Ostpreußen-Warte, Folge 09 vom September 1956

Ostpreußen-Warte

Folge 09 vom September 1956

 

Seite 1   Foto: Schloß Balga am Frischen Haff Foto. OW-Archiv

 

Seite 1   Heimatrecht nur durch vernünftige Ostpolitik. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist das europäische Problem Nummer 1.

Wer in der letzten Zelt die Kommentare mancher Tageszeitungen gelesen und die mancher Rundfunkstationen gehört hat, dem wird zum Bewusstsein gekommen sein, wie notwendig es ist, sich in Deutschland und in der westlichen Welt über eine vernünftige Ostpolitik zu unterhalten. Der Begriff Ostpolitik wirkt oft für viele Menschen wie ein rotes Tuch. Sofort wird vermutet, dass die Absicht bestehe, großdeutsche Ideen an den Mann zu bringen oder auf Eroberungszüge nach dem, Osten hin zu gehen. Diese Kritiker übersehen vollkommen, dass es bei einer vernünftigen Ostpolitik darum geht, sich Gedanken über das zukünftige Zusammen- oder Nebeneinanderleben von Deutschen und Slawen zu machen. Auf das engste mit diesen Problemen ist auch die Wiedervereinigung Deutschlands verbunden. Sie lässt sich in der Diskussion einfach nicht davon trennen.

 

Von Seiten des Westens wird unter der Anwendung verschiedenster Methoden über den Äther und mit Flugschriften eine negative Propaganda in die Länder jenseits des Eisernen Vorhanges ausgestrahlt. Man bekämpft mit Worten das bolschewistische System, ohne den Völkern sagen zu können, wie man sich die Zukunft einmal vorstellt. Man vermeidet es, zu den Fragen der Wirtschaftssysteme, der Sozialstrukturen Stellung zu nehmen. Das. gleiche gilt, wenn über die deutsche Wiedervereinigung gesprochen wird. Auch hier vermisst man eine Stellungnahme, wie man sich von der Bundesrepublik her diese Wiedervereinigung in ihren einzelnen Phasen vorstellt. Die einen glauben, dass man einfach alles, was in Mitteldeutschland auf den verschiedensten Gebieten Platz gegriffen hat, beseitigen kann und dass überall die Normen des bundesdeutschen Denkens und des bundesdeutschen Systems eingeführt werden können. Ähnliche Gedanken haben wahrscheinlich die Machthaber in Pankow mit umgekehrten Vorzeichen, wenn sie von der Wiedervereinigung sprechen. Es muss uns endlich klar werden, dass zu einem gesamtdeutschen Denken auch die genaue Analyse der Entwicklungen in den beiden Hälften Deutschlands gehört und dass die Wiedervereinigung eine positive Synthese bringen muss, wenn sie Erfolg haben soll.

 

Ähnliches gilt für die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa, auch hier müssen sich die Emigrantenorganisationen der Tschechen, Slowaken, Polen usw. über die gleichen Fragen klar werden. Dabei kommt man um eine Stellungnahme zum Heimatrecht der Vertriebenen einfach nicht herum. Diese Stellungnahme müssen die Deutschen und aber auch die übrigen damit befassten Völker oder deren Sprecher, soweit man sie heute erkennen kann, einmal abgeben. Die Diskussion über diese Frage soll keinesfalls tabu sein, wie in einer großen Münchener Zeitung dieser Tage klagend festgestellt wird. Es kommt nur darauf an, ob einmal die „Märtyrer" Greve, Brentano und Meerkatz, wie es so schön heißt, später als realistisch bezeichnet werden, oder ob diejenigen, die eine sachliche Diskussion dieser Frage unter Berücksichtigung der Problematik des deutschen Vertriebenenproblems gefordert haben, die besseren Realisten waren. Die Vertriebenen sind sich im Klaren darüber, dass die Wiedervereinigung Deutschlands das Problem Nummer 1 und der erste Schritt in der Richtung einer Neuordnung Europas sein muss. Sie sind vielleicht die besten Mahner in dieser Entwicklung. Sie sind auch bereit dafür Opfer zu bringen und hoffen nur, dass dann, wenn an die Gesamtbevölkerung Westdeutschlands das Gebot zum Opferbringen kommt, die Wiedervereinigung von manchen Journalisten noch mit der gleichen Vehemenz vertreten wird wie die Empfehlung, dass man doch die Wiedervereinigung mit einem Verzicht auf das Heimatrecht der Vertriebenen erkaufen sollte. Auch die verschiedenen Volksgruppen der vertriebenen Deutschen sollten sich im Klaren darüber sein, dass es nur ein Gesamtproblem des Heimatrechtes geben wird. Es hat also keinen Sinn, wenn manche Schlesier den Sudetendeutschen Vorhaltungen machen, wenn sie unbeirrt auf eine günstige moralische Position für Gespräche über diese Fragen hinsteuern. Die gleichen Schlesier werden aber sofort mit hitzigsten Stellungnahmen auf dem Plan erscheinen, wenn irgendjemand ihr Heimatrecht und ihren Heimatanspruch in den Gebieten jenseits der Oder-Neiße in Zweifel ziehen möchte. Wir führen dies heute nur an, um vielleicht manchen dieser Sprecher anzuzeigen, wie töricht es ist, nur sein Problem sehen zu wollen und sich vielleicht im stillen über die Schwierigkeiten der anderen zu freuen und keinen Grund für eine Solidarität zu sehen.

 

Eine wirkliche Ostpolitik muss sich mit all diesen Problemen auseinandersetzen und die Diskussion solcher Fragen hat nichts mit übertriebenem Nationalismus zu tun. Die Vertriebenen werden einmal ihre Gesprächspartner auch bei den slawischen Völkern finden. Es kann hier nicht um die Diskussion von Gebietsansprüchen in geographischen Räumen gehen, sondern um die Schaffung eines Europas, das nach vernünftigen wirtschaftlichen und sozialen Grundsätzen aufgebaut ist und wo Grenzen keine Rolle mehr spielen. Nur in einem solchen Europa wird sich auch das Heimatrecht der Vertriebenen einmal verwirklichen lassen, ganz gleich, ob die Heimatgebiete in- oder außerhalb der Grenzen des Reiches von 1937 liegen. Dass ein solches Europa nur in Zusammenarbeit mit den slawischen Völkern entstehen kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Die „Realisten", die heute gute Ratschläge geben, sollten selbst einmal die Geschichte Mittel- und Osteuropas studieren und sich ernstlich mit der Problematik beschäftigen, dann würden sie erkennen, dass das Verschweigen von Problemen noch nie zu einer Lösung geführt hat. Waren es doch die gleichen Stimmen und die gleichen Zeitungen, die auch der Saarbevölkerung vor der denkwürdigen Abstimmung ähnliche „realistische" Ratschläge gegeben haben, wie sie es nun den Vertriebenen gegenüber tun. Volkmar Gabert

 

Seite 1   Unterricht in deutscher Sprache.

Wie der volkspolnischen Presse zu entnehmen ist, wird in den Gebieten östlich der Oder und Neiße neuerdings für die Deutschen dort deutschsprachiger Unterricht erteilt. So richtete die „Bildungsabteilung des Wojewodschaftsrates" Köslin in Stolp eine achte Klasse am Allgemeinen Lyzeum ein und eine deutschsprachige Klasse an der Grundberufsschule für Mechanisierung der Landwirtschaft.

 

Seite 1   Der Wille – Schlüssel zur Wiedervereinigung. Von Dr. Reinhold Maler, MdB.

Fünfzig Millionen Deutsche im Westen, zwanzig Millionen Deutsche in der Sowjetzone, getrennt oder gar gegeneinander, stellen Deutschland sowohl wie Europa in Frage. Sie sind ein Gefahrenherd ohne Ende. Sie sind es heute, werden es morgen sein, in 10 Jahren, in 20 oder in 100. Mancher Mitbürger möchte gern auf immer in die bundesrepublikanische Ruhe eingehen, hoffend, dort sein Schäfchen im trockenen zu behalten. Wenn nicht er selbst, so werden seine Kinder ein böses Erwachen erleben.

 

Nicht weniger als 180 Jahre haben die Teilungen Polens Europa ohne Unterlass immer neu erschüttert. Ein geteiltes Deutschland wird den ganzen Kontinent in dauernder Friedlosigkeit halten. Ein Zeitzünder ruht inmitten Europas. Er kann jederzeit explodieren und uns und unsere Nachbarn, und Nachbarn unserer Nachbarn in die Luft sprengen. Siebzig Millionen Deutsche miteinander vermögen Europa zu tragen. Die Welt und Europa und wir selbst brauchen ein ganzes Deutschland.

 

Der Schlüssel zur Wiedervereinigung liegt im Willen. Haben wir schon den Willen nicht, so brauchen wir uns über den Weg weder zu besinnen noch zu streiten. Wo aber ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wo, von wem, auf welche Weise ist je ein solch kompakter Wille sichtbar geworden? Ist eine solche Zusammenfassung ernsthaft versucht worden? Ein „Kuratorium" hat man eingesetzt. Ort der Gründung: Bad Neuenahr, am denkbar weitesten Weg vom Schuss, noch hinter, westwärts Bonn. Es erinnert einen an die naive Gründung im ersten Weltkrieg in München: „Komitee zur raschen Niederwerfung Englands“. Zuerst müssen wir wollen! Wollen wir alle miteinander wollen, nichts anderes als dies wollen, so werden einem solchen zusammengefassten Willen alle die Willenlosen, die Willensschwachen, die Widerstrebenden, sich beugen.

 

Der großartige Gedanke an das ganze Deutschland ist in der Bundesrepublik so schnöde vernachlässigt, dass die Deutschen sich erst einmal auf- und zusammenraffen, sich vor den Spiegel stellen, sich kritisch betrachten und sich selbst ins Gesicht schreien müssen: „Wie konnten wir bisher so lau und matt, so pflichtvergessen sein?" Die Wiedervereinigung, ist keine Fata Morgana, sie ist kein unwirklicher Traum. Die Vereinigung ist das Natürliche, die Trennung ist das Unnatürliche. Immer und überall hat sich die Urkraft der Mutter Natur durchgesetzt. Sie wird mit Allgewalt sich melden und Getrenntes, Geteiltes, Zusammengehörendes zusammenführen.

 

Wir standen im Kampf um das Tägliche, das Alltägliche, das Materielle. Ans deutsche Vaterland sind wir noch nicht so recht gekommen. Wir haben den Hunger überwältigt und das Frieren. Wir haben Kleidung und Wohnung verbessert, wir strebten mit Macht aus der Not heraus, dachten an uns selbst. Dürfen wir aber weiterhin die zwanzig Millionen Deutschen in der Sowjetzone vergessen?

 

Wir haben erstaunliche Fortschritte gemacht: Motorräder, Nylon und Perlon, Volkswagen und Limousinen, Camping, Fernsehen, Fernfahrten, Kamel- und Eselsritte, Elefantenjagden. Wir reisen im In- und Ausland. Je weiter, desto besser: Spanien, Ägypten, Griechenland, Türkei und alles Mögliche andere. Das Deutschland jenseits der Elbe verschwindet mehr und mehr aus unserem Gesichtskreis. Wir stecken vor ihm den Kopf in den Sand. Die Wiedervereinigung ruht mitten unter uns wie eine schlafende Löwin. Matte und Schwache, Unentschiedene in Westdeutschland sind bemüht, ihren Schlaf nicht zu stören. Die Löwin wird eines Tages erwachen, blinzeln, schweifwedeln und sie wird brüllen. Sie wird so laut brüllen, dass die bundesrepublikanischen Spießbürger und Schlafmützen aus ihrer Selbstzufriedenheit erschreckt auffahren und den protokollfrommen Regierungsmännern die Augen überlaufen werden.

 

Der wiegt sich in falscher Sicherheit, welcher meint, Deutschland könne nur im Rahmen streng gesteuerter internationaler Konferenzen „planmäßig“ wiedervereinigt werden. Das kann sehr wohl auch von innen losbrechen und mit Naturgewalt die Hindernisse niederreißen. Wir haben es erfahren, wie der deutsche Michel zum rasenden Berserker werden kann. Demokralen müssen den endgültigen Staat machen. Sonst machen ihn nämlich andere, die Kommunisten oder Rechtsradikale oder beide miteinander, zunächst im Bund, dann im Kampf miteinander.

 

Der Endkampf um Freiheit und Einheit kann in der Sowjetzone beginnen, er kann auch von der Westzone seinen Ausgang nehmen. Man stelle sich ein Westdeutschland im Zeichen einer rückläufigen Konjunktur vor! Sämtliche politischen und wirtschaftlichen Aspekte repräsentieren sich von Grund aus verändert. Packen wir die Aufgabe heute an, wo wir wirtschaftlich relativ gefestigt sind! Dann behalten wir die Vorgänge unter demokratischer Kontrolle, ehe die Wucht ihrer Dynamik sich Bahn bricht und den geordneten Ablauf zur Seite schiebt.

 

Seite 2   Von unserer Warte

Das Wort stammt von dem größten englischen Dichter. Vielleicht hieß er Shakespeare. Man weiß das nicht so genau. Viel genauer kennt man die Besiedlungsgeschichte und Geographie Ostdeutschlands. In den ersten Nachkriegsjahren erschienen mehrere englische Traktate — nicht von Kommunisten —, dass die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie im Grunde ja doch polnisch-slawischer Siedlungsraum seien, überdies sei es nicht mehr als recht und billig, dass die Teutonen (manchmal nannte man die Deutschen auch „Hunnen" in der englisch-amerikanischen Presse) mit der Abtretung dieser Gebiete ein Unrecht wiedergutmachten, und außerdem würde man damit auch gleich die bösen, gefährlichen, imperialistischen Klauen der Deutschen beschneiden. Annektionen, sofern sie nicht den eigenen Besitz schmälern (Suezkanal), sehen eben manche Engländer nicht als illegal an.

 

Amerikanische Regierungsvertreter sprachen mehrfach von einer Regelung mit den östlichen Nachbarn, wobei sie eine Aufteilung der abgetrennten deutschen Ostgebiete 50:50 vorschlugen. Aber das schien einer übereifrigen englischen Publizistin zu wenig. Versehen mit der alten englischen Tendenz des Gleichgewichtes auf dem Kontinent, veröffentlichte diese Bürgerin des niedergehenden Empires kürzlich eine Broschüre, in der sie die „Gebietsansprüche" der Deutschen aufwarf. Allerdings — meint die Verfasserin — würde Polen schwerlich seine Grenzen weiter als bis nach Stettin zurückverlegen, wobei die große Oderstadt natürlich polnisch bliebe und mit Recht, denn . . . siehe oben . . .

 

Ich finde, man sollte das akzeptieren und — Maß für Maß — eine allgemeine „historische" Rückumwandlung vornehmen; England kommt, wie 1017, unter dänische Herrschaft, der Suezkanal wird wieder in Wüste verwandelt, Australien den Australnegern und Kanada erhalten Indianer und Eskimos zu paritätischen Teilen. Und wiederum Shakespeare: Ist dies schon Wahnsinn, hat es doch Methode. Wolfgang Glantz

 

Seite 2   Der letzte Monat.

Auf der Suezkanal-Konferenz in London konnte keine Einigung erzielt werden. Ägypten selbst hatte die Einladung abgelehnt mit der Begründung, die Konferenz sei ohne Befragung des Hauptbeteiligten, also Ägypten, anberaumt worden. Zudem seien nur 24 von den 45 Staaten, die die Konvention von Konstantinopel unterzeichneten, eingeladen worden. Die USA schlugen vor: Internationale Verwaltung des Suezkanals, angemessene Entschädigung für die Benutzung an Ägypten, Achtung der ägyptischen Souveränität, Sicherung der freien Durchfahrt. Indien schlug vor, an die Spitze der Suezverwaltung ein ägyptisches Direktorium mit einem Internationalen Ausschuss zur Beratung über Finanz- und Verwaltungsfragen zu setzen.

 

Deutsche Lotsen für den Suezkanal will Ägypten verpflichten und bietet sehr gute Gehfilter.

 

Eine Reform der Kindergeld-Gesetzgebung bearbeitet das Bundesarbeitsministerium. Danach bleiben die Familienausgleichskassen bestehen.

 

Der 100000. Bewerber für die Bundeswehr wurde mit einem Geschenk bedacht; er erhielt das Buch „Die großen Deutschen", zu dessen Herausgebern Bundespräsident Heuß zählt.

 

An den Papst als Souverän des Vatikanstaates richtete der Oberste Sowjet ein Memorandum zur Abrüstungsfrage und eine Erklärung zur Suezkanal-Frage. Seit 1917 sind dies die ersten russischen Denkschriften für den Vatikan. Überreicht wurden sie dem Nuntius in Italien, Erzbischof Frietta, durch den bei der italienischen Regierung akkreditierten sowjetischen Geschäftsträger Pogidajew.

 

Ein Beschluss des Weltkirchenrates, der bei Budapest zusammentrat, fordert die Kirchen auf, bei ihren Regierungen und den Vereinten Nationen für eine Beendigung der Atombombenversuche einzutreten. Dem Weltkirchenrat gehören alle Kirchen außer der römisch-katholischen an.

 

Ein Waffenstillstandsangebot der Widerstandsbewegung auf Zypern, der EOKA, wurde durch Flugblätter bekanntgegeben. Die Bedingungen des britischen Gouverneurs, die Waffen abzuliefern und die Führer des Aufstandes vorübergehend auszuliefern, wurden abgelehnt. Unter dem Namen „Politischer Ausschuss für den Kampf um Zypern" ist eine neue Untergrund-Organisation entstanden. Drei junge Zyprioten wurden wegen Ermordung eines britischen Soldaten und eines türkischen Polizisten zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung des Urteils ist bereits durch Erhängen vollzogen.

 

Der nächste Evangelische Kirchentag wird voraussichtlich in Erfurt abgehalten. Auch die katholische Kirche hat vorgesehen, ihren nächsten Katholikentag nach Mitteldeutschland, und zwar nach Dresden, einzuberufen.

 

Nach fünfeinhalbjährigem Prozess wurde vom Bundesverfassungsgericht die KPD verboten. Ausgelöst war der Prozess durch einen Antrag der Bundesregierung. In dem Urteil wird die Kommunistische Partei als verfassungswidrig bezeichnet.

 

Eine Rückführungsliste mit rund 1000 Namen überreichte die Bundesregierung der Sowjetunion. Diesen Deutschen in Russland — aus den baltischen Gebieten, dem Memelland, Bessarabien, den Karpaten und dem Nordteil von Ostpreußen — wird die deutsche Staatsangehörigkeit in den meisten Fällen nicht zuerkannt.

 

Bei einer englischen Flugzeugfabrik gab die Bundesregierung sechzehn Flugzeuge in Auftrag, die ab 1958 geliefert werden sollen Es handelt sich dabei um Maschinen, die hauptsächlich als U-Boot-Jäger Verwendung finden sollen.

 

Ausländische Flugzeugtypen sollen im Lizenzbau in deutschen Flugzeugwerken hergestellt werden. Verträge wurden mit Focke-Wulf, Dornier, Messerschmitt, Heinkel und Siebel abgeschlossen.

 

Der polnische Bergungsdienst wird den bei Gdingen versenkten Lloyd-Dampfer „Stuttgart“, der im letzten Kriege als Lazarettschiff eingesetzt war, heben.

 

Für den Posten des amerikanischen Präsidenten schlug der Parteikongress der Republikanischen Partei in San Francisco Eisenhower vor. Auch Richard Nixon wurde erneut für sein Amt als Vizepräsident benannt.

 

5000 in Westdeutschland stationierte englische Soldaten sind bereits abgezogen. Mit ihnen zogen 180 gepanzerte Fahrzeuge. Weitere 15 000 Mann werden in Kürze folgen.

 

Seite 2   Etwa ein Drittel der Auswanderer sind Vertriebene.

Nach jüngsten Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes sind im Jahre 1955 mindestens 48567 Personen aus der Bundesrepublik ausgewandert gegenüber 61 600 im Jahre 1954 und 60 800 im Jahre 1953 sowie jeweils rund 60 000 in den beiden vorangegangenen Jahren. Es handelt sich dabei insofern um eine Mindestzahl, als die Zahl der Auswanderer innerhalb des normalen Reiseverkehrs ins Ausland an den Grenzübergangsstellen nicht genau zu erfassen ist. Immerhin kann festgestellt werden, dass die Zahl der Auswanderer stark zurückgegangen ist, wenn auch der Auswandereranteil an der Bevölkerung mit 97 je 100 000 noch immer höher liegt als zwischen den beiden Weltkriegen und von der Jahrhundertwende bis zum ersten Weltkrieg im Deutschen Reich.

 

Die Heimatvertriebenen stellten unter den erfassten Auswanderern des Jahres 1955, 15 836 Personen. Sie hatten damit einen Anteil von 32,6 Prozent, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur 17,3 Prozent beträgt. Dieser hohe Anteil der Vertriebenen an der Gesamtzahl der Auswanderer dürfte dadurch begründet sein, dass die Eingliederung in Westdeutschland noch keineswegs vollendet ist und viele Vertriebene sich jenseits der deutschen Grenzen größere Chancen versprechen.

 

Im Jahre 1954 hatten die Vertriebenen mit 18 965 Personen einen Anteil an der Auswanderung von 30,8 Prozent und im Jahre 1953 mit 21 314 eine Quote von 35 Prozent. Demgegenüber waren die Sowjetzonenflüchtlinge an der Auswanderung des Jahres 1955 nur mit 1770 Personen oder 3,6 Prozent beteiligt, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Westdeutschlands 4,9 Prozent ausmacht. Ein ähnliches Bild ergab sich in den beiden Vorjahren; denn 1954 beteiligten sich die SBZ-Flüchtlinge mit 2284 Personen oder 3,7 Prozent an der Auswanderung und im Jahre 1953, mit 2357 Personen oder 3,9 Prozent. Der Anteil der Ausländer und Staatenlosen an der Auswanderung betrug im Jahre 1955, 4523 (9,3 Prozent), im Jahre 1954, 3593 (5,8 Prozent) und im Jahre 1953, 4023 Personen (6,6 Prozent).

 

Welchen Aderlass die Auswanderung insgesamt für das deutsche Volk bedeutet, zeigt schon die Tatsache, dass ein Drittel der Auswanderer des Jahres 1955 im Alter zwischen 20 und 30 Lebensjahren stand, also zu einer Altersgruppe gehörte, die an der westdeutschen Bevölkerung nur zu 14,4 Prozent beteiligt ist. Demgegenüber betrug der Anteil der über 45-jährigen Auswanderer nur 12,2 Prozent — verglichen mit einer Bevölkerungsquote von 35,7 Prozent.

 

Die USA nahmen 47,5 Prozent der deutschen Auswanderer des Jahres 1955 auf. Kanada profitierte mit 32,0 Prozent an der Gesamtziffer, und Australien war mit 13,6 Prozent beteiligt.

 

Seite 2   VDA in Bayern aktiv.

Dem VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) wurden vom bayerischen Landtag 20 000 DM ausdem Kultusetat bewilligt. Die Anregung, dem VDA einen Zuschuss zu geben, ging von den Abgeordneten Beier (SPD) und Hundhammer (CSU) aus. In der Diskussion über diesen Antrag wurden verschiedenen Meinungen über den VDA ausgesprochen, doch kam es abschließend zu dem oben gemeldeten Entscheid, weil der bayerische Landtag vor allem erkannte, dass über den VDA den deutschen Schulen im Ausland geholfen wurde. Gleichzeitig wurde betont, dass es Sache des Bundes sei, den VDA finanziell zu unterstützen. — Erfreulich bleibt auf alle Fälle zu hören, dass der VDA seine Arbeit festsetzt und dass sich das bayerische Länderparlament entschloss, ihm 20 000 DM zu seiner Arbeit zuzusteuern.

 

Seite 2   Indische Weisheit

Eine peinliche Enttäuschung erlebten die Polen während des Besuches des indischen Vizepräsidenten Radhakrischnan in Breslau. In einem Gespräch mit polnischen Regierungsbeamten erwiderte der indische Staatsmann auf die Frage, ob ihm die urpolnische Stadt Breslau gefallen habe: „Gefallen hat mir die Stadt Breslau trotz ihrer großen Wunden, aber ich glaube mich entsinnen zu können, dass sie nicht urpolnisch ist, sondern bis zum Ende des zweiten Weltkrieges Jahrhunderte hindurch zu Deutschland gehört hat“.

 

Seite 2   Pressespiegel

Vorsichtige Zurückhaltung geboten.

„Deutschland hat auf der Londoner Konferenz keine gute Figur gemacht. Außenminister von Brentano als Vertreter der Bundesrepublik schloss sich, wie zu erwarten war, dem amerikanischen Vorschlag an, während die Rücksicht auf die arabische Welt vorsichtige Zurückhaltung geboten hätte. Der Minister versuchte, seine Haltung vor den deutschen Pressevertretern im Londoner Claridge-Hotel zu rechtfertigen. Aber sein Hauptargument, internationale Verträge seien eben ohne gewisse Souveränitätsverzichte nicht zu verwirklichen, geht in diesem Falle, wo es sich um eine internationale Aufsicht handeln soll, daneben. Ausländische Beobachter dürften zur Annahme gekommen sein, dass die Bundesrepublik, auf deren Boden fremde Truppen bis zum Jahre 2000 stationieren sollen, das Gefühl für die Bedeutung des Wortes Souveränität nicht mehr kennt. Wenn dann Herr von Brentano meinte — und dies durch einen Sprecher der Bundesregierung in Bonn am 24. August noch näher erörtern ließ — dass die Londoner Konferenz ein Musterbeispiel für die Wiedervereinigung abgeben könne, so stehen wir damit wieder vor einer jener Erklärungen aus den Kreisen der hohen Bonner Prominenz, die man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen kann. Die Londoner Konferenz hat nichts, was ungerechterweise geteilt wurde, wieder zusammengefügt, außerdem hat sie auf ihrem Aufgabengebiet kein Ergebnis gebracht. Wo liegt da das Vorbild?

 

Vielleicht meint Herr von Brentano sein Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Schepilow, dem er gesagt haben soll, wenn Moskau sich ebenso für die deutsche Souveränität einsetzen wollte wie für die ägyptische, würde die deutsche Frage in wenigen Tagen gelöst sein. Schepilow soll geantwortet haben, Ägypten habe auch keinen Krieg geführt. Er hätte auch sagen können, die Souveränität Deutschlands sei zu allererst eine Sache der Deutschen selbst; wenn aber ein Teil Deutschlands sich darauf versteife, für die nächsten fünfzig Jahre Aufmarschgebiet gegen den Osten zu bleiben, scheine man in diesem Teil auf die Souveränität des Ganzen, das ja zuerst wiederhergestellt werden müsse, keinen Wert zu legen. Aber Herr von Brentano versteht unter deutscher Souveränität wohl etwas anderes, daher auch seine Haltung auf der Suezkanal-Konferenz." (Nationale Rundschau, Karlsruhe)

 

Seite 2   Wunsch und Wirkung

„Es hat sich viel geändert in der Welt, seit die Europäer mit einem Kanonenboot Millionen „Eingeborener" in Schach halten konnten. Das können sie heute nicht mehr, weder moralisch noch technisch (Frankreich hat zurzeit 400 000 Mann in Algerien stehen!). Gewaltanwendung als Mittel der Verständigung des weißen Mannes gehört einer vergangenen Epoche an. Heute heißt das entsprechende Mittel Verhandlungen. Nicht zweiseitige Verhandlungen, sondern große internationale Konferenzen vor dem Forum der Weltöffentlichkeit, bei denen Überzeugungskraft und Macht die beiden wichtigsten Faktoren sind. England und Frankreich hatten sich im Falle Suez zu einer merkwürdigen Kombination der alten und der neuen Methode entschlossen. Ob das klug war, muss bezweifelt werden, denn ihr Wunsch nach Verhandlungen ist in seiner Wirkung total überschattet worden durch die „Vorbereitungen zur Gewaltanwendung“. (Die Zeit, Hamburg)

 

Weitere Entfremdung?

„Noch ist das Schlimmste nicht geschehen, noch haben wir uns nicht völlig auseinandergelebt. Aber wir sind dabei, es zu tun. Beim Anblick des Andersartigen, bei den Gesprächen mit den Andersdenkenden und gerade mit denen, von denen man erwarten durfte, sie teilten mit uns entscheidende Anschauungen, in solchen Unterhaltungen also wird einem wieder bedrückend bewusst, wie schlimm die Irrtümer wirkten, in denen wir um 1950 befangen waren. Wir hatten geglaubt, „Geduld" haben zu müssen und zu dürfen, warten zu können, denn die Zeit arbeite für uns. Die Zeit hat gegen uns gearbeitet. Sie hat die Lage weltpolitisch für uns schwerer gemacht, sie hat begonnen, unsere Landsleute uns zu entfremden. Vor dem, was auch die Gegner des Regimes uns aus dem Westen anklagend zu sagen haben, wird hier noch die Rede sein. Vorläufig bleibt nur festzustellen, dass in den sieben Jahren, in denen nun Bundesrepublik und Deutsche Demokratische Republik bestehen, drüben einiges sich von unserem Denken wegentwickelt hat. Was wird in anderen sieben, was wird in siebzehn Jahren sein? Man erinnert sich an die Frage, die Hermann Heimpel ausgesprochen hat: ob wir genau wüssten, dass sich nicht mit der Zeit ein mitteldeutsches Staatsgefühl, ja Nationalgefühl entwickle, wie sich ein niederländisches, ein

schweizerisches, ein österreichisches Staatsgefühl entwickelt habe? Das sind Gedanken schwerer Sorge, und sie werden dem Leser kein Vergnügen bereiten. Aber wie kann man gute Politik machen, wenn man seine Augen vor der Wirklichkeit, nur deshalb verschließt, weil sie einem nicht gefällt?“ (Die Welt, Hamburg)

 

Ein Vorschlag

„Die losere föderalistische Bindung würde es beiden Teilen erlauben, aus den Zuständigkeiten des gemeinsamen Parlaments und der gemeinsamen Regierung alle Geschäftsberichte und Hoheitsrechte auszuklammern, die sie in eigener Regie behalten möchten. Das alte Deutsche Reich umfasste Republiken und Monarchien, geistliche und weltliche Fürstentümer verschiedener Konfessionen, freie Reichsstädte, ja sogar freie Bauernschaften. Warum sollte in einem neuen Deutschland nicht auch Platz für Länder mit verschiedenen politischen Glaubensbekenntnissen und unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen sein? Die Hauptsache wäre, zuerst einmal wieder einen gemeinsamen nationalen Rahmen zu finden; die entgegengesetzten Wirtschafts- und Sozialstrukturen werden sich dann im Laufe der Zeit ganz von selbst in friedlichem Wettbewerb zusammenraufen.

 

Aus der Sowjetzone liegen Nachrichten vor, die 1951 gebildeten 15 Verwaltungsbezirke würden noch dieses Jahr aufgehoben und an ihrer Stelle die Länder Thüringen, Sachsen, Mecklenburg und Preußen treten. Wenn sich diese Nachrichten bestätigen, könnte mit dem gesamtdeutschen Gremium dort wieder angeknüpft werden, wo es 1947 auf der Strecke blieb: bei der Konferenz der Ministerpräsidenten. (Der Fortschritt, Düsseldorf)

 

Seite 3   Foto: Die altertümliche Klarissinnenkirche Bromberg. Foto: Löhrich

 

Seite 3  Noch viele Deutsche leben in Bromberg.

Wie sieht es heute in der westpreußischen Großstadt Bromberg aus, die bereits seit 1919 unter polnischer Verwaltung steht? Ein Journalist aus Mitteldeutschland, der soeben von einer Besuchsfahrt zum „Internationalen Presseklub“ in Bromberg zurückkehrte, gibt uns auf diese Frage erschöpfende Auskunft. Er schreibt:

 

Im polnischen Machtbereich gibt es insgesamt 17 Presseclubs. Der größte und wichtigste befindet sich nicht in Warschau — er befindet sich in Bromberg. Vor genau zwei Jahren wurde er gegründet und stellt heute das Zentrum dieser Einrichtungen dar, die dem Kontakt mit dem Ausland dienen. Für uns in der Sowjetzone hat darüber hinaus dieser Klub noch besondere Bedeutung. Er ist nämlich zum Mittelpunkt des sogenannten Kulturaustausches zwischen Polen und der DDR geworden. Dieser Tatsache verdankte ich auch meine Einladung in diese Großstadt von über 135 000 Einwohnern.

 

Was mich am meisten in Bromberg bewegte? Das war die Tatsache, dass schon nach kurzer Zeit hier lebende Deutsche an mich mit der Bitte herantraten, sie doch als Begleiter oder Gäste zu bestimmten Veranstaltungen des Presseklubs mitzunehmen. Wie das? Waren diese Landsleute, von denen man offiziell nicht sprechen darf, etwa scharf auf kommunistische Propaganda? Mitnichten! Das deutschsprachige Kulturprogramm des Klubs hat nämlich eine anziehende Eigentümlichkeit: es ist weitgehend frei von kommunistischen Tendenzen.

 

Und so versuchen die Deutschen hier, in solche Veranstaltungen mitgenommen zu werden. Für sie sind Theateraufführungen wie „Minna von Barnhelm" oder „Die Räuber" ungeheuer lang entbehrte Genüsse, an denen sie sonst nicht teilnehmen können. Und zum Glück macht es so gut wie keine Schwierigkeiten, mittels der freigebig verteilten Gastkarten Landsleute mitzunehmen. Wie tolerant doch die Polen sein können . . . Als Dank für die kleine Mühe, zeigte mir ein älteres deutsches Ehepaar am Wochenende die Stadt.

 

Bromberg hat schwer unter den Kriegshandlungen gelitten. Und der Wiederaufbau begann eigentlich erst im vergangenen Jahr! Gegenwärtig arbeitet man in der Altstadt, wo als erstes der schöne Altmarkt wieder erstehen soll. Hier und in der Waska-Straße baut man viele historische Gebäude wie in Danzig und Breslau - genau wie früher auf. Seit längerer Zeit sind nur die Brücken über die Brahe und die Industrieanlagen fertig. Die oft geäußerte Vermutung, Bromberg sei verhältnismäßig glimpflich im Krieg davongekommen, kann ich nicht bestätigen. Überall sieht man noch Schäden.

 

Ich möchte sagen, dass die industriellen, kulturellen und administrativen Bauten den besten Eindruck machen. Deutsche findet man noch in großer Zahl in den wichtigsten Fabriken: das Schuhkombinat (früher „Leo"), das chemische Kombinat (früher Persil und Nivea), holzverarbeitende Betriebe, ein elektrotechnischer Betrieb, Ziegeleien und ein kombiniertes Maschinen- und Gerätekombinat (früher Fahrrad-Torpedo). 1953 begann man weiter mit einem Industrieneubau. Und zwar war das eine Fabrik für Gerbstoffe, die erste dieser Art in Polen. Im Jahre 1954 nahm man sie in Betrieb. Beim Bau und der Produktion wirkten viele Deutsche mit, nicht wenige wurden dafür ausgezeichnet. Die Erzeugung von Gerbstoffextrakten mit einheimischen Rohstoffen ist sehr wichtig für Polen, da man dadurch Devisen für Importe spart. Aus Pommern, der Tucheler Heide und westpreußischen Gebieten wird laufend Eichenrinde — Hauptrohstoff für diese Fabrik — herangeschafft.

 

Für die protestantischen Deutschen ergeben sich in Bromberg Schwierigkeiten, weil ihre Gotteshäuser zu katholischen Kirchen umgeweiht wurden. Nach langen Bemühungen gelang es jedoch, die Christuskirche wieder freizubekommen, an der ein polnisch-evangelischer Pfarrer amtiert. Allerdings ist es den Deutschen offiziell nicht gestattet, die deutsche Sprache in der Kirche zu gebrauchen. Wogegen das Deutsch in der Öffentlichkeit schon wieder seit langem geduldet wird, wenn man es auch nicht gern hört. Die Zahl der Nationalpolen ist hier sehr groß und die der aus Ostpolen vertriebenen sehr klein. Ich traf daher oft auf profiliert nationalistische Ansichten. Die, aus der an die UdSSR verlorene Gebiete stammende Bevölkerung jedoch ist tolerant und ziemlich eindeutig antikommunistisch eingestellt.

