1902. Der Junge flüchtete 1945 mit seiner Mutter, Minna Bergau, geborene Ney, geboren am 7. Mai 1904 und seinem Bruder Günther Bergau, geboren am 20. Februar 1931, nach Königsberg/Preußen, Dornstraße 3 - 4. Die Mutter erkrankte im Mai 1945 an Typhus und kam in das Elisabeth-Krankenhaus.

 

Aus Uderwangen wird Jürgen Wesskalnies, geboren 1942, gesucht von seinem Patenonkel Siegfried Hackenberg. Jürgen Wesskalnies war vermutlich 1944 bei seinem Vater in Brieg/Schlesien zu Besuch.

 

Kindersteckbriefe mit Fotos.

Name: Maaß,

Vorname: Horst,

Geboren: 18.01.1945 in Lötzen Ostp.

Augen: blau.

Haar: dunkelblond.

Vermutlich stammt der Knabe aus Lötzen/Ostpr. Die Kindesmutter mit dem Kind und der, Tante Edith Berger befanden sich im Auffanglager Uelzen. Hier erkrankte die Mutter und wurde in das Lagerkrankenhaus eingewiesen. Die Tante Edith Berger fuhr mit dem Jungen nach Hannover, wo er im katholischen Waisenhaus Aufnahme fand. Am 04.03.1948 kehrte die Tante nach Uelzen zurück und erfuhr, dass die Kindesmutter bereits am 13.02.1948 aus dem Lagerkrankenhaus entlassen worden ist Bild: Nr. 02 548

 

Name: Hartwig,

Vorname: Margitta,

geboren: 02.05.1944, angeblich Ostpreußen

Augen: braun

Für das oben genannte Kind, werden Angehörige gesucht. Margitta kam mit einem Flüchtlingstransport aus Ostpreußen. Woher sie dort stammt ist leider nicht bekannt. Bild: Nr. 02 339

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 11, November 1957.

Ich glaube an die Zukunft der Menschheit. Gedanken zum Totensonntag, von Albert Schweitzer.

Auf die Frage, ob ich pessimistisch oder optimistisch sei, antworte ich, dass mein Erkennen pessimistisch und mein Wollen und Hoffen optimistisch ist.

 

Pessimistisch bin ich darin, dass ich das nach unseren Begriffen Sinnlose des Weltgeschehens in seiner ganzen Schwere erlebe. Nur in ganz seltenen Augenblicken bin ich meines Daseins wirklich froh geworden. Ich konnte nicht anders, als alles Weh, das ich um mich herum sah, dauernd mitzuerleben, nicht nur das der Menschen, sondern auch das der Kreatur. Mich diesem Mitleiden zu entziehen, habe ich nie versucht. Es erschien mir selbstverständlich, dass wir alle an der Last von Weh, die auf der Welt liegt, mittragen müssen.

 

So sehr mich das Problem des Elends in der Welt beschäftigte, so verlor ich mich doch nie im Grübeln darüber, sondern hielt mich an den Gedanken, dass es jedem von uns verliehen sei, etwas von diesem Elend zum Aufhören zu bringen. So fand ich mich nach und nach darein, dass das einzige, was wir an jedem Problem verstehen könnten, dies sei, dass wir unsern Weg als solche, die Erlösung bringen wollen, zu gehen hätten.

 

Auch in der Beurteilung der Lage, in der sich die Menschheit zurzeit befindet, bin ich pessimistisch. Ich vermag mir nicht einzureden, dass es weniger schlimm mit ihr steht, als es den Anschein hat, sondern bin mir bewusst, dass wir uns auf einem Wege befinden, der uns, wenn wir ihn weiter begehen, in eine neue Art von Mittelalter hineinführen wird. Das geistige und materielle Elend, dem sich unsere Menschheit durch den Verzicht auf das Denken und die aus dem Denken kommenden Ideale ausliefert, stelle Ich mir in seiner ganzen Größe vor.

 

Dennoch bleibe ich optimistisch. Als unverlierbaren Kinderglauben habe ich mir den an die Wahrheit bewahrt. Ich bin der Zuversicht, dass der aus der Wahrheit kommende Geist stärker ist als die Macht der Verhältnisse. Meiner Ansicht nach gibt es kein anderes Schicksal der Menschheit als dasjenige, das sie sich durch ihre Gesinnung selber bereitet. Darum glaube ich nicht, dass sie den Weg des Niederganges bis zu Ende gehen muss.

 

Weil ich auf die Kraft der Wahrheit und des Geistes vertraue, glaube ich an die Zukunft der Menschheit.

 

Foto: Soldatenfriedhof am Niederrhein.

Jedes Opfer trägt seine geheime,

oft an sehr entferntem Orte und

in sehr ferner Zeit sichtbar werdende

Frucht.

Ernst Jünger

 

Seite 5   Für unsere Leseratten.

Liebe Leseratten!

Heute und in der nächsten Ausgabe, das versprachen wir euch ja schon, wollen wir euch schöne Geschenkbücher für den Weihnachtstisch vorführen. Wir glauben, dass wir euch da in jeder Weise befriedigen können. Zuerst also zwei Jugendbücher, die euch begeistern werden.

 

Band 1 für Jungen:

Überall dabei. Das große Jungenjahrbuch. Jahrgang III 1957/1058 (Bertelsmann Verlag Gütersloh. 400 Seiten, Ganzleinen DM 12,80).

Was sich alles in diesem gewichtigen, herrlich ausgestatteten Band verbirgt, kann im Einzelnen natürlich nicht aufgezählt werden. Da muss man sich schon selbst hinein vertiefen. Jeder Junge möchte gern überall dabei sein. Aber woher die Zeit und woher das Geld nehmen, um diesen großen Wunsch zu erfüllen? Immer wird er nur das Leben in dem ihm durch den Beruf zugewiesenen Lebensraum, bzw. durch seine ganz besonderen Neigungen in Teilausschnitten erfassen können. Das heißt aber nicht, dass er auf alles andere verzichten muss. Ein Buch wie „Überall dabei" bringt ihm in spannenden Erzählungen und Berichten die weite Welt die Wunder der Natur, die Welt der Technik, Kunst und Wissenschaft ins Haus. Die vielen Autoren, jeder auf seinem besonderen Gebiete ‚zu Hause', erlebten, schauten und hörten für ihn. Im Lesen erschließt sich ihm das Geheimnis Welt.

 

Aber auch im Schauen. Über 200 zum Teil ganzseitige Schwarzweißfotos. 34 Farbfotos und farbige Abbildungen, 85 Textillustrationen, dazu 24 Kunstdruck- und Vierfarbtafeln machen jeden der Beiträge zu einem Erlebnis, fangen Bewegung und Farbe ein. Auch die Bastler unter euch finden ihr Hobby. Nicht zu vergessen: auch in diesem Jahrgang winken in einem Preisausschreiben wieder viele wertvolle Gewinne.

 

Der nächste Band wendet sich an die Mädchen:

Für Dich. Ein Jahrbuch für Mädchen. Jahrgang II 1957/1958 (Bertelsmann Verlag Gütersloh. 312 Seiten, Ganzleinen DM 11,50).

Und hier müsste dasselbe noch einmal wiederholt werden. Nur eben, dass hier die Beiträge auf die Bereiche des Mädchens abgestimmt sind. Wer möchte nicht, wenn er jung und lebensfroh ist, mit offenen Augen in die Welt schauen und ihre Schönheiten erkennen. Besitz ergreifen von den großen und kleinen Dingen des Lebens, freimütig und kritisch auch schwierige Fragen anpacken? Hier ist „Für Dich" der richtige Führer.

 

Über 60 Fotos und vier mehrfarbige Reproduktionen auf Kunstdruckpapier, dazu über 120 Zeichnungen im Text ergänzen auf das Beste die vielen Beiträge. Selbstverständlich winken auch hier den Leserinnen wertvolle Preise aus dem Preisausschreiben.

 

Zwei Jugendbücher von Rang, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Geschenkbücher, die nicht nur einen augenblicklichen Reiz haben, sondern lange und nachhaltig in unser Leben wirken.

 

Und wieder ein Schneider-Buch für unsere tatendurstigen und erlebnisfreudigen Jungen:

Hans-Otto Meißner: Im Geistertal von Sumatra (Franz Schneider Verlag München. 176 Seiten, farbiger Glanzeinband, DM 4,80).

Undurchdringlich sind die Geheimnisse von Sumatra. Hans-Otto Meißner entdeckt die menschenscheue Urbevölkerung, die noch auf der Kulturstufe der Steinzeit lebt. Nach unsagbaren Mühen findet er das Heiligtum dieses Volkes, das dämonische Geistertal. Der Tatsachenbericht gibt einen lebendigen Eindruck von dem fernen Land und seinen Bewohnern: den modernen Menschen in den Städten und dem scheuen Urwald-Volk das noch nie einen Weißen sah.

 

Ein spannendes Abenteuerbuch, und doch ist alles wahr und erlebt. Ihr werdet begeistert sein. Gert und Ute.

 

Seite 5   Hunderte selbstgefertigte Ausstellungsstücke. Herner Lehrer und Schüler gestalten ostdeutsche Ausstellung.

Im Emschertalmuseum in Herne wurde im Oktober im Rahmen der Heimatwoche eine Ausstellung von Arbeiten Herner Lehrer und Schüler zum Thema „Der deutsche Osten" gezeigt. Die Ausstellungsstücke zeugen von der nichtverschütteten Liebe zu einem Teil Deutschlands, den die Herzen niemals verlorengeben werden, und wir müssen es der Lehrerschaft und den Schülern von Herne danken, dass sie sich mit so einer Begeisterung an das Thema gewagt und viele Schul- und noch mehr Freizeitstunden für die Fertigung dieser Ausstellungsstücke aufgewandt haben.

 

Gewiss, nicht alles darunter ist reif für das Haus der deutschen Kunst. Das war auch nicht Sinn der Sache. Trotzdem finden wir auch unter den Schülerarbeiten Hervorragendes, so zum Beispiel die drei Arbeiten des dreizehnjährigen Realschülers Jochen Beverungen: Modelle einer Danziger Kogge, des Danziger Krantors und der Burg Tiefenau.

 

Zeichnungen, Landkarten, Bastelarbeiten, Holzschnitzereien, Laubsägearbeiten, Handarbeiten, Stickereien und Malereien in allen Techniken ließen den Besucher das Bild der verlorenen Heimat jenseits Oder und Neiße vor Augen treten.

 

Abschließend kann zu dieser Ausstellung gesagt werden: ein dankenswertes Unternehmen, zugleich ein schöner Erfolg für die Aussteller.

 

Foto: Eine Bastelarbeit, zugleich Thema und Leitmotiv der Ausstellung: Deutscher Osten: Dies Land, da du geboren, das du als Heimat liebst. Es ist dir erst verloren, wenn du’s verloren gibst.

Der 13 Jahre alte Realschüler Jochen Beverungen bastelte das Danziger Krantor, eine Hansekogge und das Modell der Burg Tiefenau

 

Seite 6   Gedenkblatt des Monats. Ernst Moritz Arndt (Abbildung)

Manches Wort und Buch, die der Pommer Ernst Moritz Arndt in den 90 Jahren eines bewegten Lebens schrieb, fiel der Vergessenheit anheim. Jung wie ehedem wirkt jedoch das von ihm zu Papier gebrachte „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze". Er schrieb es am Tage nach der Völkerschlacht bei Leipzig in einem Flugblatt nieder. Es hat 150 Jahre überdauert und spielte selbst nach dem Zusammenbruch von 1918 in der politischen Auseinandersetzung keine unbeträchtliche Rolle.

 

Der es erstmals ins Leben rief, war ein Sohn pommerscher Erde, auf den die Pommern mit Stolz blicken. Dass Arndt als Sohn eines Leibeigenen zur Welt kam, erklärt mit, warum er später die Freiheit in Tat und Wort so überschwänglich feierte. Geboren am 26. Dezember 1769 schrieb er später als Privatdozent der damals schwedischen Universität Greifswald den „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen" (1803). Seine Heimat — namentlich das Geburtsdorf Schritz auf Rügen — jubelte ihm insgeheim zu. Als er sich bei seinem Landesherrn in Stockholm rechtfertigen musste, ließ jener sich überzeugen: „Wenn dem so ist (wie Arndt es aufschrieb) — dann hat der Mann recht" entschied der König und hob drei Jahre später die Leibeigenschaft auf.

 

Zur geschichtlichen Größe wuchs Arndt, damals Vertrauter und Mitarbeiter des Reichsfreiherrn vom Stein, als Dichter und Sänger der Befreiungskriege. „Der Gott, der Eisen wachsen ließ", ist auch heute noch nicht tot.

 

Seite 6   Was wissen wir vom deutschen Osten?

Unter diesem Motto veranstaltet der Bund der Kaufmannsjugend im DHV einen zweiten Wettbewerb. In drei aufeinander folgenden Ausgaben seiner Zeitschrift „Blätter für junge Kaufleute" werden Städtebilder und Wappen aus dem ost- und mitteldeutschen Raum veröffentlicht. Die Kaufmannsjugend wird aufgefordert, die Abbildungen zu deuten und ihr Wissen in eigener Art und selbstgewählter Form zu bekunden. Dieser Wettbewerb soll vor allem dazu anregen, das Wissen um die ost- und mitteldeutschen Gebiete zu erhalten und zu vertiefen.

 

Auch in diesem Wettbewerb werden die besten eingehenden Arbeiten ausgezeichnet. Die Teilnahme ist für alle männlichen und weiblichen Kaufmannslehrlinge offen. Einsendungen werden bis zum 31. Januar 1958 vom Bund der Kaufmannsjugend im DHV, Hamburg 1, Ferdinandstraße 59, entgegengenommen, der auch Einzelheiten und Bedingungen dieses Wettbewerbs auf Anfrage mitteilt.

 

Seite 6   Die Wanderdünen der Nehrung.

Schon im 17. Jahrhundert wird von der Nehrung ausdrücklich gesagt, sie bestehe aus sandichten Hügeln und Wäldern. Es wird von einem Sandberge Bleß erzählt, der bei Kunzen gelegen und vierzehn vom Memelschen Markte nach Königsberg zurückkehrende Wanderer „durch seinen Einfall auf einmal erschlagen".

 

Die Kirche von Sarkau leidet schon 1735 vom Sandfluge und wird umzäunt. 1743 versandet die halbe Hufe des Bauern Kantrowitz in Kunzen. Der dortige Krug muss 1749 wegen Versandung abgebrochen werden. 1746 war der Kunzener Krug schon so versandet, dass man seewärts, d. h. von Westen, nicht mehr hineinkommen konnte. Er musste 1749 abgebrochen und eine halbe Meile davon höher hinauf nach der Haffseite transportiert werden. Nanke fand den neuen im Jahre 1794 bereits bis zum Dache verschüttet. Die Versandung des Dorfes kann mittlerweile nur sehr langsam erfolgt sein, denn wir finden im Jahre 1817 noch immer 7 Wirte aufgeführt, darunter den ehemaligen Unterförster Schur, „dessen Gebäude nun schon von den Sandbergen verdrängt werden". Die Präzentur ist mit dem Pfarramte in Rossitten verbunden. Der Krug — als zu Bledau gehörig — wird besonders aufgeführt.

 

In diesem Jahre 1817 brachte ein sechs Tage lang wehender Herbststurm aus Südwesten große Verheerungen; die Einwohner erklärten, nicht länger bleiben zu können, wenn nicht eine Herabsetzung des Zinses erfolge.

 

Im Jahre 1822 werden noch fünf Besitzer in Kunzen aufgeführt. Die folgenden Jahre müssen die endliche totale Versandung gebracht haben. Jachmann bemerkte 1825 noch ein kurz vorher verfallenes Kruggebäude und ein einzelnes ärmliches Haus mit einer ebensolchen Scheune und fügt hinzu, dass bis zum Jahre vorher auch noch ein kleiner Teil des Kunzenschen Feldes von den ehemaligen Wirthen dieses Dorfes, die jetzt in Rossitten als Instleute lebten, kümmerlich benutzt worden sei.

 

Die Lage Alt-Pillkoppens zeichnet sich vor der aller Dörfer nördlich von Rossitten dadurch aus, dass es einen kurzen ebenen Zugang zur See hat. Der Dünenwall trennt überall die Haffbewohner von der See ebenso bestimmt, wie ein mehrere tausend Fuß hohes Gebirge, vielleicht noch entschiedener. Wer es je versucht hat, eine Sturzdüne hinaufzugehen, wird es begreifen, dass diese Nehrungsdörfer sich nur an solchen Stellen bilden können, wo eine Einsenkung oder Einsattelung den Übergang ermöglicht. Solche Stellen sind aber gerade die gefährlichsten für die Dörfer, weil der zwischen zweien Höhen eingepresste Wind diese Pässe fegt, den Sand nach Osten treibt und das Dorf bedroht. Diesem Umstände ist der Untergang von Karwaiten und Negeln zuzuschreiben. Pillkoppen entging der Gefahr einer solchen Situation, da es einen vollkommenen freien Zugang zur See durch sein Dünentief (das einzige auf der Nehrung) besaß und im Schutze der ungeheuren Sturzdüne dalag. Dafür wurde es in ähnlicher Weise bedroht wie Kunzen. Indem der 80 Meter hohe Dünenwall plötzlich zum Niveau des Haffes abfällt, bietet er seine beiden Wände den Weststürmen dar, welche den Sand erfassen und — eingepresst in die Röhre des Dünentiefes — ihn mit großer Gewalt nach Osten führen. Es muss daher, dieser Lage gemäß, an den beiden Abfällen des Dünenwalles sich dauernd eine Sandwehe bilden, welche sich eine Zeit lang vergrößert, dann — wie jede größere Sandmasse — von dem Massiv des Dünenzuges loslöst, freigeworden weiterwandert und endlich im Haff verschwindet.

 

Nachdem in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Alt-Pillkoppen durch einen solchen losgelösten Sandberg bedroht und teilweise vernichtet worden war, scheint sich gegenwärtig ein gleiches Verderben vorzubereiten. Ich fand im Jahre 1868 die südliche Sandwehe noch ein paar hundert Schritte von dem gemütlichen Schulhause, dem nächsten am Dünenwalle, entfernt und glaubte nichts fürchten zu dürfen. Im Jahre 1869 war sie so weit vorgedrungen — namentlich in Folge eines trockenen Sturmes im Juni — dass die Entfernung nur noch wenige Schritte betrug, in dem Kartoffelgarten des Schullehrers der Sand aber bereits fußhoch lag. Geht es so weiter, so wird in zwei bis drei Jahren das vor kurzem neu erbaute Schulhaus abgebrochen werden müssen.

Ludwig Passarge (1871 in der Altpreußischen Monatsschrift)

Angemerkt kann hierzu noch werden, dass Pillkoppen dem ihm zugedachten Schicksal in letzter Stunde durch Anpflanzung und Aufforstung seiner gefährlichen Düne entgehen konnte.

 

Seite 6   Ein ostpreußischer Schildbürgerstreich.

Die Domnauer bauen ein Rathaus.

Das kleine Städtchen Schilda in Sachsen darf getrost sein, jede Landschaft hat ihre eigenen Schildbürger. So hat der Böhmerwald seine Hirschauer und Niedersachsen seine Schöppenstedter, und mit den Hornbergern soll es auch nicht weit her sein. Und Ostpreußen hat eben seine Domnauer.

 

Einst sollte in Domnau ein neues Rathaus gebaut werden. Da aber in den engen Mauern des Städtchens so wenig Platz war, wurden die Balken auf dem Anger vor den Toren zugehauen. Als nun die Domnauer den ersten Balken durch das Tor tragen wollten, merkten sie, dass das Tor für den langen Balken viel zu eng war; denn sie hatten den Balken quer genommen.

 

 „Was machen wir nun?" überlegten die braven Domnauer. Kleiner mochten sie den Balken nicht machen, denn sie wollten ein schönes großes Rathaus haben. Also musste das Tor abgebrochen werden. Gerade wollten die Domnauer anfangen, das Stadttor abzubrechen, als ein kleines Vögelchen mit einem langen Strohhalm durch das Stadttor geflogen kam. „Spitz nach vör, Spitz nach vörl" schrie das Vögelchen, als es die dummen Domnauer mit dem quergehaltenen Balken sah.

 

Die Domnauer staunten nicht schlecht, dass das kleine Vögelchen mit dem langen Strohhalm durch das Stadttor fliegen konnte. Aber hatte es ihnen nicht „Spitz nach vorn!" zugerufen? Richtig, das war die Lösung. Das Vögelchen hatte den Strohhalm der Länge nach durch das Stadttor gebracht, das konnten die Domnauer doch auch mit ihrem Balken tun. Sie trugen den langen Balken nun mit der Spitze nach vorn durch das enge Tor und waren sehr froh darüber, dass sie das gute Tor nicht abzubrechen brauchten.

 

Seite 6   Alter Spruch.

Singen kannst du? Sing!

Springen? Spring!

Treib, was du kannst,

das ist ein fein Ding.

 

Seite 6   Ernst Moritz Arndt. Der Lebensbaum.

Ich habe von Kindheit auf gern unter Blumen und Bäumen gespielt und mache sie auch jetzt noch in einsamen Stunden zu den stillen Genossen und Interpreten meines Lebens, dessen Bild ich in dem ihrigen mit Freuden wiedersehen möchte. Denn wie entsteht der Baum, und wie besteht er? Dunkel entwickelt sich sein Keim im Schoß der Erde; die ersten Jahre hat er die Arbeit der Wurzeln, dass sie tiefer dringen und sich befestigen, und seine ersten Blättchen erscheinen kaum einige Zoll hoch über dem Boden. Dann kommt sein Wuchs allmählich ins Gleichgewicht, und wie Zweige und Blätter zum Licht hinaufgezogen werden, so schlagen die Wurzeln tiefer nach unten hinab: er genießt beides, des Himmels und der Erde, bis die Zeit seiner schönsten Jugend kommt, und die lieblichen Kinder des Lichts, die Blüten, seinen Wipfel schmücken.

 

So sollte auch der Mensch wachsen, und so könnte er wachsen, im stetigen Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, das volle Maß seines Lebens und seiner Kräfte im einfältigen Weltgenuss und Weltglauben zusammenhaltend.

 

Zu welcher Kraft würde das Geistige dann mit dem Irdischen zusammenwachsen! Und endlich: wie würde die Tugend und die Kunst als die erfreulichste Blüte der Menschheit aus solcher unschuldigen Vereinigung auf der höchsten Spitze des Lebens hervorbrechen und nicht so frühe welken als in unsern Tagen!

 

Seite 6   Masuren.

Ergänzend zu unserem Beitrag „Masuren — Kleine Monographie in Stichworten“ in der September-Kogge schreibt uns unser Leser Adam Lojewski:

Bekanntlich war das alte „Pruzzenland" in Gaue eingeteilt. Der südliche Teil nannte sich Sudauen. Der letzte Führer dieses Gaues hieß Skomont. Nach Forschungen soll seine Burg auf einer kleinen Insel im Skomentner See bei Lyck gestanden haben. Reste der Burg sollen hier gefunden worden sein. In diesem Zusammenhange sei auch noch erwähnt, dass auch der Silberschmuck, der auf einer Anhöhe am Ufer des Skomentner Sees von dem Bauer Jezierski aus Skomanten gefunden wurde, wahrscheinlich von einer Fürstin des Stammes der Skomont herrührt. Wahrscheinlich ist ihr der Schmuck bei der Bestattung mit ins Grab gegeben worden.

 

Der Name des Dorfes Skomanten dürfte gleichfalls von dem Stamm der Skomonts herzuleiten sein.

 

Zu den Dichtern Masurens ist noch der Pfarrer Michael Pogorzelski zu zählen. Er wurde 1737 in einem Dorf bei Lyck geboren. Er war zunächst Kantor in Ragnit, später Pfarrer in den masurischen Orten Kutten und Kalinowen. In Kalinowen hielt er seine urwüchsigen und originellen Predigten, durch die er besonders bekannt geworden ist.

 

Hören wir nachstehend eine kleine Probe aus seinen deftigen Predigten, die man gleichwertig neben die eines Abraham a Santa Clara stellen kann, nur eben, dass sie unverwechselbar masurisch sind:

Quid est vita humana? Was ist menschlich Lebben? Menschlich Lebben ist Wind — drück zu, Pur! consumatum est. — Quid est vita humana? Was ist menschlich Lebben? Menschlich Lebben is Theerpudel am Wagen: schlicker und schlacker, schlicker und schlacker: — Bums! liegt auf Erde Item quid est vita humana? Was is menschlich Lebben? Menschlich Lebben ist baufällig Strohdach, kommt Wind, berdaucks — fällt's um.

