Ostpreußen-Warte, Folge 08 vom August 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 08 vom August 1958

 

Seite 1   Foto: Schöne Heimat. Die Masurischen Seen waren einst das beliebte Ferienziel all derer, die in der Einsamkeit weiter Wälder Erholung suchten. Unser Bild zeigt Fischer beim Maränenfang auf dem Mauersee. Foto: Hallensleben

 

Seite 1   Notstands-Regelung erlassen. Warschauer Regierung erteilt den „Volksräten“ der Kreise Sondervollmachten.

Die Warschauer Regierung hat Anfang Juli beschlossen, den „Kreis - Nationalräten" in „Notstandsgebieten“ Sondervollmachten zu erteilen. Die „Notstands-Regierung“ erstreckt sich ausschließlich auf die polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete und zwar sollen etwa 50 Prozent sämtlicher Landkreise der Oder-Neiße Gebiete unter die „Notstands-Sondervollmachten“ fallen.

 

Die „Notstandsgebiete" werden auf Grund von Vorschlägen der Kreis-Volksräte im Zusammenwirken mit Sonderkommissionen der polnischen Wojewodschaftsverwaltungen in den Oder-Neiße-Gebieten festgelegt. Die „Sondervollmachten" sollen die „Kreis-Volksräte" in die Lage versetzen, „Sondermaßnahmen zur Behebung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten" zu ergreifen. Besondere Anweisungen sollen noch ergehen, jedoch wird bereits aus gut unterrichteter Quelle bekannt, dass die „Notstandsgebiete" in drei Gruppen bzw. Dringlichkeitsstufen eingeteilt werden. Die „Kreisnationalräte", die an den Sondervollmachten teilzuhaben wünschen, sind aufgefordert worden, sich mit dem polnischen Ministerrat in Verbindung zu setzen. Nach bisher vorliegenden Berichten sollen vor allem zahlreiche Landkreise in den „Wojewodschaften" Allenstein, Köslin, Stettin, Grünberg und Breslau zu „Notstandsgebieten" erklärt werden. Es handele sich um diejenigen Kreise, „die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum größten Teil eingebüßt haben“.

 

Seite 1   Verlassene Gehöfte in Ostpreußen

Das Zentralorgan der polnischen Bauernpartei (Vereinigten Volkspartei), „Zielony Sztandar" (Grünes Banner), stellt in einem Bericht aus dem südlichen Ostpreußen fest, dass sich im Ermland und in Masuren zahlreiche bäuerliche Gehöfte befinden, die verlassen wurden und verfallen. Allgemein sei man im südlichen, polnisch verwalteten Ostpreußen der Überzeugung, dass die Warschauer Regierung das Gebiet absolut vernachlässige. Mangelerscheinungen in der Versorgung der Bevölkerung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs seien an der Tagesordnung. Zudem bestünden Spannungen zwischen der neu zugewanderten polnischen Bevölkerung und den „Autochthonen", was dazu geführt habe, dass sich die „Autochthonen" — d. h. die in der Heimat verbliebenen Deutschen — in immer größerer Zahl zur Umsiedlung nach Westdeutschland meldeten.

Polnische Kulturveranstaltungen fänden so gut wie überhaupt keine Besucher, obwohl der Eintritt frei sein.

 

Seite 1   Oder-Neiße-Gebiete „kulturell zweitklassig"

Gegen die Vernachlässigung von Pommern, Schlesien und Ostpreußen nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht wendet sich die in Stettin erscheinende polnische Zeitung „Kurier Szczecinski". Es gehe nicht an, so schreibt das Blatt, dass die polnische staatliche Theater- und Konzertagentur ausländische Gastspiele immer nur in den innerpolnischen Städten durchführe. Die „Westgebiete" — also die polnisch verwalteten deutschen Ostprovinzen — bekämen ihre Randlage dadurch zu spüren, dass die Künstlertourneen an ihnen vorbeigingen. Allenfalls Breslau werde, auf dem Wege nach Kattowitz, bei einem Abstecher aufgesucht, weil die dortige Jahrhunderthalle mit ihren 10 000 Plätzen eine gute Einnahmequelle verspreche. Weder polnische noch ausländische Ensembles besuchten Oppeln, Grünberg, Stettin, Allenstein oder Köslin, obwohl es sich bei diesen Plätzen doch um „Wojewodschaftshauptstädte" handele.

 

Die Stettiner Zeitung erklärt, es gehe nicht an, dass man Polen kulturell in eine bevorzugte A-Klasse und in eine stiefmütterlich behandelte B-Klasse einteile; besonders bedenklich aber sei es, diese Einteilung entlang der Linie vorzunehmen, welche die Oder-Neiße-Linie von den Wojewodschaften Zentralpolens trenne.

 

Seite 1   „Intourist" lehnt Reisen in Oder-Neiße-Gebiete ab

Das staatliche sowjetische Reisebüro „Intourist" hat Vorschläge des volkspolnischen staatlichen Reisedienstes „Orbis" abgelehnt, die Zahl der sowjetischen Touristen, die insbesondere in den Oder-Neiße-Gebieten — an der pommerschen Ostseeküste, an der ostpreußischen Seenplatte und in den schlesischen Gebirgen — ihren Urlaub verbringen sollen, zu erhöhen. „Intourist" begründete seine Ablehnung damit, zahlreiche Beschwerden sowjetischer Reisenden hätten gezeigt, „dass die Entwicklung noch keine Besserung erfahren hat". Die sowjetischen Urlauber, vor allem hohe sowjetische Partei- und Staatsfunktionäre mit ihren Familien, hatten sich nach ihrer Rückkehr aus Schlesien, Ostpreußen und von der polnisch verwalteten Ostseeküste über die „unglaubliche Primitivität" beklagt. Oftmals habe es kein Obst und keine Milch gegeben, wie überhaupt die Verpflegung äußerst mangelhaft gewesen sei. Grundsätzlich sei der polnische „Kundendienst" sehr schlecht gewesen, in Ostpreußen habe es keine Möglichkeit gegeben, mit Fahrzeugen in die Umgebung zu reisen, „weil dauernd technische Pannen passierten".

 

Seite 1   Polens Intelligenz meidet deutsche Ostgebiete

In der polnischen Intelligenz besteht, wie die „Glos Pracy" berichtet, eine Abneigung gegen eine Ansiedlung in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten.

 

„Wir hören oft Klagen in Polen über die Abneigung bei einem Teil der Intelligenz, sich in den Westgebieten niederzulassen. Diese Klagen werden durch den Mangel an Ärzten, Apothekern und Ingenieuren in diesen Gebieten bestätigt“.

 

Dieses Desinteresse der polnischen Intelligenz beruht zweifellos auf der Überlegung, dass die sogenannte Oder-Neiße-Linie ein Produkt kommunistischer Willkürmaßnahmen jenseits des internationalen Rechts ist und keine „ewige Grenze" sein wird.

 

Seite 1   Arbeitskreis Ost-West

Ein „Arbeitskreis für Ost-West-Fragen", dem Wissenschaftler, Politiker und Beamte der beteiligten Ressorts der Bundesregierung angehören, hat sich in Bonn auf Initiative der neuen Ost-Abteilung des Auswärtigen Amtes konstituiert. Das Auswärtige Amt teilte am Dienstag mit, dass die erste Sitzung des Arbeitskreises am vergangenen Wochenende im Auswärtigen Amt stattgefunden habe.

 

Der unabhängige Arbeitskreis wird in Bonn ein ständiges Sekretariat einrichten und eine Art wissenschaftlichen Beirat erhalten. Aufgabe des Beirates soll es sein, einen Beitrag zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Osten zu leisten. Insbesondere soll er die Stellung des Menschen im Staat untersuchen. Damit soll ein Gegengewicht zur „Offensive des Ostens" gebildet werden.

 

Die nächste Tagung soll Ende November Anfang Dezember stattfinden. Dem Arbeitskreis, der etwa vierteljährlich tagen will, gehören unter anderen die Professoren Otto Schiller (Stuttgart), Markert (Tübingen) und Freund (Kiel) an.

 

Seite 1   „Kontrollfamilien" in Danzig

Wie die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Dziennik Baltycki" berichtet, hat sich die polnische Verwaltung veranlasst gesehen, sogenannte „Kontrollfamilien" einzusetzen, um die immer mehr um sich greifende Unehrlichkeit der Verkäufer auf dem Sektor des Lebensmittelhandels einzudämmen. Eine „Kontrollfamilie" besteht aus etwa vier bis fünf Personen, die sich verpflichten, ihre Einkäufe jeweils genau nachzuprüfen. Es ergab sich, dass das Verkaufspersonal der staatlichen Läden den Familien infolge zu geringer Einwaage etc. allmonatlich einen durchschnittlichen Schaden in Höhe von etwa 100 Zloty zufügte. In jedem zehnten Ladengeschäft wurde aufgrund der Überwachung durch die „Kontrollfamilien" jeweils die „Entlassung eines Schädlings“ verfügt. Die „Kontrollfamilien“ arbeiten, dem polnischen Bericht zufolge, eng mit der „Handelsinspektion" zusammen, um „die schmutzige Welle von Diebstahl, Unterschlagung und Betrügerei“ zu brechen.

 

Seite 1   Verhandelt! Verhandelt! Stimmen zur Atomrüstung.

Keine Hand für die Atomrüstung. Schluss mit dem Wahnsinn, damit wir und die Menschheit wieder in Ruhe und Frieden leben können. Verhandelt, verhandelt. ..! Atomwissenschaftler Prof. Bechert

 

Noch können wir dagegen angehen. Es gibt Mittel genug. Jeder muss was dagegen tun, alle sind in Gefahr ohne Ausnahme, auch der Streik ist ein Mittel. Kirchenpräsident D. NiemöIIer

 

Ich bekenne mich zum Geist der Humanität und zu den Appellen der unzähligen Wissenschaftler in allen Ländern. Wir Mütter müssen überall gegen das Unheil auftreten. Schauspielerin Ursula Herking

 

Die Atombombe, die Ausgeburt der Unmenschlichkeit, hat von der Erde zu verschwinden. Wir alle haben an dieser wichtigsten Aufgabe der Menschheit mitzuwirken. Maler Otto Pankok

 

Es ist fünf Minuten vor zwölf. Der Kampf gegen die Atomaufrüstung ist ein Kampf für die Demokratie geworden. Es geht um die Rettung der demokratischen Grundrechte. Pädagogin Renate Riemeck

 

Seite 2   Albert Schweitzer mahnt!

Ich weiß nicht, ob man diesen plumpen Versuch der Verfälschung überhaupt kommentieren muss, weiß heute doch jedes Kind in Deutschland, und darüber hinaus in der Welt, wie Albert Schweitzer zur atomaren Aufrüstung, in welchem Lande auch immer, steht, ja, es gibt wohl kaum einen leidenschaftlicheren Mahner als gerade ihn. Aber vielleicht wissen es doch noch zu wenig — so spekulierten sicherlich die Herausgeber jenes Flugblattes, das jetzt seine Runde macht, sich an die Millionenmasse der deutschen Nichtdenker wendet. Auf der Frontseite trägt es ein sehr schönes Porträt Albert Schweitzers und daneben in Fettdruck die Worte: „Albert Schweitzer mahnt“. Darunter folgende Zitate aus Schweitzers letzter Botschaft zur Atomfrage:

 

„Durch den Verzicht auf Atomwaffen wird die militärische Macht der Sowjetunion, was das europäische Gebiet angeht, weniger betroffen als die Amerikas. Es verbleibt ihr diejenige, die ihr die vielen mit vorzüglichen Waffen ausgerüsteten Divisionen ihrer Landarmee verleihen. Sie könnte mit ihnen die NATO-Staaten in Europa, insbesondere Westdeutschland, überrennen, ohne dass ihm jemand mit einer Aussicht auf Erfolg zur Hilfe kommen könnte. Angesichts der Gefahr, die diese Störung des Gleichgewichts mit sich bringt, müsste die Sowjetunion im Abrüstungsabkommen darauf eingehen, ihre Armee zu verringern, und sich verpflichten, nichts gegen Deutschland zu unternehmen“.

 

„Die drei Atommächte allein entscheiden von sich aus im Bewusstsein ihrer Verantwortung ihren Völkern und der ganzen Menschheit gegenüber, ob sie auf Versuchsexplosionen und Verwendung von Atomwaffen verzichten wollen oder nicht“.

 

„Die Verhandlungen der drei Atommächte über das Abrüstungsabkommen haben es mit den Garantien zu tun, die der Westen und der Osten sich gegenseitig zu geben haben, um die tatsächliche völlige und dauernde Abschaffung von Atombomben sicherzustellen. Gegenseitig werden sie sich Rechte zuzugestehen haben, international oder von ihnen gemeinsam eingesetzten Kommissionen zu erlauben, auf ihrem Boden Nachforschungen anzustellen“.

 

„Letzten Endes sind der Osten und der Westen darauf angewiesen, die Vertrauenswürdigkeit des anderen einigermaßen vorauszusetzen“.

 

„Unvergessen bleiben die großen Opfer, die Amerika Europa im zweiten Weltkrieg und die auf ihn folgenden Jahre gebracht hat, unvergessen die große und so mannigfache Hilfe, die Europa von ihm empfing, unvergessen der Dank, den es ihm schuldet“.

 

Dann geht es weiter: DIE BUNDESREGIERUNG fordert kontrollierte allgemeine Abrüstung. Wie Albert Schweitzer stellt sie als Tatbestände fest:

 

1. Es ist Sache der Atomwaffen besitzenden Mächte, über eine Ächtung solcher Waffen zu verhandeln.

2. Sache der Sowjetunion ist es, ihre bedrohliche konventionelle Rüstung zu verringern, dadurch Vertrauen zu ermöglichen und zur Festigung des Friedens einen entscheidenden Beitrag zu leisten.

3. Sache der Bundesregierung ist es, in einer Zeit internationaler Spannungen, wie wir sie durchleben, für die Sicherheit des deutschen Volkes zu sorgen, denn ohne Sicherheit wäre unsere Freiheit bedroht.

 

DARUM: VERTRAUT DER POLITIK DER BUNDESREGIERUNG!

Ich weiß nicht, muss man wirklich noch etwas dazu sagen? Zum Beispiel, wieviel Unverfrorenheit dazu gehört, diese völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate Albert Schweitzers, eines der größten Gegner der Atombewaffnung, zur Unterstützung der Atombewaffnungspolitik der Bundesrepublik zu benutzen? Oder dass uns diese Methoden aus einer zurückliegenden Zeit sehr bekannt vorkommen? Ich glaube, wir können es uns ersparen. Aber nicht ersparen wollen wir es uns, noch kurz auf den Herausgeber hinzuweisen: ADK (Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise), Bad Godesberg — was allerdings den Betrug der Öffentlichkeit um nichts verständlicher macht.

 

Seite 2   „Zoppoter Experiment ertrinkt in den Akten. Enttäuschung in den Kurorten — Nur geringer Besuch.

Mit großer Enttäuschung registriert die in Danzig erscheinende polnische Zeitung „Dziennik Baltycki", dass das „Zoppoter Experiment", das den Zweck verfolgt habe, Zoppot wieder zu einem Kurort von europäischem Zuschnitt werden zu lassen, in den Akten ertrinke. Die Warschauer Ministerialstellen, die darüber entscheiden sollten, hätten so viele Vorbehalte gemacht, dass praktisch alle Pläne für Zoppot samt und sonders zerschlagen worden seien. Ein im Februar nach Warschau geschickter detaillierter Plan sei bis zur Stunde noch nicht einmal als dort eingetroffen bestätigt worden!

 

Der Grund für diese unfreundliche Einstellung ist, wie „Dziennik Baltycki" enthüllt, darin zu suchen, dass die Warschauer Ministerien die Hotels, die sie für „Konferenz"-Zwecke in Zoppot besetzt halten, „entschlossen und verbittert verteidigen" ... Die Stadt Zoppot verfügt nur über ein einziges Hotel, und auch in diesem muss noch der größte Teil der Zimmer für „Urlauber im Dienst" aus den Warschauer Ämtern zur Verfügung gehalten werden.

 

Ein anderes polnisches Blatt, „Slowo Polskie", bezeichnet den diesjährigen Besuch von Fremden in Zoppot als „nur gering". Um die Privatzimmer, die der städtische Zimmernachweis zur Verfügung hält, bekümmerten sich nicht etwa Feriengäste, sondern die einheimischen Zoppoter Bewohner belagerten ihn, weil sie hofften, ein Dauerzimmer mieten zu können.

 

In vielen Ferienorten an der Danziger Küste sind — laut „Slowo Polskie" — erhebliche Schwierigkeiten in der Versorgung zu verzeichnen. Für Feriengäste, die privat in die Küstenbäder gereist kamen, sei die Erlangung einer Mittagsmahlzeit oder auch nur die Zubereitung der eigenen Verpflegung „ein Problem, das viel Zeit und „Nerven kostet". — Angesichts dieser Zustände blühe der Schwarzhandel, und private Kaufleute zögen den Feriengästen vielfach „das Fell über die Ohren".

 

Die Allensteiner Zeitung „Glos Olsztynski" nennt die Unterbringung der Feriengäste in Nikolaiken „ein sehr schwieriges Problem". Es bleibe den Urlaubern nichts anderes übrig, „als eine Unterkunft in den Scheunen am Rande des Ortes zu suchen". — Nikolaiken, zu deutscher Zeit beliebt als gepflegte Sommerfrische mit dem an der Brücke angeketteten „Stinthengst" und bekannt als Hauptfangplatz der Maränen, macht, nach diesem polnischen Bericht, äußerlich zwar einen passablen Eindruck, „aber die Höfe sind nach wie vor unsauber und die Hinterfronten der Häuser sind verfallen.

 

Seite 2   Schlechte Saison in Zoppot.

Die Erwartungen der polnischen Behörden, in diesem Jahr einen stärkeren Zustrom von ausländischen Besuchern nach Danzig und Zoppot zu locken, haben sich bisher nicht erfüllt. Man hatte vor allem auf den Besuch aus den skandinavischen Staaten große Hoffnungen gesetzt und die Werbung für das Kasino in Zoppot in den Vordergrund gerückt. Auch aus der Tschechoslowakei erwartete man mehr Besucher, doch diese scheinen sich mehr für Reisen nach der sowjetzonalen Ostseeküste zu interessieren. Die Unterbringungsmöglichkeiten haben sich in Zoppot nicht wesentlich gebessert, so dass die polnischen Besucher gezwungen sind, sich noch mehr dem Camping zuzuwenden. Sie suchen deshalb lieber die kleineren Küstenorte in der Danziger Bucht auf und lassen das teure Zoppot links liegen. Die letzten Hoffnungen setzt man jetzt auf einige Zoppoter Großveranstaltungen, mit einem größeren Ausländerbesuch ist jedoch kaum noch zu rechnen,

 

Seite 2   Ostpreußens Gedenkstätten verfallen. Frauenburgs Zustand „ein Grund, sich zu schämen".

In einem Artikel über die ostpreußische Stadt Frauenburg, in der Nikolaus Kopernikus Domherr war, schreibt die polnische Zeitung „Slowo Powszechne" dass, dieser Ort „nach dem Kriege in die Rolle einer elendig hinvegetierenden Siedlung gefallen" sei. Frauenburgs derzeitiger Zustand sei für Polen „ein Grund, sich zu schämen".

 

Ein weiterer Bericht von „Slowo Powszechne" befasst sich mit Tannenberg in Ostpreußen, wo im Jahre 1960 große Feierlichkeiten zum Gedenken an die Schlacht stattfinden sollen, die hier im Jahre 1410 zwischen dem Deutschen Ritterorden und den Polen ausgetragen wurde. Der Berichterstatter der Zeitung fand rund um Tannenberg Verhältnisse vor, die für die 1960 geplanten 550-Jahres-Feierlichkeiten wenig ermutigende Aussichten boten. Er bedauert, sich nicht mit Lebensmitteln eingedeckt zu haben, denn weit und breit habe er nichts Essbares kaufen können. Auch gab es in der Umgegend keinerlei Quartiermöglichkeit, so dass er auf offenem Feld kampieren musste. Eine „Aktivierung" von Tannenberg sei erst dann möglich, wenn die Eisenbahnlinie Bergfriede - Usdau (Krs. Soldau) wieder aufgebaut werde, die nach dem Kriege demontiert worden ist.

 

Seite 2   Heruntergewirtschaftete Polderlandschaft

Der Niedergang der Wiesen- und Weidenwirtschaft in der Polderlandschaft im ostpreußischen Kreis Preußisch-Holland ist das Thema mehrerer Berichte in der Allensteiner Zeitung „Glos Glsztynski". Die Gräben zur Entwässerung des Landes seien, so heißt es darin, zum Teil seit 1945 überhaupt nicht mehr berührt worden. Sie seien in einer Länge von 500 km völlig zugewachsen und dementsprechend seien die Wiesen versauert. Die Landwirtschaft, speziell die Viehzucht, die hier vor dem Kriege von deutscher Seite betrieben wurde, sei naturgemäß in ihren Ergebnissen zurückgegangen: die tägliche Milchleistung der Kühe betrage nurmehr 3 Liter (in der Vorkriegszeit erbrachte eine Kuh durchschnittlich in der ostdeutschen Landwirtschaft einen Tagesertrag von 7,1 Liter. D. Red.).

 

„Glos Olsztynski“ bedauert es auch, dass die polnischen Neusiedler nichts von landwirtschaftlichen Wassergenossenschaften wissen wollen, während die deutschen Bauern vor dem Kriege „wie ein Mann" zu solchen Genossenschaften gestanden hätten, weil sie erkannt hatten, dass es in ihrem persönlichen Interesse lag, Pumpen, Deiche und Gräben in Ordnung zu halten. Das Blatt schließt mit der Bemerkung: „Was hier früher einmal gut war, das sollte uns heute nicht etwas Fremdes sein ...."

 

Seite 2   Eine politische Demonstration

Um die polnischen Ansprüche auf das südliche Ostpreußen zu unterstreichen, hat das Warschauer Außenministerium einen Ausflug des Diplomatischen Corps nach Masuren und anderen ostpreußischen Landschaften veranstaltet. Bei einer Rundfahrt auf den Masurischen Seen, die in Lötzen endete, wurde in Spirding ein Tierpark besucht, wo Mitarbeiter der Polnischen Akademie der Wissenschaften die Gäste führten. Tags darauf wurden in Frauenburg der Dom und das Kopernikus-Museum besichtigt. An dem Ausflug nahm der Leiter des Warschauer Außenministeriums, Marian Naszkowski, teil.

 

Seite 2   „Strecke des großen Hungers“.

Die Warschauer Zeitung „Gazeta Handlowa" kritisiert aufs schärfste die äußerst mangelhafte Versorgung polnischer Touristen in Ostpreußen mit Lebensmitteln. Zwar verkünde man das Schlagwort „Jeder Pole einmal in Masuren", aber wenn sich dann Urlauber aufmachten, um die Seenlandschaft im südlichen Ostpreußen zu besuchen, müssten sie schwere Entbehrungen in Kauf nehmen. Diese seien so groß, dass man den Weg von Alilenstein bis hin zu den Masurischen Seen „die Strecke des großen Hungers" nenne.

 

Seite 2   „Vollendete Tatsachen - ohne Sinn und Verstand Polnische Selbstkritik am Wiederaufbau Danzigs.

Die in Warschau erscheinende Zeitschrift „Stoica" veröffentlicht eine ausführliche bebilderte Kritik des bisher von polnischer Seite stets nur überschwänglich gerühmten Wiederaufbaues der Danziger Innenstadt. Ausgehend von einem Vergleich mit Warschau und der Feststellung, dass hier wie dort überstürzt gebaut und vollendete Tatsachen geschaffen worden seien, ohne dass man „vernünftige Überlegungen" angestellt hätte, belegt die Zeitschrift an einer Reihe von Beispielen den Widersinn des Danziger Neuaufbaues, den sie „unharmonisch und stellenweise chaotisch" nennt.

 

Es seien heute in Danzig drei große, selbständige Wohngebiete entstanden, von denen niemand den Eindruck habe, dass sie zusammengehörten. Ein Stadtzentrum, einen wirklichen Mittelpunkt des Handels und Gewerbes sowie der Verwaltungsdienststellen, suche man vergeblich. Zweifel am Sinn vieler Rekonstruktionen müssten umso mehr auftauchen, als dieses Anknüpfen an vergangene Stil-Epochen unzulänglich und behelfsmäßig vorgenommen worden sei. Die Malereien an den Fassaden des Langen Marktes nennt „Stolica“ „schreckenerregend und infantil". „Man gewinnt den Eindruck, als habe man die ins Monströse übersteigerten Malversuche aus dem Schulheft des braven kleinen Hänschen vor sich ...".

 

Seite 2   Danzig: „Stadt der Tierzüchte“

Man könne die Stadt Danzig als eine „Stadt der Tierzüchter" bezeichnen, stellte die in der Hafenstadt erscheinende polnische Zeitung „Glos Wybrzeza" fest. In der Stadt würden nicht nur zahlreiche Kaninchen und Ziegen gehalten, sondern man widme sich auch weithin der Zucht von Füchsen und anderen Pelztieren, wobei der sich entwickelnde Gestank die Luft verpeste. In dem polnischen Bericht wird hierzu vermerkt, dass der örtliche „Nationalrat" sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt habe, doch herrschten große Meinungsverschiedenheiten darüber, wie diese Erscheinungen eingedämmt werden könnten.

 

Seite 2   Austausch mit Polen

Für den Austausch von Studenten, Professoren und Fachleuten zwischen der Bundesrepublik und Polen wird die Ford-Stiftung, wie am Dienstag in New York bekanntgegeben wurde, 9250 Dollar (etwa 39 000 Mark) zur Verfügung stellen. Die Geschwister-Scholl-Stiftung in Ulm wird 15 000 Dollar (rund 63 000 Mark) erhalten.

 

Seite 2   PRESSESPIEGEL

Dürfen wir hoffen? Mit einigen Zweifeln, aber auch mit einiger Hoffnung, erfährt der Staatsbürger davon, dass sich die Fraktionen des Bundestages in einem wichtigen Punkt geeinigt haben. Sie wünschen gemeinsam, dass ein Viermächteausschuss geschaffen werde, der nach einem Weg für die deutsche Wiedervereinigung suchen soll. Jeder der Abgeordneten, der diesem Beschluss zugestimmt hat, kennt die Mühseligkeiten, die damit verbunden sind. Was zum Beispiel würde geschehen, wenn die Sowjetunion dabei bliebe, dass die Wiedervereinigung eine Sache der Deutschen sei, dass sie also zwischen Bonn und Ostberlin ausgehandelt werden müsse? Dann müsste man wieder andere Wege suchen.

