Ostpreußen-Warte, Folge 08 vom August 1956

Ostpreußen-Warte

Folge 08 vom August 1956

 

Seite 1   Foto: Zisterzienserkloster Oliva bei Danzig. Foto: Löhrich

 

Seite 1   Ist der Nationalstaat überwunden?

Europa kann nur aus seinen Völkern zusammenwachsen.

Täglich belehren uns Zeitungen, Vorträge, Rundfunksendungen, dass die Nationalstaatsidee sich überlebt hätte und darum zugunsten neuer großräumiger und supranationaler Gemeinschaftsformen überwunden werden müsste. Gut und schön! Leider zeigt jedoch ein Blick in die Welt ringsum, dass die Wirklichkeit mit derartigen Behauptungen bisher noch wenig übereinstimmt. Im Gegenteil, überall ist ein geradezu leidenschaftlicher Nationalismus der jungen Völker am Werke, der in kurzen Jahren das ganze gegenwärtige Weltgefüge aus den Angeln zu heben droht. Was will man also mit solchen Äußerungen? Glaubt man, die Entwicklung aufhalten zu können, indem man den Völkern in Asien und Afrika das Unzeitgemäße ihrer Bestrebungen vorhält, oder nimmt man nach echt deutscher Art wieder einmal Wünsche und Hoffnungen als vollendete Gegebenheiten? Wie dem auch sei, beides erscheint uns falsch und Anlass genug, den ganzen Fragenkomplex „Nationalismus“ nochmals besser und gründlicher zu durchdenken, als das in den vergangenen zehn Jahren geschehen ist.

 

Dazu ist zunächst Ehrlichkeit vor uns selbst notwendig. Wir müssen uns eingestehen, dass die so plötzliche und gewaltsame Abwendung vom nationalstaatlichen Denken weniger aus neuen Einsichten und Ideen erwuchs als aus der Enttäuschung des Zusammenbruchs und der ziemlich armseligen Hoffnung, uns aus der Geschichte heimlich davonschleichen zu können. Hatten wir das nationale Gefühl zwischen 1933 und 1945 ins Maßlose überspitzt, so gaben wir es jetzt genauso maßlos preis. War gestern kein Opfer für die nationale Expansion zu groß gewesen, so wollten wir heute nicht einmal mehr für die nationale Selbstbehauptung kämpfen. Lebensstandard, Kühlschrank, Fernsehtruhe, Neon-Licht und Nylon-Unterwäsche waren zu Göttern geworden. Und da man von solchen Göttern nicht gerne sprechen mochte, sprach man von Europa oder in pathetischen Stunden vom „Abendland". Das Wirtschaftswunder aber nahm man als Bestätigung, dass man diesmal endlich aufs richtige Pferd gesetzt hätte und von den neuen Göttern gesegnet wäre.

 

Seltsamerweise beginnt sich aber trotz solch schöner Erfolge an allen Orten und Enden eine sich rasch steigernde Unruhe auszubreiten. Die „offizielle" Politik hat freilich dafür keine Erklärungen und möchte nach bewährten Vorbildern am liebsten von Undankbarkeit und übler Meckerei reden. Wenn man jedoch ein wenig tiefer schaut und an die Bedeutung der Imponderabilien denkt, sind die Ursachen dieser Unruhe keineswegs schwer zu finden. Gerade weil das Wirtschaftswunder die Masse der deutschen Menschen von der Sorge um das tägliche Brot befreit hat, fangen sie an, über den Zustand ihres Volkes nachzudenken. Dabei entdecken sie, dass sie im Begriff sind, nach den ungeheuren Einbußen an Land und Menschen jetzt auch noch den größten, da unersetzlichen Verlust ihres geschichtlichen Eigenbewusstseins zu erleiden. Sie fühlen sich durch die ständig wiederholten Verspottungen und Verdammungen aller überkommenen nationalen Werte in einen luftleeren Raum hineingestoßen, in dem es keine vertrauten Haltepunkte und Wegzeichen mehr gibt. Sie merken, wie die allzu schnellen und allzu kurzschlüssigen Folgerungen, die von übergescheiten und überbetriebsamen Politikern und Publizisten aus der Katastrophe von 1945 gezogen und in eine scheinbar wertbeständige Währung umgemünzt worden waren, die Fundamente des eigenen Seins freigelegt haben und zu zerstören drohen.

 

In dieser, zwangsläufig unruheerzeugenden Situation, deren Gefahren jedem klar sein müssen, der die letzten Jahrzehnte mit wachen Sinnen durchlebt hat, sollte man alles vermeiden, was die Unruhe und die Gefahren vermehren kann. Kein Volk erträgt es, wenn man ihm alle 20 Jahre seine Leitbilder zerschlägt und seine Altäre stürzt. Die leichtfertigen und dazu noch unrealen Behauptungen, die Nationalstaatsidee sei überlebt, ja nicht nur das, sie sei unmoralisch, gehören zu solchen Bilderstürmereien. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum anzunehmen, man könnte auf diese Weise das deutsche und die anderen europäischen Völker für den europäischen Zusammenschluss zwingen. Wer seine Herkunft verleugnet, wird keine Zukunft haben. Europa lässt sich nicht organisieren und konstruieren, so wenig wie man den homo europaeus in der Retorte züchten kann. Europa kann nur langsam aus seinen Völkern zusammenwachsen, deren vielfältige Fähigkeiten und kulturellen und geistigen Traditionen unversehrt in die neue Gemeinschaft eingebracht werden müssen. Wer diese Forderung nicht beachtet, wer zu schnell und zu gewaltsam unter Zerstörung des Gewachsenen und ohne Ehrfurcht vor der Geschichte und der Eigenständigkeit der einzelnen Völker „Europa machen" will, wird einen Trümmerhaufen unter der Fahne der Anarchie und des Nihilismus machen. Dr. A. K.

 

Seite 1   Die große Sorge. Probleme des zweigeteilten Deutschlands erfordern Aktivität

Das Problem der Wiedervereinigung ist ein vielschichtiges. Das wird heute immer deutllicher. So erfreulich es ist, dass es dem Bundeskanzler gelungen ist, dem entscheidenden deutschen Anliegen weiterhin einen Platz in der weltpolitischen Diskussion zu erkämpfen, umso nachdenklicher sollte uns alle die Tatsache stimmen, dass wir auf der untersten Ebene, in dem Bereich des menschlichen Kontaktes, mit unseren Argumenten und praktischen Handlungen immer noch auf der Stelle treten.

 

Wer etwa heute glauben wollte, der Bolschewismus bilde keine Gefahr mehr, da sich die Zahl der kommunistischen Stimmen in Westdeutschland von Wahl zu Wahl verringert und die Zonengrenze dank amerikanischer Atomkanonen und deutschen Divisionen gesichert scheint, der fällt einem Irrtum anheim, der sich schrecklich rächen könnte. Tatsächlich liegen die Dinge so, dass in den letzten Jahren in der sowjetisch besetzten Zone wenn auch geringe, so doch vorhandene wirtschaftliche Erfolge erzielt worden sind. Zusammen mit einer ununterbrochenen Propaganda, der sich kein Mensch mehr in der Zone entziehen kann, und einer großzügigen Förderung besonders der Jugend und der Intelligenz, wächst die Zahl der Menschen, die sich dem sowjetischen System verschreiben.

 

Die Gefahr, dass der Westen in zunehmendem Maße an Anziehungskraft einbüßt, wächst. Der Mensch in Mitteldeutschland vermisst die aktiven, politischen Kräfte Westdeutschlands, die aus dem freiheitlichen Ideengut heraus den Kampf mit der östlichen Ideologie aufnehmen können. Es sieht stattdessen allenfalls einmal eine reichlich oberflächliche Propaganda, die keinesfalls in der Lage ist, der tief fundierten sowjetischen Gesellschaftslehre entgegenzutreten. Der Mensch in Mitteldeutschland sieht mit zunehmender Besorgnis, dass die westdeutsche Öffentlichkeit gegenüber seinen Problemen schweigt und uninteressiert zur Tagesordnung übergeht. So wird dank der kommunistischen Propaganda und der Teilnahmslosigkeit des Westens die Entfremdung zwischen beiden Teilen Deutschlands von Tag zu Tag größer.

 

Mit dem Wachsen dieser Entfremdung wächst aber zugleich auch in der sowjetisch besetzten Zone die Zahl der zuverlässigen und überzeugten Funktionäre, die für eine Auseinandersetzung mit dem Westen bereitstehen. Diese Auseinandersetzung braucht nicht militärischer Art zu sein. Es genügt die ideologische Zersetzung, die desto leichter erreicht werden kann, je mehr man sich auf die gegebene „Überlegenheit" des Westens gegenüber dem Osten verlässt. Diese ideologische Auseinandersetzung wird zweifellos kommen. Um ihr gewappnet zu sein, ist die intensive Beschäftigung mit den tatsächlichen Gegebenheiten in der sowjetisch besetzten Zone nötig. Man muss in Westdeutschland ein klares Bild erhalten von der revolutionären Entwicklung, die sich seit 1945 jenseits der Elbe und Werra vollzogen hat. Es gilt sich auseinanderzusetzen mit den Wirklichkeiten des politischen Alltages und Formen zu finden, die bei einer Wiedervereinigung nicht bestehende Spannungen vergrößern, sondern zu einem Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands auf einer sozial tragbaren Basis führen. All diese Dinge aber werden sich nicht auf dem Regierungswege verordnen lassen. Sie müssen in kleinen Gemeinschaften wachsen, in denen man bereit ist, mit Ernst und Energie an die schwierigen Fragen der ideologischen Auseinandersetzung und der Wiedervereinigung heranzugehen. Nur von unten herauf lässt sich die Brücke des Vertrauens von West- und Mitteldeutschland, von Mensch zu Mensch bauen, auf der das Kollektiv zu überwinden ist.

 

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„Ich wurde ein Nationalist, ein Nationalist im asiatischen Sinne, in dem Sinne, der nichts weiter besagen will, als dass ich mein Vaterland und meine Nation liebe. Mein Nationalismus ist kein enger Nationalismus. Mein Nationalismus behauptet nicht: mein Vaterland steht am höchsten in der Welt. Mein Nationalismus ist weiter nichts als Liebe zur Heimat und zum eigenen Volk. — Ghandi hat einmal gesagt: mein Nationalismus ist Menschlichkeit, und so sagen auch wir: unser Nationalismus ist seinem Wesen nach Menschlichkeit“.

Dr. Achmed Sukarno, Präsident der Indonesischen Republik, Ende 1956 in Berlin.

 

Seite 2   Der letzte Monat

Mit der Stärke von 100 000 000 Wasserstoffbomben erlebte die Sonne im Februar dieses Jahres eine Explosion, meldete der Chefassistent des britischen Königlichen astronomischen Observatoriums, Thomas Gold. Dadurch freigewordene unermessliche Mengen kosmischer Strahlen erreichen stark konzentriert die Erde.

 

Drei Tage weilte der indische Ministerpräsident Nehru in der Bundesrepublik. Das Schlusskommuniqué stellte lediglich in der Abrüstungsfrage Übereinstimmung fest. Im Übrigen lehnte Nehru es ab, die Bundesregierung als die einzige legitimierte Vertretung Deutschlands anzuerkennen und empfahl eine „Politik der friedlichen Verhandlung, verbunden mit einer Abkehr vom Misstrauen". Bundeskanzler Adenauer bot Nehru westdeutsche Hilfe beim wirtschaftlichen Aufbau an.

 

Der erste sowjetische Botschafter in Bonn, Valerian Sorin, ist nach Moskau zurückberufen worden, um dort die Stelle des stellvertretenden Außenministers einzunehmen. Bereits wenige Tage nach Bekanntwerden dieses Wechsels hat Sorin Bonn verlassen. Ein Nachfolger wurde bisher noch nicht benannt.

 

Nach Moskau fuhr eine Regierungsdelegation der DDR, zu der außer dem Ministerpräsidenten Grotewohl und dem Ersten Sekretär Ulbricht Verteidigungsminister Stoph, Außenminister Bolz und die Stellvertretenden Ministerpräsidenten Nuschke und Loch gehörten. Wie es amtlich heißt, wurden Fragen der Abrüstung, der europäischen Sicherheit, der Einheit Deutschlands und der Verbesserung des Lebensstandards in der DDR besprochen.

 

Mit 270 gegen 166 Stimmen nahm der Bundestag das Gesetz über die Wehrpflicht an. Die SPD und der GB/BHE stimmten dagegen. Danach ist jeder Deutsche in der Bundesrepublik von 18 bis 45 Jahren wehrdienstpflichtig, außer den Geistlichen, Sowjetzonenflüchtlingen in besonderen Fällen und auf Antrag auch letzte Söhne. Für April 1957 sind die ersten Einberufungen vorgesehen. Das Gesetz ist bereits in Kraft getreten.

 

Britische Panzer vernichteten die gesamte Ernte einiger Neusiedler im Landkreis Harburg, als sie trotz der Zusage britischer Generale, dass nur noch Straßen und Feldwege befahren werden sollen, durch Roggen-, Sommergetreide-, Kartoffel- und Steckrübenfelder fuhren. Das Zeichen dieser Panzereinheit ist die geballte Faust. Protesttelegramme richtete das Niedersächsische Landvolk des Kreises Harburg an ihren Präsidenten Rehwinkel, an Bundesverkehrsminister Dr. Seebohm, an den niedersächsischen Ministerpräsidenten und den niedersächsischen Innenminister.

 

Neue geheimnisvolle Atomexplosionen im Bikini-Bereich registrierte ein Observatorium in Tokio. Damit erhöht sich die Zahl der in Tokio beobachteten Atomexplosionen, die nicht offiziell bekannt gegeben wurden, auf sechs; davon wird eine den Russen zugeschrieben.

 

Das Saarland flaggt Schwarzrotgold, und zwar tritt das vom Landtag verabschiedete Gesetz auf Grund französischer Vorstellungen erst am 1. Januar 1957 in Kraft.

 

An einer „friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands als demokratischem Staat" interessiert sind, nach Äußerungen des tschechoslowakischen Botschafters in Polen, die Regierungen von Prag und Warschau. Ministerpräsident Siroky besprach in Warschau zusammen mit anderen tschechoslowakischen Regierungsmitgliedern mit der polnischen Regierung das deutsche Problem, vor allem im Hinblick auf die eingeführte Wehrpflicht und die zu erwartende Rückwirkung in der DDR.

 

Über die Rückgabe deutschen Eigentums, das während des zweiten Weltkrieges in den USA beschlagnahmt wurde, wird das amerikanische Repräsentantenhaus in diesem Jahre noch nicht entscheiden.