 

Seite 6   Ein Märchen aus Pommern. Der Dukatenschatz.

Vor vielen Jahren lebte in dem Dorfe Rothenkirchen auf Rügen ein Bauer, namens Johann Wilde. Der wollte gerne reich werden und fing das auf folgende Weise an. Er ging um Mitternacht zu den neun Bergen, nahm eine Branntweinflasche mit und legte sich nieder, als wenn er schwer betrunken wäre.

Als nun die Zwerge aus den neun Bergen hervorkamen, um auf der Oberwelt zu tanzen, da glaubten sie, dass er wirklich betrunken sei, und nahmen sich nicht sonderlich vor ihm in acht, so dass

es ihm glückte, einen von ihnen, ehe dieser sich dessen versehen konnte, seinen gläsernen Schuh von dem kleinen Fuß zu ziehen. Mit dem lief er eilig nach Hause, wo er ihn sorgfältig verbarg. Die andere Nacht aber ging er zu den neun Bergen zurück und rief laut hinein: „Johann Wilde in Rothenkirchen hat einen gläsernen Schuh! Wer kauft ihn? Wer kauft ihn?" Denn er wusste, dass der Zwerg dann bald kommen würde, um seinen Schuh wieder einzulösen.

 

Der arme Zwerg musste seinen Fuß so lange bloß tragen, bis er seinen Schuh zurück hatte. Sobald er daher wieder auf die Oberwelt kommen durfte, verkleidete er sich als ein reisender Kaufmann und ging zu Johann Wilde. Dem suchte er den Schuh anfangs für ein Spottgeld abzukaufen; Johann Wilde pries aber seine Ware an, bis der Kleine ihm zuletzt die Kunst anzauberte, dass er in jeder Furche, die er pflügte, einen Dukaten finde. Dafür gab er den Schuh zurück.

 

Nun fing der Bauer geschwind an zu pflügen, und so wie er die erste Scholle gebrochen hatte, sprang ihm ein blanker Dukaten aus der Erde entgegen, und das ging immer weiter so, so oft er eine neue Furche anfing. Daher machte er denn auch bald ganz kleine Furchen und wendete den Pflug so oft um, als er nur eben konnte. Dadurch wurde Johann Wilde in kurzem ein so reicher Mann, dass er selbst nicht wusste, wie reich er war.

 

Doch es war, dies alles sein Unglück, und er hatte keinen Segen davon. Denn weil er, immer des Geldes mehr haben wollte, so pflügte er zuletzt Tag und Nacht und tat zuletzt nichts mehr als pflügen. Das konnten nun zwar seine Pferde wohl aushalten, denn er kaufte sich deren einen große Menge, damit sie immer frische Kräfte hätten und desto mehr Furchen pflügen könnten; aber er selbst wurde durch die viele Mühe ganz krank und elend. Als der zweite Frühling kam, fiel er eines Tages hinter dem Pfluge hin und war vor Entkräftung plötzlich gestorben.

 

Seine Frau und Kinder fanden nach seinem Tode einen ungeheuren Schatz von Dukaten vor. Davon haben sie sich große Güter gekauft und sind hernach reiche Edelleute geworden. Ernst Moritz Arndt

 

Seite 6   Ernst Wiechert. An die Jugend (Aus einer Rede 1945)

Es wird wohl so sein, dass eure Augen sehender geworden sind. Für die Tafeln der Namen wie für die der Geschichte. Und vielleicht werdet ihr eines als eure Hauptfrage erkennen: dass es von dieser Stunde an niemals und unter keiner Bedingung einen deutschen Staat zu geben hat, in dem einer oder zwei oder drei das Recht besitzen, ein ganzes Volk auf die Schlachtfelder zu schicken, ohne vorher das ganze Volk zu befragen. Mütter und Söhne zu befragen. Lasst mich euch dies auf die Seele binden wie ein Vermächtnis. Denn auf den Schlachtfeldern verbluten niemals die zwei oder drei, sondern auf ihnen verbluten die Mütter und die Söhne, und wenn uns nichts auf dieser Erde gehört, so doch wenigstens das Blut unserer Herzen, und in unsere Hand muss es gelegt sein, zu entscheiden, ob wir es an ein blutiges Phantom hingeben oder an die Werke der Liebe und Menschlichkeit. Erkennt bis zu eurem Herzensgrunde, was die Gewalt ist, die Lüge, der Hass, das Unrecht, die Phrase. Und wenn ihr es erkannt habt, dann sät aus in die Herzen des kommenden Geschlechts. Und wenn es hundertmal misslungen ist, so beginnt mit demselben Glauben, mit dem ihr das erste Mal begonnen habt.

 

Seite 6   Foto.

Klick! macht die Kamera. Aber was hat sie wohl eingefangen? Ja, wer weiß das. Das kann man nur erraten. Hat unser Freund seine Kameraden während des Heimabends aufs Korn genommen? Hat er das gemeinsam gebastelte Modell einer Ordensburg in die richtige Schusslinie gebracht? Man kann es — wie gesagt — nur raten.

Da kommt mir übrigens ein Gedanke. Liegen nicht viele von euch stets mit ihren Knipskästen auf der Lauer, etwas Nettes einzulangen? Wie wär's, wenn wir für die schönsten Schnappschüsse eine Ecke in unserer „Kogge" einräumten?

 

Machen wir wenigstens einmal den Versuch damit! Im Thema sollen euch dabei keinerlei Begrenzungen auferlegt werden. Hauptsache: ein guter Schnappschuss! Doppelt schön natürlich, wenn der Schuss auf Fahrt oder im Lager oder in der Gemeinschaft eurer Gruppe entstand. Aber, wie schon gesagt, das soll nicht das Entscheidende sein.

 

Und damit die Sache einen gewissen Reiz erhält: aus der Schatzkiste der „Kogge" wird selbstverständlich für jedes veröffentlichte Bild ein kleines Honorar gezahlt. Für Meisterschüsse gibt es darüber hinaus einen schönen Buchpreis.

Einsendungen bitte nur an Ostpreußen-Warte, Kogge-Schriftleitung Hannover, Klingerstraße 4.

Und nun: Linsen geputzt! und freudig ans Werk!

 

Seite 7   Pommern – Das Land „Land am Meer“

Das Bild einer unvergessenen Provinz im deutschen Osten.

Was wissen wir voneinander? Folge 3 / Pommern

Wenn man von Pommern spricht so denkt man unwillkürlich an das Meer, an die Ostsee, die uns Ostdeutschen so sehr vertraut und heute in schier unerreichbare Ferne gerückt ist. Lutz Mackensen beschreibt Pommern, das „Land am Meer“, wie die Übersetzung des slawischen Namens Pomorze lautet, als „ein langes schmales Haus; die Fensterseite nach Norden, vielgegliedert und wohlverschlossen, die Hofseite nach Süden, Westen und Osten unverzäunt und jedermann offen“. Und man kann in der Tat keine bessere und schönere Beschreibung für die Provinz Pommern finden. Auf 500 km "wirft die Ostsee von den wildzerzausten Wäldern der Halbinsel Darß im Westen bis zu den langgestreckten Dünenketten im Osten ihre Wellen an den Strand des pommerschen Landes. Dies ist die einzige feste Grenze dieses Raumes. An seiner breitesten Stelle nach Süden misst Pommern 120 km. Land am Meer“ ist der einzig treffende Name für dieses Land.

 

Und das Meer ist auch mitbestimmend für das Wesen dieses Landes und seiner Menschen. Fischer und Seeleute bevölkerten die Dörfer und Städte an der Küste. Bauern prägten das Gesicht dieser Landschaft. In den Städten Stralsund und Greifswald im Westen, Swinemünde im Oderdelta, Kolberg, Köslin und Rügenwalde im Osten, entwickelte sich neben der Schifffahrt eine Industrie, die dem Lande mit seiner Landwirtschaft diente. Die pommerschen Ostseebäder lockten jährlich Zehntausende Menschen an und schenkten ihnen Erholung. Ob wir die Bäder auf der größten Insel Deutschlands, Rügen, nennen: Binz Sellin, Saßnitz, oder der beiden Schwesterinseln Usedom-Wollin, wie Swinemünde, Ahlbek, Heringsdorf, Misdroy, oder die großen und bekannten Bäder Hinterpommerns, Kolberg, Stolpmünde, Leba — sie alle dienten dem Menschen. Hier fand er ein Land vor, das noch Oasen der Einsamkeit besaß: Die weißen Sandwälle der Lonzke-Düne, verträumte rostrote, sich weit dehnende Kiefernwälder.

 

Pommern ist ein Land, das eine bewegte Geschichte aufweist. Schwer hat dieses Land um seine politische Einheit ringen müssen. Der mächtige Städtebund der Hanse, die Ritter des deutschen Ritterordens, Bischöfe und Mönche, Herzöge und Grafen, Schweden und Polen haben um das Ganze oder um Teile dieses Landes gerungen. Die Kriegsfackel hinterließ ihre Spuren. Immer aber war es der deutsche Mensch, der diesem Landstrich das Gesicht gab. Und stets war es die Klammer des Meeres, mit den Winden im Wechsel der Jahreszeiten, die den Menschen zu sich selbst zurückfinden ließ, seine Leistungen bestimmte — und es waren große Leistungen, die vollbracht wurden – und den Maßstab für jegliches Handeln gab.

 

In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts trat Pommern in das Licht der Geschichte. Es war die Zeit, als Heinrich I. und Otto der Große begonnen hatten, die Herrschaft des Deutschen Reiches über die Elbslawen auszudehnen. Wo standen die Pomoranen, ein slawischer Stamm, der damals Pommern bewohnte?  Sie standen nicht auf Seiten der Polen. Herzog Boleslaw von Polen nahm um das Jahr 1120, nachdem er viele Jahre mit den Pomoranen gekämpft hatte, Stettin ein. Sein Ziel war es, Pommern, das ohne Gewaltanwendung innerlich für das Christentum gewonnen werden sollte, fest an Polen zu binden. So rief er Bischof Otto von Bamberg in das Land an der Oder. Dieser wurde zum wahren „Pommernapostel“.

 

1138 starb Boleslaw. Die Kirche in Pommern aber arbeitete nicht mit Polen zusammen, sondern mit den Dänen, die auch die ersten Klöster im Pommernlande gründeten. Das Land hatte politisch unter den Erbteilungen der Nachkommen Boleslaws schwer zu leiden. Die Deutschwerdung Pommerns aber hatte im 12. Jahrhundert mit dem Aufbau der Kirche begonnen. Ein Jahrhundert später begannen die pommerschen Herzöge Barnim I. und Wartislaw III. den Zuzug deutscher Ritter bewusst zu organisieren. Eine zweite, intensivere Welle deutscher Kolonisation setzte ein. Städte wurden gegründet. Ritter und Adel begannen ihr großes Werk der Siedlung, das bis in unsere heutigen Tage seinen festen Bestand gehabt hat. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts war Pommern zwar noch kein völkisch einheitliches Land. Verstreut waren die deutschen Dörfergruppen und Städte. Aber im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte wuchs das Siedlungswerk, das einst wenige deutsche Menschen begonnen hatten: Bauern aus vielen Teilen Deutschlands, die mit den knarrenden Treckwagen einst in die dunklen Wälder zwischen Oder und Weichsel aufgebrochen waren. Pommern wurde deutsch, nachdem es den Polen nicht gelungen war, es polnisch zu machen.

 

Und so deutsch blieb es, bis die slawische Flutwelle des letzten Krieges die Deutschen, die aus Pommern ein blühendes Agrarland mit Deutschlands drittgrößter See- und Hafenstadt Stettin gemacht hatten, aus einem 700-jährigen deutschen Land vertrieb.

 

Von den Leistungen, die 700 Jahre altes Deutschtum in Pommern vollbrachte, sollen hier einige Zahlen zeugen. Pommern hatte 1939 etwa 2,4 Millionen Einwohner. Dieses Land, das zur Hauptsache landwirtschaftlich genutzt wurde, hatte in der Periode der Jahre 1935/1939 folgende Durchschnittsernten:

 

Doppelzentner je ha

Getreide, insgesamt: Pommern 17,9; Altreich 20,3

Kartoffeln: Pommern 173,2; Altreich 173,2

Zuckerrüben: Pommern 319,2; Altreich 318,2

Futterrüben: Pommern 471; Altreich 454,6

Heu, insgesamt: 44,6; Altreich 49,4

 

Ostdeutschland ernährte eine eigene Bevölkerung von 9,5 Millionen und lieferte weiterhin den Nahrungsmittelbedarf für etwa 6 Millionen Menschen.

 

Pommern hatte folgende Anteile an dieser Überschusslieferung:

 

Brotgetreide: Ostdeutschland (in 1000 to) 1 398; Pommern 654; Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 47

 

Kartoffeln: Ostdeutschland (in 1000 to) 1 532; Pommern 853; Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 54

 

Fleisch i. to.: Ostdeutschland (in 1000 to) 20 244; Pommern 106 739; Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 50

 

Reinfett: Ostdeutschland (in 1000 to) 25 361; Pommern 18 592; Pommern 1 v. H. Ostdeutschlands 74

 

Aber nicht nur die Landwirtschaft, Handel, Industrie und Handwerk zeugen durch ihre Leistungen für die Wirtschaft Pommerns, des deutschen Ostens und damit der Volkswirtschaft des ganzen deutschen Reiches. Ebenso zeugte dies Land der Seen und Wälder, der stillen Dörfer und anheimelnden Städte für die geistige Welt des deutschen Ostens. Nicht wenige der Großen unserer Nation hatten ihre Wiege im Pommernlande. Menschen, deren Namen jeder im deutschen Land kennt, von denen aber wohl wenige wissen, dass ihre Wiegen in dem Land an der Oder gestanden haben. Heinrich von Stephan, der Reformer der deutschen Post und Schöpfer des Weltpostvereins, wurde 1831 in Stolp geboren. Otto Lilienthal, der Flugpionier, erblickte in der vorpommerschen Stadt Anklam das Licht der Welt. Drei berühmte Arzte, Forscher von Weltruf, waren pommersche Söhne: Rudolf Virchow, Theodor Billroth und Carl Ludwig Schleich. Carl Loewe, Schöpfer unvergänglicher Balladen, wirkte lange Jahre als Musikdirektor, Kantor und Organist an der Hauptkirche St. Jakobi in Stettin. Die Maler Philipp Otto Runge (1777 in Wolgast geboren) und Caspar David Friedrich (1774 in Greifswald geboren) setzten in ihren Werken der romantischen Landschaft Pommern ein ewiges Denkmal.

 

Ein Albrecht von Roon, ein Joachim Nettelbek, ein „Papa" Wrangel dienten als Soldaten dem König von Preußen. Sie waren Männer, die die Geschichte Preußens und damit Deutschlands verantwortlich mitgestalteten. Sie waren Männer eines Staates und einer Idee, deren oberster Leitsatz das „Dienen" war, das Dienen in Verantwortung. Wie überhaupt der pommersche Adel den Königen von Preußen viele Männer stellte. Soldaten und Beamte, die das Wirken in Freiheit und Verantwortung zu ihrem Lieblingsprinzip erhoben hatten. Der größte Sohn Pommerns aber, der sein Leben der Freiheit verschrieb, war der in Schoritz auf Rügen geborene Ernst Moritz Arndt. Sein Wirken hat weit in den deutschen Raum hinaus gestrahlt. Sein Leben und sein Werk sind nicht zu trennen. Er lehrte an der pommerschen Universität Greifswald als Professor, später in Bonn. Mit wachsender Empörung wandte er sich gegen die Gewalttaten Napoleons, wurde zum Streiter der deutschen Befreiung von 1813. Die deutsche Einigung war sein Lebensziel. Er stritt um Deutschlands geistige Erneuerung und für eine neue gesellschaftliche Ordnung. Verfolgt von den ewig Gestrigen, denen die Freiheit ein Dorn im Auge war, hatte er bittere Jahre zu erleiden. Seine Schriften aber haben auch heute vieles zu sagen. Wie zeitnah und richtungweisend sind jene Worte seiner Rede vom 30. Juli 1807:

 

„Unser Zeitalter ist schwer, unser Unglück groß .... aber für den, der nicht an sich zweifelt, ist nichts verloren!

 

Wie haben wir gelebt in Sorgen und Ängsten, und in törichten und vergeblichen! Die Welt wird sich halten! Sie wird sich aufrichten, wenn wir fest und aufrecht bleiben. Die Meteore und Ungeheuer der Zeit werden, angebetet oder verflucht, zu ihrer Zeit auch nur als Erinnerungen über Gräber schweben.

 

Wir wollen nicht verzagt sein, dass wir Stunden und Tage verzagt gewesen sind. Unsere ganze Liebe, alle unsere Hoffnung, alle unsere Kraft wollen wir in die Zeit legen und glauben sie sei zu retten! Und sie wird gerettet werden!

 

Fremde Fäuste können nicht helfen, wenn die eigenen schlaff sind. Aber die Entscheidung des Zeitalters ruht mehr auf dem Wort und der Meinung, als auf dem Befehl und auf dem Schwerte.

 

Klagt nicht um das Verlorene, seht nur aufs Künftige! Herrschaft, die von Schlechten verloren ward, wird durch Tüchtige wiedergewonnen. Die zerschlagenen Städte, die verödeten Fluren bauen deutscher Fleiß und Sparsamkeit schön wieder auf.

 

Darum klaget nicht, noch trauert um das Kleine, sondern sorget, dass das Große erstehe und das Schlechte untergehe!

 

Wahrheit und Recht, Mäßigkeit und Freiheit seien die Halter unseres künftigen Lebens. Darin wollen wir eins sein in Unglück und Schmach, so werden unsere Enkel eins werden durch Glück und Glorie! Dies ist mein letztes Wort, dies unser höchster Glaube“.

 

Einen Mann mit edler Gesinnung wie Ernst Moritz Arndt wurde in Pommern geboren. Er ist Pommerns größter Sohn. Ihn prägte ein Land, das weltoffen war. In das die Winde aus Ost und West hineinwehten, Menschen aus Ost und West hineinströmten, in dem sich alles verband, neue Form bekam und Gestalt wurde. Ein Land, das Menschen mit einem deftigen Humor, voller Gradheit, manchmal etwas schroffe und misstrauisches Gestalten schuf, die aber ein goldiges Herz und eine treue Seele haben. Ein Land mit einem eigenen Herzschlag, schwingend im Rhythmus der Herzen jener Bauern, Fischer, Handwerker, Beamten, Kaufleute, Soldaten, Adligen, die es formten zu dem, was es war und trotz fremder Besetzung seiner einen Hälfte noch ist: ein deutsches Land im Osten. Hans-Gerd Warmann

 

Seite 7   Pommersche Anekdoten.

Fünftausend Bürger.

In Bad Polzin in Pommern kehrte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. ein. Der Bürgermeister empfing ihn und richtete an ihn folgende Ansprache: „Fünftausend Bürger ..." Er hustete und nahm einen neuen Anlauf. „Fünftausend Bürger..." Bei einem dritten Anlauf kam der Bürgermeister ebenfalls nicht über die „Fünftausend Bürger ..." hinaus. Der König winkte ab mit den Worten: „Grüßen Sie bitte die fünftausend Bürger von mir, aber jeden einzeln!" Dann fuhr er weiter.

 

Großmacht — Großmagd

Varzin in Pommern feierte sein Erntefest. Gemäß uraltem Brauch forderte die Großmagd den Gutsherrn, der damals Bismarck hieß, zum Tanze auf. Bismarck ließ sich nicht lange bitten. Das kräftige Weibsbild fegte mit Bismarck über den Tanzboden. Am Ende des Tanzes bemerkte Bismarck lachend und mit kurzem Atem: „Bis jetzt hat mich noch keine Großmacht so zu schwenken vermocht wie meine — Großmagd“.

 

Wider die Verordnung

Ein höherer Offizier hatte seinen Kutscher mit einem Posthorn ausgestattet. Darüber beschwerte sich die Posthalterei in Köslin. Friedrich der Große schrieb eigenhändig an den Beklagten: „Mein lieber Oberst! Es ist Euch vergönnt, so viel Hörner zu tragen, als Euch gefällig ist. Nur kein Posthorn, das ist wider die Verordnung!"

 

Das ist meine Schuld

Ein Pommer, der in der Schlacht bei Leipzig beide Beine verloren hatte, sagte kaltblütig: „Das ist wohl meine Schuld! Ich habe oft dem lieben Gott Leib und Seele empfohlen, aber an die verdammten Beine hab' ich nie gedacht“.

 

Seite 7  Ostforschung wird ausgebaut.

Der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft beschloss auf der Jahresversammlung in Berlin, eine Kommission für Ostforschung einzurichten. Diese Kommission soll unter besonderer Berücksichtigung der historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen um die Klärung des geistigen Hintergrundes der östlichen Entwicklung bemüht sein. Es sei eine weitere Aufgabe der Kommission, die Forschung in der Bundesrepublik auf diesem Gebiete in Gang zu bringen und vor allem über das Gebiet der reinen Slawistik hinaus praktische Ergebnisse zu erarbeiten.

 

Der Vorsitzende des Senats, Professor Hess, gab weiter bekannt, dass der Senat der Einrichtung eines Zentrums für die Krebsforschung zugestimmt habe, das in Heidelberg errichtet werden soll. Die Bildung weiterer Zentren dieses Forschungsgebietes sei geplant, aber ihr Standort noch offen.

 

Zu neuen Mitgliedern des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden in der Sitzung der Mitgliederversammlung in Berlin gewählt: der Münchener Biochemiker Nobelpreisträger Prof. Dr. Butenandt, der Frankfurter Jurist Dr. Coing, der Tübinger Historiker Prof. Dr. Rothfels, Prof. Dr. Snell (Hamburg) und der Tübinger Paläontologe Prof. Dr. Schindewolf.

 

Seite 7   Bücher - die uns angehen

Paul Stöcklein und Inge Feuchtmayr: Der Dichter des Taugenichts. Eichendorffs Welt und Leben, geschildert von ihm selbst und von Zelitgenossen. Auswahl und Zwischentexte von Paul Stöcklein und Inge Feuchtmayr. Mit 6 Zeichnungen von Emil Preetorius. Süddeutscher Verlag München. 82 Seiten. Geb. DM 3,--.

Von und über Eichendorff gibt es eine Menge Literatur und im sogenannten „Eichendorffjahr" (die Konservierung eines an sich selbstverständlichen Bildungsgutes wird an solchen Schlagworten deutlich!) sind eine Reihe mehr oder minder gelungener Publikationen erschienen. Es wäre daher mit einem gewissen Recht die Frage der Notwendigkeit des oben angezeigten, drucktechnisch sauber gearbeiteten und bibliophilen Bändchens zu stellen. Aber schon beim Lesen der ersten Abschnitte (Das Leben des oberschlesischen Landadels, Die Welt des Elternhauses, Urerlebnisse usw.) wird deutlich, dass hier nicht mit den üblichen und ein wenig antiquierten Maßstäben gearbeitet und ausgewählt worden ist, sondern dass steht hinter den aphorismenhaft hingetupften Zitaten, Fragmenten und Ausschnitten eine sehr kundige und wohltuend ordnende Hand verbergen muss. Prof. Paul Stöcklein ist in der deutschen literarischen Welt indessen kein Unbekannter. Er lehrte Literaturgeschichte in München und seit kurzem — mit gleichem Erfolg — in Saarbrücken. Aus seinen Seminaren sind eine Reihe bedeutender Kritiker und Schriftsteller hervorgegangen. Von dieser Seite her wird auch das Anliegen des kundigen Betreuers deutlich. Es ging dem gebürtigen Bamberger nicht darum, eine Eichendorff-Biographie mehr zu schreiben, sondern es lag ihm daran (in gemeinsamer Arbeit mit Inge Feuchtmayr), aus dem Wust und Wirrwarr einer hundertjährigen Bearbeitung des schlesischen Romantikers die Wesenskerne herauszuziehen und aus eigenen Stimmen des Dichters und seiner Zeitgenossen ein Bild Eichendorffs vor uns hinzustellen, welches Leben und Zeitnähe atmet. Dass dieser Freiherr mit dem Feuerkopf kein weltferner Schwärmer war; — in welcher ständigen Reibung sich Berufung und Beruf befanden — und wie schließlich die beiden Grunderfahrungen seiner Kindheit (Erweckung zum Schauen der Welt und christlich-religiöses Erlebnis) ihn zum Dichter und Lebenskünstler umformten, dieses und mehr wusste Prof. Stöcklein auszuwählen, zu einem untrennbaren Ganzen zu binden und mit geschickten, erläuternden und rundenden Zwischentexten zu versehen, die sich dem Sinfonischen Klang Eichendorff genau so unauffällig anschmiegen wie die dem Text adäquaten subtilen und zarten Zeichnungen von Emil Preetorius. Alles ein kontinuierliches Ganzes, ein echter Eichendorff und ein seltenes Geschenk an seine unverbrüchlichen Freunde. Jochen Hoffbauer

 

Wolfgang Schwarz: Des Ostwinds eisiger Psalm. Verlag Otto August Ehlers, Berlin. 272 Seiten, Ln. DM 12,80, engl. brosch. DM 9,80.