 

Immerhin, es ist ein neuer Versuch gemacht worden. Der Bundestag will sich nicht mit tatenlosem Abwarten begnügen, und das ist es vor allem, was dem Staatsbürger einige Hoffnung gibt. Dass sich außerdem die Fraktionen in dieser Lebensfrage der Deutschen einmütig zusammengefunden haben, das ist gerade nach den Stürmen der letzten Wochen doppelt erfreulich. DIE WELT, Hamburg

 

Familien voneinander getrennt

„Wenn Frau Schultz im Bauerndorf Zicherie ihre Mutter besuchen will, die nur wenige Schritte von ihr entfernt wohnt, muss sie über Helmstedt fahren, das ist ein Umweg von 120 km, und sie riskiert dazu, nicht einmal eine Bewilligung zu bekommen. Frau Schultz wohnt auf der Westseite, ihre Mutter auf der Ostseite der 1328 km langen Zonengrenze zwischen Ost- und Westdeutschland. Im ganzen Grenzgebiet ist diese Lage gleich: die Familien sind voneinander getrennt. Oft geht die Grenzlinie mitten durch ein Dorf, ein Haus, ein Feld.

 

In Phillipsthal zwischen Thüringen und Hessen geht die Zonengrenze quer durch einen Bauernhof, einige Zimmer liegen auf der Ostseite, einige auf der Westseite. Als im Jahre 1952 die Volkspolizei der ostdeutschen Kommunisten plötzlich zuschlug und längs der Grenze Sperrzonen und „Todesstreifen“ anlegte, wurden die Bewohner des Gutes und Hauses für immer getrennt. Herr und Frau Kohlmeyer, die an diesem Morgen in ihren Betten aufwachten, mussten zu ihrem Entsetzen konstatieren, dass Sohn und Tochter, die auf der Ostseite ihre Zimmer hatten, weggeführt worden und ihre Zimmer zugemauert waren." BERLINGSKE TIDENDE, Kopenhagen

 

Deutsch-polnische Verständigung

„Eine endgültige Grenzregelung zwischen den beiden Völkern wird mir bei einem Friedensvertrag oder bei einem Sonderabkommen mit einer gesamtdeutschen Regierung ausgehandelt werden können. Aber schon jetzt wird die Bundesregierung die Grenzfrage auf diplomatischem Wege sondieren können. Wenn wir den Status quo überwinden wollen, werden wir den jetzigen starren Standpunkt verlassen müssen. Wir müssen auch, einsehen, dass eine etwaige Rückgabe des ostdeutschen Gebiets für Polen solange unannehmbar ist, solange sich Ostpolen in sowjetischer Hand befindet. Umgekehrt wird das deutsche Volk Verständnis dafür verlangen können, dass die Oder-Neiße-Grenze ihm in der jetzigen Form nicht moralisch erscheinen kann. Die Revision wird daher beiden Seiten Opfer auferlegen.

 

Es scheint utopisch zu sein, Pläne zu erörtern, die ein Kondominium oder ähnliches für das umstrittene Gebiet, vorschlagen. Aber sollten wir uns nicht erinnern, dass es unmöglich schien. Westeuropa zu einen? So ist auch für ernsthafte Vertreter der Wiedervereinigung klar, dass eine Kompromissformel für die verschiedenen Sozialordnungen und Wirtschaftsverfassungen gefunden werden kann. Bei diesen Beispielen kann sich nicht die eine Seite der anderen vollständig unterordnen ohne Nachteile für die Gesamtheit und die betroffene Bevölkerung auszulösen.

 

Kehren wir auf den Boden des Jahres 1958 zurück! Wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir es anfassen. Die Gesamtkonzeption wird der weltpolitischen Entwicklung angepasst sein müssen. Deutschland hat ein Lebensinteresse daran, dass der Status quo überwunden wird. Polen scheint die Kraft zu spüren, sich in der kommenden Entwicklung die völkische Einheit zu bewahren und die Selbständigkeit zu gewinnen. Das deutsche Volk sollte in seiner Substanz und politischen Kraft nicht als zu schwach eingeschätzt werden, dass es seine Freiheit nicht erhalten und die Einheit nicht erkämpfen kann, wenn es die Entwicklung vorantreibt“. GEMEINSCHAFT UND POLITIK, Bad Godesberg

 

Polnische Bedenken

„Was wird also geschehen, wenn Westdeutschland eine Atommacht geworden ist — damit also eine große Militärmacht?

 

Wir wünschen keine Diskussion darüber zu beginnen, ob die Bundesregierung wissentlich oder unabsichtlich versucht, in Europa einen neuen Sturm auszulösen. Es wäre genauso sehr eine Übervereinfachung, wenn man behauptet, Bonn wünsche einen Krieg, wie die Behauptung, es gäbe in Westdeutschland keine gefährlichen Keimzellen des Militarismus und des Revisionismus. Woran wir vielmehr interessiert sind, ist eine objektive Wertung der Tatsachen, mit denen wir es zu tun haben.

 

Viele sind der Meinung, dass das deutsche Volk friedliche Wünsche hat und wie wir keine Waffenkonflikte wünscht. Man braucht wohl nicht daran zu zweifeln, dass die Deutschen den Krieg fürchten. Dies ist aus zahllosen Reden im Bundestag bei der Atomdebatte und durch mehrere Ergebnisse von Volksbefragungsinstituten klar geworde.

 

Aber diejenigen, die in Westdeutschland die Macht in Händen halten, schlagen aus der augenblicklichen Passivität eines großen Teiles der westdeutschen Bevölkerung Kapital, um eine Politik der vollendeten Tatsachen durchzusetzen, deren Ergebnisse entweder überhaupt nicht revidiert oder nur sehr schwer geändert werden können. Ein Beweis hierfür ist die Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen“. POLISH PERSPECTIVES, Warschau.

 

Seite 3   Wormditt – Symbol ermländischer Schicksals. Was Westberliner Ostpreußen-Reisende in der „Hauptstadt“ des Ermlandes erlebten.

Zeichnung: Das Rathaus von Wormditt.

Die Zahl der in letzter Zeit nach dem südlichen Ostpreußen gefahrenen westdeutschen Reisenden ist gering, nachdem von polnischer Seite die Visaerteilung immer mehr erschwert worden ist. Nun sind jedoch in Westberlin mehrere Landsleute eingetroffen, die von Warschau noch die Erlaubnis zu einer Fahrt in die Heimat erhalten hatten.

 

Zwei davon hatten sich vorwiegend im Ermland aufgehalten, wo sie auch Gelegenheit hatten, Wormditt zu besuchen. Sie erreichten die Stadt von Allenstein aus mit einem Omnibus. Die Fahrt ging über Locken, Mohrungen und Liebstadt. An einer Haltestelle auf der Allensteiner Chaussee stiegen sie aus und befanden sich  -  es war Markttag -  bald in dichtem Menschengewimmel. Bauern und Handwerker aus der Umgebung waren gekommen, um von ihren Wagen herunter oder auf primitiven Ständen ihre Waren feilzubieten. Die Besucher zog es fort in die berühmte Pfarrkirche, von deren gegenwärtigem Zustand sie Aufnahmen zu machen gedachten.

 

Erhaltene Basilika

Das Wahrzeichen Wormditts war und ist die mehrschiffige gotische Basilika von St. Johannis. Während der Kämpfe um das Ermland vor mehr als dreizehn Jahren erlitt das Gotteshaus leichtere Beschädigungen. Hauptsächlich waren es jedoch Treffer aus leichten Waffen, die keine großen Zerstörungen anrichten. Auch die durch den Luftdruck krepierender Granaten entstandenen Schäden waren gering.

 

Die polnische Verwaltung bemühte sich schon frühzeitig darum, die Basilika wieder instand zu setzen. Es war den Besuchern aus Westberlin möglich, das Gotteshaus genau in Augenschein zu nehmen und zu fotografieren. Der polnische Priester gab ihnen einen deutsch sprechenden Kirchendiener mit, der sie überall herumführte. Die als erstes ins Auge fallende Veränderung besteht darin, dass die St. Johannis Kirche heutzutage von einer etwa mannshohen Mauer umgeben ist. Den Polen erschien die Abgrenzung des unimittelbaren Kirchplatzes notwendig, weil sich in dem weiteren Gelände davor allerlei handelndes Volk herumtrieb und der Platz vor Dreck starrte. Heute ist der Platz um das Gotteshaus mustergültig sauber, und man sorgt sogar in dem von der Mauer nicht umgebenen Teil für Ordnung. Äußerlich hat sich die Basilika nicht verändert. Man sieht die Spuren von Reparaturen an einem Satteldach, sowie am westlichen Turm und an den Seitenschiffen bzw. den Kapellen. Soweit die Reisenden das beurteilen konnten, sind diese Arbeiten fachgerecht ausgeführt worden. Ihr Begleiter versicherte mehrfach, für nötige Renovierungen ständen wie bisher Gelder und Material in ausreichender Menge zur Verfügung. Der Stadt sei daran gelegen, die Kirche in allen ihren Teilen zu erhalten.

 

In den kommenden Monaten will man Reparaturen an dem Terrakottafries und den in den Spitzbogen-Nischen befindlichen Büsten vornehmen. Im Inneren der Basilika sollen Malereien entstehen. Außerdem trägt man sich mit dem Gedanken, den Standort der Altäre zu verändern. Obwohl es Vormittagszeit war, trafen die Reisenden in der Kirche viele Gläubige an. Es handelte sich zumeist um polnische Frauen, die zum Beten gekommen waren. Alles in allem kann man der fremden Verwaltung bescheinigen, dass sie die fünfhundertachtzig Jahre alte deutsche St. Johannis-Kirche aufs Beste pflegt!

 

Evangelische Kirche mit Friedhof

Ebenfalls unversehrt geblieben ist die evangelische Kirche. Auch wenn man heute in die Elbinger Straße geht, dann sieht man, dass sich die Polen bei diesem Gotteshaus ebenfalls um eine Renovierung bemüht haben. Das Kirchendach weist verschiedentlich neue Stellen auf. Die protestantische Kirche der Stadt dient heute der in Wormditt und Umgebung lebenden ukrainischen Bevölkerung.

 

Den Westberlinern bot sich auch auf dem Friedhof eine Überraschung. Nachdem sie im südlichen Ostpreußen schon viele mutwillig zerstörte und geschändete deutsche Gottesäcker gesehen hatten, waren sie sehr überrascht, in Wormditt in dieser Beziehung Gutes vorzufinden. Einer der Reisenden konnte ohne Schwierigkeiten das Grab von Angehörigen wiederfinden. Das Denkmal war gut erhalten, und die Namen konnte man noch entziffern. Eine Reihe alter und neuerer deutscher Gräber wurde offensichtlich regelmäßig gepflegt. Man sah, dass Unkraut gezogen war. Auch Blumenschmuck gab es auf vielen Grabstätten. Der die Besucher bis hierher begleitende Kirchendiener wusste zu berichten, dass der Friedhof unter der Obhut geistlicher Schwestern steht, die bei der Grabpflege keinen Unterschied zwischen der Nationalität der Toten machen. Inzwischen sind auf dem Wormditter Gottesacker auch Polen bestattet worden.

 

Rathaus unter Denkmalsschutz

Während es in der Innenstadt — wie wir später sehen werden — noch umfangreiche Verwüstungen gibt, bemühen sich die Polen wirklich darum, die mittelalterlichen Bauten Wormditts zu erhalten. So stellten sie auch das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Rathaus unter Denkmalsschutz. Schon vor einigen Jahren wurde in einer Sitzung der Städtischen Verwaltung beschlossen, dem Städtchen seinen mittelalterlichen Charakter in den Repräsentativbauten zu erhalten.

 

Was nun das Rathaus weiter betrifft, so hat man auch hier die glücklicherweise nur leichten Kriegsschäden beseitigt. Wenn uns das Gebäude heute jedoch etwas fremd vorkommt — wie den jetzt Wormditt besuchenden Reisenden —, dann liegt das nicht nur an dem grauenhaft zerstörten Marktplatz. Es ist vor allem die Veränderung, die mit den an das Rathaus gelehnten Hakenbuden geschehen ist. Erst einmal sind die vor diesen kleinen einstöckigen an das Rathaus geschmiegten Häusern (auch Hökerbuden genannt) befindlichen Räumen alle verschwunden.

 

Die Häuser selbst stehen zwar noch, sind aber nur zu einem Teil bewohnt. Durchweg sind die oberen Stockwerke unbewohnt, und die leeren Fensterhöhlen blicken wie tote Augen auf den Marktplatz. Dem Rathaus wurde dadurch so etwas wie der lebendige Schutz genommen. Heute kommt einem das Gebäude irgendwie kahl vor.

 

Dagegen ist es tröstlich, auf dem Dach des Rathauses wie ehedem in der Mitte den barocken Turm zu sehen. In ihm befindet sich noch immer die uralte Glocke, die die älteste Kirchenglocke des Ermlandes überhaupt ist und zu einem Wahrzeichen dieses Landes zählt. Vor fünfhundertfünfundsiebzig Jahren ist sie von deutschen Glockengießern gegossen worden!

 

Auch an der Vorderfront des Rathauses — wir meinen die nördliche Seite, wo sich unten das Hakenbuden-Haus von Gustav Laws befand — begegnen wir einem altvertrauten Anblick. Auf dem höchsten Punkt des Staffelgiebels steht wie zu unserer Zeit noch das Storchennest. Als die Berlinreisenden in Wormditt eintrafen, war das Nest gerade wieder von einem Storchenpaar bezogen worden. Gibt es ein schöneres und charakteristischeres Symbol für die Beständigkeit und Unverlierbarkeit des alten Wormditt?

 

Zerstörte Kostbarkeiten

Unmittelbar an das Rathaus schließt sich der Komplex der zerstörten Laubengänge an. Als die Besucher sich auf die südliche Seite des Rathauses — also dort, wo der hintere Giebel mit dem zweiten Dachtürmchen gekrönt ist — begaben, sahen sie sich nur Ruinen gegenüber. Lediglich einige der markanten Rundbogen von den dort befindlichen Gebäuden sind stehengeblieben. An dieser Stelle des Marktes ist es bisher zu keinem Wiederaufbau durch die polnische Verwaltung gekommen. Man hat die Grundstücke nur zum Teil von dem herumliegenden Trümmerschutt aufräumen können.

 

Wenden wir uns nun der Ostseite des Marktplatzes zu. Dort hat die Kriegsfurie ganz besonders hart zugeschlagen. Man findet an dieser Stelle kaum ein erhalten gebliebenes Gebäude. Überall Trümmer oder lediglich stehengebliebene Fassaden. Zwischen den Häusern der Landsleute Heinrich und Heppner (beides Geschäftshäuser gewesen) sahen die Berlinreisenden nur die Rundbögen und Säulen, hinter denen sich ebenes Ruinengelände befand! Der polnische Wiederaufbauplan an dieser Marktseite sieht den Neubau von Gebäuden etwa auf der Höhe der Keuchelschen Geschäftshäuser vor. Wann diese Arbeiten jedoch in Angriff genommen werden können, weiß man noch nicht.

 

Nur an der Westseite des Marktplatzes ist es bisher zu einem Aufbau gekommen. Dort wurden einige Häuser repariert und zwei oder drei ganz neu gebaut. Die Polen bemühten sich dabei mit Erfolg darum, alles in der früheren Bauweise entstehen zu lassen. Das Amt für Denkmalsschutz hatte sich auch hierbei eingesetzt und die historische Rekonstruktion unterstützt. In der Perspektive sieht die polnische Bauplanung in Wormditt die Wiederherstellung aller mittelalterlichen Bauten vor. Die Stadt soll eines Tages wieder so aussehen, wie wir sie in unserer Erinnerung haben.

 

Der Objektivität halber wollen wir den Polen nicht den guten Willen absprechen, Wormditt zu erhalten. Infolge der bekannten Umstände in Polen und Ostdeutschland ist jedoch ein zügiger und umfassender Aufbau wie bei uns nicht möglich. Das polnische Tempo beim Wiederaufbau steht im Verhältnis zur-Bundesrepublik etwa 1 zu 45! So war die jetzige Verwaltung in unserer Stadt gezwungen, einzelne Schwerpunkte zu bilden und wie in letzter Zeit die Sicherung beschädigter Gebäude durchzuführen. Wir können aber, was Wormditt betrifft, auf keinen Fall von einem Vernichtungswillen gegenüber der Stadt ausgehen bzw. sprechen. Das Wenige, was bisher geschehen, ist das Ergebnis echter Anstrengungen bei unzulänglichen Möglichkeiten und Mitteln! Wir sollten daher zufrieden sein, dass in Wormditt nicht wie in anderen Orten unserer Heimat Abbruchaktionen in Szene gesetzt werden. Im laufenden Haushaltsjahr hat man sogar erstmals größere Summen eingesetzt, die zum Verputz der unversehrten alten Häuser verwendet werden sollen. Man kann daher annehmen, dass die polnische Verwaltung die unzerstörten Gebäude schützen und langsam, aber ständig, den Wiederaufbau fortführen will.

 

Allgemeines

Auch auf anderem Gebiet versuchten die Polen, die deutsche Tradition wieder aufzunehmen. Bekanntlich war unser Wormditt sozusagen als Sitz des Ermländischen Bauernvereins die „Hauptstadt" des Ermlandes. Landwirtschaft, Handel und Handwerk hatten hier ihren natürlichen geographischen Mittelpunkt. Anfangs vernachlässigten die Polen diese Gegebenheit. Inzwischen haben vor allem die hier einflussreichen Funktionäre der Demokratischen Bauernpartei erkannt, dass dieses Gebiet sich nur dann wirtschaftlich wieder erholen kann, wenn Wormditt wieder seine alte Aufgabe zugeteilt bekommt.

 

Man bemüht sich daher nun darum, Teile der Verwaltungsaufgaben der umliegenden Kreisstädte Wormditt zu übertragen. Man versucht nicht mehr auf Grund der administrativen Gebietseinteilung, sondern auf Grund der geographischen Lage, die Dörfer des Ermlandes zu aktivieren. Nach der Regierungsübernahme durch Gomulka wurde die starre staatliche Lenkung teilweise abgebaut und durch private Initiative ersetzt. Es gibt seitdem wieder mehrere Gewerbe- und Handwerksbetriebe in der Stadt. Auch der Handel breitet sich aus. Ebenfalls die Zahl der Geschäfte ist beträchtlich gewachsen. Trotzdem hält das alles noch keinen Vergleich mit der Vorkriegszeit aus. Den damals 7800 Deutschen steht heute eine viel geringere polnische Bevölkerungszahl gegenüber. Nachteilig wirkte sich auch bis vor zwei Jahren aus, dass im Nordwesten der Stadt bis 1956 eine Garnison entstand und Kasernen gebaut wurden. Der Krickausener Flugplatz mit polnischer und sowjetischer Besatzung lähmte die normale Entwicklung. Materialien für den Wiederaufbau gingen damals in den Militärbezirk von St. Andreasberg, wo neue Kasernen errichtet wurden.

 

Hat man auch unter Gomulka das Truppengelände nicht weiter ausgebaut, so bedeutet doch allein seine Existenz für Wormditt eine Belastung. Die Stadtverwaltung ist sich dessen bewusst und versucht immer wieder, zu einem günstigen Kompromiss zu kommen. So hat sie verschiedentlich in den letzten beiden Jahren von der Militärkommandantur gefordert, man möge Soldaten zum Wiederaufbau einsetzen. Das ist bisher jedoch nur wenige Male in unzureichendem Maße geschehen. Zuletzt wurden Handwerker aus der Garnison dazu eingesetzt, um die weitgehend erhalten gebliebenen Laubengänge an der Nordseite des Marktplatzes zu überholen.

 

Ein weiteres schweres Problem ist, die gewerbliche Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Hauptbetriebe sind gegenwärtig eine Mühle sowie ein Sägewerk. Letzteres ist durch den starken Einschlag in den der Stadt gehörenden riesigen Forsten völlig ausgelastet. Im Mederwald kann man ebenfalls Kahlschläge beobachten. Die dort eingerichtete polnische Forstverwaltung hat jährlich hohe Auflagen zu erfüllen. Das Holz bleibt jedoch nur zum kleinsten Teil im Ermland. In der Stadt selbst gehört zu den betrieblichen Abnehmern eine Wagenfabrik für landwirtschaftliche Fahrzeuge aus Holz. Zusammenfassend kann man sagen, dass den Polen die Wiederinbetriebnahme der Industrie- und Handwerksbetriebe noch schwerer als der Wiederaufbau der zerstörten Häuser fallen wird!

 

Seite 3   Ermland und Masuren – Stiefkinder Polens.

„Ermland und Masuren — die ganze Wojewodschaft Allenstein — spielt die Rolle eines wenig geliebten und nur vernachlässigten Kindes“. Das geht aus polnischen Presseberichten hervor. In Warschau hätten diese Gebiete wenig Interesse gefunden, weil es dort weder Kohle noch Stahl gebe und nicht so viel Industrie vorhanden sei, wie in Breslau oder Stettin.

 

Der Reichtum des Ermlandes oder Masurens, die Landwirtschaft, sei überhaupt nicht beachtet worden. Die Dörfer sind ziemlich entvölkert. In der Wojewodschaft Allenstein sind auf 100 Hektar etwa 50 Prozent weniger Menschen beschäftigt als im gesamtpolnischen Durchschnitt.

 

Die Kleinstädte verfallen und die größeren Städte könnten durch Fremdenverkehr durchaus etwas Auftrieb gebrauchen.

 

Seite 3   Polnische Patenschaft

Zwischen der polnischen Verwaltung des ostpreußischen Kreises Lyck und den Kreisbehörden von Lublin in Zentralpolen ist eine „Zusammenarbeit" angebahnt worden. Sie soll sich darauf erstrecken, dass die Lubliner Kreisbehörden Interessenten für 10 000 Hektar Ackerboden ermitteln, die im Kreise Lyck zum Verkauf stehen und für die sich bisher keine Käufer fanden.

 

Seite 3   Ostpreußens Wälder verwildern

Der Raubeinschlag in den ostpreußischen Wäldern hat bereits dazu geführt, dass zahlreiche Sägewerke ihren Betrieb einstellen müssen, weil die Schnittkapazität der verbleibenden Werke ausreicht, um den geringer werdenden Anfall an Holz aufzuarbeiten. Das teilte die in Warschau erscheinende Fachzeitschrift „Las Polski" (Der polnische Wald) mit. Die Wälder Ostpreußens seien dezimiert, verwildert und ungepflegt, heißt es in dem Bericht. Man habe zwar versucht, die Drainage-Einrichtungen in Ordnung zu bringen. Dies aber sei ein ebenso kostspieliges Unternehmen gewesen, weil die Arbeiten einerseits unsachgemäß ausgeführt und andererseits die Einrichtungen weiterhin nicht gepflegt wurden. Was den Wildbestand anlange, so sei eine Zunahme an Wildschweinen und Wölfen zu verzeichnen, während das übrige Wild rasch dahinschwinde.

 

Seite 3   Schloß Schlobitten zerstört

Über den Untergang des Schlosses Schlobitten im ostpreußischen Kreis Pr. Holland berichtet die Heimatzeitung „Elbinger Nachrichten" an Hand neuerer Berichte ausführlich. Danach ist der größte Teil dieser großen Anlage, welche das Hauptwerk der bedeutendsten Epoche des Schlossbaues in Ostpreußen im 17. Jahrhundert und mit den großen Planungen des süddeutschen Barocks vergleichbar war, heute völlig verfallen. Im Jahre 1948 standen von dem großen Hauptbau, der von Abraham Graf zu Dohna im Stil des niederländischen Frühbarock errichtet war und später im hochbarocken Stil umgebaut wurde, noch die Außenmauern und zwölf Schornsteine. Durch fortlaufende Abmontierung der Rohrleitungen, Kabel und Installationen verfielen die Trümmer gänzlich. Auch die Marstallgebäude und ein Kavalierhaus sind völlig zerstört. Mit untergegangen ist die wertvolle Innenausstattung des Schlosses, die auf Entwürfe von Andreas Schlüter und niederländischer Architekten zurückging.

 

Seite 3   Danzig baut Schiffe für Litauen

Die Danziger Schiffswerften haben im Juni ein neues Schiff für die litauische Hochseefischerei fertiggestellt und nach Klaipéda geliefert. Dieses Schiff führt den Namen der bekannten litauischen Schriftstellerin „Julija Zemaité". Bereits früher wurden von den Danziger Werften die Schiffe „Petras Cvirka", „Maryté Melnikaité" und „Plaukiojanti zemé" für Litauen gebaut.

 

Seite 3   Kurzberichte aus der Heimat.

Nach polnischen Plänen ist der Bau eines Schifffahrtskanals durch die Weichselnehrung zur Verbindung des Haffs mit dem Meer vorgesehen, um den Elbinger Hafen zu beleben.

 

Im August soll die ehemalige Hansestadt Danzig ihre erste Fernsehstation erhalten. Der Sender wird aus Ersparnisgründen kein eigenes Programm bringen, sondern das Warschauer ausstrahlen. Als Sendezeichen soll der berühmte Neptun vor dem Artushof im Bild erscheinen.

 

Das Geburtshaus von Johann Gottfried Herder in Mohrungen ist, nach neuesten Berichten nicht zerstört worden. Polnische Behörden haben jedoch verfügt, dass die Erinnerungstafel am Hause entfernt wurde.

 

Die Volkshochschule in Angerburg musste ihre Tätigkeit einstellen, da die Bevölkerung an den Vorlesungen kein Interesse zeigt.

 

Die Neidenburger Ärzte sind gezwungen, ihre Patienten in ruinenartigen Räumen, die nicht heizbar sind, zu behandeln. Ein Gesundheitsamt ist erst im Fünfjahrplan 1960/1965 vorgesehen.

 

In Elbing soll die Produktion von Elektroturbinen aufgenommen werden.

 

Rund 900 Angestellte und Arbeiter sind in Allenstein im Zuge einer Entlassungsaktion im öffentlichen Dienst entlassen worden. In Osterode sind es 290 Personen.

 

Im Kreis Lötzen wurden durch ein Unwetter vier Wirtschaftsgebäude vernichtet und sechs Wohnhäuser beschädigt. Zwei Personen wurden verletzt.

 

Auf den Namen „Monte Cassino“ soll ein 5000-Tonnen-Dampfer getauft werden, der im Oktober in Dienst gestellt werden soll.

 

Ein Touristenzentrum soll in Nikolaiken errichtet werden. Geplant ist der Bau von Campinghäusern, die 500 Personen Unterkunft gewähren können.