 

Einen sechswöchigen Urlaub hat Bundeskanzler Adenauer angetreten, diesmal wieder in Bühlerhöhe im Schwarzwald.

 

Die Verstaatlichung der internationalen Suezkanalgesellschaft gab der ägyptische Ministerpräsident Nasser bekannt. Mit den Einnahmen der Gesellschaft, die sich jährlich auf 100 Millionen Dollar belaufen, von denen Ägypten bisher 3 Millionen erhielt, soll der Bau des Assuan-Staudammes finanziert werden, nachdem die USA, England und die Weltbank ihr Finanzhilfeangebot zurückgezogen haben. England hat daraufhin kriegerische Maßnahmen gegen Ägypten erwogen, die jedoch von den USA abgelehnt werden.

 

Ein ungarisches Flugzeug landete in der Nähe von Ingolstadt. Sieben junge Männer hatten während des Fluges die Besatzung überwältigt und das Flugzeug nach Deutschland geflogen.

 

Der sowjetische Ministerpräsident Bulganin erklärte während seines Aufenthaltes in Kattowitz am 26. Juli, dass „Schlesien für immer polnisch sei" und die „Gerechtigkeit triumphiert" habe.

 

Seite 2   Fehler in der Behandlung nationaler Minderheiten. Familienzusammenführung ein „Akt der Wiedergutmachung der Kriegsfolgen.

Das Zentralkomitee der ungarischen KP befasste sich in einer Sondersitzung mit der Frage der nationalen Minderheiten in Ungarn. Wie Radio Budapest dazu bekanntgab, wurde auf der Sitzung festgestellt, dass bei der Behandlung der nationalen Minderheiten in der Vergangenheit schwere Fehler begangen wurden. Diejenigen, so heißt es in der Erklärung, denen Unrecht geschehen ist, müssen rehabilitiert werden. Überall, vor allem in den Lokalausschüssen und Parteiorganisationen, in den Ministerien und den Massenorganisationen müsse der Frage mehr Beachtung geschenkt und mehr Einfühlungsvermögen und Takt an den Tag gelegt werden. Das Vertrauen zwischen den Ungarn und den Söhnen der Minderheiten müsse gestärkt werden. In unserem Land, so schließt die diesbezügliche Sendung des Budapester Rundfunks, gehört die Macht der Arbeiterklasse, also auch den deutschen, slowakischen, südslawischen und rumänischen Arbeitern.

 

Auch der volkspolnische Innenminister Wladyslaw Wicha hat jetzt erstmalig offiziell zugegeben, dass die „Minderheitenpolitik" der Warschauer Regierung seit Kriegsende „Irrtümer und Nachlässigkeiten" aufzuweisen habe. Die amtliche volkpolnische Nachrichtenagentur PAP veröffentlichte Auszüge aus einem Interview Wichas, das er der Zeitschrift der „Polnischen Rechtsanwälte-Vereinigung", „Prawo Zycie" (Rechtsleben), gewährte. Wicha erklärte, die Warschauer Regierung mache „jetzt die Irrtümer und Nachlässigkeiten der Vergangenheit in der Politik gegenüber den nationalen Minderheiten wieder gut" und sie bemühe sich, „die Angehörigen der Minderheiten zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zu machen und Kultur und Kunst ihres Volkstums zu entwickeln". Das Warschauer Innenministerium, führte Wicha aus, sei bestrebt, jede „offene oder versteckte Diskriminierung" der Minderheiten zu verhindern, „da solche Diskriminierungen der Politik einer Volksdemokratie zuwider laufen". In den letzten Jahren seien „positive, aber noch nicht voll befriedigende Ergebnisse" in der Minderheitenpolitik Warschaus erzielt worden.

 

Zu der seit Jahresbeginn laufenden Aktion „Familienzusammenführung" von Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten in die Bundesrepublik und nach der Sowjetzone, erklärte Wicha in einem Interview, sein Ministerium unterstütze das Rote Kreuz bei seinem Bemühen um die Familienzusammenführung. Dies betreffe vor allem deutsche Familien. Die Familienzusammenführung bezeichnete Wicha als einen „Akt der Wiedergutmachung der Kriegsfolgen". Obwohl gegenwärtig noch weit über 800 000 Deutsche in den Oder-Neiße-Gebieten leben, bezifferte Wicha die Gesamtstärke der Minderheiten in Polen und den Oder-Neiße-Gebieten auf nur 500 000 Personen, zu denen er noch Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Tschechen, Slowaken und Zigeuner zählte. Angaben darüber, wieviel Deutsche in den Oder-Neiße-Gebieten vom Warschauer Innenministerium zur „deutschen Minderheit“ gerechnet werden, sind von Wicha nicht gemacht worden.

 

Es ist bekannt, dass die volkspolnische Regierung die weitaus überwiegende Zahl der in den deutschen Ostgebieten verbliebenen Deutschen zu den „Autochthonen" („Bodenständigen") rechnet, d. h., als „germanisierte polnische oder verwandte Bevölkerung" betrachtet.

 

Seite 2   600000 Sowjets nach Ostpreußen.

In den sowjetverwalteten Gebieten des nordöstlichen Ostpreußens sind noch immer 350 Ortschaften ohne jeden Einwohner, während mehr als 400 Dörfer und Kleinstädte weit unter der Durchschnittszahl bevölkert sind. Sie haben „Einwohnerschaften" zwischen fünf und zwölf Personen! Da die damit verbundene Stilllegung jeglichen Wirtschaftslebens nicht länger tragbar ist, haben die Sowjets sich nunmehr zu einer umfangreichen Zwangsansiedlung entschlossen. Es sollen pro Jahr 100 000 „Neubürger" aus allen sowjetischen Provinzen nach Ostpreußen verfrachtet werden. Bis 1963 werden 600 000 Menschen in das menschenleere Ostpreußen gebracht worden sein, denn mit ungewöhnlichem Nachdruck hat man die ersten Transporte bereits anlaufen lassen. In den Kreis Insterburg wurden bisher 1000 Personen, nach Königsberg-Land 2300 Familien geschickt. Damit sich nicht wiederum eine neue Heimatflucht abzeichnet, wie dies schon 1950 der Fall war, müssen sich die Neubürger bei den staatlichen Erfassungsstellen zur monatlichen Personenkontrolle melden.

 

Dienstverpflichtungen

Deutsche und Polen aus dem Gebiet Ortelsburg-Johannisburg-Lyck sind für die Zeit nach der Ernte zu Meliorationsarbeiten im Flussgebiet der Narew und Biebraza dienstverpflichtet worden. In erster Linie geht es dabei um die Entwässerung der dortigen großen Sumpfmoraste, die die zusammenhängend umfangreichsten ganz Europas sind! Nun sollen Abflussgräben gezogen und einige Tausend der rund 200 000 Hektar Sümpfe entwässert werden. Einige Jahre nach Kriegsende waren bereits ähnliche Versuche unternommen worden. Die Erfolge waren jedoch gering. Es ist vorgesehen, in den kolonisierten Gebieten Viehfarmen anzulegen. Zurzeit sind Jagdkommandos dabei, das hier in der Einsamkeit sehr zahlreiche Wild abzuschießen.

 

Patenschaftsübernahmen

Kreis Deutsch-Krone

Für den Kreis Deutsch-Krone erfolgt am 18./19. August die festliche Patenschaftsübernahme durch die Stadt Bad Essen. Der Kreis Wittlage bei Osnabrück übernimmt gleichzeitig die Patenschaft für die Städte Jastrow, Märkisch-Friedland, Schloppe und Tütz (Kreis Deutsch-Krone).

 

Kreis Stuhm/Westpreußen

Bei der 16. ordentlichen Sitzung des Kreistages Bremervörde wurde beschlossen, die Patenschaft über den westpreußischen Kreis Stuhm zu übernehmen.

 

Lockender Westen

Wie aus Verlautbarungen der Westberliner Industrie- und Handelskammer hervorgeht, wanderten vom Mai 1955 bis Ende April 1956 fast 9000 hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Westberlin in die Bundesrepublik ab. Unter diesen Abwanderern waren 7000 Männer, der Rest Frauen. Die Berliner Wirtschaft verfolgt diese Entwicklung durchaus berechtigt mit erheblicher Sorge.

 

Seite 2   Die Preisträger aus unserem Adressen-Preisschreiben

Für die rege Beteiligung an unserem Adressen-Preisausschreiben danken wir allen Einsendern auf das herzlichste. Nachstehend geben wir die ersten drei Preisträger bekannt:

 

1. Franz Francke, Bad Sooden

2. Otto Gerhardt, Waileberg üb. Hettorf

3. Karl Ammowski, Braunschweig

 

Seite 2   Volksdeutsche Siedler in Sibirien.

In einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks hat der Kommentator Klaus Mehnert, der eine mehrwöchige, siebentausend Kilometer lange Reise durch Sibirien beendet hat, aus Moskau berichtet, er sei in Sibirien auf zahlreiche Volksdeutsche Siedlungen gestoßen. Es handle sich dabei um Volksdeutsche, deren Vorfahren Ende des achtzehnten Jahrhunderts aus Deutschland nach Russland abgewandert seien und sich vorwiegend in der Ukraine, an der Wolga und am Kaukasus niedergelassen hätten. Kriegs- und Zivilgefangene seien nicht unter den Bewohnern dieser Orte. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges seien sie nach Sibirien transportiert worden. Die größte geschlossene Ansiedlung von Volksdeutschen habe er in der Kulundasteppe im Westen der an der sibirisch-chinesischen Grenze gelegenen Provinz Altai, vor allem in und um die Stadt Slawgorod gefunden. Mehnert schätzt die Zahl der Volksdeutschen allein im Raum um Slawgorod auf hundert- bis zweihunderttausend.

 

Seite 2   Deutsche Zeitung in Sibirien.

Eine deutschsprachige Zeitung erscheint seit Anfang dieses Jahres in Sibirien für die mehreren Hunderttausend dort ansässigen Menschen deutscher Sprache — wohl hauptsächlich einstige Bewohner der Wolgadeutschen Republik, die Stalin 1941 nach Sibirien verschleppen ließ.

 

Seite 2   Italienischer Versuch gescheitert.

„Die Versuche, italienischerseits Tirol und Wien in Gegensatz zu bringen, sind gescheitert", erklärte kürzlich Staatssekretär Dr. Gschnitzer. Bezüglich der Südtirol-Frage stehe Österreich auf dem Boden des Pariser Vertrages, der von Seiten Italiens nicht als erfüllt angesehen werden kann.

 

Seite 2   Gefallene Elsässer und Lothringer.

Die Liste der in Algerien gefallenen Elsässer und Lothringer wächst ständig. Im Juni sind folgende Gefallenenmeldungen eingetroffen:

 

Jean Grevis, 22 Jahre,

Antoine Latscha, 22 Jahre,

Roger Buser, 22 Jahre,

Raymond-Antoine Kaffmann, Vater eines Kindes,

Victor Staub, 21 Jahre,

Roger Gravier, 24 Jahre,

Lucien Weißenbacher, 22 Jahre.

 

Seite 2  Pressespiegel

Die Aufgabe der Mitte

Wie lange folgten wir — und wie viele tun es noch heute — der Wahnvorstellung, dass die Welt in zwei Hälften zerfallen sei, deren eine von Washington und deren andere von Moskau aus regiert würde! Jede politische Eigenständigkeit außerhalb dieser beiden Machtzentren wurde geleugnet und das, wo doch gerade in dem Heraufkommen dritter Machtfaktoren die einzige Chance für die Überwindung gerade jenes Gegensatzes lag, der das Haupthindernis für die Wiedervereinigung unseres Landes bildete. Hat man sich einmal überlegt, wie wir heute in der Welt daständen, wenn wir schon seit Jahren die allerengsten Beziehungen zu Indien, zu anderen unabhängigen asiatischen Staaten und zur arabischen Welt hergestellt hatten, alles Mächte, die an der Wiederherstellung der deutschen Einheit und an einer unabhängigen Stellung Deutschlands ein unmittelbares Eigeninteresse haben? Der überhebliche Bonner Provinzialismus hat die einzige Kraft in der Weltpolitik, die uns Rettung versprach, als „dritte Ohnmacht" verlacht, und die deutsche Presse hat Nehru, einen der drei einflussreichsten Männer in der heutigen Weltpolitik, als armen Irren bezeichnet. Wie hat man das deutsche Volk in die Irre geführt!

 

Niemand glaube, mit dem großen Empfang für den indischen Ministerpräsidenten sei die Erleuchtung eingezogen! Man kann lediglich nicht mehr umhin, von der Existenz eines Mannes wie Nehru Notiz zu nehmen. Von diesem nachhinken unter der Wucht der Umstände bis zu einer konstruktiven Politik ist es noch himmelweit. Sie wird von den Versagern nicht wahr gemacht werden können, wenn sie auch jetzt gezwungen kleine Schönheitskorrekturen zu bringen.

 

Für ein Volk in der Lage unseres Volkes nach 1945 liegt Hoffnung nur in der Veränderung. Eine weitschauende Politik für ein niedergeworfenes, wieder nach oben strebendes Volk orientiert sich nicht an den Machtverhältnissen des Augenblicks — natürlich lässt es sie nicht etwa außeracht —, sondern an denen der Zukunft, in 10, in 20, in 30 Jahren. Eine solche Politik hat Geduld und begnügt sich deshalb nicht mit Scheinerfolgen. Sie setzt alles daran, mit den aufstrebenden, zukunftsträchtigen Gewalten in der Welt in eine Linie zu kommen — Indien, China, alle sich befreienden und unabhängig werdenden Völker. Das Machtbild der Welt sieht heute schon ganz anders aus als 1945 — damals gab es für kurze Zeit tatsächlich nur Washington und Moskau —, und wie wird es in weiteren 10 Jahren aussehen? Wir Deutschen haben heute die Gelegenheit, endlich einmal auf der gewinnenden (nicht im Sinne von „einen Krieg gewinnen"), auf der Seite der aufsteigenden, sich unweigerlich durchsetzenden, die Welt verwandelnden Völker zu sein. Wir haben dabei unsere Einheit und Freiheit und eine neue Weltstellung zu gewinnen.

 

Diese neue Weltstellung ergibt sich aus unserer trotz zweier Weltkriege noch vorhandenen Volkskraft und unserer Lage in der Mitte. Europas. (Neue Politik, Hamburg)

 

Aufrüstung — Schwächung der Wirtschaftskraft.

Die geplante westdeutsche Wiederaufrüstung mit konventionellen Waffen ist im Zeitalter einer thermonuklearen Kriegführung kein entscheidender Beitrag mehr zur militärischen Stärke des Westens. Im Hinblick auf den von Ministerpräsident Eden so gefürchteten Kampf um die Exportmärkte der Welt könnte sie aber eine von den Konkurrenten, einschließlich Moskau, begrüßte Schwächung der Kampfkraft der westdeutschen Wirtschaft bedeuten. Es wäre verständlich, wenn unter diesen Umständen Moskau nicht mehr daran dächte, gegen den Verzicht auf die westdeutsche Wiederaufrüstung im Rahmen der NATO einer deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen.