 

Erstaunlich gut waren Deutsche wie Polen über die politische Lage in der Welt orientiert. Das Abhören westlicher Rundfunkstationen ist bereits zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit einigen polnischen Funktionären diskutierte ich ganz offen über die Geheimrede des sowjetischen Parteichefs. Diese Leute gaben mir auch unumwunden zu, dass man schwere Fehler hinsichtlich der Behandlung der Deutschen gemacht habe. Jetzt werde das radikal geändert. Ich traf auch Landsleute aus der DDR, die hier schon seit Jahren als Spezialisten arbeiten und meistens bei alten Brombergern wohnen! Ich besuchte eine solche „gemischte" deutsche Familie und stellte fest, dass sie für polnische Verhältnisse einen erträglichen Lebensstandard hat und über keine Benachteiligung wegen der Nationalität klagte.

 

Die alten deutschen Bromberger weisen natürlich auf unzählige Verschlechterungen hin. Hauptklagen waren unter anderem: Unsauberkeit, keinerlei Möglichkeiten zur Renovierung von Wohnungen und Häusern, hohe Preise, Lebensmittel-Verknappungen und vor allem die Kriminalität. Von letzterer konnte ich mich selber überzeugen. Banditen nahmen mir nachts um halb ein Uhr ohne viel Federlesen die Brieftasche ab, zogen mir die Schuhe aus und banden mir die Krawatte ab . . . Die Miliz war sehr ungehalten — aber mir gegenüber! Man pfiff mich an: was ich denn um diese Zeit auf der Straße zu suchen habe. Im Übrigen solle ich zufrieden sein, dass ich noch Socken, Anzug, Manschettenknöpfe und Oberhemd besitze. Merkwürdige Reaktion von Polizisten ...

 

Nun, auch daran gewöhnt man sich. In der Nähe der alten Franziskanerkirche zog man während meines Aufenthaltes einen russischen Kollegen gänzlich aus. So konnten wir gemeinsam gegen diese Zustände protestieren. Man kleidete uns auf Staatskosten neu ein. Die Schuhe allerdings, die ich erhielt, hielten nicht einmal bis zur Rückreise . . . Besichtigt habe ich auch die polnische Garnison, von der Teile als Kriegsschule eingerichtet sind. Die Soldaten benehmen sich korrekt während des Ausganges. Oft setzt man sie zur Verbrecherbekämpfung ein. Dann riegeln sie ein ganzes Stadtviertel ab und nehmen alle Verdächtigen fest. So etwas passiert alle Wochen.

 

Als Durchgangsbahnhof nach Russland findet man auf dem Bromberger Bahnhof Schilder in polnischer und russischer Sprache. Sonst ist das Wesentlichste an dem Bahnhof, dass hier unter den Augen der Miliz das Zentrum des Schwarzmarktes existiert und unzählige Langfinger ihr Unwesen treiben. Wie sehr sich der Charakter der Stadt verändert hat, merkt man am ehesten bei den freien Bauernmärkten. Dann breitet sich in den Straßen und auf den Plätzen das Elend eines Volkes aus, das zu den Siegern gehört und noch ärmer als vorher geworden ist. Dagegen leben wir in der DDR wie im Schlaraffenland — gar nicht von Westberlin oder Westdeutschland zu sprechen. Bromberg, das die Polen Bydgoszcz nennen, ist wie eine verarmte Stadt, die vom Glanz früherer Zeiten zehrt und mit der seltsamen Gegenwart nicht fertig werden kann. Auf die Frage, ob Bromberg in den mehr als 35 Jahren seit 1919 polonisiert werden konnte, möchte ich dialektisch antworten: wenn Polen so wie hier in Bromberg die Polonisierung in den 1945 verlorenen deutschen Ostprovinzen betreibt, so bedarf es mindestens zweier Generationen, um das Ziel der Polonisierung zu erreichen. Ich glaube, man hat mich verstanden“.

 

Seite 3   So sieht es heute in der Heimat aus.

Vergrößerter Truppenübungsplatz.

Der im Nordosten Ostpreußens gelegene Artillerie-Übungsplatz wurde erheblich vergrößert. Folgendes Gebiet kann jetzt als militärisches Sperrgebiet gelten: Adlerswalde (Groß-Schorellen), Schillfelde (Schillehnen), Doristhal - Schirwindt. Obwohl in diesem Teil des Kreises Pillkallen der Aufenthalt für Zivilpersonen verboten ist, halten sich hier Arbeiter der benachbarten Viehfarmen mit ihren Herden auf. Der Grund ist darin zu suchen, dass es hier günstige Weideflächen gibt. Allerdings ist der Aufenthalt hier für Mensch und Tier mit dauernder Lebensgefahr verbunden. Es heißt, dass in diesem Gebiet auch „schwarze" Tiere gehalten werden, die nach der Schwarzschlachtung illegal verkauft werden. Im Übrigen ist dieser Teil des Kreises sonst ganz menschenleer.

 

Großstadt-Rationen.

Entsprechend den Versorgungsbedingungen in den beiden größten russischen Städten - Moskau und Leningrad - wurden jetzt auch die Grundrationen sowie die Anlieferungen in Königsberg verbessert. Die UdSSR bemüht sich augenscheinlich, weiteren Neusiedlern Anreiz zu bieten. Zum Herbst dieses Jahres sollen Industriekräfte für Königsberg angeworben werden, um die dortigen Fabriken weiter auszubauen. Gleichzeitig soll eine neue Aktion anlaufen, kürzlich demobilisierte Soldaten in den landwirtschaftlichen Betrieben Nord-Ostpreußens einzusetzen. Die bisherigen Maßnahmen in dieser Richtung sollen nur wenige tausend Mann ansässig gemacht haben, die teilweise noch nicht einmal ihre Familien nachkommen ließen, weil sie ihre Rückkehr nach Innerrussland betreiben.

 

Keine Heuernte.

In der Memelniederung hat es dieses Jahr keine nennenswerte Heuernte gegeben, wie aus russischen Rundfunk-Lokalsendungen hervorgeht. In der Hauptsache wird dafür die vernachlässigte Wasserwirtschaft verantwortlich gemacht, die meisten Trockenanlagen seien nicht in Betrieb. Schädlich sei auch, dass die Kolchosen und Sowchosen nie dieselben Wiesen zugeteilt erhielten. Oft bekämen sie in einem Jahr verschiedene Weiden zugeteilt, so dass niemand an guter Bewirtschaftung Interesse habe.

 

Kein Wunder.

Die Polen betreiben mit Vorliebe die Praxis, größere Felder mit trockenem Gras abzubrennen. Dabei kommt es immer zu Bränden, was teilweise die hohe Zahl von Großfeuern in ländlichen Gebieten erklärt. So kam es z. B. im ostpreußischen Oberland zu mehreren Feuern, denen ein Gut und vier Einzelgehöfte zum Opfer fielen. Das Abbrennen von Gras geht in erster Linie auf die Staatsgüter und Kolchosen zurück.

 

Preußisch-Holland.

In Preußisch-Holland ist die Innenstadt noch immer ein großer Trümmerhaufen, in der nur eine Schule repariert worden ist. Zerstört sind unter anderem die Sparkasse und das Landratsamt, wogegen das Rathaus, das Steintor und die Bartholomäus-Kirche erhalten geblieben sind. Einmal monatlich hält ein polnischer Pfarrer aus Mohrungen deutsch-evangelischen Gottesdienst, allerdings in polnischer Sprache.

 

Radioaktive Isotope in Elbing.

In den Mechanischen Betrieben Elbings — vor allem in den „General-Swierczewski-Werken" — werden radioaktive Isotope zur Untersuchung von Schweißnähten und Gussstücken verwendet. Damit ist Elbing die erste Stadt des gegenwärtigen polnischen Machtbereiches, in der die Beschlüsse der kürzlich stattgefundenen „Isotopen-Konferenz" verwirklicht werden. Eine Reihe Elbinger Spezialisten, darunter auch „Optanten", hat bereits Kurse hinter sich, in denen ihnen moderne Kenntnisse auf diesem Gebiet vermittelt wurden. Sämtliche Arbeiten werden direkt von der Anstalt für industrielle Radiologie und vom Institut für Elektrotechnik überwacht. Beide Institutionen sind für die Anwendung radioaktiver Isotope in der Maschinenbauindustrie verantwortlich.

 

Ärger in der Niederung.

Verstaatlichte Agrarbetriebe in der sowjetisch verwalteten Niederung am Kurischen Haff haben sich darüber beschwert, dass einerseits die zugesagten Traktoren nicht geliefert worden sind und dass andererseits die Handarbeit auf den Feldern unmöglich ist, weil es weder Sensen noch Sicheln gibt. Dafür seien Schleifsteine in großer Zahl geliefert worden. Ärger gibt es in den Sowchosen an der Gilge weiter, da die Schmieden schon seit einiger Zeit keine Hufeisen geliefert erhielten bzw. außerstande wären, selbst welche herzustellen. In Sköpen beispielsweise würde es so weit kommen, dass die Erntewagen von Menschenhand gezogen werden müssen, wenn nicht endlich Abhilfe geschaffen würde.

 

Badeleben in Cranz.

Das in Cranz freigegebene Badegelände ist in diesem Jahr von Zehntausenden Kurzurlaubern und Feriengästen besucht worden. Die meisten Urlauber kamen aus Königsberg und dem Samland, da sie ohnehin schon im Besitz der für den Aufenthalt an der Küste notwendigen Sondergenehmigungen sind. Dagegen kamen nur wenige Urlauber aus Tilsit, Insterburg und Gumbinnen — zumeist nur höhere Funktionäre und „Aktivisten". Unter letzteren befanden sich jedoch auch einige Deutsche, die auf Grund ihrer Kenntnisse kleinere Posten in landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktions-Genossenschaften bekleiden.

 

Seite 3   Blick nach Osteuropa.

Baltische Staaten.

Im Rigaer Dom fand, wie TASS berichtet, anlässlich des 730-jährigen Bestehens dieses Gotteshauses ein feierlicher Gottesdienst statt, dem über tausend Menschen beiwohnten. Neben Erzbischof Turs sprachen fünfzehn Pastoren anderer evangelisch-lutherischer Kirchen. Der Dom, eines der ältesten Baudenkmäler der Stadt, soll gut erhalten sein. Gottesdienste finden regelmäßig statt.

 

Der Fischbestand in den Estnischen Gewässern hat dermaßen abgenommen, dass die Fischer sich an die Fischereiministerien Estlands, Lettlands und Litauens mit der Bitte gewandt haben, ein Übereinkommen zu treffen, dass die Fischerflotten in Zukunft nach der Ostsee und dem Finnischen Meerbusen beordern soll, damit sich der Fischbestand in den Buchten und seichteren Ufergewässern erholen könne.

 

Polen.

Von einer neuen Wolfsplage wird aus Polen berichtet. Durch das ungeordnete Jagdwesen haben sich die Wölfe stark vermehrt. Selbst während des Sommers sind sie aus Süd- und Ostpolen bis in die Warschauer Gegend vorgedrungen. Selbst in den ehemals deutschen Gebieten sind Wölfe angetroffen worden.

 

In Warschau tagt gegenwärtig die Weltrundfunk-Tagung. Alle am Funkverkehr teilnehmende rund 70 Länder der Welt sind vertreten. Behandelt werden vor allem die Wellenverteilung und die Festlegung funktechnischer Normen, zum Beispiel die Zeilenzahl im Fernsehen.

 

Tschechoslowakei.

Westliche Zeitungen können nun erstmalig wieder seit Beginn des Kalten Krieges in Prag gekauft werden, so die Pariser „Monde" der „Daily Herald" und die „Basler Nachrichten".

 

An der Eröffnungssitzung des IV. Kongresses der Internationalen Studentenunion in Prag nahmen 600 Delegierte aus achtzig Ländern teil. Der Kongress will die Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Studenten aller Länder erörtern.

 

Rumänien.

Als erste deutschsprachige Bühne in Rumänien eröffnete nach rumänischen Pressemeldungen die kürzlich gegründete deutsche Abteilung des Hermannstädter Staatstheaters mit Brechts „Mutter Courage" ihre Spielzeit.

 

Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Weitz, wurde vom Präsidenten des Rumänischen Roten Kreuzes, Dr. Belea, für den 10. Oktober zu einem Gegenbesuch nach Bukarest eingeladen. Hierbei sollen die kürzlich in Bonn mit Dr. Belea geführten Verhandlungen über die Familienzusammenführung der Rumäniendeutschen abgeschlossen werden.

 

Ostpreußen-Kinder Gäste in Salzburg.

Vier Wochen lang waren 20 Kinder von Ostpreußen Salzburger Herkunft — Nachkommen der ehemaligen Salzburger protestantischen Exulanten — die jetzt in der Deutschen Bundesrepublik leben, Gäste der Salzburger Landesregierung. Mit 70 evangelischen Kindern aus Salzburg hatten sie vorerst drei Wochen im Mandelwand-Haus am Hochkönig, von der Evangelischen Gemeinde Salzburg vortrefflich betreut, ein ideales Ferienheim gefunden. Sie übersiedelten dann in das Gneiser Evangelische Schülerheim. Dort nahm sich besonders Pfarrer Florey um die Kinder an und führte sie auch in den Chiemseehof, wo sich die jungen Gäste bei Landeshauptmann Dr. Klaus und Landeshauptmann-Stellvertreter Peyerl für die schönen Ferientage in Salzburg herzlichst bedankten.

 

Seite 3   Ermländer und Masuren „fälschlicherweise“ vertrieben.

Die in Allenstein erscheinende polnische Zeitung „Glos Olsztynski" fordert die Warschauer Regierung auf, diejenigen Ermländer und Masuren, „die in den ersten Jahren nach dem Kriege fälschlicherweise für Deutsche angesehen und in die Fremde vertrieben wurden", unverzüglich zur Rückkehr aufzurufen. In diesem Zusammenhang stellt der polnische Berichterstatter die Frage: „Was ist eigentlich geschehen, um ihre Sehnsucht nach der Heimat wenigstens auszunutzen?" und schildert des Weiteren, wie eine Ostpreußin, die nach der Sowjetzone Deutschlands umgesiedelt wurde, ein Säckchen Heimaterde aus ihrem Garten mit sich nahm. Es sei erforderlich, so heißt es in der polnischen Zeitung weiterhin, statt der Umsiedlung nach Westen vielmehr „eine Familienzusammenführung auf unseren Heimatboden anzustreben". Allerdings könne dies nicht in der Weise geschehen, dass man die Ausreise nach Westen einfach verhindere, sondern es sollten vielmehr „solche wirtschaftlich-politischen Verhältnisse im Lande geschaffen werden, dass damit die Familienzusammenführung hier in diesem Lande bei uns gefördert werden würde". Wenn selbst die Partei zugebe, dass die Ermländer und Masuren „in unserem Staate praktisch noch keine Gleichberechtigung genießen", so müsse dieses nun beschleunigt geändert werden. Zwar habe die Partei entsprechende Anweisungen herausgegeben, aber diese würden „von den untergeordneten Instanzen nur mangelhaft durchgeführt". Polnische „Chauvinisten" hätten hierzu sogar erklärt, die „Autochthonen" sollten nunmehr „privilegiert" werden. Wer so etwas behaupte, habe „noch nicht begriffen, dass es hier um ernstliche polnische Interessen geht".

 

„Glos Olsztynski" meint, es bestehe die Gefahr, dass die Ermländer und Masuren in Westdeutschland dem „Revisionismus" anheimfielen, an dessen Verbreitung „ganze Scharen von Politikern und Gelehrten" arbeiteten. Über diese „Beauftragten Adenauers" könne man nur lachen, wenn sie Generäle ohne Armeen wären, aber sie finden Gehör bei einer großen Anzahl von Menschen, die einstmals unsere Westgebiete bewohnten".

 

Seite 4   Erst 6,9 Prozent der Feststellungsanträge erledigt. Das Bundesausgleichsamt veröffentlichte beschämende Zahlen - Verordnungen kamen zu spät - Erhöhungen möglich.

Das Bundesausgleichsamt hat unlängst Zahlen über den Stand der Schadenfeststellung am 31. März 1956 veröffentlicht. So imponierend der Leistungsanstieg bei der Erteilung von Bescheiden von Quartal zu Quartal erscheinen mag, das Ergebnis am Ende des vierten Jahres seit dem Inkrafttreten des Feststellungsgesetzes bleibt beschämend. 8,5 Prozent der Vertriebenenanträge auf Schadenfeststellung sind städtisch „erledigt". Untersucht man die Zahl genauer, so zeigt sich, dass nicht einmal dieser bescheidene Prozentsatz die Wirklichkeit widerspiegelt. Knapp ein Drittel der „erledigten" Antragsteller haben nämlich nur einen Teilbescheid erhalten, so dass definitiv nur 6,1 Prozent der Fälle beschieden worden sind. Noch gewichtiger ist jedoch, dass rund ein Drittel der 8,5 Prozent „erledigter" Fälle Ablehnungen sind.

 

Dieser hohe Prozentsatz lässt darauf schließen, dass viele Ausgleichsämter — um hohe Ergebnisse bei der Feststellungsdurchführung melden zu können — sich zunächst die glatten Ablehnungsfälle herausgesucht haben. Unterstellt man, dass von den eingereichten 2 568 000 Vertriebenenanträgen 2 184 000 (85 Prozent) zum Zuge kommen werden, so bedeuten die bisher durch Bescheid oder Teilbescheid positiv erledigten 150 000 Fälle lediglich einen Prozentsatz von 6,9.

 

Bemerkenswert ist auch die Zusammensetzung nach der Art der verlorenen Vermögen. Von 177 000 festgestellten Objekten waren 91 000 Ansprüche und Beteiligungen, 41 000 landwirtschaftliche Höfe, 37 000 Hausgrundstücke, 7000 gewerbliche Betriebe und 1000 Berufsvermögen. Die Zahlenübersicht zeigt deutlich, dass bisher fast nur Fälle mit Urkundenbeweis erledigt worden sind. Die Ersatzeinheitswertverordnungen haben sich offensichtlich noch nicht ausgewirkt, obwohl die landwirtschaftliche Ersatzeinheitswertverordnung rund 15 Monate vor dem Stichtag der Statistik erlassen wurde. Mehr noch als aus den mageren Gesamtzahlen zeigt sich an dieser Tatsache, deass die Feststellungsverordnung um Jahre zu spät erlassen worden sind.

 

Es sei anerkannt, dass die Bewertungsverordnungen in Anbetracht der Schwierigkeit der Materie nicht, in wenigen Monaten erarbeitet werden konnten. Wegen der schwierigen Vorarbeiten wäre es aber umso notwendiger, dass der Bundesfinanzminister noch im April 1952 (wenn nicht zweckmäßigerweise vorher) den Auftrag für die Ausarbeitung dieser Verordnungen hätte erteilen müssen, was leider unterblieb. Und es sei auch unterstrichen, dass sich diese Kritik im Wesentlichen nur gegen den Zeitpunkt des Erlasses der Verordnungen, nicht gegen deren Inhalt wendet.

 

Auffallend sind die Unterschiede im Bearbeitungsstand zwischen den einzelnen Ländern. „Erledigt" sind in Berlin z. B. 23 Prozent, in Schleswig-Holstein 15 Prozent, in Rheinland-Pfalz 13 Prozent, dagegen in Niedersachsen 6,7 Prozent, in Bayern 7,3 Prozent und in Baden-Württemberg 7,5 Prozent; die übrigen Länder liegen zwischen diesen Extremwerten. Scheidet man die Ablehnungen aus, so ergeben sich folgende Zahlen: Berlin 11,1 Prozent, Schleswig-Holstein 10,3 Prozent, Bremen 8,5 Prozent, Nordrhein-Westfalen 7,7 Prozent, Rheinland-Pfalz 7,6 Prozent, Bayern 5,1 Prozent, Niedersachsen 5,0 Prozent, Hessen 4,7 Prozent, Baden-Württemberg 4,6 Prozent. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Zahlen um die erledigten Vertriebenen- und Kriegssachgeschädigtenfälle handelt; für die Vertriebenen allein liegen keine Zahlen vor. Man kann also die Länder nicht ohne weiteres vergleichen. Die Vertreibungsschäden machen z. B. in Schleswig-Holstein 86 Prozent aller gestellten Anträge aus, dagegen in Niedersachsen nur 81 Prozent, in Bayern 80 Prozent, in Hessen 37 Prozent, in Baden-Württemberg 68 Prozent, in Nordrhein-Westfalen 46 Prozent, in Hamburg 40 Prozent, in Berlin 37 Prozent, in Rheinland-Pfalz 34 Prozent und in Bremen 31 Prozent.

 

Die veröffentlichten Zahlen über die festgestellten Schadensbeträge erlauben noch kein repräsentatives Bild. Hervorzuheben ist allerdings folgendes: Während zum 31.03.1955 der durchschnittliche Vertreibungsschaden bei 23 000 DM lag, liegt er am 31.03.1956 nur noch bei 16 000 DM. Noch stärker ist dieses Absinken bei den landwirtschaftlichen Verlusten. Dort stehen statt 34 000 DM nur noch 22 000 DM gegenüber. Aus diesen Zahlen ist zu folgern, dass die ersten Feststellungen vorwiegend nur unrepräsentative, hohe Schadenfälle betrafen und dass, sobald sich die Ersatzeinheitswertverordnungen auswirken, die mittleren Schadenbeträge ganz wesentlich absinken werden.

 

Die Fraktionen des Bundestages sollten daher die Schlussfolgerung ziehen, dass die im Regierungsentwurf angenommenen durchschnittlichen Schadenhöhen zu vorsichtig geschätzt worden sind. Der Regierungsentwurf zur 8. LAG-Novelle unterstellt nach altem Recht bei den Vertriebenen einen durchschnittlichen Hauptentschädigungsgrundbetrag (ohne Vertriebenenzuschlag) von DM 5000,--. Das entspricht einem Schaden der Gruppe von 16 001 bis 18 000 DM. Bereits jetzt ist der mittlere Schadenbetrag unter diese Schadensgruppe abgesunken (die Tatsache, dass in der auf den 31.03.1956 ausgewiesenen durchschnittlichen Schadenshöhe Teilbescheide stecken, ändert die Verhältnisse nicht wesentlich). Es muss damit gerechnet werden, dass er noch weiter absinken wird. Anerkennt man, dass der mittlere Schadensbetrag von der Regierung zu hoch angenommen wurde, so sollte nichts mehr im Wege stehen, bei gegebenem Volumen des Ausgleichsfonds die Aufbesserung der Hauptentschädigung mit höherem Prozentsatz als von der Regierung errechnet, vorzunehmen.

 

Zweifelsfragen bei der Schadensrente.

Das Bundesausgleichsamt hat in Nr. 15 des Amtlichen Mitteilungsblattes vom 3. August 1956 ein Sammelrundschreiben über die Kriegsschadenrente veröffentlicht. Dieses Sammelrundschreiben nimmt zu den wesentlichsten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgetretenen Zweifelsfragen auf dem Gebiete der Kriegsschadensrente Stellung. Es hebt sämtliche einschlägige Rundschreiben aus der Zeit des Soforthilfegesetzes und weiterhin 57 nach Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes ergangene Rundschreiben auf.

 

Durch das Rundschreiben wird die Arbeit der Ausgleichsbehörden und aller anderen Stellen, die sich mit den Fragen der Kriegsschadenrente zu befassen haben, wesentlich erleichtert.

 

Seite 4   Landsmannschaft Ostpreußen auf der DLG-Ausstellung.

Hannover. Nachdem Ostpreußen auf der Internationalen Jagdausstellung 1954 in Düsseldorf, die mit 800 000 Besuchern bislang am stärksten besuchte Ausstellung Westdeutschlands, mit größtem Erfolg vertreten war, wird die Landsmannschaft Ostpreußen auch auf der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) Ausstellung am 9. September in Hannover das Gedenken an die ostpreußische Heimat herausstellen. Die Landsmannschaft übernimmt dort u. a. einen Pavillon, in dem einzelne starke ostpreußische Jagdtrophäen, Leistungsnachweise des edlen Trakehner Pferdes, des ostpreußischen Herdbuches, der ostpreußischen Schafzucht, die Bedeutung des ostpreußischen Forstwesens sowie geistes- und siedlungshistorische Hinweise zur Geschichte Ostpreußens aufgezeigt werden.

 

Seite 4   Reform der Kindergeld-Gesetzgebung kommt. Bundesarbeitsministerium arbeitet mit Hochdruck — Wahlgeschenk des zweiten Kindes?

Wie in Bonn bekannt wurde, arbeitet das Bundesarbeitsministerium mit Hochdruck an einer Reform der Kindergeldgesetzgebung. In einem einheitlichen Gesetz sollen alle bisherigen Stückwerke der Kindergeldvorschriften zusammengefasst werden. In diesem Gesetz sollen außerdem die Erfahrungen der Familienausgleichskassen ihren Niederschlag finden. Der Gesamtverband der Familienausgleichskassen hatte dazu schon im Juli dem Ministerium einen Geschäftsbericht vorgelegt. Nach einem Beschluss des Bundestages ist die Bundesregierung verpflichtet, drei Monate nach dieser Vorlage dieses Berichtes das Neuordnungsgesetz vorzulegen.

 

Wie bekannt wurde, besteht im Bundesarbeitsministerium nicht die Absicht, von der Institution der Familienausgleichskassen abzugehen. Wohl sei aber daran gedacht, die Selbständigkeit der einzelnen Ausgleichskassen zugunsten einer zentralen Organisation einzuschränken oder vielleicht ganz zu beseitigen. In diesem Falle wäre dann für die Durchführung der Kindergeldbestimmungen der Dachverband zuständig. Die einzelnen Familienausgleichskassen hätten als nachgeordnete Verwaltungsbehörden nur noch ausführende Funktionen zu erfüllen. Ob dieser Gedanke bei dem eben aus dem Urlaub zurückgekehrten Minister Storch Anklang findet, ist noch offen. Die Referenten des Arbeitsministeriums glauben mit einer solchen Entscheidung besonders das viel umstrittene Problem des internen Finanzausgleichs unter den Kassen befriedigend zu lösen.

 

Der Regierungsentwurf soll auch eine Vereinheitlichung des Beitragssatzes bringen. Wie hoch er sein wird, steht noch nicht fest. Vom Gesamtverband der Familienausgleichskassen sind 0,75 bis 0,80 v. H. der Lohnsumme vorgeschlagen worden. Bisher schwankte er zwischen 0,6 und 1,5%. Darüber hinaus wird im Bundesarbeitsministerium erwogen, die Kleinlandwirte und die Selbständigen von einer Beitragspflicht auszunehmen, wenn ihr Einkommen einen gewissen Betrag, gedacht ist an 4800 DM jährlich, nicht übersteigt.

 

Wie weiter verlautet, wird im Arbeitsministerium an eine Änderung der Kindergeldzahlungen nicht gedacht. Es soll aber, wie aus eingeweihten politischen Kreisen bekannt wurde, in der CDU-Bundestagsfraktion bereits der Gedanke erwogen worden sein, noch vor den Wahlen, gewissermaßen als „Wahlgeschenk" den Kreis der Berechtigten auf die zweiten Kinder auszudehnen. Die Aufwendungen für das Kindergeld würden damit von rund 500 Millionen auf etwa 1,5 Mrd. DM, und der Beitragssatz auf ungefähr 3% der Lohnsumme steigen. Ob die Wirtschaft dann noch in der Lage und willens wäre, die Kindergeldzahlungen zu finanzieren, erscheine, wie es heißt, allerdings sehr zweifelhaft.

 

Seite 4   Punktzahlsenkung für Hausratshilfe. Eine erfolgreiche Initiative des BVD-Lastenausgleichsausschusses.

Etwa 150 Millionen DM der durch den Kabinettsbeschluss vom 5. April dem Ausgleichsfonds verlorengegangenen ca. 500 Millionen DM werden voraussichtlich doch dem Ausgleichfonds und damit der Hausratshilfe zur Verfügung stehen. Das ist das Ergebnis der Taktik der Vertreter des Lastenausgleichsausschusses des BVD (dem auch die anderen Vertriebenenorganisationen angehören) im Ständigen Beirat und im Kontrollausschuss des Bundesausgleichsamts.

 

Die Bundesregierung hatte am 5. 4. beschlossen, ihre Kreditzusagen an den Ausgleichsfonds insoweit abzubauen, als der Fonds aus eigenen Kräften die im interimistischen Wirtschaftsplan 1956 festgelegten Leistungen zu bewirken in der Lage ist. Auf Grund der Unterlagen, die dem Kabinett auf seiner Sitzung vorlagen, bedeutete der Beschluss — nach Meinung der Bundesminister — eine Kreditzurückrufung von 267 Mill. DM. Der Lastenausgleichsausschuss der BVD hatte auf seiner 79. Sitzung jedoch herausgefunden, dass in den dem Kabinettsbeschluss zugrundeliegenden Zahlenansätzen mehr als 200 Mill. DM auf der Verteilungsseite und mehr als 50 Mill. DM auf der Aufkommensseite zu vorsichtig geschätzt gewesen waren, so dass die kreditmäßige Nichtinanspruchnahme des Bundes auf Grund des Kabinettsbeschlusses vom 05.04. sich nicht auf 267 Mill. DM, sondern auf fast 550 Mill. DM belaufen wird. Im Beirat wurde von den Vertretern des Lastenausgleichsausschusses alles darauf abgestellt, der Regierung klar zu machen, dass die Auswirkungen des Kabinettbeschlusses vom 05.04. weitergehende sind als angenommen, in der Erwartung, dass in Anbetracht der sich anders darstellenden Voraussetzungen die Regierung ihren Beschluss ändern werde.

 

Auf der Sitzung des Kontrollausschusses gab das Bundesfinanzministerium bekannt, dass es in Anbetracht der Argumente des Beirats den Kabinettbeschluss vom 05.04. überprüft habe und das Bundesfinanzministerium dazu bereit sei, die stillen Reserven, die sich auf der Ausgabenseite zeigen werden, in die Hausratshilfe lenken zu lassen. Unter dem Vorbehalt, dass diese Umdisposition spätestens im Herbst erfolgen müsse, nahm der Kontrollausschuss den Wirtschaftsplan 1956 an. Da im Gegensatz zum Lastenausgleichsausschuss des BVD, der auf der Leistungsseite ca. 200 Mill. DM stille Reserven vermutete, der ständige Beirat nur ca. 150 Millionen DM stiller Reserven anerkannte, sei vorsichtshalber die Äußerung des Bundesfinanzministeriums nur so angedeutet, dass eine Erhöhung des Hausratshilfeansatzes um 150 Millionen DM in Aussicht steht. Damit würden die Hausratshilfeausschüttungen, die in den früheren Jahren regelmäßig rund 1 Milliarde DM ausmachten, 1956 statt nur 742 Mill. DM laut interimistischem Wirtschafsplan doch wenigstens 900 Mill. DM betragen. Es kann als wahrscheinlich angenommen werden, dass es im Laufe des Jahres gelingen wird, auch noch die fehlenden 100 Mill. DM zu beschaffen. Würde die Bundesregierung ihren Beschluss vom 05.04. hinsichtlich stiller Reserven auf der Aufkommensseite überprüfen, so stünde das Erreichen der Milliardengrenze außer Zweifel. Auf Wunsch des Beirats (vom BVD-Lastenausgleichsausschuss inspiriert) nahm der Kontrollausschuss eine Entschließung an, wonach die Bundesregierung gebeten wird, auch hinsichtlich der stillen Reserven auf der Einnahmenseite ihren Beschluss vom 05.04. zu revidieren.

 

Die Ausschüttung von 900 bis 1000 Millionen DM bei der Hausratshilfe wird ausreichen, um im Spätherbst die erste Rate der Hausratshilfe voll freizugeben und bei der zweiten Rate die Punktzahl von 60 auf 50 zu senken. Noch vor den Bundestagswahlen (Herbst 1957) wird es dann möglich sein, bei der zweiten Rate eine weitere Senkung der Punktzahl vorzunehmen.

 

Seite 4   200 neue Millionäre.

Seit der Währungsreform gibt es in Westdeutschland zweihundert neue Millionäre. Die neuen Vermögen sind in den wenigen Jahren seit der Geldumstellung entstanden und nicht in generationenlanger, ehrlicher und harter Arbeit. Die Statistik erweist, dass sich mehr als die Hälfte des seit 1948 gebildeten Sachvermögens in den Händen einer winzigen Schicht befindet, die zahlenmäßig mit allen Familienangehörigen nicht mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland ausmacht.

 

Die Zahlenangaben sind deutlich und beweisen noch einmal einwandfrei, dass sich die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung nur nach den Interessen der Großwirtschaft richtet, mit alleiniger Ausnahme der wahltaktisch bedingten Respektierung der Belange der Landwirtschaft. Wie lange es noch dauert, bis bei Fortbestehen der augenblicklichen Lage der größte Teil der jetzt noch selbständigen mittleren und kleinen Unternehmer ihre Existenz eingebüßt haben und von den Großbetrieben aufgesaugt worden sind, ist leicht auszurechnen.

 

Mag es nach 1948 keinen anderen Ausweg gegeben haben, um die Produktion rasch und in ausreichendem Maße in Gang zu bringen, eine größere Arbeitslosigkeit und eine erneute Inflation zu verhindern, jetzt wird es höchste Zeit, mit allen nur denkbaren Mitteln dem Ausdehnungsdrang der „Großen" und den Mittel- und Kleinbetrieben wenigstens die Hälfte der Hilfestellung zu geben, welcher sich die Industrie in den vergangenen Jahren zu erfreuen hatte.

 

Seite 4   Zweifelsfragen bei der Schadensrente. Das Bundesausgleichsamt hat in Nr. 15 des Amtlichen Mitteilungsblattes vom 3. August 1956 ein Sammelrundschreiben über die Kriegsschadenrente veröffentlicht. Dieses Sammelrundschreiben nimmt zu den wesentlichsten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgetretenen Zweifelsfragen auf dem Gebiete der Kriegsschadensrente Stellung. Es hebt sämtliche einschlägige Rundschreiben aus der Zeit des Soforthilfegesetzes und weiterhin 57 nach Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes ergangene Rundschreiben auf.

 

Durch das Rundschreiben wird die Arbeit der Ausgleichsbehörden und aller anderen Stellen, die sich mit den Fragen der Kriegsschadenrente zu befassen haben, wesentlich erleichtert.

 

Seite 4   „Unwirtschaftliche Familien gesucht“.

Eine Auslese-Mission aus Stockholm hält sich zurzeit in Österreich zur Befragung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen auf. Die Schweden versuchen, so schnell wie möglich die Quote von 1000 Menschen zu erreichen, die für das Jahr 1956 zur Ansiedlung in Schweden zugelassen sind. Die Mission steht unter der Leitung von Agda Rössel, der Inspektorin der staatlichen Behörde für Arbeitskräfte. Sie wird sich etwa drei Wochen in Österreich aufhalten. Anschließend wird die Kommission nach Griechenland fliegen, um dort in einem Flüchtlingslager zehn tuberkulosekranke Flüchtlinge auszusuchen, die in Schweden kostenlos geheilt und dann mit ihren Familien zusammen angesiedelt werden.

 

Die schwedische Hilfsaktion ist die Antwort auf die Bitte des Hochkommissars der Vereinten Nationen für das Flüchtlingswesen, ihn bei der Schließung der seit Kriegsende bestehenden Flüchtlingslager zu unterstützen. Schweden hat sich entschlossen, hauptsächlich Menschen aufzunehmen, die den Ansprüchen überseeischer Einwanderungsländer nicht genügen. Neben sogenannten „unwirtschaftlichen" Familien, das heißt Witwen mit kleinen Kindern und Familien mit sehr alten Familienangehörigen, hat Schweden allein im vergangenen Jahr hundert Menschen mit offener Tuberkulose und deren Familienangehörige auf eigene Kosten ins Land geholt.

 

Seite 4   Vertriebenenhandwerker werden erfasst.

Im Rahmen der großen Handwerkszählung, die in diesem Jahre im Bundesgebiet und in Westberlin durchgeführt werden soll, da die Ergebnisse der letzten Zählung des Jahres 1949 als veraltet angesehen werden müssen, werden die Betriebe, deren Inhaber Vertriebene oder Zugewanderte sind, gesondert erfasst. Die Statistik dürfte ein umfassendes Bild der wirtschaftlichen Lage dieser Unternehmen geben, da sie sich auf Beschäftigtenzahl, Nebentätigkeiten (Handel, Landwirtschaft, Hausbesitz), Fragen der Altersversorgung und Krankenversicherung, Löhne, Gehälter und Sozialbeiträge, Antriebsmaschinen und stromverbrauchende Geräte, Umsätze, Wareneingänge, Material- und Warenbestände sowie auf die Kapitalausstattung erstreckt.

 

Seite 4   Gesellschaft der Deutschen in Polen.