 

Seite 4   Wer erhält Aufbaudarlehen? Grundsatzerlass des Landesausgleichsamtes Nordrhein-Westfalen.

Das Landesausgleichsamt von Nordrhein-Westfalen hat zur Frage der Gewährung von Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau den nachstehenden Erlass herausgegeben:

 

Der Wohnraumverlust im Sinne der §§ 12 Abs. 1 Nr. 3 und 13 Abs. 1 Nr. 3 LAG schafft als selbständigen Schadenstatbestand die Voraussetzung, die zu einer Anerkennung als Geschädigter führt. Dazu wurde im Lande Nordrhein-Westfalen bisher die Auffassung vertreten, dass Wohnraumverlust ein Verlust der tatsächlichen Wohnmöglichkeit ist. Einen Wohnraumverlust hat daher jeder Familienangehöriger (also auch das Kind) erlitten, wenn dieser in der zerstörten, beschädigten oder verlorenen Wohnung tatsächlich wohnte. Neben dem eigentlichen Wohnraumverlust muss der Antragsteller jedoch die Voraussetzungen des § 298 Abs. 1 Nr. 2 LAG erfüllen, d. h. er muss nachweisen, dass

 

a) er sich eine ausreichende Wohnmöglichkeit überhaupt noch nicht beschaffen konnte oder

b) er sich eine ausreichende Wohnmöglichkeit noch nicht am gegenwärtigen oder zukünftigen Arbeitsort beschaffen konnte oder

c) seine bisherige Wohnung im Falle des Freiwerdens mit Einwilligung des Verfügungsberechtigten einem noch nicht ausreichend untergebrachten Geschädigten im Sinne des § 298 Abs. 1 Nr. 2a LAG zur Verfügung stehen wird.

 

Zum Begriff der ausreichenden Wohnmöglichkeit führt das Bundesausgleichsamt in dem Entwurf zum II. Teil der AW-DB folgendes aus

 

„(1) Eine Wohnmöglichkeit ist ausreichend, wenn sie nach Lage, Größe, Ausstattung und Mietzins unter Berücksichtigung der beruflichen, familiären, gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse den Wohnraumbedarf des Antragstellers auf die Dauer befriedigt und für ihn zumutbar ist; der Wohnbedarf des Antragstellers umfasst auch denjenigen der Familienangehörigen im Sinne des § 8 Abs. 2 des II. Wohnungsbaugesetzes. Ergibt ein Vergleich der jetzigen mit den früheren Verhältnissen, dass der Antragsteller nicht in zumutbarem Maße eingegliedert ist, so sind die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers vor der Schädigung im Zweifel insoweit zu berücksichtigen.

 

(2) Vergrößerungen des Wohnbedarfs seit der Schädigung bis zum Zeitpunkt der Antragstellung werden nur berücksichtigt, wenn sie mit der Schädigung in ursächlichem Zusammenhang stehen (Teil I AW-DB Nr. 1). Kann der vergrößerte Bedarf infolge der Schädigung nicht mit eigenen Mitteln des Antragstellers gedeckt werden, so ist ein ursächlicher Zusammenhang nicht anzunehmen, wenn die Wohnfläche der bisherigen Wohnmöglichkeit die Höchstgrenzen nach § 39 des II. Wohnungsbaugesetzes erreicht oder überschreitet; hinsichtlich der Ausstattung der bisherigen Wohnmöglichkeit gilt das gleiche, wenn sie die Mindestausstattung nach § 40 des II. Wohnungsbaugesetzes erreicht oder überschreitet“.

 

Falls Kinder, die bei ihren Eltern nach der Schädigung ausreichend untergebracht sind, heiraten oder eine sonstige Vergrößerung ihres Wohnbedarfs aufzuweisen haben, gelten sie auch dann nicht als ausreichend untergebracht, wenn sie nach der Größe der elterlichen Wohnung, die vor der Schädigung zur Verfügung stand, dort auch bei vergrößertem Wohnbedarf eine ausreichende Wohnmöglichkeit hätten finden können oder wenn sie nach ihren oder den elterlichen früheren Einkommens- oder Vermögensverhältnissen ohne die Schädigung imstande gewesen wären, sich eine Wohnung mit eigenen Mitteln zu beschaffen.

 

Seite 4   Zwischenbilanz der Umschuldung

Bis zum 3. Januar 1958 sind auf Grund der Umschuldungsaktion 496 Anträge über eine Gesamtsumme von 36 Millionen DM eingegangen. 341 Anträge mit 22,3 Millionen DM wurden genehmigt, 23 Anträge mit 1,6 Millionen DM abgelehnt. Die übrigen befanden sich Ende Januar dieses Jahres noch in Arbeit.

 

Seite 4   Bauernverband fordert Siedlungsprogramm

Der erweiterte Vorstand des Bauernverbandes der Vertriebenen hat sich auf seiner letzten Sitzung, zu der mehrere Fachexperten der Heimatvertriebenen-Siedlung zugezogen worden waren, mit der Situation der Flüchtlingssiedlung und im Besonderen mit der seit Jahr und Tag geforderten wirtschaftlichen und finanziellen Konsolidierung der unverschuldet in Not geratenen Heimatvertriebenen auf Vollerwerbsstellen befasst. In einer Entschließung, die an den Bundeskanzler, den Bundesernährungsminister, den Bundesvertriebenenminister und an die Abgeordneten des Bundestages gesandt wurde, hat der Bauernverband der Vertriebenen seine Sorge über die unübersichtliche Entwicklung in der Bereitstellung der Bundesmittel zum Ausdruck gebracht und festgestellt, dass das Siedlungs- und Eingliederungsprogramm 1958 noch immer nicht von der Bundesregierung beschlossen und bekanntgegeben worden ist. Der Bauernverband der Vertriebenen hat seine Forderungen an die Regierung in folgende Punkte zusammengefasst:

 

1. Das Siedlungsprogramm möge endlich bekanntgegeben und die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden;

 

2. die zur Konsolidierung der Siedlerbetriebe notwendigen und mehrfach in Aussicht gestellten Mittel sollen zusätzlich und gesondert bewilligt werden;

 

3. der zugesagte langfristige Siedlungsplan soll endlich bekanntgegeben und

 

4. dafür gesorgt werden, dass die Mittelbereitstellung für die jährlichen Siedlungsprogramme analog der Regelung im sozialen Wohnungsbau wenigstens vier Monate vor Beginn des neuen Rechnungsjahres erfolgt.

 

Seite 4   24 Proz. der Bewohner der Bundesrepublik sind Vertriebene und Flüchtlinge.

Vom Bundesvertriebenenministerium sind soeben die neuen Abschlusszahlen über den Bevölkerungsstand am 1. Januar 1958 veröffentlicht worden. Danach betrug der Wohnbevölkerungsstand des Bundesgebietes (ohne Saarland und ohne Berlin) zu diesem Zeitpunkt 50,8 Millionen Personen, die Zahl der Vertriebenen 9,1 Millionen und die Zahl der aus der Sowjetzone Zugewanderten 3 Millionen.

 

Der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung betrug demnach am 1. Januar 1958 18 Proz., der aus der Sowjetzone kommenden Personen 6 Proz. Zusammen mit den Zugewanderten stellen die Vertriebenen demnach 24 Prozent und damit fast ein Viertel der gesamten westdeutschen Wohnbevölkerung. Anteilmäßig lebt der höchste Prozentsatz aller Vertriebenen, nämlich 25,6 Proz. (2,3 Millionen) in Nordrhein-Westfalen. Bayern beherbergt noch immer 19,2 Proz. (1,7 Millionen) und Niedersachsen 18,2 Proz. (1,6 Millionen). In weiterem Abstand folgen, Baden-Württemberg mit 14,1 Proz. (1,28 Millionen), Hessen mit 9,2 (845 000), Schleswig-Holstein mit 6,9 Proz. (637000), Rheinland-Pfalz mit 3,1 Proz. (282 400), Hamburg mit 2,6 Proz. (237 000) und Bremen mit 1,1 Proz. (97 000).

 

Seite 4   85 katholische Förderschulen

Zurzeit werden 3752 spätausgesiedelte Kinder und Jugendliche — vor allem aus den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten — in 85 katholischen, mit einem Internat verbundenen Förderschulen, ausgebildet. Weitere 1700 Kinder und Jugendliche sollen demnächst aufgenommen werden. In Nordrhein-Westfalen, wo sich die meisten Aussiedlerfamilien befinden, sind die meisten der dort verfügbaren 1970 Förderschulplätze belegt.

 

Seite 4   Vertriebenenausweise im Ausland

Wie hvp meldet, haben in der Zeit vom Januar 1954 bis einschließlich Dezember 1957 insgesamt 6261 Personen, die ihren ständigen Wohnsitz im Ausland haben, Antrag auf Ausstellung eines Vertriebenen-Ausweises A oder B gestellt. Für sie wurden bisher 3592 Ausweise ausgestellt, 225 wurden abgelehnt und 1306 erledigten sich auf andere Art, so dass 1138 Anträge am 31. Dezember 1957 noch unerledigt waren. Wie man betont, dokumentiert sich in dem Interesse der ausgewanderten Vertriebenen an der Ausstellung eines Ausweises ihre Treue zur Heimat, obwohl sie in anderen Ländern der Welt ansässig geworden sind. Über den Wohnort dieser Vertriebenen im Ausland liegt eine detaillierte Aufstellung nur für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1957 vor, in dem insgesamt 780 Anträge aus dem Ausland genehmigt wurden. Die meisten, nämlich 494, der neuen Ausweisinhaber, wohnen in europäischen Ländern. 238 haben sich in Amerika niedergelassen, die übrigen in sonstigen Erdteilen.

 

Seite 4   Nebenerwerbssiedlungen bewährten sich.

Göttingen. Die Nebenerwerbssiedlungen für heimatvertriebene Landwirte haben sich in Niedersachsen bewährt. 80 Prozent von 4000 in Niedersachsen unlängst untersuchten Nebenerwerbsstellen haben ihre ursprüngliche Fläche um mindestens zwei Morgen Land vergrößert. Das geht aus einer Veröffentlichung der Agrarsozialen Gesellschaft in Göttingen hervor. Die Erhebungen haben ergeben, dass eine Nebenerwerbsstelle jährlich ungefähr 2000 Mark Ertrag liefert und der Siedler dadurch als landwirtschaftlicher Selbstversorger angesprochen werden kann. Die Wirtschaftlichkeit der Nebenerwerbssiedlungen ist damit nach Ansicht der Agrarsozialen Gesellschaft gewährleistet.

 

Seite 4   Propaganda gegen Familienzusammenführung

Die polnischen Zeitungen fahren fort, angebliche Briefe von Aussiedlern zu veröffentlichen, die aus den polnisch besetzten Gebieten in die Bundesrepublik übergesiedelt sind. Einige von ihnen sind so plump gefälscht, dass man ihnen den Schwindel auf den ersten Blick ansieht. Die amtliche Propaganda scheint inzwischen gemerkt zu haben, dass mit diesen Tricks bei den aussiedlungswilligen Deutschen nichts mehr zu erreichen ist und hat deshalb eine neue Walze aufgelegt, um die für sie wertvollen Fachkräfte im Lande zu halten. Offensichtlich aus der Erkenntnis heraus, dass Sentimentalität bei der deutschen Bevölkerung besser ankommt, versucht man es jetzt mit Heimatgefühlen. Tagtäglich fast bekommen die Deutschen Mahnungen vorgesetzt, dem Lande, in dem sie geboren sind, doch die Treue zu bewahren, da das Leben in der „Fremde" selbst dann sehr schwer sei, wenn es augenscheinlich gewisse materielle Vorteile zu bieten verspräche.

 

Seite 4   Keine polonisierten Namen

Deutschen Umsiedlern aus den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten sind gelegentlich durch Verwaltungsakt der polnischen Behörden polonisierte Namen verliehen worden. In jüngster Zeit sind verschiedentlich Zweifel aufgetreten, wie derartige Namensänderungen im Bundesgebiet rechtlich zu behandeln seien. Hierzu wird nach einer Rundverfügung des Landkreises Wolfenbüttel folgendes festgestellt:

 

Wenn der Umsiedler seine deutsche Staatsangehörigkeit nach 1945 behalten hat (und zwar gleichgültig, ob er daneben die polnische Staatsangehörigkeit besitzt), ist die Namensänderung im Bundesgebiet unwirksam. Der Umsiedler führt den Namen, der ihm nach deutschem Recht zusteht.

 

 

Seite 4   Keine Rente im Ausland

Ansprüche aus der Kriegsopferversorgung ruhen, wenn sich die Versorgungsberechtigten im Ausland aufhalten, entschied das Bundesgericht in Kassel. Das gilt auch für Auswanderer. Die Versorgung kann jedoch im Einzelfall ohne Rechtsanspruch weitergewährt werden. Eine rückwirkende Rentengewährung vom Zeitpunkt der Antragsstellung ist nicht gerechtfertigt.

 

Das Bundessozialgericht wies die Klage eines nach Kanada ausgewanderten Waisenkindes ab. Das Sozialgericht Bremen hatte dem Kind die Waisenrente vom Antragsmonat an zugesprochen, weil die Versorgungsverwaltung dem Rentenantrag erst nach einem Jahr entsprochen hatte. Das Bundessozialgericht hat diese Entscheidung des Sozialgerichts Bremen aufgehoben und darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine Kannleistung handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

 

Seite 4   Die erste Atomversicherung

Die erste Unfallversicherung für Atomreaktoren ist in diesen Tagen in London abgeschlossen worden. Noch hat England kein Atomgesetz, das regelt, wer für atomare Schäden haften soll: der Staat oder die private Versicherungswirtschaft. Trotzdem hat jetzt ein Atom-Pool britischer Versicherungsfirmen auf Grund ihres sorgfältigen Studiums einiger Reaktorunfälle das Risiko auf sich genommen für den Fall, dass der Kernreaktor „Merlin" explodiert. Merlin ist der erste europäische Kernreaktor, der sich in Privatbesitz befindet und der in diesen Tagen in Betrieb genommen werden soll.

 

Seite 4   Vorarbeiten zur Rentenerhöhung

Bei den Vorarbeiten zur Rentenerhöhung, die jetzt im Gange sind, wird u. a. auch die Frage gestellt werden, ob die Neufestsetzung der laufenden Renten ab Oktober gilt oder rückwirkend ab Januar, womit sie zur Neuberechnung der Bemessungsgrundlage parallel liefe. Es wird eine zweite Frage auftauchen, die nämlich, ob die Renten nicht gleich der künftigen vom nächsten Jahresbeginn ab gültigen Bemessungsgrundlage vorsorglich mit angepasst werden sollen. — In diesem Jahre liegen die Verhältnisse so, dass eine Rentenaufbesserung für die Altrentner ab Oktober etwa 165 Millionen DM kosten würde, eine solche rückwirkend ab Januar jedoch rd. 660 Millionen DM. Findet zugleich die vorsorgliche Anpassung an die nächstjährige Bemessungsgrundlage statt, dann würde das heißen, dass wahrscheinlich eine weitere Mehrausgabe von 500 Millionen DM eintreten würde. Es lässt sich heute noch nicht sagen, für welche Methode die Bundesregierung schließlich eintreten wird, die ja den größten Teil dieser Zuschüsse aus dem Etat leisten muss. Unter diesem Aspekt sind auch für die Rentenversicherung die gegenwärtigen Haushaltsberatungen im Bundestag von größter Bedeutung; denn hier wird der finanzielle Spielraum festgelegt, über den die Regierung schließlich verfügt.

 

Seite 4   Stichtag-Ausnahmeregelungen

Der Bundesrat hat einer „Verordnung zur Änderung der zweiten Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz" zugestimmt, die gewisse Ausnahmeregelungen von den Stichtagsbestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes. Dieser Verordnung zufolge können Vertriebene, die nach Ablauf des Stichtages für Entschädigungsleistung — 31. Dezember 1952 — aus der Sowjetzone oder dem sowjetisch besetzten Sektor Berlins in die Bundesrepublik gekommen sind, aus dem Härtefonds Beihilfen zum Lebensunterhalt, zur Existenzgründung und zur Beschaffung von Hausrat erhalten, wenn sie ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik bis Ende 1954 genommen haben. Die Stichtagsbestimmung wurde für diese Personengruppe also um zwei Jahre verlängert.

 

Seite 4   7,5 Millionen DM Starthilfe

Der Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte für das Rechnungsjahr 1958 hat den Betrag, der für die Zahlung der einmaligen Unterstützung der im Bundesgebiet eintreffenden Heimkehrer und Aussiedler bestimmt ist, von 2,5 Millionen DM im Rechnungsjahr 1957 um 5 Millionen DM auf 7,5 Millionen DM erhöht. Da eine einmalige Unterstützung von 100 DM — als erste „Starthilfe" für die Befriedigung dringendster persönlicher Bedürfnisse — an jeden nach dem 26. September 1955 im Bundesgebiet eingetroffenen Heimkehrer und an die nach dem 1. Oktober 1955 eintreffenden Aussiedler gezahlt wird, reichte angesichts des wachsenden Zustroms von Spätaussiedlern der bisher angesetzte Betrag nicht mehr aus und musste deshalb gesteigert werden.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 8. August 1958.

Foto: Na, wollen mal sehen, was unser Koch heute auf den Speisezettel gezaubert hat. Aber was auch immer, so wie im Lager schmeckt es nicht einmal bei Mutti zu Haus. Jeder Tag eine Überraschung. Von mir aus könnte das noch einige Wochen so weitergehen. (Ein kleines Mädchen steht draußen auf Zehenspitzen und schaut auf einen Speiseplan)

 

Seite 5   Glaube an die Zukunft.

„Glauben Sie ja nicht, dass ich gleichgültig wäre gegen die großen Ideen Freiheit, Volk, Vaterland. Nein, diese Ideen sind in uns: sie sind ein Teil unseres Wesens, und niemand vermag sie von sich zu werfen. Auch mir liegt Deutschland warm am Herzen. Ich habe oft einen bitteren Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im Einzelnen und so miserabel im Ganzen ist. Ein Vergleich des deutschen Volkes mit anderen Völkern erregt uns peinliche Gefühle, über welche ich auf jegliche Weise hinwegzukommen suche, und in der Wissenschaft und Kunst habe ich die Schwingen gefunden, durch welche man sich darüber hinwegzusetzen vermag . . . aber der Trost, den Wissenschaft und Kunst gewähren, ist doch nur ein leidiger Trost, und ersetzt das stolze Bewusstsein nicht, einem großen, starken, geachteten und gefürchteten Volke anzugehören.

 

In derselben Weise tröstet auch nur der Glaube an Deutschlands Zukunft. Ich halte ihn so fest als Sie, diesen Glauben. Ja, das deutsche Volk verspricht eine Zukunft. Das Schicksal der Deutschen ist, mit Napoleon zu reden, noch nicht erfüllt. Hätten sie keine andere Aufgabe gehabt, als das römische Reich zu zerbrechen und eine neue Welt zu schaffen, sie würden längst zugrunde gegangen sein. Da sie aber fortbestanden haben und in solcher Kraft und Tüchtigkeit, so müssen sie nach meinem Glauben noch eine große Bestimmung haben, eine Bestimmung, welche um so viel größer sein muss als jenes gewaltige Werk der Zerstörung des römischen Reiches und der Gestaltung des Mittelalters, als ihre Bildung jetzt höher steht.

 

Aber die Zeit, die Gelegenheit vermag ein menschliches Auge nicht vorauszusehen, und menschliche Kraft nicht zu beschleunigen. Uns einzelnen bleibt inzwischen nur übrig, . . ..die Bildung des Volkes inzwischen zu mehren, zu stärken und zu verbreitern nach allen Seiten, nach unten und vorzugsweise nach oben, damit es nicht zurückbleibe hinter den anderen Völkern . . . damit der Geist nicht verkümmere, sondern frisch und heiter bleibe, damit es nicht verzage und nicht kleinmütig werde, sondern fähig bleibe zu jeder großen Tat, wenn der Tag des Ruhmes anbricht.. ."

Goethe 1813 in einem Gespräch mit Prof. Luden, Jena

 

Seite 5   Deutsche in aller Welt. Deutsches Kulturleben in Rumänien.

In der letzten Zeit lenkte eine Meldung aus Rumänien über ein deutsches Schuljubiläum die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die Tatsache, dass die Rumäniendeutschen in kultureller Hinsicht sehr rührig sein müssen. Es handelte sich um das 350-jährige Gründungsjubiläum des als „Bergschule“ bekannten deutschen Gymnasiums in Schäßburg, das mit einer großen Feier begangen wurde. Im Vorjahr hatte es bereits eine große deutsche Schulfeier in Rumänien gegeben: das deutsche Gymnasium in Kronstadt war 500 Jahre alt geworden. Auch dieser Feier gaben die Deutschen in Siebenbürgen einen großen festlichen Rahmen.

 

Die Rumäniendeutschen — bei der letzten Volkszählung wurden rd. 380 000 festgestellt, davon 10 000 Deutsche in Bukarest — können sich nicht nur der ältesten deutschen Volksgruppe in Osteuropa (der Siebenbürger Sachsen) rühmen, sie können auch darauf hinweisen, dass sie nicht wie die Deutschen östlich von Oder-Neiße und in der Tschechoslowakei in ihrer Masse ausgewiesen wurden. Es wurden zwar Rumäniendeutsche 1944/1945 von den Sowjets verschleppt, Zehntausende sind von der sich heranwälzenden Front nach dem Westen verschlagen worden, und man hat Tausende bei den inzwischen eingestellten Kanalbauten im Donaudelta eingesetzt. In ihren Kernlandschaften in Siebenbürgen und im Banat haben sie sich jedoch behaupten können und inzwischen ein kulturelles Leben zu entwickeln vermocht, wie es bisher seit dem Kriege keiner ostdeutschen Volksgruppe beschieden war. Dieses kulturelle Leben wird zwar von den Kommunisten gesteuert, aber andererseits waren es in den Jahren nach dem Kriege gerade die Sowjets, die den Rumäniendeutschen eine gewisse lokale Autonomie zubilligten. Gewiss gingen die Sowjets dabei von der Erwägung aus, dass in Rumänien mit seinen vielen und großen nationalen Minderheiten diese zu gegebener Zeit (falls es sich als notwendig und nützlich erweisen sollte) gegen das Regime in Bukarest ausgespielt werden könnten und man sich daher deren Anhängerschaft durch Konzessionen, die ja nicht auf Kosten der Sowjets gingen, sichern müsste. Praktisch konnte auf diese Weise jedoch ein kulturelles Leben der Rumäniendeutschen bereits zu einem Zeitpunkt entwickelt werden, als man in den deutschen Ostgebieten und in der Tschechoslowakei noch nicht wagen durfte, auf der Straße deutsch zu sprechen.

 

Dass vor fünf Jahren etwa, als das Warschauer und das Prager Regime sich über Moskauer Initiative zu einer neuen Politik gegen die Deutschen entschlossen, auch in Rumänien mehr als bis dahin für die Deutschen getan wurde, geht aus einem weiteren deutschen Jubiläum hervor. Anfang Juli waren es fünf Jahre her, seitdem in Temesvar, der Hauptstadt des Banats, ein deutsches Theater gegründet wurde. Es gab zuerst eine deutsche Sektion des rumänischen Staatstheaters, die sich in der Mehrzahl aus deutschen Laienspielern zusammensetzte und sich allmählich zu einem deutschen Theaterensemble entwickelte. Beim Jubiläum wurde verzeichnet, dass das Ensemble in den fünf Jahren seines Bestehens 1057 Vorstellungen gegeben hatte, die von 333 000 Deutschen in Temesvar selbst oder bei Gastspielen in Marienfeld, Hermannstadt, Mediasch, Billed und anderen Orten mit deutscher Bevölkerung besucht wurden. Neben deutschen Klassikern wurden sowjetische, rumänische und ostzonale Bühnenautoren dem schon deshalb stets zufriedenen deutschen Publikum vorgeführt, weil eine deutsche Theateraufführung eine der wenigen Möglichkeiten der Begegnung und des persönlichen Gedankenaustausches bietet.

 

Deutsche Laienspielgruppen, Gesangvereine und andere gesellige Möglichkeiten gibt es heute fast in jeder größeren Ortschaft, die über einen starken deutschen Bevölkerungsanteil verfügt. In dieser Hinsicht sind die Rumäniendeutschen sehr rührig, sie haben es auch in Bukarest zu einem deutschen Kulturhaus gebracht, in dem neben Vorträgen immer wieder Tanzvergnügungen stattfinden, an denen die bei der Armee in Bukarest dienenden deutschen Soldaten gern teilnehmen. In Kronstadt gab es bald nach dem Kriege eine deutsche Jugendbühne, die vom Direktor bis zum Portier nur aus Jugendlichen bestand und sich später zu einer sehr guten Laienspielgruppe entwickelte. Auch in Kronstadt sind Bemühungen im Gange, ein ständiges deutsches Theater zu schaffen. Neben Temesvar ist bisher nur in Hermannstadt eine eigene deutsche Sektion des rumänischen Staatstheaters gegründet worden, die somit das zweite deutsche Berufsensemble in Rumänien beschäftigt.

 

Das deutsche Schulwesen in Rumänien umfasst alle im Lande vorhandenen Schultypen, eine deutsche Tageszeitung („Neuer Weg") wird in Bukarest herausgegeben, wo sich auch die Redaktion der deutschen Rundfunksendungen und eine große deutsche Buchhandlung befinden.

 

Seite 5   Marienburg-Plakette

Zum „Tag der Heimat" hat die Westpreußische Jugend eine Marienburg-Plakette herausgebracht mit der Aufschrift: Heimat ist Aufgabe. Diese Plakette dürfte zum öffentlichen Bekenntnis unserer Volksgruppe zur Heimat beitragen. Bestellungen sind schon jetzt erbeten an: Westpreußische Jugend, Beuel-Rheindorf, Vilicher Straße 29.

 

Seite 5   Luftballons

Bei der Bundesgruppe Westpreußen sind für Kinderfeste Luftballons zum Preise von 0,25 DM erhältlich. Bei Massenbestellungen wird Rabatt gewährt. Bestellungen sind zu richten an: DJO-Bundesgruppe Westpreußen, Beuel-Rheindorf, Vilicher Straße 29.

 

Seite 5   Weißt du ...

. . . dass der Weizen mit zu den am längsten angebauten Getreidesorten gehört. Er war in China bereits um das Jahr 3000 v. Chr. als Kulturpflanze bekannt.

 

Seite 5   Aus unserer Bücherkiste.

Beginnen und Besinnen.