Es ist mehr als eine glückliche Schickung, dass gerade jetzt, da das traurigste Kapitel der Nachkriegsgeschichte in die Sensationsmaschinerie der Zeitschriften und Illustrierten gerissen wird, dieses Buch einer Kriegsgefangenschaft in Sibirien auf dem Markt erscheint. Der junge, aus Schlesien stammende Schriftsteller entfaltet hier mit dramatischer Gewalt und lyrischer Feinheit und Tiefe an seinem Schicksal den Leidensweg der Kriegsgefangenen in Russland. Man muss dieses Buch lesen, um verstehen zu können, was in den Männern vorgeht, die heute nach zehn und mehr Jahren in ihre Heimat zurückkehren.

 

Der Verfasser, Chef einer Kosakenschwadron, deren Offiziere 1945 von den Engländern an die Sowjets ausgeliefert wurden, passiert in nahezu neunjähriger Gefangenschaft alle Leidensstationen: Gefängnisse, Arbeits- und Straflager; zum Tode verurteilt, zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt; physische und psychische Belastungen jeder Art und in ihren höchsten Potenzen. Und daneben das andere Russland, das man — nach seinen Worten — lieben muss, das andere Sibirien, „dieses ganze unaufgeschlossene und unaufschließbare Sibirien, das uns packt und krallt, zerrt und stößt, das sich über uns wirft und uns überwältigt und das uns doch auch besänftigt und auch beseelt". Und da ist der russische Mensch, trächtig und aller Möglichkeiten Schoß, in seiner für den Europäer nicht zu fassenden Zwiegesichtigkeit: Teufel und Kind. Ud da ist Europa: das helle und ganze, wie wir es als Idealbild des Abendlandes verehren, und das andere, wirkliche, umlauert und bedroht von innen und außen, und nicht nur vom Osten her; weitaus gefährlicher, wenn auch weniger sichtbar und radikal, das schleichende Gift des Westens in seiner verflachenden, abbauenden Tendenz.

 

Da sind die beglückenden Gespräche mit Artus Tristram; die zwölf wunderbaren Nächte in der Todeszelle, Traumflüge des wunschlosen Herzens, und in deren letzten der Magier dieser Beschwörungen sagt: „Ich weiß nicht, wann und unter welchem Gestirn die Stunde steht, da es sein wird. Aber es wird sein, dass die Menschen wieder spielen mit ihren Herzen wie Mädchen mit ihren Bällen". Hier fühlen wir am stärksten die Hand des Dichters, oder auch vielleicht dort, wo er im Kapitel „Minamoto" von den Offizieren eines japanischen Bataillons erzählt, die durch ihre Festigkeit und sich selbst auferlegte Zucht und ein beispielloses Einstehen für einander ihr Schicksal mit einer beinah heiteren Gelassenheit zu tragen wussten, ganz im Gegensatz zu den vielen anderen Beispielen, die das Buch nennt und in denen Habgier und Egoismus, Neid und Missgunst, Verrat und Niedertracht über den Menschen triumphierten.

 

Ein Buch, das man so leicht nicht wieder vergisst, das ergreift und erschüttert, aber auch vieles Tröstliche bereithält in seiner hinausdeutenden Aussagekraft. Ein notwendiges Buch in unserer Zeit! Man möchte es vor allem recht vielen jungen Menschen in die Hand wünschen Wolfgang Schwarz aber hat sich mit diesem Werk in die deutsche Literatur eingetragen: ein sauberer fester Namenszug, der zu berechtigten Hoffnungen ermutigt.

 

Seite 7   Eckpfeiler Stralsund.

Nicht erst seit neuer Zeit gilt die schöne vorpommersche Stadt Stralsund als einer der westlichen Eckpfeiler sowjetischer Befestigungsanlagen und Planungen an der Ostseeküste. Selbst in Wismar, also noch weiter westlich, wurden letzthin „Sperrgebiete“ festgestellt, die nur mit besonderer Erlaubnis betreten werden dürfen.

 

Im Stralsunder Küstenbereich gehören Schilder „Achtung Sperrgebiet – Betreten strengstens verboten!“ längst zur Tagesordnung. Als Bewacher der fraglichen Gebiete trifft man allerdings keine Sowjetsoldaten mehr an. Diese Aufgabe wurde von bewaffneter sowjetzonaler See- oder Volkspolizei übernommen. Längst ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass die hier im Bau befindlichen Anlagen und Küstenbefestigungen auf sowjetischen Plänen basieren. Was bei Stralsand vor sich geht, geschieht ebenso planmäßig bei Memel, Danzig, bei Swinemünde oder auf der Insel Rügen. Hier geht das Bestreben sogar dahin, die Insel zum „Malta der Ostsee“ zu machen.

 

Stralsund zählt heute 85 000 Einwohner gegenüber 53 000 im Jahre 1938. Es gehört heute zu Mecklenburg, weil jede Erinnerung an die Provinz Pommern „unerwünscht“ ist. Die Stadt wurde bei Bombenangriffen zu etwa 50 Prozent zerstört. Auch die Jakobikirche (unser Bild) erlitt beträchtliche Schäden, die, inzwischen behoben worden sind. Das berühmte Stralsund Rathaus blieb vor nachhaltigeren Schäden bewahrt.

 

Seite 7   Spruch aus Pommern.

Hull din Mun und do din Wark!

Steik di nich in jeden Quark!

Nix as dusent flitig Hänn

maken unsrer Not en Enn.

 

Seite 8   Rätselhaftes aus ostpreußischer Wildbahn. Von Lothar Mosler-Boehm.

Zwei rätselhafte Ereignisse aus der ostpreußischen Wildbahn waren viele Jahre Gesprächsthemen der Preußischen Jägerschaft.

„Schlitzohrs" Wandlung vom starken Elchschaufler zum Stangler und der „Hungerflug der Rebhühner" zur Windenburger Ecke.

Der Berichterstatter des ersten Ereignisses war der bekannte ostpreußische Elchmaler Hans Kallmeyer.

 

Im Jahre 1933 beobachtete Kallmeyer zwischen Nidden und Preil auf der Kurischen Nehrung einen Elchschaufler von geraden zehn Enden, der eine für die Nehrung recht erfreuliche Schaufel trug, deren Vorderende aber nur ein kräftiger Spieß war. Im Jahr darauf war der Hirsch gerader Zwölfer mit einem geteilten starken Vorderende. Wieder ein Jahr später stellte er sich als 16-Ender vor mit breiter aber dünner Schaufelplatte. Auch in diesem Jahr zeigte er keine Vorderschaufel, sondern das schon erwähnte starke Ende, davon eins geteilt. Wieder ein Jahr später erreichte der Nehrungselch mit ungeraden 18 Enden seine Höhe. Die Schaufeln waren im Blatt über 20 cm breit. Der sehr vertraute Schaufler schien noch mehr zu versprechen. Umso erstaunter war der Beobachter als im darauffolgenden Jahr statt des erhofften 20-Enders nur ein 12-Ender erschien. Der Elch besaß als besonderes Kennzeichen eine Einkerbung an der Spitze des rechten Lauschers, an der ihn jedermann erkennen konnte. Die Kutscher der Elchfuhrwerke nannten ihn deshalb „Schlitzohr".

 

Alles war nun aufs Höchste gespannt, was der einst so brave Hirsch nun 1938 zeigen würde. „Schlitzohr" aber schien verschwunden, niemand sah ihn, nirgends wurde er gefährtet. Immer wieder fuhr Kallmeyer im Elchwagen hinaus, doch ohne Erfolg. Endlich, Ende September wird auf einer Lichtung ein Alttier mit Kalb beobachtet und in geringer Entfernung steht ein Hirsch mit gutem Gebäude aber geringer Schaufelbildung auf beiden Seiten. Je drei Enden rechts und links, ein langes Vorderende und ein gegabeltes „Brett" von hinten 8 bis 10 cm Breite. Die Kerbe am rechten Lauscher bezeichnete ihn, es war „Schlitzohr". Die nicht geringe Aufregung der Beobachter war verständlich, Kallmeyer aber war erschüttert, sein „Lieblingsmodell“ in kläglicher Verfassung seines einst so herrlichen Kopfschmuckes wiederzufinden. 1939 erschien „Schlitzohr" als Stangler und wurde später als „ewiger Gabler" von etwa 18 bis 20 Jahren erlegt. „Schlitzohr" war trotz des starken Zurücksetzens immer in einem guten Körperzustand, er war nicht „trocken und drahtig" wie manche uralten Gabler. Kallmeyers Glaube aber, dass ein Schaufler nie Stangler wird und umgekehrt, war völlig erschüttert.

 

Dass in Zoologischen Gärten dieser Wechsel eintreten kann, ist bekannt. So hatte im Jahre 1937 ein schwacher Stangler im Königsberger Tiergarten ein annehmbares Schaufelgeweih zustande gebracht, um dann 1938 infolge Krankheit zu einem kümmernden Spießer zu werden.

 

Anders aber bei „Schlitzohr", dem Nehrungsschaufler:

 

1933 10-Ender, gerader (Schaufler)

1934 12-Ender, gerader (Schaufler)

1935 16-Ender, ungerader (Schaufler)

1936 18-Ender, ungerader (Schaufler)

1937 12-Ender, ungerader (Schaufler)

1938 6-Ender, gerader (Schaufler)

1939 Gabler, (Stangler)

 

Dieser Elchschaufler war meines Wissens nie krank, hat auch - soweit ich unterrichtet bin — nie gekümmert. Warum er in diesem unglaublichen Tempo zurücksetzte, ist mir nicht bekannt und ist auch, meiner Meinung nach, nie richtig geklärt worden.

 

Der „Maler der ostpreußischen Elche", Hans Kallmeyer, wurde am 1. September 1957 75 Jahre alt. In seltener geistigen und körperlichen Frische malt er auch heute noch seine Elche, Adler, Kraniche, Reiher und Enten, durch die er einst weltberühmt wurde. Er wohnt heute in Bayreuth, Carl-Schüller-Str. 5 a.

 

Der Berichterstatter des zweiten Ereignisses war der Leuchtfeuerwärter Michel Posingia, aus Windenburg im Kreise Heydekrug. Im Mai 1924 wurde Posingis Wärter eines kleinen Leuchtturms, der auf einer kleinen, etwa sechs Kilometer langen Landzunge stand, die vom Festland her in das Kurische Haff hineinreichte. Zehn Kilometer nach Norden liegt das Kirchdorf Kinten, in dem Sudermann Studien für seine „Litauischen Geschichten" machte, und nur wenige Kilometer nach Nord-Osten findet man die Dörfer und Güter, auf denen Charlotte Keyser ihren großen Ostpreußen-Roman „Und immer neue Tage" spielen lässt. Diese Landzunge, in einer weltverlorenen, einsamen Gegend, einer Landschaft von erhabener Größe mit dem weiten Blick auf das Kurische Haff, hieß die „Windenburger Ecke".

 

Seit 1930 war Leuchtfeuerwärter Posingis ehrenamtlicher Mitarbeiter der Vogelwarte Rossitten und somit der Leuchtturm auf der Windenburger Ecke Außenstation der ostpreußischen Vogelwarte geworden. Da ereignete sich im Dezember 1937 das rätselhafte Ereignis, der Hungerflug der Rebhühner. Am 3. Dezember war in weiten Teilen des Memelgebietes, nach vorherigem schwerem Schneetreiben, ein Regen heruntergegangen, der sofort gefror und Felder und Wiesen, Bäume und Sträucher mit einer recht starken Eisschicht überzog. Es entstanden erhebliche Wildverluste, vor allem Rehe und Hasen, aber auch zahlreiche Rebhühner verendeten. Nun setzte die große Rebhuhnwanderung nach dem Süden ein. Not und Hunger trieb Hunderte von Rebhühnern in die Windenburger Ecke; am 6. Dezember waren es etwa 300 Stück, die dicht gedrängt um den Leuchtturm lagen. In ihrem Gefolge befanden sich einige hundert Krähen und etwa zwanzig Bussarde, die immer wieder Rebhühner schlugen.

 

Papa Posingis versuchte es zunächst mit Unkrautsamen und Spreu und fütterte dann Roggen und Gerste. Aber trotz des reichen Futters blieben die Hühner aufgeplustert und machten einen kümmernden Eindruck, bis Posingis darauf kam; den Feldhühnern fehlte das Sandbad. So karrte Papa Posingis ihnen mehrere Sandhaufen heran, und das half sofort. Die Hühner wechselten vom Futterplatz zum Sandhaufen und nahmen dort ein Sandbad, das ebenso notwendig war wie das tägliche Futter. Wenn der Leuchtfeuerwärter morgens in der Dämmerung mit zwei großen Eimern Getreide herauskam und den Lockruf der Kohlmeise pfiff, dann kamen die Rebhühner von allen Seiten auf ihn losgestürzt, bis vor seine Füße. Etwa um den 15. Dezember herum nahm die Menge schnell ab, und schließlich verschwanden wenige Tage später auch die Letzten.

 

Wohin, fragen Sie? — Ich weiß es nicht! Selbstverständlich wurden damals zahlreiche Rebhühner gefangen, gewogen, beringt und wieder freigelassen. Ob genügend Rückmeldungen eintrafen, entzieht sich meiner Kenntnis. Eine vollumfangliche Erklärung für den Hungerflug der Rebhühner zur Windenburger Ecke hat man meines Wissens nie gefunden.

 

Michel Posingis ist 1951 auf Schloss Möggingen bei Radolfzell am Bodensee, dem neuen Sitz der Vogelwarte Rossitten, verstorben. In seiner Heimat, der Windenburger Ecke am Kurischen Haff, hat er von 1930 bis 1944 rund 84 000 Vögel gefangen, beringt und wieder freigelassen.

 

Ein stiller Helfer der Vogelwarte Rossitten und ein hilfsbereiter Mensch mit einer großen Liebe zum Bruder Tier.

 

Seite 8   Wät et nich aller göfft. Seltsamkeiten aus der Heimat.

Ein ostpreußisches „Extrablatt“ von Anno 1812.

Pfarrer J. F. D. Thiesen aus Dubeningken (1745 - 1820), der von 1771 bis 1800 in Königsberg amtierte, muss ein sehr launiger und geistreicher Herr und guter Lateinkenner gewesen sein, wie das nachstehende, von ihm verfasste Spottgedicht auf den unglücklich verlaufenen Russlandfeldzug des großen Korsen im Jahre 1812 beweist.

 

Lateiner dürften allerdings mit der Übersetzung gewisse Schwierigkeiten haben; aber man versuche es doch mal mit unserem gemütlichen ostpreußischen Platt.

 

Exemplum stili latinii politici

En Caesar nae saevis

quam dabis ut paris

sine sol date quarte:

tum die vel bona parte!

crepere sol de vos,

dum is hae vieae os!

 

Se laete sic fer fere

et quam tum ut mars haere.

Caput sol sin de rus!

Dat sede se tum grus.

Se stolae datum posse

de perde unde osse.

De Caesar quam, unda

manem bis mos causa,

da mordet hae sie lat

unquam bis inde stat.

 

Quum sede rus hora!

Mand hoede finde da.

Da laege se hi alae

vi inde musae falle;

da fele de fer recte

sic in dem hen fers tecte,

fer saepe en den vah ter

as ver et emter ca ter.

 

De nae se unde ora

habe seda fer lora.

Da det de finde vae.

Vi velve frete se

da de fer recte perde,

de de canone fer de.

 

De rus quam bis paris,

hae haud dem nae saevis

da hac an miserere

solda te par tu crepere.

Da sol sic nudat en de

dem rus tum bes te vende.

 

Dieses „Poem" ist damals als gedruckter Handzettel in der Provinz kursiert, und es gab beim Lesen verständlicherweise viel schadenfrohes Lachen. Es ist anzunehmen, dass der Verfasser das Gedicht absichtlich „verschlüsselte", denn es gab zu der Zeit noch genug französische Spione im Lande.

 

Seite 8   Will man die letzten Elche schießen? Warschau braucht Devisen — Dollar-Jäger gesucht.

Die Devisenknappheit der Warschauer Regierung und der in letzter Zeit besser gewordene Wildbestand haben die Polen jetzt bewogen, Ausländer aus nichtkommunistischen Ländern zu Einzel- und Gemeinschaftsjagden nach Zentralpolen und in die polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete einzuladen. Gegen feste Tages- und Jagdpreise auf Dollarbasis will man die Ausländer in den verschiedensten Gegenden jagen lassen.

 

Wie wir dazu erfahren, hat man gegen Sonderpreise auch selten gewordenes Wild zum Abschuss für Dollar-Bezahler freigegeben, um den Jägern einen besonderen Anreiz zu geben. In den vor einigen Jahren vielerorts eingerichteten „Wildschutzgebieten" will man den Jägern den Abschuss von Hirschen gestatten, die sehr selten in den Wäldern jenseits von Oder und Neiße geworden sind. Ja, man will sogar gegen die Zahlung eines kleinen Vermögens die Jagd auf einige Wisente zulassen, die alle unter Jagdschutz stehen und nur noch in wenigen Exemplaren zu finden sind.

 

Das meiste Geld aber hoffen die Polen durch die Elchjagd in Südostpreußen zu verdienen. Sind auch die Elche im sowjetisch verwalteten Nordostpreußen fast alle durch jagende Offiziere und Wilddiebe ausgerottet worden, so gibt es doch im polnisch verwalteten Teil der Provinz noch mehrere kleine Bestände. Für harte Valuta ist Warschau bereit, diesen für Europa unersetzlichen Wildbestand, der durch die Kriegsereignisse schon furchtbar dezimiert wurde, weiter zu verringern. Während die Jagd auf anderes Wild pro Tag die Ausländer zwischen 30 und 50 Dollar kostet (mit Unterkunft, Verpflegung und Anfahrten), wird der Abschuss eines Elches nur sehr reichen Jägern möglich sein; als Mindestpreis spricht man für einen Stangenelch oder für ein Tier von 1000 Dollar! Finden sich genügend Interessenten, so will man noch mehr für die Elchjagd kassieren. Als Jagdgebiet sind die Johannisburger Heide sowie einige andere Teile Masurens, wo der Elch Wechselwild geworden ist, sowie der nördliche Teil des Ermlandes um den Stablack vorgesehen. Auch in anderen menschenleer gewordenen Gebieten längs der polnisch-sowjetischen Demarkationslinie in Ostpreußen sollen Elche anzutreffen sein. Rechtfertigt die kleine Anzahl der Tiere auch nicht einen Abschuss, so sind die Behörden doch gewillt, für Devisen die Jagd zuzulassen. Für die Elchjagd machen sie noch folgende Bedingungen: Wer einen Elch schießen will, muss mindestens drei Wochen zur Jagd in Polen oder Ostdeutschland bleiben und natürlich auch für diese Zeit die anderen Preise zahlen.

 

Bedauerlich ist auch, dass im Iser- und Riesengebirge die Jagd auf so selten gewordene Tiere wie Luchse, Silberfüchse und Adler gegen Sonderpreise freigegeben wird. Auch der Uhu, der Fischadler, die Wildkatze und Fischottern dürfen von Ausländern gejagd werden. Zu den oben genannten normalen Tarifen werden nur die Treibjagden und Jagden mit Vorstehhunden auf Hasen und Rotwild durchgeführt. Jagden auf Raub- und Schadwild wie Wölfe, Wildschweine usw. gibt es nicht.

 

Seite 8   Wir lachen mit dem SIMPLICISSIMUS.

Die Statistik hat einwandfrei erwiesen, dass ... ... die Kulturgüter der Menschheit ihr Entstehen nicht den Kultusministerien zu verdanken haben.

 

Seite 8   Für unsere Jagd- und Naturfreunde.

Rominten - Hochburg deutschen Waidwerks.

In der deutschen Jagdliteratur der Nachkriegszeit klaffte bislang eine schmerzliche Lücke — Rominten. Schmerzlich nicht allein für den ostpreußischen Jäger, in dem sich der Begriff Rominten mit dem Schmerz des Heimatverlustes vereint, schmerzlich auch für jeden Waidmann, der einmal zu Gast in Rominten weilte, dem Paradies der Jagd schlechthin, der Krone der deutschen Jagdreviere.

 

Denn dieses große ostpreußische Wald- und Naturschutzgebiet, hart an der litauischen Grenze gelegen, war ein Dorado für fast alle europäischen Wildarten. In Rominten zog vor allem der edelste und stärkste Hirsch seine klobige Fährte. Von der Schnepfe bis zu Luchs und Wolf war hier alles vertreten, was das Jägerherz erfreute. Damwild und Reh neben dem König Hirsch, Hasen und Hühner, Fasane und Enten, das Schwarzwild nicht zu vergessen, und die fischreichen Seen bevölkerten Aal und Hecht, Schlei und Barsch, und in den Bächen tummelte sich die Forelle.

 

Hier jagten bereits die Hochmeister des Deutschen Ritterordens, die späteren Herzöge von Preußen, und hier jagte der Kurfürst der Mark Brandenburg, hier jagten Könige und Kaiser.

 

Nun legte der Bayerische Landwirtschaftsverlag, München, auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt einen gewichtigen Band vor (Walter Frevert: Rominten. 228 Seiten Text, 102 Abbildungen, Ganzln. 24,80 DM), der diese Lücke zu schließen versucht. Der Verfasser, der weitbekannte Oberforstmeister Walter Frevert, war der letzte Forstmann und Leiter dieses weltberühmten Jagdreviers. Am Anfang seines Werkes lässt er die wechselvolle Geschichte der „Großen Wildnis" aufleuchten, um danach ausführlich und anschaulich von der Hege des Wildes und von dem mustergültigen Jagdbetrieb zu berichten. Dabei wird dem Leser die seltene Naturschönheit dieser herrlichen, herben Landschaft vor Augen geführt, und er lernt so die Menschen verstehen, die dort lebten und wirkten.

 

Besonders aufschlussreich und von historischem Interesse sind auch die in Anekdoten eingeflochtenen persönlichen Erlebnisse des Verfassers mit bekannten Staatsmännern und anderen prominenten Persönlichkeiten aus aller Herren Länder während ihres Aufenthaltes in der Rominter Heide.

 

Auf 64 Kunstdruckseiten sind diesem Band eine Fülle von Abbildungen beigegeben, Landschafts- und Jagdaufnahmen, Wiedergaben von Gemälden bekannter Jagdmaler, wie zum Beispiel von Prof. Richard Friese, der den Bronzehirsch vor dem Jagdhaus Rominten schuf, oder von Prof. Gerhard Löbenberg. Ein besonderer Schmuck des Werkes sind die vier Farbtafeln nach bekannten Jagdbildern der genannten Maler.

 

Oberforstmeister Frevert hat mit diesem reich ausgestatteten Werk der Rominter Heide ein bleibendes Denkmal gesetzt. Für den ostpreußischen Waidmann und Naturfreund aber ist es weit mehr: ein Erinnerungswerk ganz einmaliger Prägung, das seinen besonderen Ehrenplatz erhalten wird. E. K.

 

Foto: Walter Frevert, weiland Oberforstmeister der Rominter Heide, auf der Heimkehr von einem Pirschhang. Die Aufnahme wurde dem hier besprochenen Werk „Rominten“ entnommen.

 

Seite 9   Zweimal „Jüngstes Gericht“

In Danzig.

Foto: Hans Memlings „Jüngstes Gericht“ in der Marienkirche.

Foto: „Das Jüngste Gericht“ von Anton Möller (1602) im Artushof.