(Die Zeit, Hamburg)

 

Entfernung vom Reichsganzen.

Aber eigenartig, welche Wege das Schicksal oft einschlägt — nach wenigen Jahren kamen jene für unfehlbar erklärten Westpolitiker, die Deutschlands völlige Abrüstung bis zu einem Morgenthau-Acker als den Anbruch des goldenen Zeitalters gepriesen hatten und forderten, ohne Schamröte im Gesicht und ohne ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung wieder deutsche Soldaten! Unter Führung von Wehrpsychologen der USA und der UdSSR fanden sich neue deutsche Wehrpolitiker, die zunächst leise, dann jedoch unter „Anleitung" ihrer Besieger von gestern, immer lauter nach dem „Staatsbürger in Uniform" und dem „begeisterten Waffenträger zur Verteidigung "der Errungenschaften der Demokratie" riefen. Bemerkenswert ist dabei, dass es bei Erörterungen der Reform des Wehrgedankens hüben und drüben heißt, mit der restlos überlebten preußisch-deutschen Wehrmachtstradition wolle man nichts mehr gemein haben. Bewusst wird gegenüber der alten Wehrmacht Distanz gehalten. Wie dabei die Ausrichtung der jungen Soldaten zur Haltungstreue erfolgen, wie ein echtes Wehrethos geschaffen werden soll, wird vorab geheimnisvoll verschwiegen.

 

Es ist mehr als tragisch, feststellen zu müssen, dass weder die Bundeswehr, noch die

demokratische Nationalarmee der DDR, zum Wehrdienst für das wieder zu vereinigende Reich aufgestellt worden ist, sondern im Westen eindeutig der NATO und im Osten eindeutig dem „Warschauer Pakt" Gefolgschaft zu leisten hat. Damit ist auch auf dem Gebiet der Verteidigung die Entfernung vom Reichsganzen, die Spaltung, statt des Zueinander im friedlichen vereinigten Reich durchgeführt worden. (Nationale Rundschau, Karlsruhe)

 

Mit der Wurst nach dem Schinken.

Es rächt sich bitter, dass die westdeutschen Politiker Polen stets als ein „Stück Sowjetunion" betrachtet haben und nicht als das, was es tatsächlich ist: die fünfte Besatzungsmacht. Die Gebiete jenseits der Oder und Neiße wären dann eben „besetzt" und nicht „abgetreten" (genau wie das Saargebiet besetzt, aber niemals abgetreten war), und die deutsche Politik hatte etwas anzubieten. Bis jetzt ist immer noch Stalin der gütige Spender der deutschen Ostprovinzen. Falls Deutschland irgendetwas spenden will — und ganz ohne das wird es sicher nicht abgehen —, dann muss es erst einmal dafür sorgen, dass sein Rechtstitel bezüglich er polnisch besetzten Gebiete zum mindesten von seinen westlichen Bundesgenossen anerkannt wird. Ein einfacher Verzicht als Preis für die Wiedervereinigung wäre eine Fortsetzung der Stalinschen Politik. Polen hätte dann seinen Gebietszuwachs im Westen tatsächlich Väterchen Stalin zu verdanken – und seinen Filialleitern in Pankow. Bonn würde, wenn es jetzt mit den Ostprovinzen als Wurst nach dem Wiedervereinigungsschinken werfe – wofür in Westdeutschland große Neigung besteht -, der von Stalin gewünschten Regelung seinen Segen geben, ohne den Dank Polens zu bekommen. – Um das zu verhindern, wäre ein direktes deutsch-polnisches Gespräch nötig – dem Warschau keine Hindernisse in den Weg legen würde. (Die TAT, Zürich)

 

Seite 3   Goldap - doppeltgefesselte Stadt.

Das heutige Geschehen in der ostpreußischen Kreisstadt Goldap spiegelt das ganze Unheil wieder, das über diese einstmals blühende Provinz gekommen ist! Nicht nur dass Goldap jetzt unter polnischer Verwaltung steht — nein, unweit der Stadt verläuft die unselige Demarkationslinie, die das eigentlich gewachsene Ostpreußen in zwei Teile zu spalten versucht. In Goldap herrschen nicht nur die Polen. Hier haben auch die Russen etwas zu sagen, die Stadt liegt im Bereich ihrer unmittelbaren Einflusssphäre. Goldap ist heute eine doppelt gefesselte Stadt. Eine Stadt im Niemandsland fremder Interessen!

 

Die Maske, die die polnische Verwaltung vor das deutsche Goldap gezogen hat, ist makaber. Alles, was die Polen hier jetzt übernommen haben, trägt den Stempel des Unwirklichen, Gespenstischen und Künstlichen. Auch die fremden nach hier gekommenen Menschen sind davon nicht ausgenommen. Alles und alle strömen Kälte und Unpersönlichkeit aus. Was ist der stetig gewachsenen Stadt widerfahren, dass sie heute dieses Bild bietet?

 

Das Unglück begann schon im Sommer 1944. Damals besetzte die Rote Armee zum ersten Mal die Stadt. Später wiedererobert, ging sie zu Beginn des Jahres 1945 endgültig verloren. Die mit dem mehrfachen Besitzwechsel verbundenen schweren Kämpfe schlugen Goldap tiefe Wunden. Hunderte von Häusern wurden zerstört, beschädigt oder durch die marodierenden Sieger sinnlos angezündet. Was blieb, war ein Torso — dennoch wieder aufbaufähig, wenn die Stadt deutsch geblieben wäre und wenn man ihre Bürger nicht vertrieben hätte.

 

Aber mit den Russen kamen die Polen. Menschen mit einer ganz anderen Lebensauffassung und einer anders gearteten Kulturstufe. Trotz ihres Hasses auf die Deutschen rückten sie mit der tief verwurzelten Vorstellung ein, hier jetzt ein Lebensalter von der übriggebliebenen deutschen Substanz zehren zu können. Welch ein Trugschluss! Bereits nach ein, zwei Jahren war alles vertan und die Basis gründlich zerstört, auf der man hätte wiederaufbauen können.

 

Hinzu kam die Teilung der Provinz in ein sowjetisches und ein polnisches Verwaltungsgebiet. Einige tausend Meter nördlich der Stadt wurde die Grenzlinie gezogen, die künstlich trennen sollte, was natürlich in Jahrhunderten fest zusammengewachsen war. Mit dieser Grenzziehung wurde endgültig das Todesurteil für die polnischen Bestrebungen in Goldap gezogen. Die Stadt ging nicht nur dem Schicksal aller polnisch verwalteten deutschen Oststädte entgegen, sie wurde zudem noch in das Einflussgebiet des an der Demarkationslinie entstehenden Niemandslandes gezogen. Und in diesem von Wachttürmen und Sicherheitsmaßnahmen bestimmten Niemandsland war es nahezu unmöglich, auch nur bescheidene Lebensformen zu entwickeln.

 

Heute liegen die Folgen vor aller Augen. Goldap ist tot. Die Kreisstadt ist nach unseren Begriffen noch weit unter den Status eines mittleren Dorfes gesunken. Das Herz Goldaps — das organisch um den Marktplatz gewachsene Stadtgebiet mit Rathaus, Gericht, Evangelischer Kirche und Post — hat aufgehört zu schlagen. Hier stehen nur noch die Fragmente des Turmes der Kirche. Alles andere ist ausgelöscht und Polen war außerstande, auch nur ein einziges dieser Gebäude wiederaufzubauen. Im Gegenteil! Man hat nicht einmal die Pflastersteine des Marktplatzes, das einzig hier verschonte ..., belassen. Nein, man riss sie heraus, weil das anscheinend leichter ist, als Ziegel zu brennen oder in die Steinbrüche zu gehen.

 

So bietet heute der Marktplatz das Bild einer geradezu apokalyptischen Vision von Untergang und Niedergang. Verstärkt wird das noch durch den roten Stern, der von der Spitze des hier errichteten sowjetischen Siegesdenkmals leuchtet. Russische Atmosphäre — oder besser Steppenatmosphäre, denn das weite Gebiet des Marktplatzes (bis auf einige Häuser beiderseits des Kinos) ist mit wild wachsendem Trümmergestrüpp und Gras bewachsen. Dasselbe Bild auch in der Mühlenstraße, in der Bahnhofstraße usw. Nur wenig besser sieht es in der Berg- oder in der Mühlenstraße aus. Unmöglich, die Verlustliste vollständig anzugeben.

 

Was eigentlich ist erhalten? Außer dem Kino noch die frühere Bank der Ostpreußischen Landschaft, in dem die Polen ihre Post einrichteten. Weiter die Volksschule und ein Hotel. Letzteres jedoch war früher Haus und Laden einer Fleischereihandlung (wie die Bank auf der Ostseite des Marktplatzes gelegen). Dieses Not-Hotel stellt die einzige Unterkunftsmöglichkeit für Fremde in Goldap heute dar.

 

Aber wer kommt heute schon nach hier? Oder besser: wer darf noch in diese Stadt kommen? Goldap an der Demarkationslinie gehört zu den polnischen Gebieten, die nur mit besonderer Erlaubnis besucht werden dürfen. Nicht zuletzt diese Tatsache führte dazu, dass hier nur wenig Menschen ansässig wurden, nach der Ansiedlung in Goldap blieben oder jetzt nach hier wollen. Wer schon will in eine Stadt oder in ihr bleiben, die letztlich unter Ausnahmebestimmungen lebt? Die Bewohner sind daher leicht zu klassifizieren: Zöllner und Grenzpolizisten sowie Milizer mit ihren Familien, Partei- und Staatsbeamte, staatlich Angestellte der wenigen unumgänglichen Institutionen — und ein Dutzend Deutscher.

 

Das ist alles. Bürger und Einwohner in unserem Sinne gibt es nicht mehr. Unverständlich für die Polen, dass diese Stadt bei der letzten Vorkriegszählung eine Bevölkerung von 11578 Einwohnern hatte. Das alles verdient heute nicht mehr den Namen Stadt. Wie es auch kein Leben für die Menschen ist, hier vegetieren zu müssen. Die nahe Grenze hat die Atmosphäre des Misstrauens, der Überwachung und des Terrors auch durch die politischen Maßnahmen seit Stalins Tod nicht beseitigt — hier herrschen noch immer hundertprozentig totalitäre Verhältnisse. Das Leben der letzten Deutschen in Goldap beschreiben zu wollen hieße daher, sie gefährden. Was ihnen blieb, ist das einzig erhaltene Gotteshaus — die katholische Kirche.

 

Das Niemandsland bedingt, dass Goldap heute Endstation der Eisenbahn und aller anderer. Verkehrsverbindungen ist. Die Bahn nach Norden ist aufgerissen, die Straße gesperrt. Dort, wo die Demarkationslinie verläuft, befinden sich Stacheldrahtverhaue, Postenstände, Laufwege und Wachttürme. Vor was hat man hier Angst? Die Polen sagen vor Agenten, die angeblich von Westen in polnisches Gebiet einsickern und hier sowjetisches Gebiet betreten wollen. Und vor Schmugglern und Schwarzhändlern, die nach Norden wollen, um dort zu kaufen, verkaufen oder zu tauschen. Und schließlich vor Flüchtlingen aus dem russischen Verwaltungsgebiet. In Wirklichkeit meint man Deserteure, die aus dem sowjetischen Verwaltungsgebiet Nord-Ostpreußens zu entfliehen versuchen. Auch die Russen bewachen ihre Seite der Demarkationslinie sehr streng. Oft geben sie den polnischen Grenztruppen Anweisungen, wenn in diesem Gebiet Partisanen vermutet werden. Zumeist werden diese Alarme aber durch ständig von hüben nach drüben wechselnde Wolfsrudel ausgelöst, die manchmal die Sicherheitseinrichtungen in Tätigkeit setzen oder sogar Menschen anfallen. Und oft fahndet man auch nach Widerstandskämpfern, während in Wirklichkeit nur einmal wieder die Wilderer unterwegs sind und die letzten Tiere des früher reichen Wildbestandes abzuschießen versuchen.

 

Was hat das eigentlich alles noch mit Goldap zu tun? Diese Frage beantwortet sich von selbst. Und dennoch lebt diese Stadt. Sie lebt in den Herzen ihrer heute in anderen Teilen des Vaterlandes befindlichen Bürger. Und mit ihnen lebt die Gewissheit, dass das alte Goldap unvergänglich ist. Ist diese Stadt nicht nach der Brandschatzung durch die Tataren im Jahre 1657 wiedererstanden? Und auch die anderen Schicksalsschläge hat sie immer wieder überwunden: die vielen Großfeuer des Mittelalters, die Pest vor zwei Jahrhunderten und die zweimalige russische Besetzung im ersten Weltkrieg. Und so glauben wir fest, dass das deutsche Goldap nach der jetzigen unglückseligen Periode seiner Geschichte einmal wiedererstehen wird!

 

Seite 3   Blick nach Osteuropa.

Baltische Staaten.

In der Evangelisch-Lutherischen Bevölkerung Sowjet-Estlands habe sich neues Leben geregt, berichten die „Baltischen Briefe“. Trotz vielfacher Schwierigkeiten und oft erheblicher Widerstände ist es vielen Gemeinden gelungen, sich neu zu konstituieren und ihre alten Gotteshäuser nach Instandsetzung wieder zu beziehen.

 

Nur 2 Prozent aller Erwachsenen Litauer gehören wie der Litauische Informationsdienst Reutlingen, meldet der Kommunistischen Partei Litauens an, das sind etwa 36 700 Mitglieder, im Vergleich zu 5,76 Prozent Parteikommunisten an der Gesamtzahl der Erwachsenen im Bereich der UdSSR.

 

Die Kirche in Litauen genieße volle Freiheit, erklärte der katholische Bischof Mazelis in einem Interview mit dem Parteiorgan der italienischen KP „L'Unita". Demgegenüber steht die Tatsache, dass die Kathedrale in Wilna, in deren Kellergewölbe die alten litauischen Großfürsten ihre Ruhestätten fanden, heute zu einer Galerie für Bilderausstellungen umgewandelt worden, die prächtige Kirche von Pazaislis vollkommen verwahrlost ist, während die Kirche des hl. Vinzent in Mariampolé heute als Bücherlager dient.