Hugo Rasmus, der Sprecher der DJO-Bundesgruppe Westpreußen, hat unter dem Titel „Beginnen und Besinnen" eine Broschüre herausgegeben, die eine Sammlung von Feiervorschlägen enthält und die nicht nur dem Ablauf des Jahres, sondern allen Gegebenheiten des festlichen Gemeinschaftserlebens in der Jugendarbeit sowie in der landsmannschaftlichen Arbeit Rechnung tragen. Darüber hinaus dürfte die Feierbroschüre ein wertvolles „Lesebuch" zur europäischen Besinnung und Erbauung sein, auf die niemand verzichten kann, der in seinem Alltag als Gebender in einer Gemeinschaft steht. Sie ist entstanden aus dem Bedürfnis junger Menschen nach einem ausgewählten Gedankengut unseres Volkes, das dem Alltag und damit dem Leben überhaupt seinen Sinn gibt. Die Broschüre dürfte sich größter Beliebtheit erfreuen. (Erschienen bei der DJO-Bundesgruppe Westpreußen, Beuel-Rheindorf, Vilicher Straße 29, Plastik-Einband 3,20 DM.)

 

Seite 5   Unverlierbare Heimat

In unserer Juni-Kogge wiesen wir bereits auf die empfehlenswerten Volksliedsammlungen „Freuet euch in allen Landen", „Wir zogen in ein fernes Land", „Es trauern Berg und Tal" und „Heimat dir ferne", die im Voggenreiter-Verlag unter dem Sammeltitel „Unverlierbare Heimat" erschienen sind. Diese vier Bändchen sind nun auch als Gesamtband „Unverlierbare Heimat, Lieder der Vertriebenen" erhältlich. Dieses Buch sollte zum Grundbestand jeder Gruppenbücherei gehören. Ein unentbehrlicher Arbeitsbehelf.

Unverlierbare Heimat, Lieder der Vertriebenen. Hrsg. Hermann Wagner. Voggenreiter Verlag, Bad Godesberg. 306 S., Ganzl. 10,90 DM.

 

Seite 5   Die glücklichen Preisträger. Ergebnis des Aufsatzwettbewerbs Königsberg.

Der vor einem halben Jahr von der Patenstadt Duisburg in Verbindung mit der Kreisvertretung Königsberg gestartete Wettbewerb für junge Königsberger brachte eine Vielzahl von Einsendungen, aus denen für die einzelnen Altersgruppen folgende drei erste Preisträger ermittelt wurden:

Helmut von Lölhöffel, Ulm;

Ilse Casemir, Telgte/Münster, und

Ulrich Grailich, Bottrop.

Die drei Preisträger wurden am 21. Juli nach Duisburg eingeladen, wo ihnen im Rathaus von Oberbürgermeister Seeling die Preise — je 150 DM und Buchgeschenke — überreicht wurden.

 

Seite 6   Bauernregeln

Was der August nicht kocht, wird der September nicht braten.

Wie der August so der künftige Februar.

Hitze an St. Dominikus (4.), ein Strenger Winter folgen muss.

Wenn der Kuckuck im August noch schreit, gibt's im Winter teure Zeit.

Was die Hundstage gießen, muss die Traube büßen.

Der Tau ist dem August so not, als jedermann sein täglich Brot.

Leuchten vor Maria Himmelfahrt die Sterne, so hält das Wetter gerne.

Wenn im August viel Goldkäfer laufen, braucht kein Wirt den Wein zu taufen.

Im August viel Regen, ist dem Wein kein Segen.

Ziehen Storch und Kuckuck früh im August, gibt's bald Schnee und Winterluft.

Wenn jetzt Storch von dannen ziehn, werden bald Eisblumen blühn.

August ohne Feuer, macht das Brot teuer.

Wie das Wetter an Bartlmä (24.) ist, wird der ganze Herbst sein.

Bartlmä, Bauer säh, Bauer schneid, 's ist höchste Zeit!

An Augustin (28.) ziehen die Wetter hin.

Ist das Korn geborgen, kann es regnen bis morgen.

Bartholomä voll Sonnenglut, macht Wein und Reben stark und gut.

 

Seite 6   Samland, das ehemalige Paradies.

Ganz im Ernst, Samland war das ehemalige Paradies. Die Gelehrten haben das längst bewiesen, nachdem ein Naturforscher eines Tages im Sande der Ostseeküste drei fossile Nüsse gefunden, darauf einen fossilen Baumstamm — in diesen Nüssen erkannte er die echten, unaufbeißbaren Nüsse vom Baume der Erkenntnis und in dem Stamme den urparadiesischen Palmenbaum. Seitdem aber haben die Gelehrten ausgerechnet, dass dieser Palmenbaum kein Palmenbaum, sondern der Bernsteinbaum gewesen sei (Pinus succifer), der die alte Bernsteininsel ehedem bedeckt habe. Nun versank die Insel durch diluviale Revolutionen, und es erhob sich das Alluvium von Braunkohle, Eisenocker, weißem Sand und blauem Ton, worauf sich seitdem die Samländer und Bernsteinjuden niedergelassen haben.

Aus: Gregorovius „Idyllen vom Baltischen Ufer".

 

Seite 6   Es leuchtet jeder Morgen. Von Hans Bahrs.

Es leuchtet jeder Morgen,

Wenn unser Herz aufglüht

Und unser junges Wollen

Frisch in sein Tagwerk zieht

 

Ein jeder Tag, der endet

So froh, wie er beginnt,

Wenn man sich seiner Freuden

Zu jeder Stund besinnt.

 

So nimm des Morgens Leuchten

In deinen Tag hinein

Und lass dein Herz der Fülle

Stets dankbar sein.

 

Seite 6   Fischer und Bauern. Was wissen wir von den Pruzzen, ihren Göttern, Sitten und Gebräuchen.

Das erste Zeugnis von dem Volk der Pruzzen gibt uns der römische Geschichtsschreiber Tacitus in seiner „Germania". Auf den betreffenden Abschnitt, den wir in unserer letzten Kogge wiedergegeben haben, bezieht sich auch die nächste Quelle, die wir über sie haben, eine geographische Beschreibung aus dem 9. Jahrhundert. Es heißt darin:

 

Nach unserer unmaßgeblichen Meinung finden wir in diesem Namen dieselbe altslawische Wurzel „pr" (ferire) wieder, welche dem Namen des Nationalgötzen Prunu zugrunde liegt, sich in der slawischen Bezeichnung für das Wort ‚Eber' vepr und im gleichbedeutenden polnischen wieprz wiederfindet. Die Pruzzi sind danach die schon damals dem Tacitus bekannten Peruns- oder Eber-Anbeter, welche von den christlich gewordenen Polen nach ihrer Haupteigentümlichkeit bezeichnet wurden . . . Tacitus hält die Aestyer iür ein Mischvolk, in Bezug auf Sitte und Tracht den Sueben, nach der Sprache den Briten verwandt, mithin keltisch-germanischer Abstammung.

 

Dass vor allem mit den Wikingern lebhafte Handelsbeziehungen bestanden haben, darauf deuten nicht allein die vielen Funde von Wikingerwaffen in Ostpreußen, Schwerter und Streitäxte, sondern wir besitzen darüber auch in dem Reisebericht des Wikingers Walfstan eine schriftliche Quelle. Darin sagt er über seine Fahrt an die Weichselmündung folgendes:

 

Es ist unter ihnen ein Gebrauch, dass, wenn ein Mann stirbt, er zu Hause unter seinem Magen und Freunden unverbrannt liegt einen Monat, zuweilen auch zwei. Die Könige aber und die hochgeachteten Männer liegen desto länger, je nachdem sie ein groß Vermögen haben, zuweilen ein halb Jahr, bevor sie verbrannt werden. Sie liegen aber über der Erde in ihren Häusern, und alle die weile, dass die Leiche drinnen liegt, muss ein Getrinke und Spiele sein, bis zu dem Tage, dass sie ihn verbrennen.

 

Sie haben ein Vermögen, dass sie Kälte können bewirken; daher liegen die toten Leute so lange, und faulen nicht, weil solche Kälte an ihnen bewirket; und setzte jemand zwei Fässchen voll Aehles oder Wasser hin, machen sie, dass beide überfrieren, es sei Sommer oder Winter.

 

Später setzen dann die Quellen der Ordensbrüder ein, auf die sich besonders neben mündlichen Überlieferungen der Hofrat Herzog Albrechts, Lucas David, in seiner „Preußischen Chronik" stützt. Über Gastfreundschaft, Götter und Bräuche weiß er folgendes zu berichten:

 

Ja auch kegen frembde, so zu Inen kommen, seindt sie ganz freundlich und wohlthetig gewesen, dass sie es für eine sonderliche Gnade von Gott Inen zugeschickt geachtet, wann ein Gast zu Inen kombt, den nicht allein gern beherbergt, ihm essen und trincken mitgethelilet, sonder auch nach irem vormogen vor Gewalt geschützt und beschirmet haben, ja oftmals mit großer Gefahr auf die Sehe gefahren und die schieffee der frembden, so zu Inen einlenden wollen, vor den Sehe-Röbern endtsetzt und gefrejet . . .

 

Undter denen der eine war gestalt wie ein Junger fröhlicher Man ohne bardt, der sich kegen Jederman gantz freundtlich thett erzeigen, gekrönet mit einem Kranze von Sangln oder Roggen ärnen. Dieser war des Getreides Gott und hieß Potrimpo. Dass ander bilde war gemacht, wie ein Mann mittelmessiges Alters. Diesen nennete man Perkuno. Das dritte bild wardt geheißen Patollo, gab die gestalt eines alten Mannes, mit einem langen grawen bardte, sein farb bleich und gantz tödlich, war gekrönet auf seinem heubte mit einem weissen tuche, nach der Weise wie die Moren Ir bunde auf Ihren heupten tragen, war so gemacht oder gestellet, dass er die obegedachten beiden von unden auff ansahe . . .

 

Wenn einer bei Inen, sonderlich ein Edellmann kranck war, zu dem wardt gefördert ein Waidelotte (Priester), der stetiges um In war, seiner wardtete und waidelottet über Ime. Wo dann solches auch nicht helffen wolte, hilten die Kinder und Freunde einen Rath über den Krancken, was ferner vorzunehmen. Wenn sie einhellig willigten zum Tode, nam der Waidelotte ein Küssen, legte das dem Kranken auf den Mundt, und erstickte In also, das er sterben muste. Und dis wardt also gehalten mit denen so albereit Weiber und Kinder hetten, sonderlichen aber des Adels, doch thet es auch offten das gemeine Volck.

 

Und wie sahen sie nun aus, diese Urbewohner unserer Heimat? In einer moralisierenden Betrachtung aus dem 18. Jahrhundert stellt sie sich der Verfasser so vor:

 

Die alten Bewohner Preußens waren große rüstige Leute, mit blauen Augen, rotem Gesicht, ungeschorenem Barte, und langen schlichten Haaren, welche mehrenteils gelb oder rot waren. Wie würden diese guten Väter sich wundern, wenn sie so manchen ihrer winzigen, ausgemergelten französischen Nachkommen sehen sollten, welche den Bart sorgfältig scheren, den Überrest ihrer Haare künstlich kräuseln lassen, und weiter keine Ähnlichkeit mit ihren Vorfahren haben als ein rotgeschminktes Gesicht und ein gelb oder rot gepudertes Haar!

 

Seite 6   Der Goldmacher. Die Geschichte eines Sonderlings. 1. Fortsetzung.

Doch die nächsten Einkäufe des Alten verliefen in althergebrachter Weise. Nicht ganz, das muss man hervorheben, etwas hatte sich geändert. Bei seinem Kommen und Gehen legte er grüßend einen Finger an den Tropenhelm, und das wollte was heißen! Sonst aber nichts. Nur manchmal warf er meinem Vater einen lauernden, misstrauischen Blick zu.

 

Drängen und offensichtliche Neugier wären jetzt das Verkehrteste gewesen, was man hätte tun können. Das hätte ihn nur wieder in seine Igelstellung zurückgestoßen. Man musste warten, Geduld haben.

 

Vater versuchte es wieder mit beiläufig hingeworfenen Bemerkungen über Wetter, Zeiten und Politik. Das beruhigte den Alten, und langsam schwand sein Misstrauen. Man sprach nicht mehr zu Stein. Man spürte die Teilnahme des Alten, ja und manchmal hatte er sogar ein zustimmendes Kopfnicken.

 

Als es einmal in Strömen goss, dass man keinen Hund auf die Straße gejagt hätte, trat Windrich klatschnass in den Laden. Das Wetter hatte ihn überrascht.

 

„Ein Hundewetter!" sagte mein Vater. „Ja, ein Hundewetter!" brummte der Alte und schüttelte sich. Doch als hätte er schon zu viel gesagt, legte er schnell seinen Zettel vor und wollte sich ebenso schnell wieder verabschieden. Vater aber hielt ihn zurück. „Sie können doch jetzt nicht auf die Straße! Warten sie's hier ab. Es wird nur ein Guss sein“. Windrich nickte, stellte sich an die Tür und blickte durch die Scheibe in den strömenden Regen. Es war ihm gar nicht recht, das sah man.

 

Nun war es aber gerade Kaffeezeit, und so hielt meine Mutter ihren Augenblick für gekommen. Sie öffnete die Tür zum Laden und rief: „Komm. Der Kaffee steht schon auf dem Tisch. Lass ihn nicht kalt werden“. Und als sähe sie jetzt erst den sonderbaren stummen Gast, fügte sie schnell und entschuldigend hinzu: „Oh verzeih — ich dachte, du wärest allein“.

 

Windrich, der bei diesen Worten schon die Klinke in der Hand hatte, um schleunigst die Flucht zu ergreifen, wurde aber von Mutter zurückgehalten. „Nein, nicht doch. Sie können doch jetzt nicht hinaus, bei diesem Wetter! Kommen Sie, trinken sie eine Tasse Kaffee mit uns“.

 

Da half ihm alles Sträuben nichts. Unwillig und brummend ließ er sich in die Stube schieben. Ja, und nun saß er hier, und für das weitere sorgte meine Mutter, der Kaffee, vor allem aber eine große Fächerpalme — ein Hochzeitsgeschenk —, die auf einem hohen Ständer in einer Ecke der Stube stand.

 

Unter dieser saß Windrich nun also, den Tropenhelm auf den Knien, sprungbereit wie ein gefangener Tiger.

 

Viel sagte er nicht an diesem ersten Tage, und man bedrängte ihn auch nicht weiter. Aber als er ging, war es, als lächelte er.

 

Er blieb nun öfters zum Kaffee, wenn es die Zeit gerade so ergab. Das Eis war gebrochen. Später kam er auch sonntags ab und zu, und bald war er ein ständiger Gast unseres Hauses. Und wir haben es nicht bereut! Hinter seinem scheinbar rauen, unnahbaren Äußeren, verbarg sich, ein weltgewandter Mann und ein guter Erzähler. Es gab kaum einen Flecken auf der Erde, den er nicht aus eigenem Erleben kannte. In bunten Bildern schilderte er seine Erlebnisse, zauberte er fremde Länder vor unsere Augen: die Urwälder des Amazonas, den Sudan, Indien, China. Er führte uns zu fremden Völkern, zu ihren Sitten und Bräuchen und ihren Göttern.

 

Allmählich erfuhren wir auch sein Schicksal.

 

Ich raffe es zusammen, denn ich sagte schon eingangs, es ließe sich eine lange Geschichte erzählen. Der Stoff reichte aus für einen dicken Roman. Hier aber soll ja nur von dem Goldmacher Windrich, dem alten, spät heimgekehrten, tausendfach enttäuschten Windrich die Rede sein.

 

Sohn eines Kaufmanns dieser Stadt, hatte ihn sein Vater in jungen Jahren in die Welt geschickt, dass er sich darin umsehe, lerne und als weitblickender Kaufmann heimkehre. Es kam anders. Er blieb draußen. Jahre um Jahre, bis er endlich in Indien festen Fuß fasste. Längst schickte der Vater kein Geld mehr. Das Maß machte voll, als in unserem ehrsamen Städtchen die Nachricht von der Heirat des verlorenen Sohnes mit einer Inderin eintraf. Der vergrämte Vater starb bald darauf. In seinem Testament hatte er die Stadt zum Alleinerben bestimmt mit der Auflage, das Vermögen wohltätigen Zwecken zuzuführen. Für den Sohn keinen Heller. Fünfzig Jahre hörte niemand mehr etwas von Ruprecht Windrich.

 

Er ist in Indien aber doch noch ein ganz tüchtiger Kaufmann geworden. Er handelte mit Tee und Gewürzen en gros. Und er führte ein glückliches Leben! Zwei Söhne und eine schöne Frau, die schönste zwischen Madras und Delhi, pflegte er zu sagen. Zwanzig glückliche Jahre. Dann raffte eine Fieberepidemie an einem Tage Frau und Söhne hinweg. Von diesem Schicksalsschlag hat Windrich sich nie wieder erholt. Geschäftliche Misserfolge traten ein, zehrten an ihm, Krankheiten höhlten ihn aus, und eines Tages stand er vor dem völligen Ruin.

 

Mit dem kläglichen Rest seines Vermögens kehrte er Indien, dem er sein höchstes Glück verdankte, aber auch sein tiefstes Leid, den Rücken. Er zog handelnd durch Tibet, durch ganz China, und in Shanghai bestieg er, ein gebrochener Greis, das Schiff, das ihn in die Heimat brachte. Nach einer Trennung von fünfzig Jahren.

 

Das war sein Leben, will man es auf knappste Formel bringen. Höhen und Tiefen. Ein buntes Leben. Ein reiches Leben. Aber auch ein Leben, das sich für jede Stunde Glücks teuer bezahlen ließ.

 

Von einem seiner Erlebnisse in China muss ich nun etwas breiter berichten, da es von entscheidendem Einfluss für sein ferneres Leben sein sollte und uns den Weg zum Verständnis des schrulligen Sonderlings weist. Er erzählte es nur meinem Vater und nur unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit.

 

Irgendwo im Innern des Landes war es, in einem kleinen dreckigen Nest, das auf tu endet und an einem ebenso dreckigen Nebenflüsschen des oberen Hoang-Ho liegt. Dort lernte er das große Geheimnis des Goldmachens.

 

Er saß eines Tages in der Wirtschalt des Ortes und trank sich den Staub aus der Kehle und das Heimweh vom Herzen. Eine Petroleumlampe kämpfte mit der Dunkelheit des Raumes. Kaum dass

man die beiden Männer in der Ecke erkennen konnte, die dort beisammen hockten. Der Wirt der eine, der andere offensichtlich ein guter Bekannter. Sie hatten viel und Geheimnisvolles zu tuscheln, immer wieder glitten ihre misstrauischen Blicke zu dem Fremden hinüber. Der aber war zu sehr mit sich beschäftigt, als dass er die beiden Schlitzäugigen beachtet hätte. Von Zeit zu Zeit stieß er das leere Glas auf die Tischplatte; dann erhob sich der Wirt und goss dem Gast von seinem billigen Reisschnaps nach. Und wieder steckten die beiden die Köpfe zusammen. Ihr Flüstern klang Windrich wie das einschläfernde Gemurmel eines Bächleins. Er saß mit geschlossenen Augen, die Stirn in die Hände vergraben, und es ging ihm vieles durch den Kopf. Er war müde, er wollte nicht mehr, er konnte nicht mehr. Heim müsste man fahren können. Wo aber war er denn noch daheim? Es gab da ein kleines Städtchen im alten Europa ... Er dachte jetzt viel an dieses kleine Städtchen. Wie mochte es dort jetzt aussehen? Ob sich seiner wohl noch jemand erinnerte?

 

Und das stetige Murmeln der beiden Chinesen. Was hatten die sich nur so viel zu erzählen! Da wurde er plötzlich hellhörig. War da nicht eben das Wort Gold gefallen? Gold, ja das brauchte man. Da könnte man heimfahren. Und da war es wieder: Gold. Er lauschte, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Es waren nur wenige Worte, die er verstand, aber doch so viel, dass er sich den Rest zusammenreimen konnte. Die beiden waren einem, großen Geheimnis auf der Spur. Sie sprachen von Versuchen, und sie warteten jetzt nur darauf, dass sich der Fremde zur Ruhe begeben würde. Den Gefallen konnte er ihnen ja tun! Wenn es weiter nichts war, und er stieg mit schwankenden Schritten die Treppe hinauf. Betont geräuschvoll entledigte er sich seines Schuhwerks, um die beiden in Sicherheit zu wiegen.

 

Und richtig, es verging auch nur eine kurze Zeit, dann hörte er, wie sie sich nach dem Hof hin entfernten. Von seinem Fenster aus konnte er den Hof überblicken. Mehrere schuppenähnliche Bretterbuden ließen ein Geviert entstehen; leere Kisten und Fässer lagen über- und durcheinander und bildeten ein unentwirrbares Labyrinth. Er sah, wie die beiden den Hof überquerten, der Wirt mit einem Windlicht voran, und in einer der Buden verschwanden.

 

Gold, Heimkehr. Es kam wie ein Rausch über Windrich. Wollte ihm das Schicksal einen Wink geben? Aber wie denn: ließ sich Gold denn überhaupt auf künstlichem Wege herstellen? Hatten es die Menschen nicht seit Jahrtausenden vergeblich versucht? Doch was war damit schon bewiesen? Lediglich doch, dass neunundneunzig Wege am Ziel vorbeigeführt haben. Der hundertste konnte der richtige sein. Hatten ihn diese beiden Chinesen gefunden? Kannten sie das große Geheimnis? Wenn ja, dann würde er es ihnen entreißen. Gold — und er hauchte es zärtlich vor sich hin wie den Namen einer Geliebten.

 

Ein Schiff sah er fahren, vollbeladen mit Gold, und er stand auf der Brücke, in Purpur und Seide gekleidet. Ein Wink, und hundert Bedienstete standen seinen Wünschen bereit. Das Schiff fuhr übers Meer, weit, weit, und dann in einen Fluss und diesen hinauf, bis er so schmal wurde, dass die Bordwände die Ufer streiften. Und da war auch das Städtchen wieder, von dem er jetzt so viel träumte. Und hier würde er sich ein Haus bauen, ein großes Haus ganz aus weißem Marmor, und hier würde er zu Hause sein. (Fortsetzung folgt.)

 

Seite 7    Foto: Die Samlandküste ist eine der romantischten Landschaften unserer Heimat. Unser Bild zeigt einen Blick von der Gausupschlucht in Richtung Rauschen - Wanger Spitze. Foto: Muschlien

 

Seite 7   Sommerabende in Rauschen. Von Herbert Muschlien.

Ein Gedanke an Rauschen ... das geistige Auge erblickt Strand und Steilküste, Mühlenteich und Zauberwald, Karlsberg und Gausupschlucht, Stätten von lauschiger Einsamkeit voller romantischer Zauberwelt, Stätten voller Naturschönheiten für sehhungrige Menschen. Wir erinnern uns der lauen Sommernächte mit leicht fächelnder Brise von Wald- und Seeluft die Herz und Gemüt so sehr erfrischte.

 

Menschenhand und Geist taten noch ein Übriges, um eine Stimmung von Traum und Unwirklichkeit aufkommen zu lassen. Wir denken an die einzigartigen Steilküstenbeleuchtungen die orientalischen Nächte am Rauschener Mühlenteich, wir denken an die prächtigen Feuerwerke am Strand und Teich, an die herrlichen Konzerte im schönen Lärchenpark.

 

Die Feuerwerke mit Steilküstenbeleuchtungen zogen neben den Kurgästen auch viele Königsberger Tagesgäste an. Die Samlandbahn brachte schon vormittags mit Sonderzügen die Schaulustigen heran. Die Parkplätze rund um den Tennisplatz füllten sich zusehends mit Autos und Motorrädern. Man stieg den Schlängelweg herab oder benutzte die Drahtseilbahn, nicht ohne vorher einen Blick von der Steilküste auf die in der Dämmerung sich leicht dünende See geworfen zu haben. Weit im Westen am dünn auslaufenden Küstenstrich grüßte das Leuchtfeuer von Brüsterort. Im Musikpavillon an der Strandpromenade konzertierte eine Militärkapelle. Luftig angezogene Menschen promenierten in breiten Reihen vor dem Pavillon auf und ab. Erwartungsvoll saß man im besetzten Seehallen-Restaurant. An den Gesichtern konnte man Tagesgäste von den Kurgästen unterscheiden. Auf dem Seesteg standen Gruppen plaudernd beisammen oder man lehnte sich über das Geländer und sah dem Spiel der Wellen zu. In langer Reihe saßen auf durchlaufender Bank der Graf-Kaiserlingk-Promenade die Kurgäste in zufriedener Beschaulichkeit.

 

Die volle Dunkelheit brach an — die Steilküstenbeleuchtung wurde eingeschaltet. Beifälliges Gemurmel — ah und oh — man blieb stehen, ließ die von Menschenhand verschönerte Natur auf sich wirken. In allen Farben wiegten sich farbige Lichter von Sträuchern und Bäumen in weiten Rund zwischen Venusspitze und Fischerweg. Anerkennend musste man sich äußern über die halsbrecherischen Kletterpartien auf steilem Grund, die Tage vorher notwendig waren, um Glühbirnen und Draht auf die höchsten Baumwipfel zu montieren. Zur See hin abgegrenzt entlang der Strandpromenade und des Seestegs hingen geschlossene Lichtergirlanden, unterbrochen durch höherstehende Laternen. Gemächlich schaukelnd warteten auf See die lampiongeschmückten Segelboote auf den Höhepunkt des Abends — das Feuerwerk. Erwartungsvoll blieb die Menge allmählich stehen mit Blickpunkt zum Strand oder zur Venusspitze, wo das Feuerwerk abgebrannt werden sollte. Die Beleuchtung wurde abgeschaltet, bald sah man wie Glühwürmchen tanzend die Lichter der Feuerwerker. Schon zischte die erste Rakete in die Luft und ergoss einen großen farbigen Sternregen über die Zuschauer. Sonnenräder, rotierende aufwärtsstrebende Kometenschweife, Wasserfall, Goldregen und viele pyrotechnische Kostbarkeiten ergaben ein unvergessliches Erlebnis. Der Schluss brachte dann die obligatorische Kanonade, ein Inferno von Knall und Feuerblitz mit gewaltiger Rauchentwicklung. Lebhafter Beifall belohnte die Arbeit der Feuerwerker.