In der Dorotheenkapelle von St. Marien, der schönsten Kirche von Danzig, die die bedeutendsten Kunstschätze der Stadt enthielt, war das berühmte Gemälde des flämischen Meisters Hans Memling aufgestellt, das „Jüngste Gericht“, ein Werk altniederländischer Malkunst.

 

Das Bild hat eine seltsame Geschichte, die zugleich die Geschichte des ersten Seekrieges deutscher Seefahrer gegen England ist.

 

Die ganze Innigkeit und kindliche Naivität des niederdeutschen Menschen spricht aus der Darstellung des Bildes, in dessen Mittelteil der Erzengel Michael in glänzender Rüstung die guten von den bösen Menschlein scheidet, die, sich, samt und sonders ihrer Nacktheit schämend, auf der einen Seite mit Handschlag von Petrus begrüßt, in die himmlische Seligkeit einmarschieren, während auf der anderen Seite eine wilde Horde geschwänzter Teufel die für die Hölle bestimmten armen Sünder gleich wütenden Herdenhunden umkreist. Aber so stark spricht die Innigkeit des Bildes zu dem Beschauer, dass es begreiflich wird, wenn sich anfangs die Sage um das „Jüngste Gericht“ wob, es sei gar nicht von Menschenhand gemalt, sondern ein vom Himmel gesandtes Kleinod.

 

Umso weniger himmlisch und zart ist die Geschichte seiner Erwerbung für Danzig.

 

Der Kapitän Paul Benecke kaperte ein Schiff, die „S Thomas", das unter burgundischer Flagge mit Gütern für England und Italien unterwegs war. Bei der Sichtung befand sich auch Memlings „Jüngstes Gericht" unter der erheblichen Beute. Ein Vertreter der Medici in Brügge, der Italiener Angelo Tani und seine Gattin Catarina Tanagli waren die Stifter des Gemäldes, das allerdings nicht für Danzig, sondern für eine der Kirchen von Florenz bestimmt war. Die Stifter sind selbst auf den Seitenstücken des Gemäldes als Betende wiedergegeben. Paul Benecke lieferte sine Beute in Danzig ab. Angelo Tani vermochte den Verlust des wertvollen Gemäldes nicht zu verschmerzen. Sein Schiff war unter burgundischer Flagge gesegelt, folglich wandte er sich beschwerdeführend an Karl den Kühnen von Burgund. Umsonst führte der Burgunder in Danzig Klage gegen den „Raub“. Danzig wies nach, dass das gekaperte Schiff für England bestimmt und damit nach geltendem Seerecht von dem „Peter von Danzig" genommen worden sei. So stark war Danzig damals, dass es weder die in Italien allmächtigen Medici noch den Burgunderkönig fürchtete. Ja, selbst als Papst Sixtus IV., der große Förderer der Kunst und Wissenschaften, hinter den sich die Medici gesteckt hatten, „seinen geliebten Sohn Pawl Beneke“ mit allen kirchlichen Strafen drohte, wenn er das Gemälde nicht herausgäbe, fand er in Danzig gleichmütige Ablehnung. „De van Danske behelden de gudere und vrageten dar nyscht na ..!" berichtet eine alte Chronik.

 

Als die Soldaten Napoleons 1807 nach langer Lagerung Danzig einnahmen und Danzig dem Vertrag von Tilsit zum „Freistaat“ wurde, hinderte diese von ihm garantierte Freiheit den Korsen nicht, nach Kunstschätzen zu fahnden, mit denen er Paris und seine Museen ausstatten konnte. So kam Memlings Gemälde in Frankreichs Hauptstadt. Die während der Freiheitskriege in Paris einmarschierenden Preußen holten es zurück, zunächst nach Berlin, wo es für die Preußische Nationalgalerie bestimmt war. Danzig protesterte beim König – mit Erfolg.

 

Über das weitere Schicksal berichtete die „Ostpreußen-Warte" auf Seite 13 in Nr. 9/1957: „Wie bekannt wird, ist das berühmte Gemälde Hans Memlings „Das Jüngste Gericht", das vor einiger Zeit von den Sowjets an Polen übergeben wurde, nicht wieder in der Danziger Marienkirche angebracht worden, sondern hat im „Museum Pomorskie" Aufnahme gefunden. Das Gemälde war gegen Kriegsende zur Sicherung der Kriegsschäden nach Mitteldeutschland verlagert worden, von wo es die Sowjets zunächst nach Moskau brachten, um es sodann den Polen zu übergeben“.

 

Ein Gegenstück unter demselben Titel besaß der „Artushof“ von dem in Königsberg geborenen Maler Anton Möller. Der Artushof war Gerichtsstätte und Festsaal zugleich. Und so ist auch das Gegenstück zu Memlings Werk grundverschieden von der kindlichen Träumerei des Flamen.

 

Das Bild ist im Wesentlichen eine Allegorie; die Hauptfiguren stellen nicht einzelne sündige und tugendhafte Menschen dar, sondern sie sind Personifikationen der Tugenden und Laster und auch als solche bezeichnet. Oben thront auf dem Regenbogen Christus. Links steigen die Tugenden zu ihm empor: Hoffnung, Glauben, Liebe, Mäßigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Geduld. Ihnen nach strebt nur ein kleines Häuflein tugendhafter Menschen, unter denen Christus mit dem Kreuz im Arm nochmals auftritt. Im Hintergrunde befindet sich eine Ansicht von Danzig, wohl zum Zeichen, dass an seine Bewohner die Aufforderung gerichtet ist, diesen Weg zum Himmel einzuschlagen. Vom Himmel herab schwebt die Gestalt des richtenden Erzengels Michael, die auch allegorisch als „Gerechtigkeit" bezeichnet ist. Sie trägt eine goldene Rüstung und ein wallendes rotes Gewand, in der Linken die Wage, in der Rechten das bloße Schwert.

 

Einen sehr viel größeren Raum nehmen die Laster in der Mitte des Bildes ein, auch treten sie sehr viel mehr hervor. Die eigentliche Hauptfigur des Bildes ist die Weltlust, mundus, die Frau Welt des Mittelalters, eine herrliche, prächtig gekleidete Frauengestalt in halb liegender Stellung. Ihr Haupt trägt ein gläsernes Diadem, das wohl gleichzeitig ihre Hoffart und die Durchsichtigkeit ihrer Sünden bezeichnen soll. Der Ausdruck des Gesichts ist trübe und zeigt die zitternde Angst vor dem herannahenden großen Weltgericht. Sie senkt das Zepter nach unten und greift mit der andern Hand nach der Schlange, die als Bringerin der Sünde den Apfel im Munde hat. Zu den Füßen dieser prachtvollen Figur sieht man die Erbsünde, eine finstere, dunkle Gestalt mit zwei gekreuzten Totenbeinen auf der Stirn, die mit beiden Händen die Schlange gepackt hat. Rechts von der Weltlust, mit ihr durch eine Kette verbunden, zerbricht der Unglaube mit furchtsamem Gesicht ein Kruzifix. Links präsentiert ein Hirsch die Furcht und dient als Träger für eine schöne auf ihm liegende Frau, das böse Gewissen, das durch eine Kette an die Weltlust gefesselt ist. Diese Kette schlingt sich um ihren Arm und führt dann bis zu der rechten Hand der mit dem Kopf nach unten liegenden, grün gekleideten „Verzweiflung", die im Begriff ist, sich zu erdrosseln.

 

Das Kolossalgemälde hat eine Höhe von 8 Metern und ist über 6 Meter breit. Das Bild befand sich in dem Raume, in welchem einst Gericht gehalten wurde. Durch die bildliche Darstellung sollten Richter, Zeugen und Angeklagte an den Ernst des Ortes erinnert, sollte ihnen allen in gleicher Weise die Heiligkeit des Gerichts und die Folgen guten oder sträflichen Lebenswandels vor Augen geführt werden. Oft mag das ernste Kunstwerk seinen praktischen Zweck erfüllt und manchen Verbrecher zum Geständnis, manchen Zeugen zur Aussage der Wahrheit, manchen Richter zu strengster Pflichterfüllung und gewissenhafter Selbstprüfung bestimmt haben. Hermann Bink

 

Seite 9   Der Klingerstock als Alltags- und Festgerät. Von Landesmuseumsdirektor a. D. Dr. Wilhelm Gaerte, Hannover.

Zur ehemaligen Ausrüstung der ostpreußischen Hirten gehörte als unerlässliches Begleitgerät der sogenannte „Klingerstock" oder „Bullenknüppel. E. Schnippel schreibt darüber: „Vor allem ist der „Klingerstock" oder „Bullenknüppel" ein für Ostpreußen eigentümliches Gerät, das ich noch 1910 aus dem südlichen Ermlande (Soweyden, Krs. Rößel) und dem Oberlande (Alt Jablonken, Krs. Osterode) erhielt. Im Heimatmuseum zu Königsberg (im Tiergarten) ist (nach S. 18 des Führers) ein damit wohl identischer Klimperstock aus Duneyken, Krs. Goldap, vorhanden. Aber auch aus der Kaschubei ward der richtige Klingerstock noch vor kurzem unweit Neustadt/Westpr., als vorhanden, festgestellt, wo er „Rengstock“ (wohl Ringstock) heißt.  Er ist ein stark gegabelter Ast, meist von einer jungen Eiche, etwa 60 - 70 cm lang, dessen eine Sprosse mit zahlreichen Eisenringen bezogen und dann am Ende mit der anderen durch Draht (in der Kaschubei durch Streifen von Aalhaut) Abbildung 1, Abbildung 2, verbunden ist, auch wohl ganz durch einen Eisenbügel, ebenfalls mit Ringen, ersetzt wird. Schnippel fährt dann fort: „Das Schütteln des Stabes bewirkt ein ganz unheimliches Rasseln (‚Klingen') der Ringe, wodurch das Vieh und namentlich die Stiere in Ordnung gehalten werden, da diese sich eines kräftigen, sehr schmerzhaften Stoßes oder Wurfes mit dem Ende des Stockes gegen die Rippen zu erinnern pflegen. Freilich sollen mit dem Klingerstock gelegentlich auch Hasen und anderes Wild getroffen werden, in älteren Zeiten auch Wölfe und andere Raubtiere von der Herde verscheucht worden sein“. Die ostpreußische und westpreußische Form dieses Hirtengerätes geben die Abb. 1 und 2 wieder.

 

Eine andere ostpreußische Form beschreibt Lehrer A. Gronau — früher Konradswalde, Krs. Fischhausen — in seinen handschriftlichen „Erinnerungen". Ich verdanke die Kenntnis der Stelle seinem Neffen W. Gronau, dem früheren Leiter des Insterburger Heimatmuseums: „Der Klingerstock war ein Hirtenstab, ein handlicher Prügel aus leichtem Holz, auf den die zwei Ringe eines Zaumgebisses gestreift waren, vorher hatte man etwa zehn größere Ringe auf das Gebiss gefädelt, die sich hin und her bewegen ließen. Frühmorgens stellte der Hirte sich am Mittelteich auf und rief: „Loat rut, loat rut!“ dabei stieß er seinen Klingerstock auf und ab". Diese Erinnerungen gehen auf die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück und betreffen das Dorf Legehnen, Krs. Fischhausen (Abb. 3). Aus noch etwas älterer Zeit stammt das ostpreußische Lied „Der Hirtenjunge", in dem der Klingerstock erwähnt wird:

 

„Was hilft mir mein Studiren,

Den Klingerstock muss ich führen,

Die Ringlein blank poliert …"

 

Der ostpreußische Klingerstock spielte früher beim ersten Austrieb der Herde eine besondere Rolle. Frischbier berichtet darüber: „Hat der Hirte die Herde beisammen und nähert er sich mit ihr dem Ausgangs-Hecktor, so legt er in den Torweg den Klingerstock und eine Axt kreuzweise übereinander. Uber beides muss alles Vieh schreiten . . . Auf der Weide steckt der Hirte den Klingerstock, in welchen er oft eine oder mehrere (bis neun) vom Abendmahlstisch entwendete Hostien versteckt hat, inmitten der Herde in den Boden.

 

(Anm.: Man erzählt von alten Hirten, welche ihr Vieh auf die Weide trieben und sich alsdann wenig um dasselbe kümmerten. Sie steckten den Klingerstock in den Boden und gingen ihrer Wirtschaft nach oder gar ins Wirtshaus. Das Vieh aber weidete ruhig um den Klingerstock und entfernte sich nicht Das Volk staunte das Wunder an, wagte aber nicht, sich dem geheimnisvollen Klingerstock zu nahen; denn es war allgemein bekannt, dass, wer denselben berühre, verkrümmen oder erlahmen müsse. Einen solchen Klingerstock hat dennoch einmal eine mutige Hand erfasst, ohne dass sie erlahmte. Aber, o Wunder, ein leises Singen ertönte und vernehmlich klang es: ,Heilig ist unser Gott, etc', und ohne Aufhören tönte der Gesang fort. Der Stock wurde zum Pfarrer gebracht, die Herde folgte. Der Stock erwies sich als hohl, und in der Höhlung steckte eine heilige Hostie. Nachdem diese entfernt war, sang es nicht mehr im Stocke, auch hatte dieser seine Kraft verloren. Dem Hirten Sch. in Schalkalken, Kirchspiel St. Lorenz, sagte man nach, dass er vom Tisch des Herrn eine Hostie entwendet habe. Doch ereilte ihn die Strafe für diesen Frevel: er verkrüppelte. Hirten, die mit Hilfe einer geweihten Hostie ihre Geschäfte versehen, finden in der Todesstunde nicht eher Ruhe, als bis ihr gotteslästerliches ‚Hottieg' / Hütezeug/, der Klingerstock oder die Peitsche, verbrannt ist.)

 

Auf den in den Weideboden gesteckten Klingerstock hängt der Hirte seine Mütze auf, umgeht die Herde dreimal und streut segnend auf Abb. 3 sie Zwölften-Asche, Graberde und Kirchensand. Es soll durch diese Handlung symbolisch angedeutet werden, dass, wie die Christen vom Tisch des Herrn sich nicht früher entfernen, als bis sie mit dem Brote des Lebens gespeist sind, so sollte auch das Vieh gesund beisammen bleiben, bis der Hirte die erquickte Herde nach Hause führt. Ist die Herde segnend bestreut, so kniet der Hirte neben dem Klingerstock nieder und betet ..." Ähnliches geschah beim ersten Austrieb in Masuren in Ostpreußen und bei den Esten.

 

Aber nicht nur als Alltagsgerät der Hirten hat der Klingerstock ehemals eine Bedeutung gehabt, er spielte auch bei zeremoniellen Jahresumzügen eine Rolle. In Ostpreußen wurde er bei Heischegängen zu Ostern mitgeführt. Als Name wird „Feitsche" genannt, ein Wort, das wohl unserer „Peitsche" mit Anlautverschiebung entspricht. Er erscheint in dem Schmackostervers: „Die Feitsche tappt, falira!" Mit dem Ausdruck „tappt" ist wohl das Aufschlagen der Ringe gemeint.

 

Auch aus anderen Gebieten Deutschlands gibt es Beispiele für denselben Gebrauch des Klingerstocks. In Oberstattfeld in der Eifel sammelten am ersten Sonntag in den Fasten Knaben und Mädchen Stroh und Erbsen. Beim Umzug sangen sie:

 

„Klapper, klapper Ringelstab!

Gebt den armen Kindern was!

Gebt ihnen was und lasst sie gan,

Das Himmelreich ist aufgetan,

Die Hölle ist geschlossen“.

 

Ähnlich klingt das aus Wiehl, Krs. Gummersbach, Reg.-Bez. Köln, überlieferte Lied:

 

„Kloppe, kloppe, Ringelchen!

Da kommen zwei arme Kingerchen;

Gebt enget (ihnen) und lot se gon,

Dann wird de Himmeltür offenston“.

 

 Auch für die Mark Brandenburg ist der Klingerstock als Festtagsgerät durch ein Umzugslied bezeugt:

 

„Klopfe, klopfe, Ringelken

Wir sind'n Paar arme Kinnerken.

Teit (zieht) en Snaur um das Hus,

Tritt 'ne kleine Jungfer rut.

Tram, tram, tricken . . ."

 

Hier begleitet der Gesang das Herumführen der Maibraut.

 

Von diesem Standpunkt aus gewinnt eine von O. Schell ausgesprochene Vermutung an Bedeutung und Wahrscheinlichkeit: „Sollten nicht auch die „wilden Klapperstöcke" in Goethes Erster Walpurgisnacht (1799) hierher zu ziehen sein? „Kommt", ruft der heidnische Brockenwächter, „mit Zecken und mit Gabeln / und mit Glut- und Klapperstöcken, lärmen wir bei nächtiger Weile". Goethe werden wohl Umzüge mit dem Klingerstock bekannt gewesen sein. Besonders spricht hierfür die Bezeichnung „Klapperstock" bei Goethe, die an den oben zitierten Vers: „Klapper, klapper, Ringelstab!" anklingt.

 

Seite 10   „Schläft ein Lied in allen Dingen …“. Zu Eichendorffs 100. Todestag am 20. November.

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Wer die köstliche Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts" aufschlägt, dieses moderne Märchen vom „Hans im Glück", wer sich berauschen lässt von den ersten Worten: „Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig..." der ist mittendrin in der Welt des Freiherrn Joseph von Eichendorff aus Schloss Lubowitz bei Ratibor in Oberschlesien. Und in diesem bekanntesten Prosawerk des Dichters, entstanden vor den Toren Danzigs, im Landhaus Silberhammer mit seinem weiten Ausblick auf Wiesen und Wälder, Stadt und Meer, das ihm ein Gönner zur Verfügung gestellt hatte, begegnet uns die so typische schlesische Eigenart von tiefer Heimatliebe und unstillbarer Fernsehnsucht.

 

Aus Lubowitz in Oberschlesien, wo Eichendorff am 10. März 1788 geboren wird, kommt die erste bedeutende Stimme des jung erschlossenen Landes. Eine Stimme, die fortan nicht mehr zu überhören sein wird und die sich gewichtig einfügt in den Chor deutscher Romantik. Noch träumen die Wälder im dichten Unterholz, noch zieht der Strom, die Oder, unverdrossen und tiefgründig, dem Meere zu, aber schon regen sich hie und da die Kräfte der Arbeit, und den Köhlern gaukelt es Bilder vor, als würden hier dereinst, wo sie jetzt stehen bei Meiler und Hütte, Halden und Werke aufgezeichnet, vor deren Gewalt der „wilde Jäger" kapituliert und der gemeine Mann sich bekreuzigen muss.

 

Dem willigen Leser bereitet es Freude, über Eichendorff zu forschen. Und zwar deshalb, weil sich bei ihm in Leben und Werk die Gegensätze ausgleichen und so eine harmonische Synthese entstehen lassen, die zur Grundmelodie seines Schaffens wird und die ihn getreulich trägt durch die Jahre, als Dichter und als Mensch.

 

Immer haben kluge Biographen versucht, sein Bild im schwankenden Wechsel der Zeiten zu erkennen und für ihre Zwecke zu deuten. Die einen heben seine konfessionelle Gebundenheit hervor (obwohl aus seinen Gesängen die tolerante Weite eines echten Christen zu verspüren ist), die anderen wieder vermerken mit Stolz seine vaterländische Gesinnung (welche allerdings als Lützow'scher Jäger keine Bewährung fand). Dritte indessen sehen in ihm die Verkörperung abstrakten Geistes, der um seiner selbst willen den Kosmos umkreist. Alle aber werden mit ihrer einseitigen Schau seinem wirklichen, vielschichtigen, eben schlesischen Wesen nicht gerecht. Und es gilt doch für uns heute mehr denn je, das Gültige herauszulesen und jene harmonische Verbindung zu erkennen, in der sich östliche Mentalität schlechthin manifestiert. Mag der West- und Norddeutsche beharrlicher und zäher sein; schlesische Art ist es, auszugleichen und Brücken zu schlagen.

 

Was war er doch alles, dieser Joseph von Eichendorff: Fahrensmann, Edelmann, Spielmann, Sänger, Geheimer Regierungsrat, Student und Familienvater. Ein Dichter der Stille und ein Dichter des Abends, den er immer wieder mit neuer Kraft beschwört: „Komm Trost der Welt, du stille Nacht...". Aber auch ein Dichter der Sehnsucht, des Dranges in die Ferne. Da stehen schlanke Pinien in der südlichen Sonne, und des Nachts fällt Mondenschein auf marmorne Paläste und verwunschene Schlösser. Und nicht zuletzt aber auch ein Dichter des Morgens und der ersten Frühe. Da wir aber selber an einem Neuanfang stehen, werden gerade aus den Morgengedichten des schlesischen Dichters vertraute Stimmen zu vernehmen sein: „O wunderbares, tiefes Schweigen, wie einsam ist's noch auf der Welt...".

 

Wenn wir am 26. November 1957 des 100. Todestages gedenken und jenen schlesischen und deutschen Dichter ehren, der am jahrhundertealten Friedhofskirchlein zu Neiße in Oberschlesien ausruht von „Kampf und Not", dann soll dies trotzdem kein „Eichendorff-Jahr" in dem Sinne sein, dass wir etwa nur an diesem einen Tage des schlesischen Romantikers gedenken. Sondern wir wollen uns den Dichter Jahr um Jahr aufs Neue zum stillen Begleiter wählen und uns immer wieder aus seinem reichen und ehrlichen Werk Trost und Kraft für den Alltag holen. „Es ist nichts groß, als was aus einem einfältigen Herzen kommt", und in diesem seinem Ausspruch liegt vielleicht der Schlüssel dafür, dass Eichendorff zum volkstümlichsten Dichter der Deutschen wurde, dass seine Lieder erklingen in allen deutschen Landen.

 

Von der Harmonie seines Lebens gilt es zu berichten. Bei ihm gab es weder Liebesaffären in der Ehezeit, noch Selbstmordgedanken in trüben Stunden, die ihm nicht erspart geblieben sind; er kannte kein existenzbedrohendes Vagantentum Klabund'scher Prägung. Dadurch unterscheidet sich Joseph von Eichendorff von manchen Dichtern und Literaten seiner und unserer Zeit.

 

Wo aber sind die Quellen solcher seltenen Harmonie. Die erste ist mit seinem Namen umschrieben: Louise von Larisch, treue Ehegefährtin durch vierzig Jahre, von ihm zärtlich „Loiska" genannt. Ein Nachbarskind vom Gut Pogrzebin. Auf seinen „Jubelperioden", wenn der junge Student für wenige Wochen aus Halle oder Heidelberg in das verschuldete väterliche Gut heimkehrte, lernten sich die beiden kennen und lieben.

 

Eine weitere Quelle ist seine nie versiegende Liebe zur Natur, gleich wo er ihr begegnet. Eichendorff holt auch die westliche erfahrene Landschaft in seine Bilder und Verse hinein, und es mag uns betroffen machen, dass wir darin niemals das Heimatwort „Schlesien" finden, aber es sollte uns diese Erkenntnis auch etwas sagen von der universellen Kraft der Natur, an die auch wir Heimatvertriebene uns klammern können — überall. Seine Motive, das Rauschen der Wälder, verlorene Liebe und Sehnsucht, Trost in Gottes Geborgenheit, sind an jedwedem Ort zu Hause. Seine Situation ist die unsere: Krieg (gegen Napoleon), Heimatverlust (der Vater muss die heimatlichen Besitztümer, auch das kindheits- und märchendurchwirkte Lubowitz aufgeben), Trennung (Louise ist die ersten Jahre allein, während Joseph zu den Fahnen eilt), Tod (in Königsberg stirbt 1832 seine Tochter Anna und es entstehen die ergreifenden Verse „Auf meines Kindes Tod").

 

Eichendorff ist kein Ausgezeichneter und Begnadeter, der über blumenreiche Teppiche wandelt und nur den himmlischen Wolken verhaftet bleibt. Nach der Familiengründung und nach dem wirtschaftlichen Verfall des Adels heißt es für ihn, sein Brot zu suchen. Trotzdem rinnen auch hier zwei Quellen in seinen Alltag ein, der mit Aktenstücken, Staub und Ärger im Amt ausgefüllt ist: die Liebe zur schlesischen Heimat („Keinen Dichter noch ließ seine Heimat los") und die Geborgenheit seiner Familie (in Berlin wird Herrmann, in Breslau Therese, wieder in Berlin Rudolf und in Königsberg Helene und Anna geboren).

 

Er ist ein Mensch, dieser Dichter Eichendorff, und in seinen Gedichten klingt seine ganze schlichte Menschlichkeit auf. So weiß er Berufung und Beruf (Dichter und Beamter), Welt und Religion, Heimat und Vaterland wohl zu verbinden.