Im Zuge der neuen „Minderheitenpolitik" der Warschauer Regierung gegenüber den in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen bzw. zurückgehaltenen Deutschen werden gegenwärtig in Warschau Pläne erwogen die einen engeren Kontakt zwischen der volkspolnischen Regierung und den „Angehörten der deutschsprachigen Minderheit" — wie die offizielle Warschauer Bezeichnung für die als deutsche Staatsbürger anerkannten Deutschen lautet — vorgesehen. Besonderer Wert wird dabei auf die Gründung einer „Sozial-kulturellen Gesellschaft der Deutschen in Polen gelegt, deren Statuten bereits ausgearbeitet worden sind. Durch diese Gesellschaft hofft die Warschauer Regierung, die „Werktätigen deutscher Nationalität" zu verstärkter politischer Aktivität zu veranlassen.

 

Seite 4   Zunächst die 1. und 2. Rate.

Entgegen anders lautenden Meldungen wird darauf hingewiesen, dass nach der jetzigen Rechtslage der Aufstockungsbetrag, d. h. der über die Hausratshilfe hinausgehende Betrag der Hausratentschädigung (kommt nur für die höheren Schadensstufen in Frage), erst ausgezahlt werden kann, wenn die 1. Und 2. Rate der Hausratshilfe abgewickelt sind.

 

Die 1. Rate ist bereits in 83 Prozent, die 2. Rate aber erst in 50 Prozent aller Fälle abgewickelt. Die Abwicklung wird deshalb zumal für jedes Jahr nur ein bestimmter Betrag zur Verfügung steht, noch längere Zeit in Anspruch nehmen, so dass mit der Auszahlung des Aufstockungsbetrages vorläufig leider noch nicht gerechnet werden kann.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 7. September 1956.

Samland, ein großer, lieblicher Garten. Aus den „Sommeridyllen vom samländischen Ufer“ von Ferdinand Gregorovius.

Eine Wanderung in Sommertagen längs diesem Ufergürtel ist wie ein Spaziergang durch einen großen, lieblichen Garten. Der Charakter der Gegend ist ganz idyllische Anmut, fast idyllischer als der von Rügens Küsten, auf denen der redselige Pastor Kosegarten seine „Jucunde" dichtete. Die Natur türmte hier weder Kreidefelsen noch Granitblöcke auf: sie bildete eine ihrer jüngsten Formationen, ein geschichtetes Sandufer und hier und da bizarr gestaltete Kegel von Ton und Ocker und zerrissene Vorberge, meist aber nur sanfte Uferabhänge von 80 bis 100 Fuß Höhe, welche zum Teil üppiger Pflanzenwuchs bedeckt. Dort blüht in malerischen Ranken die Winde, das gelbe Labkraut, die Erdbeere und die Brombeere, die stattliche Weidenrose (Epilobium) pflanzt dort ihre rote Blütenpyramide auf, die Campanula wiegt ihre blauen Glocken im Seelüftchen und der bräutliche Rosmarin wuchert auf den Heidebergen. Wenn die Töchter der kristallenen Tiefe und die Erdentöchter Königsbergs aus dem Bade steigen, können sie die zarten Glieder auf dem weichen Sande gemächlich lagern und ungestört Kränze winden.

 

Das baltische Gestade ist von einer reizenden Harmlosigkeit und Verschwiegenheit, wie eine Schäferstunde. Die Wellen wiegen sich in dem melodischen Rhythmus fort und ziehen weiße Schäume ans Ufer, dann und warm schrillt eine flatternde Möwe, der einzige Seevogel jener wenig belebten Küste, dann und wann wirft die Woge den Tang aus und mit ihm ein blitzendes Stück Bernstein, ein Geschenk für ein putzsüchtiges Menschenkind; selten taucht der Seehund aus dem Wasser und sonnt sich auf einem Stein. Hier und da streicht ein Fischerkahn über die blaue See, die Netze auszuwerfen, und ein vorübersegelndes Schiff, ein Kauffahrer, der nach Riga oder Petersburg segelt, mit den Barbaren zu handeln, erscheint am fernsten Horizont, mit dunklen Masten vorüberschwebend, gleich dem Nebelbilde eines fliegenden Holländers, von der Küste hinweggewiesen durch das warnende Wandelfeuer des Leuchtturms von Brüsterort. Niemand entzieht sich der stillen Poesie dieser baltischen Küstenoase. —

 

Begleiten Sie mich zu den Sassauer Bernsteingruben (natürlich sind sie nicht die einzigen der Küste). Der Weg führt durch ein anmutiges Tal, welches nach der Landseite zu malerische Bergpartien abschließt, über einen Bach, die weißen Sanddünen hinauf. Wir halten hier an und blicken auf ein seltsames Schauspiel hinunter, auf ein offenes Bergwerk hart am Meer. Das Sandufer ist vom obersten Rande senkrecht 100 Fuß hoch abgegraben. Die steile weiße Wand flimmert wie eine polierte Marmorfläche, mit gelben, schwarzen, schneeweißen, rotbraunen Adern und — unten ein Gewühl von Arbeitern, von Männern, Weibern, Kindern. Ein Teil gräbt noch in die Tiefe, um auf die schwarze Bernsteinerde zu kommen; andere karren den ausgegrabenen Sand, in langen Reihen hintereinander, auf dem Bretterstege bis ans Meer, wo die Karren umgestürzt werden und die ausgeworfene Erde bereits einen hohen Wall gebildet hat, welcher gegen das Andrängen der Nordflut schützt.

 

Der Aufseher sitzt vor seiner Strohbude. Die Gruppen geben ein höchst malerisches Bild, zu welchem Himmel, Düne und Meer den Rahmen bilden. Die roten Kopftücher der Weiber, die weißen Hemdärmel, der blaue oder grüne Wollenrock bringen bunte Farben in dies Gemälde, und in manchem herkulischen Fischer mit seinen nackten muskulösen Armen, die knarrende Karre schiebend oder den Spaten einsetzend, möchten Sie einen Masaniello des Nordens erblicken. Wenn die Vesperstunde kommt (das Avemariaglöckchen hört man freilich nicht) und sich die Gruppen lagern, gibt das pittoreske Bild, von oben beschaut, einen gar schönen Anblick. Sehen Sie, dort weiterhin ist das Strandbergwerk bereits vollendet und der Bernstein wird schon aus dem Humus gegraben oder vielmehr gestochen; vorsichtig setzt der Gräber seinen langen. Spaten ein, dessen Eisen nur einen Zoll breit und etwa sechs Zoll lang ist; er durchsticht langsam die Erde, um den Stein abzulösen, der freilich oft genug zerstoßen wird.

 

Das bunte Leben scheint sich heute an dieser Stelle zu konzentrieren; dort weiterhin kämpfen eben Fischer mit der Brandung, ihre mit vollen Netzen beladenen Kähne ans Ufer zu bringen. Sie haben Flundern und Dorsche, den gewöhnlichen Fisch jener Küste, gefangen, auch wohl einige Störe und wenige Butten. Die Kähne werden an den Strand gezogen und die Fische zum Teil auf der Stelle ausgeweidet, wobei die fernwitternde Krähe mit Geschrei herbeigeflogen kommt, die Fischeingeweide vom Sande aufzulesen. —

 

Schlagen wir uns seitwärts nach der Seeküste zu. Gleich von Rauschen ab westlich fort beginnt das Ufer steil und waldig zu werden. Hier drängen sich die schönsten Gruppen zusammen, Partien, welche ihnen vielleicht schon aus Abbildungen bekannt sein werden. Tiefe Schluchten, wie sie Rügen hat, zerreißen hier das Gestade und bilden groteske Uferformationen. Zunächst liegt die Gossuppschlucht, ein dichtes Waldgelände mit einer quelldurchrieselten, in das Meer hinabgehenden Kluft, deren eines Ufer sandig ist, während das andere von den schönsten pittoresken Waldgruppen überdeckt wird. Von hier wandert man immer hart am Ufer durch einen Wald nach dem einsam gelegenen Waldhäuschen. Überall gibt es hier Schluchten und Ruhepunkte am Ufer unter Tannen und Eichen, von wo aus man einen herrlichen Blick auf das Meer und das ausgebuchtete Gestade genießt. Dann führt der Küstenweg nach der Schlucht von Georgenswalde. Sie ist eine der schönsten des Samlandes, weil sie eng zwischen steilen Uferwänden in den mannigfachsten Windungen fortläuft, überwölbt von himmelanstrebenden Buchen und breit-wipfligen Eichen und umrankt von blühendem Gestrüpp, während nach der See zu das Ufer wild herunterstürzt und hier und da eine Sandkuppe aufragt, auf welcher ein halbentwurzelter Baum als verlorener Posten steht.

 

Seite 5   Schloss Neidenburg.

Die alte Burg der Neide,

Der Heimat Stolz und Freude,

Sie will ich preisen hoch.

Ich bin aus ihrem Turme

Ein Falk, der sich im Sturme

Ins weite Land verflog.

Ferdinand Gregorovius (Aus dem Schloss Neidenburg gewidmeten Preisgesang)

 

Seite 5   Steuermann sein!

Wir müssen dahin kommen, dass unser Leben leuchtet. Ein leuchtendes Leben führen, ist das Beste und Höchste.

 

Die meisten Menschen sind nur Matrosen an Bord ihres Lebensschilfes — und sollten doch Reeder und Steuermann sein. Wir gehen hellen Blickes in den Herbst und in den klaren Winter hinein mit dem Gedanken, nicht dass die Stürme an unserem Haus vorbeigehen mögen, sondern, dass wir sie bestehen.

 

Es liegt Größe darin, dass der Mensch in der tiefsten Not Gott anruft, Gott, das heißt das Scheueste, Heiligste, was in seiner Seele lebt. Dass er seine Ohnmacht erkennt und seinen Stolz fahren lässt.

 

Das sind die gewöhnlichen Menschen, die alle Blumen der Freude mit Bierkrügen umstellen müssen.

 

Den ersten Dienst, uns auf die Welt zu bringen, leisten uns andere. Ebenso den letzten, uns in den Sarg zu legen. Dazwischen liegt unser Dienst.

 

Du kannst dein Leben nicht verlängern noch verbreitern. Du kannst es nur vertiefen.

 

Wieviel Freude schläft in uns, und wir wecken sie nicht!

 

Wir sind der Welt jeden Tag ein freundliches Gesicht und ein freundliches Wort schuldig.

 

Ich weiß, dass es kein blindes, sondern ein weitsichtiges Schicksal ist, das über mir waltet, und dass es mich behält, wenn ich mich noch nicht vollendet habe. Und ich fühle stark, dass noch viele Stufen vor mir liegen.

 

Ich bin Gott nahe, so nahe, dass ich glaube, dass auch er mir nahe ist. Ich glaube an seinen Willen und an seinen Weg. Ich glaube, dass er jeden Menschen vollendet, soweit er ihn vollenden kann. In seine Hände habe ich mein Geschick gelegt. Gorch Fock

 

Seite 5   Aus unserer Bücherkiste.

Liebe Leseratten!

Heute eine gemischte Auswahl. Aber eine gute Mischung ist nicht das Schlechteste, frei nach Goethes „Wer vieles bringt“. Und Goethe musste es ja wissen. Da kommt uns zuerst ein Liederbuch in die Hand:

Freut euch in allen Landen,

Wiegen-, Weihnachts- und Neujahrslieder aus dem deutschen Osten.

 

Herausgegeben von Hermann Wagner, Voggenreiter Verlag, Bad Godesberg, 52 Seilen, farb, brosch. DM 2,40

 

Nun geht es draußen in den Gruppen langsam in die Herbst- und Winterarbeit, das Gemeinschaftsleben vollzieht sich nun größtenteils wieder in den Heimabenden, und der Pflege des Liedes, bleibt nun ein weiterer Raum als in den Monaten des Sommers. Große Feste zeigen sich an und wollen vorbereitet sein. Da kommt dieses Liederbüchlein gerade recht. Es bringt eine wohlabgestimmte Auswahl der schönsten Wiegen-, Weihnachts- und Neujahrslieder aus dem Liedgut des deutschen Ostens. Es sollte wenigstens in einigen Exemplaren in jeder Gruppe vorhanden sein.

 

Und hier das nächste Buch: Alles um eine Maus. Von Walter von Sanden-Guja, Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart, 72 Seiten, Ganzl. DM 4,80.

 

Ein einmaliges Erlebnis schildert uns hier der ostpreußische Schriftsteller Walter von Sanden. Es dreht sich, wie der Titel schon sagt, alles um eine Maus. Aber um eine Maus ganz seltener Art, eine Birkenmaus, die von dem Verfasser als erstes lebendes Exemplar in Mitteleuropa auf seinem Gut in Ostpreußen gefunden wurde. Trotz ihrer Kleinheit ist sie der Held des Tages und setzt Gelehrte, Forscher und Tiermaler aus ganz Deutschland in Bewegung. Ein Buch, das wie kein anderes geeignet ist, die Liebe zum Tier zu wecken. Wir möchten es recht vielen unserer jungen Leser auf dem Geburtstagstisch wünschen.

 

In das große Abenteuer entführt uns das dritte Buch:

 

Fred Larsen, Old Jed, der Trapper, mit Büchse und Falle im Westen, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh, 280 Seiten, Halbl. DM 6,80.

 

In diesem spannungsreichen Abenteuerbuch werden die Erlebnisse einer Gruppe von Fallenstellern erzählt. Es spielt in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im fernen Westen Nordamerikas und schildert das harte, entbehrungsreiche Leben der Trapper inmitten vielfältiger Gefahren, die von den feindlichen Indianerstämmen und aus der Wildnis drohen. Hunger, Kälte und Durst zeigen ihre Schrecken; aber sie dringen durch, entdecken neue Landschaften, Gebirge, Quellen und Flüsse. Der Verfasser, der mit seinem Buch „Männer im roten Rock" bekanntgeworden ist, hat selbst viele Jahre unter Fallenstellern gelebt. So lernte er ihren romantischen, traditionsreichen und doch so harten und gefahrvollen Beruf aus eigener Anschauung kennen. Er erlauschte an den Lagerfeuern die alten Geschichten aus der amerikanischen Pionierzeit und durchstöberte alle erreichbaren Quellen aus dieser Zeit. So erstand dieses Buch, das als das Trapperbuch schlechthin zu bezeichnen ist. Weit über hundert ein-, zwei- und mehrfarbige Abbildungen und Karten begleiten und ergänzen den Text in anschaulicher Weise. Ein Buch, das jeder Junge gelesen haben muss. Gert und Ute

 

Seite 5   Weißt du ...

… dass der seltsame Name „Treudank" des südostpreußischen Grenzlandtheaters in Allenstein seinen Anlass in der Volksabstimmung 1920 in Masuren zugunsten Deutschlands hatte. Zum Dank für diese Treue stiftete das Deutsche Reich dieses Theater. 

 

Seite 5   Mit Büchern auf Fahrt!

Das große Fahrt- und Lager-Handbuch. 400 Seiten, Fotos, Farbtafeln, 200 Abbildungen, Ein großartiges Nachschlagewerk für alle Fahrt- und Lagertechniken. Von der Fahrtenvorbereitung bis zum Morseapparat, Baustil, Kochrezepte, Zeltbau, Kompasskunde usw. Dazu ein komplettes Lager-Programm für 4 Wochen. DM 4,80

 

Waldläufer-Handbuch I u. II. Jeder Band 330 Seiten, 300 Abbildungen. Diese beiden Taschenbücher zeigen gründlich alle Kenntnisse und Handfertigkeiten, die ein echter Junge und Pfadfinder beherrschen muss. Jeder Band in sich abgeschlossen, je DM 4,80

 

1000 Jugend-Spiele. Spielhandbuch für Jungen und Mädchen, für Heim und Sportplatz. 360 Seiten, 500 Abbildungen. Mit diesem weitverbreiteten Spielhandbuch ist Langeweile unmöglich! 1700 Spiele aller Art mit über 3600 Anregungen! DM 4,80

 

Beliebte ostpreußische Jugendbücher!

Wolf der Struter, von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Deutschen Ritterordens in Preußen. DM 3,80

 

Tatarensturm, von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Großen Kurfürsten, die den Einfall der Tataren schildert. DM 3,80

 

Ost- und Westpreußischer Sagenborn, von Jochen Schmauch. Auf 68 Seiten die schönsten Sagen unserer Heimat, mit zahlreichen Illustrationen versehen. DM 3,90

 

Diese und alle anderen Jugendbücher durch Ostpreußen-Buchdienst. Elchland-Verlag, Göttingen/Postfach

 

Seite 6   Gedenkblatt des Monats.

Ferdinand Gregorovius (Foto)

Am 1. September 1956 jährt sich zum 65. Male der Todestag des ersten ausländischen und zugleich ersten evangelischen Ehrenbürgers der Stadt Rom, des ostpreußischen Historikers Ferdinand Gregorovius.

 

In Neidenburg am 19.01.1821 geboren, war er zunächst Schüler des Gumbinner Gymnasiums, studierte dann in Königsberg Theologie, Philosophie und Geschichte. Schon der junge Student fühlte einen starken Hang zur Dichtung. Sein freiheitlicher Geist erwärmte sich an dem Schicksal der unterdrückten Polen; aus dieser romantischen Schwärmerei, von der die gesamte Literatur jener Epoche gezeichnet ist, entstand sein erster Roman „Werdomar und Wladislav" (1845) und die „Polen- und Magyarenlieder" (1849). Die nächsten, noch in der Heimat geschriebenen Werke aber verraten schon den Historiker und seine Bestimmung („Kaiser Hadrian" und „Der Tod des Tiberius"). 1852 ging Gregorovius nach Italien und widmete sich in den folgenden Jahrzehnten ganz der italienischen Geschichte und Landeskunde. Ein reiches Schaffen kennzeichnet seinen Weg, in dessen Mittelpunkt das achtbändige Werk über die „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" steht. Dieses Werk gilt als Hauptwerk Gregorovius, von dem man mit Recht sagt, dass es fast wie ein Epos wirkt und bis in die Gegenwart hinein lebendig ist. Viele Auflagen hat es erlebt. Ähnliche Wirkungen riefen seine „Wanderjahre in Italien" (5 Bände) hervor, die ihn als erstaunlichen Naturschilderer ausweisen. In seinem Alter schrieb er auch die „Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter". Als Dank für sein großes geschichtliches Werk, das er der Stadt am Tiber schenkte, ernannte ihn Rom zu seinem Ehrenbürger. Dennoch hat Gregorovius niemals seine ostpreußischen Heimat verleugnen können. Immer wieder, in seinen „Wanderjahren", seinen Tagebüchern und Briefen finden wir Vergleiche mit den Schönheiten seiner Heimat. Die römischen Ufer „sind anmutig wie der baltische Strand meiner Heimat". „Die baltische Küste und die lateinische verhalten sich so zueinander wie ein schönes, naturfrisches Volkslied zu einer klassischen Idylle des Theokrit.“. „Jene bizarren Ufer von Groß- und Kleinkuhren überwiegen an großartiger Form weit alles, was dieser lateinische Strand besitzt“. Das schönste Denkmal aber setzte er seiner Heimat mit dem im ersten Italienjahr entstandenen elfstrophigen Gedicht. In einer Tagebuchaufzeichnung vom 11. Dezember 1864 bekennt er „Das ehrwürdige Schloss war ein großer Faktor in meiner kleinen Lebensgeschichte – es geht davon ein Bezug auf die Engelsburg in Rom. Ohne jene Neidenburger Rittertürme hätte ich vielleicht die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter nicht geschrieben“.

 

Ferdinand Gregorovius, einer der größten Söhne unserer Heimat, starb am 01.09.1891 in München.

 

Seite 6   Sagen aus dem Samland.

Das Bernsteinrecht.

In der frühesten Zeit war es jedem frei, den von der See auf den Strand geworfenen Bernstein zu sammeln; als aber die Brüder des Ordens das Land in Besitz nahmen, erkannten sie, welch großen Nutzen sie aus dieser Meeresgabe ziehen könnten, wenn sie sich das alleinige Sammelrecht vorbehielten. Bruder Anselmus von Losenberg, der Vogt auf Samland, ließ daher ein Gebot ergehen, dass jeder, der unbefugt Bernstein sammle, mit der Strafe des Stranges belegt werden solle.

 

Die Preußen aber, deren viele ihren Unterhalt vom Bernsteinhandel fristeten, die Fischer insbesondere, denen der Bernstein oft beim Fischen in die Netze kam, kehrten sich nicht an dieses Gebot. Da ließ der Vogt jeden, der beim Sammeln ergriffen wurde, ohne weiteres Urteil und Recht, an den nächsten Baum knüpfen.

 

Für diese Tat aber hat Anselmus keine Ruhe im Grabe gefunden. Noch Jahrhunderte später hat man wiederholt seinen Geist am Strande umherwandeln sehen, und seine gequälten Rufe „O um Gott, Bernstein frei! Bernstein! klangen schaulich über Dünen und Meer.

 

Im Jahre 1523 ereignete es sich, dass einige Strandbauern, denen der damalige Hochmeister Albrecht das Salz, was sie sonst bekommen, vorenthielt, aus Not etliche Stücke Bernstein auflasen und an Bürger in Fischhausen verkauften. Dies wurde ruchbar, und die Täter wurden hart gestraft. Seit der Zeit aber nahm die Menge des Bernsteins so ab, dass man kaum den tausendsten Teil von den früheren Erträgen gewann. Wohl sah man ihn noch in großer Menge am Ufer schwimmen, wenn man aber mit den Fangnetzen hinzukam, war er verschwunden. Da meinten die Brüder, Gott habe ihnen diese köstliche Gabe nicht ferner gegönnt.

 

Die Belagerung von Fischhausen.

Zur Zeit Christians, des zweiten Bischofs von Samland, versuchten es die heidnischen Rinauer abermals, die Burg Fischhausen einzunehmen. Als sie vor die Burg kamen, war es gerade Mittag, und der Bischof mit allen seinen Getreuen lag in festem Schlaf. Die hölzerne Pforte war nur mit einem Riegel, der mittels eines Riemens aufgezogen werden konnte, verschlossen, und der Riemen hing allen sichtbar herab, so dass die Pforte ohne alle Mühe geöffnet werden konnte.

 

Die Angreifer aber waren so mit Blindheit geschlagen, dass sie diesen Riemen nicht gewahrten, und zudem noch schien es ihnen, als ob die Pforte von Erz geschmiedet sei. Inzwischen erwachte der Burgwart und riss die Belagerten mit lauten Rufen aus ihrem Mittagsschlaf: Der Feind ist da! Der Feind ist da!

 

Das erschreckte die Rinauer so, dass sie eiligst die Flucht ergriffen, wähnend, dass die Burg von einem großen Haufen Kriegsvolk besetzt sei, während aber nur wenige Getreue um den Bischof versammelt waren.

 

Zum ewigen Andenken an diese wunderbare Errettung ließ man die Pforte vermauern.

 

Seite 6   Wissen um die verlorene Heimat.

Unter dem Motto „Wissen um die verlorene Heimat" veranstaltet der Bund der Kaufmannsjugend im DHV einen Wettbewerb. Die Kaufmannsjugend ist aufgefordert, über eines von 24 gestellten Themen ihren Gedanken und ihrem Wissen nach eigener Art und in selbstgewählter Form Ausdruck zu geben. Der DHV geht dabei von der Überlegung aus, dass die Älteren noch das Bild des deutschen Ostens unauslöschlich im Herzen tragen, die Jüngeren dagegen sehr wenig von der Veränderung kennen, die sich in den letzten zehn Jahren dort unter fremder Verwaltung vollzogen hat.

 

Die besten Arbeiten werden mit Buch- und Bildpreisen bedacht. Einsendungen werden bis zum 30. November dieses Jahres von der Schriftleitung „Blätter für junge Kaufleute" im DHV, Hamburg 1, Ferdinandstr. 59 entgegengenommen, die auch Einzelheiten und Bedingungen dieses Wettbewerbes auf Anfrage mitteilt.

 

Seite 6   Wolf der Stuter. Erzählung aus der Zeit des Deutschritterordens in Ostpreußen. Von Max Worgitzki. Copyright by Holzner-Verlag, Würzburg. (6. Fortsetzung)

Aber noch leuchteten die Wundmale an seinen Händen und Füßen blutrot, als er in der Wildnis erschien, und wer von den Heiden sie erblickte, dem stieß lähmendes Entsetzen ins Herz. Denn überall in den Hütten flüsterten sie mit scheuen Stimmen von dem Wunder, das da geschehen war. Und wer ihm leibhaftig begegnete, nahm wehrlos den tödlichen Streich hin, den die gezeichnete Hand so sicher führte wie Pikollos, der Gott des Todes, selbst.

 

Noch viel ließ sich von solch schwerem Schicksal erzählen, das den, den es traf, in die Wildnis trieb und den Strutern zuführte. Und mochte auch manches erdichtet sein, der Wirklichkeit kam selbst die Dichtung nicht gleich. Denn niemals ist der Mensch erbarmungsloser und schrecklicher, als wenn er für seine Götter kämpft. Aber auch anderes barg sich in der Brust der Männer, die da am Helledanger Moor unter dem Laubdach der alten Eiche beisammen saßen. Da war Tönnchen, ein kleiner, rundlicher Mann mit einem roten, freundlichen Gesicht und lustig blitzenden Augen. Am Lagerfeuer führte er das große Wort und wusste viel zu rühmen von jenen herrlichen Zeiten, da er noch das ehrenfeste Handwerk eines Seeräubers betrieb, über die Weiten des Meeres dahinflog und ungezählte Heldentaten verrichtete. Unerschöpflich war der Brunnen seiner Geschichten, aber so bunt und drollig sprangen sie hervor, dass der Erzähler stets fröhliche Hörer fand und allen ein lieber Geselle war. Im Kampf war er tapfer und zuverlässig und an listiger Verschlagenheit war ihm niemand gewachsen. Fern im Deutschen Reich, am Ufer der grünen Weser aber, gab es ein stilles Kloster, das wusste nichts von Seeräubern und Strutern, wohl aber von einem Bruder Antonius, dem der Versucher gar zu oft auf dem Grunde eines immer und nimmer leeren Humpens erschien, also dass er schließlich ganz und gar bezwungen Word und bei Nacht und Nebel der strengen Zucht des Klosters entsprang.

 

Und wieder ein anderer saß da, das war Tönnchens treuester Kumpan und sein vollendetes Gegenstück. Zierlich war er und schlank und beherrscht in jeder Bewegung. Auch seine Kleidung zeugte von Sorgfalt und Pflege, soweit die Wildnis sie zuließ. Und da er nie andres als ein schwarzes Gewand trug, da ihn noch niemand hatte lachen sehen und seine Augen oft wie erloschen schienen in dem stillen, feinen Gesicht, so hatte ihm der derbe Scherz der Struter den Namen „Leichengraf" gegeben. Aber keiner von ihnen wusste, dass der Leichengraf unter dem Koller auf der bloßen Brust eine goldene Kapsel trug, die ein zartes auf Schmelz gemaltes Frauenbildnis umschloss. Und auch das Schicksal zweier Menschen umschloss es. Das aber kannte nur Gott. Er allein wusste auch, was alle die andern in die Wildnis getrieben, Lipe den Fuchs, Sauzahn, Gockel, Matz Schluck, Nickel Eisenhut, Idwedo und wie sie alle heißen mochten. Viele waren unter ihnen, die wieder gutmachen wollten, was sie einst gefehlt, aber auch manch hart gesottener Sünder. Nur eines war ihnen allen eigen, sie hielten auf Struterehre, tapfer und furchtlos, und der Genossenschaft bis in den Tod getreu.

 

Solcher Art also war die Gesellschaft, die am Helledanger Moor versammelt war und auf Wolf wartete. Immer noch sprang das Gespräch munter im Kreise, als Unsatrape plötzlich die Hand erhob. Sofort war es still.

 

„Wolf kommt! Nein... Wolf und Wolfson!"

 

Nichts war zu sehen, aber ihre feinen Ohren vernahmen es alle. Da schritten zwei Menschen durch den Wald und kamen näher. Die Struter blieben ruhig sitzen und taten gleichgültig. Denn alten Kämpen geziemt es ja nicht, neugierig zu sein. Nur ein wenig reckte und drehte ein jeder den Hals, um Wolfs jungen Gesellen zu erspähen.

 

Jetzt tauchten die beiden aus der grünen Dämmerung auf und betraten die Lichtung. Wolf schritt voran und hinter ihm sein getreues, wenn auch verkleinertes Abbild.

 

„Heil!" rief Wolf, als sie in den Kreis traten. „Heil! wackere Struter und liebe Genossen!"

 

Auch Jörge hob die Hand und rief sein Heil, und fröhlich gab die Schar den Gegengruß.

 

Tönnchen aber lachte über das ganze Gesicht.

 

Na also, da ist er ja, der Wolfsjunge! Doch du, Wolf, bist mir ein rechter Freund! Immer haben wir den armen Einsiedler bedauert und wunder was geglaubt, das dir Schweres im Herzen säße. Jetzt habt ihr's, Freunde. Eine Wölfin war's und ihre Brut. Und wir sollten nur nichts wissen!"

 

Wolf wandte sich dem Spötter zu und fiel ihm freundlich und doch voll tiefen Ernstes in die Rede.

 

„Du irrst, Tönnchen. Der Tod hat mir den Knaben zugeführt. Und der mir ihn hinterließ, war mir ein lieber und getreuer Freund, den die Heiden erschlugen. Drum kann nur der Tod uns beide wieder trennen“.  

 

Nun winkte Unsatrape leicht mit der Hand und sprach in die Stille: „Er soll uns willkommen sein! Und ist er's auch nicht, so wollen wir ihn doch halten als deinen Sohn“.

 

„Ja!" stimmten die Struter freudig zu, und alle blickten mit Wohlgefallen auf den Knaben, der kräftig und wohlgestaltet in ihrer Mitte stand, mit der stolzen Haltung eines jungen Kriegers und der Bescheidenheit der Jugend. Tönnchen aber sprang auf und streckte Wolf die Rechte hin.

 

„Nimm's nicht übel, Wolf! Ich hätte dir ja von Herzen gern eine Wölfin und ein ganzes Nest voll Jungen gegönnt. Aber wenn ich irrte, so muss es auch so gut sein. Du aber", und damit fuhr er auf Jörge los und riss ihn an sich, „du mein schmucker lieber Bursch, sollst mir darum doch Wolfson sein, wie sie dich jetzt schon in der Wildnis heiße. Und so soll, was bisher uns beide verband, den grimmigen Wolf und das lustige Tönnchen, fortan uns drei verbinden, fürs Leben bis zum Tod. Ist's recht so?"

 

Jörge schaute verwirrt in das treuherzig lächelnde Gesicht des seltsamen Gesellen, die Röte der Freude stieg ihm in die Wangen, und zustimmend nickte er ein frohes Ja. Aber, die Struter erhoben laut Einspruch.

 

„Ha, nein!" krähte Gockel, den sie seiner Stimme wegen so nannten.

 

„Nicht euch drei allein! Uns alle, soll's verbinden“.

 

Auch er erhob sich und reichte dem Knaben die Hand. Und ihm gleich taten alle übrigen. Selbst der Leichengraf schritt steif und feierlich auf ihn zu. Befremdet, mit leichtem Bangen schaute Jörge ihm entgegen. Als er jedoch seinen Händedruck verspürte, wurde es ihm wieder warm ums Herz. Das war Freundschaft, die der Worte nicht bedurfte. Mit ehrfürchtigem Staunen aber stand er jetzt, als dem letzten, vor Unsatrape. Jörge war nicht klein für seine Jahre, und doch musste er hoch hinauf sehen, um dem Blick der blauen Augen zu begegnen, die mit gütig prüfendem Ernst die seinigen suchten. Der Preuße legte seine narbige Hand auf den blonden Scheitel des Knaben und sprach:

 

„Gottes Ehre ist deine Ehre. Ich grüße dich als jüngstes Glied unserer Genossenschaft. Du wirst dich ihrer wert erweisen!"

 

„Das wird er!" riefen die Struter rundum mit hallendem Beifall. Jörgen aber brannten die Worte Unsatrapes, des Preußen, der für Christus, seinen Herrn am Kreuze gezeugt hatte, wie Feuer in der Brust, um nie mehr zu erlöschen. (Fortsetzung folgt)

 

Seite 6   Das Leben.

Ein Gastmahl ist dein Leben:

Nimm, was dir wird gegeben;

was nicht ist da,

was dir nicht nah,

erbettle nicht,

erwarte, bis es dir gegeben —

Sei froh, und wenn die Nacht anbricht,

dann bange nicht,

steh freudig auf und danke für dein Leben.

Johann Gottfried Herder

 

Seite 6   Liebe Freunde!  

Zum siebenten Male kommt nun „Die Kogge“ zu Euch, Grund genug, wieder einmal ein Lebenszeichen von mir zu geben. Die Sieben ist eine Zahl voller dunkler Geheimnisse, geheime Kräfte werden ihr zugesprochen, in Magie und Zauberei spielte sie eine bedeutungsvolle Rolle. Nicht umsonst heißt es im Sprichwort: „Alle sieben Jahre ändert sich der Mensch“; und die Natur gibt ihm recht. Mit sieben tritt der Mensch in das bewusste Kindesalter, mit 14 in das Jünglingsalter, mit 21 in das Mannesalter. Warum also sollte nicht auch „Die Kogge" nach ihrer siebenten Fahrt überholt und neu aufgetakelt werden? Das ist die Frage, mit der ich mich heute an Euch wende. Was können wir tun, um die Fahrten noch erlebnisreicher und eindrucksvoller zu gestalten?

 

Was möchtet Ihr gerne auf diesen Seiten lesen, was bislang nicht oder nur wenig zur Geltung kam?

 

Das schreibt mir mal, und dann soll es frohen Mutes auf neue Fahrten gehen. Bedenkt auch, dass jeder von Euch selbst an der Gestaltung beitragen kann; mit Fahrt- und Lagererlebnissen, Zeichnungen, gelungenen Fotos oder mit Geschichten und Aufsätzen zu dem Thema „Was weißt du von daheim?" oder auch nur mit Anregungen.

 

Ich würde mich freuen, wenn bergeweis die Briefe bei mir eingingen. Wenn „Die Kogge" das nächste Mal ausbleibt, bin ich darunter erstickt. Euer Hanns

 

Seite 7  Otto Chrost will Deutschland „erfahren“. Sein Ziel: 500 000 Kilometer.

Foto: Das ist Otto Chrost mit seinem sagenumwobenen Fahrrad Foto: Jaquet.  

Wer das nebenstehende Bild sieht, erinnert sich vielleicht, von dem wunderlichen alten Manne gelesen zu haben, der ein fast monströses Fahrrad besitzt, das ihn seit Jahren durch die Welt fährt. Im Juni berichteten wir schon über ihn, und inzwischen ist er so etwas wie ein bekannter Mann geworden; die Zeitungen interviewen ihn, der Rundfunk holte ihn und ließ ihn seine Abenteuer erzählen, und oftmals verursacht sein Erscheinen einen Menschenauflauf.

 

Kaum weiß man, was man mehr anstaunen soll, das Fahrrad oder seinen Besitzer, den Ostpreußen Otto Chrost. Die Jugend stürzt sich vorwiegend in die Besichtigung des Stahlrosses. Selbst wenn alle die Auf- und Anbauten daran fehlten, würde es schon Aufsehen erregen; denn es ist besonders groß und schwer gebaut und hat mächtige Reifen. Das technische Zubehör verdient ein eingehendes Studium. Es handelt sich zwar um ziemlich bekannte Errungenschaften, auf einem Fahrrad jedoch sind sie nicht alltäglich. Da ist zuerst einmal die Stabantenne, die vorne angebracht ist und den Empfang der Sendungen ermöglicht, die den Radler auf seinen einsamen Fahrten unterhalten. Der Lautsprecher sitzt in einem kleinen Gehäuse, das eigentlich für einen Scheinwerfer bestimmt ist. Den Empfänger bastelte ihm ein Freund und brachte ihn in einer Büchse unter, die die Größe einer schmalen Konservendose hat.

 

Außer diesen unterhaltsamen Tönen stellt Otto Chrost aber auch zuweilen Klänge an, die seiner Sicherheit dienen sollen: An der rechten Lenkstange ragt ein elektrisch betriebenes Horn in die Luft, und zwei Klingeln sind ihm beruhigender als eine. Bei einer solchen technischen Vollkommenheit nimmt es nicht Wunder, dass auch eine Uhr eingebaut ist, Rückspiegel und Tachometer sind schon beinahe selbstverständlich.