 

Unvergessen sind die Konzertabende in dem so trauten Lärchenpark. Zwischen den hohen, schlanken Lärchenbäumen bewegten sich festlich gestimmte Menschen, die sich am Musikpavillon und an der Leuchtfontäne zusammenfanden, um musikalische Leckerbissen zu hören und dazu dem Spiel der farbigen Wasserstrahlen zuzusehen. Während des Konzertes tänzelten die Wasserspiele nur meterhoch und plätscherten leichtniederfallend auf die farbig wechselnden Leuchtfenster, um in der Pause baumhoch in kräftigem Strahl hochzuzischen. Bald zur Musik, bald zur Fontäne sich wendend, so hatte Aug' und Ohr Freude und Abwechslung. In den vier Ecken des Areals vor dem Pavillon plätscherten verspielt erleuchtete Kleinstfontänen zwischen Baum und Strauch. Wie ansprechend die Konzerte waren, zeigte sich am Schluss, wenn der Beifall nicht enden wollte. So mancher gebefreudige Kurgast hat den Musikern eine Zugabe mit einem 50-Mark-Schein gedankt. Sehr beliebt war Ende der zwanziger Jahre die sogenannte Schlachtenmusik, umrahmt von Fanfarenmärschen, Salvenschießen und Zapfenstreich. Es war wohl mehr die Originalität der Zusammenstellung und die Erinnerung an bekannte Märsche und Lieder, die die Menschen trotz der damaligen politischen Trennung zu einem gewissen Gefühl des gemeinsamen Erlebnisses vereinte.

 

Unvergessen sind auch die so beliebt gewesenen, einzigartigen orientalischen Nächte am Rauschener Mühtenteich. Im stillliegenden Wasser des Teiches spiegelten sich in langen Strichen die Lichter der Lampions und Lichtgirlanden. Unter den Linden zwischen Schleuse und Mühle spielte eine Musikkapelle, die sogar auf ein Floß stieg und mitten auf dem Teich ihre Weise erklingen ließ. Dazu kam das farbenfrohe Bild der mit Lampion und Laternen geschmückten Gondel. Wie ein Leuchtwurm anzusehen, zogen die Rauschener Schulkinder mit Lampion und Fackel durch den schwarzen Tannenwald, in Kurven sich windend vorbei am düster wirkenden „Kunstwinkel". Rot aufleuchteten die dicht am Wasser abbrennenden bengalischen Feuer . . . wirklich ein Bild wie aus „1001 Nacht".

 

Dicht gedrängt standen die Zuschauer entlang der Dorfstraße zwischen Teich und den Anwesen der alten Rauschener Besitzerfamilien. Gegenüber der freien Wiese zwischen Rodelbahn und Schleuse wurde das Feuerwerk abgebrannt, das nie so geräuschvoll war, wie am Strand. Man sah die platzenden Raketen doppelt, nämlich in der Luft und im Spiegel des Wassers. Einmal hatten die Feuerwerker die naturgetreue Nachbildung eines übergroßen Hirsches in hellgelb brennenden Leuchtformen aufgebaut. Die Konturen des Hirsches mit stolzem Geweih ergaben im erhellten Fichtenwald ein eindrucksvolles Bild. Als die Weltfahrt des „Graf Zeppelin" in aller Munde war, zog man eine viele Meter lange Nachbildung des Luftschiffes an einem Seil, unsichtbar hängend, in gleißenden Leuchtstäben geformt über die ganze Wiese.

 

Frohsinn und Lebensfreude las man in den Gesichtern der Menschen nach solchen Sommerabenden im Seebad Rauschen, das nie zu Unrecht „die Perle des Samlands“, genannt wurde.

 

Der Massenbesuch bei solchen Abendveranstaltungen der Kurverwaltung brachte anschließend einen gewaltigen Trubel mit sich. Die Tagesgäste hetzten zu ihren Autos und mussten dann doch in langen Kolonnen fast im Schritt den Ort durchfahren. Nicht minder aufregend ging es am Bahnhof Ort oder Düne zu, wo mehrere Züge hintereinander vollgepfropft abfahren mussten. In den Wagen drückte man sich eng zusammen oder stand vorn oder hinten auf der Plattform. Nicht zu beneiden diejenigen, die dazu noch einen Sonnenbrand auf dem Buckel hatten.

 

Wie sagt Dr. Lau so nett in „Mang Sonne, Sand und See":

 

Vollgepremst steht all der Zug,

Nu ist wirklich bald genug!

Einer tut am andern kleben,

Manche hängen, manche schweben,

Manche kriegen auch zu hucken,

Aller tut der Puckel jucken.

 

Seite 7   Vor 150 Jahren in Königsberg. (VII)

Wir lesen im Jahrgang 1808 der Kgl. Preuß. Staats-Krieges- und Friedens-Zeitungen in Nro 64 vom 11ten August 1808:

 

„In mehreren Theilen der hiesigen Stadt und in der umliegenden Gegend fangen die Kinderpocken an, sich epidemisch zu zeigen. Die Eltern der Kinder, welche diese Krankheit noch nicht überstanden haben, werden daher auf die bedeutende Gefahr und die nahe und sichere Hilfe (1) aufmerksam gemacht, welche ihnen das hiesige Kgl. Impfungsinstitut auf dem Sackheim, an jedem Montage mittags um 12 Uhr unentgeldlich gewähret.

 

Königsberg den 8. August 1808. Kgl. Ostpr. Krieges- und Domainen-Kammer".

„Kunst-Anzeigen. Blende et Trümpy haben die Ehre anzuzeigen, dass sie mit ihrem Kunstwerke, einem anatomischen Praeparate von Wachs, einem weiblichen Körper vorstellend, hier angekommen sind, und sich nur eine kurze Zeit aufhalten werden. Dieses nach dem Urtheile aller Anatomen meisterhaft gearbeitete Praeparat ist die Frucht einer mehrjährigen Arbeit des Sassini, erster Wachs Boußirer der Kgl. Gallerie zu Florenz. Die Brusthöhle und den Unterleib kann man völlig auseinander nehmen. Ein unterrichteter Mann erklärt dieses anatomische Studium. Der Ort an der Küttelbrücke 1 Treppe hoch von 10 – 1 Uhr und Nachm. V. 4 – 7 Uhr.

 

In Nro 65 vom 15ten August 1808:

Dr. Kelch, Prof. d. Medizin empfiehlt das Wachspräparat (s. o.).

„Publicanda: Die Mortalitäts-Listen des vorigen Monats haben uns die traurige Erfahrung machen lassen, dass durch die Kinder-Blattern (Pocken) 7 Kinder ihr Leben verloren". Hinweis auf Impfung w. o.

 

In Nro 67 vom 22ten August 1808:

Unterm Strich: „Ob hoher Lohn die Arbeiter träge macht. Aus Kraus (2), Staatswirtschaft Theil 1 pag. 231“.

Anzeige: „Den 15ten August gebar mir mein gutes Weib einen anscheinend sehr gesunden Knaben. Es war die erste Freude in einem halben Jahre, wo Krankheiten mein Haus sehr heimsuchten. Die Freude dauerte nicht lange, denn schon am 19. lag der Neugeborene im Sarge. Wer es weiß, dass häusliches Glück für mich das einzige ist, wird mich bedauern. Dr. Heidemann (3)“.

 

(1)   Der englische Arzt Edward Jenner (1740 - 1823) führte 1796 die erste Schutzpockenimpfung durch. In Königsberg trat besonders der beliebte Arzt Motherby (geb. 12.09.1776 als Sohn von Kants Freund Robert M. in Kgb. gestorben 16.01.1948 in Kgb.) für die Impfung ein.

(2)   s. Nr. 29. 20. Juni, Anm. 5.

(3)   s. 11 Stück v. 8. Februar, Anm. (Nr. nicht lesbar)

 

Seite 7   Noch immer Verbrecherbanden

Trotz verstärkter Bemühungen der polnischen Polizei ist es bisher nicht gelungen, sämtliche in einem des Gebietes um Allenstein in Ostpreußen und um Bialystok operierenden „Verbrecherbanden" unschädlich zu machen. Wie das KP-Organ „Gazeta Bialystoka" berichtet, halten sich die Banden in den unzugänglichen Wald- und Sumpfgebieten um beide Städte auf und überfallen in den Nachtstunden Bauernhöfe, um sich dort Nahrungsmittel und Geld zu beschaffen.

 

Nach den Ermittlungen der polnischen Polizei, die in dieser Gegend ständig in Alarmbereitschaft ist, gehören den Banden hauptsächlich Jugendliche an, die sich vom Elternhaus entfernt haben. Teilweise seien diese jugendlichen Räuber schon seit zwei Jahren Mitglieder der Banden, die sich untereinander bekämpfen.

 

Seite 7   Er wusste sich zu helfen. Eine ostpreußische Spitzbubengeschichte. Von Oskar Bischoff.

Damals, als der östliche Teil unseres Vaterlandes noch lange nicht hinter dem Eisernen Vorhang lag, hatte man eines schönen Tages in einem ostpreußischen Dorf einen Landstreicher geschnappt, dem man schon von weitem ansah, dass er mit allen Wassern gewaschen war. Der Landgendarm hatte nicht lange gefackelt und den losen Vogel eingesperrt: ausgerechnet in ein leerstehendes Bauernhaus, das vorübergehend als Arrestlokal diente.

 

Dem Herumtreiber passte das gar nicht in den Kram; er überlegte hin und her, wie er in das Auge des Gesetzes eine Prise Sand streuen könnte. Er stand wie eine Gipsfigur am vergitterten Fenster, legte die Stirn in Falten und dachte an nichts anderes als an die goldene Freiheit. Ein gefleckter Schmetterling tanzte draußen in der Abendsonne, ganz in der Nähe flötete eine Amsel. „Die haben's gut", brummte er, „flattern in der Gegend herum und pfeifen sich eins“.

 

Da kam ein Mann die Straße herunter, langsam und auch nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Er guckte dahin und guckte dorthin, so als suchte er etwas.

 

Vor dem Bauernhaus mit den Gitterfenstern blieb er stehen. „He, Sie! Wo ist denn in diesem Nest das Haus Nummero 65? Das muss doch hier in der Nähe sein . . ."

 

Durch den Kopf des Arrestanten zuckte ein Gedanke wie ein Blitz. „Sie stehen ja davor, guter Mann, das Haus Nummero 65 ist mein Haus“. Das war natürlich erlogen und erstunken.

 

„Na, dann lassen Sie mich mal hinein!" Der Ortsfremde war gesprächig: „Ich möchte Ihnen nämlich etwas bringen: Pinkepinke“.

 

Der Landstreicher schlackerte mit den Ohren. „Ich weiß schon“. (In Wirklichkeit wusste er gar nichts). „Drehen Sie gefälligst den Schlüssel in der Haustür um; er steckt im Schloss, meine Frau hat mich versehentlich eingeschlossen, als sie wegging“.

 

Gesagt — getan. Und dann stand der Fremde in der Stube. „Sie wissen ja, um was es geht: mein Bruder hat Ihr Haus gekauft, aber er kann nicht selber kommen mit der Anzahlung, die heute fällig ist. Ich habe ihm den Weg abgenommen, weil ich doch im Nachbardorf zu tun hatte. Dreihundert Mark bekommen Sie also: einhundert, zweihundert, dreihundert. Stimmt's?"

 

„Es stimmt haargenau . . .“

 

„Hier, unterschreiben Sie mir noch die Quittung, damit die Sache in Ordnung geht!"

 

Die Unterschrift war natürlich ebenso falsch wie der Hausbesitzer.

 

Der Galgenvogel bat den Fremden, noch eine Weile zu bleiben und mit ihm einen doppelten Korn zu trinken. „Ich gehe rasch in die Küche und hole die Flasche. Machen Sie es sich bequem inzwischen“! – verschwand - und wurde nie wieder gesehen.

 

Seite 7   Im Sarg lag ein anderer. Merkwürdigkeit. Von Dr. Osiander zu Königsberg.

In der älteren Altstädtischen Kirche zu Königsberg, die sich auf dem späteren Kaiser-Wilhelm-Platz befand, lag unweit des Altars der Grabstein des Doktors der Theologie Andreas Osiander aus Nürnberg, welcher zu Königsberg am 17. Oktober 1552 verstorben ist.

 

Osiander war in damaliger Zeit ein sehr namhafter Prediger und Lehrer; aber in jenen Zeiten war viel Zwietracht unter der Geistlichkeit. Osiander hatte unter den Gottesgelehrten sehr viele Feinde, und seine Predigten und Lehren führten zu Streit und übler Nachrede. Obgleich er bei großer Beteiligung des Volkes und in Anwesenheit des Herzogs Albrecht von Preußen und dessen ganzen Hofstaates begraben wurde, kam die Nachricht in Umlauf, der Teufel habe ihm den Hals umgedreht und seinen Körper ganz zerrissen. Auf diese Gerüchte sah sich der Herzog veranlasst, den Leichnam durch das Altstädtische Gericht besichtigen zu lassen, um die Verbreiter des Gerüchts Lügen zu strafen.

 

Als der Sarg geöffnet wurde, fand man die Leiche Osianders nicht darin, sondern den Leichnam eines gewissen Balthasar Nickel. Darüber waren alle Beteiligten entsetzt aber der Stein wurde wieder über die Gruft gedeckt.

 

Dass Osiander nicht nur in Königsberg Feinde, sondern auch in seiner Vaterstadt Nürnberg hatte, geht daraus hervor, dass die Nürnberger in der Fastnachtszeit 1559 die „Hölle des Schembart“ mit Dr. Osiander, Arzt, Nonnen und Teufeln, also nach seinem Tode, noch zur Darstellung brachten. Ein unbekannter Künstler hat diese Darstellung (s. Abbildung. Der Text auf der Abbildung ist allerdings nicht lesbar) in einem Stiche festgehalten; das Original befindet sich in der Stadtbibliothek zu Nürnberg. hb.

 

Seite 8   „Eine stille Bürgschaft der Ewigkeit“. Zum Todestag von Ernst Wiechert / Von Gerhard Kamin.

Ein seltsamer Rückblick, den man zu halten gezwungen ist, wenn man die verflossenen Jahre seit Kriegsende betrachtet, in denen mein Schicksal — wie kein anderes vielleicht — dem Leben meines unvergesslichen Lehrers und Freundes Ernst Wiechert verpflichtet war. Wie viele Schatten auf dem Weg, wie viele Enttäuschungen, wieviel Zerbrechen sogenannter ‚glühender Wiechertfreundschaften' und scheinbar unzerstörbarer Bindungen. Und jedes Mal an seinem Todestag doch nichts anderes als das Einfache und Unzerstörte seines so vielfach missdeuteten Bildes, wie es, meinen eigenen Verwandlungen und Entwicklungen zum Trotz, unverändert vor mir steht wie an jenem Abend an der Küste bei Brüsterort, als ich in der Dämmerung neben ihm sitze und wir im Windschutz eines Fischerbootes aufs Meer hinausblicken. Es war die Zeit seiner großen Vereinsamung, seines Durchbruchs zur letzten Tapferkeit eines Künstlerlebens mit aller damit verbundenen Verantwortung. Die Trauer in seiner Stimme höre ich noch heute, als er mir sagt, wie bitter es für ihn zu sehen sei, dass die Menschen in seiner nächsten Umgebung in der Schule ihn nicht begriffen.

 

Wir sind, wenn wir die großen Dichter unserer Gegenwart betrachten, dankbar für die klare, ehrfurchtsvolle Gediegenheit Hans Carossas und die vielseitige, in dichterischer Fülle und menschlicher Haltung unersetzbare Eigenart Hermann Hesses, aber wir möchten, im Zusammenklang des Weltgeistes, nicht die Stimme Ernst Wiecherts missen, weil sie, gesammelt und ohne Furcht, als die einzige wohl berechtigt war, Klage zu erheben und Trauer zu zeigen als eine Haltung, die nicht von Ungefähr kam und in Zeiten des Niedergangs deutlich zu machen berufen war, wieviel an verschütteter Liebe es auszugraben galt.

 

Wir haben es nicht nötig, Werk und Menschentum dieses Stillen und Einsamen noch einmal zu beschwören. Was an einem Gedenktage wie diesem die Seele anrührt, sind Streiflichter gleichsam seines Wesens, wie es Tag für Tag unauslöschlich und in immer spürbarer Liebe an uns teilnimmt. Die Erinnerung an die Unterrichtsstunde in der Aula unseres Gymnasiums, z. B., als er uns nach der Besprechung von Ibsens „Peer Gynt" Griegs Musik dazu vorspielte, auch darin immer er selbst, in der behutsamen Art, besonders, wie er Tempi und Bezeichnungen deutet, den Gebrauch des Pedals auf ein Mindestmaß einschränkt und beim Spiel zu vergessen scheint, dass er unter uns ist. — Die Stunden, als er mit uns Bilder von Masareel, Käthe Kollwitz und Dix bespricht, immer in der verhüllten Absicht, das menschlich Unmittelbare darin an Leid, Not und Anklage in uns lebendig werden zu lassen. — Unvergessliche Augenblicke, als er den „König in Thule" in Goethes „Faust" zu deuten beginnt; als er behutsam immer neue Verse von Goethe auswendig leise vor sich hinspricht und in ihrer Schönheit vor uns ausbreitet. Oder von den großen Helfenden und Liebenden zu uns spricht, von Albert Schweitzer zum Beispiel, dessen Wesen damals wie später Verwirrendes uns entwirren half.

 

Ich sehe sein stilles Gesicht, das in seiner Trauer mich oft an das eines edlen Tieres erinnerte, ich höre seine leise, klagende, behutsam abtastende Stimme, die immer voller Güte und Fürsorge war und wie aus einer unberührten Welt des Schweigens kam. Und ich sehe sein frohes, befreites Lächeln über etwas Komisches (und wieviel davon lehrte er uns begreifen …) oder über eine Freude.

 

In meinem Arbeitsraum hängt — wie vor mehr als dreißig Jahren in seiner Wohnung in Königsberg — Böcklins „Schweigen im Walde". Es ist dasselbe Bild, und damals hing unter ihm seine „Totenmaske". So oft ich es ansehe, steigt mit dem Bild des Waldes und das Einhorns alles Versunkene und gemeinsam mit ihm Durchlebte beschwörend und tröstlich auf als ein Unvergängliches, Unantastbares und Bleibendes, als ein Hauch des Ewigen und Gültigen über dem Flüchtigen und vielfach Unzulänglichen unserer Zeit.

 

Er selbst sagt, als er von seiner Maske und Böcklins Bild spricht: „Mir ist, als klängen die Rufe des Einhorns dumpf auf der Erde über der schweigenden Stirn, wie die Füße des Lebenden dumpf herniederklingen in unseren Schlaf, nicht als ein Erschrecken, nicht als ein Leid, sondern als eine stille Bürgschaft der Ewigkeit, die da ist, auch wenn wir nicht mehr sind“.

 

Seite 8   „Ich war wie ein Weizenfeld …“. Bekenntnisse des Dichters Ernst Wiechert.

Ein Dichter ist ein Mensch, der sein Blut trinkt, damit ein anderer ruhig schlafen kann.

 

Ich stand immer an der Tür, und wenn es mir zu laut wurde, schloss ich die Tür leise hinter mir. Ich konnte immer in die Stille gehen, wie ein Fisch in die Tiefe taucht.

 

Aber das meiste nahm ich nur mit dem Medium des Geistes auf. Es blieb im Gehirn, und weniges, erreichte das Herz. Ich wurde zwiespältig, wie es nicht zu umgehen war, aber immer, wenn es mich zu sehr drängte, ging ich in das Einfältige zurück. Der Weg war immer offen.

 

Ich bin niemals ganz da, wenn ich ein Buch schreibe … ich bin immer nur wie ein stiller Gast im Hause.

 

Wusstest du, wie sehr Gott in den Wäldern lebt? Früher ging man in die Wüste, bei uns muss man in die Wälder gehen.

 

Zu keiner Zeit der Menschheitsgeschichte sind die Verheißungen jenseits der Sterne so fraglich geworden wie heute . . . Propheten und Dämonen sind in den Abgrund gestürzt, aus dem sie aufgestiegen waren. Aber unverändert ist das Gesicht dessen leuchtend über uns geblieben, woran die Dämonen mit aller Gewalt vergeblich gerüttelt haben: Das Gesicht der guten Erde, der Kunst und der Liebe.

 

Die einfachen Dinge sind immer größer als die komplizierten, und nähren, tränken und heilen sind sehr große Dinge, auch heute noch.

 

Die Menschen meiner Bücher sind Fanatiker. Ich bin es auch. Sie gehen durch Wandlungen und werden niemals fertig. Ich auch. Sie lieben die Erde und haben die Trauer. Ich auch. Sie sprechen kluge Worte und tun törichte Dinge. Ich auch. Sie greifen nach Gottes Mantelsaum und möchten rauschen wie ein Baum. Aber sie gehen wie ein dunkler Fluss durch das Leben und nicht wie ein Weg.

 

Ich habe es immer gefühlt, und habe es nicht ohne Trost gefühlt, dass von den Zeiten her, als nur Pan um mich war in der Stille meiner Wälder, mir jenes tiefe und gläubige Vertrauen zu dem schönen Glanz des Heidentums geblieben ist.

 

Gleichviel, welchen Namen Gott bei den Dichtern führt. Gott hat viele Kleider, gleichwie viele Wohnungen in seinem Reich sind, und es ist nur nötig, dass er der Verhüllte ist und sie ihre Hand ausstrecken können, um seinen dunklen Mantelsaum zu berühren. Für den Dichter der Psalmen war er der Bekannte, und für Nietsche war er der Unbekannte. Goethe wollte ihn nicht nennen, für Dostojewskij war er der weise Heiland, und für Rilke war er der Dunkle. Für die Dichter des Krieges hieß er Vaterland, und für die Dichter der Revolution hieß er Freiheit. Aber für alle war er die dunkle, kühle Erde; in die sie ihre Wurzeln tauchten.

 

Alle, um die die große Einsamkeit schweigt, sind ernst, und die meisten sind wahrhaftig. Es ist niemand da, vor dem sie eine Rolle spielen könnten. Niemand, vor dem es lohnte, eine freundliche Lüge zu sprechen. Der Spiegel, vor dem sie leben, ist unbestechlich. Es gibt keinen Beifall für sie, keinen Hervorruf. Es ist nicht Theaterzeit für sie, sondern Gerichtszeit.

 

Ich habe die Welträtsel nicht gelöst und nicht die Geheimnisse der eigenen Brust. Aber ich habe nicht aufgehört, sie still zu verehren und in dieser Stunde fromm die Hände zu falten für alles, was der Tag, für alles, was das Leben genommen und gegeben hat.

 

Ich war wie ein Weizenfeld, das unter Blitzen reift.

 

Ernst Wiechert starb am 24. August 1950 in Uerikon/Schweiz.

 

Seite 8   Das „Ännchen“ nicht von Simon Dach.

Neuauflagen von volkstümlichen Liedersammlungen, die eigentlich nur ihre alten Auflagen abdrucken, bringen immer wieder das berühmte „Ännchen von Tharau" unter dem Namen Simon Dach. Auch in Schulen wird das weitgehend noch gelehrt. Demgegenüber vertritt die neuere Literaturforschung allgemein die These, dass das in samländischer Mundart geschriebene „Anke von Tharau" nicht von Simon Dach ist.

 

Bisher stand und fiel der Ruhm Simon Dachs im Volksmund weitgehend mit diesem Lied — obwohl er bekannte und schöne geistliche Lieder schrieb — das heute zu den bekanntesten deutschen Volksliedern zählt. Man ließ es nicht genug sein mit der bekannten Tatsache, dass Simon Dach Hochzeits- und Grablieder auf Bestellung seiner Freunde schrieb, sondern umrankte dieses Gedicht noch mit der romantischen Erfindung, er habe es für die Hochzeit eines von ihm geliebten Mädchens mit einem anderen geschrieben.

 

Von Simon Dach als Verfasser dieses Liedes ist die Germanistik abgekommen. Ganz vorsichtige Literarhistoriker schreiben „Dichter unbekannt", die Barockfachleute unter den Germanisten aber schreiben Text und Melodie dieses Liedes Heinrich Albert (1604 - 1651) zu.

 

Heinrich Albert stammt aus dem Vogtland, ist seit 1626 in Königsberg und wird dort 1630 Domorganist. Er war mit Simon Dach befreundet und gehörte, wie sein berühmterer Freund, zu dem Königsberger Dichterkreis. Am Pregel stand Alberts „Kürbishütte", die ihren Namen von den Liederversen hatte, die der Dichter und Komponist in Kürbisse schnitt. W. Gl.

 

Seite 8   Corinth der Maler und Graphiker.

Nun ehrt München den großen Ostpreußen, der München wichtige Phasen seiner Entwicklung verdankt und Jahre hindurch, man denke nur an den Kreis um Max Halbe, eine zentrale Figur des Kunstlebens der bayrischen Metropole war.

 

Die über 160 Gemälde in der Städtischen Galerie sind weniger als die grandiose Kollektion von Wolfsburg, von wo sie übernommen wurden, aber umfangreicher als die in Berlin gezeigte. Während man sich in Berlin hauptsächlich auf das Spätwerk verlegte, blieb man in München bei der weiten Wolfsburger Streuung, die in der Frühzeit auch die Münchner Epoche der Traditionsgebundenheit im Werk des Malers und die wachsende Intensität und Farblichkeit der Walchenseelandschaften umfasst. In Berlin hatte man sich ganz auf die Malerei beschränkt, in Wolfsburg wenigstens Handzeichnungen und Aquarelle gezeigt. In Bremens Kunsthalle, die mit Berlin-Dahlem und der Hamburger Kunsthalle die Fronde gegen Wolfsburg und München gebildet und die Leihgaben versagt hatte (so was gehört nun mal zum heutigen deutschen Kunstgetriebe), vermittelte Günter Busch eine schöne Schau des zeichnerischen und aquarellistischen Werks. Aber erst München bietet in diesem Sommer den ganzen Corinth. Wenn man auch drei ziemlich auseinanderliegende Kunststätten aufsuchen muss, um die Vergleichsmöglichkeiten auszuschöpfen, so liegen sie doch alle an der Achse der Kunststadt.