 

Eichendorff tritt uns in allen seinen Handlungen und Schriften als „Geamtdeutscher" entgegen. Er wirbt mit einem selbstverfassten Aufruf für den Bau des Kölner Domes, und vielfältig sind die dienstlichen und persönlichen Beziehungen zu West- und Ostpreußen. Mit innerer Scheu zog er 1821 nach Danzig. Aber hier fand er nicht nur eine altertümlich malerische Stadt inmitten einer reizvollen Landschaft (sein Danzig-Gedicht zeugt davon), sondern in dem Oberpräsidenten Heinrich Th. v. Schön auch einen hochbefähigten und verständnisvollen Vorgesetzten. Gemeinsamkeit des Strebens und Adel der Gesinnung überwanden selbst konfessionelle und politische Gegensätze, und diese Freundschaft hielt auf Lebenszeit.

 

In Westpreußen traten ihm auch in den Burgen des Deutschen Ritterordens anregende Zeugen mittelalterlicher Geschichte entgegen. So wurde ihm die Wiederherstellung der arg vernachlässigten Marienburg eine Herzensangelegenheit, und noch in seinem Alter unternahm er es, die Schicksale dieses Schlosses, den tragichen Kampf des Ordens gegen seine Feinde, die verderblichen Gegensätze zwischen Orden und Bürgertum zu schildern. Auch eine umfangreiche Schrift über die Restaurierung der Burg erschien aus seiner Feder. 1824 folgte Eichendorff seinem Oberpräsidenten als Regierungsrat nach Königsberg, bis er 1831 wieder nach Berlin in das preußische Kultusministerium berufen wurde.

 

Eichendorff kannte aus seinen Hallenser, Heidelberger, Wiener und Berliner Jahren die Geistesgrößen des gesamten Deutschlands: Heinrich Steffens, Friedrich August Wolf, Friedrich Schleiermacher, Josef von Görres, Achim von Arnim, Clemens Brentano, Johann Gottlieb Fichte, Heinrich von Kleist. Er machte in diesen Kreisen den Osten sozusagen „salonfähig“.

 

Wir haben in seinem Todesjahr so manchen Grund, dessen zu gedenken. Und uns seines Werkes zu erinnern: der Novellen „Dichter und ihre Gesellen", „Die Glücksritter", „Das Schloss Dürande"; des autobiographischen Romans „Ahnung und Gegenwart"; der Dramen „Der letzte Held von Marienburg", „Ezelin von Romano", „Die Freier" (Lustspiel) und nicht zuletzt seiner vielen Gedichte, die wie ein Zaubernetz um Menschen, Landschaften und Gefühle ranken. Es sollte uns dabei weniger daran gelegen sein, lückenlose biographische Fakten zu erfahren, sondern wir wollen der unleugbaren harmonischen Synthese dieses dichterischen Lebens nachspüren und Eichendorff aus seinen eigenen Versen und Prosastücken unverfälscht sprechen lassen:

 

„Schläft ein Lied in allen Dingen,

die da träumen fort und fort.

Und die Welt hebt an zu singen,

triffst du nur das Zauberwort“.

Jochen Hoffbauer

 

Seite 10   Kulturelles in Kürze

Ostkunde-Tagung in Espelkamp

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde führt im Rahmen ihrer fachlichen Arbeitstagungen in der Zeit vom 4. bis 7. November in Espelkamp-Mittwald eine Arbeitstagung über deutsche Ostkunde in der musischen Erziehung durch.

 

Kulturwoche geplant

Eine Ost- und Mitteldeutsche Kulturwoche in der Zeit vom 15. bis 22. März 1958 will der Landesverband der vertriebenen Deutschen/Hamburg e. V. in Zusammenarbeit mit dem Ostdeutschen Kulturrat sowie in Verbindung mit dem Landeskuratorium „Unteilbares Deutschland"/ Hamburg und den mitteldeutschen Flüchtlingsverbänden veranstalten.

 

Eichendorff in der Walhalla

Am 13. Oktober wurde in einer Federstunde in Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten die vom Bildhauer Prof. Knecht geschaffene Eichendorff-Büste in der Walhalla bei Regensburg von Kulturminister Prof. Rucker enthüllt. Hieran und an dem in Regensburg vorangegangenen Festakt veranstaltet von der Stadt, der Landsmannschaft Schlesien, dem Kulturwerk Schlesien und der Eichendorff-Gilde, nahm der Präsident des Ostdeutschen Kulturrates. Dr. Graf Henckel von Donnersmarck, zugleich als Vertreter des VfL. teil.

 

Seite 10   Heimweh. Von Eichendorff.

Wer in die Fremde will wandern,

Der muss mit der Liebsten gehn.

Es jubeln und lassen die andern

Den Fremden alleine stehn.

 

Was wisset Ihr, dunkele Wipfel,

Von der alten schönen Zeit?

Ach, die Heimat hinter den Gipfeln.

Wie liegt sie von hier so weit!

 

Am liebsten betracht' ich die Sterne,

Die schienen, wie ich ging zu ihr,

Die Nachtigall hör ich so gerne,

Sie sang vor der Liebsten Thür.

 

Der Morgen, das ist meine Freude!

Da steig ich in stiller Stund'

Auf den höchsten Berg in die Weite,

Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!

 

Seite 10   Leuchtkraft der Landschaft. Zur Ausstellung von Ernst Mollenhauer in Eßlingen.

Eßlingens Landolinshof erweist sich immer mehr als geeignet für die stille Zwiesprache zwischen dem Besucher und dem ausgestellten Kunstwerk. Freilich müsste man meinen, die Eßlinger nützten diese schöne Gelegenheit zur Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst mehr als bisher. Nicht jeder Stadt wird in so ansprechenden Räumen ein so schönes und instruktives Kunstprogramm geboten. In der Reihe geplanter Kollektivausstellungen einzelner Künstler bot bis Ende Oktober der in Düsseldorf lebende, aus Ostpreußen stammende Maler Ernst Mollenhauer einen Längs- und Querschnitt seines Werks von 1949 bis 1957.

 

Manche der großformatigen, farbkräftigen Bilder mit ihrem expressiven Impetus scheinen den Raum sprengen zu wollen, fügen sich ihm aber bei näherem Zusehen doch auch wieder ein. Denn manches, das sich zunächst wuchtig und fast gewalttätig darbietet, lebt in einem schönen Gleichgewicht, das die starke Spannung des Bildaufbaus und der Farbakkorde durch die religiösen Impulse des Künstlers nach innen schwingen lässt. Landschaften aus dem Jahre 1949, so die auf Braun-, Rot-, und Ockertönen aufgebaute „Heimkehr" und die rote Dünenlandschaft in ihrer stimmungsvollen Verhaltenheit, sind mehr dem gleichfalls in Tapiau geborenen Lovis Corinth der mittleren Zeit nahe, einige Stillleben, vor allem das „Stillleben mit Tabakspfeife und roter Schale", voll Tiefe der Farbschattierung und der Gefühlswerte, erinnern an die Fauves.

 

Das Hauptwerk des Malers ist aber dem Expressionismus der „Brücke" zuzurechnen, wenn sich auch Mollenhauers Nachbarschaft zu diesem Kreis weniger aus einem Schulzusammenhang als dem künstlerischen und menschlichen Austausch mit seinem Lehrer Arthur Degner an der Königsberger Akademie und vor allem mit dem Freunde Max Pechstein ergibt.

 

In einer meisterhaften Studie, die demnächst gedruckt wird, hat Mollenhauer die vielen Monate und Jahre des gemeinsamen Schaffens mit Pechstein auf der Nehrung und in Nidden geschildert. Aber was diesen Künstler von Pechstein und den anderen Meistern der Brücke, von denen vor allem Schmidt-Rottluff und Heckel auch im deutschen Nordosten geschaffen haben, unterscheidet, ist nicht nur die Tatsache, dass er eine durchaus legitime und vollkräftige Fassung des expressionistischen Stils weiterentwickelt, als die anderen bereits erlahmten, vielmehr seine andere Einstellung und letztlich auch die Konsequenz seiner Motivsuche. Die Stadt, vor allem die Großstadt, scheint Mollenhauer, der heute in Düsseldorf lebt, nichts zu bedeuten. So fehlt ihm ganz das Hektische, Sozialkritische der meisten Expressionisten. Wenn er den Menschen darstellt, so nur den in die Landschaft komponierten, in ihr aufgehenden, kreatürlichen. Sein großartig dramatisches Bild aus diesem Jahre „Aufkommendes Gewitter in Nidden" etwa mit den die Boote bergenden Fischern zeigte Menschen inmitten der Elemente und der Landschaft, die ihn, wie den Künstler selbst geprägt hat und nie aus ihrem Wesen und ihrer Art entlässt, mag er nun in der Bretagne, auf Sylt, in Spanien oder in Südfrankreich malen.

 

Wo er sich mit dem Porträt beschäftigt, wird es weniger eine psychologische Studie oder ein Aufschrei, wie meist im Expressionistischen; es wird das gelassen komponierte Frauenporträt oder die fast spätimpressionistisch zu nennende vornehme Darstellung eines Charakters. („Sitzender Junge", 1951), („Herrenbildnis", 1957). „In der Frau mit Türkisen" nähert er sich dem Exotischen und dem Dekorativen.

 

Wo immer Mollenhauer malt, er sucht mit Vorliebe die See auf. Und seine Motive dienen ihm letztlich zu einer Verknappung der Mittel und des Ausdrucks, die sich bisweilen sehr der stärksten Abstraktion nähern. Das dunkle Blau, das satte Rot zieht er vor, breite schwarze Konturen akzentuieren den Aufbau. Aufwärtsstrebende Mäste, Segel und Dächer betonen schräggestellt die Vertikale. Wolkenfetzen und eine gelbrotierende Sonne tragen nicht häufig dazu bei, den bewusst oder unbewusst metaphysischen Gehalt dieser Bilder zu betonen. Da gibt es einzelne, in denen das Grün und das Rot, Himmel und Wolken, Haus und Heuschober, See und Boote in Unruhe geraten und scheinbar ungeordnet bleiben, als sollte diese Unruhe ein Suchen und ein Drängen aussprechen. Da sind andere, in denen sich die dramatische Spannung zu einem Ausgleich steigert, der mit Symbolen und Zeichen die Botschaft der Natur verkündet.

 

Ein Werk wie Mollenhauers, das ganz aus der Natur lebt, aus der Einsamkeit der Küste und des Strandes, des Fischerhauses und des immer wieder mit dem inneren Gesicht der besitzenden Erinnerung die Heimat wiedergebenden Rettungshauses von Nidden, das wir als hohes Sinnbild der Heimatbezogenheit und des Geborgensein Wollens auffassen, ein solches Werk dokumentiert sinnfällig, wie sehr das ehrliche, nie selbstzufriedene Bemühen des fünfundsechzigjährigen Malers es vermag, sein persönliches Erleben und Empfinden, das sehr Bestimmte seiner Herkunft über das Provinzielle zu tragen und es verbindlich zu machen.

 

Die Bilder, unter denen viele Abendstimmungen sind, weichen der Gefahr aus, vom Gefühlsmäßigen und Romantischen nordostdeutscher Prägung ins Weichliche, Empfindsame abzugleiten, sie vermeiden auch die Routine und die Schablone der heute so häufigen Vorrangigkeit des Dekorativen. Viele Bilder sind malerische Gespräche mit dem lieben Gott und wollen es auch sein. Sie vermögen die Schwermut der Erinnerung zur Forderung der Gegenwart zu machen. Vornehmlich in den Seestücken („Boote am Meer", 1956 und „Nordweststurm" aus dem gleichen Jahre) begegnet uns das Musikalische, das dieser Malerei innewohnt. Unter den anderen Landschaften, die nicht alle gleich intensiv und gleich formal gelungen sind, sprachen uns besonders an: „Blick auf Douarnenez", „Straße in Treboul", „Nordseeküste vor Spiekeroog", „Neuharlinger Siel".

 

Der Zeichner Mollenhauer — leider lernen wir den Aquarellisten hier kaum kennen! — ist durch eine Reihe von Skizzen, von denen viele mehr als nur Vorstufe Zu einem Bild sind, aufschlussreich dokumentiert.

 

Seite 11  Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Foto: Klage. Von Käthe Kollwitz.

 

Seite 11   Die geglückte Operation. Von Wolfgang Altendorf.

Als der Krieg ausbrach, war er achtzehn Jahre alt. Er wurde eingezogen und noch während seiner Ausbildung kam sein Ersatzbataillon hinter den vordringenden Truppen nach Frankreich.

 

Er war sehr stolz darauf, dass er Deutscher war, dass er einer Nation angehörte, die, einen so blitzartigen Sieg über dieses Land errungen hatte, zu dessen Besatzung er nun zählte. Wenn er Ausgang hatte, sah er die Menschen dieses Landes, das er verachtete. Wie müßig sie waren! Immer standen irgendwo Gruppen von Männern, rauchten und diskutierten oder saßen in den Cafés zusammen, tranken Aperitifs — ein weibisches Getränk — und schlugen, wie es schien, die Zeit tot. Die Frauen sahen zierlich aus, gewiss, aber sie waren geschminkt, trugen hochhackige Schuhe und waren ganz bestimmt keine guten Hausfrauen. Alles war hier so ganz anders, so ‚degeneriert' — wie er es bei sich ausdrückte —, es war fremd und ungehörig. Von diesem Land und seinen wenig heldischen Menschen war nichts mehr zu erwarten. Eine sterbende Nation —, der leichte und fast mühelose Sieg hatte es bewiesen.

 

Da passierte es eines Tages, dass ihm ein Unfall widerfuhr. Er war der Wache zugeteilt. Als der Wagen des Kommandeurs zum Kasernentor einbog, die Wache zur Meldung her austrat, rutschte er auf dem glatten, mit leichtem Schnee bestäubten Pflaster aus, so unglücklich, dass er unter die Räder des Wagens geriet. Der Kommandeur brachte ihn sogleich ins Standortlazarett, aber der Stabsarzt, außerstande, in seinem noch unzulänglich ausgestatteten Operationsraum die Operation selbst auszuführen, überwies ihn in das französische Zivilkrankenhaus. Die Röntgenaufnahme ergab, dass die Operation zwar riskant, dass sie aber auch die einzige Möglichkeit war, ihn zu retten. Sein Leben hing einzig und allein von der Geschicklichkeit, dem Wissen und Können des französischen Chirurgen ab.

 

Die Operation gelang, ja, sie gelang besser, als es je zu erwarten gewesen war. Er lag einige Wochen, ohne sich im Mindesten rühren zu können, war somit auf jede Handreichung angewiesen, und dies von Menschen, die er vordem so sehr verachtet hatte. Er spürte, dass man ihn, den fremden Soldaten, den Eindringling, den Deutschen mit besonderer Sorgfalt pflegte, so, als wisse oder ahne man seine Meinung, als bemühe man sich, ihn eines bessern zu belehren. Dabei lief in Wirklichkeit der Tagesbetrieb in diesem Krankenhaus ebenso routiniert und geordnet ab, wie überall. Auch kam er, nur ein wenig der französischen Sprache mächtig, seine Kenntnisse aber laufend verbessernd, mit seinen Bettnachbarn in näheren Kontakt. Er erfuhr, wie sie lebten, welche Wünsche sie hatten, und dass ihre Probleme dieselben waren. Dass sie sich mühten, ihr Leben nach ihren Gegebenheiten zu meistern, aber diese Gegebenheiten waren wenig anders als seine eigenen. Er spürte die Geduld der Schwestern, ihre stete Liebenswürdigkeit, ihre geschickten Hände. Er blickte in das Gesicht des Chirurgen bei der täglichen Visite, das zuerst sehr besorgt war, dann aber mit seiner fortschreitenden Genesung von Tag zu Tag vergnügter wurde. Der Arzt sprach deutsch. Er hatte einige Semester in Heidelberg studiert.

 

Dann wurde er in das Standortlazarett zurücküberwiesen. Die Röntgenaufnahmen, die man dort von ihm machte, die man mit den Aufnahmen seiner Verletzungen verglich, erregten die höchste Bewunderung der Ärzte. Oft umstanden sie zu mehreren sein Bett, hatten die Aufnahmen vor sich liegen, verglichen, befühlten seinen Körper, besprachen seinen Fall, gratulierten ihm, dass er das Glück gehabt hatte, in die Hände eines so ausgezeichneten Chirurgen geraten zu sein.

 

Als er sich endlich wieder bewegen konnte, es augenscheinlich wurde, dass er kein Krüppel blieb, da empfand er, dass mit ihm etwas geschehen sei. Und wenn es ihm auch nicht voll bewusst wurde, er es niemals hätte ausdrücken können, so spürte er doch in seinem Innersten, dass er etwas erfahren hatte, etwas, das mehr war, noch mehr, als die wunderbare Kunst des französischen Chirurgen, die ihm das Leben gerettet hatte. Hier war etwas Gemeinsames. Dieser von Grenzen durchzogene Raum, den man Europa nannte, war etwas ganz anderes als die vielfältige Buntheit einer Landkarte, als die Isoliertheit seiner Nationen. Hatte er nicht unmittelbar seinen Nutzen gezogen aus der Gemeinsamkeit des Geistes, des Wissens, der Tradition. Fand nicht ein unaufhörlicher Austausch statt, ein Kreislauf der Erkenntnisse? War dieser Kreislauf nicht der Beweis, dass die Menschen eines Sinnes, einer Art, einer einzigen und umfassenden Kultur waren?

 

Er selbst sah nun mit anderen Augen dieses Land und seine Menschen. Er spürte zutiefst die Verwandtschaft, die bedeutende Geister niemals — nicht einmal in den vielen Kriegen, die den Kontinent zerrissen hatten — bezweifelten. Und er wünschte, dass es endlich aufhören möge mit der sinnlosen Zerstörung, denn jeder Sieg, den eine Nation in diesem gemeinsamen Feld der Zugehörigkeit über die andere errang, war immer eine Niederlage gegen sich selbst, ein Verrat am Geist, an dem, was Fortschritt im guten und gültigen Sinn bedeutete.

 

Seite 11   Steins Antwort: „Gehen Sie!"

Auf der Rückkehr von Petersburg nach Deutschland ließ sich bei Stein ein verirrter Offizier der geschlagenen Großen Armee Napoleons melden. Er war Deutscher und erzählte, dass er eigentlich nur aus Langeweile den Feldzug nach Russland mitgemacht habe. Seine Bitte um Barmherzigkeit beantwortete Stein sehr schroff: „Ich möchte gern jedem sich im Unglück befindlichen Deutschen helfen. Aber ich bin nicht hierhergekommen, deutschen Edelleuten zu helfen, die sich aus Langeweile freiwillig erbieten und erbitten, für einen Tyrannen ein edles und freies Volk plündern und unterjochen zu helfen! Gehen Sie!“

 

Seite 11   Herbstbild. Von Johann Ambrosius.

Schwarz der Wald und schwarz die Reiser

die entlaubt zum Himmel sehn!

Beten sie in ihrer Weise

wohl zu Gott um Auferstehn?

 

Ja, sie beten ! — Lausch' dem Amen,

Menschenherz, in der Natur.

Tief im Busen Hoffnungssamen

legt zur Ruhe sich die Flur.

 

Seite 11   Weisheit der Freude. Gedanken von Carl Ludwig Schleich.

Die Einsamkeit ist die Zuflucht der ganz Starken oder der ganz Schwachen.

 

Ein Mensch ist so stark, wie er lustig sein kann. Man ist in dem Maße jung, als man empfänglich bleibt für die Freuden der Jugend. Ein vergnügter Greis ist eben nur ein alter Knabe.

 

Es gehört Mut zu dem Bekenntnis: glücklich zu sein, die meisten sind nur aus Furcht bescheiden. Der alte Aberglaube an den Neid der Götter macht viele zu Heuchlern und Verleugnern ihren Frohsinn.

 

Das sicherste Zeichen einer humorvollen Seele ist die Fähigkeit, auch einmal sich selbst auszulachen. Die meisten Menschen tun sich selbst zu leid, um über sich zu lachen.

 

Ich bin mir immer sehr reich vorgekommen, wenn ich kein Geld hatte. Ich glaube, Selbstbewusstsein mit einigem, wenn auch bescheidenen Grunde ist das größte Bankkapital.

Sicher das sicherste.

 

Seite 11   „Ein Kuss der Sympathie". Eine Begebenheit aus dem Leben des großen Philosophen Immanuel Kant.

Wir schreiben das Jahr 1762 — nahe der alten Königsberger Universität, im Kneiphof, wohnt der berühmte Professor Immanuel Kant. Seit zwölf Jahren nun schon hält er an der Mater Albertina mathematische und physikalische, philosophische und pädagogische, auch geographische und anthropologische Vorlesungen. Und er hat größten Zulauf. Seine ungewöhnliche Vorstellungskraft, seine sprachliche Begabung, die Tiefgründigkeit seiner philosophischen Gedanken locken die Studenten in immer dichteren Scharen um seinen Lehrstuhl, lassen sie begierig nach den köstlichen Früchten seines großen Geistes greifen.

 

Auch in der Königsberger Gesellschaft sah man den Gelehrten gerne, war er doch ein gleich geistreicher und anregender, wie amüsanter und galanter Plauderer. Wenn auch klein von Gestalt, so macht der jetzt Achtunddreißigjährige mit seiner weiß gepuderten Perücke, silbernen Schnallenschuhen und Degen, wie auch durch seine fröhliche Munterkeit und seine herzlich lachenden Augen eine gute Figur, die man nur allzu gerne einlädt.

 

So war Kant auch im Hause des Geheimen Kommerzienrates Jacobi ein ständiger Gast, und vor allem die Jacobin, des Kommerzienrates angetrautes Eheweib, sah den Professor bei den Spaziergängen durch den weitläufigen Garten des Hauses gerne und oft an ihrer Seite. Fast, so schien es dem vielbeschäftigten Kommerzienrat, zu gerne und zu oft; eine Meinung allerdings, die die Jacobin keineswegs teilte, denn als der Philosoph eines schönen Julitages ausblieb, schrieb sie ihm:

 

„Werter Freund!

Wundern Sie sich nicht, dass ich mich unterfange, an Sie, den großen Philosophen zu schreiben? Ich glaubte, Sie gestern in meinem Garten zu finden. Da aber meine Freundin mit mir alle Alleen durchschlichen und wir unseren Freund unter diesem Zirkel des Himmels nicht fanden, so beschäftigte ich mich mit der Verfertigung eines Degenbandes; dieses ist Ihnen gewidmet. Ich mache Ansprüche auf Ihre Gesellschaft morgen Nachmittag. „Ja, ja, ich werde kommen", höre ich Sie sagen. — Nun gut, wir erwarten Sie... Meine Freundin und ich schicken Ihnen einen Kuss der Sympathie. Die Luft wird doch wohl im Kneiphof dieselbe sein, damit unser Kuss nicht die sympathische Kraft verlieret. Leben Sie vergnügt und wohl!

Aus dem Garten, den 12. Juni 1762. Jacobin“.

 

In seiner Studierstube fand Kant, gerade aus der Universität kommend, das Billet. Er las es, trat ans Fenster und schaute versonnen über den Pregel hinweg in den herrlich blauen Sonnentag. Vor seinem geistigen Auge sah er den blühenden Garten und das liebliche Bild der Jacobin, seine Gedanken aber weilten noch bei dem, was er am heutigen Vormittag erst seinen Studenten über die kritische Prüfung der Vernunft, über das Verhältnis von Pflicht und Neigung gesagt hatte. Ein kurzer Blick noch auf den Brief, dann schritt er zurück in das gedämpfte Licht der Studierstube und schrieb:

„Werte Freundin! Wie gerne käme ich Nachmittag zu Ihnen, um mir das Degenband zu holen! Aber ich habe heute tief in das Blau des Juni-Himmels gesehen, um das ewig Gute mit dem irdisch Schönen vertauschen zu können. Die Luft Ihres Gartens und Ihrer Nähe ist angenehmer und besser als die meiner Studierstube. Und so hat Ihr Kuss der Sympathie nicht mein Jammertal erreicht, sondern ist schon an der Pforte Ihres Blumenreiches, vielleicht dicht bei unserem Rosenstrauch, gestorben. Aber das wahrhaft Schöne ist ohne Zweck. Und so ist auch dieser scheinbar glückliche Kuss wohl in sich geborgen. So soll er zwischen uns erhalten bleiben. Auch in der Bläue des Himmels werde ich Ihr Bild, liebste Jacobin, heute und noch länger wiederfinden.