 

Der Kilometerzähler ist für Opa Chrost in gewisser Hinsicht zugleich ein Zeitmesser, jedenfalls was die Dauer seiner weiteren Reise anbelangt. 500 000 km soll die Strecke lang werden, die er radelnd zurücklegt. Rund 330 000 hat er davon schon geschafft, und zwar seit dem Jahre 1949. Er ist darüber fast 70 Jahre alt geworden und erfreut sich bester Gesundheit. Nur ungewöhnlich strenge Kälte kann ihn dazu bewegen, für eine Weile zu ruhen und das Ross in den Stall zu stellen. Sonst geht es jahraus, jahrein durch die Lande. In der Bundesrepublik gibt es kaum eine Straße, kaum einen Weg, die er nicht kennt wie einen guten Freund. Die großen und kleinen Orte sind ihm vertraut, und er liebt die Natur, die Blumen und Teiche, die Sonne und den Wind. Braun und fest wie Leder machte das Wetter seine Haut, mit frohen munteren Augen betrachtet er, was an seinem Wege liegt.

 

Zwei Jahre lang glaubt der unternehmungslustige Mann zu radeln, bis er sein Ziel, die

500 000 km, erreicht hat. Seine Tour hat ihn schon durch Italien geführt, er bereiste Frankreich und Österreich, besuchte Belgien und sah sich Holland an. Zwischendurch kommt er immer wieder in die Bundesrepublik. Nach dem Kriege konnte er nicht in seine Heimat Ostpreußen zurück und entschloss sich, die Welt auf diese ungewöhnliche Weise zu durchstreifen. So lebt er sein Leben.

 

Er lebt sein Leben und wird gefragt, wovon er lebt. Da gibt es gelegentlich Firmen und auch Radfahrverbände, die ihm helfen, sein Leben zu fristen, und zuweilen kommt ein Honorar einer Zeitung dazu. Otto Christ ist ein bescheidener Mensch, der nicht von materiellen Gütern abhängig ist. Er übernachtet immer in Herbergen und hat keinen unnötigen Ballast. Und für alles Notwendige reicht es dann gerade so aus.

 

Wer ihm einmal begegnet, erkennt ihn gewiss sofort. Er trägt eine weiße Rennfahrermütze, sein Gesicht ziert ein weißer Bart, und die linke Lenkstange trägt viele Wimpel. Auch das vordere Schutzblech ist mit kleinen Wimpeln geschmückt, die lustig im Winde vor ihm flattern und durch die Jahreszeiten hindurch. Otto Chrost ist glücklich und zufrieden. Er hat sich seine Aufgabe gestellt, die ihn ganz erfüllt und ihm zudem Freude macht.

 

Wenn ihn sein Rad zu Landsleuten führt, freut er sich ganz besonders. Vielleicht lernt der eine oder andere unserer Leser ihn einmal kennen. Und wenn es Ihnen Spaß macht, davon zu erzählen, schreiben Sie uns!

 

Seite 7   Wiedersehen nach 25 Jahren. Ein nicht alltägliches Jubiläum.

Ein altes, schönes, geräumiges Bauernhaus in der Heide ist der Treffpunkt, hier lebt die eine Klassenkameradin mit ihrem Mann und den Kindern. Silberabitur soll gefeiert werden. Nur zwei von unserer alten Oberprima gymnasialis fehlen, eine ist jung gestorben, die andere ist Ärztin und kann ihre Patienten nicht verlassen. Vielleicht gehört sie darum gerade besonders zu uns. Als ich ankomme, sind schon einige da, in der weiten Diele empfängt mich meine Freundin, schnell will ich zu den anderen, stolpere über die Schwelle und fliege zwischen die Kameradinnen von einst, unserem alten griechischem Lehrer fast vor die Füße. Im letzten Augenblick fängt mich meine Freundin auf, und wir lachen und lachen, und sie ruft nur immer: „Genau wie früher, Irma, genauso graziös wie früher!" Dann umarme ich den alten Griechen und die andern, und wir sehen uns an. Mein Mann hatte mir bei meiner Abfahrt zartfühlend gesagt, ich solle keinen Schreck bekommen, wie alt die andern geworden sind, „Du bist nämlich auch etwas älter geworden!" Der Gute! Als wenn ich das nicht wüsste! Ja, der Jugend Maienblüte ist bei allen mehr oder weniger dahin, aber der Kontakt, das Verstehen, die Freundschaft ist genau wie früher vom ersten Augenblick an, obwohl so viel dazwischen liegt, Verlust der Heimat, Untergang alles dessen, woran unser Herz hing, ja, vier von uns haben ihre Männer verloren, aber die alte Verbundenheit ist da, und was wohl das Schönste ist, es ist noch viel mehr da als früher.

 

Was waren wir für eine begeisterte Klasse, an der Spitze unser alter Griechenfreund, der all seine Helden, den listenreichen Odysseus, die edle Antigone, den göttlichen Achill vor uns auferstehen ließ und Plato, den ich nie begriff. Ich sah damals zwei weißen Tauben nach, die regelmäßig vor unserem Klassenfenster in den blauen Äther stiegen, bis mich die gütige Stimme von Dr. P. aus meinen freiheitssehnenden Träumen weckte: „Eilende Wolken, Segler der Lüfte, wer mit euch wanderte, mit euch schiffte! Fräulein Irmchen, können Sie nicht etwas mehr aufpassen?" Aber lesen konnte ich Griechisch! Und wir schmetterten die Chöre der Antigone, und auf den Ausflügen sangen wir zum Schrecken unserer Klassenlehrerin, die uns zur Weiblichkeit erziehen wollte, die alten Landsknechtslieder. Wir begeisterten uns wie nur je eine Jugend für alles Edle und Schöne, wir wuchsen ja in der von Idealismus geschwängerten Luft Königsbergs auf. Und unsere Aufsätze endeten immer, ob sie nun über den Frühling oder die Technik oder die Willensfreiheit des Menschen handelten: Und wie dies und jenes — das jeweilige Thema betreffende — immer wieder sich erneuert, so wird unser Vaterland auch wieder auferstehen! Nur unser Nuschken, der Glanz unserer Klasse, deren Klugheit so liebenswert ist, weil sie mit so viel Bescheidenheit gepaart ist, schrieb andere Aufsätze, die waren dichterisch schön, wunderschön. Und was sie damals versprach, hat sie gehalten.

 

„In der dunkelnden Halle saßen sie, sie saßen geschart um die Flammen", beginnt Agnes Miegels schönste Ballade. So sitzen wir jetzt in der alten Diele beim Kaminfeuer wie einst in Ostpreußen. Nuschken liest uns ihre Gedichte und Teile aus ihrem neuen Roman vor — der erste ist bereits gedruckt. Der Titel des Romans ist eigentlich das, was über unserem ganzen Zusammensein steht: Immer sind wir am Anfang. Ja, das fühlen wir, dies Verstehen ist wieder ein Anfang, ist wieder ein Neues, und wäre es nicht dieses, wäre dieses Zusammensein nur Erinnerung, dann wäre es nichts. Der Roman schildert den Weg einer Frau, die das Letzte sucht. Sehr dichterisch, sehr andeutend nur, aber der Leser fühlt, worum es geht. Und dies war es wohl auch, was über unserer ganzen Jugend lag. Wir suchten nach dem letzten Sinn; denn wenn der Rausch der Begeisterung einmal nachließ, blieb das Suchen. Und ich glaube, fast alle von uns, die wir hier, nur der Schönheit der Jugend entkleidet, beieinander sind, haben den Weg gefunden. Es ist Gespräch unter Menschen, aber es weist über dies Gespräch hinaus zu dem Größeren, und darum ist dies Neue der Gemeinschaft.

 

Natürlich sprechen wir auch über unser äußeres Erleben, und vor den Witwen werden wir andern sehr still in Hochachtung, wie sie ihr Leben mit den Kindern gemeistert haben, über letztere sprechen wir viel, und eine kann der anderen raten. Eine von uns erzählt von ihrem Sohn, der Theologie studieren will: „Er ist ein tiefgläubiger Mensch, aber er benimmt sich wie ein Wildschwein!" Es ist nicht das erste Mal, dass einer schwer den Weg vom Glauben zur Tat findet. Die Mutterliebe nimmt es nicht tragisch, er ist noch jung, und sie vertraut ihm. Die andere erzählt, dass ihr Fünfzehnjähriger von ihren dichterischen Ergüssen behauptet, die Gedanken seien gut, und die Muse habe sie auch geküsst, aber es sei eine verkrüppelte Muse gewesen! Ja, die neue, etwas selbstherrliche Generation ist nüchterner und kameradschaftlicher zu ihren Eltern, als wir es damals waren, aber es ist gut so, und sie ist darum nicht weniger und nicht mehr als wir, sie ist wie wir alle auf dem Wege. Die Kinder des Hauses wundern sich wohl über die temperamentvollen Stammesmütter und können wegen zu lauten Benehmens nicht mehr getadelt werden, weil das Beispiel versagt hat!

 

Ja, es ist merkwürdig, wir reden gar nicht so viel über Schulerinnerungen. Gewiss, sie klingen ab und zu auf, und dann gibt es ein Lachen wie in alten Zeiten. Wisst ihr noch, wie wir bei einer Geburtstagsgesellschaft solange auf den Tisch trommelten, bis die Kristallschüssel in zwei Teile zersprang und Britta mit der Unschuld der Besitzenden rief: „Ach, und es war unsere einzige unechte!" Ja, die Zeiten sind allerdings für uns vorüber, das Geld ist inzwischen bei den meisten knapp geworden, aber ich glaube, darum sind andere Güter in uns umso größer geworden, und das ist es, worüber wir sprechen. Dieses, die Heimat verloren zu haben, hat uns frei gemacht. Beim flackernden Feuerschein liest unsere Freundin noch einmal ein Gedicht, das sie auf ihren gefallenen Mann schrieb. Die letzten Verse lauten:

 

Wo bist du? — Manchmal springt ein Fenster auf

In einem fremden Raum. — Bist du darin?

Ein Sturm, der über Stoppelfelder jagt,

Ein Orgelspiel, das brausend auf mich stürzt,

Ein Sternbild, das stumm seine Straße zieht —

Dahinter liegt ein Raum …

Es gibt ein einzig Wort,

Die Weite dieses Raumes zu ermessen:

 

Freiheit!

Du bist darin — ich spüre deine Freiheit —

Unhörbar weht mir deine Stimme zu —

O hoher Trost, dass allen uns

Verheißen ist der helle Raum der Freiheit ....

Wir werden alle einmal Tote sein

Und voneinander nur noch so viel wissen

Wie Stimmen einer großen Orgel

In selbstvergessener Lust der Harmonie!

E. Schaudinn.

 

Am nächsten Morgen trennen sich wieder unsere Wege, jeder kehrt in eine andere Gegend Deutschlands zu seiner Pflicht zurück. Beim Abschied sagt unser liebenswürdiger Gastgeber, er habe jetzt doch wieder Hoffnung, dass Europa nicht untergehen wird, da es noch solche „Mutters" gibt.

Irma Blohm.

 

Seite 7   Nach 13 Jahren fand er die Eltern. Ausgleichsamt spielte Schicksal.

Rundewiese im Kreise Marienwerder ist die Heimat der Familie Sallner: Vater, Mutter und acht Kinder. Zwei Söhne fielen im Kriege, einer, Alfred, kam 1944 als Fallschirmjäger in amerikanische Gefangenschaft. Sein letzter Fronturlaub 1943 sollte für dreizehn lange Jahre auch das letzte Wiedersehen mit den Eltern und Geschwistern sein; denn als er 1945 nach Friedland entlassen wurde, wusste er nicht, dass die Eltern aus Ostpreußen vertrieben wurden und in Niedersachsen eine Bleibe fanden. Alfred Sallner betätigte sich als Landarbeiter und schaffte es im Laufe der Jahre, selbst Moorbauer zu werden. Sein Anwesen in Neuschoo im Landkreis Wittmund ist jetzt fünf Hektar groß und zwei Kühe stehen im Stall.

 

Inzwischen gründete Alfred Sallner eine Familie und stellte eines Tages einen Antrag zur Vertriebenenentschädigung. Das Ausgleichsamt in Wittmund bearbeitete und überprüfte diesen Antrag gründlich, und einem Beamten entging es nicht, dass die Eltern noch lebten. Nun war die Freude groß; die Anschrift wurde ermittelt, und der Moorbauer Alfred setzte sich aufs Motorrad und fuhr in den Kreis Burgdorf nach Haimar, um seine Eltern nach dreizehn Jahren wiederzusehen und sie strahlend in die Arme zu schließen. Er selbst ist inzwischen 42 Jahre alt und kann den Eltern von seinen vier Kindern erzählen, die ihm seine Frau schenkte. Sein Vater, Otto Sallner, arbeitet in Sehnde in der Keramischen Hütte. Er und seine Frau Martha hatten kaum noch Hoffnung, jemals etwas über das Schicksal des Sohnes Alfred zu erfahren. Es schien nun schon unmöglich, mit ihm Verbindung zu bekommen. Und ob er überhaupt noch am Leben war? Es war nichts zu ermitteln. So schwach der Hoffnungsschimmer geworden war, so groß waren nun die Freude und das Glück des Wiedersehens.

 

Seite 7   Hundert Sommer ~ hundert Winter. Memelländerin feierte ihren 100. Geburtstag.

Geboren 1856 — hundert Jahre alt ist Anna Weidschies aus dem Memelland geworden. Hundert Sommer, hundert Winter, viele Jahre harter Arbeit, so mancher Schmerz, aber auch viel Freude waren ihr beschieden. Sie war fast neunzig Jahre alt, als sie sich mit auf die Flucht begeben musste, und der Weg führte sie bis nach Wies-Oppenheim in der Gegend von Worms. Ein ruhiger Lebensabend im Kreise ihrer drei Töchter versöhnt Frau Weidschies mit den Jahren der Not und des bitteren Elends, die vorangingen. Nun kann sie getrost den Erinnerungen nachhängen, die sie mit der Heimat verbinden. Sie sieht ihren Bauernhof im Memelland mit den vielen Tieren, die sie mit Liebe versorgte und pflegte, die Wälder und Felder, die Weiden und den weiten Himmel. Mit Sehnsucht denkt sie an den schneereichen Winter mit seinen herrlichen Schlittenfahrten durch das weiße Land und vergisst nicht ihre Nachbarn, Freunde und Bekannten. Und dann erzählt sie von dem großen stolzen Tage, der ihre Heimat wieder an das deutsche Vaterland zurückgab, an dem wieder deutsch gesungen wurde und die Kinder deutsche Lesbücher bekamen. Der Tag der memelländischen Bäuerin war immer mit Arbeit angefüllt, und nicht nur der Tag; die Abende saßen sie am Webstuhl. Ein Meter nach dem anderen kräftiger Leinwand entstand unter ihren Händen. Noch heute trägt Frau Anna Weidschies stolz das Selbstgewebte. Fast alles wurde auf dem Hofe hergestellt, was zum täglichen Leben benötigt wurde: würziges Bier braute sie, Butter und Käse bereitete sie eigenhändig, und das schöne kräftige Schwarzbrot wurde gebacken. Frau Weidschies ist von zierlicher Gestalt; sie zerbrach nicht an der harten Arbeit, sie wurde zäh und widerstandsfähig, und ihre Augen, die schon hundert Jahre lang die Welt betrachten, schauen hell und munter drein.

 

Seite 7  Herzlicher Empfang für eine Allensteinerin.

Im Rheiderland an der holländischen Grenze ließ sich Herr Kochert mit seinem Sohne nieder, als er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Seine Frau war in der Heimat geblieben und konnte dort nicht fort, weil sie keine Ausreisegenehmigung erhielt. Immer wieder bemühte sie sich darum — und jetzt endlich konnte sie die Fahrt gen Westen antreten und in Weener, wo ihr ein herzlicher Empfang bereitet wurde, beenden.

 

Seite 7   Als Robbenfänger in Alaska. Zwei Ostpreußen erobern die Neue Welt.

Robbenfänger Branky zürnt seinen beiden tüchtigen Gehilfen; denn sie blieben nicht länger bei ihm, verließen Alaska und das harte Leben dort, um sich in Los Angeles mit dem Erbe der Witwe Goldau und dem eigenen Vermögen von 18 000 Dollar ein beschaulicheres Dasein zu bereiten. Richard Tolksdorf und Erich Grawitt heißen die beiden, die ein abenteuerreiches Leben von ihrer ostpreußischen Heimat nach Nordamerika und zum Wohlstand führte.

 

Der Anfang bestand buchstäblich aus nichts, nachdem die Flucht von Allenstein das ruhige Dasein der beiden Holzarbeiter jäh aus dem Gleise gerissen hatte. Dieses Nichts wurde seltsamerweise die Grundlage für den späteren Erfolg: die beiden Allensteiner beschlossen 1945 nämlich, von Westdeutschland aus nach Kanada zu gehen. Zwar hatten sie keine Papiere und keine Mittel, aber sie schafften es doch und genossen sogar hinterher das Glück, ihre illegale Einwanderung durch eine rechtmäßige Aufenthaltsgenehmigung abgelöst zu sehen. Der neue Start war frei, aber die ersten Anläufe in der fremde gingen über steinige Wege. Die schwere Arbeit der Holzfäller in Kanada brachte doch nicht so viel ein, dass man von Wohlstand reden konnte. Wohlstand aber war das Ziel. Zwar waren Richard Tolksdorf und Erich Grawitt bis dahin bestimmt nicht vom Schicksal verwöhnt worden und auch nicht gerade unglücklich deswegen, aber als Erich eine Möglichkeit ausfindig machte, vielleicht doch mehr Geld zu verdienen, gingen die beiden kurz entschlossen fort nach Alaska. Robbenfänger Branky konnte gerade Gehilfen gebrauchen und lernte die beiden an. Robben fangen — das hatten sie in Ostpreußen noch nicht gelernt. Das ist auch nicht ganz einfach und bringt mancherlei Gefahr mit sich. In den letzten Jahren tauchten ungewöhnlich starke Robbenschwärme vor Alaska auf, die Beute war erheblich, die Felle häuften sich, und die Einnahmen wuchsen entsprechend. Richard Tolksdorf fuhr vor einigen Monaten nach Los Angeles, die Felle zu verkaufen; dort werden die höchsten Preise erzielt. Der Zufall wollte es, dass er die Witwe des Kaufmanns Goldau kennenlernte. Sie ist jetzt gestorben und hat Tolksdorf zum Universalerben benannt.

 

Und so kam es, dass die beiden Ostpreußen sich entschlossen, die Robbenfängerei wieder aufzugeben. Gewiss, es hat ihnen Freude gemacht, die Robben zu harpunieren und so Mut und Geschicklichkeit zu beweisen. Das große Ziel, zu Wohlstand zu kommen, hatten sie nicht vergessen, sie haben es auch erreicht und sind nun auch noch vom Schicksal besonders begünstigt worden. Ob ihr weiteres Leben nun ganz ohne Abenteuer verlaufen wird? Dann können sie zumindest auf allerhand Erlebtes zurückblicken, wie zum Beispiel den Überfall der Brooks-Indianer. Sie mögen als Jungen wohl so etwas in Büchern gelesen haben, ohne zu ahnen, dass ihnen solche Begegnungen auch noch bevorstanden. Branky und Grawitt wurden beim Fang vor St. Michael einmal 400 Felle von den Indianern geraubt. Die Behörden verlangten sie zwar zurück, aber die Indianer trennten sich nicht von ihrer Beute, standen vielmehr auf dem Standpunkt. Branky habe die Robben rudelweise aus ihren Fanggebieten fortgelockt. Zu guter Letzt mussten sie jedoch nachgeben und alles wieder abliefern.

 

Nun soll das ruhigere Leben beginnen. Vorher allerdings hat sich der amerikanische Fernsehfunk für die ostpreußischen Abenteurer interessiert und sie ihren Mitmenschen mit einer Schilderung ihres Weges vorgeführt. Besondere Beachtung soll dabei der ungewöhnliche stattliche Vollbart des 42 Jahre alten Richard Tolksdorf gefunden haben, der ihm in der Einsamkeit Alaskas gewachsen ist.

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer Ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg – Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Angerburg, Bahnhofstraße 46, werden die Geschwister: Brigitte Gramstat, geboren am 11. Januar 1938 und Renate Gramstat, geboren am 24. Mai 1936, gesucht von ihrem Vater Bruno Gramstat, geboren am 14. August 1908 in Roßthal, Kreis Insterburg. Die Geschwister sind zuletzt am 11. März 1945 in Dievenow/Pommern gesehen worden.

 

Aus Babrosten, Kreis Johannisburg werden die Geschwister: Erika Zwikla, geboren am 28. November 1942, Christel Zwikla, geboren am 24. Dezember 1938, Helga Zwikla, geboren am 30. September 1936 und Horst Zwikla, geboren am 18. Juli 1935 in Babrosten, gesucht von ihrem Bruder Ewald Zwikla und ihrem Onkel Adolf Zwikla, geboren am 29. März 1890. Die Geschwister Zwikla sind seit Januar 1945 in Danzig vermisst.

 

Aus Birkenwalde, Kreis Lyck, Forsthaus wird Nikolaus Chrozelewski, geboren 1941 in Bunhausen, gesucht von Julius Olsen, geboren am 24. März 1899.

 

Aus Blumental, Kreis Lyck wird Lothar Mrowka, geboren am 8. Juni 1937 in Blumental, gesucht von seiner Großmutter Maria Mrowka, geborene Stankewitz, geboren am 1. Mai 1877 in Blumental. Lothar Mrowka ist mit seiner Mutter bis Königsberg/Ostpreußen geflüchtet, sie wohnten dort am Fliess 23.

 

Aus Friedrichsthal, Kreis Wehlau, bei der Tante Gertrud Schade, wird Gerhard Geduhn, geboren am 7. April 1940, gesucht von seinem Onkel Heinz Schrade.

 

Aus Goldenau, Kreis Lyck wird Renate Glasow, geboren am 15. Februar 1937 in Berlin, gesucht von ihrem Vater Alfred Glasow, geboren am 26. Februar 1892. Renate Glasow befand sich im Januar 1945 mit ihrer Mutter, Gertrud Glasow, geborene Kutzko, in Allenstein/Ostpreußen.

 

Aus Karmitten, Kreis Samland wird Werner Möbus, geboren am 15. November 1939, gesucht von seiner Tante Martha Schirrmacher, geborene Möbus, geboren am 5. November 1911 in Raben. Die Mutter des Werner Möbus ist im August 1947 in Königsberg verstorben. Werner wurde im Oktober 1947 der Polizei-Annahmestelle in Königsberg, Beethovenstraße übergeben.

 

Aus Königsberg, Bismarckstraße 12 werden die Zwillinge Doris Feyer und Gisela-Hedwig Feyer, geboren am 3. Februar 1938 in Königsberg, gesucht von ihrem Tanten Gertrud Kölln und Charlotte Stolzenberg.

 

Aus Königsberg, Cranzer Allee 166, wird Werner Blodau, geboren am 6. September 1936, gesucht von seiner Mutter Lisbeth Kaul, verwitwete Blodau, geborene Neumann, geboren am 19. Januar 1907.

 

Aus Königsberg, Palwe 18 B werden die Geschwister: Brigitte Holz, geboren am 4. August 1941, Manfred Holz, geboren am 30. August 1937 und Hannelore Holz, geboren am 15. Dezember 1935, gesucht von Amalie Pilk, geborene Müller, geboren am 7. April 1875 in Raulitt.

 

Aus Königsberg, Roßgärter Neue Gasse 2 wird Jutta-Helga Friese, geboren am 15. Oktober 1940, gesucht von ihrem Vater Herbert Friese, geboren am 30. Juni 1914 in Königsberg.

 

Aus Königsberg, Vorder-Roßgarten 7 werden die Geschwister: Edeltraud Gobin, geboren am 7. Februar 1943, Gudrun Gobin, geboren am 27. Mai 1941 und Karin Gobin, geboren am 18. Dezember 1937, gesucht von ihrem Vater Johannes Gobin, geboren am 15. Januar 1902 in Berlin. Die Kinder Gobin sind mit ihrer Mutter im April 1945 nach Pillau geflüchtet, um dort nach Dänemark eingeschifft zu werden.

 

Aus Königsberg, Weidendamm 43 wird Margot Hozeit, geboren am 23. April 1941, gesucht von ihrem Vater Wilhelm Hozeit, geboren am 29. Oktober 1902 in Königsberg. Die letzte Nachricht war vom Februar 1945 aus Seltz bei Gumbinnen/Ostpreußen.

 

Aus Sangnitten, Kreis Preußisch Eylau wird Horst Neumann, geboren am 23. Juli 1935 in Halbendorf, gesucht von seiner Mutter Betty Neumann, geborene Krampitz, geboren am 17. Juli 1913. Horst Neumann wurde am 3. Februar 1945 durch eine Handgranate in Sangnitten auf dem Bahnhof verwundet. Er wurde zum Hauptverbandsplatz Lichtenfeld gebracht. Von dort soll er ins Lazarett oder Krankenhaus Heiligenbeil/Ostpreußen gekommen sein.

 

Aus Korschen, Kreis Rastenburg wird Kurt Chrszon, geboren am 22. März 1937 in Bartenstein, gesucht von seiner Mutter Erika Chrszon, geborene Bräsz, geboren am 2. Oktober 1918 in Bartenstein.

 

Aus Langengrund, Kreis Sensburg wird Helmut Quandt, geboren am 9. Dezember 1937, gesucht von seiner Mutter Anna Quandt, geborene Segler, geboren am 28. Dezember 1898.

 

Aus Memel, Herderstraße 32 werden Hans-Jürgen Quell, geboren am 25. Mai 1939 in Memel und Ilse-Marie Quell, geboren am 20. April 1937 in Memel, gesucht von ihrer Mutter Anneliese Quell, geborene Klein, geboren am 24. August 1914 in Allenstein. Hans-Jürgen Quell und Ilse-Marie Quell befanden sich auf dem Schiff „Gustloff".

 

Aus Milschlauken, Kreis Insterburg werden die Geschwister: Ella Dittkrist, geboren 1939, Otto Dittkrist, geboren 1936/1937 und Fritz Dittkrist, geboren 1936/1937 in Milschlauken, gesucht von ihrer Tante Minna Endrulat, geborene Szuggat, geboren am 5. Dezember 1907 in Milschlauken. Die letzte Nachricht der Kinder Dittkrist war vom Oktober 1944 aus Güldenboden, Kreis Mohrungen, bei Familie Brosche.

 

Aus Norgehnen, Kreis Samland wird Klaus Ruppel, geboren 1937 in Norgehnen, gesucht von seinem Onkel Max Heldt, geboren am 23. März 1898. Die Geschwister Paul Ruppel und Ruth Ruppel werden auch noch gesucht.

 

Aus Pomauden, Kreis Samland werden die Geschwister: Manfred Weiss, geboren 1936, Waltraut Weiss, geboren etwa 1935 und Egon Weiss, geboren 1934, gesucht von ihrer Schwester Inge Weiss, geboren am 3. März 1939 in Pomauden.

 

Aus Raken, Kreis Johannisburg werden Monika Franz, geboren am 26. Februar 1943 und Siegfried Franz, geboren am 7. Oktober 1938 in Raken gesucht Esther Franz, geboren am 26. November 1926 in Lupken, Kreis Johannisburg.

 

Aus Dreimühl, Kreis Gerdauen wird Ursula Matzkeit, geboren am 29. August 1938, gesucht von ihrem Vater Albert Matzkeit, geboren am 10. Juni 1907 in Schiffus. Ursula Matzkeit war zuletzt mit ihrer Mutter im Lager Trotzien. Die Mutter ist dort am 13. Dezember 1945 verstorben. Über den Verbleib seiner Tochter hat der Vater seitdem nichts erfahren.

 

Aus Hasselpusch, Kreis Heiligenbeil wird eine Familie Schulz gesucht. Sie hat 1947 noch mit Frau Auguste Stadthaus, geborene Penkwitz, und dem Enkelkind Doris Marianne Mayer, geboren am 21. Februar 1943, in Pörschken, Kreis Heiligenbeil, zusammengelebt.

 

Aus Königsberg, Altgroßgärter Predigerstraße 26 c werden Siegfried Tesch, geboren am 6. Dezember 1937 und Reinhard Tesch, geboren am 22. Januar 1941, gesucht von ihrem Großvater Cornelius Kunz, geboren am 23. Juni 1896 in Herzberg bei Danzig. Die Kinder Siegfried Tesch und Reinhard Tesch befanden sich seit 1943 in Pojestieten, Kreis Samland.

 

Aus Königsberg, An der alten Bastion 6 wird Siegfried Boy, geboren am 24. Juli 1941, gesucht von seinem Vater Bernhard Boy. Siegfried Boy wohnte zuletzt mit seiner Mutter bei seiner Großmutter, Frau Ott, in Königsberg in der Schleiermacherstraße.

 

Aus Königsberg, Heidemannstraße 5, wird Siegfried Lossau, geboren am 7. September 1943, in Königsberg, gesucht von seinem Vater Fritz Lossau, geboren am 18. Februar 1902. Die Mutter Herta Lossau, geborene Meissner, geboren am 31. August 1903 wird auch noch gesucht. Sie soll noch im August 1945 in der Feldmühle Königsberg-Liep, Werk Sackheim, gearbeitet haben.

 

Aus Königsberg-Moditten werden die Geschwister: Brigitte Lembert, geboren am 26. Juli 1943, und die Zwillinge Luci Lembert und Lydia Lembert, geboren am 26. Juli 1938 in Königsberg-Moditten, gesucht von ihrem Vater Kurt Rudolf Lembert, geboren am 22. Oktober 1910 und von ihrer Tante Martha Steinke.

 

Aus Königsberg-Ponarth, Ponarther Bergstr. 10 wird Sieglinde Christoff, geboren am 9. April 1942, gesucht von ihrem Vater Kurt Christoff, geboren am 17. Mai 1914. Sieglinde Christoff wurde im Januar 1945 nach Zimmerbude bei Pillau/Ostpreußen evakuiert.

 

Aus Königsberg-Spandienen, Siedlung III werden die Geschwister: Udo Kampowski, geboren am 21. August 1938, Christa Kampowski, geboren am 8. Juni 1940 und die Zwillinge Kurt Kompowski und Siegmund Kampowski, geboren am 15. Mai 1944, gesucht von Alfred Kampowski, geboren am 9. Juni 1909.

 

Aus Kruglanken, Kreis Angerburg wird Ulrich Michalzik, geboren am 1. August 1938 in Lötzen/Ostpreußen, gesucht von seiner Tante Anna Kaminski, geborene Simanzik und von Alfred Schildhauer. Ulrich Michalzik ist mit seiner Mutter, Frieda Michalzik und seiner Schwester Ursula Michalzik, die auch noch gesucht werden, 1947 in Königsberg-Juditten gesehen worden.

 

Aus Neuendorf bei Guttstadt, Kreis Heilsberg wird Maria Wagner, geboren am 14. November 1943, gesucht von ihrer Mutter Anna Ruhnau, geborene Wagner, geboren am 26. Juli 1914. Maria Wagner wurde Ende 1945 oder Anfang 1946 nach Guttstadt in ein Siedlungshaus gebracht, in dem sich noch weitere elternlose Kinder aufhielten. Zwei deutsche Frauen betreuten diese elternlosen Kinder. Sie könnten eventuell über den weiteren Verbleib der Maria Wagner Auskunft geben und werden um Meldung gebeten.

 

Aus Neuwalde, Kreis Insterburg wird Günther Ukat, geboren am 22. Januar 1935 in Neuwalde, gesucht von seinen Eltern: Christian Ukat, geboren am 15. Mai 1903 und Anna Ukat, geborene Klädtke, geboren am 7. Juli 1911. Günther Ukat ist im Juli 1947 von Insterburg nach Wilkowisken/Litauen gegangen und ist seitdem vermisst.

 

Kindersteckbrief mit Foto:

Name: Jowirauskas,

Vorname: Ulrich

Geb. 13.06.1940 in Krakischken, Kreis Tilsit.

Augen: blau

Haar: rötlich

Der Vater des Jungen war zuletzt in Wischwill, Kreis Tilsit als Sägewerksarbeiter tätig. Geschwister des Knaben heißen: Marta Jowirauskas, Erich Jowirauskas und Erika Jowirauskas, die ebenfalls noch gesucht werden.

 

Kindersteckbrief mit Foto:

Name: Meller

Vorname: Jürgen

Geb.: 16.03.1942 in Königsberg

Augen: blau

Haar: brünett

Das Kind kommt aus dem Waisenhaus in Königsberg. Die Mutter Elise Meller, geb. 18.03.1920, war in Königsberg wohnhaft. Während des Krieges soll sie als Rote-Kreuz-Helferin tätig gewesen sein.

 

Kindersteckbrief mit Foto

Name: Reimann

Vorname: Reinhold

Geboren: 21.02.1943 in Allenstein

Augen: blaugrau

Haar: blond

Der Knabe kommt aus dem Waisenhaus Allenstein. Die Mutter heißt Anna Reimann und war als Hausangestellte beschäftigt.

 

Seite 8   Gefallenenschicksale. Foto: Gräberfeld in Lommel, Belgien.

Wir veröffentlichen heute wieder eine Reihe von Namen gefallener Soldaten, die auf dem größten deutschen Gräberfeld in Belgien, in Lommel, zur ewigen Ruhe gebettet wurden und deren Angehörige bis heute nicht ermittelt werden konnten. Wer Auskunft über deren Verbleib geben kann, wird um Nachricht mit Angabe der Z-Nummer hinter dem Namen des Gefallenen an die Redaktion unseres Blattes gebeten. Wir rufen alle unsere Leser zur tätigen Mithilfe auf, Licht in das Schicksal dieser Gefallenen zu bringen.

 

Boleslaus Balcerski, (Z 5027), Gefr., geb. 10.07.1904 Griffen. — Ehefrau: Maria Balcerski, Kulmsee 61, Kreis Thorn.

 

Willy Brandt, (Z 5041), Gefr., geb. 03.07.1916 Danzig. — Ehefrau.: Luise Brand, Danzig, Heubuderstr. 20

 

Herbert Briese, (Z 5042), geb. 30.11.1917 Schneidemühl. — Vater: F. Briese, Schneidemühl/Westpreußen

 

Edmund Chojnacki, (Z 5050), geb. 31.08.1913 Bromberg. — Heimatanschrift: Bromberg, Lilienstr. 42/I.

 

Franz Dejanowski, (Z 5052), geb. 19.12.1925 Bromberg. — Vater: Valentin Dejanowski, Bromberg, Berliner Straße 101.

 

Heinz Doge, (Z 5055), Grfr., geb. 16.06.1923 Alt-Karzewischen. — Vater: Gustav Doge, Berghöfen/Kr. Insterburg, Post Spannegel Land 2.

 

Karl Golebiewski, (Z 5075), Gefr., geb. 16.06.1902 Kulmsee. — Schwester: Käte Kaspezewskw, Thorn, Neuer Ring 5.

 

Wilhelm Albert Keding, (Z 5099), Obfeldw, geb. 18.02.1915 Flatow. — Ehefrau: Edith Keding, Elbing, Heiliggeiststr. 10.

 

Siegmund Koehler, (Z 5110), geb. 06.12.1926 Kl.. Weißensee. — V.ater: Hermann Koehler, Tromitten/Samland.

 

Fritz Wilhelm Kuhnke, (Z 5120), geb. 01.09.1916 Prachten. — Ehefrau: Berta Kuhnke, Neuhausen/Kreis Königsberg.

 

Edmund Kurkowski, (Z 5121), geb. 18.08.1925 Steinort. — Vater: Paul Kurkowski, Bolumin, Kreis Kulm/Westpreußen.

 

Werner Menge, (Z 5145), geb. 12.09.1925 Pobershau. — Vater: Arthur Menge, Göblitz, Kreis Marienburg, Gerbergasse 143.

 

Seite 8   Deutsche Soldatenfriedhöfe eingeebnet

In der vergangenen Zeit sind zwei deutsche Soldatenfriedhöfe in Jugoslawien fast völlig eingeebnet worden. Der eine davon lag an der Straße von Mostar nach Dubrownik. Er enthielt eine 1941 errichtete Ehrenstätte für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges und eine Gedenkstätte aus der Zeit des Ersten Krieges, die noch von der österreichisch-ungarischen Garnison Mostars herrührte. Von diesen Denkmälern sind heute nur noch Spuren zu erkennen, ebenso von den Grabhügeln, an die gelegentlich noch die früheren steinernen Einfassungen erinnern. Das Tor zum Friedhof und die Einfriedung sind entfernt worden. Fast die gesamte Friedhofsfläche wurde eingeebnet.