 

Polen

Ein Empfindlicher Mangel an Medikamenten, vornehmlich solchen, die im Lande selbst nicht hergestellt, sondern aus dem westlichen Ausland eingeführt werden müssen, besteht seit Jahren auf dem polnischen Markt. In einem Rundfunkkommentar des Warschauer Senders wird versucht, die bestehenden Versorgungsschwierigkeiten zum Teil auf die Tätigkeit einer Schwarzhandelsorganisation zurückzuführen, die legal eingeführte Medikamente auf dem freien Markt verschoben haben soll.

 

Die Zahl der Arbeitslosen hat sich in den vergangenen Monaten in Polen ständig erhöht, geht aus einer Berechnung der polnischen Studentenzeitschrift „Poprostu" hervor. Der amtlich ermittelte Arbeitslosenstand müsse mit 6 multipliziert werden, da sich nur jeder sechste Arbeitslose nach Feststellung des Amtes für Arbeitsreserven registrieren lasse. Das bedeutet, dass die wirkliche Arbeitslosenzahl in Polen zurzeit rund 306 000 betrage (registriert 51 000, Stand vom 1. Juni 1956, gegenüber 20 000 im Dezember 1954, 30 700 am 1. April 1955 und 47 000 am 1. April 1956).

 

Auf der Posener Messe sind nach einer amtlichen Mitteilung insgesamt 1500 Kontrakte für Exporte und Importe mit einem Gesamtwert von 450 Millionen Rubel, d. s. 112 Millionen Dollar, abgeschlossen worden.

 

Die Wiener Symphoniker werden auf dem Warschauer Musikfest im Oktober dieses Jahres unter der Leitung von Michael Gielen mit zeitgenössischen Werken ein Gastspiel geben.

 

Tschechoslowakei

Als Mozart-Museum wurde die Villa eingerichtet, in der Mozart während seines Prager Aufenthaltes gewohnt hat.

 

Seite 3   Rücksiedler und Besucher berichten aus der Heimat. In Ostpreußen kein kirchliches Leben mehr in deutscher Sprache.

Berichte von Rücksiedlern aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern, aber auch Schilderungen von Reisenden, die dank der jetzt großzügiger gehandhabten Verkehrsbestimmungen ihre Angehörigen in den ehemals deutschen Gebieten besuchten, geben klarere Vorstellungen von dem Leben, das die zur Minderheit gewordenen Deutschen dort führen. Im allgemeinen muss festgestellt werden, dass jetzt, wo die Möglichkeiten einer Familienzusammenführung von Verwandten ersten Grades gegeben sind, trotz vieler Besserungen der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wunsch, die alte Heimat zu verlassen, um in Deutschland leben zu können, übermächtig geworden ist. Nach elf Jahren geduldigen Ausharrens in Vereinsamung, äußerer und innerer Not scheint es vielen jetzt untragbar, noch weiterhin in der zur Fremde gewordenen Heimat zu leben. Eine Ostpreußin, jetzt in Westdeutschland lebend, berichtet von einem Besuch bei ihrer Mutter, dass in der grimmigen Kälte im Februar täglich mehr als tausend Menschen stundenlang vor dem Wojewodschaftsgebäude in Allenstein Schlange standen, um die Ausreiseerlaubnis zu beantragen.

 

Zusammengenommen lassen die Berichte erkennen, dass die Lebensverhältnisse in den einzelnen Gebieten noch sehr unterschiedlich sind. In vieler Hinsicht versucht man, den Deutschen das Leben zu erleichtern. In Breslau und Köslin erscheint eine deutsche Zeitung mit dem Titel „Arbeiterstimme", und im pommerschen Stolp wurde kürzlich sogar eine Tagung deutscher Landarbeiterinnen abgehalten, auf der man den Frauen die Möglichkeit gab, Beschwerden vorzubringen. Dabei wurde u. a. der Wunsch geäußert, dass in die Bibliothek der sogenannten Kulturräume auch deutsche Bücher aufgenommen würden. In den Berichten polnischer Zeitungen über die Tagung wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass ohne die Arbeit der deutschen Frauen, die in ihrer Arbeitsleistung vorbildlich seien, das Soll auf den volkspolnischen Staatsgütern nicht hätte erreicht werden können. Für Schlesien hat das Warschauer Ministerium für Staatsgüter genehmigt, dass die deutsche Landbevölkerung sich wieder eigenen Viehbestand zulegen darf, auch der Leistungslohn für Deutsche auf den Staatsgütern soll erhöht werden. In Schlesien und Pommern gibt es, das lassen viele Berichte erkennen, auch noch reges deutschsprachiges kirchliches Leben. Pfarrer Steckel schreibt, dass er im letzten Jahr allein acht Konfirmationen abhalten konnte, bei denen 153 Kinder eingesegnet wurden. In Schlesien sind auch noch einige Diakonissen des Frankensteiner, Dresdener und Breslauer Mutterhauses tätig. Mehrere pommersche Gemeinden haben sich neuerdings sogar wieder eine eigene Kirche einrichten können. Ein Teil der zunächst beschlagnahmten evangelischen Kirchen, die von den polnischen Katholiken benutzt wurden, ist jetzt freigegeben. Im Gegensatz zu Pommern und Schlesien gibt es dagegen in Ostpreußen kein kirchliches Leben mehr in deutscher Sprache. Das gilt nicht nur für Masuren, sondern auch für die Städte Elbing, Marienwerder, Braunsberg und Bartenstein. Ebenso wie in Mittelpolen, Westpreußen, Posen und Oberschlesien darf in dem polnisch besetzten Teil Ostpreußens nur polnisch gesprochen werden. Bei den Gottesdiensten, die von polnischen evangelischen Pfarrern abgehalten werden, verstehen die älteren Besucher oft nur die Worte „Jesus“ und „Amen".

 

Ein Brief aus der Umgebung von Stettin lässt erkennen, was den Vereinsamten ein Gottesdienst in deutscher Sprache bedeutet. Es heißt dort:

 

„Wir haben einen Prediger A. aus G. Er macht den Dienst nur nebenamtlich, ist sonst auf dem Gut Stellmacher. Wenn in der Woche Begräbnis ist, muss er sich die Stunden freigeben lassen. Trauungen finden sonntags nach der Predigt statt, auch Taufen. Der Unterricht für Konfirmanden ist auch am Sonntag in der Kirche. In Stolp wirkt Prediger Dietz. Bisher war der Gottesdienst in dem Gemeindesaal in der Fruchtstraße. Der wurde aber zu klein. Auf Antrag wurde die Kirche in der Arnoldstraße freigegeben. Es waren aber an vielen Stellen große Reparaturen nötig. Die Kirchengemeinden um Stolp herum haben alle dazu gestiftet. Ich selbst habe auch in der Gemeinde eine Sammlung durchgeführt. Am Karfreitag hatten wir nach langen Jahren frei. Da war in der Stolper Kirche kaum ein Stehplatz zu kriegen. Der Gottesdienst fing schon um 9 Uhr an. Bei der Abendmahlsfeier reichten der Prediger Wein und eine Hilfskraft Brot. Trotzdem dauerte die Feier bis beinahe 2 Uhr. Von allen Seiten kamen sie nach Stolp. Manchmal finden an einem Sonntag drei Trauungen statt“.

 

Seite 3   Westpreußen an zweiter Stelle.

Die Provinz Bromberg steht hinsichtlich der Höhe der Kolchosen an zweiter Stelle ganz Polens. Gegenwärtig gibt es in dieser Woiwodschaft 1 282 Kollektivwirtschaften. Das wird nur noch von der Provinz Posen übertroffen, wo 1 430 Kolchosen bestehen. Im gesamten polnischen Machtbereich zählt man jetit 10 616 „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften".

 

Seite 3   Chronik. Kurzmeldungen aus der Heimat.

Allenstein. Die polnische Propaganda empfiehlt, den Sommerurlaub in Masuren zu verleben. Die Begeisterung der Kurgäste wird durch den Mangel an Booten und Segelschiffen jedoch gedämpft, denn auf 1000 Hektar Wasserfläche kommt nur ein Paddelboot.

 

Allenstein. Hunderte von Allensteinern beantragen jede Woche bei der Woiwodschaft die Ausreisegenehmigung nach Westdeutschland.

 

Danzig. Es wird schon länger beobachtet, dass in Polen und den polnisch verwalteten Gebieten erhebliche Truppenverschiebungen vorgenommen werden. Während der Frühjahrsmanöver wurden russische Einheiten nach Westpreußen und Pommern gezogen, so dass das Land von Leningrad bis Stettin mit sowjetischen Soldaten besetzt ist. Es wird darin eine Schutzmaßnahme für die Fernwaffenanlagen gesehen, die in diesem Gebiet gebaut wurden.

 

Danzig. Eine polnische Zeitung stellte fest, dass sich sehr viele Deutsche um die Erlaubnis bemühen, nach Mittel- oder Westdeutschland ausreisen zu dürfen, und erklärt dies damit, dass trotz des neuen Kurses die Furcht geblieben sei. Es wird zugegeben, dass die dort gebliebenen Deutschen terrorisiert wurden.

 

Elbing. Die hiesige evangelische Gemeinde wird von Pfarrer Edmund Frischke, dem Senior der Diözese Allenstein, betreut, dem als Laienhelfer ein Optiker aus Pr.Holland zur Hand geht.

 

Heiligenlinde. Auch heute noch pilgern viele Gläubige zum Wallfahrtsort, der jetzt Swiata Lipska heißt. Die deutschen Inschriften am Kreuzgang sind übermalt worden; die in Pastellfarben gehaltenen Malereien wurden erneuert.

 

Johannisburg. In Nieden wurde 1954 eine Pressplattenfabrik gebaut, wobei man vergaß, für die Ableitung der Abwässer zu sorgen. Nun strömt täglich so viel vergiftetes Wasser in den Spirding-See, den Wigriner See und den Beldahn-See, dass der gesamte Fischbestand bereits ausgerottet ist, wie eine Warschauer Zeitung meldete.

 

Labiau. Am Kurischen Haff wurden 1945 auf Anordnung Moskaus russische Fischer angesiedelt, die jetzt die einzigen Bewohner dieses so schönen Fleckchens Erde sind. Mit ihren modernen Motorkuttern fahren sie in Gruppen aus, nehmen die Netze ins Schlepp und haben beträchtliche Einnahmen durch diesen Raubbau mit gewaltigen Fängen. Schon seit Jahren warnen sowjetische Fachleute vor den Folgen; denn schon jetzt hat der Fischreichtum sehr nachgelassen. Es wurde von der Aufsichtsbehörde in Labiau aber noch nichts unternommen. Die Fischer verdienen ihr Geld leicht und in kurzer Zeit; so haben sie angefangen, Schnaps schwarz zu brennen und sich zu betrinken.

 

Marienwerder. 1951 wurde am Reformationstag die Altlutherische Kirche in der Kleinen Herrenstraße neu geweiht und dient nun den evangelischen Christen als Gotteshaus.

 

Memel. In der Holzstraße ist eine Polizeiwache im alten Wohlfahrtsgebäude eingerichtet worden. Im Übrigen wohnen in dem Hause jetzt russische Zivilisten. Auf einem Trümmergrundstück der Simon-Dach-Straße wurde eine Badeanstalt gebaut, die zur gleichen Zeit 300 Personen aufnehmen kann.

 

Thorn. In der Jakobskirche, die im Mittelalter gebaut wurde und unter Denkmalschutz steht, ist ein Gewölbe in der Nähe des Eingangs, der zum Hauptschiff führt, eingestürzt.

 

Zoppot. Die seelsorgerische Betreuung des nördlichen Westpreußen und des Kreises Stolp in Pommern liegt in den Händen des Pfarrers Eduard Dietz. Außer beim Abendmahl darf er die deutsche Sprache nicht gebrauchen, sondern muss in Polnisch predigen. Die Protestanten in Zoppot dürfen jetzt die im Südwesten gelegene Friedenskirche benutzen und die Krematoriumskapelle in Langfuhr. Zweimal im Monat wird Konfirmandenunterricht erteilt.

 

Seite 3   Russen pflegen das Grabmal Kants.

Ein deutscher Mechaniker, der noch bis vor kurzem in einer Zellulosefabrik in Königsberg (Pr.) tätig war und erst jetzt mit einem provisorischen Reisepass in der Bundesrepublik eintraf, berichtete, dass die sowjetische Verwaltung der ostpreußischen Hauptstadt seit einiger Zeit das Grabmal Immanuel Kants — die „Stoa Kantiana" — am Dom zu Königsberg sauber halte und pflege. Seit 1955 werde nun auch die Innenstadt Königsbergs allmählich von den Trümmern geräumt.

 

Des Weiteren berichtete der Mechaniker, dass die Zellulosefabrik Sackheim in den letzten Jahren verschiedentlich erweitert wurde. Es sind jetzt in dieser Fabrik etwa 3000 Arbeiter beschäftigt, unter denen er der einzige deutsche war. Auch die Zellulosefabrik in Cosse, die Fabrik in Ratshof und die Waggonfabrik Steinfurt arbeiteten auf Hochtouren. In den Zellulosefabriken werde vornehmlich Holz aus Finnland und dem nördlichen Russland verarbeitet.

 

 

Seite 4   Parlamentarische Eile wäre jetzt zum Nachteil. Die gegensätzlichen Auffassungen der Bundesregierung und der Geschädigtenverbände zum 8. LAG-Schlussgesetz.

Bonn. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich Bundesvertriebenenminister Oberländer am 6. Juni einer verständnislosen Phalanx seiner Kabinettskollegen gegenübersah, als er seine Kritik am Regierungsentwurf zum 8. Lastenausgleichs-Änderungsgesetz vortrug. Oberländer hatte dabei in weitgehender Übereinstimmung mit den Geschädigten-Verbänden argumentiert. Das Kabinett verschloss sich dem Plädoyer des Ministers für ein bedeutendes soziales Anliegen des Bundes und damit den Forderungen aller Geschädigten.

 

Der Bundesrat hat sich nunmehr auch mit dem verunglückten Entwurf befasst und bereits in der 1. Lesung einen Katalog mit 12 gewichtigen Einwänden aufgestellt. Es wurde darin betont, dass die Eingliederung nun keinesfalls vollzogen ist. Teilweise gehen die Forderungen des Bundesrates mit denen der Beschädigtenverbände weitgehend konform. Der Entwurf ist an die Bundesregierung zurückgegangen, die ihn jetzt dem Bundestag zugeleitet. Wie erinnerlich hatten die Vertriebenen-, Flüchtlings- und Kriegsgeschädigtenverbände dieses „schwache Zwischengesetz“ als völlig unzureichend bezeichnet, weil es weder finanziell noch materiell eine befriedigende Endlösung verspricht. Eile ist also bei der künftigen parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfes nicht geboten, sie könnte für die Geschädigten nur zum Schaden sein. Mag vielleicht bestimmten politischen Interessentengruppen dieses Gesetz willkommener Anlass dafür sein, bei den Vertriebenen und Flüchtlingen Stimmung für eine sozial fortschrittliche Lastenausgleichspolitik der Bundesregierung zu machen, viel wird sich dabei nicht gewinnen lassen. Überhaupt wäre es grundsätzlich unvertretbar, die Lösung schwerwiegender sozialer Probleme mit Scheinmanövern für wahltaktische Zwecke zu missbrauchen. Die einheitliche Front der Geschädigtenverbände gegen diesen Entwurf sollte eine rechtzeitige Wartung sein, in dieser Hinsicht größte Vorsicht walten zu lassen, zumal die Geduld gerade der Vertriebenen auf dem sozialen Gebiet seit Jahren erheblich strapaziert worden ist. Mit Lobpreisungen der großen staatspolitischen Verdienste der vertriebenen Ostdeutschen, seitens der Bundesregierung, darf es sein Bewenden nicht haben.