Königsberg, den 12. Juni 1762. Immanuel Kant“.

G. S.

 

Seite 11   Emil Merker. Das unzerreißbare Band.

Allerseelennebel hing vor den abendlich erblindenden Scheiben; eben war man vom Friedhof gekommen. Man verzichtete, die Lampe einzuschalten; die Kerze, die man vom Grabe mitgebracht — sie sollte hier zu Ende brennen —, genügte. Frau Hedwig bereitete mit weichen, umsichtigen Handgriffen den Tee.

 

„Ach verzeih, die Löffelchen habe ich vergessen“. Sie lächelte. „Solch unerwartetes Wiedersehen nach zwölfeinhalb Jahren ist eben doch keine Kleinigkeit“.

 

Die Blicke des Mannes waren, an dem und jenem Gegenstand haften bleibend, über die Wände des in betonter Schlichtheit möblierten Raumes geglitten: „Die aufmerksame Stille ist noch um jedes Ding; wie damals."

 

„Ja, die brauche ich. Wachsamkeit, dass es nie mit mir durchgeht“.

„Es war wohl schwer?"

„Anfangs ja, das will ich nicht leugnen. Aber nun bin ich schon lange ruhig“. Sie hob prüfend das Tee-Ei: „Ein Weilchen will ich ihn noch ziehen lassen, ich weiß, du liebst ihn dunkel“.

 

Er sah auf die Uhr: „Fast zwei Stunden habe ich noch Zeit“.

„Fein, da können wir noch manches plaudern“.

„Vor allem eins, Hedwig: du bist mir nicht böse, dass ich gekommen bin?"

„I wo!" Sie schlug die grauen Augen zu ihm auf, in denen noch immer wie einst der kleine Schalk spielte. „Es wird doch wohl dem Vater erlaubt sein, einmal an das Grab seines Jungen zu kommen; nach so vielen Jahren“.

„Wenn das ein Vorwurf ist — ich habe ihn verdient“. Sie schüttelte den ergrauten Kopf: „Ist keiner. Ich hatte dich doch damals darum gebeten“.

 

Er nickte: „Ja, du warst sehr nobel. Ich dankte dir das oft im Stillen, dass es zwischen uns einen so würdigen Abschied gab“.

Sie hob die Stimme: „Ach, Noblesse --.

Ich hatte ja immerhin meine Einwilligung zur Scheidung an eine doppelte Bindung oder sagen wir lieber Bitte geknüpft: dass Dieter mir bliebe. Und – dass wir uns nie mehr wiedersähen! Es musste ein radikaler Schnitt für immer sein. Sonst wäre ich, um im Bilde der Operation zu bleiben – so, jetzt kann ich eingießen, hier ist auch Rum – ja, sonst wäre ich verblutet. Und ich wusste, auch für dich war dies das einzig Mögliche. Du musstest ganz frei, ganz unbeschwert dein Leben von neuem aufbauen dürfen. Du warst ja so jung“.

 

„Mit diesem, ich möchte sagen nachsichtig streichelnden Ton sagtest du das schon damals immer. So, als wäre, dass ich die paar Jahre jünger bin als du, eine unverzeihliche Verfehlung“.

Sie lachte: „Ist es auch. Eine unkorrigierbare.

Nur nicht von deiner, — von meiner Seite. Du hast keine Schuld. Höchstens ich“.

„Aber, Hedwig, Schuld? Darum, darum, dass du dich des jungen, unerfahrenen Menschen, der ich war, annahmst?" Er griff nach ihrer Hand: „Dass du ihm die Vollendung seiner Studien ermöglichtest?"

 

„Nun, wenn nicht deshalb, so doch darum, weil ich ihn heiratete“.

„Wir liebten uns doch, Hedwig“.

„Ja, siehst du, darüber habe ich oft nachgedacht. Liebten wir uns wirklich als Mann und Weib? War ich nicht mehr deine ‚mütterliche Freundin' als deine Frau? Darum war es meine Pflicht, zurückzutreten, als du deine, wirklich deine Frau fandest. Wie geht es ihr übrigens, ihr und euren Kindern? Seid ihr glücklich? Weiß sie, dass du hierher gefahren bist und hat sie es gutgeheißen?"

 

„Das sind viele Fragen, Hedwig, aber ich kann auf alle mit einem guten ,Ja' antworten“. „Freilich! Du hattest ja auch nur die Absicht, an das Grab zu kommen. Es war Zufall, dass du mich dort trafst“.

 

„Nein, ich rechnete damit, dich zu sehen. Mein Gewissen drückte mich, weil ich dich damals verließ. Oder eigentlich, Hedwig: nicht mein Gewissen, meine Liebe zu dir. Kannst du begreifen, dass ich dich noch immer liebe; nur eben anders als Friedl?"

Frau Hedwig lächelte und fuhr dem Mann, der, die Ellbogen auf die Knie gestützt, in seinem Sessel saß, leicht übers Haar: „Ich sagte es ja vorhin: als mütterliche Freundin. Ich aber, Rolf, ich liebe dich noch immer so wie zu Anfang; von der ersten Stunde an all die Jahre, und werde es weiter tun bis an mein Ende.“.

„Das ist nicht schlimm, lieber Freund, ich hatte ja den Buben“.

„Den dir der Krieg genommen hat“.

Sie schüttelte heiter den Kopf: „Den mir keiner nehmen kann. Ist das Überheblichkeit: mir ist, viele, die das Wort ‚Liebe' gebrauchen, haben ihr Wesen nicht erfahren; dass sie ein unzerreißbares Band ist. Das gilt für meine Liebe zu Dieter ebenso wie für die zu dir. Als du von mir gingst, da fürchtete ich mich vor dieser Liebe und war unsicher, ob ich mit ihr allein, ohne den Menschen, dem sie galt, würde leben können. Jetzt weiß ich, dass ich es kann“.

 

Mit klarem, ruhigem Licht brannte die Kerze noch lange, nachdem der Mann gegangen, in der Stube der wieder allein Gebliebenen.

 

Seite 12   Edith Mikeleitis. Luises Einzug in Berlin.

Die Königin gebar ihr zehntes Kind in herberer Qual als alle ihre Kinder vorher, und sie konnte sich danach nicht erholen. Immer noch umschlossen die dicken Mauern des Alten Schlosses in Königsberg ihr Leben, und obwohl sie das Land Ostpreußen liebte, obwohl sie die aufrechten, ein wenig düsteren, aber treuen Menschen in den Jahren der Not als Freunde kennengelernt hatte, bangte ihr dennoch vor dem Winter. Sie sehnte sich nach Berlin.

 

Dort bargen die Stätten ihres Lebens Erinnerungen heller und froher Art, und ihre Jugend ging dort lachend und flüsternd um, ihre Jugend, da sie sich niemals allein gefühlt, weil die unnennbaren Ströme der Zukunft ihr noch entgegengeflossen waren, mit mächtiger Fracht der Erwartung vollgeladen, hohe Erfüllungen verheißend.

Jetzt wusste sie sich ganz allein.

Umgeben von vielen vertrauten und liebevollen Menschen, denen sie Kraft und Glauben gab, stand sie dennoch wie auf einer Insel, fern ihnen allen, nur mit sich und dem Unendlichen allein, das sie in schlaflosen Nächten rauschen hörte und gleich ewigen Winden, die die Welt befruchten.

 

Sie war durch alle Höhen und Tiefen hindurchgeschritten, und sie hatte sich nicht verloren. Weder an den Tod noch an die Nacht. Weil ihr von außen keine Sonne leuchtete, hatte sich in ihr langsam wachsend ein Licht entzündet, das sie führte. Sie ging ganz sicher, und es war nun nicht mehr so wichtig, was geschah. Nur noch ein brennender Gedanke bewegte ihr Herz: dass ihrem Volk die Freiheit würde! Ihrem Volk, dem sie zugewachsen und angewachsen war durch die gemeinsame Not.

Aber dort in Berlin, im Herzen ihres zusammengeschrumpften Landes, dünkte es sie leichter zu atmen als hier, wo sie alles mit Erinnerungen an schwache und elende Stunden gesättigt fühlte. Einmal wieder wollte sie durch den Park in Paretz gehen, die anmutige Pfaueninsel durchschreiten, in ihrem geliebten Charlottenburg wohnen, ehe sich die Wende vollzöge.

 

Welche Wende? fragte sie sich. Aber sie sah nur etwas Dunkles, Machtvolles, dem sie entgegenging, unaufhaltsam entgegenging ... und ganz allein!

 

In den letzten Tagen des Jahres, als schon wieder der frostige Winter in den endlosen Gängen des Schlosses sich eingenistet hatte und die langen Nächte von der Kraft der Seelen zehrten, ohne sie neu zu nähren, entschloss sich Friedrich Wilhelm endlich, dem teuflischen Drängen Napoleons nachzugeben und nach Berlin zurückzukehren.

 

Es mochte das Ende ihres Hauses bedeuten, sich so sehr in die Machtbereiche des Korsen zu begeben, aber beide, Friedrich Wilhelm und Luise, wussten, dass ihr Entschluss unverrückbar war, denn die Zeit drängte zur Entscheidung. Würden sie zu Opfern oder würden sie zum Mittelpunkt eines neuen und erwachenden Lebens in Preußen werden? Das war die bange Frage, die sie auf der langen und beschwerlichen Reise bewegte.

 

Aber der Empfang in Berlin glich der Feier eines heimgekehrten Siegers, nicht dem traurigen Einzug eines so vom Unglück verfolgten Herrscherpaares. Was für ein Wunder war in den Menschen geschehen, dass sie wie unter einer Erweckung standen und mit glücklichen und hoffenden Augen auf ihre Königin schauten, die schöner und ernster ihnen wieder gegenwärtig geworden war?

 

Zum ersten Mal seit langen Monaten weinte die Königin, aber ihr Mund lächelte. Sie sah ihre ältesten Söhne in Offiziersuniform vor dem Portal des Schlosses auf sie warten, sie sah die noch kindlichen Züge stolz erglühen, sie sah ihre Mädchen und Knaben, die man schon vorausgeschickt hatte, und sie sah in die Gesichter alter Diener hinein, denen die Freude Tränen in die Augen trieb.

 

Dann aber lag sie in den Armen ihres Vaters. Sie hatte sich lange nicht mehr als Kind geben dürfen, und das aufgehobene Gefühl, das grenzenlose Vertrauen in das Herz eines anderen, wie es nur Kindern geschenkt wird, überwältigte sie mit solchen Glück, dass sie meinte, dies sei der schönste Augenblick ihres Lebens.

 

„Vater", flüsterte sie, „nun bin ich wieder an einem Anfang meines Lebens ... und immer ist es gut, an einem Anfang zu stehen“.

 

Der Herzog von Mecklenburg strich über ihr bewegtes, von innen erleuchtetes Gesicht. Was ihm aus dem Antlitz seiner Tochter entgegenschien, das war nicht mehr das Gleichmaß ihrer früheren Tage, das war etwas Gewaltiges, Aufgebrochenes, dem er sich fremd fühlte, er, der alt gewordene Mann mit ernüchternden Erfahrungen, die sein Herz gedämpft hatten.

 

In den Zügen Luises aber sprachen die tiefsten Erfahrungen eines reichen Lebens nicht durch Ernüchterung, sondern durch die Fülle eines ganz ins Wesenhafte gezogenen Seins.

 

Der Herzog strich ihr behutsam über das Gesicht. Er fand keine Worte. Nur der heftige Schmerz um diese seine Tochter, deren Weg ihm unendlich dornenreich schien, zitterte in seinen Händen.

Aus Edith Mikeleitis „Die Königin“, Roman um Königin Luise von Preußen (200. Tsd.) mit freundlicher Genehmigung des Verlages Otto August Ehlers, Darmstadt, Spessartring 65

 

Seite 12   Helpt et nich — so schad't et nich

Ostpreußische Sprichwörter

Wer nich Angst heft, dem donne sie ok nuscht.

 

Wer warten kann, der sieht sein Glück noch einmal an.

 

Die Zeit, die gut hingeht, kann nicht schlecht wiederkommen.

 

Schlecht Wetter ist besser wie gar keins.

 

Alles zu wissen, macht Kopfschmerzen.

 

Jedet Hüske heft sien Krüzke.

 

Gewest, wo gewest, to Huus öss ömmer am best.

 

Wat man nich ändre kann, sitt man gelate an.

 

Komm ich über den Hund, so komm ich auch über den Zagel.

 

Spie nicht önt Water, dat du noch drinke mottst.

 

Möt Langholz mottst nöch quer foahre!

 

Die vorstehenden Sprichwörter entnahmen wir dem soeben bei Gräfe und Unzer, München, erschienenen Bändchen „Helpt et nich — so schad't et nich", einer Sammlung ostpreußischer Sprichwörter. Hier begegnen sich Volksweisheit und Witz mit fast philosophischer Tiefe und überraschend treffenden Formulierungen. Aus jedem Wort — vieles ist durchaus eigen und in anderen Gegenden nicht zu finden — spricht das bodenständige, naturverbundene Leben der Ostpreußen und eine jahrhundertealte Überlieferung. Es heißt nicht umsonst, das Sprichwort steige aus der Seele des Volkes. Hier liegt sie offen ausgebreitet — ein Spiegel des ostpreußischen Menschen. (48 Seiten, Format 11 X 19 cm, franz. brosch. DM 2,50.

 

Seite 12   Bücher - die uns angehen

Charles Wassermann: Unter polnischer Verwaltung. Tagebuch 1957. Blüchert Verlag, Hamburg. 304 Seiten mit 163 Aufnahmen. Ganzl. DM 12,80).

Charles Wassermann, aus Wien gebürtig. Reporter des kanadischen Rundfunks und freier Schriftsteller, hat sich durch sein „Tagebuch der Freiheit" als ebenso sachlicher wie menschlich-mitfühlender Beobachter erwiesen. Die Baseler Nationalzeitung schrieb: „Wir kennen keinen besseren Bericht über den heldenmütigen Kampf des ungarischen Volkes". Auf dieser Reise durch Ungarn und Polen kam Wassermann auch in ehemals deutsches Gebiet, und die Eindrücke, die ihm dort zu teil wurden, weckten in ihm den unabweisbaren Wunsch, eine umfassende, gründliche Forschungsfahrt durch die deutschen Länder unter polnischer Verwaltung durchzuführen.

„Unter polnischer Verwaltung" ist der Titel des Buches, das auf diese Weise entstand. Es versucht, eine Antwort zu geben auf die brennende Frage, die Millionen von Deutschen bewegt:

 

Wie sieht es heute in Ost- und Westpreußen, im Danziger Gebiet, in Ostpommern, Ostbrandenburg und in Schlesien aus? Was ist aus den ehemaligen Städten und Dörfern hinter der Oder-Neiße-Linie geworden? Wie geht es unseren Landsleuten, die heute dort leben? Allenstein, Tannenberg, Elbing, Marienburg, Danzig . . . diese und viele andere Orte hat Wassermann mit seiner Frau besucht, fotografiert und beschrieben. Er sprach mit Hotelkellnern, Arbeitern, Kinder, einem Zahnarzt, dem tapferen Pastor Herbert Rutz und seinen letzten Konfirmanden. In Ostpreußen begann die abenteuerliche Reise, und als sie schließlich in Oberschlesien endete, waren 7000 km zurückgelegt.

Eine Fülle von Tagebuchnotizen, Tonbandaufnahmen und Fotografien brachte er nach mancherlei Schwierigkeiten und Gefahren mit nach Hause. Sein Buch ist ein Bericht und eine Mahnung. Bei aller Objektivität lässt es auf jeder Seite den Herzschlag unmittelbaren Erlebens spüren, und es klingt in die Worte aus: „Wie immer auch die Zukunft dieser ganzen Gebiete sein mag, es ist zu hoffen, dass andauernder Friede und wachsende menschliche Einsicht das Traurige, Düstere und Trostlose beenden werden und dass die Menschen, die dort leben, seien sie Deutsche oder Polen, eines Tages eine Existenz haben werden, die der zivilisierten christlichen Welt würdig ist“.

 

Ostpreußenkalender 1958. Gräfe und Unzer Verlag, München. 20. Jahrgang. Format DIN A 5, DM 3,75.

Der in allen ostpreußischen Familien bekannte und beliebte Ostpreußenkalender feiert mit dieser neuen Ausgabe das Jubiläum seines zwanzigjährigen Bestehens. Diese Tatsache allein ist ein schöner Ausweis für seine Qualität und Beliebtheit, nicht zuletzt aber für das Bemühen des Verlages, das Bild der Heimat immer wieder von neuem zu erfassen und vor Augen zu führen. So enthält auch

diese Jubiläumsausgabe wieder eine Reihe von einmaligen Stadt- und Landschaftsmotiven und, wie in den zurückliegenden Ausgaben, einige wirkungsvolle Wiedergaben von Gemälden und Graphiken bekannter ostpreußischer Maler, wie Lovis Corinth, Prof. Eduard Bischoff, Gertrud Lerbs-Bernecker und Richard Birnstengel. Die Kalenderblätter, insgesamt 24, sind wieder mit ausgesuchten Proben — Gedichten und Zitaten — aus dem Werk ostpreußischer Dichter und Schriftsteller versehen. Der Druck erfolgte auf feinem Kunstdruckkarton; die Bilder können ausgeschnitten und als Postkarten verwendet werden. Ein schöner Bildkalender, zu dem nicht viele auf dem deutschen Buchmarkt zum Vergleich herangezogen werden können.

 

Ermländischer Hauskalender 1958 (91. Jahrg.). Herausgegeben von der Bischof-Maximilian-Kaller-Stiftung. Bearbeitet von Pfarrer Ernst Laws. Verlag A. Fromm KG, Osnabrück. 304 Seiten. DM 2,40.

Der diesjährige Ermländische Hauskalender erhält sein besonderes Gesicht durch das Hinscheiden des Kapitularvikars von Ermland, Prälat Kather, dessen Leben und Wirken in der ärgsten Notzeit unseres Volkes eine breite Würdigung findet. Eine Vielzahl von Aufnahmen begleiten die einzelnen Beiträge: sie beleuchten das Bild dieses Gottesmannes und Oberhirten seiner ihm anvertrauten Gemeinde von den Anfängen seines geistlichen Wirken bis in die Stunde des Todes. Besondere Beachtung dürfte in diesem Jahrgang der umfangreiche Bildbericht Klaus Otto Skibowskis „Wiedersehen mit der Heimat" finden, desgleichen der Bildbericht „Westpreußen und Ermland — gestern und heute". Hervorzuheben auch der Beitrag von Cäcilia Schmauch „Die Wappen der ermländischen Städte" mit vielen heraldischen Darstellungen. Josef Schloemp, Alfons Klempert, Georg Herholz, Franz Klawki und der Kalendermann selbst, Pfarrer E. Laws, teilen sich in das gelungene Unternehmen, den ermländischen Menschen von seiner humorvollen Seite treffend zu zeichnen. Ein Hauskalender, der als Freund und christlicher Bote in die Familie kommt.

 

Das Schicksal der Deutschen in Rumänien. Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Band III. Das Schicksal der Deutschen in Rumänien. Bearbeitet von Theodor Schieder, hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene. Zu beziehen durch Verlag „Christ Unterwegs", Buchenhain vor München. Lärchenstraße 1. DM 12--.

Band III der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" behandelt das Schicksal der Deutschen in Rumänien. 93 Berichte dokumentieren die verschiedenen Phasen des Geschehens von den Umsiedlungsaktionen des Jahres 1940 und den SS-Aushebungen über Kapitulation, Evakuierung und Flucht, Internierung, Russeneinmarsch und Verschleppung bis hin zur Entwicklung der Lebensverhältnisse in der kommunistischen Volksdemokratie, den Zwangsumsiedlungen innerhalb Rumäniens in den Jahren 1951/1952. Die Vielfalt des Schicksals der verschiedenen deutschen Gruppen, der Banater und Siebenbürger, der Bessarabien- Bukowina- und Dobrudscha-Deutschen bestimmen das Gesicht des Bandes, dessen Berichte die verschiedenen Regionen wie auch die verschiedenen sozialen Schichten zu Wort kommen lassen. Die Einleitung versucht, die historisch-politischen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungslinien aufzuzeigen, die zum Verständnis der Berichte notwendig sind.

Eine Übersichtskarte der deutschen Siedlungsgebiete in Rumänien wie eine Skizze der Fluchtwege des Jahres 1944 erleichtern die Benutzung des Bandes, der im ganzen versucht, ein möglichst umfassendes und plastisches Bild von der Geschichte des Deutschtums in Rumänien während der letzten Jahrzehnte zu geben.

 

Seite 12   Zum sechsten Mal „Eßlinger Begegnung"

Die „Eßlinger Begegnung", die nun schon eine gewisse Tradition hat — sie fand bereits das sechste Mal in den ehrwürdigen Mauern der alten Reichsstadt Eßlingen statt —, ist mehr als nur das bloße Zusammentreffen der heimatvertriebenen Künstler des deutschen Ostens. Natürlich soll sie auch — und nicht zuletzt — der persönlichen Begegnung dienen; mehr aber geht es den Veranstaltern — und das ist ihr eigentlicher Sinn — um die geistige Begegnung, um gemeinsam Überschau und Rückschau zu halten, um gemeinsam zu prüfen, zu überprüfen und in die Zukunft zu planen.

 

Auch in diesem Jahr waren die Künstler aus allen Teilen der Bundesrepublik und Österreich nach Eßlingen gekommen, vielleicht noch zahlreicher als in den Jahren davor, bedeutet doch Eßlingen für viele der Höhepunkt des Jahres. Die diesjährigen Eßlinger Tage erhielten ihren besonderen Akzent durch die erstmalige Verleihung des ostpreußischen Schrifttumspreises der Künstlergilde durch den Schweizer Universitätsprofessor Dr. Ernst Alker-Fribourg. Professor Alker hatte sich für eine Zweiteilung des Preises entschieden; er wurde zu gleichen Teilen an den jungen oberschlesischen Lyriker Heinz Piontek für seine beiden Bände „Vor Augen" und „Wassermarken" und den schlesischen Schriftsteller Gerhart Pohl für seinen Roman „Fluchtburg" vergeben.

 

Den Auftakt bildete diesmal eine Lesung Werner Bergengruens im mittelalterlichen Saal des Alten Rathauses; die Stunde war zugleich als Feier zum 65. Geburtstag des Dichters gedacht. Einen anderen Höhepunkt bildete ein Vortrag von Prof. Alker über „Wandel und Verharren in der deutschen Literatur seit 1900", in dem er den Entwicklungen und Strömungen der modernen deutschen Literatur nachspürte, Beziehungen aufzeigte und diese anhand interessanter Beispiele zu belegen suchte.

 

Eine besondere Überraschung — unzweifelhaft der stärkste Eindruck dieses Jahres — war den Veranstaltern mit der gesprochenen Anthologie osteuropäischer Emigrantenliteratur unter dem Titel „Weinstock und Wiedergeburt" gelungen, für die Mila Kopp vom Württembergischen Staatsschauspiel als Rezitatorin gewonnen werden konnte. Einführung und verbindende Worte zu den Prosa- und

Lyrikproben lettischer, ukrainischer, tschechischer, polnischer und ungarischer Dichter sprach Dr. Ernst Schremmer, der auch für Auswahl und Zusammenstellung dieser Anthologie zeichnete. Das gesprochene Wort erhielt seinen kongenialen Rahmen durch Bläsermusiken osteuropäischer Komponisten. Ein derartiges Unternehmen dürfte auf dem Boden der Bundesrepublik erstmalig gewesen sein; dass es von heimatvertriebenen Künstlern gestaltet wurde, ist in doppeltem Sinne beachtenswert und dankenswert. Ist es doch nicht allein ein Bekenntnis zum gleichen Schicksal der Vertreibung, sondern zugleich ein erster tastender Versuch, den Ostraum Europas in Erkenntnis der gegenseitigen fruchtbaren Wechselbeziehungen in den vergangenen Jahrhunderten als ein Gemeinsames zu sehen — auch in der Zukunft.

 

Eindrucksvoll auch die Ausstellung „Baukunst im deutschen Osten seit 1900", über deren ersten Schritt an die Öffentlichkeit wir bereits ausführlich in einer unserer letzten Ausgaben anlässlich der Berliner Eröffnung berichten konnten. Ein nachhaltiges Erlebnis wurde dem Besucher der von der Stadt Eßlingen vorbereiteten Ausstellung des ostpreußischen Malers Ernst Mollenhauer vermittelt. (Dieser einmaligen Begegnung widmen wir unseren Sonderbericht auf Seite 10.)