 

Noch grausiger ist das Schicksal des zweiten Friedhofs an der Straße von Mostar nach Sarajewo. Es handelt sich um einen Friedhof deutscher Kriegsgefangener des Zweiten Weltkrieges in einem Ausmaß von etwa 60 mal 150 Metern. Von der Straße trennten ein Erdwall und ein Graben diesen Friedhof ab. Solange noch deutsche Kriegsgefangene in Mostar waren, blieb der Friedhof gepflegt, heute dagegen ist er unter einem Getreidefeld völlig verschwunden. Nach Angaben der einheimischen Bevölkerung soll der Friedhof „Tausende von Gräbern" enthalten haben.

 

Seite 8   Die nächsten Kriegsgräberreisen

Nachstehend weisen wir auf die nächsten Kriegsgräberreisen hin; Anmeldeschluss für diese Fahrten ist jeweils drei Wochen vor Beginn der Reise:

 

Holland

Ijsselsteinjn: 9. September ab Mö.Gladbach, 7. Oktober ab Mö.-Gladbach.

 

Belgien

Lommel: 9. bis 10. September ab Mö.-Gladbach, 16. September ab Mö.-Gladbach, 7. Oktober ab Mö.-Gladbach.

 

Frankreich

Marseille — Toulon mittels Bus ab Aachen 10. bis 15. September.

 

Italien

Bologna — Floren: 23. bis 29. September ab München.

 

Oberitalien, Raum Verona – Venedig - Udine: 16. bis 22. September ab München.

 

Sizilien: 30. September bis 11. Oktober ab München.

 

Seite 8   Afrika, England, Finnland

Auch sind in diesem Herbst wieder Kriegsgräberfahrten nach Tunesien, Tobruk, England und Finnland geplant. Interessenten erhalten nähere Auskunft bei der Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kassel, Ständeplatz.

 

Seite 8   „Majestät, ich war Zeuge..." Aus Schopenhauers Testament.

Vor rund 100 Jahren setzte der große Philosoph Opfer des Krieges als seine Universalerben ein. Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig geboren. Er starb unverheiratet am 21. September 1860 zu Frankfurt am Main.

 

Durch Testamentsurkunde vom 26.06.1852 hat er den „Volksdank für Preußens Krieger" — Fonds zur Unterstützung der in den Kämpfen 1848 bis 1849 verwundeten preußischen Soldaten wie auch der Hinterbliebenen jener, die in den Kämpfen gefallen sind — zum Universalerben seiner Hinterlassenschaft (nach heutigem Gebrauchswert annähernd 200 000,-- DM) eingesetzt. Als 1921 der letzte aus diesen Mitteln unterstützte Veteran starb, wurde das Restvermögen der Schopenhauer-Stiftung dem Kyffhäuserbund zur Verwendung in der Deutschen Krieger-Wohlfahrts-Gemeinschaft zur Verfügung gestellt.

 

Bedauerlicherweise sind die Akten, darunter die Testamentsabschrift und vier Nachlassverzeichnisse 1943 den Bomben auf Berlin zum Opfer gefallen — fast eine mystische Bestätigung eines Satzes des Philosophen: „Die geschriebenen Denkmale haben weniger von den Elementen, aber mehr von der Barbarei zu fürchten“.

 

Das Testament Schopenhauers war ein einzigartiges Dokument von insgesamt 172 Zeilen, das neben der Unterschrift Schopenhauers den Namen seines Notars und von sieben Testamentszeugen trug. Als Motto dieses Testaments stand das an solcher Stelle seltsam erscheinende Bittwort: „Date obolum Belisario" (Gebt dem Belisar einen Obolus). — Der Obolus ist eine altgriechische Münze und Belisar (505 - 565 n. Chri.) war ein berühmter Feldherr des byzantinischen Kaisers Justinian I., der schließlich — obwohl er bei Konstantinopel Krone und Leben seines Kaisers rettete, im Jahre 530 zum „Oberfeldherren des Orients" ernannt wurde – im Jahre 562 wegen Verschwörung fälschlich angeklagt, seiner Würde entsetzt, seines Vermögens beraubt, der Sage nach geblendet auf einem Platz vor den Toren von Byzanz stand, ein hölzernes Becken in der Hand haltend und die Vorübergehenden bat: „Date obulum Belisario“.

 

Das ist nach der Lehre Schopenhauers freilich der Lauf der Natur, aber auch Menschenschicksal im Allgemeinen und Soldatenschicksal im Besonderen. Des tragischen Gegensatzes zwischen dem Anfang und dem Ende war sich dieser Philosoph bewusst wie kein anderer. Das Schicksal des alten byzantinischen Feldherrn Belisar zum Motto eines Testaments im 19. Jahrhundert erhoben, erscheint deshalb keineswegs unzeitgemäß. Lesen wir doch in einem Brief an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV.: „Majestät, ich war Zeuge, wie man Männern, die während ihrer frühesten Jugend für Ihre Dynastie ihr Blut opferten, unter den Fenstern Ihres Schlosses Almosen verabreichte“. Solcher Unsittlichkeit und Inhumanität, solcher Schande schleuderte Schopenhauer durch das Motto seines Testamentes ein Letztes scharf-gewaltiges Wort entgegen. Schopenhauers letztwillige Verfügung bekundet weit mehr als eine bloße politische Einstellung (gewiss tut sie das auch); sie errichtete, indem sie eine Stiftung für ehemalige Soldaten als Universalerben einsetzte, ein Denkmal des Soldatenschicksals und ein Mahnmal zur Nacheiferung, das der große Philosoph des 19. Jahrhunderts bereits Jahre vor seinem Tode in den Gedanken gefasst hatte:

 

 

„Wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blass und unscheinbar werden, so Geist, ja Genie und Schönheit überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens“.  

                                                                                                

 

Seite 9   „Hörman Barth, dritter teutscher Maister in Preössen“ Bild und Wappen in Schloss Harmating. Von Dr. Walter Schlusnus.

Foto: Deutschordensmeister Hermann Barth

Foto: Schloss Harmating, Herrensitz der Barths

Jetzt ist das im letzten Sommer mit hellen Schindeln neugedeckte Steildach des Schlosses Harmating wieder zu erkennen, wenn man vom linken Isarufer hinüberschaut auf die Moränenhügel, die das weite Talbecken des vorzeitlichen Wolfratshauser Sees im Osten abriegeln. Die Vergangenheit hat um diese altersgraue Herrenburg mit dem tief heruntergezogenen, sturmhaubenartigen Dach manche bis heute ungelöste Rätsel. Eines von ihnen steht im Zusammenhang mit den langjährigen Besitzern des Schlosses, den Barths, einem Namen, der im Buch der Geschichte auf einer ganz besonderen Tafel verzeichnet ist.

 

Als letzten Sommer ein alter Königsberger Freund aus Bremen eins der berühmten bayerischen Schlösser sehen wollte, bedurfte es eines kühnen Entschlusses, ihn von den Weisungen seines Reiseführers abzubringen und ganz gegen seine Absicht nach Harmating zu leiten. Es gab zwar keine menschenwimmelnde Schaustellung mit Festbeleuchtung romantischer Zinnen und Springbrunnen, aber der späte Sonnenglanz des Tages fing sich in den Fensternischen und Treppenwinkeln dieses verlassenen Gebäudes in der stillen Landschaft, dass der Bann vergangener Geschichte die Besucher länger als gewollt an dieser Stätte festhielt. Sollten die Sonnenschleier auf den Wänden des alten Gemäuers mit dem riesigen, abgewalmten Steildach die schweigenden Schatten früher Vergangenheit durchleuchten, enträtseln?

 

Der forschende Blick der Betrachter blieb an einer Jahreszahl hängen, der ältesten, die im Schlosse verzeichnet ist, und einer sonderbaren dazu: 1210. Fünfmal, auf zwei Bildern, einer Wandinschrift, einem Deckengemälde und einem Wappenschild, steht sie im Schlosse Harmating angeschrieben. Immer ist sie dem Namen „Hörman Barth" hinzugefügt, der offensichtlich als frühester Vorfahr der Familie von Barth angesehen wird. Denn auf der Wappendecke des Gerichtszimmers, des Ahnensaales, die schachbrettartig in 64 Felder aufgeteilt ist und somit 64 männliche Namen des verzweigten Geschlechts in 17 Generationen aufführt, steht der Name „Hörman Barth" an erster Stelle. Hier in der südöstlichen Ecke des Schlosses, und damit vielleicht die Richtung seiner Wirkungsstätte andeutend, ist wie auch sonst im Schlosse dem Namen Herman von Barth, ein hierzulande seltener Titel beigefügt: „Hörman Barth, dritter teutscher Maister in Preössen Ritter Ordens, gestorben 1210". Wenn die Verbindung der Familie von Barth mit diesem Hermann Bart nicht nur angenommen ist, sondern zum mindesten einige Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann, dann handelt es sich hier um den dritten Hochmeister des Deutschen Ritterordens, der im Jahre 1210 in der ägyptischen Stadt Ptolemais in jungen Jahren starb und dort begraben liegt. Ihm waren zwei Ordensmeister vorausgegangen, Walpot von Bassenheim, der 1190 im Lager vor Akkon vom Kreuzheere aus der Mitte der neuen Deutschordensritter zu ihrem ersten Meister gewählt worden war und der 1200 starb, sowie der zweite Ordensmeister Otto von Karpen, der im Jahre 1206 achtzigjährig sein Leben im heiligen Lande beendete.

 

Aber erst im Zusammenhang mit dem beigefügten Titel „Meister des löblichen Ritterordens in Preössen" wird das richtig angegebene Todesjahr des Ordensmeisters Bart merkwürdig. Es ist verständlich, dass die Herzen zweier Bürger des einstigen Ordenslandes beim Anblick dieser Inschriften im Schlosse Harmating im Landkreis Wolfratshausen höher schlugen, dass ihnen sogleich die ganze Reihe der Meister des Deutschen Ordens vor Augen stand und dass der Kummer um das Schicksal des alten Ordenslandes sie in dieser Stunde mehr bedrückte als ihr eigenes heimatvertriebenes. Aber bleibt es nicht erhebend, dass hier in dem wuchtigen Haus auf dem steilen Hügel der Moränenberge des bayerischen Oberlandes, fast ganz versteckt, der Name des dritten Hochmeisters des Deutschritterordens und der Name des Ordenslandes Preußen mehrmals verewigt ist! — Offenbar hat bisher sonst keiner davon Notiz genommen.

 

Es ist im allgemeinen hier bekannt, dass das Schloss Harmating der Hadmaringer, die urkundenmäßig wiederholt schon im Zeitraum von 1179 bis 1294 erwähnt werden, jahrhundertelang im Besitz einer Familie von Barth war, deren letzter Spross, der Generalmajor Hugo Freiherr v. Barth zu Harmating, 1935 starb. Seit wann die Barths Harmating besaßen, ist nicht sicher zu ermitteln, vielleicht schon 1360 oder 1386, vielleicht erst seit der Belehnung durch Herzog Wilhelm V. von Bayern (1579 bis 1597; gest. 1626): „Caspar Part, Dechant bey U. L. Frau in München, Balthasar, dessen Bruder, mit der Hofmark Hadmaring belehnt, welche sie von Hansjacob und Caspar-Joachim den Tänzel zu Trozberg und Reicherspeuern erkauft“. Die Barths werden im Allgemeinen als eine angesehene Münchner Patrizierfamilie bezeichnet, die im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche verdienstvolle Männer des öffentlichen Lebens in hohen Ämtern, besonders der Verwaltung und Landesverteidigung, hervorbrachte. Am bekanntesten sind Heinrich Bart aus München, der 1492 die alte Kesselbergstraße bauen ließ, auf der Goethe bei seiner Reise nach Italien in die Alpen hineinfuhr, oder der Münchner Bürgermeister Ferdinand Barth (gest. 1623) oder aus neuerer Zeit ein Namensgenosse des dritten Hochmeisters, nämlich Hermann Barth, der als Erschließer des Karwendelgebirges gilt. Dieser Alpinist und für seine Zeit bedeutende Schriftsteller, an den eine Gedächtnistafel in der Schlosskapelle zu Harmating erinnert, starb 1875 im Alter von 30 Jahren auf einer Forscherfahrt nach Ostafrika an der Malaria und liegt in S. Paolo das Loanda begraben.

 

„...praematura morte in optima aetatis flore abreptus...", durch frühzeitigen Tod in der besten Blüte seines Alters aus dem Leben gerissen, so heißt es in der Inschrift auf den beiden Bildern Hermann Barts, des Deutschordensmeisters. Ein gleicher Name, ein ähnliches Schicksal, im Leben durch fast 600 Jahre voneinander getrennt. — Aber die lange Kette der Barthschen Generationen, an deren Beginn dieser „dritte teutsche Maister des löblichen Ritterordens in Preössen" im Schloss Harmating

gesetzt ist, beginnt nicht erst in München. Denn München war zurzeit, als Hermann Bart die Leitung der Geschicke des noch jungen Ritterordens in der Hand hatte, mehr oder weniger ein Dorf. So verwundert es nicht, dass die Sippe des Deutschordensmeisters zunächst in der Heimat des staufischen Kaiserhauses Fuß fasste und sich dort ausbreitete: im alten Schwaben, in Augsburg. Eben erst war München gegründet worden (1158), da stattete Kaiser Rotbart das alte Augsburg schon mit der Reichsfreiheit aus (1167). Die klassische Reichs- und Kaisertreue des Deutschen Ritterordens, einer Elite des deutschen Adels und patrizischen Bürgertums, schwebte ja nicht im luftleeren Raum späterer Geschichtsbücher, sondern fußte auf einer breiten Schicht von Sippen und Familien, aus denen die Ordensritter kamen. Mit der Herkunft der Familie Barth aus Augsburg stehen die Zeitverhältnisse, insbesondere die politischen, durchaus in Übereinstimmung: Das Kaiserhaus der Staufer — großzügigste Förderer der Ordensgründung — ist schwäbisch. Nicht nur Kaiser Barbarossa, sondern auch sein Sohn Herzog Friedrich von Schwaben, beide kommen im Morgenlande beim dritten Kreuzzug ums Leben. Herzog Friedrich aber, der nach dem beklagenswerten Tode des Kaisers die Führung des Kreuzheeres übernahm, ist der Gründer des Deutschen Ritterordens vor Akkon. Er überlebte seine Gründung nur um ein Jahr. — Ob Hermann Bart schon als junger Kreuzfahrer an der erlauchten Gründungsversammlung im Lager vor Akkon teilnahm? — Ob er hier zum Ritter geschlagen wurde? — Wie ist er nach Akkon gekommen und woher?

 

Wahrscheinlich ist, dass er nicht mit dem Kreuzheere Barbarossas mitgezogen war, sondern auf dem Seewege mit der Expedition Bremer und Lübecker Bürger unter Führung des Grafen Adolf von Holstein dorthin gelangte. Diese waren es, die aus den Segeln ihrer Koggen ein Hospital, die Urzelle des Deutschen Ritterordens, errichteten, um den Notleidenden zu helfen. Die Herkunft Hermann Barts aus Holstein steht jedenfalls außer Zweifel: „Hermanus de Bart, nobilis ex Holsatia..." so beginnt die Inschrift unter seinem Bild, Hermann von Bart, ein Vornehmer aus Holstein. Möglich, dass durch die enge Verbindung des Deutschordensmeisters zum Kaiserhaus die Familie in Schwaben, in Augsburg Besitzungen erwarb. Wenn der in Harmating verewigte dritte Ordensmeister „von Preußen" wirklich etwas mit der Münchner bzw. Augsburger Patrizierfamilie Barth zu tun hat, dann ist die ursprüngliche Heimat des Geschlechtes Bart oder Barth, oder in niederdeutschen Texten Bard, in Holstein zu suchen. Vielleicht steht sie mit dem Dorfe Bard im holsteinischen Kolonisationsland Mecklenburg im Zusammenhang, was dem Unternehmungsgeist dieser Familie ganz entspräche. In gewisser Beziehung war auch der Orden Wegbereiter und Schützer des Fernhandels nach Osten, dessen deutsche Zentrale Augsburg wurde. In Armenien, Syrien, Palästina, Zypern, Tripolis lagen die ersten Stützpunkte des Ordens, auf abendländischem Boden wehte das kreuzgeschmückte weiße Banner zum ersten Male vom Ordenshaus Palermo und von der Burg Barletta in Apulien. Venedig war, als die letzte Bastion der Christen an der syrischen Küste, die Burg Starkenberg bei Akkon, in die Hände der Mohammedaner fiel, seit 1291 Sitz des Hochmeisters, bis im Jahre 1309 Marienburg in Westpreußen zum Haupthaus des Ordens erkoren wurde. In Venedig aber besaß Augsburg mit Nürnberg sogar ein eigenes Handelshaus (Fondaco dei Tedeschi). So stand die Entwicklung der Familie Bart in Augsburg unter den günstigsten Voraussetzungen und Begleitumständen, so dass sie dort bald reich begütert und mit den angesehensten Familien verschwägert war. Aber die Zunftrevolution von 1368 in Augsburg drängte den Einfluss der alten Patriziergeschlechter zurück. Daran änderte nichts der Aufschwung, den in der Folgezeit auch die kleinen Vermögen der Handwerker und Gewerbetreibenden in sprunghafter Entwicklung zu weltweiter wirtschaftlicher Macht nahmen. Diese Wandlung der Verhältnisse mag die alte Patrizierfamilie Bart veranlasst haben, sich in München festzusetzen, denn zu ungefähr gleicher Zeit taucht sie dort auf und wird auch zum ersten Male als Besitzer des Schlosses Harmating genannt. Vielleicht spielten auch hier alte Ordenstraditionen mit, die Reichs- und Kaisertreue, denn der neue Kaiser Ludwig der Bayer entstammte dem Hause Wittelsbach, bis dahin Herzog von Oberbayern. Er war es auch, der München im Jahre 1342 die erste Bauordnung gab und auf die Errichtung von Steinbauten an Stelle der schindelgedeckten Holzhäuser drang.

 

Der Landkreis Wolfratshausen besitzt mit dem Schlosse Harmating eine historische Kostbarkeit ersten Ranges. Soviel und so weit gespannte Geschichte knüpft sich hier zusammen und erschließt sich dem der Vergangenheit aufgeschlossenen Sinn, wenn man die schlichten, stilvollen Räume in Harmating durchwandert. Soviel wissen Bild und Wappen Hermanns von Bart, des „dritten teutschen Maisters in Pröessen löblichen Ritterordens", zu sagen. — Die späten Sonnenstrahlen auf den Wänden und in den Nischen des Schlosses haben den Schleier der Vergangenheit ein wenig durchleuchtet, den Gebeinen der Toten Fleisch und Blut verliehen, ihnen für eine kurze Stunde neues Leben eingehaucht...

 

Aber 1210! — „Dritter teutscher Maister in Preössen"? — „Gestorben im Jar Christi 1210"! — Liegt hier ein Irrtum oder eine Fälschung vor? — Nein, wohl beides nicht. 1210 starb der dritte Deutschordensmeister Hermann von Bart fern seiner Heimat im Morgenlande. „Maister in Preössen"? — Ein Preußen gab es 1210 noch nicht! Erst 1230 ging der Orden unter der Regierung des vierten Ordensmeisters, des Hochmeisters Hermann von Salza, nach Preußen und gründet das Ordensland Preußen.

 

Soviel galt dies Ordensland Preußen einmal. Solche Zierde war der Titel eines Hochmeisters von Preußen, dass ein bayerisches Adelsgeschlecht einem seiner Vorfahren diesen Titel für eine Zeit beifügte, in der es ihn noch gar nicht geben konnte. So stark wirkt die Macht der Geschichte! — Wir Ordensländer grüßen Hermann von Bart, den dritten „Maister in Preössen", wir grüßen Schloss Harmating, wo uns auf historischem Umweg unvermutet unsere alte Heimat begegnet.

 

Seite 9   Königsberger Winkel / Von Herbert Meinhard Mühlpford. 5. Fortsetzung.

VIII. Der ehemalige Deutsch-reformierte Friedhof

So groß, wie die Gegensätze zwischen evangelischer und katholischer Kirche, waren in der Zeit vor und nach dem Dreißigjährigen Kriege, diesem fanatischsten und brutalsten aller Religionskriege, auch die Gegensätze zwischen evangelischer und reformierter Kirche, die heute so gering sind, dass sie der Durchschnittschrist kaum noch kennt.

 

In Königsberg, das seit der Säkularisation orthodox-evangelisch war, gab es sogar zwei reformierte Kirchen, die deutsch-reformierte, nämlich die Burgkirche- und die französisch-reformierte Kirche, die sich auf dem Grundstück Ecke Königsstraße und Landhofmeisterstraße befand.

 

Auch sie war, wenigstens in den Plänen, ein Werk des Königsberger Barockbaumeisters Schultheiß von Unfried, der sie der Hugenottenkirche von Caen nachgebildet hatte. Sie wurde 1733 - 1736 von Ingermann erbaut. Sie war in vorwiegend klassizistischen Formen gehalten. Aber die Dachtraufen spieen darum doch in Drachengestalt das Regenwasser herab. Der an der Landhofmeisterstraße stehende Turm blieb unvollendet; der Zugang zur Kirche war vom Garten von der Königstraße aus. Klassizistisch war auch das im Zehneck angelegte Innere, die ionischen Säulen, die Emporen; die Ausstattung dagegen, der Altar, die Orgeln, die Liedertafeln barock, an ihnen hingen zahlreiche Troddelchen, die schon dem aufdämmernden Rokoko den Weg bereiten. Das trotzdem überraschend einheitliche Innere dieser Kirche war ein Beispiel dafür, wie gut Barock und Klassizismus, diese beiden Parallelformen einer Kunstperiode, sich auch im rein Dekorativen vertragen, wenn nur eine Künstlerhand sie zusammenfügt.

 

Dieses Gotteshaus wurde für die zahlreichen Königsberger Réfugiés, nach denen auch die Französische Straße ihren Namen trägt, gebaut und von ihnen unterhalten. Die lutherische, den Reformierten feindliche Stadt wurde von der Regierung ermahnt, „ihren Geistlichen, der Bürgerschaft und sämtlichen Pöbel bei Androhung nachdrücklicher Strafe anzubefehlen, die Reformierten bei ihren Begräbnissen nicht zu turbieren". Noch bis zum letzten Kriege wurde in ihr alle fünf Wochen in französischer Sprache gepredigt.

 

Die französisch-reformierte Kirche stand auf einem Teil des alten deutsch-reformierten Friedhofes, den der Vater des Großen Kurfürsten, Georg Wilhelm, 1629 der deutsch-reformierten Gemeinde geschenkt hatte; denn die Hohenzollern waren bekanntlich seit Kurfürst Johann Sigismund reformierten Bekenntnisses. Der Rest dieses Friedhofes war ein durch ein Portal von der Königstraße aus zu erreichender stiller verträumter Park mit Spielplätzen für die Jugend — so ein rechter Königsberger Winkel, von dessen Vorhandensein man nichts ahnte, wenn man an der Mauer in der Königstraße entlang ging.

 

Gleich vorne, am Ende eines mit Steinplatten, unter denen sich noch Grabsteinreste befanden, gepflasterten Weges, stand ein grauer Putte aus Sandstein, der sich von seinem grünen Hintergrund und dem Blumenbeet davor ganz reizend abhob. Er hätte noch ganz gut ein Stück Barock in Königsberg darstellen können.

 

Von dem Kreuzgang des ehemaligen Burgkirchenfriedhofes, der den Gottesacker begrenzte, war freilich längst nichts mehr da. Schön war von diesem Königsberger Winkel aus, der Blick auf den prächtigen Rokokohelm der Sackheimer Kirche mit dem schwervergoldeten Lamm Gottes, dem Wappenzeichen des Sackheims, als Wetterfahne.

 

Diese Kirche, erst 1648 unter starkem Widerstand der Katholiken, denen diese Nachbarschaft durchaus nicht zusagte, gebaut, wurde in ihrer jetzigen Form erst nach dem großen Brand vom 10./12. November 1764, dem 180 Häuser des Sackheims zum Opfer fielen, 1771 durch Oberbaudirektor Bergius auf den alten Grundmauern fertiggestellt. Das weite dreischiffige Innere wurde durch die breiten klassizistischen Emporen leider verfinstert und beengt; aber gerade die evangelischen Kirchen jener Zeit bevorzugten Räume dieser Art, während man sie in katholischen Kirchen kaum findet.

 

Im Kircheninnern ruhte die flache Korbbogendecke aus Holz auf ionischen Säulen.

 

Reiche Rokokoembleme und -Verzierungen in Gold auf Weiß verliehen den geraden kühlen Formen des Klassizismus ein vornehm-freundliches Aussehen.

 

Seite 10   Kühlung rauscht die Brunnenröhre jedem ostpreußischen Wanderer zu. Brunnen im ostpreußischen Volksleben.

„Alles liegt auf selber Stelle, alles ist wie ehedem;

 

Auf des Hauses buntem Giebel machen Täubchen sichs bequem.

 

Kühlung rauscht die Brunnenröhre jedem durstgen Wandrer zu.

 

Und auf Blumen, Blüt und Halmen liegt die heilige Sonntagsruh“.

 

So grüßte einst eine Brunnenröhre die heimkehrende Johanna Ambrosius! Ja, die Brunnen spielten im Volksleben unserer Heimat – wie auch anderwärts – von jeher eine bedeutende Rolle.

 

Lange vor der Zeit, wo das Romantische des  Brunnens und der Linde vor dem Tore besungen wurde, war der Bau von künstlichen Wasserspeichern eine Lebensnotwendigkeit oder eine Errungenschaft der Kultur.

 

In der ostpreußischen Landschaft war eine natürliche Wasserleitung, wie sie im Gebirge allerorts zu finden ist, nicht angängig. Die Bewohner mussten eine andere Möglichkeit suchen, das Wasser aus der Tiefe zu holen. So war dort, wo der Wasserstand durchweg hoch blieb, der Hebebaum eine Recht einfache und praktische Einrichtung.

 

Als Brunnenbaum wurde mitunter eine lebende Eiche benutzt; in einer Astgabel trug sie den „Galgen" oder die Wippe; vom oberen Ende dieses Balkens hing die Schöpfvorrichtung mit dem Eimer herab. Der Brunnenrand aus zusammengefügten Steinen bildete den Kopf des Schachtes. Der Brunnenschacht war auch hier und da aus Ziegel hergestellt, andererseits auch von Bohlen gezimmert. Auch dicke, ausgehöhlte Baumstämme dienten als Brunnenschacht sowie in ärmlichen Moorgegenden einfach Torfsoden. Der Brunnen der Neuzeit bediente sich dagegen der Zementringe oder beim Tiefbrunnen der Eisenrohre, um Wasser zu speichern.

 

Die Brunnen mit Winde und einer langen Kette hatten gewöhnlich ein Schutzdach gegen Regen, Sturm und Blätterfall.

 

Eine unerlässliche Lebensbedingung war der Brunnen für die Bewohner der alten Burgen. Mochten auch im Umkreis der Burg für den Betrieb der Wirtschaft in Friedenszeiten noch so viele Brunnen und Zisternen angelegt sein, so musste doch für die Zeiten der Kriegsgefahr der sichere Bestand eines Brunnens im Burghofe außer Frage stehen.

 

Der Burgbrunnen war mit einer schattenspendenden, luftigen Brunnenhalle überbaut oder mit einem festen Haus noch einmal besonders verwahrt gegen den Missbrauch durch unberufene Hände. Welch anmutiges Bild im Burghof entsteht durch den Leben verheißenden Brunnen, lehrt ein Blick in das Innere der Marienburg. Als sinniges Wahrzeichen krönt die Dachspitze der Brunnenhalle ein Pelikan: wie er mit seinem Herzblut die Jungen nährt, so lässt die Mutter Erde die Adern ihrer Felsen fließen, um ihre Kinder am Leben zu erhalten. Dieses Sinnbild kommt sonst nur als Ausdruck höchster christlicher Selbstaufopferung vor.

 

Der Brunnenbottich war einst ein stattlicher Schmuck des kleinstädtischen Marktes. Hier hielt der Fuhrmann mit dem Planwagen, erwartet von den Ablädern im braunen Schurzfell, hier schmetterte das Posthorn des bunten Postillions, hier wurden Gäste empfangen und verabschiedet, Händler saßen auf den Steinstufen und Holzbänken, und wer in der Stadt begierig nach Neuigkeiten war, fühlte hier den Pulsschlag des Verkehrslebens. Der Brunnenbottich war im Mittelpunkt und hatte allen etwas zu bieten. Von Bürgerhandwerk und Bürgersinn im Erhalten berichtete der Brunnenbottich mit seinem eigenen Leibe, stattlich, breit und behäbig stand er da, köstliche Flickarbeit erfuhr sein Gewand, wo es mürbe geworden war; die kräftigen Eisengürtel trugen noch die Male der Nägel, mit denen sie früher als Reifen an den Rädern des Lastwagens befestigt waren.

 

Ein Gewerbe, das im bürgerlichen Betriebe der ostpreußischen Kleinstädte noch bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine geachtete Stellung einnahm, war das Böttcherhandwerk. Zu den Szenen der Kleinstadtstraße gehörte als anziehende Figur der Böttcher; er verließ mit seiner Schwarzbinderarbeit, das heißt der Herstellung von Bierfässern und „Kiewen" aus hartem Holz, sehr gern die enge Werkstatt und stellte auf der Straße vor dem Hause größere Fässer mit seinen Gesellen her, wobei er in der Jugend des Ortes dankbare Zuschauer fand, die die dröhnenden Schläge auf die Reifen oder die Flammen und Wolken des Pechfeuers mit grausendem Wohlgefallen begleiteten. Auch am Brunnen selbst nahm der Böttcher gern Arbeiten vor, bei denen das Wasser helfen musste neue Gefäße zu erproben und zu verquellen oder bereits im Gebrauch gewesene gründlich zu säubern.

 

Für den bürgerlichen und häuslichen Haushalt waren aber täglich wertvoll die Weißbinderarbeiten des Böttchers, aus weichem Holz hergestellt. Der Wasserstutz, der in Ostpreußen „Stöppel" hieß, war bei Neckereien am Brunnen eine handliche Waffe. Ein Gefäß mit mannigfachster Verwendung im täglichen Haushalt war ehedem der Holzeimer. Unter den Wassergefäßen am Brunnen in Ostpreußen fiel als schöne Böttcherarbeit die dreibeinige Wanne zu Waschzwecken auf, die „Waschtine". Holzgefäße, die täglich im Gebrauch waren, blieben durch häufige Berührung mit dem Wasser vor dem Austrocknen oder „Verspaken" bewahrt.

 

Unübertroffen an Größe und Festigkeit wurden die zum täglichen Leben gehörenden Wassergefäße durch große Wasserkufen, die in dem Dachraum des Hauses gefüllt gehalten werden mussten zu Löschzwecken bei Feuersgefahr. Tonnen auf Gestell mit Schlittenkufen, „Kiew" genannt, dienten als Zubringer zur Feuerspritze und wurden von Pferden gezogen. Aus starkem Buchenholz war die Brunnentracht hergestellt, mit deren Hilfe die Last den Armen und Händen abgenommen und auf Nacken und Schultern des Trägers verlegt war, die „Peed".

 

Die alte Schöpfvorrichtung wurde als beschwerlich empfunden und an Stelle ihrer bäuerlichen Hauskunst trat ein Mechanismus mit wissenschaftlicher Berechnung. Eine Röhrenleitung wurde im Brunnenschacht senkrecht aufgehängt und ein Pumpenstock auf den Brunnenrand aufgesetzt. Pumpen wurden verschiedentlich mit kunstvollen Köpfen versehen. Auf einer alten Pumpe am Haberberg zu Königsberg befand sich eine Holzfigur, die den wackeren Schuster von Sagan darstellte.

 

Dr. Graesse erzählt in seinem Preußischen Sagenbuche von einem „heiligen Brunnen" zu Königsberg: In dem zur Burgfreiheit gehörigen sogenannten Roßgarten befindet sich an dem Kirchhofe der heilige Brunnen. Derselbe hat früher viel Kranke geheilt, von dem Augenblicke an aber seine Kräfte verloren, wo die Witwe Gnadcovius ihn mit einer Mauer umgeben und sein Wasser verkaufen ließ.

 

Englische Kaufleute fanden in Elbing eine Quelle mit ausgezeichnetem Wasser, welches

sich zur Bierherstellung vorzüglich eignete, und nannten den gewonnenen Gerstensaft: „Englisch Brunnen". Wasser spielte zur Bierbereitung eine wichtige Rolle und der Ruf ostpreußischer Biere, wie Ponarther, Schönbuscher, Krech (Goldap) und Kinderhöfer (Gerdauen) war nicht zuletzt auf die Güte des Wassers zurückzuführen.

 

Mit künstlerischen Brunnen schmückten sich die Städte, wie z. B. Memel mit dem Simon-Dach-Brunnen, den die Figur des „Ännchen von Tharau" krönte. Der Pfeifenbrunnen zu Elbing war allgemein bekannt. Bespöttelt wurde der „Eva-Brunnen" auf dem Altstädtischen Markte zu Königsberg. In der Südmauer des Königsberger Schlosses hatte man einen sehr ansprechenden Steinbrunnen geschaffen, der im Relief einen trinkenden Ordensritter mit Pferd und Dogge darstellte. An der Ost- und Westseite des Schlosses befanden sich weitere Brunnen. Zur Erinnerung an eine mittelalterliche Einrichtung führte eine Gaststätte auf der Laak den Namen „Kettenbrunnen".

 

Spiele mit dem Wasser trieben unsere Springbrunnen daheim, man denke nur an den allen Königsbergern bekannten im Tiergarten, der zur heißen Sommerszeit so angenehme Kühlung verbreitete. In den Gärten der Adelsgeschlechter waren sie auch zu finden und mit ihrem Plätschern führten sie eine besondere Sprache.

 

Die Brunnen unserer verlassenen Heimat rauschen in unserer Erinnerung und im Traume weiter und uns ergeht es wie dem Dichter, der da spricht:

 

„Zum Brunnen meiner Vaterstadt

kam ich im Traume wandermatt

und schöpfte in die Hand hinein

die kühle Flut wie Zauberwein.

In einem ersten raschen Zug

verwehte mir der Zeiten Trug.

In einem zweiten Zug zerrann

Der Nähe Zwang, der Ferne Bann.

Und als ich trank zum drittenmal,

fiel ab von mir des Leibes Qual,

und meine Seele klang befreit

im Tropfenfall der Ewigkeit“.

 

Seite 10   Es lohnt nicht.

Eine Lehrerin im Kreise Allenstein hatte Geburtstag. Sie hatte sehr viele Gratulanten und verteilte unter ihnen Bonbons. Vor ihrer Tür gaben sich die Kinder ein Stelldichein. Zwei Stupsnäschen erhielten die letzten Bonbons aus der Tüte. Als sie vor der Tür noch weitere Gratulanten trafen, da riefen sie ihnen zu: „Jeht mal nich mehr, se hedd all nuscht mehr!"

 

Seite 10   Der Garten. Von Max v. Schenkendorf

In den Garten muss ich blicken,

in das frische stille Grün,

tausend Wünsche muss ich schicken

fernhin, wo die Schwalben ziehn.

 

Fliegt nur mit den Morgenwinden,

mit den Wolken flieget fort,

eure Heimat sollt ihr finden,

liebe Wünsche, Ziel und Ort.

 

Rückwärts will ja nicht mein Sehnen,

nimmer in die Eitelkeit;

diese Seufzer, diese Tränen

gelten keinem Erdenleid.

 

über Wolken, über Sterne

aufwärts, aufwärts, himmelwärts,

neubelebt, in ewger Ferne

sink ich an das große Herz!

 

Seite 10   Königsberger Maskenfahrt nach Wargen.Direktor Dr. Wilhelm von Gaerte, Hannover. Alljährlich fand am Montag vor Michaelis (29. September) in Wargen, einem Kirchendorf unweit Königsbergs, ein Jahrmarkt statt. Dieser war bis zum Jahre 1847 mit einer karnevalistischen Veranstaltung der Königsberger Bürger verbunden. Darüber berichtet Karl Rosenkranz, Königsberger Skizzen, 1842: „Viel mehr Leben entwickelte der nur einen Tag dauernde Wargensche Markt im Herbst. Der Markt an sich unterscheidet sich in gar nichts von dem anderer kleinerer Orte, aber dadurch, dass man hin und zurück fährt und hunderte von Wagen sich beständig drängen, wird schon ein anderer Ton erzeugt. Und da in einem Tage sich die ganze Marktfreude zusammendrängt, da man also nicht warten darf, wird der Jubel sogleich in ganzer Kraft angefangen. Eine eigenartige Sitte erhöht ihn. Man macht sich nämlich Kränze in Flittergold, steckt sich lange storchschnabelartige Nasen vor, maskiert, verkleidet sich. Wenn ein großer Korbwagen nach dem andern mit voller Ladung uns nichts als diese spitzlangen Nasen und bunkernden Kränze zeigt, wenn das Volk damit umherläuft und Scherz treibt, wenn sich ein Schalk als Weib verkleidet und ein anderer als alter Kerl angetan ihm nun mit grobkomischen Manieren den Hof macht und Gelächter und Zuruf ihren witzboldischen Umzug begleitet, so steckt darin noch ein Rest altertümlicher echter Volkslust".