 

Vom Lanbachhaus kommen wir zur Staatlichen Graphischen Sammlung gerade zurecht, als Direktor Dr. Peter Halm die Hängung der überwältigenden Auswahl beendet. Vieles unter diesen über 200 Blättern ist aus eigenem Bestand, anderes von Wolfgang Gurlitt. Auch Bremen hat sich hier beteiligt. Es kann hier nicht die Weite der Landschaften, die Köstlichkeit der Nuancen des Aquarells, der Witz mancher Illustration, die Eindringlichkeit der Lithos zu „Anna Boleyn", die Reminiszenz an Adolph Menzel angesichts der Sanssouci-Blätter, die Fragwürdigkeit mancher Mythologien in der Rubensgefolgschaft, die erschütternde Expression des Ecce-homo und der Leidensgeschichte ausgeschöpft werden. Wir finden eindringlicher als je demonstriert, dass der Graphiker dem Maler Corinth ebenbürtig ist. Erst verhältnismäßig spät hat er sich den graphischen Techniken zugewandt, zur Lithographie gar erst mit 53 Jahren entschlossen. Dann aber wirkt die Lithographie mancher Porträts und Selbstbildnisse, vor allem der Walchenseelandschaften gegenüber den fasrigen, später heftig gerissenen Radierungen wie ein Einbruch in die Idyllik Oberbayerns, wie mit dem Pinsel geschlagen, nicht weniger mächtig und erdenfern als die großen Ölbilder. Die Verwandtschaft mit späteren Regungen etwa des Tachismus ist formal, nicht in der emotionellen und geistigen Konzeption festzustellen.

 

Wie künstlerische Lebensringe begleiten die Selbstbildnisse, radiert und lithographiert, die Selbstbegegnungen und Lebensdeutungen der Leinwände. Es ist faszinierend, den Dichter Eduard Graf Keyserling im farbigen und im graphischen Porträt zu vergleichen oder die drei Schwarzweißfassungen des Schauspielers Rittner als Florian Geyer.

 

Wolfgang Gurlitt, bei dem schließlich unser Weg endet, hat in seiner Galerie in der Galeriestraße als Sonderschau zu den oft mit persönlichen Erinnerungen und Widmungen versehenen Leihgaben, darunter vielen Probedrucken, die er der Staatlichen Sammlung zur Verfügung stellte, noch einmal das Persönlichste des Corinthschen Werkes herausgehoben: Fünfzig graphische Selbstbildnisse, eine erregende, wechselnde Landschaft des menschlichen Gesichts, das schon längst mit dem Jenseits Zwiesprache gehalten hat, als die von der Lähmung gehemmte Hand noch die Visionen für diese Welt festhielt. Am 7. Mai 1925, nicht lange vor dem Tod in Zandvoort, wurde das letzte dieser Selbstporträts geschaffen, die der einstige Verleger des deutschen Meisters dieser Zeit als große, das Werk erhellende Totenfeier darbietet. Ernst Schremmer

 

Seite 8   Ostdeutsche Patenschaftspflege.

Die Ostdeutsche Forschungsstelle in Nordrhein-Westfalen bereitet eine Veröffentlichung über die ostdeutsche Patenschaftspflege vor. Hierfür wandte sie sich an die Kreise und Gemeinden des Landes, die Patenschaften übernommen haben, mit nachstehender Umfrage:

 

„Im Einvernehmen mit dem Arbeits- und Sozialminister und dem Landesbeirat für Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen in Nordrhein-Westfalen bittet sie die Ostdeutsche Forschungsstelle, ihr Berichte über den Umfang und die Formen ihrer Patenschaftsarbeit zur Verfügung zu stellen.

 

Für eine Gesamtzusammenstellung interessieren die Geschichte und Entwicklung des Patenschaftsgedankens und alle Maßnahmen, die bisher nach dieser Richtung hin getroffen worden sind. Wichtig dabei sind auch Hinweise auf das hier entwickelte Patenschaftsbrauchtum, wie z. B. Aufbewahrung von Heimaterde, Pflanzen eines Erinnerungsbaumes, künstlerische Anfertigung einer Patenschaftsurkunde, eines Patenbriefes, Ausgabe von „Patentalern", Führung eines Ehrenbuches, Niederlegung von Kränzen an bestimmten Tagen usw. Auch die Aufstellung von Gedenkkreuzen und das Anbringen von Gedenktafeln müsste genannt werden. Ausführliche Berichte über angelegte oder geplante Heimatarchive, Heimatkarteien, Heimatbüchereien, Heimatmuseen oder Heimatstuben würden in diesem Zusammenhange sehr wertvoll sein. Für die Beigabe von Fotos dieser Einrichtungen sind wir besonders dankbar. Weiterhin waren in diesem Berichte alle Nachrichten über bisher durchgeführte Heimattreffen, Heimatabende, Kulturveranstaltungen und Ausstellungen unter Beigabe von Programmen, Festschriften usw. sehr willkommen. Ergänzt werden müssten diese Unterlagen dann durch Erwähnung aller von Ihrer Stadt aufgewandten Bemühungen für das Patenschaftswerk, auch nach der sozialen Seite hin.

 

Es ist vorgesehen, das hier eingelaufene Material zu einem Heft zusammenzustellen und es als „Patenschaftsheft" in der vom Arbeits- und Sozialministerium herausgegebenen Schriftenreihe noch im Jahre 1958 erscheinen zu lassen, um so einen geschlossenen Überblick über das in Nordrhein-Westfalen vorbildlich durchgeführte Patenschaftswerk zu geben. Ein Versuch, die Patenschaftsberichte für einen kleineren Raum zusammenzustellen, konnte bereits mit Erfolg durchgeführt werden (vgl. „Das Patenschaftswerk im Bereiche der ehemaligen Grafschaft Mark". — In: Der Märker 7, 1958, H. 2. 69 - 80).

 

Wir bitten Sie, uns durch Ihre freundliche Mitarbeit zu helfen, eine vollständige Übersicht über das im Lande gewachsene Patenschaftswerk veröffentlichen zu können“.

 

Bücherei des deutschen Ostens

15 100 Bände ostdeutschen Schrifttums umfasst die Bücherei des deutschen Ostens in Herne, die auf ein zehnjähriges Bestehen zurückblickt. Am 16. Juli 1948 stimmte der Kulturausschuss einem Vorschlag des damaligen Oberstadtdirektors Hermann Meyerhoff zu, in der vom Bombenkrieg verschonten Stadt eine Bibliothek zur Sammlung ostdeutscher Werke und Dokumente zu errichten. Ihr Ziel sollte es sein, die Geschichte der ostdeutschen Landschaften und Städte der Nachwelt zu erhalten.

 

Bis zum 1. April 1950 waren bereits 1300 Bände wertvollen und seltenen Schrifttums aus Privathand oder Antiquariaten mit Hilfe größerer Etatmittel der Stadt erworben worden. Die Sammlung wurde inzwischen zu einer Einrichtung, deren Wert über die Bundesrepublik hinaus auch im Ausland anerkannt worden ist. Im letzten Jahr wurden Bücher nach 879 Orten der Bundesrepublik, der Sowjetzone, Hollands, Dänemarks, Schwedens, Österreichs und der Schweiz ausgeliehen. In den letzten acht Jahren benutzten über 12 500 Personen und Institutionen diese Bücherei, die im gleichen Zeitraum 27 571 Ausleihen Verzeichnete. Außerdem wurden von der Bücherei fast 12 000 schriftliche wissenschaftliche Auskünfte erteilt.

 

Von den am Jubiläumstag vorhandenen 15100 Bänden, zu denen zahlreiche alte Karten, Stiche, Bilder und Vertriebenen-Zeitschriften kommen, entfallen u. a. 3700 auf Schlesien, 3600 auf Ost- und Westpreußen, 1500 auf Pommern und Ostbrandenburg und 2000 auf den sudetendeutschen Raum. Die Bücherei, die die aus freiem Entschluss der Stadt Herne gegründet wurde, erhielt später finanzielle Unterstützung von verschiedenen Ministerien.

 

 

Osteuropa-Katalog

Der seit dem Sommer 1955 von der Westdeutschen Bibliothek in Marburg bearbeitete Osteuropa-Sammelkatalog, ein alphabetisches Verzeichnis aller in deutschen Bibliotheken befindlichen osteuropäischen Werke, umfasst heute bereits etwa 110 000 Karteikarten. Weitere 130 000 Karten sind vorbereitet. Ferner arbeitet die Bibliothek zurzeit an einem Gesamtverzeichnis aller ausländischen Zeitschriften in westdeutschen Bibliotheken und Instituten. Von den etwa 35 000 zu erwartenden Titeln sind etwa 25 000 bereits erfasst und zum Druck vorbereitet.

 

Forschungsstelle für Flüchtlingsfragen

Die diesjährige Generalversammlung der Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem findet gemeinsam mit der Tagung der Europäischen Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen vom 17. bis 20. September in Baden bei Wien statt. Innenminister Oskar Helmer wird an der Eröffnung des Kongresses teilnehmen. Bundesminister Prof. Dr. Oberländer wird über „Die Flüchtlingsfrage als Weltproblem" sprechen. Referate werden ferner Prof. Dr. Heinrich, Wien, „Eingliederung der Flüchtlinge", Gesandtschaftsrat a. D. Dr. Blahut, Wien „Jugoslawische Flüchtlinge in Österreich", Dr. Gehrmann, Lüneburg, „Kulturelle Eingliederung der Flüchtlinge" und Dr. Ing. Ludowici, Jochgrim, „Arbeitsrechtliche Fragen der Flüchtlinge" halten. Die Generalversammlung wird durch den Präsidenten der österreichischen Sektion der Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem, Univ.-Prof. Dr. Egon Lendl, eröffnet werden.

 

Dokumentarfilm „Ostdeutsche Heimat heute" uraufgeführt.

Vor einem Kreis geladener Gäste und Journalisten wurde im Berliner Bundeshaus ein Dokumentarfilm unter dem Titel „Ostdeutsche Heimat heute" uraufgeführt. Es handelt sich um einen sehr anschaulichen und gut kommentierten Streifzug von 45 Minuten Dauer, der einen Einblick in alle Gebietsbereiche der Oder-Neiße-Provinzen heute gewährt. Nach der Uraufführung wurde von mehreren Seiten angeregt, den Bildstreifen durch Dokumentar-Filme aus der Vorkriegszeit zu erweitern und den heutigen Verhältnissen Bilder aus der Vergangenheit Schlesiens, Pommerns und Ostpreußens gegenüberzustellen.

 

Volkskundlicher Kongress

Den diesjährigen volkskundlichen Kongress (den 11. Deutschen Volkskundetag) hält der Verband der Vereine für Volkskunde e. V. vom 21. bis 24. Oktober 1958 in Nürnberg, und zwar im Zusammenwirken mit dem Germanischen Nationalmuseum. Mit ihm wird auch eine Tagung der Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen verbunden sein.

 

Literarischer Versuch

Der Schriftstellerverband der DDR plant die Herausgabe einer literarischen Monatsschrift, in der zeitgenössische Autoren aus Ost und West zu Wort kommen sollen. Die neue Zeitschrift soll unter dem Titel „Weltliteratur" erscheinen.

 

Corinth-Ausstellung in Ostberlin

Eine Gedenkausstellung für Lovis Corinth wurde in der Nationalgalerie in Ostberlin eröffnet. Lovis-Corinth-Ausstellungen wurden in diesem Jahr bereits in Westberlin, Wolfsburg und München gezeigt.

 

Seite 9   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Brot der Erde / Erzählung von Jochen Hoffbauer.

In den breiten Straßen der Stadt war wenig zu spüren von Kornfeldern, früchteschweren oder mageren Garben, vom Knarren des letzten Erntewagens, von der Sorge des Landmannes um gutes Wetter. Und auch von dem Singen der Dreschmaschinen, vom quirlenden Lied der Wassermühle, von der neuen Aussaat wussten die eiligen Menschen nichts, die am Morgen ihre Henkelkannen in verschwitzte Aktentaschen zwängten und flackernden Auges nach der gelben Straßenbahn sahen.

 

Der Bäcker hatte von 8 Uhr früh bis um ein halb sechs Uhr geöffnet, und wer nach dieser Zeit an die  Haustür klopfte, wurde nicht abgewiesen. In der Auslage ruhten seit jeher drei Brote; ein langes und zwei runde. Meister Krämer weigerte sich, Brötchen oder gar Konditoreiwaren auszustellen. So erzählten es jedenfalls die Kunden. Das Brot ist die Hauptsache, von ihm kommt alles her. Das sollte er einem Frager ruhig aber bestimmt geantwortet haben. Und zuzutrauen war es ihm, denn unter seiner weißen, hohen Mütze blitzten zwei schalkhafte Augen, hinter denen viel zu lesen war. Wer zu lesen verstand.

 

Brot backen, ja, das tat er schon an die vierzig Jahre in der gleichen Straße. Der goldumrahmte Meisterbrief trug ein lang zurückliegendes Datum. Aber mit dem Brotbacken allein sei es nicht bestellt, lehrte er seine Quellen und Lehrbuben schon an die vierzig Jahre. Und so mancher war darunter gewesen, der hatte sich diese Philosophie seines Meisters hinter die Ohren geschrieben. Denn der alte, gebeugte Mann dachte und sprach wie ein Philosoph.

 

Für ihn war jedes Brot, das heiß dampfend und golden aus dem glühenden Ofen kam, ein Geschenk Gottes. Und er verstand es nicht, dass seine Kunden das Brot nur kauften wie Kohl und Zucker, Butter und Milch. Und dass sie nicht mehr dankbar sein konnten für die wohlgeformten Laibe. Manchmal versuchte er mit einem beiläufigen Wort daran zu rühren. Mehr als verlegenes Lächeln auf der anderen Seite kam allerdings dabei nicht heraus, oft sogar ein verständnisloses oder abweisendes Kopfschütteln. Da ließ er es sein, denn er brauchte ja seine Kunden. Abends saß er auf der breiten Hausbank und schmauchte sein Pfeifchen. Es schmeckte ihm nach getaner Arbeit immer. Und erst wenn der Mond durch den verzweigten Lindenbaum guckte, stand er bedächtig auf und schlürfte in das Haus zurück.

 

Aber im Morgengrauen hantierte der grauhaarige Meister dann schon wieder in der Backstube wie ein Junger. Über der Tür hing ein Schild mit den Worten: Brot der Erde.

 

Und von diesen einfachen Worten ging ein unbeschreibbarer Zauber aus — dargestelt, dass ein grader Weg von den Feldern und Wiesen bis in die Backstube führte. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Bäckerei Krämer als wunderliches Haus galt, und über den versponnenen Meister lachten viel klügere und dümmere Leute, wie so gelacht wird über das, was man nicht versteht.

 

Seine besten Freunde waren die Kinder. Nicht nur, weil er so manche Zuckerschnecke und knusprige Semmel in die allzeit hungrigen Mäuler steckte. Meister Krämer hatte noch mehr zu verschenken als die Früchte seiner Arbeit. Was ihm bei den großen Kunden nie gelang: bei den Kindern fand er willige Herzen. Sie saßen um ihn herum und lauschten atemlos seinen Worten. Und Meister Krämer hatte viel erlebt und — was ja noch wichtiger ist — überall versucht, hinter die äußeren Dinge zu sehen, die uns so oft täuschen und blenden. Darum wohl drangen seine Erzählungen in die Tiefe.

 

Während des ersten Weltkrieges war Krämer in Russland gewesen, und wenn er mit ein paar Sätzen die Landschaft seiner Erinnerung nachzeichnete, bekamen auch die Kleinsten ein Bild davon, wie weit das Land sich dehnte und wie gelbe Kornfelder bis zum Horizont reichten.

 

Das könnt ihr euch nicht denken, Kinder. So weit wir sahen, Feld an Feld. Und Tag um Tag marschierten wir, müde und hungrig, an den reifen Ähren vorbei. Der Hunger, liebe Kinder, ist ein böses Geschäft. Seid froh, dass ihr ihn nicht kennt. Damals kannten wir ihn. Als Wege und Stege unter Regen und Schneetreiben eine dicke, zähe Masse wurden, dass die Stiefel und Räder stecken blieben, kamen auch die Verpflegungswagen nicht mehr nach, und wir waren auf uns selber angewiesen. Eines Morgens, zum Hunger kam die Kälte, gerieten wir in eine kleine ukrainische Stadt und sahen Licht aus den Kellerfenstern. Wo Licht ist, musste Wärme sein, und wir hatten uns nicht getäuscht. Denn das Haus war eine Bäckerei, auf den langen mehligen Brettern lag Brot an Brot. Nun wurde uns rasch warm bei der grellen Hitze des Ofens. Der Hunger regte sich mächtig angesichts der vielen runden Brote, und auch die Russen, welche in der Bäckerei ihre Dienste verrichten mussten, warfen manchen begehrlichen Blick auf das Brot. Aber in diesem waren wir brüderlich vereint: Im gemeinsamen Hunger. Und für Freund und Feind galt das strenge, gleiche Verbot, nichts von dem Brot zu nehmen. Als wir in den beginnenden, trüben Tag weitermarschierten, fuhren die Autos der Feldbäckerei vor und im Umdrehen konnten wir die Russen sehen, wie sie die Brote einluden. Wir waren froh, als der Ort hinter uns blieb und froren lieber durch unsere dünnen Uniformen.

 

Solche Geschichten wusste Meister Krämer zu erzählen. Und am Ende sagte er immer die drei Worte: Brot der Erde. Das klang wie ein starkes Amen.

 

So freundlich er zu den Kindern war, konnte er doch nicht leiden, wenn eines von ihnen Brot wegwarf. Dann funkelte sein ehrlicher Zorn aus den sonst gütigen Augen, und der Übeltäter musste eine geharnischte Strafpredigt vernehmen. Die war indessen schnell vergessen, und je besser die allgemeinen Verhältnisse wurden, umso weniger galt ein Stückchen Brot.

 

Da erzählte er den Kindern eine Geschichte aus jenen Tagen, als der Krieg zu Ende gegangen war und viel äußere Not — neben der inneren — in den Häusern wohnte.

 

Damals liefen die Menschen kilometerweit, um ein Stückchen Brot zu bekommen, und sie tauschten sogar wertvolle oder liebgewordene Gegenstände dafür ein.

 

Euer Fräulein Lehrerin wohnte auf einem Dorf, wo es bei den Bauern natürlich immer noch besser zuging als in der Stadt. Der Boden gab seine Früchte unbeirrbar, und an Brot war kein Mangel. Jeden Sonnabend fuhr Fräulein Rosner zu ihren Eltern in die Stadt, das heißt, in der letzten Zeit des Krieges und danach fuhren keine Züge mehr, und sie lief den weiten Weg, über Wiesen und Felder. Das mag wohl immer ein freundlicher Weg gewesen sein, wenn es heimging, und ein schwerer Weg am Sonntagabend zurück. In der Handtasche lagen meist zwei Schnitten „für den Heimweg", wie ihre Mutter sagte. Und die Tochter nahm das Brot, von dem sie wusste, dass es abgespart war „vom Munde", im wahrsten Sinne des Wortes. Aber Fräulein Rosner, der es im Dorf an Brot nicht fehlte, wollte der Mutter nicht wehtun, und so nahm sie immer mit stiller Dankbarkeit ihre Wegzehrung an. Einmal blieb der Brotkanten übrig und wurde von Tag zu Tag härter. Erst wollte sie das harte Stück in den Mülleimer werfen, aber sie bekam es nicht fertig. Wenn sie an ihre Mutter dachte, an die abgearbeiteten Hände, an ihr schmales Gesicht, wusste sie, dass es Sünde wäre, dieses Stück Brot zu vernichten. Abend für Abend aß sie ein Stücklein davon, ließ es langsam im Munde zergehen, und es war ihr, als ginge damit die Bitte des Gebetes ganz tief in ihr Herz, diese Bitte, die wir alle ohne Sinn und Verstand gewöhnlich vor uns hinsprechen: . . . unser täglich Brot gib uns heute.

 

Betroffen und still gingen die Kinder heim. Meister Krämer sah nur noch selten eine Brotkruste herumliegen. Mochten die Erwachsenen auch sagen, es würde Zeit, dass der Sohn den Betrieb übernähme; für die Kinder blieb Meister Krämer immer jung und klug, ein guter Freund. Und wenn sie von ihm sprachen, bei den Eltern oder in der Schule, spürte ein jeder, dass sie durch ihn etwas wussten vom ,Brot der Erde'.

 

Die blanken Telegraphendrähte sangen im Herbst ihr Lied. Rote und grüne Drachen stiegen über den bunten Wäldern empor. Der Ackerpflug riss die schwarzen Schollen jenseits des Flusses auf. Und in die breiten, kalten Straßen wehte ein Hauch der gelben Felder.

 

Seite 9   Abendliches Dorf. Von Franz Erdmann.

Fahles Stroh auf krummen Dächern,

dunkler Wald und Mondgeleucht.

Kühler Most in blanken Bechern,

grüne Wiese nebelfeucht.

 

In des Ofens Feuerbränden

backt das duft'ge Brot gelind.

Von den grauen Kammerwänden

rieselt Schlaf auf das Gesind.

 

Auch das Kind in schmaler Wiege

schläft, die kleine Faust geballt.

Pferd und Rind und Schaf und Ziege

ruhen in des Schlafs Gewalt.

 

Eulenruf und Windeswehen

und der Kettenhund auf Wacht.

Gute stille Geister gehen

Fluren segnend durch die Nacht.

 

Seite 9   War es nicht so? Von E. Klonki

Die Luft flimmerte in der Hitze des Mittags, und auf die Ähren brannte die Sonne ihre goldgelbe Farbe. Noch ein paar Tage, dann war es soweit. Die Aust konnte beginnen.

 

Es war an einem Sonntag. Ich ging langsam durch die Felder. Dicht unter der Bläue des Himmels jubelten die Lerchen; das Korn knisterte in jeder Bewegung der Reife zu. Zirpen und Rascheln, Quaken und Summen erfüllten die Luft mit dem Frieden, der von Gott ist.

 

Und wie roch es gut! Ganz tief atmete ich ein, wieder und immer wieder, und bis zum letzten Winkel pumpte ich mich voll mit dem schwersüßen Duft, den man so schwer beschreiben kann, und der sich aus warmer Erde, Kornblumen, Kamillen, Klee und nahem Wald zusammensetzt.

 

Ich war glücklich, als ich den engen grasbewachsenen Pfad zwischen den Feldern entlangging. Ich saugte förmlich alles in mich hinein: das Bild der schweren Reife, den Duft, den Sonntag und die Einsamkeit.

 

Den Schatten hinter mir sah ich nicht.

Ununterbrochen grollte es leise aus dem Osten. Kaum, dass ich es hörte. Die Front war weit weg, und in kurzer Zeit würde sie sich wieder nach Russland hinein verlagern. Wichtiger als der Gedanke daran war dies hier. Ich streichelte die kommende Ernte, schätzte den Ertrag der Ähren und zerrieb hier und da ein Korn zwischen Daumen und Zeigefinger, um des Reichtums ganz sicher zu sein.

 

Manchmal kam ein leiser Lufthauch von Osten und das Grollen verstärkte sich. Ich nahm keine Notiz davon. Das Zirpen und Summen und Rascheln um mich herum empfand ich nur als noch friedvoller.

 

Ich hörte weniger als ein Tauber.

Im Vollgefühl, eins zu sein mit Gott und meiner Erde ging ich weiter über das Land, nur von einer Sorge beschwert: dass kein Regen käme und dass die Ernte gut hereinkäme. — Nächstes Jahr würde ich dann manches anders machen. Hierhin kämen Kartoffeln, dorthin Weizen und wieder dahinter müssten Rüben gut stehen. Ich sah mir die Ackerschläge genau an.

 

Und doch sah ich weniger als ein Regenwurm.

Aus der nahen Stadt läutete man zum Hochamt. Wie rein sich die Glocken in das Zirpen und Summen einfügten! Störend war bei diesem Orchester nur der Kanonendonner. Ich nahm ihn ungehalten zur Kenntnis und schulte mein Ohr, dass es diesen unerwünschten Ton ausließ. Als das Läuten zu Ende war, ging ich um die Felder herum dem Hof zu.

 

Auf der Dorfstraße fuhr schon wieder ein Treck mit Flüchtlingen. Kleine, mit Planen bespannte Wagen, eine Kuh an diesem, eine Ziege an jenem, Eimer, Futtersäcke und Geschirre an allen. Woher mochten die Leute kommen?

 

„Goade Dag ok“.

„Goad Dag“.

„Woher koam ju?"

„Ut Goldap“.

„Wat, ut Goldap all?"

„Joa. Et watt Tid, dat ju ok goane“.

Ich lachte lauthals.

„Wi? Na däne Russe wull eck woll sähne, dä bett hierher kömmt!"

Ein alter Mann schüttelt den Kopf.

„Segg dat nech! En säwe Doaj senn se fuffzehn Kilometer voranjekoame!"

„Dat moakt nuscht! Datt es im Krieg emma so. Glow man, en säwe Doaj senn se ok wedder trickgeschmäte!"

„Na eck wät nech“.

„Watt, glowst vleicht, datt se wiedakoame?

Du best varreckt!

„Na, an Dina Stell widd eck doch sorge, datt eck bitiede rutkomm“.

„Hier kömmt keiner. Hest all jesähne, wie 't Korn steiht?"

„Joa, schwea un jähl. Wenn et man joat rennkömmt!"

„Diewel nochmoal, loat Di doch nuscht vatelle! Pass opp, in vierzehn Doaj best ok all wedda tohus. Wo wöll ju denn hin?"

Achselzucken.

„Wät eck? Wieda no em Weste. Äwe der Weichsel senn wie ja denn sicher“.

„Ich lachte.

„So wiet koam ju goarnich, denn hoale se ju wedder trick. Wascht sähne!"

„Wie denke ok. — Oawa --- wieder Achselzucken.

Ich lachte noch, als sie weiterfuhren.

Ich lachte wie ein Idiot.

 

Und dann musste auch ich weg. Unser Treck, zu spät abgefahren und zu langsam im tiefen Schnee, wurde überrannt. Der größte Teil der Wagen wurde einfach abgeschnitten. Auch meine Angehörigen. Ich entkam. Als ich das nackte Leben gerettet hatte und der Schicksale um mich herum gewahr wurde, da erst fing ich an zu sehen und zu hören. Ich lachte nicht mehr. Ich weinte um das Geschöpf, dem Gott die Liebe gab und keinen Verstand. War es nicht so!

 

Seite 9   Herbert Schmidt-Kaspar. Küste.

Und wir sind den Strand gegangen,

wo die dürren Gräser stehn,

Haar voll Wind, mit rauen Wangen,

Sand um unsre nackten Zehn.

 

Und dort rollt die See von Westen

an die Felsen und zerschellt,

atmend wie ein Tier. Die Möwe

kreischt und stürzt und stürzt und fällt

 

Schrei und Sturz, wer sie vollbrächte!

Wind und Wirbel, Salz und Schaum.

Hell die Tage, und die Nächte

mohntief, schwarz von Schlaf und Traum.

 

Schweigend, schlaflos von Gedenken

wandern Sterne übers Meer.

Ferne Schiffe, die sie lenken,

tragen Schätze zu uns her.