 

Stellt man die wesentlichen „Verbesserungen" des Regierungsentwurfs den Forderungen der Vertriebenenverbände gegenüber, so wird die große Divergenz gegenüber einer wirklichen Vervollkommnung der bisherigen Entschädigungsleistungen sichtbar:

 

Hauptentschädigung

Regierung: Aufbesserung der Grundbeträge für die Hauptentschädigung um 20 Prozent. Anhebung der Schadensbeträge für land- und forstwirtschaftliche Vermögenswerte um 30 Prozent.

 

Verbände: Volle Entschädigung für Vermögensverluste bis zu 5000 DM, dann Staffelung der Entschädigungssätze bei größeren Vermögen bis hinunter zu 6,5 Prozent.

Entschädigung für land- und forstwirtschaftliche Vermögen zu 39 Prozent.

 

Hausratsentschädigung

Regierung: Aufbesserung von 200 DM, bei der mittleren Schadensstufe, von 100 DM; Kinderzuschläge für das erste und zweite Kind von 50 DM, für das dritte Kind um 100 DM.

 

Verbände: Erhöhung der Hausratshilfezuschläge grundsätzlich um das Doppelte des Regierungsentwurfs, Gewährung von Kinderzuschlägen auch für Kinder, die 1945 noch zum elterlichen Haushalt gehörten, jedoch 1952 bereits selbständig waren.

 

Unterhaltshilfe

Regierung: Bisher keine Erhöhung der Unterhaltshilfesätze vorgesehen.

 

Verbände: Eine Mindesterhöhung der Unterhaltshilfe um 20 Prozent, wobei die Finanzierung den Lastenausgleichsfonds nicht belasten darf.

 

Eingliederungsdarlehen

Regierung: Aufbringung bis zu 650 Mio. DM für Aufbaudarlehen im Rechnungsjahr 1957 aus dem LA-Fonds, Verringerung der Aufbringung in den folgenden Jahren um jeweils 72 Mio. DM Mittel.

 

Verbände: Keine Aufbringung für diese Darlehen aus dem Fonds. Da andere Ausgleichsleistungen (Hauptentschädigung und Hausratentschädigung) finanziell gefährdet werden.

 

Weiterer Punkt: Ein der Kritik der Vertriebenenverbände ist außerdem die Kostenkalkulation des Bundesfinanzministernums für den Aufwand an Hauptentschädigungsmitteln.

Veranschlagt wurden von der Regierung insgesamt 30 Mrd. DM in einem Zeitraum von 22 Jahren. Die Verbände fordern einen Zuschuss des Bundes von 5 Mrd. DM aus Haushaltsmitteln. Ferner wird eine Änderung des bisher „sprunghaften" Schadensgruppensystems für dringend notwendig gehalten. Ungerechte Stufensprünge von 30 Prozent an Mehrleistungen sind aus rechtlichen und sozialen Gründen nicht haltbar.

 

Die Geschädigtenverbände dürfen erwarten, dass sich der Bundestag nach den Parlamentsferien dieses Gesetzentwurfes mit gebotener sachlicher Gründlichkeit und sozialer Verantwortung vor den Millionen Geschädigten annimmt. Auch der Bundesvertriebenenminister dürfte Gelegenheit haben, vor dem Plenum nachhaltig seinen Standpunkt als Sachwalter aller Vertreibungs- und Kriegsgeschädigten zu vertreten.

 

Seite 4   Mit nachhaltigen Protesten zu rechnen

Der Lastenausgleichsausschuss des BVD erörterte auf seiner 80. Sitzung vor allem die Achte Novelle zum Lastenausgleichsgesetz. Der Ausschuss stellte fest, dass der Entwurf zur 8. La.-Novelle völlig unzureichend sei. Es sei mit nachhaltigen Protesten der Geschädigten zu rechnen. Einen breiten Raum der Diskussion im Ausschuss nahm die Frage der Ausbildungshilfe ein. Es soll eine möglichst schnelle Auszahlung der Ausbildungshilfe erreicht werden.

 

Der Ausschuss nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, dass das Bundesfinanzministerium im Kontrollausschuss die Erklärung abgab, dass der Regierungsbeschluss vom 05.04. mit dem Ziele einer Erhöhung der Hausratshilfe um 150 Mill. DM im Herbst überprüft werden würde.

 

Seite 4   Zusätzliche Unterstützung bei besonderer Not. Weitgehend unbekannte Möglichkeiten des Versorgungsgesetzes neben der Rente

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll allen Kriegsopfern, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind, zusätzlich mit Unterstützungsmitteln geholfen werden. Weiten Kreisen der Heimatvertriebenen ist nicht bekannt, dass den nach dem Bundesversorgungsgesetz rentenberechtigten Beschädigten, Witwen, Waisen und Kriegereltern zur Behebung oder Milderung einer vorübergehenden Notlage, aus der sich die Betroffenen nicht durch eigene Kraft oder anderweitige Hilfe zu befreien vermögen, neben der laufenden Rente Unterstützungsmittel gewährt werden können. Wie verfährt man, um in den Besitz dieser Mittel zu kommen?

 

Man richtet ein Schreiben an das zuständige Versorgungsamt und schildert darin die Ursachen, die die Notlage hervorgerufen haben, sei es, dass Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk gekauft werden mussten, ein vollständiges Bett u. a. m. dringend erforderlich sind. Zweckmäßigerweise lässt man diese Angaben vom Bürgermeisteramt bestätigen. Den Kriegsopfern stehen im Allgemeinen jährlich 200,-- DM Unterstützungsmittel zu, sofern die obengenannten Voraussetzungen erfüllt sind und die Mittel nicht schon für besonders Bedürftige verbraucht sind. Es empfiehlt sich auch eine persönliche Rücksprache beim zuständigen Versorgungsamt, weil hierbei die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingehender besprochen werden können.

 

Den rentenberechtigten Hinterbliebenen stehen schuldlos geschiedene Ehefrauen sowie Empfänger einer Witwen- und Waisenbeihilfe gleich. Als rentenberechtigt gelten ferner Hinterbliebene, die eine Versorgung im Wege des Härteausgleichs erhalten. Vielfach ist nicht bekannt, dass auch nichtrentenberechtigte Kriegereltern, die den einzigen Sohn (das einzige Kind) oder mindestens 2 Kinder durch Kriegseinflüsse verloren haben, Unterstützungen erhalten können. Hinterbliebene können ferner Unterstützungsmittel als Beihilfe zur Deckung von Unkosten erhalten, die durch Überführung verstorbener Beschädigter entstanden sind.

 

Nach den früheren gesetzlichen Vorschriften hatten die Versorgungsbehörden keine gesetzliche Handhabe, auch für Zahnersatz Unterstützungsmittel zu gewähren. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber den Kriegsopfern nunmehr jedoch eingeräumt. Versorgungsberechtigte, die durch größere Ausgaben für Zahnersatz in eine unverschuldete Notlage geraten sind, wenden sich ebenfalls an ihr zuständiges Versorgungsamt und fügen zweckmäßigerweise gleich einen Zahnplan sowie einen Kostenvoranschlag bei. Durch diese gesetzliche Maßnahme wird es vielen Heimatvertriebenen nunmehr möglich sein, den oft längst notwendigen Zahnersatz durchführen zu lassen.

 

Unterstützungsmittel können ferner Beschädigten bewilligt werden die für die sachgemäße und sichere Unterbringung eines Selbstfahrers zu sorgen haben. Für den gemieteten

Unterstellraum kann eine Mietbeihilfe bis zu 100,-- DM jährlich oder zu den Herstellungskosten eines einfachen Schuppens eine einmalige Beihilfe bis zu 200,-- DM gewährt werden.

 

Seite 4   Verwandtenbesuche jenseits der Oder-Neiße-Linie.

Nach einer Mitteilung der Konsularabteilung der „Militärmission der Volksrepublik Polen" in Westberlin sind seit Mai 1955 mehr als 5000 Personen aus dem Bundesgebiet und Westberlin durch kurzfristige „Verwandtenbesuche" zu ihren in den polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebieten lebenden Familienangehörigen gefahren. Die Mehrzahl der Reisenden waren Vertriebene, die 1945 die deutschen Ostgebiete unter polnischer Verwaltung verlassen mussten, während ihre Familienangehörigen von den polnischen Behörden zurückgehalten wurden. Weitere Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten, die nach 1945 in der Sowjetzonenrepublik ansässig wurden, erhielten von der polnischen Botschaft in Ostberlin die Genehmigung ihre Familienangehörigen in den Oder-Neiße-Gebieten zu besuchen. Insgesamt haben fast 10 000 Personen aus dem Bundesgebiet, Westberlin und der Sowjetzone durch die „Verwandtenbesuche" ihre Angehörigen besucht.

 

Seite 4   Vertriebenenausweise beantragen.

Wie das Niedersächsische Vertriebenenministerium mitteilt, haben von den in Niedersachsen etwa 1 270 000 Berechtigten bisher 1 169 398 Vertriebene und Flüchtlinge den Vertriebenenausweis A oder B beantragt. Wer noch keinen Antrag gestellt hat, möge dies in eigenem Interesse umgehend tun.

 

Seite 4   Menschen, die nicht heimgehen dürfen. Erschütternde Zahlen — Kann man darauf einen Weltfrieden bauen?

Die Unesco beziffert die Zahl der Flüchtlinge in aller Welt mit zwanzig bis dreißig Millionen!

 

Im Jahre 1945 lag das Zentrum des Flüchtlingsproblems in Deutschland. Seither haben die politischen Ereignisse in Asien: die Teilung Indiens, der Krieg in Korea, die Entwicklung der Dinge in China, die Teilung Indochinas und die Spannungen zwischen Israel und den Arabern den Schwerpunkt des Problems in den Osten verlagert. Es gibt hier Millionen Deplatzierte, von denen die überwiegende Mehrzahl als „nationale" und nicht als „internationale Refuges" klassifiziert sind, obwohl sie in gleicher Weise ohne Heim und Existenz sind. Sie haben aber von den internationalen Hilfs- und Schutzmaßnahmen keinerlei Vorteile und sind vollständig auf den guten Willen der Regierungen ihrer eigenen Länder oder freiwillige Wohlfahrt angewiesen.

 

Unter diese große Gruppe der international eingestuften Vertriebenen fallen in der Bundesrepublik 11 Millionen Flüchtlinge, 670 000 Chinesen in Hongkong, zwei Millionen auf Formosa, sowie 12 Millionen, welche Indien und Pakistan aufgenommen haben; Koreas Vertriebene sind mit 5 Millionen zu beziffern und ihre Schicksalsgenossen in Vietnam mit fast 1 Million.

 

Neben diesen vielen Millionen heimatloser Menschen, um die sich ausschließlich die eigenen Regierungen zu kümmern haben, gibt es noch zirka 1 Million heimatloser Personen in Europa und etliche tausend im mittleren und Fernen Osten, die unter das Mandat des UN-Hochkommissars fallen. Einer anderen Kategorie sind die 900 000 palestinensischen Araber einzustufen, welche durch das United Nations Relief, die Works Agency for Palestine Refugees und die Unesco ernährt, gekleidet und unterrichtet werden.

 

Seite 4   Wir müssen dem Osten sagen: „Das ganze Deutschland muss es sein“ und dem Westen werden wir klarmachen müssen: „Erst Deutschland und dann Europa“. Dr. Heinrich Schneider, Vors. Der DPS

 

Seite 4   Ergänzungsdarlehen für Bau von Familienheimen. Bedingter Rechtsanspruch des 2. Wohnungsbaugesetzes für Bewilligungen nach 31.12.1956.

Als besondere Vergünstigung für Bauherren von Familienheimen sieht das Zweite Wohnungsbaugesetz (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) einen bedingten Rechtsanspruch auf Gewährung eines zinslosen und höchstens mit 2 v. H. jährlich zu tilgenden Familienzusatzdarlehens vor. Familienheime sind solche Eigenheime, die dazu bestimmt sind, dem Eigentümer und seiner Familie oder einem Angehörigen des Eigentümers und dessen Familie als Heim zu dienen. Das Familienzusatzdarlehen ist für Bauvorhaben im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau auf Antrag solchen Bauherren zu gewähren, die mehr als zwei Kinder haben, für die Kinderermäßigung nach dem Einkommensteuergesetz gewährt wird oder zusteht. Es beträgt für das dritte und jedes weitere Kind 1500 DM. Aus sozialpolitischen Gründen soll das Zusatzdarlehen für Schwerkriegsbeschädigte Bauherren und Kriegerwitwen schon vom zweiten Kind an bewilligt werden. Um den genannten Bauherren die Aufbringung des erforderlichen Eigenkapitals und die Finanzierung des Bauvorhabens zu erleichtern, ist ausdrücklich bestimmt, dass das öffentliche Baudarlehen nicht deshalb gekürzt werden darf, weil dem Bauherrn ein Familienzusatzdarlehen gewährt wird.

 

Der Anspruch auf Familienzusatzdarlehen besteht grundsätzlich erst für Anträge auf Bewilligung öffentlicher Mittel, die nach dem 31. Dezember 1956 bewilligt werden. Um in den Genuss dieser besonderen Vergünstigungen zu kommen, können jedoch Bauherren, die bereits einen Antrag auf Bewilligung eines öffentlichen Baudarlehens gestellt haben oder vor dem 31. Dezember 1956 stellen, verlangen, dass über ihren Antrag erst nach dem 31. Dezember d. J. entschieden wird. Die Länder können im Übrigen auch diesen Termin durch Rechtsverordnung zeitlich vorverlegen. Bei bereits gestellten Anträgen auf Bewilligung öffentlicher Mittel und auch bei den später einzureichenden Anträgen muss in jedem Falle das Familienzusatzdarlehen ausdrücklich beantragt werden.

 

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 6. August 1956.

Heiden, Moore, Wälder.