 

Auch Louis Passarge, Aus baltischen Ländern, 1878, S. 78, erwähnt diese Maskenfahrt der Königsberger nach Wargen. Waldteufel und Schnarren, primitive Lärmwerkzeuge, sorgten für den nötigen Spektakel. Passarge spricht auch davon, dass der Zug seit 1847 nicht mehr ausgeführt sei. Später ist er dann wieder für kurze Zeit aufgelebt, wie Flögel in seiner Chronik der Königsberger Narrengesellschaft berichtet. Die Heimkehrenden hätten sich viel mehr mit „Haarbeuteln" als mit Storchschnäbeln versehen.

 

Dieser herbstliche Wargensche Faschingszug scheint keine urgewachsene Angelegenheit der Königsberger gewesen zu sein; denn Baczko erwähnt ihn nicht in seiner 1788 erschienenen Geschichte der Stadt Königsberg. Allerdings ist ein Schluss auf Einführung von auswärts auf Grund dieses Stillschweigens nicht bindend.

 

Als seltsam darf man den Zeitpunkt des Vergnügens bezeichnen. Die Veranstaltung gehörte ihrem ganzen Gehaben nach eher zu den Frühlingsfesten, insbesondere den Fastnachtsbelustigungen. Der unzeitgemäße Tag spräche für eine Übernahme oder für eine spätere Verschiebung. An die Faschingslustbarkeit erinnern die Kränze, Verkleidungen und das tolle, lärmende Treiben der Königsberger Teilnehmer. Der Ausflug vor die Tore der Stadt lässt an die Wanderungen, Ritte und Fahrten ins Freie denken, wie sie bis in die neuesten Tage zu Ostern (Faust, Osterspaziergang) und Himmelfahrt („Berliner Herrenpartie") üblich sind.

 

Als besonders auffallend werden die storchschnabelartigen Nasen an den Masken hervorgehoben. Zur Erklärung des Ursprungs dieser Art von Gesichtsmaske können zwei Möglichkeiten erwogen werden. Zunächst darf man an den bei ländlichen Festen „alter Zeit geübten „Nasentanz" denken, der auf einer Anzahl von bildlichen Darstellungen erscheint; unter ihnen ist die berühmteste „Der Nasentanz von Gumpelsbrunn". Bei dieser Veranstaltung erhielt derjenige einen Kranz als Preis, der die längste wächserne Nase aufweisen konnte. Diesem „Gesichtszinken" gab man verschiedene Formen und Stellungen und verhöhnte so den Nachbarn. Daher: „Jemand eine Nase drehen", d. h. zum besten haben oder jemand eine lange Nase machen in demselben Sinne. Ist aus solchen Wachsnasen vielleicht im Laufe der Zeit ein storchschnabelartiges Gebilde geworden? Nicht ausgeschlossen! Jeder der Teilnehmer am Wargenschen Fest trug, wie berichtet wird, einen Kranz aus Flittergold. Lebte in diesem Brauch etwa der Ehrenkranz des „Nasentanzes" fort?

 

Man kann aber auch den Gedanken erwägen, dass man einen Storchenzug darstellen wollte. Ein solcher würde einem Frühlingsfest gut angestanden haben. Denn der Storch gilt neben anderen im Frühjahr erscheinenden Zugvögeln als ausgesprochener Frühlingsbote. Er wird heute noch durch Willkommensrufe und Lieder mannigfacher Art freudig begrüßt. Petri Stuhlfeier (22. Februar) heißt „Storchtag". Dem Storch zu Ehren, der als heiliges Tier und Glücksbringer (Adebar) gilt, hat man sich vielleicht eine entsprechende Maske angelegt, tun so ihm zu gefallen und seinen Einzug feierlich zu begehen.

 

Verkleidungen als Störche sind im volkstümlichen Brauchtum keine ungewöhnliche Erscheinung. In Baden zieht an Petri Stuhlfeier ein vermummter „Storchvater", von Kindern begleitet, von Haus zu Haus. Burschen mit Storchmasken erscheinen zur Weihnachtszeit oder Fastnacht in Umzügen an vielen Orten Norddeutschlands und auch anderswo. Bei den Wenden geht ein in gleicher Weise ausgestatteter „Storch" an einem Abend vor Fastnacht durch die Spinnstuben. Ein als Storch verkleideter Bursche war auch in Ostpreußen eine Maskenfigur der Silvesternacht — zusammen mit „Schimmel" und „Bock". Augenscheinlich Überreste von kultischen Tiermaskenumzügen und -tanzen primitiver Zeit, wo man in der Erscheinungsform des göttlichen Vogels die in ihm verkörperte Gottheit am würdigsten zu verehren glaubte. Möglicherweise war in heidnischer Zeit der weiße Storch ein der Göttin der Brunnen und Teiche heiliger Vogel. In Schweden heißt der schwarze Storch noch heute „Odins Schwalbe".

 

Seite 10   Immer noch rinnt der Fluss. Herbert Wessely

Drehen im Wirbel des Tages —

aber noch immer rinnt der Fluss. —

Auch unter Brücken von Beton.

Und spielen Mücken über der Halde...

Hoch vom Werkfirst singt eine Amsel.

Zwischen Draht und Eisenguss,

auf einer Krume Grund,

öffnet die Wegwart ihren Blick.

Durch starres Gestänge, schimmert hell

Schnee weißer Wolken ...

 

Seite 10   … alles weglassen

Foto: Herbert Wentscher Selbstportrait

Die französische Zeitschrift „La Revue Moderne" sprach von der Absicht des Malers Herbert Wentscher, die alle seine Werke bezeugen, eine Art rhythmischer Reinheit zu schaffen, die durch die Unterdrückung jedes überflüssigen Details dem Eindruck größte Kraft gibt. Die Wege, die dahin führen, gehn zugleich auf das Wesentliche zu: einmal — so schreibt die französische Zeitschrift — nichts von dem zu vernachlässigen, was Charakter und Leben eingeben, und zum anderen, alles Artfremde wegzulassen. Wer diesen Grundzug Herbert Wentschers kennt, wundert sich beim Anblick vor allem seiner Federzeichnungen nicht mehr über die Sparsamkeit, mit der der Künstler arbeitet.

 

Herbert Wentscher ist am 12. Juni 1900 in Graudenz geboren. „Die Weichsel, die Plantage, die Feste Courbiere, das alles war mein unvergesslicher Spielplatz“, sagt er von seiner Jugendzeit. 1920 kam die Familie nach Berlin; dort arbeitete er als Bankbeamter und absolvierte sechs Semester Jura als Werkstudent. Später wurde seine künstlerische Begabung, ein Erbteil der Familie, so mächtig in ihm,

dass er zur Kunstakademie nach Königsberg ging und weiter in Hildesheim und Breslau studierte. 1931 erhielt er die Befähigung zum künstlerischen Lehramt. Starke Eindrücke erhielt er durch seine Tätigkeit als Studienrat in Zoppot, ebenso wie später in den Kriegsjahren in Polen und Frankreich. Auch die Nachkriegsjahre in Ostfriesland veranlassten ihn zu reichem Schaffen. Bereits vor dem Kriege erschien Herbert Wentscher in zahlreichen Ausstellungen in Danzig, Königsberg, Graudenz, Hamburg, Wien und Elbing; Werke von ihm kauften Museen in Danzig und Westpreußen. Der Senat der freien Stadt Danzig zeichnete ihn mit einem Preis aus.

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte. Fritz Kudnig:

Die Schlacht bei Sedan im Jahre 1895.

Die Deutschen sollen, wie man ihnen nachsagt, stets ein sehr kriegerisches Volk gewesen sein. Ob sie es aus Not waren, weil man sie selbst bedrohte, oder aus sonstigen Gründen, haben wir nicht zu untersuchen, da wir nicht Professoren der Geschichte sind. Eins ist leider wahr: dass wir, nachdem wir vorher recht kriegerisch gewesen, fast jedes Mal nach einer Niederlage vielfach so kriecherisch waren, dass sich selbst unsere Feinde darob sehr gewundert und aus ihrer Verachtung für uns kein Hehl gemacht haben. Doch das steht auf einem Blatt, das hier lieber nicht aufgeschlagen werden soll.

 

Hier geht es heute um unser Kriegertum, wenn auch nur in Anführungsstrichen, nicht um unser Kriechertum.

 

Wenn es auch schon recht lange her ist, die Älteren unter uns wissen es sicher alle noch, dass zu der Zeit, als Wilhelm II. auf dem deutschen Kaiserthrone saß, die Schlacht bei Sedan für uns ein besonderer Feiertag war. Ich z. B. weiß es noch genau, dass ich als kleiner Volksschulstöpsel an diesem Feiertage, nachdem wir vor dem Kriegerdenkmal im Stadtwalde laut und echoweckend das Lied „Fühl in des Thrones Glanz — die hohe Wonne ganz …“ gesungen hatten — ja, ich weiß, dass ich an jenem Tage meinen Vater fragte, was das eigentlich wäre: eine Wonne-Gans. — Er lachte sich glücklicherweise nur halb tot, als er diese Frage sachgemäß dahin beantwortete, dass es sich hier um das Wörtchen ganz mit z, nicht um eine gebratene Gans mit rundem s am Ende handele. —

 

Nicht nur die Schulen feierten den Sedantag. Auch Krieger- und sonstige Vereine taten es. Und dies besonders gründlich. Denn nach solcher Feier türmten sich bei den strahlenden Gastwirten die leeren Schnapsflaschen und Bierfässer zu ansehnlichen Bergen.

 

Ein Onkel von mir, der als Kaufmann in Angerburg lebte, erzählte mir eines Tages, wie es in jener Gegend am Sedantage zuging. Und dies soll hier — sozusagen als Geschichtsdokument — auch der Nachwelt überliefert werden. Es ist, wenn ich mich recht erinnere, im Jahre 1895 gewesen. Wie man in Oberammergau die Passionsspiele feierte, so feierte man in verschiedenen Dörfern Masurens, deren Namen taktvoll verschwiegen werden sollen, das Siegesfest von Sedan, ein Volksfest ersten Ranges. Kriegsteilnehmer von 1870/1871, die jene Schlacht mitgefochten hatten, waren die Darsteller des Festspiels. Jeder von ihnen trug dabei stolz seine alte Felduniform. Und wenn die enge Feldhose auch meist nicht mehr auf den in den fetten Friedensjahren wesentlich umfangreicher gewordenen Bauch und dessen hinterwärtiges Gegenstück passte, es tat der Begeisterung keinen Abbruch, wenn dann und wann einmal heimlich eine Hosennaht platzte. — Schwer war in dem Festspiel stets die Rolle des Kaisers Napoleon zu besetzen. Seine einstige Kapitulation war immerhin keine begeisternde Kriegstat gewesen. Und man wollte bei diesem Feste doch begeistert sein! Es kam hinzu, dass diejenigen, die die Generale darzustellen hatten, nach altem Brauch ihren bürgerlichen Namen verloren. Sie hießen für alle Zukunft bei ihren Dorfinsassen nicht mehr Herr Schmidt, Herr Müller und Herr Schulze, sondern Bismarck, Roon und Moltke usw.

 

War es nun etwa ehrenvoll für einen echten Deutschen, sich als Napoleon anreden zu lassen? Nein, das war es nicht. Doch es hatte mit dem Napoleon noch etwas anderes auf sich: Mit dieser Rolle war nach der Festungskapitulation stets eine mächtige Tracht Prügel verbunden. In den letzten Jahren hatte sich, allerdings immer nur nach langem Zureden, der Tischler X aus Y bereitgefunden, Napoleons Prügel in Empfang zu nehmen. Jedes Jahr verlangte er dafür jedoch ein höheres Honorar. Dies wurde ihm zwar stets, wenn auch widerstrebend, bewilligt. Die Folge aber war, dass jedes Mal, dem höheren Honorar entsprechend, auch die Prügel gewaltiger wurden.

 

Im Jahre 1895 fand nun nach Abschluss des Honorarvertrages mit dem Kaiser Napoleon also wieder einmal die Schlacht bei Sedan im Kreise Angerburg statt. Nahe dem Schlachtfelde sorgten Bonbon- und Schokoladenverkäufer, Bier- und Schnapsbuden und Männer mit warmen Würstchen für die notwendige Kriegsverpflegung. Die reichlich aufgefahrene schwere Artillerie schoss aus Leibeskräften. Man hatte über abmontierte Wagenräderachsen kanonenrohrähnliche Baumstämme gelegt, in die zuvor tiefe Löcher eingestemmt waren. Darin brannte man unentwegt donnernde Kanonenschläge ab. Es war ein Höllenlärm und ein Riesenfeuerwerk, das reichlichen Pulverdampf und einen fürchterlichen Gestank hinterließ. So war es kein Wunder, dass selbst den Feinden allmählich angst und bange wurde bei all dem Radau und Gestänker.

 

Die deutsche Infanterie ließ es an Kriegslärm ebenfalls nicht fehlen. Sie griff unter Horn- und Trompetensignalen mit weithin schallendem Hurra und fliegenden Fahnen auf ganzer Front begeistert an.

 

Schmiedemeister W., mit einem schönen weißen Backenbart als Kaiser Wilhelm I. herausfrisiert, hielt auf einem grünen Feldherrnhügel. Er saß auf einer pechschwarzen Fohlenstute. Um ihn herum, auf blank gewichsten Bauernpferden, die hohen Paladine.

 

Eben beobachtete Kaiser Wilhelm mit einem mächtigen Feldstecher, Muster 1870/1871, den glücklichen Fortgang der Schlacht, als aus der beschossenen Festung heraus ein Offizier erschien, der hoch vor sich eine weiße Parlamantärflagge trug. Das war der rechte, von Bürgern und Soldaten heiß ersehnte Zeitpunkt zum Beginn des lautesten Siegesjubels. Man sang vaterländische Lieder und zog, unter Vorantritt der dörflichen Tanz- und Regimentskapellen, mit geschwellten Brüsten in die zerschossene Festung Sedan ein.

 

Hier sollte nunmehr, wie üblich, auch noch die Zusammenkunft von Bismarck und Napoleon historisch dargestellt werden. In diesem Jahre 1895 nun, von dem mein Onkel erzählte, geriet das Historische leider sehr daneben. Die Historie artete fast zur Hysterie aus. Eben waren Bismarck und Napoleon von ihren Schlachtpferden gestiegen und wollten, zwecks besagter Zusammenkunft, in ein nahe gelegenes Gasthaus eintreten, da packte Bismarck, der offenbar bereits übernormal alkoholbegeistert war, den Kaiser Napoleon vorne beim Rockkragen und schubste ihn rückwärts mit dramatischer Wucht durch die Haustür in die Gaststube hinein. Der so unverhofft Vergewaltigte versuchte sich erregt mit einem, in der Eile leider vorbeigezielten Kinnhaken zu befreien. Doch er hatte dabei nicht mit der steten Einsatzbereitschaft preußischer Generale gerechnet. Blitzschnell sprangen Roen und Moltke von ihren Schlachtrossen, eilten herbei und versetzten dem Kaiser Napoleon eine derartige Tracht bestens gelandeter Fausthiebe, dass diesem jählings der Uniformkragen platzte. Auch das erhöhte Honorar hätte diese Schmach nicht wettmachen können.

 

Kaiser Napoleon schrie wie ein Wüstenlöwe und riss dann wie ein Hase aus! — Schon am nächsten Tage aber verklagte er Bismarck nebst seinen beiden gewalttätigen Generalen Roen und Moltke wegen tätlicher Beleidigung und Körperverletzung.

 

Auch vor dem Amtsrichter nannten sie sich alle mit ihren vollen Kriegsnamen. Und der Amtsrichter soll dabei seinen  heitersten Gerichtstag verlebt haben. Schließlich fragte er in den Tumult der Geister hinein, ob sich die Herren nicht lieber vertragen möchten. Er schlug ihnen sogar einen guten Vergleich vor. Doch da erklärte Kaiser Napoleon empört in echt ostpreußischem Platt: „Nee, Härr Amtsrichterche, möt dem Roon onn dem Moltke, doa wöll öck mi denn schon verdräge. Möt dem Bismarck, dem Krät, oawer opp keenem Fall. Dat Oas häfft mi to doll jegäwe!"

 

So endete diese denkwürdigste aller Schlachten damit, dass Bismarck zu 5 Mark Geldstrafe oder einem Tag Haft verurteilt wurde. Und damit endet auch dieser historische Schlachtbericht.

 

Seite 11   Die eintägige Ostpreußen fahrt / Von Annemarie in der Au.

Es war also abgemachte Sache. Irmel und ich würden auf Ostpreußenfahrt gehen. Irmel war unsere Nachbarstochter. Wir waren vierzehn Jahre alt und fühlten uns mutig genug, so eine Fahrt auf eigene Initiative hin zustande zu bringen. Unsere Eltern brauchten den ganzen Plan nicht zu wissen. Sie hätten ihn uns doch nur rundweg abgeschlagen, notfalls mit ein paar schlagenden Beweisen hinter den Ohren. Wer viel sagt, bekommt viel zu hören, und darum würden wir ihnen nur von Fall zu Fall, wenn es soweit war, von einer neuen Fahrt an einen neuen Ort Nachricht geben, sozusagen mit einer Ansichtskarte bei einem schönen Ausflug. Das würde niemand auffallen und wir hätten unsere Ostpreußenfahrt. Das alles war beschlossene Sache. Angst hatten wir nicht. Irmel kannte außerdem überall Krück und Ofenstiel, und wo sie nichts dergleichen bereits gekannt hätte, da würde sie es in den ersten fünf Minuten aufgefunden haben. Es konnte also tatsächlich schlechterdings nichts passieren.

 

Die Sommerferien waren da. Ach ja, wir würden beide mal ein bisschen mit unseren Rädern nach Heinrichswalde rüberfahren und da bei bekannten Mädeln bleiben, eine Woche vielleicht, vielleicht auch noch eine zweite, wir würden schon zeitig genug Nachricht geben. Geld brauchten wir nicht viel, nur ein bisschen Proviant für die Fahrt und unsere Schlafsäcke. Doch, doch, Schlafsäcke mussten wir unbedingt mitnehmen, und dann das Badezeug natürlich. Also bepackt starteten wir beiden Tilsiter Marjellens zu einer Ostpreußenfahrt in der Frühe eines wunderschönen Tages.

 

Wir fuhren die Grünwalderstraße entlang und kamen uns mächtig forsch vor. Ob wir auf dem Hindenburgstadion erst noch mal etwas Frühsport machen sollten, um unsere Beine zu ölen? Ach nein, das war heute wohl nicht nötig, aber ansonsten hatten wir einen ganz genauen Tagesplan aufgestellt und da gehörte der Frühsport mit dazu. Je nun, am ersten Tag braucht man ja noch nicht so genau zu sein! Aber an den anderen Tagen werden wir den Plan ganz strikt einhalten.

 

Da sind wir auch schon an der Unterführung und der Insterburger Zug fährt uns genau über die Köpfe. Hier müssen wir unbedingt absteigen, denn erstens ist es so ein schönes kitzliches Gefühl, den Zug über sich donnern zu hören, und .außerdem ist dem nicht zu wider schallen zu hören. Schließlich steigen wir doch wieder auf unsere Stahlrösser, sehr schnell sogar, denn wir sehen einen Mann uns entgegenkommen, und der soll nicht glauben, wir frönten noch Bixenprusterallüren!

 

Wir lassen die Überlandzentrale und die großen Hochspannungsmaste hinter uns, und Irmel weiß mir bis Kuhlins eine schrecklich aufregende Geschichte von einem Arbeiter an der Starkstromleitung zu erzählen, überhaupt weiß Irmel viel zu schnattern, man braucht sich nicht einmal zu einer Antwort anzustrengen.

 

Schon sind wir im Wald und da ist die Wippe bereits, bei Kuhlins. Hocherhobener Nase fahren wir daran vorbei. Wer uns jetzt noch für dumme Gänse hält, kann uns nur noch leidtun. Aber niemand wird auf diesen Gedanken kommen, denn niemand begegnet uns. Wir fahren einen schmalen Querwaldeinweg, hügelauf, hügelab, und haben eine Weile genug damit zu tun, auf die Baumwurzeln zu achten, die einen gar zu gern zu Fall bringen möchten. Mit Schwung fahren wir über das kleine Smaluppbrückchen, aber ehe wir auf den Robert-Koch-Weg einbiegen, halten wir unsere erste Rast. Irmel spendiert jedem ein Ei. Ich liefere dafür einen erfrischenden Schluck aus der Flasche. Die Hälfte geht drauf. Aber es gibt tatsächlich an so einem Tag nichts Köstlicheres, als einen zuckerwasserverdünnten Essigauszug aus Citronen- oder Pommeranzenschalen. Zwischen Kauen und Schlucken gebe ich mit meinem neuen Brotbeutel an und Irmel mit dem tollen Taschenmesser ihres Bruders.

 

Dann sind wir wieder auf den Rädern. Es ist eine Freude, den gepflegten Robert-Koch-Weg entlang zu rasen. Linkerhand liegt der große, hochumzäunten Komplex der Heilstätte. Wir möchten da nicht liegen, wir finden Krankenhäuser furchtbar. Irmel weiß wieder eine aufregende Geschichte, diesmal von einem Leprakranken-Lager, das bei Memel sein soll, und wir sind so in ein achtunggebietendes Gespräch versunken, dass wir an Waldschlösschen vorbei ohne Aufenthalt auf die Chaussee nach Heinrichswalde gekommen sind. Nun müssen wir hintereinanderfahren, ganz vorschriftsmäßig. Unser Tempo zieht unmerklich an. Es ist Mittag und höchste Zeit, denken wir, unser erstes Ziel zu erreichen. Das ist die Jugendherberge Heinichswalde. Es ist ein großes Haus, fast einem Mietshaus ähnlich und ist gerade von einer Lagergruppe besetzt, will uns jemand abweisen. Aber da wollen wir ja gerade hin! Die Lagergruppe ist in die Badeanstalt gegangen. Das ist für uns genau ein Schlag ins Wasser! Traurig stehen wir da.

 

Was heißt traurig? Kann man mit vierzehn Jahren an einem solchen Sommertag überhaupt traurig sein? Wir haben Badezeug mit und finden uns ganz wie von ungefähr ebenfalls in der Badeanstalt ein. Salzwasser. Salzwasser! Hat so etwas die Menschheit schon erlebt? Und wir erfahren bereitwilligst, dass das hier die einzige Salzwasserbadeanstalt des Binnenlandes und durch unterirdische Arme direkt mit der See verbunden sein soll. Wir glauben es und springen mit kleinen Schreien immer wieder in das aufspritzende Nass. Dann liegen wir im schönen weißen Sand und lassen uns von der Sonne trocknen.

 

Kaffeezeit. Die Lagergruppe macht sich zum Abmarsch in die Herberge bereit, und wieder schließen wir uns ganz wie von ungefähr an. Uns knurrt der Magen. Natürlich haben wir noch eigenen Vorrat, aber der soll ja nun nicht gleich am ersten Tag zu Ende gehen. Und dann werden wir an der Abzweigung verabschiedet, ohne böses Wollen natürlich, weil wir erst den Mund so voll genommen haben von wegen großer Fahrt und so und jetzt kann selbst Irmel ihren Mund nicht aufmachen und erklären, so und so ist es, und es wäre schön, wenn ...

 

Wir sitzen wieder auf den Rädern, ein bisschen bedeppert, und merkten zunächst gar nicht recht, dass wir mählich zurücktrudeln, Richtung Heimat. Als es uns beiden vielleicht auffällt, sitzen wir in den Himbeeren in der Gegend vom Waldkrug. Erst stopfen wir unsere Mägen voll, und dann helfen wir ein paar Frauen, ihre Kannen und Körbe zu füllen. „Wir könnten auch ein paar Beeren in unsere Badekappen nach Hause nehmen“, sagt Irmel und tut, als sei das die selbstverständlichste Sache von der Welt und niemals anders beredet worden. Und nach einiger Zeit sagt sie noch, daß es zu Hause heute Abend Kartoffelflinsen gäbe. Ja, ich weiß. Das hatte Irmels Mutter uns ganz nebenbei — so schön nebenbei, wie wir das zu tun pflegten — noch bei der Abfahrt gesagt.

 

Ja, und danach sind wir dann nach Hause geradelt. Nicht mehr durch den Wald, sondern den Labiauer Damm entlang. Da ging es schneller. Wir hatten schreckliche Eile. Den Duft der Kartoffelflinsen hatten wir schon in den Nasen, als wir am Viadukt waren, für dessen feenhafte Umgebung wir ausnahmsweise einmal kein Auge zur Verfügung hatten.

 

Dann gab es zu allem Überfluss auch noch Kirschsuppe. Ich war natürlich eingeladen. Hinterher hatten wir viel und aufregend zu erzählen. Ich weiß nicht, meinte Irmel schließlich, warum so viele immer gleich quer durch ganz Ostpreußen fahren wollen. Wenn man von Tilsit nach Heinrichswalde fährt, dann ist das doch genauso. Dann hat man auch alles, viel Wald, Seewasser, weißen Sand, Hügel und viel Sonne.

 

Unsere Mütter grinsten geradezu anzüglich, steckten uns in die Wanne und dann ins Bett, und damit war unsere große Ostpreußenfahrt in einem Tag beendet.

 

Seite 11   Kleiner alter Mann. Von Tamara Ehlert.

Kleiner alter Mann geht durch den Wind

Hin zum Fluss, wo alte Boote liegen,

Die sich dunkel auf den Wassern wiegen

Und vom Wasser angefressen sind.

 

Und von Zeit und Wind und Licht. Wie er.

Darum liebt er sie, weil sie ihm gleichen,

Und er spricht zu ihnen und macht Zeichen,

Und die Boote schauen grämlich her.

 

Fällt die Sonne, wird das Wasser blind,

Hat der Tag sein letztes Licht verschwendet,

Winkt er seinen Booten zu und wendet.

Kleiner alter Mann geht durch den Wind.

 

 

Seite 11   Foto: Eva Schwimmer (Berlin) geb. 19.03.1901 in Kalkstien, Ostpreußen. Ostpreußischer Bauer. (Federzeichnung) (Aus dem Kunstkalender Die Künstlergilde 1956)

 

Seite 12   Was sind Selbstbestimmung und Heimatrecht? Lüneburger Forschungszentrum arbeitet mit internationalen Wissenschaftlern.

Wir reden und schreiben so unendlich viel vom Heimatrecht, vom Völkerrecht und vom Selbstbestimmungsrecht, dass die Frage nach der Bedeutung dieser Begriffe auf den ersten Blick überflüssig erscheint. Was es aber wirklich damit auf sich hat, das ganz nüchtern und wissenschaftlich zu ergründen, ist die Aufgabe des vor kurzem eingerichteten „Forschungszentrums für Selbstbestimmungsrecht und Nationalitätenpolitik" in Lüneburg. Dieses Institut ist eine Gliederung der Ostdeutschen Akademie; es wird bereits im Oktober dieses Jahres eine internationale Arbeitstagung abhalten.

 

Der Leiter des Forschungszentrums ist Dr. Günter Decker, ein junger Wissenschaftler, der schon mehrfach als Forscher und Publizist hervorgetreten ist. Der 39-jährige hat seine völkerrechtlichen Studien vielfach an Ort und Stelle getrieben und verfügt somit über umfangreiche Kenntnisse und Beziehungen in alle Welt. Er studierte an der Hochschule für Politik in Berlin, unter anderem auch bei Professor Böhm, den jetzigen Leiter der Ostdeutschen Akademie. Seine Doktorarbeit über ein völkerrechtliches Thema fand in Fachkreisen außerordentlich starke Beachtung. Dann zog er in die Welt: Ägypten, Indien, Japan, Amerika waren die Ziele. Mehrere amerikanische Universitäten sahen ihn als Gastprofessor, die Vereinten Nationen übertrugen ihm Aufgaben, und für deutsche Ministerien war er tätig. Das Institut für politische Wissenschaft in Frankfurt zählt ihn zu seinen Mitarbeitern ebenso wie die Zeitschrift für internationales Recht und Diplomatie. Unter seiner Leitung wurde die westeuropäische Ukraine-Politik während des letzten Krieges erforscht.

 

Für seine neue Aufgabe am Lüneburger Forschungszentrum stehen ihm Völkerrechtler und Wissenschaftler aus Deutschland, Holland, Indien, Japan, Schweden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Seite. Als erstes Thema soll die Deutschlandfrage behandelt werden, vor allem die Wiedervereinigung und die Ostgrenzen. Ein eingehendes Studium der Geschichte und der völkerrechtlichen und nationalpolitischen Bedingungen soll bei der Klärung und Regelung der Probleme helfen. Ein weiteres aktuelles Thema ist das Bestreben vieler Völker, unabhängig und selbständig zu werden. Alle Rassenprobleme in Afrika und Amerika gehören dazu, wie auch die Ereignisse auf Zypern. Alle diese Vorgänge rollen über die Menschheit hinweg; das Forschungszentrum für Selbstbestimmungsrecht und Nationalitätenpolitik hat es sich zur Aufgabe gemacht, endlich eine rechtliche Klärung vorzunehmen, die gewiss aber von Nutzen sein kann. So bedarf nach Dr. Deckers Meinung auch das bei uns viel angewandte Wort Heimatrecht einer genauen Erklärung und Abgrenzung, schon deshalb, weil dieser Begriff im Ausland nicht verstanden wird.

 

Seite 12   Kleine Elchland-Reihe.

Ost-westpreußische Kleinbuchreihe.

Der Elchland-Verlag, in dem seit über sechs Jahren die „Ostpreußen-Warte" erscheint, wird sich künftig auch dem Buchschaffen widmen, um auf diese Weise die bestehenden freundschaftlichen Bande mit seinem Leserkreis weiter zu festigen und ihm neue Freunde zu gewinnen. Mit der Schaffung einer preiswerten heimatlichen Kleinbuchreihe will der Verlag eine Lücke im gegenwärtigen Heimatschrifttum schließen. Als erster Band erscheint noch im September der fesselnde Erlebnisbericht „Hunger, Hass und gute Hände" von Elisabeth Pfeil. Die Verfasserin, bei Kriegsende von den Russen in Königsberg festgehalten, erzählt in einer natürlichen, unverbrauchten Sprache ihre Erlebnisse und Begegnungen in jenen Jahren. Königsberg, eine tote Stadt, in der der Hunger regiert, ist der Ausgangspunkt vieler abenteuerlicher Fahrten in das benachbarte Litauen. Diese Erlebnisse dürfen als eines der ergreifendsten Dokumente der Menschlichkeit gewertet werden, erlebt in einer Zeit des Hasses, der Not und des Unrechts.

 

Als nächste Veröffentlichungen in dieser Reihe sind vorgesehen: Erzählungen von E. T. A. Hoffmann, Fritz Kudnig, Tamara Ehlert; geschichtliche, volks- und heimatkundliche Beiträge von Wilhelm Gaerte, Schlusnus und Hermann Bink sowie weiteren bedeutenden Autoren der ost- und westpreußischen Heimat aus Vergangenheit und Gegenwart.

 

Der Preis pro Bändchen in einem Umfange von 48 - 72 Seiten beträgt 1,60 DM.

 

Seite 12   Die Schrift-Trägerin des Edelsten. Gedanken über Bücher und Leser.

Über jedem guten Buche muss das Gesicht des Lesers von Zeit zu Zeit hell werden. Morgenstern

 

Lesen heißt mit einem fremden Kopfe, statt des eigenen zu denken. Schopenhauer

 

Man sollte eigentlich immer nur das lesen, was man bewundert. Eckermann

 

Ein Buch hat oft eine ganze Lebenszeit einen Menschen gebildet oder verdorben. Herder

 

Aus den Büchern reden die unsterblichen Stimmen der Verstorbenen. Plinius

 

Das Zurückkommen auf früher Gelesenes ist ein Zeichen erlangter Weiterbildung. Hebbel

 

Gibt die Buchdruckerei nicht dem Worte Allgegenwart, Gemeinnutz und Ewigkeit? Herder

 

Auch die Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann. Goethe

 

Vom Schlechten kann man nie zu wenig, das Gute nie zu oft lesen. Schopenhauer

 

Seite 12   Kulturelle Nachrichten

Eberhard Gieseler nach Köln.

Eberhard Gieseler, der frühere Oberspielleiter am Königsberger Schauspielhaus, wurde in einem Doppelvertrag als Spielleiter und Charakterdarsteller an die Städtischen Bühnen Köln und die Landesbühne Rheinland-Pfalz verpflichtet. Gieseler hat sich in besonderer Weise und unter größten persönlichen Opfern um die Schaffung der Bundesweihestätte Burg Greene verdient gemacht.

 

Angerburger Literaturpreis gestiftet.

Am 31. Dezember 1956 läuft erstmalig die Frist für die erste Verteilung des „Angerburger Literaturpreises" ab, welcher von dem niedersächsischen Patenkreis Rotenburg/Hann, im Januar diesen Jahres gestiftet worden ist. Der Preis soll für literarische Werke Angerburger Schriftsteller oder den Kreis Angerburg betreffende literarische Werke deutschsprachiger Schriftsteller verliehen werden.

 

Eßlinger Begegnung 1956.

Die diesjährige „Eßlinger Begegnung", die fünfte Jahrestagung der Künstlergilde e. V., findet vom 27. September bis 1. Oktober 1956 statt. Sie soll diesmal vor allem dem Gespräch untereinander in den einzelnen Fachgruppen dienen. Die Kunstausstellungen im Eßlinger Rathaus werden am 28.09.1956 eröffnet. Der Sonnabendabend bringt wieder ein zeitsatyrisches Kabarettier, wie es erstmalig im Vorjahr mit Erfolg durchgeführt wurde. Die Begegnung schließt am Montag mit einer Kunstfahrt ins Land der Hohenstaufen.

 

Bruno Bistram gestorben.

Der aus Neustadt bei Danzig gebürtige Maler und Graphiker Bruno Bistram ist an den Folgen eines langwierigen und schweren Kriegsleidens in Duisburg gestorben.

 

Dr. Paul Rohrbach gestorben.

In Langenburg im Hohenloheschen starb 86-jährig der Kulturphilosoph und Schriftsteller Dr. Paul Rohrbach. Der aus Irgen in Livland stammende Verfasser einst vielbeachteter Werke wie „Der deutsche Gedanke in der Welt", „Weltpolitisches Wanderbuch" usw. und Herausgeber meinungsbildender Zeitschriften war bis in sein hohes Alter ein stets wacher und kritischer Beobachter des Zeitgeschehens, ein Vorkämpfer maßvoller Weltbedeutung Deutschlands, der auch nach dem zweiten Weltkrieg durch Schriften wie „Unser Weg" und „Das Herz Europas im Spiegel der Jahrtausende" wertvolle Gedanken im Sinne einer neuen europäischen Ordnung lieferte.

 

Die ostpreußische Kirchengemeinde.

Als Veröffentlichung des „Göttinger Arbeitskreises" erschien soeben im Holzner-Verlag, Würzburg, von Pfarrer Herbert Potschka: „Die ostpreußische Kirchengemeinde Kuckerneese* (Beiheft 18 z. Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr.). Der Autor schildert aufgrund eingehender Kenntnisse der Urkunden und Archivalien die Geschichte der Gemeinde Kuckerneese, die bis 1938 Kaukehmen hieß und auf eine im 16. Jahrhundert gegründete Zollstation des Deutschen Ordens an der Kauke, einem Nebenarm der Memel, zurückgeht. Die Darstellung, welche bis an die Gegenwart herangeführt ist, behandelt ferner die Geschichte der Kirchengebäude und Pfarrgehöfte, gibt eine Aufstellung mit Lebensdaten der seit dem 16. Jahrhundert in Kaukehmen-Kuckerneese tätig gewesenen Geistlichen und Organisten sowie eine Schilderung des Gemeindelebens. Das Buch umfasst 122 Seiten und kostet DM 6.,--.

 

Museum des Deutschen Ordens.

In Ellingen in Franken wurde ein Museum des Deutschen Ritterordens eingeweiht. Es umfasst zehn große Räume, von denen vier Gobelins zeigen und sechs eine Fülle von Urkunden, Schriften, Fahnen, Wappen und anderen wertvollen Erinnerungen aus der Blütezeit des Deutschen Ritterordens in den ostdeutschen Provinzen.