 

Schätze, Schrei, Sturz, Wind und Träume,

Schiffe, Sterne, Herzeleid.

Rollt die See und rollt von Westen,

rollt die Zeit, die Zeit, die Zeit.

 

Seite 9   Joseph Joubert.

Seine Gedanken an vorübergehende Ereignisse heften, heißt in den Sand schreiben, in die Wogen zeichnen und auf Windesflügel bauen.

 

Seite 9   Bild: Vincent van Gogh. Der Schnitter (Gemälde)

 

Seite 10   Atelier am Nordseestrand. Ostdeutsche Künstler können hier ihren Urlaub verleben.

Noch wenig bekannt ist diese Einrichtung der Künstlergilde Eßlingen, die vor nunmehr zwei Jahren dank der Initiative des in Cuxhaven lebenden Bildhauers Prof. Franz Rotter entstanden ist: ein Atelier am Nordseestrand, das den ostdeutschen Kulturschaffenden für einen Ferienaufenthalt mit ihren Familien offensteht. Den Raum stellte die Stadt Cuxhaven zur Verfügung, und die Einrichtung stifteten Cuxhavener Firmen, angefangen von den Bettstellen mit Federkernmatratzen und Decken bis zur elektrischen Kochplatte mit allem notwendigen Geschirr für vier Personen.

 

Die Lage ist die schönste, die man sich am Strand des bedeutendsten Nordseeheilbades nur denken kann. Im Bereich der ehemaligen, zum Teil gesprengten Festungsanlagen des Marinestützpunktes Cuxhaven-Döse gelegen, an zwei Seiten von Wald eingeschlossen, erhebt sich das Gebäude unmittelbar hinter dem Deich. Das Atelier befindet sich im ersten Stock, und man genießt vom Fenster aus einen herrlichen Ausblick über den Deich hinweg auf die See. Sämtliche Seeschiffe auf dem Wege von und nach Hamburg müssen hier passieren, und es vergehen kaum fünf Minuten am Tage, in denen nicht die Masten mindestens eines Schiffes zu sehen sind: Frachter aller Größen, Tanker, Fischkutter und die strahlendweißen Helgolandschiffe, und nicht selten auch einer der großen Ozeanriesen und Einheiten ausländischer Kriegsflotten, die Hamburg einen Besuch abstatten. Dieses Panorama tröstet auch über den einen oder anderen Regentag hinweg, den einem der unberechenbare Wettergott zuteilt.

 

Lacht aber die Sonne, dann sind es nur wenige Schritte auf den Deich und von hier an den Sandstrand, der sich über Kilometer in Richtung Duhnen erstreckt und dem vor allem Cuxhaven seine Beliebtheit als Badeort verdankt. Der Strand ist vor allem ein Paradies für Kinder. Während der Flut kann man viele hundert Meter ins Wasser hinauslaufen, ohne den Grund unter den Füßen zu verlieren. Während der Stunden der Ebbe legt das ablaufende Wasser das mehrere Quadratkilometer große Watt frei, das zu ausgedehnten Spaziergängen und die Kinder zum Muschelsammeln einlädt.

 

In der anderen Richtung verläuft in großem Bogen der ebenso beliebte Grünstrand bis zu den Kaianlagen des Cuxhavener Übersee- und Fischereihafens. Wer nicht gut auf den Beinen ist, nimmt den weniger anstrengenden Weg mit einer Barkasse über das Wasser, will er den Hafen besichtigen oder den allmorgendlichen Fischauktionen beiwohnen.

 

Auch an Unterhaltung fehlt es hier nicht. Im Strandhaus Döse gastieren ständig bekannte deutsche Unterhaltungsorchester, ebenso im Kurpark, der sich gleich an das Wäldchen anschließt und bequem in fünf Minuten zu erreichen ist. Einen besonderen Anziehungspunkt bildet hier vor allem das große Seehundbecken, das in ein Freigelände für Wasservögel übergeht. Pelikane, Flamingos, Störche, Schwäne, Reiher, Wildenten und Möwen und viele andere gefiederte Gäste aus fernen Ländern führen hier ein munteres Leben.

 

Soweit die engste Umgebung des Ateliers. Und das Atelier selbst? Es hat etwa eine Fläche von 50 Quadratmetern, die sich in das eigentliche Atelier, Wohn- und Schlafraum zugleich, und eine kleine Küche unterteilt. Drei Fensterseiten und ein Oberlicht sorgen für Ausblick und Sonne und abends, öffnet man eines der Fenster, für das kostenlose Mitgenießen des Kurkonzerts.

 

In den vergangenen beiden Sommern waren bereits eine ganze Reihe von ostdeutschen Künstlern mit ihren Familien hier zu Gast, sei es, um sich zu erholen, um zu malen oder in Ruhe ein Werk abzuschließen. Unter ihnen die Danziger Malerin Ursula Krebs, der ostpreußische Dichter Rudolf Naujok, der aus Lyck gebürtige Maler Hellmut Gramatzki, der mit dem Literaturpreis der deutschen Hochseefischerei ausgezeichnete, aus Oberschlesien stammende Dichter Hans Lipinsky-Gottersdorf, der junge sudetendeutsche Bildhauer Egon Hajek und der mit dem Rom-Preis ausgezeichnete Maler Prof. Oskar Kreibich, um nur einige zu nennen.

 

 Auch in diesem Sommer wird das Atelier bis Ende September wieder ständig belegt sein, und es ist zu erwarten, dass nach Ablauf dieser Frist der Wandschmuck dieses Raumes wieder um einige neue Bilder, Zeichnungen und Aquarelle reicher geworden sein wird. Denn das — das muss hier noch ergänzend hinzugefügt werden — ist ein ungeschriebenes Gesetz dieses Ateliers: ein jeder, der hier zu Gast weilenden Künstler hinterlässt seine Visitenkarte in Form eines Bildes oder eines seiner Bücher. So wächst hier gleichzeitig mit der Zeit ein kleines ostdeutsches Kulturzentrum, und es ist heute schon so, dass viele Heimatvertriebene, die in Cuxhaven zur Kur weilen oder über das Wochenende nach hier zum Baden kommen, diese Gelegenheit benutzen, um dem Atelier und seinem augenblicklichen Bewohner einen kurzen Besuch abzustatten.

 

Seite 10   Ostdeutsche Bildbände im Kundendienst

Drei wertvolle Bild- und Textbände über die deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße und über das Sudetenland hat eine große Weinheimer Lebensmittelfabrik für die ihren Fabrikaten beigegebenen Bildgutscheine herausgebracht. Die Bände behandeln in anschaulicher und besonders auf jugendliche Leser eingestellte Form Landeskunde, Geschichte und Kultur; beigegeben sind zahlreiche Einklebbilder in Kunstdruck. Der Ostpreußen-Band wurde von Karl Hauke bearbeitet, den Band über Schlesien schuf Walther Jantzen. während Reinhard Pozorny das Sudetenland in Wort und Bild darstellte.

 

Seite 10   Neues Kopernikus-Denkmal

Große Anstrengungen unternehmen die Polen in der ostpreußischen Bischofstadt Frauenburg, um Nikolaus Kopernikus als polnischen Gelehrten herauszustellen U. a. ist geplant ein neues Denkmal zu bauen. Das gusseiserne, deutsche Kopernikus-Denkmal wurde seinerzeit von den polnischen Truppen vom Sockel gerissen. Für die Restaurierung des berühmten Frauenburger Doms (1329 erbaut) sind mehrere Millionen Zloty bereitgestellt.

 

Seite 10   Ostdeutscher Schrifttumspreis

Der Ostdeutsche Schrifttumspreis wird in diesem Jahr zum zweiten Male bei der „Eßlinser Begegnung" der Künstlergilde Eßlingen am 10. Oktober verliehen werden. Der Preis ist mit 2000 Mark dotiert.

 

Seite 10   Menschenrechte für Urlauber. Eine Proklamation, die längst fällig war!

Ich, Schlaumeier, Freund aller Urlaubsreisenden, proklamiere:

Der Urlauber, der meist nur einmal im Jahr die lieblichen Gefilde seines Ferienlandes aufsucht und daher keinerlei Erfahrung und Routine in diesem Zwei-bis-Drei-Wochen-Job besitzt, muss ganz besondere Menschenrechte bekommen.

 

Diese Sonderrechte sollen an allen Plakatsäulen, Hoteltüren und Zugfenstern angeschlagen werden. Die Ausübung dieser Rechte darf weder übelgenommen werden noch zu irgendwelchen Nachteilen führen. Erholung ist wichtiger als alles andere. In diesem Sinne genießt der Urlauber ab sofort folgende Freiheiten:

 

1. Keiner muss Briefe aus dem Urlaub an Hausgenossen, Kollegen oder Vorgesetzte schreiben. Erlaubt sind Ansichtskarten an Bekannte, damit diese vor Neid platzen.

2. Jeder darf über die Zurückgebliebenen auch einmal etwas Schlechtes reden. Das befreit von Komplexen und fördert die Erholung.

3. Keiner muss sich mit Zufallsbekanntschaften über Nordafrika, Löhne und Preise oder die Atombewaffnung unterhalten.

4. Jeder darf Renommier-Literatur, seriöse Zeitungen und die lateinische Grammatik zu Hause lassen, falls er nicht auch im Urlaub Gehirn-Athletik betreiben will.

5. Jeder muss den gehobenen Lebensstandard, den er mühsam, das ganze Jahr zur Schau stellt, auch im Urlaub zelebrieren. Er darf Limburger Käse essen, ungebügelte Hosen tragen und vergessen, dass das Fernsehen schon erfunden ist.

6. Jeder darf die anstrengenden Tischsitten, die man zu Hause vor den Kindern und dem Personal übt, auch einmal außeracht lassen. Beim Essen darf geraucht werden, und wem es Spaß macht, der darf die Sauce mit Brotstückchen auftunken.

7. Keiner muss wissen, was „man" tut, spricht, liest und wissen muss.

8. Jeder darf im Urlaub mal ein Gläschen mehr trinken und ein Stück Kuchen mehr essen als sonst. Sparen für den Urlaub — ja! Sparen im Urlaub — nein!

9. Keiner sollte nur deshalb im Hochsommer reisen, weil „man" dann reist. Wer ein Schlaumeier ist, der fährt, wenn es irgendwie geht — preiswerter und besonders sorgsam betreut — im Spätsommer und im Herbst oder auch in der Frühsaison.

10. Jeder darf singen, obwohl er unmusikalisch ist wie ein Zollstock; tanzen, obwohl er es nicht kann; über Atomphysik reden, obwohl er nichts davon versteht (wie die anderen ja auch . . .).

11. Keiner muss den Hotelgästen auf die Nase binden, wer er wirklich ist. Das geht höchstens den Meldezettel etwas an. Falls er sich im Frühstückszimmer als Curd Jürgens, Maria Callas oder als das alte Mütterchen, dem die Staatsoberhäupter immer die Hand drücken, ausgibt, sind die anderen selbst schuld, wenn sie es glauben.

12. Jeder tut genau das, was ihm passt. Keiner redet dem anderen hinein. Kurz — für alle Urlauber die gleiche Parole: „Jeder sein eigener Schlaumeier!"

 

Seite 10   Soll man lachen oder weinen.

Ich habe mir vor ein paar Tagen in einer Ostberliner Bücherstube _ ein Buch gekauft, das immer wieder schöne „Schloss Gripsholm" von Tucholsky, lasse es mir einwickeln, lege es hinten auf die Sitzbank im Wagen und fahre los.

 

Östliche Kontrolle an der Sektorengrenze. „Und was haben Sie in dem Päckchen?" fragt der junge Volkspolizist. „Darf ich das mal sehen?"

Er blättert den Tucholsky flüchtig durch und meint: „Sie wissen, dass Sie nur fortschrittliche Werke mitnehmen dürfen?" Ich schaue ihn erstaunt an: „Ach, gibt es denn hier auch Bücher, die nicht fortschrittlich sind?"

Da beißt er sich verlegen auf die Lippen. „Nein, natürlich nicht!"

Ich darf weiterfahren. Im ersten Gang schleicht der Wagen die fünfzig Meter bis zum westlichen Posten. „Was ist in dem Päckchen?" erkundigt sich der schon etwas ältere Zöllner. „Zeigen Sie doch mal! Aha, Tucholsky! Ein Russe also!"

Er blickt mich an wie einen mittelschweren Bankräuber.

„Kommen Sie bitte mit zur Kontrollbaracke!" knurrt er, schickt mich in einen kleinen Raum und lässt mich warten, fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Schließlich kehrt er zurück, wesentlich milder gestimmt.

„Bücher für den eigenen Bedarf dürfen Sie haben — auch Russen!"  

„Tucholsky ist kein Russe", sage ich, „Tucholsky ist Deutscher!"

„Deutscher?"

„Jawohl, Deutscher! Er ist aber tot, wissen Sie, er nahm sich schon 1935 das Leben — vielleicht hat er das alles geahnt“.

Da dreht er mir den Rücken zu. Ich bin entlassen.

Ralph Schneider in ‚Publikation', Bremen

 

Seite 10   Wegels Floh-Fangmaschine.

In meiner frühen Jugend, als Cranz noch ein verhältnismäßig kleiner gemütlicher Badeort war, gab es dort ein Geschäft Wegel, in dessen Laden es wie in einem Bazar die widersprechendsten Dinge zu kaufen gab.

 

Weit mehr als alle diese Muschelkästen und Tassen mit Ansichten von Cranz und Ostsee interessierte uns Kinder aber Wegels an hervorragendster Stelle des Schaufensters aufgestellte „Floh-Fangmaschine" (damals gab es noch die heute schon großen Seltenheitswert besitzenden Plagegeister in großer Menge). Die „Maschine" bestand aus einem kleinen ausgehöhlten Rundholz, das oben eine winzige Öffnung hatte. In das Innere sollte ein Tropfen Honig hineingegossen werden, dann sollte der angelockte Floh durch das Loch hineinspazieren und, angeklebt am Honig, ein elend süßes Ende finden. Das Drolligste aber war die Reklame für diesen im Übrigen tatsächlich ernst gemeinten Apparat:

 

„Ein Philosoph war Hegel,

Das ist gewisslich wahr,

Doch auch des Vaters Wegel

Verdienst ist sonnenklar!

Sein Instrument, so sinnig,

Schafft Ruh uns in der Nacht,

Und wer es hat, dankt innig,

Wenn er befreit erwacht!"

 

Über große Erfolge der Wegelschen „Floh-Fangmaschine" hat man allerdings nie etwas gehört.

 

Seite 10   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (60)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Vor e paar Tage kamen wir mitte Emma, was meine Frau is, auf Luschnatsche zu sprechen. Ich weiß nich mehr, was dem Anstoß gab, jedenfalls hädd ich de Luschnatsche wirklich all bald ganz vergessen, wie einer manches von zu Haus mitte Zeit vergisst. Aber einer dirft ihr nich vergessen, einer muss ihr aufes Papier abmalen, wie se war. Se hädd Haare aufe Zähne und fiehrd e strenges Regement auf ihrem Hof. Se war e geborene Schinz, war das einzige Kind gewesen und hädd das Grunsstick geerbt, der Luschnat, was ihr Mann war, hädd bloß reingeheiratet. Zu sagen hädd er gar nuscht, bloß hoppsen missd er und sich ragen von morgens frieh bis abends spät. Und se hield de Dittchens fest, dass er klammheimlich Korn verkaufen missd, wenn er e bissche Geld fier e Tulpche Bier brauchd. Aber wenn se ihm dabei bedrickd, denn ging ihm schlecht. Kinder hadden se keine, dafier aber e Haufen Geld aufe Kass, und das ganze Dorf wunderd sich, zu was die beide sich so rackerden, denn fleißig war de Luschnatsche, das missd einer ihr lassen.

 

De greeßte Freid hadd se, wenn e Kuh kalbd und de Sau ferkeln tat. Einmal trafen diese beide Ereignisse zusammen, und wie de Luschnatsche denn innes Heu auch noch drei frisch gejungte Katzchens fand, vergaß se fier e Weilche ihrem Geiz und ihre Haare aufe Zähne und beschloss, zur Feier des Tages Kropfen zu backen. Se riehrd dem Teig an, machd Feier im Herd und grabbeld ganz tief im Schmalztopf rein. Und denn ging los mittes Kropfenbacken. Es ging auch alles ganz gut, bis se noch e bissche Holz auflegen wolld. Da schlug de Flamm im Kropfentopp rein, das Fett fing an zu brennen, und mit eins war de ganze Kich voll Rauch, dass nich de Augen aufmachen konndst. Und das Feier schlug im Schornstein hoch, wo de Luschnatsche ihre Schinken und ihre Speckseiten zum Reichern aufgehongen hadd. Inne erste Verzweiflung fing se an zu brillen, dass der Luschnat vonnes Holzhacken reingestirzt kam, aber schnell wieder rauslief Wasser holen. Sie hädd auch all e paar Stippels Wasser raufgekippt, aber davon reicherd es noch viel doller. Nu hädd de Luschnatsche bloß noch dem einen Gedanken, ihre kostbaren Schinken zu retten, dass se nich womeeglich verbrannden. Deshalb stelld se sich dem hohen Tritt aufem Herd rauf und kletterd im Schornstein rein. Von unten schlug ihr das Feier unterm Rock gegne blanke Beine, dass se mit eine Hand immer löschen missd. Aber mitte andre Hand grabbeld se mutig nach oben mang die Schinken mang. Sehen konnd se natierlich nuscht, denn der Rauch brannd ihr ganz aasig inne Augen, dass se se zugekniffen halten missd.

 

Der Luschnat traud sich das zweite Mal gar nich erst inne Kich rein, vleicht hoffd er auch, dass das Feier ihr e bissche de Haare vonne Zähne absengen tat. Er wüsst natierlich auch nich, weshalb de Altsche nich rauskam. Aber inne Kich nachsehen wolld er nich. Er stelld sich die lange Leiter annes Dach ran, kletterd mit seinem Eimer hoch und goss das Wasser im Schornstein rein. Nu stellen Se sich de Luschnatsche vor, wie se mang de Schinken rumgrabbeld, von unten beheizt und von oben bewässert! Das Wasser kam so plötzlich runtergestirzt, dass se mit eins de Billangs verlor, vom Tritt runterschorrd und mittem Dups im Kropfentopp zu hucken kam. Fragen Se mich nich, was der Luschnat von ihr zu heeren kriegd. Das ganze Lehen hat se ihm de Brandblasen untre Nas gehalten und sich bemieht, ihm klarzumachen, wie damlich er is. Aber Kropfen gebacken hat se von die Zeit an nich mehr.

 

Ja, so hält das Leben neben die allgemeine Ieberraschungen fier jedem immer noch e besondre parat. So auch fier dem jungen Pfarrer Rubbel aus Ochsmehnen. Da muss ich Ihnen aber erst mittes Friedche Loebel bekanntmachen. Das Friedche war de älteste Tochter vom Besitzer Loebel. Der war abgebrannt und hädd sich denn vores Dorf nei eingebaut. De Friedche hädd e eignes Stubche aufe Lucht mit e Fenster nachem Garten. Außerdem hädd se einem heißblietigen Breitgam, dem Role Onusseit. Se war e hibsches, druggliches Mergellche mit rote Backchens und blonde Zöpfe, und der junge Pfarrer Rubbel hädd auch e Aug auf ihr geschmissen, teils weil es ihm jedesmal untre West buffsen tat, wenn er ihr zu sehen kriegd, teil, weil er sowieso e Bauerntochter heiraten wolld. Bauerntöchter sind gesund und fruchtbar, sagd er sich. Dem Besitzer Loebel kam das gerad recht, denn er wolld mit sein Friedche hoch hinaus, und im Stillen sonnd er sich all immer in das stolze Gefiehl, einem akademischen Schwiegersohn zu haben. Deshalb machd er dem Pfarrer Mut und erzähld ihm, wie doll sich de Friedche nach ihm bangen tat. Aber das war natierlich alles nich wahr, de Friedche hädd bloß Augen fier Onusseits Role und nich fier dem spacheistrigen Pfarrer mittem Scheßkerock und mitte dicke Brill aufe Nas. Außerdem war er auch noch schichtern, denn er wurd immer rot, wenn se ihm mal begegnen und heeflich begrießen tat. Denn fing er an zu stottern und erzähld ruckweis vom Daniel in der Löwengrube, und gerad von sone blutrinstige Geschichten wolld de Friedche schon gar nuscht wissen.

 

„Se missen energisch sein", meind der alte Loebel, „und Se missen auch mal was riskieren. Die Zaghaften haben kein Glick bei junge Mädchen, sondern bloß de Draufgänger“. Also beschloss der Herr Plarrer Rubbel, e Draufgänger zu werden. Aber bloß wie? Er stelld sich vorem Spiegel, schmiss sich inne Brust und las eifrig das Buch „Wie werde ich energisch?', wo er sich fier drei Mark fuffzig außem Katalog verschrieben hädd. So vorbereitet, schlich er jedem Abend wie e verliebter Kater um Loebels Haus rum, bis er einmal seinem ganzen Mut zusammennahm und ieberm Zaun im Garten reinhoppsd. Zwar blieb er mitte Bixen am Stacheldraht hängen, aber das machd sich bezahlt, denn vore Friedche ihr offenes Fenster hing e dicke Lein runter bis aufe Erd, und unten war e Wäschekorb angetiedert.

 

Sein Herz jauchzd, aber wie er mit seine verklärte Augen genau hinkickd, huckd der Role Onusseit im Korb drin und rucksd dreimal anne Lein. Da hob sich der Wäschekorb, schwebd inne Höh, und der Role wurd oben vonne Friedche umärmelt und in ihr Stubche reingezoddert.

 

„Wart", dachd der Pfarrer Rubbel, „das kannst auch". Aber wenn er sich abends an dem Liebesfahrstuhl einfand, war der Role all im Korb oder all oben bei e Friedche. Und denn kam er einem Abend doch zur  Zeit, der Role hadd sich irgendwie verspät. Wupp, hoppsd der Pfarrer rein im Wäschekorb, rucksd dreimal anne Lein, und schon schwebd er inne Höh, dem Liebesglick entgegen. Hädd er es bloß nich gemacht! War er bloß aufe Erd geblieben! Der gute Pfarrer Rubbel wurd nämlich doppelt entteischt. Wie er oben ankommt und seine Arme draufgängerisch umme Friedche ihre Figur legen will, erkennt die ihm, kreischt auf, lässt de Lein los, und der Wäschekorb saust mittem Pfarrer runter in die Tiefe. Und unten steht der alte Loebel mittem Knippel. Der war nämlich dem Role Onusseit auf die Schliche gekommen und wolld ihm de Liebe zu sein Friedche auspriegeln und auf die Art dem Pfarrer Rubbel dem Weg freimachen. Nu spuckd er sich inne Händ und haud los wie auf kalt Eisen, denn wenn es wirken solld, mussd es durchkommen. Der Pfarrer brilld wie am Spieß, denn beim Aufstuksen hädd er sich dem rechten Knöchel verstaucht, und nu gabs auch noch Priegel mittem Knippel. Bis der Loebel merkd, wen er da verpriegeln tat, hädd der Herr Pfarrer all e geheerige Schicht weg, und dem andern Tag hat sich das ganze Dorf ieber ihm veramesiert, dass se ihm versetzen missden. Und denn hat de Friedche doch ihrem Role gekriegt.

Herzliche Grieße. Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 11   Kameradschaft Luftgau I

Schriftführer W. Gramsch (20a) Celle, Waldweg 83, Telefon 47 34.

 

Suchdienst.

Gesucht werden von der Fliegerhorst-Kommandantur Wormditt: Oberzahlmeister Siegmund (Amtskasse) und Gorgs; Hauptmann Schmidt von der Fliegerhorst-Kompanie und der Angestellte Karl Sittmann zur Klärung von Rentenfragen für Hans Hesse. (17b) Offenburg-Süd, Lilienweg 11

 

Angehörige der Flugzeugführerschule (A/B) Königsberg-Devau; ferner von der Abt. Ic (Kartenstelle) im Lgk. I die Majore von Alten und Chop, die Angestellte Frl. Speidel und Frl. Baltrusch sowie der Angestellte Otto Behrendt; ferner Angehörige der Kurierstelle des Lgk. I vom Jahre 1939 und Reg.-Ob.-Inspektor Foerster und der Obf. Siebert (dieser aus Tilsit) zur Bestätigung seiner früheren Dienstzeit zwecks Wiederverwendung für Udo Bessel. Hamburg 20, Heckscher Straße 9a.

 

Der Techn. Oberinsp. Emil Grünberg, Stab Lgk. I. Gruppe Nafü/1p, von Peter A. Hackländer, Remscheid, Postfach 168.

 

Der bisher vermisste Stabgefreite Erich Lutz, geb. 18.10.1905 zu Königsberg/Pr.. Feldpost-Nr. L 60 199, zuletzt beim Flugplatz-Kdo. Devau, von seiner Ehefrau Rotraut Lutz, Mülheim/Ruhr, Kappenstraße 61. Lutz gehörte dem Wassersportverein Königsberger Kanu-Club an und wohnte in Königsberg/Pr., Entengasse 5; er ist seit der Kapitulation von Königsberg vermisst.

 

Frau Berta Springer, wohnhaft Berlin-Charlottenburg, Am Rupenhorn 8, war seit 1940 als Telefonistin beim Lgk. I tätig. Ihre Besoldung erfolgte nach TOA VII. Sie sucht Zeugen für ihre damalige Tätigkeit und Besoldung zur Regelung ihrer nun anfallenden Rentenansprüche.

 

Die Kameradschaft Luftgau I nimmt an einer Feierstunde am Ehrenmal in Göttingen am Sonntag, dem 7. September, um 11 Uhr (im Rosengarten) mit anschl. Treffen im „Deutschen Garten" teil. Ich bitte um Anmeldung für die Teilnahme möglichst bis zum 1. September an meine Anschrift.

 

Kameraden! Unsere vordringliche Aufgabe ist neben der Suche nach Vermissten die Mithilfe bei der Herbeischaffung von Unterlagen und Zeugen für die Rentenversorgung, weil vor allen Dingen für die zivile Gefolgschaft keinerlei Personalunterlagen sichergestellt worden sind. Daher ist die Mitarbeit jedes Kameraden, der dazu in der Lage ist, sehr wertvoll.

 

Seite 11   Traditionsverband der ehem. 291. Inf.-Div.