 

Abschluss bildete die ebenfalls schon Tradition gewordene Kunstfahrt ins schwäbische Land, ins oberschwäbische Barock, deren Höhepunkt der Besuch Ottobeurens war. Professor Anton Nowakowsky, der aus Danzig gebürtige Meister der Orgel, spielte für die Teilnehmer auf den beiden weltberühmten Barockorgeln. Ulm, Memmingen, Biberach, Steinhausen und Riedlingen, das waren die anderen Stationen, eine jede ein unvergleichliches Erlebnis.

 

Die Jahreshauptversammlung der Künstlergilde, die Vereinigung heimatvertriebener Kulturschaffender aller Sparten, bestätigte Dr. Joseph Mühlberger in seinem Amt als Gildenmeister. Zu seinem Stellvertreter wurde wiederum Dr. Ernst Schremmer gewählt. Ebenfalls wurden die Vorsitzenden der einzelnen Fachgruppen für die Dauer von zwei Jahren neu gewählt: Bildende Kunst, Ernst Mollenhauer; Schrifttum, Caroline Friederike Strobach; Musik, Prof. Anton Nowakowsky; Darstellende Kunst, Herbert Winkler-Lindberg; Film, Max Lippmann; Lichtbild Dr. Ralph Weizsäcker. E. J. K.

 

Seite 12   Ostpreußische Gastlichkeit. Ein Rückblick auf Eßlingen — Von Ingeborg von Hubatius-Himmelstjerna.

Nun bin ich also in Schweden, wo ich dank einer internationalen Organisation für mehrere Wochen Entspannung und Ausruhen finden soll nach einer Zeit schwerster Sorgen, verbunden mit anstrengendem Schaffen. Buntfarbige Wälder und blaue Seen, über denen die herbstlichen Nebel schweben — welch ein schönes, stilles Land! In den Lüften Zugvogelschrei— vielleicht sind es die Wildgänse des kleinen Nils Holgersson...

 

Meine Gedanken gehen zurück zu den letzten Tagen in Deutschland, zur „Eßlinger Begegnung", die für mich einen so schwungvollen Abschluss fand:

 

Wir saßen, schon zu einem kleinen Grüppchen zusammengeschlossen, wie gewöhnlich im „Hirsch", zogen das Fazit der Tagung, diskutierten über die verschiedensten Themen, über Kunst und Literatur, Film und moderne Medizin, kamen auf Weltanschauung und Religion zu sprechen. Große Namen wurden in die Waagschale geworfen: Aristoteles, Goethe und Nietzsche. Zuletzt kreiste unser Gespräch um unklärbare Wunder, um Dämonen- Und Geisterglauben östlicher Völker; wir suchten den Schleier zu lüften, der die Geheimnisse einer übersinnlichen Welt umhüllt und kamen nicht ans Ziel, bis die Uhr vom alten Rathaus zwölf schlug — Polizeistunde!

 

Zwei Wagen standen zur Verfügung, deren Inhaber uns nach Hause bringen wollten. So wenigstens meinte ich. Im Rücksitz der großen Limousine fand ich Platz — Professor rechts, Professor links, das Weltkind in der Mitten — dann ging‘s im Sputniktempo los. Aber nicht zu den einzelnen Quartieren, sondern quer durch die Stadt und über die Plinsaubrücke. Die Wagen schraubten sich den Zollberg hinauf, tief unten im Neckartal funkeln die Lichter von Eßlingen. Weiter, immer weiter rasen wir, — keine Ahnung wohin oder wo wir sind. Herrlich ist das! Es lebe das Leben!

 

Endlich halten wir vor einem dörflichen Gasthaus, in dem es echt ostpreußischen „Fleck" geben soll und dito Leberwurst, wozu der Besitzer „meines" Wagens uns alle großzügig einladet. Wir tasten uns ums Haus und über den ländlich nach Kuhstall riechenden Hof, trommeln den Wirt heraus und geraten über eine knarrende Stiege in die blauverqualmte Gaststube mit getäfelten Wänden, in der noch einige verspätete Gäste beim Kartenspiel sitzen.

 

Dann trug der Wirt auf: volle Suppenteller mit Fleck, dazu Majoran und Senf, Korn mit Leberwurst und auch Bier sowie mehrere Aufschnittplatten von überdimensionalen Ausmaßen. Es schmeckte großartig, und wir aßen wie die Scheunendrescher. Besonders die Leberwurst begeisterte mich, weil sie genau auf diese Art auch in meiner baltischen Heimat hergestellt wurde. Die Liebe geht durch den Magen; ich fühlte mich unter den Ostpreußen nachbarlich wohl.

 

Hier verstummte alle Philosophie, schwieg jede Debatte, und nur etwas fehlte zu unserem Behagen: unser Gastgeber! Erst nahmen wir an, er sei nur kurz nach Hause gefahren und würde wiederkommen. Aber der brave Ostpreußenwirt, peinlich befragt, versicherte: nein, heute käme er bestimmt nicht mehr, sondern morgen, um die Rechnung zu bezahlen. Wer wollte ihm deswegen böse sein? Ist nicht einem Künstler, der so vielen Menschen Freude schenkt, manche Eigentümlichkeit zuzubilligen, ist er nicht mit besonderem Maß zu messen?

 

Wir zogen die Konsequenz, quetschten uns in den kleinen Wagen und wurden in zwei Partien nach Hause gefahren. Gegen Morgen langte ich in meiner Wohnung an. Etwas übriggebliebenen Aufschnitt hatte der Wirt mir mitgegeben zur Vervollständigung meines Frühstücks. Aber — oh Wunder: Als ich das Päckchen öffnete, befand sich darin außerdem noch eine Leberwurst von beachtlichem Format! Um Nachforschungen über diesen rätselhaften Vorgang anzustellen, fehlte mir die Zeit. Ich musste schleunigst meinen Koffer packen, um in Hannover den Anschluss an den schwedischen Bus nicht zu versäumen. Sollte ich nun dieses Prachtexemplar in meinem Küchenschrank verderben lassen, oder mich seiner erbarmen und es mitnehmen, als Proviant für die weite Reise? Ich entschloss mich zur letzteren Lösung, wobei ich keinerlei Gewissensbisse verspürte in der Erkenntnis, dass es erfahrungsgemäß nutzlos ist, übernatürliche Dinge erforschen zu wollen...

 

Ich labte mich an der Gottesgabe in Norddeutschland, in Dänemark und in Schweden. Heute kommt der Rest dran — letztes sichtbares Zipfelchen der Erinnerung an eine Reihe köstlicher Tage!

 

Seite 13   Eine ganze Seite Buchvorschläge

 

Seite 14   Wir gratulieren!

Zur diamantenen Hochzeit

Eheleute Eugen Nettendorff und Auguste Nettendorff, aus Ostpreußen am 8. Oktober 1957 in Spaden bei Bremerhaven.

 

Zur goldenen Hochzeit

Eheleute Friedrich Girod und Wilhelmine Girod, geb. Baldzun, aus Alt-Rajaichen, Kr. Darkehmen am 6. Oktobe 1957r in Stade.

 

Eheleute Baumeister Reinhold Rexin und Gertrud Rexin, geb. Rauberg, aus Danzig am 24. Oktober 1957 in Gifhorn.

 

Zum 81. Geburtstag

Abteilungsleiter i. R. Eugen Reuser, aus Königsberg, Am Fließ 10, am 12. Oktober 1957 in Salzgitter-Lebenstedt, Am Bauerngraben 4.

 

Zum 80. Geburtstag

Elina Schischke. geb. Schelonka, aus Braunsberg am 26. November 1957, in körperlicher und geistiger Frische in Seesen, Bornhäuserstraße 4. Ihr Gatte, der 83-jährige Lokführer der Haffuferbahn Braunsberg-Elbing erfreut sich ebenfalls noch bester Gesundheit.

 

Martin Wallat, aus Kalwiehen, Kr. Memel, zuletzt wohnhaft in Königsberg/Pr., am 16. Oktober 1957 in Heidkamp. Post Matjendorf über Oldenburg.

 

Zum 70. Geburtstag

Erich Bluhm, der verdienstvolle Leiter der landsmannschaftlichen Gruppe Bornhausen, der ehemalige Kaufmann und Lagerführer, aus Rothfließ, Kr. Rößel, am 16. Oktober 1957 in Bornhausen bei Seesen.

 

Witwe Auguste Bolz, aus Winkenhagen, Kr. Mohrungen, am 30. Oktober 1957 in Seesen.

 

Flensburger Geburtstagskinder

Pauline Schneider, aus Königsberg am 3. November 1957, 76 Jahre.

 

Wilhelm Löss, aus Königsberg am 3. November 1957, 75 Jahre.

 

Emma Schwellnus, aus Langen, Kreis Heydekrug, am 6. November 1957, 75 Jahre.

 

Olga Hinz, aus Modgarben. Kr. Rastenburg, am 12. November 1957, 82 Jahre.

 

Helene Labion, aus Schippenbeil am 12. November 1957, 76 Jahre.

 

Ludwig Schulz, aus dem Kreise Gumbinnen am 23. November 1957, 76 Jahre.

 

Kurt Schlonski, aus Johannisburg am 28. November 1957, 70 Jahre.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", wünscht allen Jubilaren recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit.

 

Die Ostpreußen-Warte gratuliert zum Examen.

Frau Irmgard Schulze, geb. Czogalla, Tochter des Diplomhandelslehrers Czogalla, früher Allenstein, Langsee, bestand die zweite juristische Staatsprüfung, das Assessor-Examen, mit Prädikat.

 

Seite 14   Vereinigung ehem. Sackheimer Mittelschüler Königsberg/Pr.

Wir weisen nochmals auf die Feierstunde zum Gedenken unserer verstorbenen ehem. Lehrer, Schülerinnen und Schüler am Volkstrauertag, Sonntag. 17. November 1957, 11.30 Uhr, in der Patenschaftsschule, der Knabenrealschule in Duisburg „An der Wacholderstraße", hin. Die Gedenkrede, die von einem Schülerchor und Orchester feierlich umrahmt wird, hält Realschuldirektor Erich Grimoni, Düsseldorf. Der Vorstand erbittet eine rege Beteiligung. Herb. Minuth. 1. Vors.

 

Seite 14   Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen.

Anschrift: : Wilhelm Alm (23), Oldenburg (Oldb), Gotenstraße 33.

Allen November 1957-Geborenen herzliche Glückwünsche zum Geburtstage.

 

am 04.11.1957:  Klaus Mildt (KTC Königsberg), 20 Jahre; des 50. Lebensjahres:

 

am 03.11.1957: Irmgard Böhnack-Jann (Elbinger Tgm), 50 Jahre.

 

am 07.11.1957: Lotte Müller-Raddatz (MTV Marienburg), 50 Jahre;

 

am 23.11.1957: Waldemar Gottschalk (KMTV Königsberg), 50 Jahre;

 

am 25.11.1957: Gertrud Smoydzin-Kirstein (MTV Lyck), 50 Jahre;

 

am 28.11.1957: Fritz Meyer (MTV Labiau);

 

am 05.11.1957: Kurt Manneck (KTC Königsberg), 60 Jahre;

 

am 07.11.1957: Friedrich Neumann (KMTV Königsberg), 60 Jahre;

 

am 04.11.1957: Otto Milewski (KMTV Königsberg), 70 Jahre;

 

am 14.11.1957: Wilhelm Pohl (ETG Elbing), 75 Jahre;

 

Paul Kadereit (MTV Insterburg, TuF Danzig u. TV Marienwerder), 80 Jahre;

 

Dr. Richard Krause (KMTV Königsberg), 81 Jahre;

 

am 12.11.1957: Franz Perlebach (MTV Tilsit), 86 Jahre.

 

Von einer Urlaubsreise quer durch Amerika grüßt alle KMTVer Turnbruder Dr. Lothar Winter mit Frau. Herzliche Grüße sendet auch Dr. Markus Timmler aus Bad Godesberg.

 

Das X. Wiedersehenstreffen beim Deutschen Turnfest in München 1958 erfordert lange und umfangreiche Vorarbeiten. Alles Wissenswerte für die Teilnehmer, Meldefristen. Festbeitrag, Sonderzüge, Quartiermöglichkeiten, Turnfahrten usw. mit Zeitplan für die Veranstaltungen der Festwoche vom 20. bis 28. Juli 1958 werde ich nach den bis dahin erschienenen amtlichen Bekanntmachungen in meinem Weihnachtsbrief 1957 mitteilen. Die bisherigen Anfragen lassen mit über 300 Teilnehmern aus unserer Turnerfamilie rechnen. Darunter werden voraussichtlich sehr viele Turnschwestern und Turnbrüder aus der Sowjetzone sein, die als Festgäste kostenlos untergebracht und verpflegt werden sollen.

 

Turnertreue in Ost und West — Turnerpäckchenhilfe.

Aus vielen westdeutschen Turnvereinen haben sich Turner und Turnerinnen bereiterklärt, mit Turnbrüdern und Turnschwestern in der Sowjetzone Verbindung aufzunehmen, ihnen gelegentlich Geschenkpäckchen zu senden und durch persönlichen Briefwechsel die menschlichen Beziehungen und die Verbundenheit zwischen Ost und West zu festigen. Die Anschriften von Turnern und Turnerinnen in Mitteldeutschland, deren Eingliederung in dieses turnbrüderliche Werk angebracht erscheint, nehme ich sehr gern entgegen. Außer Vor- und Familiennamen (bei Frauen auch Geburtsnamen) und der genauen Postanschrift bitte ich auch möglichst das Geburtsdatum und die frühere Vereinszugehörigkeit anzugeben. Onkel Wilhelm

 

Kameradschaft Luftgau I

Suchdienst

In einer Versorgungsangelegenheit werden gesucht:

Oberregierungsrat Dr. Nordhahn.

Regierungsrat Erich Koch.

Regierungsrat Konietzko.

Reg.-Insp. Keichel.

Oberst Baucus.

Oberst Baack.

Major Bergmann.

 

Ferner ehem. Angehörige der Abt. Landwirtschaft der Fl.H.Kdtr. Rahmel und des Lgk. I Abt. III/IV;

von Vincent Boyke. ehem. Revierförster und Platzlandwirt in Rahmel, 14b) Scheer/Donau, Obere-Sonnenberg Straße 30.

 

Fl.-Horst-Kdtr. Neukuhren

Der Fl.-Ing. Heinz Doleski von 1938 bis 1941 Wartungs-Ing. bei der Flugzeugführerschule Neukuhren, sucht ehem. Angehörige seiner Dienststelle und erbittet Meldungen an ihn nach Eßlingen/Neckar, Nelkenweg 12, I.

 

Fl.-Horst-Kdtr. Seerappen

Für eine Dienstzeit-Bestätigung werden gesucht

Fl.-Stabsing. Schubert.

Oberwerkmeister Walter Kirchner.

Werkmeister Hoffmann,

Hilfprüfer Fritz Stoll.

die Klempner, Otto Grünheit und Paul Grünheit; Fritz Borrmann und Herbert Derks von Bruno Piekert, Dörfles bei Coburg, Ringstraße 5a.

 

NAG 12

Der Oberfeldwebel Willi Olstein (früher Olschewski), Ende April 1945 mit einem Funkzug von Mostar/Jugoslawien in den Raum Wien kommandiert, ist seitdem vermisst. Er wird gesucht von Horst Schulz, Hauptlehrer. 17b Oberkirnach, Kreis Villingen/Schwarzwald.

 

Traditions-Verband der ehem. 291. (ostpr.) Inf.-Div. Divisionstreffen in Würzburg

Zu ihrem vierten Treffen versammelten sich die ehemaligen Angehörigen der „Elchdivision" in Würzburg. Von nah und fern waren auch zu diesem Treffen wieder viele Kameraden gekommen, um ein Wiedersehen mit Kameraden zu feiern, mit denen man einst gemeinsam durch alle Freuden und Leiden des Krieges gegangen ist. Der 1. Vorsitzende des Traditionsverbandes, Oberst a. D. Illas, begrüßte die anwesenden Kameraden und Gäste und fand in der anschließenden Ehrung der gefallenen und vermissten Kameraden herzliche Worte. Kamerad Illas kam sodann kurz auf die Aufgaben unseres Traditionsverbandes und unserer Divisionstreffen zu sprechen. Diese Treffen, die vorerst in einem regelmäßigen Wechsel des Tagungsortes in Göttingen, Osnabrück und Würzburg stattfinden, sollen allen Kameraden die Möglichkeit geben, ohne größere Zeltverluste, Umstände und Unkosten in unserem Traditionsverband zusammenkommen, die Sucharbeit nach unseren Vermissten zu unterstützen und die Frontkameradschaft zu erneuern und zu pflegen. Bindeglied zu allen Kameraden war zuerst unser Nachrichtenblatt „Die Elchspur". Unzulänglichkeiten zwangen zur Aufgabe dieses Blattes und zum Übergang des Nachrichtendienstes und aller sonstigen Veröffentlichungen auf die Zeitung „Alte Kameraden"; sie zwangen ferner zur Schaffung eines fest gefügten Verbandes mit genehmigungspflichtigen Satzungen. Der § 1 der Satzungen umreißt die Aufgaben und Ziele unseres Traditions-Verbandes, von denen der Suchdienst an erster Stelle steht.

 

Zu den „Aufgaben des DRK-Suchdienstes" sprach Herr Huber vom DRK Würzburg. Wenn heute der zeitlich große Abstand vom Kriegsgeschehen eine Klärung der vielen Vermisstenschicksale immer schwieriger und geringer werden lässt, darf man doch einige Erwartungen an die Vermissten-Bildlisten knüpfen, deren Fertigstellung fast beendet ist.

 

Weitere Berichte gaben die Kameraden Burtscheidt, Gehlhaar, Fröhlich und Schnewitz über ihre Aufgabengebiete. Der gesamte Vorstand wurde einstimmig wiedergewählt. Das nächste Treffen findet im September 1958 in Göttingen statt. Schnewitz.

 

Seite 14   Bundesverdienstkreuz verliehen 50 Jahre im Hause Präsident Muntau

In einem kleinen feierlichen Akt erhielt Fräulein Johanne Lustig am 6. Oktober 1957 aus der Hand von Stadtkämmerer Dr. Steuer im Hause des Präsidenten a. D. des Strafvollzugsamtes Muntau das Bundesverdienstkreuz am Band für ihre 50-jährigen Dienste in der Familie Muntau.

 

Fräulein Lustig wurde am 23. September 1886 als Tochter eines Gärtners im Samland geboren. Am 6. Oktober 1907 trat sie als Mädchen in den jungen Haushalt des Präsidenten Muntau und hat Freude und Leid in Königsberg, Wronke, Berlin, Celle, Naumburg/Saale und wiederum Celle mit der Familie geteilt. Schwere Schicksalsschläge hat Präsident Muntau, dem seinerzeit in Celle im Strafvollzugsamt über 70 Anstalten mit 20 Außenanstalten unterstanden, und der unter Brüning dem Reichstag angehörte, zu überwinden, bis der nunmehr 81-jährige Ostpreuße in Celle gelandet ist. Er verlor mit seiner Familie alle Habe, und ständig war Schmalhans Küchenmeister, als man nur auf Marken lebte. Aber auch in diesen schweren Jahren stand Fräulein Johanne treu der Familie zur Seite und teilte das harte Los getreulich mit ihr.

 

Fräulein Johanne Lustig, die im September 71 Jahre alt wurde, ist ein selten treuer Mensch, der diese hohe Anerkennung voll und ganz verdient. Auch die Familie Muntau dankt in dieser Stunde tief gerührt der treuen Seele.

 

Seite 14   12 Jahre Dienst für die Heimat

Konsul a. D. Kurt Block, der langjährige Geschäftsführer des Bundes der Danziger, ist Ende September auf eigenen Wunsch aus Gesundheitsgründen aus seinem Amt geschieden. Block, der nach dem ersten Weltkrieg Konsul in Spanien und Mexiko war, gehörte nach 1945 als einer der engsten Mitarbeiter dem „Danziger Hilfskomitee" an. Er wurde dort zum Geschäftsführer bestellt und hat dieses Amt nach dem Umbau des Hilfskomitees zum „Bund der Danziger" bis jetzt, also über zwölf Jahre, ununterbrochen innegehabt. Der Sprecher des Bundes der Danziger, Dr. Könnemann, sagt von ihm: „Seine Mitarbeit, seine Arbeitskraft haben maßgeblich dabei mitgeholfen, den Bund zu dem zu machen, was er heute ist, ein festgeschlossener und straff durchorganisierter Heimatbund der Danziger in der Fremde mit einer klaren und eindeutigen Zielsetzung“.

 

Seite 14   Reingefallen. Von Dr. Lau

Nu hab ich mir zweimal vorbei all gehuckt,

Nu bin ich all zweimal geschieden,

Das lag annes Maul, das war immer zu groß

Und steerde dem heislichen Frieden.

Die erste, die hädd e zerquetschtem Sopran

Und quietschd wie e rostriger Schlissel,

Die zweite, e Zung wie e Häckselmaschien,

Die fraß mitte Hand auße Schissel.

Die erste, die wurd ich im Gutens noch los,

Die zweite, die ging erst im Beesen,

Die hat mittem Schlorr mir de Nas rujeniert,

Wo frieher gerad is gewesen.

Nu war ich erleest, de Nas wurd geflickt.

Und alles wär gut nun gegangen,

Bloß leider, wir Männer sind immer zu dumm

Und lassen von frischem uns fangen.

Mein Tantche, die wolld sich dem Kuppelpelz,

Es war all der zwölfte, verdienen

Und hat e Mergellche mir zugefreit.

De Emma Bubblies aus Klemmschienen.

Se war vonne Virzig nich weit und se hädd

E doppeltes Kinnstick, e fettes,

Se huckd wie e Fladen so aufe Schosseeh

Und hädd innem Aug' so was Nettes.

Zwar kickd se e bißche verquer umme Eck,

De linksseit'ge Hift, die war lahm ihr,

Doch fiel das beim Hucken nich allzu doll auf,

Was soll ich viel reden, ich nahm ihr!

Denn keiner von all die Fehlerchens konnd starl,

De Simpatie mir erkälten,

Ein Punkt, der geniegd mir: Se stotterd sehr

Drum sprach se man rucksweis und selten.

So lebden wir glicklich, se fitterd de Schwein

Und tat mir de Klunkersupp kochen,

Und wenn zu besprechen mal wirklich was war,

War still se, und ich hab gesprochen.

Und denn — kam e alte Zigansche im Haus,

O wär ich allein doch geblieben,

Die hat fier fimf Dittche ihr hippnotesiert

Und hat ihr das Stottern vertrieben.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (51)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Vor vier Wochen erzähld ich Ihnen doch von unserm jungen Förster und seine Frau Hannche, geborene Keiluweit. Wie der später Revierförster wurd und irgendwo inne Johannisburger Heide auf e einsame Försterei huckd, kam der alte Krotzki ihm besuchen, e polnischer Handelsmann. Jedes Jahr kam der zweimal schwarz iebre Grenz wegen seine Geschäfte. Deitsch konnd er nich viel, aber irgendwie hat er sich immer mit seine Kundschaft verständigt.

 

„Was zu kaufen, was zu verkaufen?" fragd er. „Ja, Krotzki", sagd der Förster, „kannst Du mir zwei Dackelchen besorgen? Aber schön braun müssen se sein, einer wie der andre, und was werden se kosten?"

 

„Herr Förster, zwei Dockelchen kann ich besorgen, scheen braun, einer wie der andre, werden kosten 150 Mark“. Der Förster winkd ab, weil ihm das zu teier war. Aber der Krotzki ließ nich nach, pöh a pöh ging er unter Jammern und Klagen mittem Preis runter, bis se auf fuffzig Mark einig waren. Im Friehjahr, wenn er wiederkam, wolld er se mitbringen. Denn sagd er dankscheen und verschwand.

Dauerd nich lang, da steckd er noch emal dem Kopf durche Tier: „Her Förster, ich wolld bloß noch fragen, was sind Dockelchen?"