 

NRW-Kulturpreis für Gottfried Benn.

Zu einem feierlichen Gedenken für den in Mansfeld/Westpr. geborenen Lyriker Gottfried Benn wurde die Übergabe des großen Kulturpreises von Nordrhein-Westfalen durch Kultusminister Professor Dr. Luchtenberg an seine Witwe Ilse Benn. Die Jury hatte am 7. Juni diese Ehrung beschlossen, ohne zu wissen, dass der Dichter zur gleichen Stunde verstorben war. Luchtenberg nannte ihn in seiner Begrüßungsansprache den „Lyriker des Ungesagten". Der Minister schloss mit der Benn-Strophe: „Wenn je die Gottheit tief und unerkenntlich in einem Wesen auferstand und sprach, so sind es Verse, da unendlich in ihnen sich die Qual der Herzen brach".

 

Corinths „Gekreuzigter" in München.

Corinths „Gekreuzigter", ein erschütterndes, erst kürzlich entdecktes Werk seiner reichsten Zeit wurde von der neuen Staatsgalerie in München erworben. Es wird jetzt in der Sommerausstellung des Münchener Kunstvereins gezeigt. Dieses Bild hat wie überhaupt das Überlegen – durchgeistigtes Spätwerk Corinths, insbesondere in England und Amerika Aufsehen erregt.

 

Bücher der Welt in Frankfurt.

Die diesjährige Frankfurter Buchmesse vom 19. bis 24. September wird von 1000 Verlagshäusern aus 19 Ländern beschickt. Die Länder des Ostens, China, Polen, Rumänien, Ungarn, UdSSR und Mitteldeutschland sind mit Gemeinschaftsausstellungen vertreten. In der Eröffnungsfeier am 19. September wird Peter Bamm über „Naturwissenschaft und Literatur" sprechen. Die Mitgliederversammlungen der Fachgruppen Verleger, Buchhandel und Zwischenbuchhandel finden am 22. September statt. Die Verleihung des Friedenspreises an Reinhold Schneider findet wie üblich am Messe-Sonntag, dem 23. September im festlichen Rahmen in der Paulskirche statt. Die Festansprache hält Weiner Bergengruen.

 

Seite 12   Soldat im Atomzeitalter.

Das unentbehrliche Sonderheft der Zeitschrift Gemeinschaft und Politik.

 

-       Die Waffentechnik ist von den modernen Naturwissenschaften her revolutioniert worden. Die atomaren Vernichtungsmittel bestimmen eine völlig neue Art von Strategie und Taktik. Truppenführung und Truppenorganisation sollen den neuen militärischen Möglichkeiten „angepasst" werden. Die Ausbildung — härter denn je — soll den Erfordernissen der „Atomdisziplin" Rechnung tragen. Der Mensch wird vorbereitet auf die Schlacht um den Erdnullpunkt, wobei ihm der politische Sinn des Geschehens nicht mehr vermittelt werden kann.

 

-       Die Bombe von Hiroshima hat ein neues Zeitalter eingeleitet. Der Totalitarismus hat sich der Kriegführung bemächtigt. Mit der Ausgestaltung künftiger Kampfhandlungen zum Massaker ist das Kriegsgeschehen kriminalisiert. In dieser Situation wird der Deutsche zu den Waffen gerufen. Deshalb muss jeder wissen, was es auf sich hat mit dem Atomkrieg! Grundlegende Informationen. 96 S. mit 11 Abbild, in Kunstdr., Preis DM 3,90, Verlags- u. Bestellanschrift:

 

Verlag des Instituts Bad Godesberg, Römerstraße 11

 

Seite 13   Herr Müller aus Tilsit.

Kennen Sie Herrn Müller?

 

Diese Frage löst gleich eine Gegenfrage aus.

 

Welchen Herrn Müller meinen Sie?

 

Kaufmann an der Ecke mit den erstklassigen Bismarckheringen oder den Herrenschneider, dessen Anzüge höchste Eleganz verbürgen, oder gar den Professor Müller, dessen Vorbereitungskurse jedem Prüfling zu einem glänzenden Examen verhelfen?

 

Nein, keinen von den Dreien meine ich, sondern Herrn Müller aus Tilsit, tätig in einer Käserei, aus welcher der Prima Tilsiter Vollfettkäse, 50 Fettgehalt, hervorgeht.

 

Herr Müller, rank, sehnig, sportlich, mit starken Muskeln an Armen und Beinen, hat blitzende, unternehmungslustige Augen, zupackende Hände und ein stets waches Begriffsvermögen. Um den Ruhm des Tilsiter Käses weit über Stadt- und Staatsgrenzen zu verbreiten, träumte seine Firma einen Plan, dessen Ausführung Herrn Müller anvertraut wurde.

 

Die Firma ließ eine Käseform aus Blech anfertigen, zwei Meter im Durchmesser, trotz ihrer Dimensionen ähnlich den Käsebroten auf dem Ladentisch. Die kreisrunden Seiten erhielten eine gelbe Käsefarbe, der sie verbindende Teil leuchtete in Silber. Die eine der kreisrunden Seiten trug die Inschrift: Tilsiter Vollfettkäse — 50% Fettgehalt, — die andere: Kauft ihn! Er ist unübertroffen! Diesen Käse sollte Herr Müller quer durch ganz Deutschland, Straße auf Straße ab von Tilsit bis Freiburg im Breisgau rollen. Und er tat's.

 

Ein wetterfester Mantel schützte ihn in Regen und Wind, neckische kurze grauleinene Hosen und eine kurzärmelige Jacke kleideten ihn gut bei Sonnenschein. Gern pfiff er den Triumphmarsch aus „Aida", wenn er, Raum und Zeit überwindend, stetig, gleichmäßig durch Städte und Dörfer rollte. Selbst die strengsten Polizisten schmunzelten, wenn sie die Ursache des Auflaufs, den er verursachte, wahrnahmen; sie schmunzelten, anstatt das Rennen der Volksmenge und das Johlen der Straßenjungen zu rügen.

 

Seiner Mission getreu, aß Herr Müller in seinem Nachtquartier zum Abendbrot nur Butterbrot mit Tilsiter Käse; das heißt, er verlangte ihn und spielte den Entrüsteten, wenn der Wirt ihn nicht führte. Unauffällig hatte er dann Ansichtskarten von seiner Vaterstadt und der Fabrik seiner Firma neben seinem Gedeck liegen, und es bedurfte keiner besonderen oder starken Überredungskunst, um ein Geschäft zu tätigen.

 

So rollte Herr Müller durch das deutsche Land, über die Brücken der Flüsse und Ströme und repräsentierte unauffällig und doch bestimmt die deutsche Volksgemeinschaft, die Ost und West verbindet. Seine Person und sein Tun waren gewissermaßen der Garant nicht nur für den Wandel und die nie ruhende Beweglichkeit der Ereignisse, sondern auch für die durch nichts zu trennende, nie aussetzende Zusammengehörigkeit der deutschen Landesteile. In den großen Städten bevorzugte er die Nebenstraßen, was zur Folge hatte, dass diese vorübergehend zu Hauptstraßen wurden; denn in sie verlagerte sich der Verkehr, solange Herr Müller sie bevölkerte.

 

Ein Gesetz, das er sich selber gab, festigte seine Widerstandskraft. Er mied nicht den Gesang, aber den Wein und die Weiber. Keine Delilah schor diesem Miniatur-Simson das Haupt, und verführerische Weinmarken existierten nicht für ihn.

 

Mehrmals hatte er bereits den Silberrand seines Käses mit neuer Farbe versehen, mehrmals musste er schon seine Regen- und Sonnenbekleidung erneuern, da ereilte ihn und seinem Käse das Schicksal.

 

Es war im Schwarzwald. Ungünstige Wegeverhältnisse hinderten ihn, ein Dorf zu erreichen. Er pochte an die Tür eines Bauernhauses und bat, den Begleitkäse unter das vorspringende Dach und sich selbst in ein gastliches Bett legen zu dürfen. Beides wurde bewilligt. Auch stellte ihm Bärbele, das schmucke Schwarzwaldmädchen mit dem kirschroten Mund und den sieghaften Braunaugen, — was beides den armen Herrn Müller schwer bedrängte — Brot, Butter und --- einen selbstgemachten Käse auf den Tisch. Herr Müller kostete und kostete und musste sich eingestehen: „Nicht nur das Mädchen, sondern auch der Käse schlägt alles". Geben wir zu, dass Herr Müller am nächsten Morgen wohl seinen Käse nach Freiburg rollte, sein Herz aber zurückließ.

 

Herr Müller hatte dafür gesorgt, dass sein strahlendes Erscheinen am Endziel der Reise Schatten vorauswirf. Eine Musikkapelle an der Spitze einer Deputation von Käsereibesitzern begrüßte ihn. Das auf diese Einholung folgende Festessen, bei dem der Tilsiter Käse und sein Propagandist und Beförderer den Kern verschiedener Reden bildeten, brauche ich nicht zu schildern. Dieses, sowie der zünftige Ball — nur das Bärbele fehlte zu seinem Glanz, — bildeten den Abschluss von Herrn Müllers Wallfahrt.

 

Um Frachtkosten zu sparen, wurde der Blechkäse in seine Bestandteile zerlegt und „amerikanisch" versteigert. Es lohnte, denn welch eine Menge von „Andenken an Freiburg oder Tilsit" ließen sich daraus herstellen. Auch dadurch bekundeten die Berufsgenossen Herrn Müller ihre Anerkennung, dass sie ihm in einer geschmackvollen silbernen Käseglocke eine Frei-Fahrkarte in die Heimat überreichten.

 

Mit Ehren empfing seine Vaterstadt ihren großen Sohn. Der klingende Lohn für seine vorbildliche Tat ermöglichte es ihm, eine Fuhrhalterei zu eröffnen. Er kam sichtlich auf einen „grünen Zweig" und kletterte immer höher auf ihm empor.

 

Da begegnete er mir eines Tages; sein Gesicht war von offensichtlicher Trauer beschattet. Nicht wiederzuerkennen war der fröhliche Mann.

 

„Herr Müller! Wo fehlt's denn???"

 

„Mein bestes Pferd gestürzt — das Bein gebrochen — ich — mein Geschäft ---"

 

Herr Müller ist zu stolz, um Geld zu borgen oder bei einer Anleihe nach Bürgen zu suchen. — Da erläuterte ich den Fall in unserm großen Lehrer-Kollegium. Alle wissen von Herrn Müller, alle hegen Wohlwollen für ihn. Da blitzte ein Gedanke auf. Herr Kramer, der sonst so mundfaule, zurückhaltende Mathematiklehrer, gibt ihm Gestalt.

 

„Wir wollen ihn nicht kränken. Das täten wir, wenn wir ihm direkt Geld anböten. Er besitzt Takt. Wir wollen ihm vorschlagen, als Teilhaber in sein Geschäft einzutreten. Eine „Pferde-Aktiengesellschaft" gründen wir geraeinsam. Überlegen Sie nicht lange“. Er machte eine kleine Pause, zog aber dann gleich einen Bogen Papier hervor und reichte ihn herum. „Hier ist die Liste zum Zeichnen der Beträge". Nie hätte ich Herrn Kramer so viel Hilfsbereitschaft und so viel — Humor zugetraut. Aber Herr Müller hatte eben das Zeug, seine Mitbürger zu begeistern und fortzureißen. Hier wiederholte sich der Fall. Die gezeichnete Summe, die Herrn Müllers Bedarf weit überstieg, wurde mit  1 ½% verzinst, - zinslos hätte er sie nicht genommen und in Herrn Müllers Geschäft angelegt. Die „Aktionäre" taten das ihre, um die Fuhrhalterei entweder durch häufige Inanspruchnahme zu fördern oder sie in weiten Kreisen zu empfehlen. Doch rieten sie ihm, den Betrieb zu motorisieren, was er auch tat.

 

Und nun das Ende vom Liede? Natürlich, wie es sich gehört, — eine Hochzeit. Das Schwarzwald-Bärbele wurde nach Tilsit verpflanzt, und der Tilsiter Käse gewann an Aroma, Gehalt und Verbreitung durch das Rezept des selbstgemachten Bauernkäses, das sie mitbrachte und als Frau Müller verwandte. Luise Kalweit

 

Seite 13   Reichtum der Seele. Aphorismen von Margot Krumm.

O, um die Sehnsucht in uns! Sie darf nie sterben! Vielleicht sogar nie Erfüllung werden! Sehnsucht macht reicher als Erfüllung, weil unter ihrem Hauch die Seele nie einschläft!

 

Ein Leben ohne Freude ist eine weite Reise ohne Gasthaus.

 

Was wisst ihr, Freunde, vom Leben? Nichts weiter, als dass es ein Suchen ist! Doch wehe, ihr fandet! Wie schmerzlich und schwer ist Verlieren!

 

Seite 13   Wechselvolles Schicksal einer Handschrift.

Über viele Kultur- und Kunstwerke, Dokumente und Autographen, die aus der Geschichte der Menschheit nicht fortzudenken sind, ohne sie ärmer zu machen, hat der vergangene Krieg die Schleier der Ungewissheit gelegt. Vieles ist im Bombenhagel unwiederbringlich dahingegangen, vieles wurde von den Besatzern der ersten Welle in Unkenntnis vernichtet oder geriet als „Souvenir" in deren Gepäck, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Wir wissen aber auch von Offizieren, russischen, britischen und amerikanischen, die schützend ihre Hand über Museen, Archive, Bibliotheken und Galerien gelegt, sei es aus Privatinitiative oder im Auftrage ihrer Regierungen, und auf diese Weise der Nachwelt unschätzbare kulturelle Werte gerettet haben. Ganz gleich, wohin diese Werke danach ihren Weg nahmen, müssen wir jenen mutigen und beherzten Männern mit dem Instinkt unser aller Dank abstatten.

 

Die tatsächlichen Verluste, vor allem in den Vertreibungsgebieten, sind heute noch nicht zu registrieren. Dem müsste eine umfassende, systematische Bestandsaufnahme in allen am

Kriege direkt oder indirekt beteiligten Ländern vorausgehen. Hoffen wir, dass im Interesse der Wissenschaft, ungeachtet der politischen Tagesprobleme, diese Möglichkeiten gleicherweise in ost- und westlicher Hemisphäre baldigst geschaffen werden.

 

Bis dahin sind wir auf gelegentliche Pressemeldungen angewiesen, die das eine oder andere Kunstwerk zum Gegenstand haben. So konnten wir unseren Lesern in der letzten Ausgabe von der Odyssee des berühmten Memling-Gemäldes „Das Jüngste Gericht" berichten. Heute knüpfen wir an eine Meldung, die von dem Staatsgeschenk der Tschechoslowakei an Polen unterrichtet. Sie bringt Licht in das Schicksal eines der wertvollsten Kulturdokumente abendländischer Geschichte, in das Hauptwerk Nikolaus Kopernikus' des Gelehrten von Frauenburg, der neben Galilei unser heutiges Weltbild begründete. Die Handschrift dieses Werkes wurde kürzlich von der Tschechoslowakei in Warschau der polnischen Regierung übergeben.

 

Seite 13   Foto: Titel- und Innenseiten aus Kopernikus Hauptwerk „De revolutionikus orbium coelestium"

 

Seite 13   Das Schweinsohr / Eine heitere Geschichte.

Um die Jahrhundertwende amtierte in dem kleinen Dörfchen Gollubien im Kreise Goldap ein Onkel von mir, der Lehrer Theodor F. Da die Verkehrsverhältnisse zu jener Zeit für das abgelegene Dorf sehr ungünstig lagen, war eine Reise nach der Kreisstadt mit vielen Unbequemlichkeiten verbunden. Das machte sich besonders in den Wintermonaten mit ihren kurzen Tagen sehr unangenehm bemerkbar. Deshalb kann man es verstehen, wenn die Dörfler, dem Geselligkeits- und Unterhaltungsbedürfnis folgend, ab und zu an den langen Abenden den Dorfkrug aufsuchten, um bei einem zünftigen Schafskopf oder soliden Skat die Zeit auf angenehme Weise totzuschlagen.

 

Zu jedem Kartenspiel gehören auch Kiebitze, die meistens von den Spielern nicht sehr geschätzt werden, besonders wenn sie zur Gattung der lauten Kiebitze gehören, die beim Spiel laut und lebhaft mitmeckern und alles besser wissen. Ein solcher war auch der Bauer H., mit dem niemand gern spielen wollte, weil er sehr rechthaberisch war, alles leicht übelnahm und auch gern prozessierte. So kam es, dass bei einer hitzigen Skatschlacht die Gemüter heftig aufeinanderplatzten, weil die Köpfe bereits mehr oder weniger heiß waren; denn niemand kann verlangen, dass die Spieler bei solch einem Großkampf den ganzen Abend trocken sitzen. Bei dieser Gelegenheit entfuhr dem Lehrer F. nach einem heftigen Wortwechsel mit dem besagten Bauern die wenig schmeichelhafte Bemerkung „Sie sind ein richtiges Schweinsohr!“ Racheschnaubend zog der also Gemaßregelte mit der Drohung davon, dass er bald von sich hören lassen würde. Tatsächlich fuhr der sich so schwer in seiner Ehre gekränkt Fühlende in den nächsten Tagen in die Kreisstadt und strengte gegen den Lehrer eine Beleidigungsklage an. Wenige Tage später flatterte dem Beklagten die Vorladung des Gerichts ins Haus.

 

Der Verhandlungstag kam heran. Der kleine Zuschauerraum des Amtsgerichts reichte kaum aus für die Zahl der Schafskopf- und Skatbrüder, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Nach Feststellung der Personalien durch den amtierenden Richter wurde der Angeklagte mit dem Gegenstand der Verhandlung bekannt gemacht. Der Richter fragte ihn nun in der üblichen Weise, ob er sich schuldig bekenne. Lehrer F. gab das offen und freimütig zu und erläuterte mit kurzen Worten den Hergang der Sache und die Ursache seiner Entgleisung, die in der großen Erregung zu suchen sei. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und erschien nach kurzer Zeit wieder.

 

Atemlose Stille herrschte im Saal, als das Urteil verkündet wurde. Es fiel, das sei gleich vorweg bemerkt, sehr milde aus, da der Angeklagte den Tatbestand zugegeben hatte und außerdem noch nicht vorbestraft war. Er wurde wegen Beleidigung mit drei Mark Strafe belegt und hatte die Gerichtskosten zu tragen. Auf die Frage des Richters, ob er die Strafe annehme, antwortete F. schmunzelnd und in dem Gefühl, billig davongekommen zu sein, mit einem lauten Ja. Der Kläger hatte dieses Schmunzeln auch bemerkt und platzte heraus: „Herr Amtsrichter, haben Sie gesehen, wie er gegrinst hat? Ich weiß *ganz genau, wenn wir nach Hause kommen, sagt er wieder Schweinsohr auf mich " Der Richter, der Mühe hatte, ernst zu bleiben, nahm die Gelegenheit wahr, dem Verurteilten eine Rechtsbelehrung zu erteilen. Er machte ihn darauf aufmerksam, dass die Strafe in einem Wiederholungsfalle erheblich schärfer ausfallen müsste und dass es deshalb ratsam sei, das in Zukunft zu unterlassen. Lehrer F. erwiderte ruhig, er könne es gar nicht begreifen, wie der Kläger zu dieser Meinung käme. Er jedenfalls dächte nicht im Entferntesten daran, das noch einmal zu sagen, da der Mann für ihn erledigt sei. Er hat auch sein Wort gehalten und nicht mehr „Schweinsohr" gesagt; aber als er das nächste Mal in den Krug kam, fasste er nur den Zipfel seines Rockes so, dass er wie ein Schweinsohr aussah, und wedelte ein paarmal damit hin und her. Wieherndes Gelächter der versammelten Tafelrunde begleitete diese Geste, bei deren Anblick kein Auge trocken blieb, kein Wort gesprochen und doch alles richtig verstanden wurde.

 

Ingrimmig und verbissen räumte der ebenfalls anwesende Kläger unter dem Gelächter der Gäste das Feld. Er war machtlos dagegen; denn mit seiner Jacke kann ja jeder machen, was ihm beliebt, und F. hatte die Lacher immer auf seiner Seite. W. W.

 

Seite 14   „Immer nur weinen könnte ich ..."  Ostpreußen trafen in Lager Fried land ein.

Foto: Lagerglocke im Heimkehrerlager Friedland (Aus „Das Buch von Friedland", Musterschmidt-Verl.)

Anfang August 1956 traf im Lager Friedland ein Aussiedler-Transport ein, der sich zum größten Teile aus ostpreußischen Landsleuten zusammensetzte. Fast aus allen Kreisgebieten Südostpreußens kamen sie, aus Allenstein, Heilsberg, Bartenstein, Ortelsburg, Neidenburg, Lötzen u. a. — meist alte Männer und Frauen und auffallend viele Kinder, die durch die Wirren der letzten Kriegstage in Ostpreußen von ihren Angehörigen abgekommen waren und dann bei Verwandten Unterschlupf fanden oder in polnischen Waisenhäusern untergebracht wurden, bis sie jetzt endlich zu ihren Eltern zurückdurften.

 

Den Alten sieht man es an, dass sie durch schwere Jahre gegangen sind. Ihre Gesichter sind gefurcht und gezeichnet, und die Augen sind müde geworden und rot umrändert. Immer noch, selbst hier in Friedland, sitzt ihnen die Angst im Nacken, die Angst vor der UB, der polnischen Staatspolizei. Denn wenn sie von ihrem Erleben berichten, schauen sie sich immer wieder furchtsam um, dämpfen plötzlich die Stimme, als könnte selbst hier ein Spitzel hinter ihnen stehen und sie belauschen.

 

Furchtbar ist, was gerade die Ostpreußen in den vergangenen Jahren durchleben mussten. Wie oft haben sie sich den Tod herbeigewünscht, wenn sie meinten, nun ginge es wirklich nicht weiter. Wieviel Tränen haben sie geweint, wieviel verzweifelte Gebete zum Himmel gesandt. Da sind die Eheleute Friedrich und Maria Schwittay aus Wilhelmshof, Kreis Ortelsburg. Sie sind 73 Jahre alt und haben fast auf den gleichen Tag ihren Geburtstag. Aber trotz ihres hohen Alters mussten sie arbeiten, arbeiten und arbeiten, nur um sich am Leben zu erhalten; denn eine Rente gab es für sie nicht. Von der riesengroßen Not in Ostpreußen erzählten sie mir, von einer Not, wie sie wohl nirgends schlimmer und größer ist.

 

Einst besaßen die Eheleute in Wilhelmshof einen Hof mit elf Hektar Land. Der Russe und der Pole haben ihnen den Hof nicht fortgenommen. Aber wie sollten die beiden alten Leute damit fertig werden! Denn sie hatten nichts, um den Acker bestellen zu können, kein Pferd, keine Maschinen, keine Geräte — alles war ihnen abgenommen worden. So waren sie denn ganz auf die Mithilfe und Unterstützung der zurückgebliebenen Deutschen angewiesen. Von den elf Hektar wurden daher auch nur zwei Hektar bebaut — und das war noch viel, gerade so viel, dass die beiden Alten zu leben hatten. Das andere Land blieb liegen. So war es nicht nur bei ihnen, so war es in ganz Wilhelmshof. Kein Bauer war in der Lage, sein ganzes Land zu bestellen. Hunderte von Morgen allein der Gemarkung Wilhelmshof liegen brach, nur Dornen und Disteln wachsen darauf".

 

Was sie noch an Eigentum besaßen, waren eine Kuh und ein paar Hühner. Von den letzten beiden Schweinen hatten sie im April eines geschlachtet und eines als „Kontingent" an die Polen abgeliefert. So war ihnen nur noch die Kuh geblieben. Oft kamen polnische Beamte ins Dorf und wollten weitere Kontingente abholen. „Bestellt doch das Land, dann habt ihr, was ihr wollt, an Getreide und Kartoffeln; wir können euch nichts geben", gaben die Deutschen zur Antwort.

 

Doch die Eheleute entbehrten nicht nur das Notwendigste an Maschinen und Geräten, sie hatten noch nicht einmal Möbel. Damals, als sie die Flucht aufgeben mussten und nach Wilhelmshof zurückkehrten, war ihnen alles genommen, restlos alles. Die ganze Wohnung war ausgeräumt, kein Stuhl war zurückgeblieben, so dass sie anfangs auf Stroh auf dem Fußboden schlafen mussten. Allmählich bekamen sie ein paar alte, wacklige und vom Wurm angenagte Möbel wieder und sogar eine Bettstelle. Damit mussten sie sich begnügen all diese Jahre hindurch. „Wir lebten wie die Zigeuner, das können Sie mir glauben", sagte Frau Schwittay.

 

Aber wenn sie auch nichts mehr an äußerem Gut besaßen — eines war ihnen geblieben, der Gottesdienst, der zwar von einem polnischen Pfarrer in polnischer Sprache gehalten wurde, „aber wir sangen und beteten in deutscher Sprache! Und wir hatten sogar einen Posaunenchor und einen Kirchenchor“. Das sagte Frau Schwittay mit einem ersten Lächeln um den Mund und einem leisen Aufleuchten ihrer rotumränderten Augen.

 

Heute leben noch etwa elf deutsche Familien in Wilhelmshof. Auch sie möchten alle heraus, weil sie es nicht mehr aushalten können, weil das Lebenm in der Heimat nicht mehr lebenswert ist.

 

Ein noch ärmlicheres Leben fast führte das Ehepaar Anton Sakowski aus Blankensee, Kreis Heilsberg. Der Ehemann ist 73 Jahre alt und besaß einst eine Wirtschaft von acht Hektar, von denen er aber jetzt gleichfalls nur noch zwei Hektar mit Hilfe der anderen Deutschen bestellen konnte. Anton Sakowski besaß jetzt nichts mehr als nur ein kleines Ferkel, nicht einmal eine Kuh.

 

In Blankensee sind über 700 Morgen von den insgesamt über 1000 Morgen der Gemeinde in einer Kolchose zusammengefasst. Aber welche Wirtschaft herrscht dort! Anton Sakowski lächelte vor sich hin, als er davon erzählte. „Sehen Sie, mein Herr", sagte er, „diese über 700 Morgen gehören nun doch allen, aber der eine arbeitet, der andere arbeitet nicht, und der dritte steht dabei und guckt zu. So ist das nun einmal auf der Kolchose. Noch nicht einmal mit der Heuernte ist auf der Kolchose begonnen worden, und jetzt steht die Getreideernte vor der Tür. Eine Wirtschaft ist das — das kann niemand begreifen, wer es nicht gesehen hat“.

 

„Wir alten Leute", so berichtete er weiter, „erhielten keine Rente, sondern wir sollten arbeiten. Na, was kann ein alter Mensch schon viel arbeiten. Doch Steuern sollten wir zahlen, viele Steuern und Abgaben. Wohl lag von Warschau eine Verfügung vor, dass wir Alten keine Steuern zu zahlen brauchten. Doch die unteren polnischen Behörden kümmerten sich um diese Verfügung nicht. In diesem Jahre kamen sie schon dreimal und wollten Steuern haben. Ich habe ihnen gesagt: Ich habe nichts und kann keine Steuern zahlen. Nehmt alles, was noch da ist. Mir ist alles gleich“.

 

Nun haben sie ihre Heimat verlassen und sind zu ihren Angehörigen weitergefahren, wo ihnen allen hoffentlich doch noch ein sonniger Lebensabend beschieden ist. Aber der Abschied von der geliebten Heimat, von Haus und Hof, ist ihnen allen sehr, sehr schwer gefallen. „Ich könnte immer bloß weinen", sagte eine alte Frau aus dem Kreise Allenstein, „denn nun werde ich wohl Allenstein nie wieder sehen. Immer nur weinen könnte ich . . ."

 

Seite 14   Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen.

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb) Gotenstraße 33

 

Zum Geburtstag herzlichste Glückwünsche allen September 1956 - Geborenen, von denen ein volles Jahrzehnt vollenden:

 

am 03.09.1956: Hildegard Poetsch-Strahlke, KMTV Kbg. (40 Jahre)

 

am 07.09.1956:  Martin Chall, KTC Kbg. (40 Jahre);

 

am 25.09.1956: Erich Gnech, Tgm. Danzig (40 Jahre);

 

am 12.09.1956: Dr. Erich Zwickel, Zoppot. (50 Jahre)

 

am 14.09.1956: Willi Kloß, Elbing. (50 Jahre)

 

am 21.09.1956: Gerhard Prohl, Dzg-Neufahrwasser. (50 Jahre)

 

am 22.09.1956: Frieda Wengel-Schmeerglatt, Bartenstein (50 Jahre);

 

am 12.09.1956: Alexander Schadau, Marienwerder (60 Jahre)

 

am 15.09.1956: Hedwig Stockfisch-Tondorf. (60 Jahre)

 

am 21.09.1956: Helene Hoffmann-Donat, Zoppot (60 Jahre); und

 

am 14.09.:1956 Otto Drewing, Zoppot (70 Jahre).

 

Ältestes Geburtstagskind ist mit 82 Jahren am 19.09.1956 Hermann Geisendorf, Elbing.

 

Das Alterstreffen des DTB in Heilbronn vom 17. bis 19.08.1956 wurde bei herrlichstem Sommerwetter für alle Teilnehmer ein köstliches Erlebnis. Aus der Sowjetzone waren 300 Turner und Turnerinnen gekommen, darunter auch einige aus unserer Turnerfamilie und zwar aus den Vereinen Danzig (Tgm.), Elbing, Insterburg und Lyck. Sie wurden als Gäste aufgenommen und waren alle tief beeindruckt.

 

Unser IX. Wiedersehenstreffen in Espelkamp-Mittwald vom 31.08. bis 03.09.1956 klingt gerade aus, wenn dieses Blatt zu den Lesern kommt. Ein Bericht über den Verlauf kommt in die nächste Ausgabe. Anmeldungen noch in den letzten Tagen vor dem Fest zeigen, dass das heiße Bemühen um eine Teilnahmemöglichkeit in vielen Fällen doch schließlich auch ernstere Hinderungsgründe hat überwinden helfen.

 

Neu in die Kartei aufgenommen:

 

Angerapp (Darkehmen): Helmut Leprich und Fritz Peterschuhn;

 

Tgm Danzig: Gerhard v. Donop;

 

Elbing: Hans Nitt, Walter und Gertrud Zilian-Grams;

 

Insterburg: Herbert Grönick;

 

Rastenburg: Elisabeth Wischnewski.

 

Ausgewandert nach Australien ist:

Hans Zielinski (Insterburg u. KTC Kbg.).

 

Viele neue Anschriften und viele Berichtigungen könnten in der Kartei vermerkt werden, wenn jeder Leser in seinem Bekanntenkreise darauf hinweisen würde, dass alle, die einem Turnverein in Ostpreußen, Danzig oder Westpreußen angehört haben, sich bei mir mit Vor- und Zuname, Geburtsname, Geburtsdatum, Vereinszugehörigkeit und Angabe etwa innegehabter turnerischer Ämter melden möchten, wenn ich noch keine Verbindung zu ihnen habe. Im Voraus herzlichen Dank dafür. Onkel Wilhelm

 

Seite 14   Wir gratulieren!

 

80. Geburtstag

02.08.1956: Else Seitz, geb. Radok, aus Königsberg/Pr., Lawsker Allee 4. Jetzt: Neuhäuser, Frankfurt/M., Nellim-Stift, Kronstettenstr. 57.

 

79. Geburtstag

26.09.1956: Postassistentenwitwe Anna Gutzelt, geb. Brachaus, aus Königsberg/Pr., jetzt in Seesen a. H., Jahnstraße 7.

 

77. Geburtstag

14.09.1956: Karl Meier, städt. Angestellter, aus Königsberg, jetzt in Seesen a. H., Hinter der Kirche 3.

 

75. Geburtstag

09.07.1956: Bürgermeister i. R. Otto Fedtke, treuer Leser unserer Ermländischen Ausgabe, jetzt Offenbach/Main, Haydnstraße 7.

 

14.09.1956: Elise Reuser, geb. Thiede, aus Königsberg/Pr., in Salzgitter-Lebenstedt, Bauerngraben 4.

 

70. Geburtstag

19.09.1956: Bauer Joseph Lange aus Braunsberg, jetzt in Seesen a. H., Steinbühlstraße 667.

 

Allen Jubilaren wünscht ihr Heimatblatt „Ostpreußen-Warte" recht viel Glück und auch fernerhin beste Gesundheit!

 

Diamantene Hochzeit

Eheleute Heinrich Lippke und Frau Auguste Lippke, geb. Hinz, aus Elbing am 29. August 1956 in Mülheim (Ruhr)-Styrum, Albertstraße 28. Der Jubilar war als Bahnwärter in Bude 8 zwischen Simonsdorf und Marienburg tätig, unterstützt von seiner Ehefrau, die ebenfalls Bahnwärterin war. Ihre goldene Hochzeit feierten sie nach der Flucht in Dänemark im Lager. Seit 1947 wohnen sie bei ihrer Tochter Frau Roßmann. Acht Kinder, 17 Enkel und drei Urenkel überbrachten dem Jubelpaar, das noch sehr rüstig ist, ihre Glückwünsche.

 

Goldene Hochzeit

Eheleute Bernhard Weber und Frau Anna Weber, geb., Chuchollek, aus Lyck am 3. August 1956 in Haddorf/Niederelbe. Weber ist Bäcker von Beruf, nach Ablegung der Meisterprüfung machte er sich in Königsberg selbständig. 1944 wurde sein Betrieb total ausgebombt. In Methgethen/Ostpr. wurde der Jubilar beim Einmarsch der Russen festgenommen und etwa zwei Jahre im Zuchthaus Tapiau eingesperrt. Nach seiner Entlassung gelang es ihm in Berlin, mit seiner inzwischen in der Bundesrepublik untergekommenen Familie Verbindung aufzunehmen. Das Ehepaar verbringt seinen Lebensabend in Haddorf in einem Siedlungshaus und führt dort ein bescheidenes Rentnerdasein.

 

Eheleute Wirtschaftsinspektor i. R. Johannes Bloch und Frau Natalie Bloch, geb. Feddek, aus Westpreußen am 12. August 1956 in Lingen/Ems. Die Jubilarin schenkte neun Kindern das Leben, von denen vier am Ehrentage der Eltern teilnehmen werden. Ein Sohn ist noch vermisst. Sechs Enkelkinder und ein Urenkel werden ebenfalls unter den Gratulanten sein.

 

Eheleute Julius Arndt und Frau Johanna Arndt, geb. Schröder, aus Perbanden, Kreis Heiligenbeil, am 19. August 1956 in Nordhorn, Kreis Osnabrück. Den ersten Weltkrieg machte der Jubilar als Soldat in Russland mit. Die Eheleute haben ein arbeitsreiches Leben als Heuerleute hinter sich. Fünf Söhne und eine Tochter gebar Frau Arndt. Die Heimat verließen sie 1945 mit Tausenden anderen Flüchtlingen per Schiff ab Pillau. Drei der Söhne blieben im Krieg, zwei kehrten aus der Gefangenschaft zu ihren Eltern zurück.

 

Es starben fern der Heimat:

Waldemar Gutzeit, aus Sensburg, 58-jährig in Oldenburg.

 

Minna Mehrwald, aus Neuendorf, Kreis Pr.Holland, 70-jährig am 17.08.1956 in Dedelstorf.

 

Emilie Nagel, geb. Neubert, aus Elbing, 73-jährig am 11.08.1956 in Lüneburg.

 

Eduard Paetzel, Kaufmann, aus Ostpreußen, 70-jährig in Walsrode.

 

Emilie Parplies, aus Gumbinnen, 78-jährig am 14.08.1956 in Lüneburg.

 

Gustav Prezetak, aus Klein-Jerutten, 72-jährig am 03.08.1956 in Wellingholzhausen.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt (37).

Liebe ostpreißische Landsleite!