Der Traditionsverband der ehemaligen ostpreußischen 291. (Elch-) Infant.-Division (Kameradenhilfswerk) e. V. ruft seine ehemaligen Divisionsangehörigen und die Hinterbliebenen der Gefallenen und Vermissten zu einem Treffen am 30. und 31. August 1958 in Bingen (Stadthalle) auf, um dort In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz Vermisstenschicksale zu klären. Der Traditionsverband verzeichnet heute noch etwa 5700 Vermisste, über deren Schicksal überhaupt nichts bekannt ist.

Meldungen zur Teilnahme am Treffen an den 1. Vorsitzenden Oberst a. D. Illas. (23) Oldenburg i. O., Bremer Straße 46.

 

Seite 11   Es starben fern der Heimat.

Reichsbahn-Insp. i. R. Franz Bordasch aus Königsberg/Pr. im Alter von 83 Jahren am 14. Juli 1958 in Bad Zwischenahn.

 

Landwirt Julius Bronnert aus Britannien (Elchniederung) im Alter von 84 Jahren am 24. Juli 1958 in Oldenburg.

 

Maria Kapuschinski geb. Lutz aus Pillau im Alter von 92 Jahren am 31. Juli 1958 in Lüneburg.

 

Helene Ludwigkeit geb. Rimkus aus Norkitten im Alter von 68 Jahren am 17. Juli 1958 in Soltau.

 

Martha Matsche geb. Klement aus Seeberg im Alter von 80 Jahren am 15. Juli 1958 in Masendorf bei Uelzen.

 

Wilhelmine Rehberg geb. Weinert aus Wesslinken bei Danzig im Alter von 77 Jahren 1958 in Goslar.

 

Witwe Elisabeth Rudzewski geb. Wenger aus Eydttau im Alter von 83 Jahren am 18. Juli 1958 in Bücken, Grafschaft Hoya.

 

Seite 11   Patenschaft über Danziger Gymnasium

Düsseldorf. Das diesjährige Bundestreffen der Danziger bot im Zusammenhang mit dem 400-jährigen Jubiläum des Städtischen Gymnasiums Danzig eine gute Gelegenheit, dem Humboldt-Gymnasium in Düsseldorf die Patenschaft über die alte Schule der ehemaligen Freien Reichsstadt anzutragen. Zahlreiche Gäste vom Bund der Danziger und Vertreter der Stadtverwaltung und der Landesregierung kamen zum Festakt in die Aula des Humboldt-Gymnasiums und wurden von Oberstudiendirektor Dr. Würtenberg begrüßt.

 

Regierungsrat Ziegert von der Vertretung der Danziger erinnerte an die alten Schulen in Danzig, von denen nichts mehr vorhanden sei „Trotzdem leben sie in unserem Herzen, denn wir haben in ihren Räumen die schönsten Jahre unseres Lebens verbracht“. Nachdem die Stadt Düsseldorf als Patenstadt den Danzigern eine freundliche Aufnahme bereitet habe, sei das Humboldt-Gymnasium bereit gewesen, die Tradition des 400-jährigen Danziger Gymnasiums zu übernehmen. Als Geschenk und Zeichen des Dankes übergab Regierungsrat Ziegert ein Hafenbild der alten Hansestadt.

 

Dr. Sternfeld, der Präsident der Vertretung der Freien Stadt Danzig, betonte, aus dem alten Gymnasium seien einst viele Männer hervorgegangen, die später zur geistigen Führung Danzigs berufen worden waren. Als Ausdruck der Verbundenheit mit dem Humboldt-Gymnasium überbrachte der Präsident einen vierarmigen Leuchter mit den Symbolen der ostdeutschen Stadt.

 

Oberstudiendirektor Dr. Würtenberg sagte für diese Gaben seinen herzlichen Dank und hob hervor, dass hier eine Tradition der anderen die Hand reiche. Wenn auch das Humboldt-Gymnasium nicht auf das Alter des Danziger Gymnasiums zurückblicken könne, so sei es doch das Zweitälteste Gymnasium in Düsseldorf und auch vor Zerstörung und schlechten Zeiten nicht bewahrt geblieben. Dr. Würtenberg erwähnte das gesamtdeutsche Schicksal Danzigs im Zusammenhang mit dem 17. Juni. „Wir wissen, dass der Weg zur Wiedervereinigung noch lang und dunkel sein kann. Aber wir lassen nicht von unserer Zusammengehörigkeit, und wir hoffen, dass mit den Polen, die zurzeit auch in einer Klammer leben, sich eines Tages ein Gespräch führen lässt“.

 

Seite 11   Patenschaft Celler Gymnasium Ernestinum über Gymnasium zu Marienwerder.

Am 21. September wird in Celle, der Patenstadt des Kreises Marienwerder, anlässlich eines Treffens der ehemaligen Marienwerderer Gymnasiasten in einer Feierstunde das Gymnasium Ernestinum die Patenschaft über das ehemalige Gymnasium Marienwerder übernehmen. Damit finden wie schon in so manchen anderen Städten ehemalige Schüler und Lehrer einer altwürdigen ostdeutschen Schule (die Marienwerderer Schule geht auf die alte Dom- und Kathedralschule zu Marienwerder zurück und wurde 1812 zum Königlichen Gymnasium erhoben) eine Heimstätte an einem westdeutschen Gymnasium mit gleichehrwürdiger Tradition.

Nähere Auskünfte erteilen: Dr. F. Neumann, Holzminden (Weser), Landschulheim, und Ob.Studienrat i. R. W. Zilz, Celle, Spörkenstr. 49.

 

Seite 11   Deutsch-polnische Jugendlager abgesagt.

Berlin. Mehrere Begegnungen westdeutscher und polnischer Jugend-Delegationen, die u. a. in Warschau und im Danziger Raum stattfinden sollten, sind jetzt von polnischer Seite abgesagt worden. Die Initiative für diese Treffen war u. a. von Westberliner und westdeutschen sozialdemokratischen Jugendorganisationen ausgegangen, die Absagen erfolgten ohne Angabe von Gründen.

 

Seite 11   Foto: Symbole der Patenschaft.

Im Angerburger Zimmer des Speichers auf dem Burgberg-Gelände in Rotenburg/Hann, hängen die beiden Wappen des Landkreises Angerburg (rechts) und seines Patenkreises Rotenburg (links) symbolhaft nebeneinander. Vor den Wappen Oberkreisdirektor Janssen. Der Kreis Rotenburg übernahm bereits 1955 die Patenschaft über den Kreis Angerburg. Foto: Bruns

 

Seite 11   Siegfried Passarge gestorben.

Im Alter von 92 Jahren starb am 26. Juli 1958 in einem Bremer Sanatorium der bekannte, aus Königsberg gebürtige Geograph, Forscher und Weltreisende Siegfried Passarge, ein Sohn des ostpreußischen Schriftstellers Ludwig Passarge. Seine Forschungsreisen, deren Ergebnisse er in mehreren Werken niedergelegt hat, führten ihn u. a. nach Afrika, Asien und Südamerika.

 

Siegfried Passarge war bis 1908 als Ordinarius für Geographie an der Universität Breslau, danach bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1936 an der Universität Hamburg tätig. Seiner Initiative dankt die Hamburger Universität die Einrichtung des Geographischen Instituts. Passarge war Ehrendoktor der Hamburger Universität und Inhaber der Goldenen Kirchenpaur-Medaille. Sein Name genießt in Fachkreisen der ganzen Welt großes Ansehen. Ostpreußen verliert in Siegfried Passarge einen seiner Besten.

 

Seite 11   Wir gratulieren!

Goldene Hochzeit

Eheleute Wilhelm Koppe und Emma Koppe, geb. Goertz, aus Königsmoor/Westpreußen am 14. Juli 1958 in Bollingen. St. Michaelis-Stift.

 

Eheleute Robert Witt und Marie Witt, geb. Wieknig, aus dem Kreis Thorn am 7. Juli 1958 in Albstedt bei Bremerhaven.

 

100. Geburtstag

Ottilie v. Keller, gebürtig aus dem Kreis Ortelsburg, am 7. Juli 1958 bei ihrer Tochter in Celle, Jacobistraße 4.

 

81. Geburtstag

Fräulein Marie Mulack, aus Königsberg/Pr., General-Litzmann-Straße, am 16. Juli 1958 bei ihrer Schwester in der Sowjetzone. Die Jubilarin war lange Jahre bei der Firma Weidlich in Königsberg, Altstädter Markt, als Einkäuferin und Verkäuferin tätig. Zu erreichen über Wilhelm Roßmann, Hannover, Rehbergstraße 8.

 

80. Geburtstag

Rentner Peter Kiehl, aus Danzig am 30. Juli 1958 in Sudheim, Kreis Northeim, Lange Straße 30.

 

Gestütswärter Wilhelm Niehs, gebürtig aus Elbing, in Rastenburg tätig gewesen, am 21. Juli 1958 in Osnabrück, Nonnenpfad 16.

 

Rentner Artur Tiedmann, aus Balga/Ostpr. am 17. Juli 1958 in Ashausen bei Winsen.

 

77. Geburtstag

Rentner Julius Nikoleit aus Ostpreußen am 17. Juli in Brackel bei Winsen.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit.

 

Seite 11   Bundesverdienstkreuz für Emil Schilinski

Der Bundespräsident verlieh dem Ehrenvorsitzenden der Landsmannschaft Ost-, Westpreußen und Wartheland von Goslar-Stadt, Malermeister Emil Schilinski, das Bundesverdienstkreuz. Die Überreichung erfolgte in einer Feierstunde im Hotel „Kaiserworth" im Beisein des Oberbürgermeisters von Goslar durch den Verwaltungspräsidenten Dr. Knost, Braunschweig. Der heute 71-jährige stammt aus Elbing und hat bereits in seiner westdeutschen Heimat zahlreiche Ehrenämter ausgeübt. Er wurde 1948 in den Rat der Stadt Goslar gewählt, aus dem er erst 1956 ausschied, und in dem er stets die Belange der Flüchtlinge vertreten hat. Schilinski, der bereits 1945 sich tatkräftig in die Flüchtlingsarbeit einschaltete, gründete am 10. März 1948 die Landsmannschaft Ost-Westpreußen und Wartheland, deren Ehrenvorsitzender er heute ist. Das gleiche Ehrenamt übertrug ihm der Bund der vertriebenen Deutschen.

 

Seite 11   Bundesverdienstkreuz für Dr. Paul Pockrandt

Dem langjährigen Mitarbeiter in den Vertriebenenbeiräten des Landes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzenden der Landesgruppe der Landsmannschaft Westpreußen, Regierungsveterinärrat i. R. Dr. Paul Pockrandt, Hiddesen-Detmold, verlieh der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz. Die Auszeichnung wurde ihm am 7. Juli 1958 im Arbeits- und Sozialministerium durch Staatssekretär Hölscher überreicht. Dr. Pockrandt vollendete in diesem Jahre am 29. März 1958 sein 70. Lebensjahr.

 

Seite 12   Suchdienst

Königsberger Achtung! Ich suche meinen Jugendfreund Ernst Baufeld oder Baufeldt und dessen Frau Hertha Baufeld oder Baufeldt, geb. Nassutta, fr. Königsberg, Münchenhofdrogerie. Sie haben zusammen bis Juni 1957 in Cottbus, Sowjetzone, gewohnt. Nach meinen Ermittlungen sind sie dann nach Westdeutschland verzogen, wahrscheinlich in den süddeutschen Raum. Frau Baufeldt oder Baufeld, ist aus Treuburg gebürtig, Sie ist die Tochter des Töpfermeisters Nassutta. Zweckdienl. Hinweise erbeten an Kurt Lux, Dinslaken, Roonstraße 20/I.

 

Wer weiß etwas über meine Eltern: Bäckermeister Gustav Biallas (geb. 27.03.1883) und Frau Ida Biallas, geb. Matthee (geb. 17.07.1885) aus Treuburg, Lötzener Straße 237. Sie waren zuletzt nach Gut Sternfelde im Kreis Sensburg evakuiert. - Nachrichten erbeten an Otto Biallas. Hattingen/Ruhr, Akazienstraße 12.

 

Seite 12   Feierstunde am Ostpreußen Denkmal.

Göttingen. Wie alljährlich, so ruft auch in diesem Jahre die Landsmannschaft Ostpreußen e. V. Göttingen zu der traditionellen Gedenkstunde am ostpreußischen Ehrenmal in Göttingen auf. Nachstehend bringen wir unseren Lesern den Wortlaut dieses Aufrufs zur Kenntnis.

 

 Auch in diesem Jahre wollen wir Ostpreußen vor dem ostpreußischen Ehrenmal in Göttingen die nun schon zur Tradition gewordene Gedenkstunde abhalten. Diesmal ist hierfür Sonntag, der 7. September 1958 bestimmt. Wieder werden sich, zusammen mit der Göttinger Bevölkerung, zahlreiche ostpreußische Landsleute im „Rosengarten" versammeln, um ihrer Gefallenen ehrend zu gedenken. Eingebettet in das grüne Halbrund einer herrlichen Anlage steht der graue Soldat des ersten Weltkrieges, überragt das Geviert der rötlichen Sandsteinmauern, in welche die Ehrentafeln der tapferen ostpreußischen Divisionen und Verbände eingelassen sind. Oft verhält hier schon frühmorgens ein eiliger Schritt zu kurzem Besinnen. Gleich früh findet sich stets eine Mädchenschar aus einer der nahen Schulen ein, um Ordnung zu schaffen und um den Blumen in ihren Tonkrügen frisches Wasser zu spenden; denn täglich bringen die Göttinger, darunter viele Ostpreußen, neuen Blumenschmuck. Am 7. September wird nach dem Feldgottesdienst der Innenraum des Ehrenmals wieder gefüllt werden von den Kränzen der Vereine und Verbände. Die Ostpreußen von nah und fern werden wieder ihren Blumengruß vor dem Ehrenmal niederlegen lassen: Tausende von Blumensträußen, von welchen jeder auf weißer Seidenschleife den Namen eines ostpreußischen Gefallenen trägt.

 

Längst sind die Landsleute in Göttingen wieder mit den Vorarbeiten für diese einzigartige Ehrung unserer ostpreußischen Gefallenen beschäftigt. Dennoch droht, wie jedes Jahr, auch diesmal die Gefahr, dass sich erst kurz vor dem 7. September die Blumenstraußbestellungen so häufen, dass unsere Helfer die Arbeit kaum noch schaffen.

 

Wir hoffen, dass auch Sie sich an dieser Ehrung Ihrer Toten aus beiden Weltkriegen beteiligen werden und bitten Sie, in diesem Falle für die Bestellung Ihrer Sträuße die anliegende Zahlkarte zu benutzen. Für deutliche Schrift (Druckschrift) Angabe Ihrer Postleitzahl und unverzügliche Absendung Ihrer Bestellung wären wir Ihnen besonders dankbar. Durch besondere Vorkehrungen wird es möglich sein, dass jeder Strauß mit handbeschrifteter Schleife nur 1,20 DM kostet. Dieser geringe Preis wird sicher dazu beitragen, dass der schöne Brauch, auch für unbekannte Soldaten Sträuße zu bestellen, z. B. als Dank für eigene Bewahrung im Kriege, nicht einschläft.

 

(Einzahlungen von Kranzspenden an Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Göttingen, Postsdieckkonto Hannover 87818 oder Kreissparkasse Göttingen Kto. 4641.)

 

Seite 12   Sender Freies Berlin schränkt Ostdeutschland-Sendezeit ein.

Berlin. Entgegen den Erwartungen zahlreicher Hörer in den Kreisen der Heimatvertriebenen wird die einzige regelmäßige Sendereihe für Flüchtlinge und Heimatvertriebene im Sender Freies Berlin, die bisher in Zusammenarbeit mit dem NDR und dem WDR jeweils am Sonnabend unter dem Titel „Alte und neue Heimat" gestaltet worden war, ab August stark eingeschränkt. Die Sendung wurde von 30 Minuten auf 15 Minuten gekürzt. Im NDR und WDR wird die Reihe in vollem Umfange beibehalten.

 

Seite 12   Ost-Bücherei wächst.

Oldenburg. Auf über 550 Bände erweitert und in renovierten Räumen wird sich nach der Sommerpause die „Ostdeutsche Jugendbücherei" im Haus der Jugend an der Huntestraße ihren Benutzern vorstellen. Die von Mittelschullehrer Joachim Engelmann gegründete Bibliothek konnte jetzt auf Antrag durch städtische und staatliche Mittel ergänzt werden, Sie bietet Jugendgruppen, Lehrern, Studenten und Schülern namhafte Literatur über Ostgeschichte, aktuelle Ostprobleme und berühmte ostdeutsche Persönlichkeiten. Die Bücherei enthält weitere Bildbände, Sammelwerke ostdeutscher Dichter und Agnes-Miegel-Rezitationen auf Schallplatten.

 

Seite 12   Bund der Preußen.

Die Landesgruppe Rheinpreußen-Westfalen des „Bundes der Preußen" tagt am ersten Dienstag jeden Monats (außer August) um 19 Uhr im „Bahnhotel Müller", Bonn, links gegenüber dem Hauptbahnhof. Landsleute sind herzlich willkommen!

Anschrift der Landesgruppe: Bad Godesberg, Kölner Straße 14a; Tel.: Godesberg 2965,

 

Seite 12   Aus den Landsmannschaften.

Itzehoe.

Der 1. Vorsitzende der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen, Schulrat i. R. Grohnert, gab zu Beginn der letzten Vorstandssitzung einen Überblick über die weltpolitische Lage unter besonderer Berücksichtigung der Oder-Neiße-Gebiete. Moskau, führte er dabei aus, schenke heute der Oder-Neiße-Frage in zunehmendem Maße seine Beachtung und sei über die allgemeine Verwahrlosung und den Verfall in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten enttäuscht. So sei es anlässlich eines Besuches einer sowjetischen Delegation unter der Leitung des Staatspräsidenten Woroschilow in Polen verschiedentlich zu lebhaften Diskussionen bei der Erörterung eines Berichtes der sowjetischen Sonderkommission, die in offiziellem Auftrage die Oder-Neiße-Gebiete bereist hatte, gekommen. Woroschilow habe dabei ganz offen seiner Enttäuschung über die Zustände in diesen Gebieten zum Ausdruck gebracht und bemerkt, dass Moskau diese Dinge mit wachem Interesse beobachte. Das sei schon deshalb erforderlich, weil Warschau offenbar bemüht sei, „den sowjetischen Freunden und Helfern" diese negativen Erscheinungen zu verheimlichen. Landsmann Grohnert kam in seinen Ausführungen zu dem Schluss, dass diese sowjetischen Rügen einen hochpolitischen Akzent in sich tragen; diese Entwicklung könne möglicherweise der Angelpunkt für eventuelle Gespräche Bonns mit Warschau und Moskau über die deutschen Ostgebiete sein.

 

Die jüngste Singgemeinschaft Itzehoes, der gemischte Chor der Ost- und Westpreußen, veranstaltete in Baumanns Gesellschaftshaus einen Konzert- und Rezitationsabend unter dem Motto „Ostdeutschland in Lied und Wort". Guter Besuch, u. a. Vertreter der Stadt und des Kreises, belohnte das erfolgreiche Bemühen der Vortragenden.

Die Landsleute Hans Handt und Kurt Radtke fanden mit ihren Rezitationen viel Anklang.

 

Seesen a. H.

Das geistige Antlitz des altpreußischen Ordenslandes“ zwischen Wechsel und Memel und die Weltweite Ausstrahlung der unsterblichen Leistungen seiner Künstler, Dichter und Denker von Kopernikus bis Kant zeichnete Landeskulturwart Gerhard Staf-Salzgitter der LO in einem tiefschürfenden Vortrag beim Heimatabend am 5. Juli. Anschließend folgten Kurzberichte von Landwirtschaftsoberlehrer Luszik über „Probleme der Wiedervereinigung und der bevorstehenden Gripfelkonferenz“ und von Sozialreferent Wilbudies über „Aktuelle Fragen zum Lastenausgleich“. Beim geselligen Ausklang zeigte sich Frau Lina Fahlke wieder als vortreffliche Interpretin ostpreußischen Humors.

Beim nächsten Heimatabend am 2. August wird der Vorsitzende, Schulrat a. D. Papendick einen Lichtbildervortrag über „Ostpreußen – Nördliche Wanderung“ halten.

 

Seite 12   Kürschners Literaturkalender

Kürschners deutscher Literaturkalender 1958 erscheint nach sechsjähriger Pause in einer neuen Auflage im Verlag Walter de Gruyter, Berlin. Der stark erweiterte Band im 53. Jahrgang umfasst 1000 Seiten und ist durch zahlreiche neue Übersichten (Verzeichnis der schöngeistigen Verlage der deutschsprachigen Zeitschriften, der literarischen Verbände usw.) ergänzt worden.

 

Seite 12   Heimatgemeinschaft Rößel

(Fördererring) hatte kürzlich zahlreiche Mitarbeiter des „Rößeler Heimatboten" sowie Vertreter des Kulturbundes Deutscher Osten und der Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Niedersachsen, zu einer Arbeitstagung nach Hannover eingeladen. In Vertretung des 1. Vorsitzenden, Oberstudiendirektor Dr. Poschmann, der durch die Vorbereitung seiner Spanien-Reise an der Teilnahme verhindert war, begrüßte Geschäftsführer Lehrer E. Poschmann die Erschienenen und gab der Hoffnung Ausdruck, dass diese erste Arbeitstagung des Fördererkreises, die sich mit wichtigen Fragen unserer kulturellen Arbeit beschäftigen werde, zu einer fruchtbaren Diskussion führen möge. Dreizehn Jahre nach der Vertreibung sei die Frage berechtigt, wie tief noch das Wissen um den deutschen Osten im deutschen Volke und besonders in der deutschen Jugend lebendig sei. Aus dieser Fragestellung ergeben sich gewisse Forderungen auch an unsere Arbeit im Hinblick auf die Erhaltung des Heimatgedankens in unserer Jugend.

 

Den Mittelpunkt der Tagung bildete der Vortrag von Rektor Fiedler. Celle, über „Wandlungen im Ostbild unserer Jugend", der uns ein eindrucksvolles Bild über die heutige Einstellung der Jugend zum deutschen Osten vermittelte. Unsere äußerst schnelllebige Zeit, der ständige Blick nach dem Westen und schließlich die Diffamierung des Begriffes „Preußen" haben dazu geführt, dass die Jugend anders und realistischer denkt und fühlt als wir, die wir noch eine persönliche Bindung an die alte Heimat haben. An die Verantwortlichen in unseren Reihen, die Vertriebenenverbände und -gruppen ergehe der dringende Ruf, noch mehr als bisher die kulturelle Arbeit zu pflegen und zu fördern. Wir dürfen nicht in Organisationsfragen und dergleichen ersticken, die Erhaltung des ostdeutschen Gedankens in den Herzen unserer Jugend werde dazu beitragen, die "Probleme des deutschen Ostens richtig zu sehen.

 

Der Landesgeschäftsführer der Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Niedersachsen, Meitsch, betonte, dass trotz aller Behinderungen die Kulturarbeit an der ostdeutschen Jugend erfolgreich fortschreite. An Hand von Einzelbeispielen zeigte er auf, wie fruchtbar Kulturarbeit sein kann, wenn sie nur richtig angepackt wird.

 

Landsmann Kostka, Bischofstein, berichtete über die Entstehung seiner Familien- und Heimatchronik, die nach der Vertreibung entstanden ist. In unermüdlicher Kleinarbeit hat er eine Chronik zusammengestellt, die als vorbildlich bezeichnet werden kann. Zahlreiche Fotos, Zeitungen, Zeitungsartikel und -ausschnitte — zum Teil aus der Vorkriegszeit —, dazu eine Reihe von Artikeln aus den heutigen Heimatblättern bilden den Grundstock dieser wertvollen Heimatsammlung, die durch neues Material laufend ergänzt wird. Viel Mühe und Fleiß steckt dahinter, eine beachtliche Leistung, die alle stark beeindruckte. Wir können Landsmann Kostka zu dieser Heimatchronik nur beglückwünschen, sie ist ein kostbares Dokument, das er in die Hände seiner Kinder legt. Wir würden uns freuen, wenn wir über ähnliche Heimatarbeiten berichten könnten. Abschließend berichtete Lehrer Poschmann über die Aufgaben und Ziele des Fördererkreises der Heimatgemeinschaft Rößl und gab einen Rückblick über die bisherige Kulturarbeit. Im Interesse einer intensiven Arbeitsmöglichkeit wurden Verbindungen zu anderen ostdeutschen Kulturorganisationen und Arbeitskreisen hergestellt, ebenso stehen wir in Verbindung mit dem ermländischen Geschichtsverein und dem Jungen Ermland. So bleiben wir bemüht, durch die Pflege unseres heimatlichen Kulturgutes das Heimatbewusstsein zu stärken, die Erinnerung an unsere unvergessene Heimat wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass insbesondere unsere Jugend ein anschauliches Bild über unseren Heimatkreis und unsere ermländische Heimat erhält. Andererseits wollen wir durch unsere Arbeit auch immer wieder dies herausstellen: Das Schicksal des deutschen Ostens ist unser aller Schicksal, es ist auch das Schicksal des Westens. Ein gesamtdeutsches Bewusstsein sei notwendig, das sich aber nur dann entwickeln könnte, wenn die Kulturleistungen des deutschen Ostens nicht der Vergessenheit anheimfallen.

 

Landsmann Masuth, Hamburg, ergänzte die Ausführungen und klärte die Anwesenden über die augenblickliche Situation in der Kreisgemeinschaft Rößel auf. Die gegensätzlichen Auffassungen über die Rechtmäßigkeit der im Vorjahre erfolgten „Kreistagswahl" bestünden auch noch heute. Erst wenn der ganze Kreis hinsichtlich dieser Frage einig sei, werde eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Ermland und der Landsmannschaft Ostpreußen möglich sein.

 

Mit einem herzlichen Dank schloss Geschäftsführer Poschmann die Arbeitstagung, sein besonderer Dank galt den Ehemaligen der Bischofsburger Oberschule, die es sich nicht hatten nehmen lassen, im Rahmen ihres Jahrestreffens auch an dieser Veranstaltung teilzunehmen.

 

Rückblickend kann gesagt werden, dass diese Arbeitstagung in jeder Hinsicht ein voller Erfolg war. Es war die Erste dieser Art, und sie wird hoffentlich nicht die Letzte sein! Teschner

 

Die Jahreshauptversammlung der Heimatgemeinschaft Rößel (Fördererring) findet am 14. September ds. Js. in Meppen/Ems statt. Näheres im Rundbrief für den Kreis Rößel („Rößeler Heimatbote"). Tagesordnung wird noch bekanntgegeben.

Erwin Poschmann, Geschäftsführer, Kisdorf über Ulzburg, Holstein

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