Zeichnung: Hermann Löns mit Unterschrift

Während eines schweren Vormorgengewitters kam ich als erstes Kind meiner Eltern zu Kulm an der Weichsel zur Welt. Während im Allgemeinen die Geburt eines Kindes für die Eltern eine Erhöhung der Ausgaben bedeutet, entsprang aus meiner Ankunft meinen Eltern sofort ein Nutzen. Des Haus, in dem sie wohnten, war verschrien. Es hieß, es käme in ihm kein Kind zur Welt. Sobald ich nun die Wände beschrie, erschien der Hausbesitzer mit einem großen Blumenstrauß bei meinem Vater, wünschte ihm Glück und teilte ihm mit, dass er ihm für ein Jahr die Miete erlasse, weil der üble Ruf von dem Hause genommen sei. Nach ungefährer Jahresfrist wurde mein Vater nach Deutsch-Krone, einem reizend zwischen zwei großen Seen gelegenen Städtchen Westpreußens, versetzt. Meine erste Erinnerung ist die, dass ich in einem blauen Kittel auf dem gepflasterten Hofe saß und die grün und rot gefärbten kleinen Blattkäfer, die auf dem zwischen den Steinen wuchernden Vogelknöterich umherkrochen, in eine Pillenschachtel sammelte. Bis zu meinem 18. Lebensjahr lebte ich dort... Schon als ganz winziges Kind war mein größtes Vergnügen, den Fliegen am Fenster zuzusehen, und mit fünf Jahren lockte mich eine tote Maus mehr als ein Stück Kuchen. Rebaus Naturgeschichte wurde so lange gelesen, bis nichts mehr davon übrig war, und ohne irgendwelche Anleitung zu haben, sammelte ich und bestimmte ich, so gut es ging. Steine, Pflanzen und Tiere. Mit zwölf Jahren durchstreifte ich, meist allein, meilenweit die Heiden, Moore und Wälder, wobei ich allerlei seltsame Abenteuer erlebte.

 

So geriet ich einmal, als ich mich in einer einsamen Kiefernheide beim Fang des bunten Dünenmaikäfers verspätete, mitten in ein Treiben, das ein Dutzend Wilddiebe mit geschwärzten Gesichtern abhielten. Ein anderes Mal stellten mich drei junge, fette Zigeunerweiber, deren ich mich nur durch Fußtritte und Faustschläge erwehren konnte. Wieder einmal platzte ich mitten in eine Amtskommission hinein, die bei der Leiche eines von Holzdieben ermordeten Försters den Tatbestand aufnahm. Beim Besuch einer Seeschwalbensiedlung ertrank ich beinahe. Acht Tage nachher biss mich eine Kreuzotter. Wieder einmal, als ich am Fuße einer dicken Eiche vor Übermüdung eingeschlafen war, erwachte ich von Stimmen. Zwei Waldarbeiter und der Förster standen da und besahen einen alten Trinker, der sich, während ich dort schlief, an der anderen Seite des Baumes erhängt hatte.

 

Teils durch meinen Vater, teils durch das Leben auf Gütern und Förstereien, auf denen ich meistens die Ferien verbrachte, wurde ich Fischer und Jäger. Doch war mir schon damals ein unbekannter Fisch, ein seltener Vogel, eine regelwidrig gefärbte Eichkatze von größerem Werte als ein ganzer Galgen voller Hühner. Der Begriff des sportlichen Rekordes ging mir nie ein. Mein erster Rehbock erregte mich lange nicht so wie der erste Seidenschwanz, den ich im Sprenkel fing, und als ich einen achtzehnpfündigen Hecht schottete, war ich längst nicht so stolz als an dem Tage, da ich die erste Groppe, ein spannenlanges Fischchen, in der Küddow kätscherte. Ich schoss auf meinen ersten Hirsch wie nach der Scheibe, aber als ich die Schwarzdrossel als Brutvogel fand, flog mir das Herz.

 

Schon damals war ich der Heide angeschworen. Ich konnte vor Freude über die Pracht eines maigrünen Buchenwaldes nasse Augen bekommen. Ähnlich ging es mir mit den Menschen; auch bei ihnen lockte mich das Ursprüngliche. Ich war ein Freund der Hütejungen, Fischerknechte, Waldarbeiter. Meine sehr zivilisierten Mitschüler, die mit 16 Jahren Zigaretten rauchten und Fensterpromenaden machten, langweilten mich. Einer meiner Lehrer sagte mir einmal: „Gewöhnen Sie sich die Tendenz nach unten ab!" Es ist mir nicht gelungen. Mein Interesse, oder mein Herz, ist bei dem breiten Unterbau meines Volkes geblieben, auf dem das Leben der Nation schließlich beruht, bei den Bauern, Handwerkern und Arbeitern.

 

Mir schmeckt es stets besser, wenn ich am gescheuerten Tisch über den Daumen frühstücke, als wenn ich mich in Lack und Frack zwischen weißen Schultern durch zehn Gänge durchesse und Konversation machen muss.

 

Seite 5   Höret. Von Hermann Löns.

Es gibt nichts Totes auf der Welt

Hat alles sein' Verstand.

Es lebt das öde Felsenriff,

es lebt der dürre Sand.

 

Lass Deine Augen offen sein,

geschlossen Deinen Mund.

Und wandle still, so werden Dir

geheime Dinge kund.

 

Dann weißt Du, was der Rabe ruft,

und was die Eule singt.

Aus jedes Wesens Stimme Dir

ein lieber Gruß erklingt.

 

Seite 5   Heilige Bäume.

Die Ordenschroniken wissen viel von der heiligen Eiche der alten Preußen bei Romove zu erzählen; eine andere heilige Eiche, welche die heidnischen Preußen verehrten, ist unweit Wehlau am Pregel in dem Dorfe Oppen gewesen, in einem Garten an der Landstraße von Königsberg nach Ragnit. Sie war von fast unerhörter Dicke und Höhe, so dass ein solcher Baum seit der Sintflut wohl nicht mehr gewesen ist; sie war inwendig hohl und so weit, dass einer mit einem großen Gaul hineinreiten und darinnen mit dem Gaul umwenden und sich tummeln konnte. Unten an der Erde war sie siebenundzwanzig Ellen dick. Unter dieser Eiche wurden viele Götter verehrt, denen man Schlangen hielt und Milch vorsetzte. Sie hat bis vor zweihundert Jahren gestanden; da aber soll sie, wie man sich erzählt, plötzlich in einer Nacht verdorrt und umgefallen sein.

 

Auch in der Nähe von Labiau stand vor alten Zeiten nahe am Wasser eine mächtige Eiche, welche dem Beschützer des Wassers, dem, hl. Jodocus, geweiht war. Sie war inwendig hohl, und jeder Schiffer, der hier vorbeisegelte, warf einen Pfennig in diese Höhlung, weil er sich dadurch Schutz vor Sturm und Schiffbruch zu erkaufen hoffte. Niemand wagte, den in diesem Baume angesammelten Schatz anzurühren; da kam ein böser Mensch dahin, der stahl ihn, es war eine ungeheure Summe. Aber da verdorrte der Baum; allein die Stelle, wo er gestanden hat, wird noch gezeigt, und die Schiffer pflegten noch im vorigen Jahrhundert ihren Pfennig auf die leere Stelle zu werfen.

 

Seite 5   Aus unserer Bücherkiste.

Liebe Leseratten!

Es freute uns, dass uns einige von Euch so zustimmend zu der in der letzten „Kogge" vorgelegten Auswahl schrieben, ganz besonders aber über den Anklang, den das Büchlein „Der geheimnisvolle Stein" bei Euch fand. Ist ja auch eine tolle Geschichte, und sicher habt Ihr auch viel über das „Gold des Nordens“ dazu gelernt.

 

Heute wollen wir uns mit drei Bändchen den Sagen und Märchen unserer Heimat zuwenden, die ja — die Erfahrung haben wir inzwischen gesammelt — immer gern gelesen werden.

 

Das ist zuerst das Ostdeutsche Sagenbüchlein. Von Will-Erich Peuckert, erschienen in der Schriftenreihe des Göttinger Arbeitskreises, Heft 4, 40 S., DM 1,10. In ihm ist eine Auswahl der schönsten Sagen aus den deutschen Ostgebieten von Memel bis zu den deutschen Siedlungsgebieten in der Slowakei. Einen großen Anteil hat unsere ost- und westpreußische Heimat. Hier erzählt der Volksmund von Städtegründungen, aus der großen geschichtlichen Zeit des Deutschen Ritterordens, von Kriegen und Notzeiten und wundersamen Begebenheiten. Eine Probe daraus bringen wir Euch auf Seite 2 der „Kogge“ (Heilige Bäume).

 

Das nächste ist das Ostdeutsche Märchenbüchlein. Vom gleichen Verfasser bearbeitet und in der gleichen Schriftenreihe als Heft 5 erschienen, Holzner-Verlag, Würzburg, 28 Seiten, DM 1,10. An diesen ausgewählten Märchen aus dem deutschen Osten werden nicht nur die Kleinen unter Euch ihre Freude haben. Märchen kann man das ganze Leben lesen. Ostpreußen ist mit den schönen Märchen „Vom Kätzchen und Katerchen, die auf die Nüsse gingen“, „Der Prinz von Drengfurt" und „Der dwatsche Hans" vertreten, eins schöner als das andere. Ihr werdet großen Beifall und Dank ernten, wenn Ihr am Abend Euren jüngeren Geschwistern aus diesem Bändchen vorlest.

 

Das dritte Bändchen, mit dem wir Euch heute bekanntmachen wollen ist die Sammlung Sagen und Sitten aus Elbing. Gesammelt von Walther Braun, soeben als neuester Band der „Elbinger Hefte" erschienen. Dieses Bändchen wollten wir Euch an sich schon in der letzten „Kogge" empfehlen, leider aber reichte der Platz nicht aus. Eine Probe aber haben wir Euch bereits zu lesen gegeben, an die Ihr Euch sicher noch mit Schmunzeln erinnern werdet, die Sage von der „Schweinebrücke“. Wir möchten heute nur noch hinzufügen, es lohnt sich, weiter in diesem Bändchen zu blättern! Wir begegnen in ihm einem Stück ostdeutschen Brauchtums und Volksglaubens und einer Auswahl aus dem reichen Strauß deutscher Sagen. Und damit Schluss für heute. Es grüßen Euch Gert und Ute.

 

Seite 5   Neuerscheinungen.

Heimat gestern und morgen, heimatpolitische Broschüre der DJO-Bundesgruppe Westpreußen, zusammengestellt von Hugo Rasmus. 0,60 DM. Diese Schrift berichtet über die Lage und Haltung der Exilpolen und über den sowjetischen Imperialismus gegenüber Polen. Außerdem setzt sie sich mit den Auffassungen der Polen „hüben" und „drüben" zur Oder-Neiße-Frage und unserer Heimat auseinander. Es ist eine wertvolle und interessante Gesamtdarstellung dieser Problematik, die auch die Aussage unserer Jugend einschließt. Sehr aufschlussreich ist ein Beitrag über die Entwicklung, die Westpreußen nach 1945 bis zur unmittelbaren Gegenwart genommen hat. Unsere Heimat ist bewusst in den Blickwinkel verschiedener Richtungen gestellt, um uns ein realistisches Bild für unsere heimatpolitische Arbeit zu vermitteln.

 

Jugend im Aufbruch. Zur Geschichte der Jugendbewegung in Westpreußen, eine interessante Übersicht über das Werden und Wirken der alten bündischen Jugend und späteren Jugendverbände in und fern der Heimat unter Einschaltung vieler Erlebnisschilderungen. Es ist ein wissenswerter Beitrag, der die Geschichte Westpreußens um ein bisher unbekanntes Kapitel ergänzt, das dem Bewusstsein der Jugend von heute dient, um jene Tradition zu wahren. Trotz des historischen Stoffes ist das Buch lebendig geschrieben, liest sich gut und eignet sich zum Vorlesen in unseren Gruppen. Es ist illustriert und broschiert von der DJO-Bundesgruppe Westpreußen herausgegeben. Preis 1,90 DM. Beide Broschüren sind erhältlich durch: DJO-Bundesgruppe Westpreußen, Bonn, Leipziger Straße 3.

 

Seite 5   Aus Bund und Gruppen.

Westpreußen-Sommerlager.

Das diesjährige Sommerlager der DJO-Bundesgruppe Westpreußen findet vom 1. bis 14. August in der Nähe von Brilon/Wald statt.

 

Neidenburger Jugendwoche.

Die Neidenburger Jugendwoche in Bochum wird vom 10. bis 16. September stattfinden, und zwar im Haus der Naturfreunde am Hedberg. Die Teilnehmer werden hier freie Unterkunft und Verpflegung erhalten, ebenso werden die Reisekosten ganz oder zum Teil bezahlt. Anmeldungen an Wagner, Bürgermeister z. Wv., Landshut/Bay. II, Postfach 2.

 

Seite 5   Mit Bücher auf Fahrt!

Das große Fahrt- und Lager-Handbuch, 400 Seiten, Fotos, Farbtafeln, 200 Abbildungen. Ein großartiges Nachschlagewerk für alle Fahrt- und Lagertechniken. Von der Fahrtenvorbereitung bis zum Morseapparat, Baustil, Kochrezepte, Zeltbau, Kompasskunde usw. Dazu ein komplettes Lagerprogramm für 4 Wochen. DM 4,80

 

Waldläufer-Handbuch I u. II

Jeder Band 330 Seiten, 300 Abbildungen. Diese beiden Taschenbücher zeigen gründlich alle Kenntnisse und Handfertigkeiten, die ein echter Junge und Pfadfinder beherrschen muss. Jeder Band in sich abgeschlossen, je DM 4,80

 

1000 Jugend-Spiele.

Spielhandbuch für Jungen und Mädchen, für Heim und Sportplatz. 360 Seiten, 500 Abbildungen. Mit diesem weitverbreiteten Spielhandbuch ist Langeweile unmöglich! 1700 Spiele aller Art mit über 3600 Anregungen! DM 4,80

 

Beliebte ostpreußische Jugendbücher!

Wolf der Struter, von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Deutschen Ritterordens in Preußen. DM 3,80

 

Tatarensturm, von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Großen Kurfürsten, die den Einfall der Tataren schildert DM 3,80

 

Ost- und Westpreußischer Sagenborn, von Jochen Schmauch. Auf 68 Seiten die schönsten Sagen unserer Heimat, mit zahlreichen Illustrationen versehen. DM 3,90

 

Diese und alle anderen Jugendbücher durch Ostpreußen-Buchdienst, Elchland-Verlag Göttingen / Postfach

 

 

Seite 6   Wolf der Struter. Erzählung aus der Zeit des Deutschritterordens in Ostpreußen. Von Max Worgitzki. (5. Fortsetzung)

„Aha“, sagte Wolf, dort hat er sein Winterlager. Es wird nicht leicht sein, ihn aufzustöbern“.