Wenn ich heite dem Federhalter an Ihnen eintauche, denn tu ich das unter sehr bedrängte Verhältnisse, sozusagen unter andre Umstände wie sonst. Aber nich, was Sie vleicht denken, denn einer is ja kein medezinisches Wunder, sondern bloß e heeherer Beamter und Dittche-Rentjeeh. E bißche was Wahres is aber doch dran, denn wir haben uns vermehrt, wir haben Familjenzuwachs gekriegt, wenn auch bloß voriebergehend, wahrscheinlich bloß bis morgen frieh. Und das kam so: Ich wolld mir gerad zerechthucken zum Schreiben, es war vleicht so gegen nein Uhr abends, da klopfd es anne Tier. De Emma meind aber, ich hab Halluzinazi... oder irgend sowas, es hädd gernich geklopft. Aber da klopfd es wieder, und denn gleich noch emal. Nu ging ich aufmachen und verschreckd mir so doll, dass ich foorts e kleinem Schrei ausstoßen mißd. Denn was meinen Se, was vor mir stand? E splitternacktes Mergellche so von Mitte zwanzig! Inne Hand hield se einem Strumpf, Tränchens kullerden ihr iebre Backen, und se zitterd am ganzen Körper, weil ihr kalt war. Erst dachd ich, es is bloß e Titelbild vonne Illustrierte, aber es war wirklich e lebändige, drugglige Mergell. Was einer auf seine alte Tage noch so alles zu sehen kriegt! Aber ich konnd ihr nich näher bekicken, denn mit einem Satz stand de Emma neben mir, wo es doch sonst immer innes Kreiz hat, schubbsd

mir weg und kommandierd mir, dass ich mir umdrehen und auch noch de Augen zumachen mißd. Ich mein, das geht doch e bißche zu weit, wo ich doch sowieso all kurzsichtig bin. Nu kriegd se schnell was iebergezogen — natierlich nich mitten Penter, sonder e dickes Hemd aus Flanell und e wollne Strickjack, und wurd im Bett reingestochen. Denn mißd se erzählen, und de Emma tat indes Pfefferminztee aufbriehen gegen die Verkiehlung. Aber ich dirfd mir nich umdrehen, sondern mißd mir am Tisch hucken, dem Ricken gegnes Bett — und so huck ich auch jetz noch und schreib. Sehn Se, und das sind die bedrängte Verhältnisse, wo ich von sagd. Das Mädchen machd gerad e Wandertur. Dabei kam se auch an unserm Feuerlöschteich vorbei. Und weil der so geschitzt außerhalb vom Dorf liegt und de Sonnche zufällig mal e bißche prickeln tat, hat se alles abgestriffen und sich inne Fluten gestirzt. Nachdem legd se sich innes Gras und ließ sich verbrennen. Dabei ist se eingeschlafen, und das war ihr Unglick. Denn wie se nach e Stund wach wurd und sich wieder anpellen wolld, waren sämtliche Klamotten weg. Geklaut! Bloß einem Strumpf hädden se ihr gelassen, und das war e bißche zu wenig. Deshalb verkroch se sich im Gebisch und lauerd, dass es dunkel werden solld. Es wurd auch dunkel, aber inzwischen hädd se sich orndlich verkiehlt. Hucken Sie man fimf Stunden nackicht hintre Streicher! Nu wohnen wir ganz am Dorfend, und deshalb klopfd se gleich bei uns an. Ja, einer sieht, das Reisen und Wandern is mit allerhand Ticken und Gefahren verbunden, wo sogar annem Feierlöschteich lauern können. Trotzdem haben alle Menschen dem Reisefimmel. — Ebend kickd ich mir aus Versehen einmal um, da wurd de Emma foorts ganz wild. Ich solld de Nas ieber meinem Geschreibsel hängen, meind se, und solld mir ricksichtsvoll benehmen. Wie soll einer aber ricksichtsvoll sein, wenn einer gezwungen is, bloß nach vorne zu kicken! Manchmal verlangt se wirklich e bißdie viel. Einer hat all e ganz steifes Genick, weil einer dem Kopp nich drehen und nich riehren dirf. Sagen Se selbst, sind das nich wirklich sehr bedrängte Verhältnisse? Ebend schrieb ich vonnem Reisefimmel, wo de Emma ja auch von behoppst is. Se wissen ja, dass se am Bodensee fahren will. Se is auch inzwischen weg gewesen, aber bloß im Harz mittem Frauenverein. Wär das mit das nackichte Mergellche vorher passiert, denn wett ich fuffzig gegen eins, se wär nich gefahren! Nich, weil se denn Angst gehabt hädd, dass se womeeglich hintre Hischer hucken und aufem Abend lauern muss, weil se ihr de Plossen geklaut haben, sondern weil se mir seit heite Abend nicht mehr ieberm Weg traut. Das merkt einer ja im Diestern. Jetzt zischeln die beide Frauens, de Emma huckt aufe Bettkant und behält mir scharf inne Pupille. — Also se fuhr los mittem Frauenverein und mittem Omnibus. Drei Tage tat se sich dadrauf vorbereiten. Kuchen wurd gebacken und Klopse gebraten, und das schwarze Kleid wurde aufgebiegelt. Und wenn ihr auch der rechte Schuh scheiern tat, se mißd mit, es war einfach kein Halten. Dabei goß es wie mit Eimers, und se hädd de ganze Nacht bloß e paar Augchens voll genommen, weil se so aufgeregt war und dreimal dem Wadenkrampf kriegd. Spät inne Nacht kam se zerick, mied und zerschlagen. Von die Harzberge hädd se nich viel zu sehen gekriegt, denn es hädd aus eins weitergeregent. Außerdem hädd se sich mitte Tier vonnem Omnibus das Kleid eingeklemmt und zerrisen. Auch dem Schirm hat se irgendwo stehen gelassen, wo. weiß se bis heite noch nich, dabei hat se sich tagelang dem Kopp zerbrochen. Das Schlimmste war aber, dass ihr von das Schaukeln schlecht wurde. So schlecht, dass einer das Schlimmste befirchten mißd, so dass der Schofföhr sich geneetigt sah, ihretwegen anzuhalten, dass se e bißche frische Luft schnappen konnd. Wie se sich wieder halweg erkubert hädd, kam fier fimf Minuten de Sonnche durch, und deshalb wurd e gemeinsamer Spaziergang beschlossen. De Emma natierlich mit! Da riss ihr das rechte Strumpfband, und nu mißd se beim Gehen immer dem Strumpf festhalten. Und der Schuh, wo all beis Einsteigen scheiern tat, scheierd immer mehr, bis zuletzt, wie se sich zu Hause auszog, e große Blas aufgescheiert war, wo se mit essigsaure Tonerd kiehlen mißd. De ganze Reis hat „bloß" nein Markt gekost, aber die sechs Dittche fierem Kaffee, wahrscheinlich war das bloß plurrige Schlorrensupp, rechent se nich. Zu Haus hädd se sich auch e Toppche Kaffee gekocht, meind se. Und der stehengelassene Schirm? Und das zerrissene beste Kleid? Und das entzweine Strumpfband? Und die aufgescheierte Hack? Das hädd se sich alles konnd besparen, wenn se zu Haus geblieben wär. Se war sowieso e Verkehrshindernis, weil se bei ihrem Umfang zwei Plätze braucht. Ich wunder mich, dass se ihr ieberhaupt aufgefordert hadden und dass der Schofföhr nicht protestiert wie se einstieg. Da hadd sich der Omnbius bald aufe Seit gelegt. Na, ganz so schlimm war es vleicht nich, aber wozu war das alles neetig? Wenn ich fertig bin mit die Schreiberei, sagt de Emma, soll ich zwei Decken mitnehmen und aufe Lucht gehn. Da kann ich mir auf die ausrangschierte Madratz vom Bauerochse legen. Die is noch sehr scheen. Dabei kicken iberall de verrosterte Federn raus und buggern einem inne Rippen, dass nicht weißt, wie liegen sollst. Und in das Seegras, wo außem zerrissenen Bezug raushängt, wohnen kinderreiche Meise-Familjen. Ich kenn das Quartier! Bist noch nich fertig? _ fragt de Emma. Herrjehs ja, ich geh ja all. Lass mir bloß noch Zeit, mir von meine liebe Landsleite zu verabschieden, was ich hiermit tue. So grieße ich Ihnen in meine ungewehnlich bedrängte Lage und kletter aufe Lucht bis morgen frieh.

Ihr alter Emst Trostmann, Landbriefträger z. A

 

Seite 15   Aus den Landsmannschaften.

Neuer Oberbundesanwalt – Westpreuße.

Für den infolge Erreichung der Altersgrenze in Ruhestand getretenen bisherigen Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht Georg Remak, wurde am 1. August 1956 Dr. Harry von Rosen von Hoewel als Nachfolger ernannt. Dr von Rosen ist am 27. Dezember 1904 in Marienburg/Westpr. geboren. Nach Ablegung der großen Staatsprüfung war er an verschiedenen Stellen der allgemeinen und inneren Verwaltung und ab 1940 als Referent beim Reichsinnenministerium beschäftigt. Nach 1945 war er zunächst als Syndikus eines kaufmännischen Unternehmens tätig und wurde im Jahre 1949 in das Bundesministerium des Innern einberufen. Am 5. April 1955 wurde er zum Senatspräsidenten beim Bundesverwaltungsgericht ernannt.

 

Zwölf Jahre von den Eltern getrennt.

Das Kriegsende hatte Familie Cziesla nach Harlingerode im Kreise Harzburg verschlagen. Dort, in der Lochtumer Straße, fand ein freudiges Wiedersehen statt: die 21-jährige Tochter kam mit einem Aussiedlertransport aus Allenstein. Neun Jahre zählte sie, als sie auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurde und mit einer Tante zusammen in der Nähe von Allenstein bleiben musste. Keine Möglichkeit bestand, zu den Eltern zu fahren, bis jetzt Herr und Frau Cziesla ihre erwachsene Tochter in Empfang nehmen konnten, die sie als Kind zum letzten Male gesehen hatten. Auch die Tante kam mit dem Transport nach Westdeutschland.

 

Adressen-Änderungen geben bekannt:

Waldemar Czogalla, Dipl.-Handelslehrer, früher Allenstein-Langsee, jetzt Neuß a. Rhein, Fesserstr. 8.

 

Dr Brigitte Czogalla, Zahnärztin, Düsseldorf, Graf-Adolf-Str. 74, 5 Min. vom Hauptbahnhof, Tel. 2 30 25.

 

Dr. Anneliese Kissing, geb. Czogalla, Wuppertal-Elberfeld, Düppeler Str. 3, Tel. 4 52 71.

 

Leser-Suchdienst Zwecks Erbangelegenheit wird gesucht:

Margarete Kablitz, früher Königsberg/Pr., Sackheimer Kirchenstr. 5 b, geb. 12.09.1926 zu Königsberg Einstiger Vormund: Schweichler, Hausmeister in Königsberg/Pr., Königstr. 56. Mutter: Milly Kablitz geb. Stand. Nachrichten erbeten an: Else Arndt, Lehrerin i. R-, Nortorf/Holst., Gr. Mühlenstr. 52 (früher Cumehnen/Samland).

 

Gut Karlshof bei Wormditt. Suche Personen, die dort 1916 - 1919 gewohnt oder gearbeitet haben, oder die dort tätig gewesene Angestellte usw. gekannt haben. Zahle Vergütung. Nachrichten erbeten an den Verlag der Ostpreußen-Warte, Göttingen, Postfach.

 

Gesucht wird Frau Betty Rudzick und Sohn Franz Gerhard Rudzick aus Heiligelinde, Krs. Rastenburg von Familie Domkowski aus Bischofstein, Kr. Rössel, jetzt Quedlinburg am Harz, Feldmark links der Bode 8 c am Steinholz.

 

Leser-Post.

Wer kann von dem in der Jubiläumshalle zu Königsberg, Koggenstraße, ausgehängt gewesenem Bild „Handab" eine Beschreibung geben? Zusendungen erbittet die Schriftleitung der OW, Göttingen, Postfach.

 

Zu kaufen gesucht werden ältere Jahrgänge der Ostpreußen-Warte bis einschließlich 1954. Angebote an OW, Göttingen, Postfach.

 

Treffen der Mühlhäuser in Hamburg.

Bei dem diesjährigen Kreistreffen von Pr. Holland in Hamburg waren auch Delegierte der Stadt Kellinghausen erschienen, um als Patenstadt von Mühlhausen, Krs. Pr. Holland, ihre Schützlinge zu begrüßen. In einer herzlichen Aussprache wurden alle Patenschaftsfragen eingehend erörtert, ein besonderer Punkt galt der Betreuung der in der Sowjetzone lebenden Landsleute. Für den geschaffenen Betreuungsausschuss stellten sich zur Verfügung: Kaufmann Erich Tolksdorf, Braunschweig, Broitzemerstraße 243; Landwirt Ernst Fägenstädt, Senden über Münster/Westf., Gettrup 5; Tierarzt Dr. Johannes Brozat, Hamburg 21, Richterstraße 17.

 

Erste Aufgabe ist die Erfassung aller Mühlhäuser. Zu diesem Zwecke werden alle ehemaligen Einwohner der Stadt gebeten, sich bei einem der genannten Vertrauensleute unter Beantwortung der nachstehenden Fragen zu melden: Vor- und Zuname, Geburtstag und -ort, Beruf, letzte Heimatanschrift, heute wohnhaft in, derzeitiger Beruf. Außerdem wird gebeten, möglichst genaue Angaben über die früher auf dem gleichen Grundstück wohnenden Personen und Nachbarn zu machen. Alle Mühlhäuser müssen erfasst werden, auch die Verschleppten und Gestorbenen (möglichst mit Beerdigungsort), damit wir ein Bild über die Bevölkerungsverluste erlangen und wirksame Betreuungsarbeit leisten können. Für die Anlage einer Heimatchronik von Mühlhausen wird um Überlassung (auch leihweise) von Erinnerungsstücken, Dokumenten, Schrifttum, Aufnahmen, Schicksalsberichten usw., soweit sie in Bezug zu Mühlhausen stehen, gebeten. Ein Patenschaftstreffen ist für Pfingsten 1957 in Kellinghusen in Aussicht genommen.

 

Gifhorner Ostpreußen besuchten Celle.

Gifhorn. Die Gifhorner Ortsgruppe der Landsmannschaft der Ostpreußen unternahm unter Leitung des 2. Vorsitzenden Otto Freitag — der 1. Vorsitzende Erich Lepkowski war leider durch plötzliche Erkrankung verhindert — einen Ausflug in die Nachbarstadt Celle. Obwohl sich nur rund 30 Teilnehmer zu der Fahrt zusammengefunden hatten, herrschte schon bei der Hinfahrt eine recht gute Stimmung, zumal der Wettergott gnädig war. Bei schönstem Wetter wurde die schön gelegene Stadt Celle besichtigt. Tiefen Eindruck hinterließ das Schloss, in dem einst Herzöge und Könige residierten. Einen recht freundlichen Eindruck hinterließ das hübsche kleine Schlosstheater. Bei der Stadtbesichtigung wurde besonders auf die alten Bauten im Barock- und Renaissancestil hingewiesen. Dann ging es zur Klostergaststätte Wienhausen. Nach dem Mittagessen wurde das Kloster besichtigt. Hier sahen wir, wie schlicht, einfach und hart die Nonnen einst leben mussten. Gegen 19 Uhr vereinten sich dann die Gifhorner mit den Celler Ostpreußen in der Gaststätte „Waldfrieden". Herzliche Begrüßungsworte wurden gewechselt, und manch einer fand dort noch einen guten alten Bekannten aus der Heimat. Eine Musikkapelle spielte, und mit heimatlichen Vorträgen und Tanz verging die Zeit wie im Fluge.

 

Für die Gifhorner war es ein schöner Tag, für beide Landsmannschaften ein gelungener Abend. Die Celler Landsleute sind zur Heideblüte nach Gifhorn eingeladen und haben zugesagt.

 

Recht auf Heimat — ein göttliches Recht Entschließung des BLV Berlin.

Der Berliner Landesverband der Vertriebenen wendet sich mit aller Schärfe gegen die fortgesetzten, unverständlichen und unsachlichen Schriften, Artikel und Reden der letzten Zeit, in denen der Versuch eines planmäßigen Propaganda- und Zermürbungsfeldzuges für die Beibehaltung und Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige Staatsgrenze gemacht wird.

 

Auch das neueste Werk der Engländerin Wiskeman „Deutschlands östliche Nachbarn" liegt auf der gleichen Linie.

 

Wir Berliner Heimatvertriebenen stehen fest und treu zu unserer angestammten Heimat und werden uns durch nichts in dem Glauben beirren lassen, dass das Recht auf Heimat ein göttliches Recht ist, das allen Menschen ohne Unterschied gegeben wurde. Wir rufen Völker und Menschen auf, uns in unserer Not zu helfen und uns bald in einem gerechten Friedensvertrag die Heimat zurückzugeben.

 

Wir verwahren uns aber mit aller Entschiedenheit dagegen, dass unsere Liebe zu unserer Heimat als Chauvinismus bezeichnet wird.

 

Wir waren deutsch, sind deutsch und bleiben deutsch — genau wie unser Geburtsland — und wir versichern gerade jetzt — bei der 12. Wiederkehr des Abschlusses des Potsdamer Abkommens — feierlich:

 

Nichts kann uns rauben

Liebe und Glauben

zu unserem Land!

 

Ostpreußen-Pavillon und heimatvertriebenes Landvolk auf der DLG-Schau in Hannover.

Die 44. Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft wird vom 9. bis 16. September 1956 auf dem Messegelände Hannover gezeigt. Ein Ostpreußen-Pavillon in der Bonner Straße des Freigeländes stellt die ostpreußische Jagd, Forst und Landwirtschaft heraus und zeigt prächtige Jagdtrophäen, Leistungsnachweise der Tierzucht und das Gold des Meeres, den Bernstein. Über der Ausstellung steht der Leitsatz: „Ostpreußen, das Schicksalsland des Abendlandes, war, ist, bleibt gestern, heute, immerdar . . . deutsch!"

 

Auch das heimatvertriebene Landvolk berichtet in einem großen Pavillon neben dem Hermesturm von den Leistungen der ostdeutschen Landwirtschaft. Hier unterrichten an der Wiedereingliederung des heimatvertriebenen Landvolkes arbeitende Stelle auch über ihre Tätigkeit; das sind das BVD-Landvolk Niedersachsen, die Arbeitsgemeinschaft deutscher Landwirte und Bauern, die Sammlung vertriebener Landfrauen, die Treuhandstelle für Flüchtlingssiedlung und die Siedlerberatungsstelle. Alle Angehörigen des landwirtschaftlichen Berufsstandes aus der Sowjetzone und den Gebieten östlich von Oder und Neiße, die die Ausstellung besuchen, treffen sich in diesem Pavillon.

 

Ein Treffbuch liegt aus, und ständig werden Auskünfte erteilt.

 

Berufsjubiläum. 25 Jahre Leiter der Telefunken.

Dr. Erich von Lölhöffel, Hannover, kann am 1. August das Jubiläum seiner 25-jährigen Tätigkeit als Leiter der Telefunken-Pressestelle begehen. Zahlreiche Veröffentlichungen technischer und wissenschaftlicher Art über Funk, Film, Fernsehen und Schallplatten haben ihm in den Fachkreisen wie bei der Presse, der er sich besonders verbunden fühlt, einen bedeutungsvollen Namen geschaffen. Aus seinen vielfachen und freundschaftlichen Verbindungen zu Fachschriftstellern und Journalisten ist eine umfangreiche Chronik der Technik hervorgegangen.

 

Der verdiente Jubilar stammt aus einer alten ostpreußischen Familie, nahm am ersten Weltkrieg als Offizier teil und studierte dann in Hamburg, Zürich und Berlin Staatswissenschaften. 1923 trat er beim Scherl-Verlag ein, war Bildredakteur der „Berliner Nachtausgabe" und wurde 1929 von der Klangfilm GmbH, in Berlin als Leiter der Pressestelle gewonnen. Als die Klangfilm GmbH, durch Telefunken 1932 übernommen wurde, widmete sich Dr. von Lölhöffel dem Ausbau der Telefunken-Pressestelle in Berlin. Auch der zweite Weltkrieg sah ihn wieder an der Front. Im Zuge des Wiederaufbaues der Telefunken GmbH, wurde er Leiter der westdeutschen Pressestelle in Hannover.

 

Ich kämpfe grundsätzlich in mir gegen jede düstere Ansicht von der Zukunft. Bismarck

 

 

Seite 15   Interkonfessionelle Initiative. Grabsteinbuch für den deutschen Osten.

Die in der Lübecker Marienkirche eingerichtete Gedenkkapelle für die Toten des deutschen Ostens ist in den letzten Jahren für alle Heimatvertriebenen mehr und mehr zu einer Stätte des Gedenkens an ihre in der alten Heimat begrabenen Toten geworden.

 

Die kirchlichen Vertriebenenverbände bereiten daher seit längerem ein Grabsteinbuch vor, das in der Gedenkkapelle aufbewahrt werden und Angaben über in den Ostgebieten Verstorbene und deren letzte Ruhestätte enthalten soll. Jedem Heimatvertriebenen steht dieses Buch zur Verfügung; auf Antrag werden Name, Beruf, Geburts- und Sterbedaten sowie die Grabstätte des Verstorbenen eingetragen. Beide Konfessionen haben sich geeinigt, die Arbeit an diesem Buch in die Hand von Oberkonsistorialrat Gülzow (Lübeck), dem Vorsitzenden des Evangelischen Ostkirchenausschusses und des Hilfskomitees der Evangelischen aus Danzig/Westpreußen, zu legen. Alle Heimatvertriebenen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen, werden gebeten, Vordrucke für die Anträge bei folgender Adresse anzufordern: Das Grabsteinbuch für den deutschen Osten in St. Marien, Lübeck, Lindenplatz 7.

 

Körte – Treffen.

Die Käthe-Kollwitz-Schule zu Duisburg-Ruhrort wind die Patenschaft über unsere Körte-Schule übernehmen.

 

Die Feier findet am Sonnabend, den 20. Oktober 1956 um 12 Uhr in der Aula des Max-Planck-Gymnasiums in Duisburg-Meiderich, Hollenbergstraße 12 statt. (Straßenbahnlinie 9 bis Bahnhof Meiderich, dann 5 Minuten Fußweg). Dauer der Feier: 12 bis 14 Uhr.

 

Im Anschluss daran: Körtetreffen um 15 Uhr in Duisburg, Hotel Duisburger Hof, König-Heinrich-Platz.

 

Alle ehemaligen werden hierzu herzlich eingeladen und um rege Beteiligung gebeten.

 

Meldungen zur Teilnahme bis 1. Oktober 1956 an meine Anschrift erbeten. Klingenberg (22a) Essen, Billrothstraße 20.

 

Seite 15   Vereinigung ehem. Sackheimer Mittelschüler und -Schülerinnen, Königsberg/Pr.

Alle „Ehemaligen" aus dem Bezirk Rheinland und Westfalen laden wir hiermit zu einer Zusammenkunft (36. Stiftungsfeier) für Sonntag, den 7. Oktober 1956, 14 Uhr, nach Düsseldorf, Bilker Alee 87, Gaststätte „12 Apostel" (Straßenbahnlinien 1, 6, 17), herzlichst ein. Um zahlreiches Erscheinen bittet im Auftrage des Vorstandes: Herbert Minuth, 1. Vorsitzender

 

Seite 16   Aus den Landsmannschaften.

Heimatkreistreffen

8. September 1956: Elbinger in Hamburg, Winterhuder Fährhaus, 19 Uhr.

 

9. September 1956: Angerburg in Siegburg, Lindenhof, Kronprinzenstraße 5.

 

Königsberg-Land im Patenkreis Minden in Minden-Barkhausen an der Porta Westfalica, Gaststätte „Friedensthal".

 

15./16. September 1956:

Elchniederung Haupttreffen im Patenkreis Nordhorn, Stadthalle, Neuenhauser Str. 45.

 

Domnau in Lauenburg an der Elbe, Hotel „Stadt Hamburg".

 

16. September 1956:

Rastenburg in Hannover, Kurhaus Limmerbrunnen.

 

23. September 1956:

Insterburg-Stadt und -Land in Frankfurt/ Main, Ratskeller.

 

Fischhausen, Königsberg-Land, Labiau, Pr. Eylau in Bochum, Gaststätte „Kaiseraue".

 

Schloßberg (Pillkallen) in Bochum-Gerthe, Haus „Lothringen", Lothringer Straße 49.

 

30. September 1956:

Insterburg-Stadt und -Land in Dortmund, Industrie-Hotel, Mallinkrodtstraße 214.

 

Johannisburg in Dortmund, Reinoldi-Gaststätten.

 

7. Oktober 1956:

Osterode in Osterode/Harz, Kurpark.

 

Bartenstein in Wuppertal-Barmen, Schuberthaus, Sternstraße 32.

 

Mohrungen in der Patenstadt Gießen.

 

Neidenburg in Hamburg-Nienstedten, Elbschloß-Brauerei.

 

Seite 16   25 Jahre Handwerksmeister.

Das bittere Schicksal vieler Handwerksmeister aus dem deutschen Osten teilt auch Herr Friedrich Puklowski, der am 5. August 1956 fern seiner Heimat sein 25-jähriges Meisterjubiläum beging. Herr Puklowski wurde am 1. November 1901 als Sohn eines aus Ostpreußen stammenden Bergmannes in Werne (Kreis Bochum) geboren. Als seine Eltern später das Familienerbe in Seegutten, Kreis Johannisburg in Ostpreußen, übernahmen, erlernte er in Johannisburg das Stellmacherhandwerk und machte am 5. August 1931 seine Meisterprüfung vor der Handwerkskammer in Allenstein und eröffnete in Seegutten einen eigenen Stellmachereibetrieb. Infolge der Vertreibung aus der Heimat kam Herr Puklowski mit seiner Familie nach Behrensen. Er ist heute, da er hier sein Handwerk nicht wieder aufnehmen konnte, als Gutsstellmacher bei der Höfeverwaltung v. Pape in Hevensen tätig.

 

Hildesheim.

Die Landsmannschaft Ost- und Westpreußen Hildesheim und Umgebung fährt am Sonntag, 9. September, zum großen Treffen nach Göttingen, wo eine Feier am Ehrenmal alle Landsleute vereinen wird. Für den Monat Oktober ist ein Erntefest geplant. Vor allem die Jugend soll sich daran beteiligen.

 

Sulingen.

Die Ost- und Westpreußen kamen wieder mit den Danzigern zu einem Heimattreffen zusammen, das sich vorwiegend mit zeitnahen Problemen beschäftigte. Obmann Schmidt berichtete über die Kinderhilfe für ostpreußische Kinder in Berlin und sprach von dem beachtlichen Ergebnis der hierfür erfolgten Sammlung. Am Tag der Heimat, der Sonntag, 9. September, begangen wird, will die Landsmannschaft zu dem Ostpreußen-Treffen nach Göttingen fahren. Am Denkmal für die ostpreußischen Divisionen soll der gefallenen Brüder gedacht werden. Der Fahrpreis wird für die Hin- und Rückfahrt 8,-- DM betragen. Im weiteren Verlauf des Abends zeigte Landsmann Frank die Gemeinsamkeiten der ostdeutschen und der niedersächsischen Geschichte und Entwicklung auf.

 

Uslar. 70 Ostpreußen statteten in Neuhaus den Trakehner Pferden einen Besuch ab. Statt des üblichen Heimatabends unternahm die Landsmannschaft im August eine vergnügliche Fahrt durch den Solling. Die Fahrt ging dann zu all den schönen Flecken, die es wirklich wert sind, besucht zu werden: Silberborn, Dassel, Lauenberg, zum Zechenteich, Gierswalde. Dort war es natürlich besonders schön, weil beim Landsmann Walendzik der Kaffee eingenommen wurde und für heitere Stunden gesorgt war.

 

Wilhelmshaven. Es waren fast 200 Ostpreußen, die mit ihrer Landsmannschaft eine Fahrt ins Blaue genossen. Ziel war das Torhegenhaus in Borgstede, in dem Obermedizinalrat Dr. Zürcher, der 1. Vorsitzende, seine Landsleute begrüßte. Für die Kinder waren allerlei Spiel- und Tummelplätze da, und herrliche Preise konnten bei lustigen Wettkämpfen gewonnen werden.

 

Seesen.

Als vorzügliche Interpreten bei der Darstellung von Marion Lindts „Unsere ostpreußischen Kinderchens" bewährten sich gelegentlich des sehr gut besuchten Heimatabends am 4. August außer Frieda Jung und Lina Fahlke besonders auch Irmgard Bremer und die elfjährige Heidrun Voß in der niedlichen Bühnenszene „Das Küchenmädchen und sein Goldchen". In der Informationsstunde brachten die Landsleute Scharmach und Wilbudies eine interessante „Chronik der Heimat" in zwölf aktuellen Kurzberichten. Weitere humoristische Vorträge würzten das abschließende gesellige Beisammensein. Die Gestaltung dieses wohlgelungenen Abends lag in den Händen von Lm. Papendick und Lmn. Donnermann.

 

Bergen, Krs. Celle. Mehr als 1000 ehemalige Einwohner des Kreises Altburgund-Schubin kamen in Bergen zu ihrem dritten Heimatkreistreffen zusammen. Aus allen Teilen Deutschlands fuhren sie herbei, aus Berlin, aus Mitteldeutschland, aus dem Saarland und selbstverständlich aus allen Ländern der Bundesrepublik. Bergen ist ihre Patengemeinde. An dem Gedenkstein „Vergesst die Heimat nicht!" legte Freiherr von Rosen als Kreisobmann des Heimatkreises Altburgund-Schubin einen Kranz nieder. Zahlreiche Ehrengäste waren der Einladung gefolgt. Sie gedachten mit den Weichsel-Wartheländern des Jahres 1945, das so viele Altburgunder mit einem großen Transport nach Bergen brachte. In seinem Jahresbericht sprach Freiherr von Rosen von der Absicht, die Jugend stärker mit dem Brauchtum der ostdeutschen Heimat vertraut zu machen. Durch eine Paketaktion sollen die Landsleute in Polen und der sowjetischen Zone unterstützt werden. Für die Opfer der beiden letzten Kriege wird eine würdige Ehrenstätte errichtet werden.

 

Stade.

Die Kreisgemeinschaft Goldap und die Patenstadt Stade ermöglichten Goldaper Mädchen eine Urlaubswoche auf der Insel Neuwerk. In Duhnen wurden sie schon begrüßt und fuhren dann gemeinsam durch das Watt. Pastor Ehmer und seine Frau betreuten zusammen mit dem Herbergsvater Lietke die Mädchen und sorgten dafür, dass neben Wattwanderungen und Spielen das Gedenken an die ostdeutsche Heimat in den Mittelpunkt gerückt wurde.

 

Leer.

Die Landsmannschaft Ostpreußen konnte an ihrem Heimatabend den nordrhein-westfälischen Landesleiter der ostpreußischen Landsmannschaft, Erich Grimoni aus Düsseldorf, als Gast begrüßen. Grimoni nahm in seinem Vortrag „Unsere ostdeutsche Heimat, eine Verpflichtung der Gegenwart" entschieden gegen die Auffassung Stellung, die Vertriebenen wollten heute gar nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. Bezüglich des Rechtsanspruches auf die ostdeutschen Gebiete verwies er auf die Tatsache, dass diese Gebiete schon 200 Jahre vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus von Deutschen besiedelt wurden. Von der Bundesregierung, sagte Grimoni, erwartet man die Verpflichtung, bei politischen Entscheidungen zu bedenken, dass es das Recht jedes einzelnen Bewohners Ost- und Westpreußens sei, mit dem Stimmzettel über das Schicksal seiner Heimat entscheiden zu dürfen.

 

Soltau.

Die Monatsversammlung der Landsmannschaft Ostpreußen enthielt eine Fragestunde, in der Herr Hamann Fragen der Anwesenden beantwortete. Über die Bewertung des verlorenen Besitzes im Lastenausgleich sprach Landsmann Rugullies. Einen heiteren Abschluss fand der Abend mit ostpreußischen Geschichten und Gedichten.

 

Soltau.

Mit viel Gesang wurde die Zusammenkunft der Landsmannschaft Westpreußen verschönt. Ein Heimat- und Volkslied nach dem anderen erklang, von Landsmann Ander begleitet. Die nächste Versammlung findet erst am 6. Oktober im Gasthaus „Zum Hagen" statt, anschließend ein Kameradschaftsabend.

 

Gifhorn.

Die monatlichen Zusammenkünfte der Landsmannschaft Ostpreußen sind für die Zukunft verlegt worden und finden nun am ersten Dienstag eines jeden Monats statt. Die nächste Versammlung ist am 2. Oktober.

 

Ein Abend ostpreußischer Heimatdichtung. Das Schaffen von Erminia von Olfers-Batocki.

Hannover. Hedwig von Lölhöffel las an einem Dichterabend der Landsmannschaft Ostpreußen aus Werken ihrer Mutter, der 1876 geborenen ostpreußischen Dichterin Erminia von Olfers-Batocki (t). Die Grundlage ihres Schaffens sind die Menschen, die sie in ihrer bäuerlichen Heimat umgaben, das Leben in der ostpreußischen Landschaft. Die Auswahl dieses Abends war so vielseitig, wie die Werke der Dichterin sind. Den stärksten Eindruck haben vielleicht die plattdeutschen Gedichte hinterlassen. Ob es sich um Verse, längere oder kürzere Prosa handelt, immer fällt die schlichte, ungekünstelte Art der Betrachtung auf, oft von einem feinen Humor getragen, stets mit einem klaren Formgefühl gestaltet. Hedwig von Lölhöffel, selbst dieser Welt entwachsen, ist eine liebevolle Interpretin der Worte, die ihre Mutter schrieb.

 

„Tag der Heimat" in Berlin.

Die Heimatvertriebenen in Berlin begehen am 9. September in der Waldbühne ihren traditionellen Tag der Heimat. Der BLV rechnet auch in diesem Jahr mit einer Teilnahme von mehr als 20 000 Vertriebenen aus Berlin und; der sowjetisch besetzten Besatzungszone. Der Verband der Landsmannschaften hält aus Anlass des Tages der Heimat in Berlin eine Sprechertagung ab. Baron von Manteuffel-Szoege MdB und Vorsitzender des VdL spricht am 9. September neben den Sprechern der Bundesregierung und Westberlins in der Waldbühne, Die Veranstaltung beginnt um 8 Uhr mit den Gottesdiensten beider Konfessionen.

 

Ein Fackelzug zum Mahnmal auf dem Reichskanzlerplatz wird am 8. September gegen 20.30 Uhr die Veranstaltung einleiten. Auf dem Mahnmal am Kreuzberg legen am gleichen Tage die Vertriebenen Kränze nieder. Kulturelle Veranstaltungen der Landsmannschaften bereiten in der Woche vom 3. bis 8. September den „Tag der Heimat" vor.

 

Sondertreffen in Göttingen am 9. September.

Hierfür ist folgende Zeiteinteilung vorgesehen: 11 Uhr Feierstunde am Ehrenmal mit Feldgottesdienst, Ansprache des Generals a. D. Dethleffsen, Totenehrung mit Kranzniederlegung. Ab 13 Uhr Mittagessen im Trefflokal „Deutscher Garten" und kameradschaftliches Beisammensein. Suchdienst.

 

Unser Sondertreffen steht unter der Schirmherrschaft unseres ehem. Befehlshabers im Luftgau I, General d. Fl. Musshoff, dessen Grüße ich allen Kameraden hiermit zu übermitteln habe. Wir erwarten nicht nur alle ehem. Soldaten, sondern auch die ehem. zivile, einschl. der weiblichen Gefolgschaft. Die Anmeldungen für das gemeinsame Mittagessen müssen bis spätestens 7. September bei Kamerad Ewald Bodeit, Göttingen, Weender Straße 106 vorliegen, was ich zu beachten bitte.

Auf Wiedersehen, Kameraden, in Göttingen! Wilhelm Gramsch, Celle, Waldweg 83

 

Früheres Lehrerseminar Hohenstein/Ostpreußen.

Die einstigen Angehörigen des Hohensteiner Lehrerseminars beabsichtigen ein gemeinsames Treffen zu Anfang der Herbstferien in Hannover. Es haben bisher rd. 50 Kollegen ihr Erscheinen zugesagt.

 

Die bekannten Schriften sind auf 140 gestiegen. Im Sinne unserer Heimatverbundenheit wäre es zu begrüßen, wenn dieses Wiedersehen auf recht breiter Grundlage stände! Weitere Meldungen nimmt entgegen und erteilt gerne Auskunft: Ernst Eissing, Stade/Elbe, Thuner Str. 1.

 

Seite 16   Todesanzeige.

Unerwartet verschied nach kurzer schwerer Krankheit am 19. August 1956 zu Lübeck im 62. Lebensjahr unser Turnbruder vom Königsberger Turnclub, der Direktor bei der Landeszentralbank Curt Bessau. In tiefer Anteilnahme an dem Schmerz der Gattin und des Sohnes beklagen wir den Verlust eines treuen Freundes und eifrigen Förderers deutschen Turnertums, eines in jungen Jahren sehr erfolgreichen Turners, der in Liebe und Treue zur Heimat aufs engste mit unserer Gemeinschaft verwachsen war. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren! Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen: Fritz Babbel. Wilhelm Alm

Inhaltspezifische Aktionen