 

Und wenn ich mir so de Emma mit ihrem Hexenschuss beseh, denn fällt mir unser guter alter Doktor Salewski aus Insterburg ein. Der schickd seinem Freind, dem Medizinalrat Podschuweit mal zu Martini e fette Gans. Seine Frau hädd aber nich Zeit, ihr zu rupfen, deshalb wurd se so eingepackt, wie se war, de lange Gurgel nach vorne riebergebogen. Und der Herr Dokter schrieb noch schnell e Zettelche und steckd ihm im Kuwähr rein. Aber zulecken tat er das Kuwähr nich, weil es nich neetig war. Er hädd an dem Vormittag besonders viel zu tun, dass er bald nich wussd, wo ihm der Kopp stand.

 

Unter die Patienten war auch e rundliche, reiche Besitzertochter aus Dwarischken, wo es e bißche mitte Leber hadd. Se krucksd all bald e halbes Jahr rum, und alle Tropfen und Pastillen schlugen bei ihr nich an. Deshalb wolld er ihr mal bei einem Spezialist nach Königsberg schicken. Fier alle Fälle gab er ihr e Briefche mit, dass der Spezialarzt gleich wussd, wodran dass er war.

 

Nachmittag kam se wieder, haud dem Brief aufem Tisch und sagd: „So e Unverschämtheit is mir noch nich vorgekommen! Kurieren Se, wem Se wollen, aber nich mir. Das Weitere wird sich finden!" Damit schmiss se de Tier zu und war weg. Ganz verdattert nahm der Dokter dem Brief inne Hand und las entsetzt: „Ich schicke Dir eine fette Gans, wie sie ist. Rupfe sie orndlich und nimm sie gehörig aus. Es ist alles dran!"

 

Wie er sich vom ersten Schreck erhold hädd, sockd er schnell inne Kich bei e Frau Dokter. Aber das Paket mit die Gans war längst ieber alle Berge, und de Post sagd, es is all aufe Bahn. Und zwei Tage später kam es zurick. Sein Brief lag auch bei: „Die junge Dame hat ein bißchen mit der Leber zu tun, sonst ist sie wohl in Ordnung. Aber, bitte, gründlich und vorsichtig untersuchen, denn solche leberkranken Damen sind manchmal kaum noch genießbar“. Dadrunter hädd der Dokter Podschuweit geschrieben: „Ich habe bei Dir nie eine Gans bestellt. Im Übrigen könnt Ihr Eure leberkranken, krepierten Gänse selbst essen. Ich verzichte!"

 

Hädd er doch in die Eile die beiden Briefchens verwechselt! Was meinen Se, was es ihm nachdem fier Miehe gekostet hat, dem Irrtum aufzuklären und alles wieder zurechtzubiegen!

 

Ja, das sind so Erinnerungen! De Friedche, so hieß die Mergell aus Dwarrischken, kam trotz alle Entschuldigungen mindestens e halbes Jahr nich mehr beim Doktor Salewski, aber mit eins war se denn doch wieder da. Hocherfreit begrießd er ihr und fragd, wo se so lang gewesen war. „Ich war verreist nach Königsberg, mir e bißche mit die Bildung belernen“. „So, so", sagd der Dokter, „dann erzählen Se mir doch mal, was Sie erlebt haben und wie es Ihnen gesundheitlich geht. Vor allem nehmen Sie, bitte, Platz“. Dabei schob er ihr e Stuhl hin, dass se sich hinhucken solld. Aber die Mergell schlackerd mittem Kopf und meind: „Ach schiet, öck stoah löwer!"

 

Wie de Friedche noch inne Schul ging, hädd der Lehrer bei ihr mal sone kleine Tierchens gefunden, wo wir den als Soldaten im Schützengraben reichlich mit gesegent waren. Se war zwar reich, aber ihre Muttche nahm es nich so genau mit die Reinlichkeit, und de Friedche hädd irgendwo so e paar Tierchens aufgeangelt. Wie de Schul aus war, gab der Lehrer ihr e Briefche mit: „Ihre Tochter hat Läuse. Behalten Sie sie ein paar Tage zu Hause und sorgen Sie dafür, dass sie wieder sauber wird“. Dadrauf kam die Muttche mitte Friedche ganz empeert angerauscht, kehrd alle Nähte vom Kleidche und vom Unterrockche um und fragd siegesbewusst dem Lehrer: „Wo sind hier Läuse? Wenn Se mir auch nur e einzges Laus'che zeigen können, will ich lang hinschlagen und kurz wieder aufstehn!" Der Herr Lehrer lächeld, machd vorsichtig de Haare auseinander, und da wibbelden se rum, dass einem foorts ieberall jucken tat, wenn einer bloß hinkickd. „Ach, aufem Kopp meinen Se? Das gilt aber nich, denn der Kopp is fiere Läuse!"

 

Im Krieg wurd de Friedche Rote-Kreiz-Scbwester und machd Dienst aufem Bahnhof. Se mussd an die Soldaten, wo durchfuhren, Kaffee und Wurststullen verteilen. Ebend war wieder e Transport angekommen, und de Soldaten stiegen aus, um sich e bißche de Beine zu vertreten. Se waren feldmarschmäßig angezogen, Koppel mit Patronentaschen umgeschnallt, bloß dem schweren Stahlhelm brauchden se nich aufzubehalten, sondern trugen e Feldmitz aufem Kopp. Dem Helm hädden se am Koppelhaken hängen. De Friedche gießt nu einen Soldat Kaffee inne Feldflasche rein und unterhält sich mit ihm. Er war e Bumskerl, bald zwei Meter lang, und se bestaund ihm. Nu will se auch zeigen, dass se e gebildete Mergell ist, und fragd ihm dies und das. Es war ihr auch gesagt worden, dass se zu die Soldaten immer sehr freindlich sein soll. Deshalb bedauerd se ihm, dass er in die dicke Uniform und mit die schwere Stiefel rumrennen muss. Mit eins sieht se dem Stahlhelm am Koppelhaken und meint: „Dem tragen Se wohl hauptsächlich auf dem Marsch?" „Nei, Schwesterche", sagd der Musketier und lachd, dass de Mundwinkel bis anne Ohren reichden! „hauptsächlich aufem Kopf!"

 

So, und nu, ehr dass ich es vergess: Wir waren in Braunschweig, der Willuweit und ich. Ich hädd mir breitschlagen lassen, und es kam, wie es kommen missd. Wir zogen von eine Kneip inne andre, und der Willuweit erzähld in eine Tur seine Witze ohne Poänkten, und dabei so laut mit seine dröhnende Stimm, dass aller mitheeren mussden, ob se wollden oder nich. Zuletzt fingen wir an zu singen, indem dass die Fusikalien anfingen zu wirken. Wir sangen inbrinstig und ausdauernd immer umschichtig „Joachim, Hans von Ziethen" und „Der Mai is gekommen". Dabei war weit und breit von Mai nuscht zu sehen, denn es geht ja langsam auf Weihnachten. Aber von die andre Lieder, wo ich singen wolld, konnd der Willuweit nich dem Text oder heechstens bloß dem ersten Vers. Und das geniegd ihm nich. Wegen einem plätrigen Vers wolld er nich erst groß Anlauf nehmen und von die viele Teene, wo er mithädd, dem richtigen raussuchen. Deshalb blieben wir beim Mai und beim Ziethen, bis die Leite das zuviel wurd und der Wirt uns auffoderd, unauffällig das Lokal zu verlassen. Da wolld der Willuweit ihm am Kragen, und wir hädden große Miehe, dem Zweikampf zu verhindern. Denn gingen wir im nächsten Krug, aber da kriegden wir nuscht mehr, weil all Pollezeistund war. Wieder ging der Willuweit aufem Krugwirt los, und wieder missden e paar Gäste behilflich sein, ihm zu bändigen. Zuletzt huckden wir aufem Bahnhof. Wie wir da hingekommen sind, weiß ich nich mehr. Mittem ersten Friehzug fuhren wir denn wieder zu Haus. Besprochen hädden wir genau nuscht, dazu hädd de Zeit nich gereicht, aber der Willuweit krakehld de ganze Fahrt, weil er sich ärgern tat, dass sich keiner mit ihm hadd priegeln wollt. Wär ich man lieberst zu Haus geblieben!

Viele, scheene Grieße. Ihr Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Bereitschaft zur Versöhnung und zum Ausgleich. Arbeitstagung der zerstreuten evangelischen Ostkirchen – Verständigung nur in Gleichrangigkeit.

Hameln. Es gibt keine deutsch-polnische Erbfeindschaft aus der rund tausendjährigen Geschichte der deutsch-polnischen Nachbarschaft, aber ebenso wenig eine Erbfreundschaft. Die Geschichte ist von bald größeren, bald kleineren Spannungen erfüllt gewesen. Es wäre jedoch falsch, die neuralgischen Punkte durch Linien zu verbinden, sie unter bestimmten geschichtlichen Tendenzen sehen zu wollen und dadurch die Gegensätze mehr als richtig zu betonen. Es ist durchaus möglich, gerade auch aus der Geschichte die Bausteine für ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Polen in der Gegenwart herauszuholen.

 

Diese Feststellung traf auf einer Arbeitstagung der Zerstreuten Evangelischen Ostkirchen in Hameln, an der mehr als 200 Vertriebene aus den 19 im Ostkirchenausschuss vereinigten evangelischen Kirchen jenseits von Oder und Neiße teilnehmen, der bekannte Ostexperte Prof. Dr. Rhode - Mainz in seinem Referat „Polnisch-deutsche Nachbarschaft in der Geschichte". Die vom Vorsitzenden des Ostkirchenausschusses, Oberkonsistorialrat Gülzow - Lübeck, geleitete Tagung hatte sich zur Aufgabe gesetzt zu untersuchen, wieweit die Kirche dazu beitragen kann, einen Ausgleich mit Polen zu erreichen. Wie der Ostkirchenausschuss vor drei Jahren auf einer ähnlichen Arbeitstagung in Willingen um das rechte evangelische Wort zur Heimatpolitik bemüht war, so wollte er jetzt in Hameln die notwendigen geistigen Grundlagen in der besonderen deutsch-polnischen Frage erarbeiten, um für die Aufgaben in Gegenwart und Zukunft den Boden bereiten zu helfen.

 

Die wesentliche Frage, die im Anschluss an den Vortrag in einzelnen Arbeitsgruppen und auf einer Pressekonferenz aufgeworfen wurde, war, ob überhaupt in der gegenwärtigen Situation in Polen eine Bereitschaft zu solchem Ausgleich, zu dessen Fürsprecher sich die evangelische Christenheit — und in ihr gerade die aus den Ostgebieten Vertriebenen — mache, vorhanden sei. Grundsätzlich, so wurde gesagt, sei eine solche Bereitschaft in weiten Kreisen vorhanden, wenn auch der evangelische Volksteil als Träger solcher Arbeit in Polen selbst nur gering sei. Überdies sei gerade im letzten Jahr durch die Aussiedlungen die Basis äußerst schmal geworden. Immerhin gebe es manche Anzeichen dafür — etwa die Zulassung eines neuen evangelischen Kirchenbaus in Breslau, der von polnischer Seite u. a. im Blick auf das in Gang kommen deutsch-polnischer Handelsbeziehungen gefördert wird —, dass die Einsicht von der Notwendigkeit eines gutnachbarlichen Verhältnisses auch in Polen an Boden gewinnt. Es müsse allerdings, so wurde betont, auf der Seite der Kirche jeder Versuch vermieden werden, solche Bemühungen mit irgendwelchen restaurativen Tendenzen zu verbinden.

 

Die Frage nach der deutsch-polnischen Verständigung beantwortete Dr. Lauen in einer Anzahl von Thesen, in denen er die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Verständigung zusammenfasste. Erste Voraussetzung ist, sagte er, das Bemühen um das Verstehen des Partners. Die Periode des Lehrmeisters sei für das Deutschtum im Osten abgeschlossen. Unser Verkehr mit den Ostvölkern könne sich künftig nur auf der Basis der Gleichrangigkeit und der Achtung andersnationaler Werte vollziehen.

 

Der Geschäftsführer des Ostkirchenausschusses, Pastor Spiegel-Schmidt, fasste die Ergebnisse der Arbeitstagung in einem grundlegenden Vortrag zusammen und ging dabei auch auf die Konsequenzen ein, die aus den Diskussionsbeiträgen für eine weitere Zusammenkunft gezogen werden müssen. Dabei werden vor allem die Fragen des Heimat- und des Selbstbestimmungsrechts sorgfältig zu durchdenken sein.

 

Uns geht es darum, so sagte Pastor Spiegel-Schmidt u. a., dass wir als Christen Schuld und Verheißung in einem rechten Verhältnis zueinander sehen. Die Tagung habe gefragt, wo unsere Schuld in der Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses läge und wo wir als Christen zu vergeben hätten, zugleich aber auch die Verheißungen deutlich zu machen versucht, die in der gegenwärtigen Situation liegen. In aller Offenheit sei die Frage eines deutsch-polnischen Ausgleichs behandelt und dabei auch der gegenteilige Standpunkt brüderlich gehört worden. Von besonderer Bedeutung sei die Feststellung, dass auch das polnische Volk heute in weiten Teilen zu einem Gespräch über den Ausgleich bereit sei. Es komme einer kirchlichen Tagung wie dieser nicht darauf an, politische Rezepte auszugeben, es handle sich vielmehr darum, jene menschliche Atmosphäre zu schaffen, die immer Voraussetzung für einen Ausgleich sein muss. Eine Schuld auf deutscher Seite sah Pastor Spiegel-Schmidt vor allem in der Überheblichkeit und auch der Interessenlosigkeit gegenüber Polen. Wesentlich sei, dass eine Verständigung nicht auf Kosten eines anderen erreicht werde, und da das polnische Volk überwiegend katholisch ist, werde es auch in der konfessionellen Frage notwendig sein, Toleranz zu beweisen.

 

Zur Frage des Heimatrechts sagte Pastor Spiegel-Schmidt u. a., die Kirche bejahe das Heimatrecht, und nach Auffassung der Kirche sei es Sünde, jemand aus der Heimat zu vertreiben. Wo aber lägen die Grenzen des Heimatrechts und wo entstehe Anspruch auf Heimat? Auf jeden Fall könne nie ein Recht durch neues Unrecht wiederhergestellt werden. Pastor Spiegel-Schmidt bejahte im Grundsatz das Selbstbestimmungsrecht, auch wenn es theologisch schwer begründbar ist. Es sei, so sagte Pastor Spiegel-Schmidt zusammenfassend, nicht möglich, unsere alte Rechtsposition vorzeitig aufzugeben. Sie müsse aber von uns so vertreten werden, dass wir nicht in einer unversöhnlichen Weise andere Völker vor den Kopf stoßen. Voraussetzung zur Herbeiführung eines besseren deutsch-polnischen Verhältnisses sei auf jeden Fall vertiefte Kenntnis Polens, zu der auch das Ostkirchen-Institut an der Universität Münster beitragen wolle.

 

Im Anschluss an die Arbeitstagung der Zerstreuten Evangelischen Ostkirchen in Hameln veranstaltete das Hilfskomitee der evang.-luth. Deutschen aus Polen einen eigenen Konvent, an dem eine größere Anzahl von Pastoren und Laien, auch aus der DDR, teilnahm. Der Konvent beschloss, in Nordrhein-Westfalen ein Altenheim für Alte aus Mittelpolen zu errichten. Die anwesenden Pastoren aus dem Bundesgebiet verpflichteten sich zu einem Opfer von je 100 DM, um das Heim bauen zu können. Sie wollen auch die übrigen im Bundesgebiet lebenden Geistlichen aus Mittelpolen auffordern, sich mit einem gleichen Opfer zu beteiligen.

 

Seite 15   Kein Pflüger geht mehr durch das Land. Erntedank der Ostpreußen in Wilhelmshaven.

Bei der kürzlichen Zusammenkunft der Landsmannschaft Ostpreußen, führte der Vorsitzende, Obermedizinalrat Dr. Zürcher aus, dass das Erntedankfest den Ostpreußen ein besonderes Anliegen sei, war doch der deutsche Osten die Kornkammer Deutschlands, die heute in weiten Gebieten brach liege. Die Worte aus einem Erntedankgedicht von Toni Schawaller „Kein Pflüger geht mehr durch das Land, das Disteln trägt und Dorn", müssten alle Landsleute für alles, was ihnen die Heimat gegeben habe nur noch dankbarer stimmen.

 

Landsmann Schlokat erfreute die versammelten Landsleute mit der Vorführung zweier Kulturfilme, darunter die „Weißen Pferde aus Wien", ein Film über die spanische Reitschule. Das „Ostpreußische Reiterlied" von Gertrud Papendiek war eine treffliche Überleitung zu dem Ostpreußenfilm „Land in der Stille", der einmal nicht die großen Städte, sondern verborgene Kleinode in den Wäldern, an den Seen und Flüssen der Heimat zeigte. Er wurde deshalb besonders dankbar aufgenommen.

 

Seite 15   Pflege ostdeutscher Dichtung in Schleswig-Holstein.

Die kulturelle Betreuung der Vertriebenen und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein nimmt das Sozialministerium in Kiel im Winterhalbjahr 1957/1958 wieder verstärkt auf. Wie im Vorjahr hat es im Land lebende ostdeutsche Dichter und Schriftsteller dafür gewonnen, auf Veranstaltungen der Heimatvertriebenen aus eigenen Werken zu lesen. Unser Mitarbeiter, der ostpreußische Dichter Fritz Kudnig, der heute in Heide lebt, wird in diesem Zusammenhange mit einer Reihe von Vorträgen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus werden schleswig-holsteinische Künstler aus Schriften ostdeutscher Dichter lesen oder über die Dichtung des deutschen Ostens sprechen.

 

Seite 15   Zur fröhlich-besinnlichen Adventsund Weihnachtsfeier steht den Landsmannschaften und dem BVD der ostpreußische Mundartdichter Dr. Alfred Lau gern zur Verfügung. Seine Bedingungen sind auch für kleinere Gruppen durchaus tragbar. Sie müssen sich aber schnell entschließen, denn er ist ständig besetzt. Anfragen, bitte nur direkt an Dr. Lau, Bad Grund (Harz), Hübichweg 16.

 

Seite 15   Landsmannschafztliche Nachrichten.

Lübbecke/Westf.

Die Ortsgruppe der Landsmannschaft Ostpreußen kam am 24. Oktober zu einer Erntedankfeier zusammen, deren Mittelpunkt ein Vortrag des Vorsitzenden, Rektor a. D. Hardt, über das Thema „Die Ernte unseres Lebens" bildete. Die Jugendgruppe umrahmte mit Liedern und Gedichten die Feierstunde.

Nach einer kurzen Pause kam Rektor Hardt auf aktuelle Probleme zu sprechen. Für den heiteren Ausklang sorgten Frau Czapla und Goerke mit heimatlichem Humor.

 

Lutter

Der Vertriebenenverband führte unter Leitung von Lehrer Petrick einen ostdeutschen Abend durch, zu dem Frau Lina Fahlke-Pillau von der Ostpreußengruppe Seesen ein zweistündiges Unterhaltungsprogramm mit besinnlichen und humoristischen Heimatvortragen beisteuerte. Ihr wurde reicher Applaus zuteil.

 

Seesen

Der letzte Heimatabend in den Festräumen des Ratskellers erfreute sich eines sehr guten Besuches. Besonders stark war erfreulicherweise auch die Jugend vertreten. Die Erntefeier unter Leitung von Frau Lieselotte Donnermann ließ mit heimatlichen Brauchen und Schnittertrachten und einem flotten Erntereigen vertraute Bilder aus Arbeit und Feier der alten Heimat erstehen. Drei Tonfilmvorführungen über Ostpreußen ergänzten die Eindrücke. Die Ortsgruppe Bornhausen hatte durch die Initiative von Landsmann Bluhm aus Feld und Garten die Gaben des Jahres aufgebaut, deren Verlosung einen ansehnlichen Betrag zugunsten der Kinderweihnachtsfeier ergab. Den geselligen Ausklang bestritten Lina Fahlke, Willi Blaesner und Wilhelm Sander mit heimatlichen humoristischen Vorträgen.

Im Mittelpunkt des nächsten Heimatabends am 9. November wird der vorzügliche Farblichtbildervortrag unseres Lm. Otto Stork, Stuttgart stehen.

 

Frankfurt/Main

Mitteilung der Jugendgruppe: Wir treffen uns jeden Mittwoch um 20 Uhr im „Haus der Jugend", Zimmer 523.

 

Schweinfurt

Die Lokalpresse schrieb zu unserer letzten Veranstaltung mit dem ostpreußischen Heimatdichter Dr. Lau: „Die Frankensäle konnten die vielen Besucher kaum fassen. Aus den Reimen und Prosaproben des Dichters leuchtet ein handfester Humor, der ihm zur Sprache des Herzens geworden ist“. Unter den zahlreichen Gästen befand sich auch Oberbürgermeister Wichtermann. Für Dr. Lau gestaltete sich dieser Abend gleichzeitig zu einer unvorhergesehenen und überraschenden Geburtstagsfeier (er wurde an diesem Tage 59 Jahre alt — oder jung' sollte man bei ihm besser sagen) mit vielerlei besinnlichen und schmackhaften Geburtstagsgaben.

Für die musikalische Umrahmung dieses schönen, in seiner Art einzigen Abends sorgte der Chor der Heimatvertriebenen unter Leitung von Gottfried Joachim mit fein abgestimmten Heimatliedern.

 

Seite 15   Trakehner Gestüt in Kanada

In Hamburg wurden zwanzig deutsche Pferde der Landespferdezucht nach Kanada verschifft, wo Frau Gerda Friedrichs, die in Kanada drei Farmen besitzt, nun ein Trakehner Zuchtgestüt einrichten wird. Unter den Pferden befanden sich vier Trakehner Hengste — je zwei Rappen und Schimmel —, 12 Zuchtstuten, darunter die DLG-Ausstellungsstute „Melodie" v. Totilas, ein Trakehner Reitpferd und drei Holsteiner Reitpferde.

Zugleich trat auch die junge Hamburger Turnierreiterin Ute Ledtje die Fahrt nach Kanada mit an, wo sie vorerst ein Jahr lang im Trakehner Gestüt wirken wird. Bereits vorher sind verschiedene deutsche Amazonen, so auch Karin Berberich, auf einige Zeit nach Amerika zu USA-Gestüten gegangen.

 

Seite 16   Suchdienst

Wer kann mir helfen? Ich benötige dringend zwecks Erlangung einer Hinterbliebenen- und Waisenrente den Nachweis der Beschäftigung meines verstorbenen Mannes Otto Werner, geb. 01.03.1910 in Königsberg, zuletzt wohnhaft Königsberg/Pr., Altroßgärter Predigerstraße 31, für die Zeit ab 1924 bis 1927. Er war beschäftigt von 1924 - 1937 als Melker bei Fink, Nuntzau bei Cranz, 1927 - 1936 als Soldat (11. I. R. 24), 1936 – 1945 bei der Deutschen Reichsbahn 1945 - 1949 in russ. Gefangenschaft. Ich suche Zeugen, die dies bescheinigen können. Therese Werner, Ulm/Do., Mähringer Weg 126.

 

Gesucht werden: Gastwirt Arthur Jung, aus Puppen, Kreis Ortelsburg, Gastwirt Plewa, Vorname unbekannt, aus Kleinpuppen, Kr. Ortelsburg, von ihrem Freund Bernhard Werle, Gastwirt in Heimbach. Nachricht erbeten an Herrn Werle oder BvD, Ortsbund Baumholder, z. Hd. von Notar Ernst Skrupke.

 

Wer kann bestätigen, dass Berta Koppka, geb. 07.01.1898, vom Herbst 1916 bis Herbst 1919 auf dem Bahnhof in Sensburg als Personenzugschaffnerin, vom April 1921 bis Okt. 1933 in der Provinzial-Heil- u. Pflegeanstalt in Kortau bei Allenstein als Pflegerin tätig gewesen ist? Zuschriften erbeten an Berta Haegele, geb. Koppka, Celle, Lauensteinstraße 4.

 

Ermländer! Wer kann Angaben über den Verbleib des vermissten Geistlichen Hugo Wessolek machen? Er ist am 1. Oktober 1905 geboren, war zuletzt Kaplan in Gr.-Köllen und Pfarrvikar in Schellen, Kr. Rößel. Er wurde im Februar 1945 von den Russen verschleppt. Vater und Schwester benötigen dringend diese Angaben zur Todeserklärung. Früher wohnhaft Allenstein, Kopernikusstraße 8. — Mitteilungen bitte an Frau Irene Klappe, Warburg/Westf., Hauptdurchgangslager.

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