 

Wolf überlegte. Das Bruch war klein und lag in einem tiefen, fast kreisrunden Kessel. Aber es war dicht bestanden von jungem Baumwuchs, Kiefern, Birken und Erlen, und rundum durch einen breiten, stacheligen Wall von Brombeersträuchern geschützt.

 

„Ein gewitziger Bursche“, fuhr Wolf fort. „Hat sich da eine hübsche Festung ausgesucht. Alle Tore fest verrammelt, und nicht einmal eine Ritze, durch die man durchgucken kann. Aber wir wollen es doch versuchen“.

 

Dann blickte er sich suchend um und winkte Jörge, ihm zu folgen. Vor einer starken Buche oben am Hang machten sie halt.

 

So, Jörge, hier stellst du dich hinter den Baum und nun gib acht. Ich rücke dem braunen Herrn von der anderen Seite des Bruches her auf den Pelz. Du hältst dich ganz still, und nur, wenn du siehst, dass er heimlich auskneifen will, dann rufst du mir zu. Kommt er dir zu nahe, so kletterst du flink auf den Baum!"

 

Jörge fuhr auf und wollte eine solche Zumutung entrüstet zurückweisen. Der Struter aber wehrte lächelnd ab.

 

„Das wirst du schon ganz von selber tun!" Und ernst werdend, fuhr er fort:

 

„Du kennst Meister Petz nicht, kleiner Mann. Er greift den Menschen nur an, wenn er verwundet wird. Dann aber wird er, dem stärksten Jäger gefährlich. Also keine Unbesonnenheit!"

 

Gehorsam bezog Jörge seinen Posten, und Wolf schlich davon. Er schlug einen großen Bogen um das Bruch und war bald dem Blick seines Gesellen entschwunden.

 

Lange, lange war nichts zu sehen und nichts zu hören. Jörge wartete geduldig, horchte in den Wald hinein und hielt fleißig Umschau. Nichts. Da begann langsam die Pein des Harrens an seinen Nerven zu zerren. In das Rauschen der Bäume mischte sich das Singen des eigenen Blutes, seltsame Stimmen und Töne wachten auf und geisterten lockend um ihn her. Aber das Auge ließ sich nicht beirren, es kam wirklich nichts.

 

Das war eine arge Enttäuschung. Also so sieht eine Bärenjagd aus? Sich versteckt halten, nichts tun, nur abwarten? Und wenn sich schließlich doch etwas blicken lässt, dann ausreißen? Auf einen Baum klettern? Ha, nein! Da wollte Jörge doch beweisen, dass er ein Jäger war.

 

Aber wie er gerade mächtig mit dem Speer auf die Erde aufstieß, um seinen mannhaften Beschluss zu bekräftigen, zuckte er in jähem Schreck zusammen. Zur Rechten, keine fünfzig Schritt entfernt und schon auf dem halben Hang, stand der Bär und schaute mit seinen kleinen funkelnden Augen zu ihm herüber. Großer Gott! Wie kam der daher! Das kommt davon, wenn man auf Posten seine Gedanken Spazierengehen lässt.

 

Unter Jörgens blondem Schopf wirbelte es wie toll durcheinander, und die Erregung schüttelte seine Glieder. Die Jagdleidenschaft hatte ihn gepackt, sie ließ ihn alle Weisungen vergessen. Der Bär schielte noch immer misstrauisch herüber. Jetzt wiegte er überlegend den runden Kopf, dass sein Körper ins Schaukeln kam, dann aber machte er kurzerhand linksum und gedachte sich gemächlich zwischen den Bäumen davon zu trollen. Das war denn doch der reine Hohn. Blitzschnell hob Jörge den Jagdspieß, zielte ... halt! zu weit! Er warf den Spieß in den Schnee, riss den Bogen vom Rücken, einen Pfeil an die Sehne, und fort sauste das gefiederte Geschoß. „Getroffen!" jubelte der junge Schütze, aber der Siegeschrei brach jählings ab, denn da stürzte urplötzlich eine dunkle, unheimlich größer werdende Masse mit wahnwitziger Geschwindigkeit heran. Ein rotes dampffauchendes Maul, zwei glühende Lichter ... ehe Jörge noch recht wusste, wie ihm geschah, hatten seine Arme und Beine den Stamm der Buche umklammert und hasteten in die Höhe bis zum ersten starken Ast. Da saß er nun, der kühne Jägersmann, zitternd und keuchend von der Anstrengung, und blickte mit verstörten Augen herab. Der Bär hatte sich hoch aufgerichtet. In seiner linken Flanke steckte der gefiederte Pfeil, ein Blutbächlein rieselte aus dem zottigen Pelz zu Boden und zeichnete auf dem Schnee purpurne Blumen. Die mächtigen Tatzen aber schlugen in rasender Wut den Stamm, dass er bis zur Spitze erbebte. Und jetzt heftete das Untier seine tückisch funkelnden Äuglein fest auf den Feind über ihm, die Krallen griffen in die Rinde und schoben den schweren Körper Zoll um Zoll am Stamm in die Höhe. Jörge traute seinen Augen nicht, dann schnellte er entsetzt von seinem Sitz auf und kletterte von Ast zu Ast, so hoch, als ihn der Stamm zu tragen vermochte.

 

Aber auch der Bär klomm höher und höher. Schon hatte er den schwierigsten Teil des Weges überwunden, seine rechte Tatze fasste den ersten Ast, da zischte es durch die Luft, ein harter Schlag, und der Schaft eines Spießes ragte zitternd aus dem Leib des Bären hervor, als hätte er ihn fest an den Baum genagelt. Einen Augenblick später jedoch löste sich die schwere Masse vom Stamm und schlug dumpf krachend auf den Boden auf. Noch einmal versuchte der Bär sich aufzurichten, dann stieß er ein klägliches Brummen aus und sank langsam auf die Seite.

 

Jetzt näherte sich Wolf vorsichtig seiner Beute. Und erst als er sich überzeugt hatte, dass der Bär wirklich tot war, blickte er zu dem Wipfel der Buche empor und rief mit fröhlichem Spott: „Wo ist denn nun mein tapferer Held?"

 

Jörge antwortete nichts, sondern stieg zögernd langsam von Ast zu Ast herunter und stand endlich vor seinem Gefährten, noch blass von dem überstandenen Schreck und verwirrt von Scham. Wolf aber spottete lustig weiter:

 

„Aha! Was sehe ich? Man schießt mit dem Pfeil nach dem Bären, hat ihn wohl für einen Hasen angesehen?" Dem Knaben trieb es das Blut ins Gesicht, er stotterte eine Rechtfertigung hervor, aber Wolf unterbrach ihn sogleich und schlug ihm beschwichtigend auf die Schulter.

 

„Lass nur, mein Junge. Jeder Mann beginnt seine Laufbahn mit Fehlern und Dummheiten.Und das ist gut so, denn sie sind seine besten Lehrmeister. Drum merke auch du dir* aus dieser Geschichte dreierlei:

 

Befehl ist Befehl, mag da kommen, was will!

 

Zweitens: Du sollst deinen Feind niemals unterschätzen!

 

Und endlich: Wir sollen dem Herrgott für alles danken, auch, dass er den Wald voller Bäume geschaffen hat. Denn auch der Tapferste muss manchmal ausreißen.

 

So, und nun wollen wir dem braunen Herrn da den Rock ausziehen!"

 

Die Nacht war hereingebrochen, als Wolf und Jörge ihre Behausung erreichten. Sie hatten schwer zu schleppen gehabt an der kostbaren Last. Wolf wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann sagte er befriedigt:

 

„Wenn Meister Petz aus dem Lager kriecht, ist der Frühling bestimmt da. Gib Acht, Jörge, in zwei Wochen schlüpfen wir aus unserem Bau“.

 

Ein Kriwul wanderte durch die Wildnis.

 

So nannten die Struter mit preußischem Wort einen Stab, in den seltsame, runenartige Zeichen eingekerbt waren. Allen Kundigen war ihr Sinn wohl bekannt. Und da flinke Läufer ihn ohne Säumen von Lagerfeuer zu Lagerfeuer trugen, so bedurfte es nur weniger Tage, um eine Botschaft an alle Banden durchzugeben.

 

Wolf hatte den Kriwul auf die Reise geschickt. Er lud die Strutführer zu einer Tagfahrt. Am Palmsonntag sollte sie stattfinden, und als Treffpunkt hatte er die alte Eiche am Helledanger Moor bestimmt. Als der Tag gekommen war, fehlte nicht einer der Entbotenen.

 

Das war eine seltsame Gesellschaft, die sich da um das Feuer am Fuß des ehrwürdigen Baumes gelagert hatte. Dreiundzwanzig Männer verschiedenen Alters, Deutsche und Preußen, und keiner dem andern gleich in Gewandung und Bewaffnung. Aber mochte ihr Kleid aus deutschem Tuch oder preußischem Leinen, mochte ein Kettenhemd darunter oder ein Schafpelz darüber sein, ein jedes trug die Spuren von Wind und Wetter und unzähligen Lagerfeuern. Und so mancher Riss und dunkle Fleck bezeugten, dass es ein Kriegskleid war. Auch die Waffen, so unterschiedlicher Art sie waren, wurden gewiss nicht zum Spiel mitgeführt. Da gab es lange und kurze Schwerter, breite Messer und spitzige Dolche, und der eine und andere, zumal unter den Preußen, trug im Gürtel noch die Wurfkeule. Von geübter Hand geschleudert, war sie gefährlich und wegen ihrer Tücke gefürchtet. Alle aber hatten den kurzen Wurfspieß griffbereit neben sich in den Boden gesteckt.

 

Unklug ist es, in der Wildnis seine Stimme schallen zu lassen, gleich dem Vogel, den der Luchs frisst. Darum flackerte nur gedämpft das Gespräch im Kreise der Lagernden hin und wieder. Aber die Augen blitzten, denn vielerlei war da nach der Trennung des langen Winters zu erzählen, und sogar ein frohes Lachen huschte zuweilen über die wettergebräunten Gesichter. Nur glich es dem Sonnenschein in einem Dickicht, auf halbem Wege schon blieb es in dem Gestrüpp der wilden Barte stecken. Denn alle die Struter, wie sie da beieinander saßen, waren nicht nur echte Söhne der Wildnis, sie verleugneten sie auch in ihrem Aussehen nicht. Absonderlich waren auch ihre Namen. In den Kirchenbüchern ließen sie sich gewiss nicht finden. Und sollten auch nicht gefunden werden, denn sie waren wie ein Vorhang, der die Pforte zur Vergangenheit schloss. Wieviel Irrung, Schuld und Fehle, aber auch viel, viel hartes Geschick mochte sich hinter ihm bergen, das vergessen sein wollte und doch in der Brust des einzelnen immer wachblieb. Da war Willim, den wir schon kennen. Den roten Willim hießen sie ihn, weil Haar und Bart sein Haupt wie ein Feuerbrand umlohten. Ein Hüne von Gestalt und Körperkraft. Und doch schaute aus seinen blauen Augen die Güte eines Herzens heraus, das ihn zum hilfsbereitesten Menschen und treuesten Gefährten machte. Im Kampf aber schien er in ein reißendes Tier verwandelt. Hass und Mordgier verzerrten sein Gesicht und lobten durch seine bebenden Glieder. Jeder Streich seiner Waffe brachte den Tod, und zerbrach sie ihm, so stürzte er sich mit bloßen Fäusten auf den Feind, würgte ihn und brach ihm das Genick. Wer ihn jemals so in seiner schrecklichen Wildheit gesehen hatte, glaubte gern, was die heimlich raunende Mär von ihm erzählte. Ein freier Bauer soll er gewesen sein, der sich in der Löbau einen stolzen Hof errichtet hatte. Zu einsam liegt er und zu nahe der Wildnis! So warnten ihn die Nachbarn, die es vorzogen, im sicheren Gehege eines Dorfes zusammenzurücken. Er aber hatte nur gelacht und seine mächtigen Arme gestreckt. Und dann, über Nacht, waren die Sudauer doch über ihn gekommen. Ehe er sich noch recht aus dem Schlaf riss, war er schon niedergeschlagen, und Haus und Hof standen in hellen Flammen. Dann hatten sie ihn herausgeschleppt und draußen, wie er sich auch wehrte, an einen Baum gebunden. So wollten sie ihn zwingen, mit anzusehen, wie sie sein Weib und seine Kinder in die Flammen warfen. Ob es in Wirklichkeit so gewesen war, das wusste freilich niemand. Denn als die Nachbarn kamen und ihn selbst aus den Händen der Unmenschen befreiten, war der Bauer ein stiller Mann geworden. Kein Wort sprach er mehr, und in der folgenden Nacht war er verschwunden. Es war lange her als das geschah. Aber wenn Willim, der Struter, seine Lider schloss, flammte es vor seinen Augen auf, rote Glut fuhr sengend über sein Hirn und entsetzliche Schreie schlugen es mit messerscharfen Krallen. Wehe dem Sudauer, der ihm dann zu Gesicht kam.

 

Was die Mär erzählte, warum sollte es nicht wahr sein? Seht, dort an den Stamm der alten Eiche gelehnt, sitzt ein Mann, dem schlohweißes Greisenhaar auf die Schultern fällt. Aber blickt nur genauer hin, so werdet ihr erkennen, dass es nicht die Last der Jahre ist, die seinen Schopf bleichte, seine Augen verdüsterte, und seinen Mund stumm machte. Schaut nur auf seine narbigen Hände, oh, die wissen euch noch eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Das ist Unsatrape, der da sitzt. Sein Vater war einer jener preußischen Edelinge, die sofort freudig sich zu Christus bekehrten, als der Orden die Heilsbotschaft über die Weichsel brachte. In unbeirrbarer Treue hatte er fortan in Kampf und Fährnis zu seinem Gelöbnis gestanden und viele seiner Volksgenossen durch Wort und Vorbild der neuen Lehre gewonnen. Die besten und begeistertsten Helfer aber wuchsen ihm in seinen beiden Söhnen, Miligedo und Unsatrape, heran. So mehrte sich seine Gefolgschaft von Jahr zu Jahr. Mit ihr mehrte sich aber auch der Hass in den Herzen seiner heidnisch gebliebenen Volksgenossen und umlauerte seine Burg mit tückischen Augen. Vielen Stürmen hatte sie widerstanden, der Wut des großen Aufstandes erlag auch sie. Der Komtur von Balga, der zu Hilfe herbeieilte, kam gerade noch zur Zeit, um die siegesberauschte Schar der Heiden zu schlagen und zu vertreiben. Die Beute jedoch vermochte er den Fliehenden nicht zu entreißen, und die Burg stand in hellen Flammen. Auf dem Burghof aber waren drei dunkle Kreuze aufgerichtet, und an ihnen hingen, vom zuckenden Schein der Lohe umglänzt, die nackten Leiber des Burgherrn und seiner Söhne. Als sie abgenommen wurden, erwies sich, dass Unsatrape noch Leben zeigte. So brachten sie ihn in die Firmerie der Burg Balga, und, mochte es auch lange Wochen dauern, mochte sein Haar auch weiß geworden sein, der junge Körper genas und erlangte seine volle Kraft wieder. Fortsetzung folgt

 

Seite 6   Drei Sagen aus Kulm.

Das vermauerte Tor.

In den Mauern von Kulm, auf der Seite nach Thorn, waren deutlich die Spuren eines vermauerten Tores zu erkennen. Einst, so berichtet die Sage, hatten sich ein Mönch und eine Nonne aus dem benachbarten Benediktinerinnenkloster liebgewonnen; nach mancherlei vergeblichen Bemühungen glückte es ihnen endlich, zu entfliehen, und zwar nahmen sie den Weg durch dieses Tor. Es wurde daraufhin zum Gedächtnis dieser Begebenheit vermauert.

 

Das flüchtende Marienbild.

Auf dem Walle der Stadt Kulm, nach dem Weichselstrome zu, stand ein lebensgroßes Bild der Mutter Gottes in einer Nische. Es wird erzählt, dass es einst bei einer Belagerung der Stadt seinen gewöhnlichen Standort, da es an diesem den Kugeln der feindlichen Geschütze zu sehr ausgesetzt war, von selbst verlassen und sich in eine andere Nische, die mehr Schutz bot, begeben habe, und dort auch bis zur Aufhebung der Belagerung geblieben sei und dann wiederum von selbst an den früheren Ort zurückkehrte. Auch von den steinernen Kugeln, die man damals von Schwetz aus auf die Stadt Kulm mit Wurfmaschinen geschleudert und die etwa einen Fuß Durchmesser hatten, waren acht zum Andenken dieser Begebenheit in die Stadtmauer eingefügt.

 

Der Schwedenstein.

Im letzten Kriege, den die Schweden unter Karl Gustav gegen die Polen führten, musste auch Kulm eine harte Belagerung ausstehen. Der Feind, der die Stadt nicht mit Gewalt nehmen konnte, beschloss sie auszuhungern. Als die Not in den Mauern der Stadt ihren höchsten Stand erreicht, da kam man auf den Einfall, zu versuchen, ob nicht die Schweden durch eine List zum Abzuge zu bewegen wären. Man nahm alles noch vorhandene Mehl, backte zwölf große Brote und schleuderte diese nebst dem geräucherten Fleische, was man noch übrig behalten hatte, in das feindliche Lager. Der König, der langwierigen Belagerung schon müde, glaubte nicht anders, als dass die Stadt noch hinlänglich mit allem versehen sei und zog ab. Ein großer Stein, der einsam auf unbebautem Felde an der Stelle, wo des Königs Zelt gestanden, liegt, und auf welchem dieser seine Mahlzeiten gehalten, erinnert noch jetzt durch seinen Namen: der Schwedenstein, und durch Gabel, Messer und Teller, die in ihm eingehauen sind, an jene Begebenheit.

 

Seite 6   Weisen aus uralter Zeit.

… Wenn dann, Unweiter verkündend, die Sonne zwischen schwarzem und blutrotem Gewölk hinter den Heidbergen über dem Moore zu Bette geht, der Sturm die Kiefern antreibt, ihre dunkelsten Lieder zu singen, und die Machangeln so zaust, dass sie sich unwillig schütteln, wenn dann die Nebelhexen über das Bruch jagen, dass die Fetzen ihrer schlampigen Röcke über das fahle Gras hinschludern, die Winterkrähen mit rauem Rufe dahintaumeln, dann lohnt es sich wohl, einige Zeit unter dem Wahrbaum zu weilen und den seltsamen Runen zu lauschen, die sein krauses Astwerk singt. Weisen aus uralter Zeit sind es, die sie kundgeben, aus den Tagen, da noch der wilde Wisent durch das Bruch zog und der grimme Grauhund seine Fährte in den Sand drückte, da an den Giebeln der Strohdachhäuser die Schädel der Mähren bleichten, die Wodan und Thor zu Ehren in dem heiligen Kreise auf dem Hingstberge, der dort über den anderen Hügeln sein braunes Haupt erhebt, unter dem Steinmesser zusammenbrachen, oder von den fröhlichen Abenden, wenn festumschlungene Paare nach dem Friehdloh, dem Walde der Frigga, zogen und der guten Göttin weiße Blumen streuten, damit sie ihren Bund segne. Hermann Löns.

 

Weißt du....

… dass die nördlichste Ortschaft Deutschlands früher nicht in Schleswig-Holstein, sondern im Memelgebiet lag, ganz nahe der russisch-litauischen Grenze. Es war das kleine Dorf Nimmersatt. Den gleichen Namen trug auch eine bekannte Burgruine in Schlesien.

 

Seite 6   Gedenkblatt des Monats.

Hermann Löns geboren 29.08.1866 in Kulm

gefallen 26.09.1914 bei Loivre

 

Hermann Löns, den man als „Entdecker der Lüneburger Heide" preist und der dieser Landschaft sein Lebenswerk gewidmet hat, wurde, wie nur wenige wissen, als Sohn eines Oberlehrers im westpreußischen Kulm geboren. Vielleicht ist es ein Zufall, dass dieser Niedersachse in Westpreußen das Licht der Welt erblickte. Er hat auch kaum in seinem reichen literarischen Schaffen seines Geburtslandes gedacht. Und doch hat die eigentliche Heimat ihren Niederschlag in seinem Werk gefunden. Denn sehr früh schon hat Löns sein Auge in der weiten Natur des westpreußischen Landes geschärft, für all die Dinge, die er später aus niedersächsischem Boden heraus gestaltete. Das Organ für die herrlichen Natur- und Tierschilderungen, mit denen er alle Herzen gewann, war weithin vorgebildet, als er in seine eigentliche Lebensaufgabe in Hannover hineinwuchs. Wenige haben Löns in der Beobachtung der äußeren Natur erreicht. Alles, was er berichtet, ist der Natur abgelauscht, und alles, was er erzählt, zielt darauf hin, Freude am Tier und Pflanze zu erwecken. In Westpreußen, wie er selbst in seiner Biographie „Von Ost nach West" bekennt, hat sich sein Blick geschult für das Moor, die Heide, den Wald, den er dann so unvergleichlich für Niedersachsen beschrieb. Viele Bände hat er mit diesen Klein-Schilderungen angefüllt, aus denen vor allem hervorragen „Mein braunes Buch", „Haidbilder" und „Da draußen vor dem Tore", aus seinen Tiergeschichten „Mümmelmann", „Was da kreucht und fleugt" und „Widu". In späteren Jahren hat er sich auch an Romanen versucht, jedoch reichen sie in der Verbreitung lange nicht an seine schönen, unvergleichlichen Geschichten und Schilderungen heran („Das zweite Gesicht", „Der Wehrwolf", „Der letzte Hansbur", „Dahinten in der Heide" u. a.). Hermann Löns fiel im ersten Kriegsjahr am 26.09.1914 bei Loivre, unweit Reims.

 

Seite 7   Achtzigjährige Bäuerin aus Masuren gekommen.

Als sie im März 1945 aus der Heimat floh, war sie fast siebzig Jahre alt. Es war bitter kalt, sie musste zu Fuß über das vereiste Frische Haff, weiter ging es bis nach Mecklenburg, streckenweise mit der Bahn. Viele haben zwar den Weg gemacht, aber Frau Welk war doch nicht mehr jung, sie hätte wohl einen anderen Lebensabend verdient. Es war ihr aber kein Feierabend beschieden; denn die Amerikaner forderten sie auf, wieder in ihre Heimat zurückzugehen, und sie tat es. In Johannisburg besaß sie an der Stadtgrenze eine Landwirtschaft, fünfzig Morgen groß, aber sie durfte davon nicht mehr Besitz ergreifen. Fern waren alle Kinder, ihr Mann lebte schon seit 1941 nicht mehr, Oma Welk musste zusehen, wie sie fertig wurde. Es war schon einmal ein Vorteil, dass sie polnische Sprachkenntnisse hat, und dann kommt noch dazu, dass es ihr nicht an Lebhaftigkeit, Tatkraft und einiger List mangelt, mit der sie sich durchzusetzen wusste. So verging ein Jahr nach dem anderen, Frau Welk ließ ihren Wald und die Felder nicht aus dem Auge; wenn sie auch keine Rechte geltend machen konnte, so manchen Vorteil wusste sie sich doch daraus zu verschaffen.

 

Am 12. Oktober 1956 wird sie 80 Jahre alt — so lange musste sie aushalten, bis sie nun vor einigen Wochen zum zweiten Male den Weg gen Westen antrat, um nun bei ihren Angehörigen zu bleiben. Der erste Ruhetag war in Aurich beim Schwiegersohn, dem Werkmeister Heinrich Gemballa. Aber jetzt ist Frau Welk auch nicht mehr zu halten, sie will ihre Schwester wiedersehen — sie ist schon 88 Jahre alt — und ihre anderen Töchter und die drei Söhne mit ihren Familien, die alle in Westdeutschland leben. Da gibt es gewiss viel zu erzählen. Oma Welk hatte ja auch Geduld genug aufbringen müssen, bis es endlich so weit war. Ihr Antrag auf Aussiedlung, den sie bei den polnischen Behörden stellen musste, lief schon zwei Jahre. Es lässt sich denken, wie glücklich sie nun ist, bei den Kindern zu sein.

 

Seite 7   „Erst wenn diese Grenzen schwinden, wird Europa Frieden finden". Berliner Schule machte sich zum ostdeutschen Schaufenster.

In einer Zeit, in der mit Recht immer wieder darüber Klage geführt wird, dass in den Schulen die Ostkunde vernachlässigt wird und selbst Abiturienten und Studenten oft nicht einmal wissen, wo Königsberg liegt und wie es in Schlesien aussieht, wird man mit Freude auf jeden Lehrer hinweisen, der es sich zum Anliegen gemacht hat, gerade die Jugend für den Osten zu begeistern. In Berlin-Zehlendorf ist eine ganze Schule mit wahrem Eifer dabei, alles zusammenzutragen, was sie dazu verwenden kann. Schon die Kleinsten, die im ersten Jahre die Schulbank drücken, sind beteiligt. Jeder Jahrgang findet eigene Formen, um das Wissen um die Ostgebiete zu erweitern. So gehen zum Beispiel die Kinder des 2. Schuljahres mit echter Sammlerleidenschaft auf die Jagd nach Bildern, die sie nach Landschaften geordnet auf Tafeln kleben. Natürlich sind diese Tafeln selbstbeschriftet. Es wird überhaupt alles selbst gemacht. Scheuertücher haben die Kinder sogar als Grundmaterial genommen; darauf nähten sie originalgetreu in den Farben ostdeutsche Städtewappen, umsäumten sie säuberlich und nähten mehrere zu ganzen Wandfahnen zusammen. Ein jeder weiß auch, wo all die Städte liegen und kann sie flink auf der großen Landkarte zeigen, auf der auch die Wappen eingetragen wurden. Die Zonengrenze ist eingezeichnet und die Oder-Neiße-Linie, und über der Karte steht geschrieben: „Erst wenn diese Grenzen schwinden, wird Europa Frieden finden“. Die ostdeutsche Heimat wird gezeigt, wie sie früher war, wie sie jetzt aussieht. Die Kinder malen Bilder, sie zeichnen, sie fertigen Scherenschnitte an, sie sägen Motive in Holz und basteln, sie sticken und zaubern farbige Klebebilder, die wie bemaltes Glas anzuschauen sind. Im Treppenhaus sind auf diese Weise die Fenster mit Trachtengruppen geschmückt. Die Älteren schreiben auch des öfteren Aufsätze über Themen, die den deutschen Osten behandeln. In eigens dafür angelegten Mappen sammeln sie diese Arbeiten, die sie dann als eine Erinnerung an ihre Schulzeit und als ständige Mahnung, den Osten nicht zu vergessen, aufheben sollen.

 

Es ist nun nicht so, dass in der Zehlendorfer Westschule der Ostkundeunterricht als ein zusätzliches Fach gegeben wird. Der Leiter der Schule, Rektor Reisch, ist ganz im Gegenteil der Ansicht, dass durch den gesamten Unterricht wie ein roter Faden das Bekanntmachen und Einbeziehen des deutschen Ostens laufen muss. Wie weit das möglich ist, beweisen all die angefertigten Arbeiten der Schüler. Und dass die Kinder bis zur Leidenschaft dafür begeistert werden können und selbst mit der größten Lust und Liebe tätig sind, zeigt, dass es nur darauf ankommt, überhaupt erst einmal den Schülern eine Anregung zu geben. In jedem Fach kann man sich in den Beispielen und Aufgaben auf Themen aus Ostdeutschland beziehen, ob es sich um Deutsch, Erdkunde, Geschichte, Mathematik oder auch Handarbeit und Zeichnen handelt. Auf jeden Fall gibt die Westschule ein nachahmenswertes Beispiel.

 

Foto: Ein Schüler der West-Schule in Zehlendorf (8. Kl.) malte dieses Bild des ostpreußischen Fischerdorfes Nidden. Foto: Ludwig

 

Seite 7   Erika fand nach elf Jahren ihre Eltern. Drei Geschwister sind noch verschollen.

Mutter und Vater — diese beiden Worte hat Erika Bartels nicht vergessen, obwohl sie im Alter von viereinhalb Jahren von ihren Eltern getrennt wurde und seitdem polnisch lernte. Mutter und Vater sind für sie nun endlich nach elf Jahren wieder etwas Wirkliches geworden und nicht mehr nur die Gestalten einer frühen Kindheitserinnerung. Als die jetzt sechzehnjährige nach Friedland kam, waren die Eltern da und schlossen sie in die Arme, die große Tochter, die sie als Kleinkind verloren. Erika ist die älteste von den vier Kindern des Ehepaares Bartels, es fehlt aber bis jetzt noch jede Spur von den drei jüngeren Geschwistern. Damals, als die große Flucht aus dem Osten begann, war Frau Bartels alleine mit ihren Kindern in Carben im Kreise Braunsberg und wollte die Heimat nicht verlassen. Als sie sich dann schließlich doch auf den Weg machte, nahmen ihr die Russen die Kleinen fort und steckten sie selbst in ein Gefangenenlager. Schwere Arbeit musste sie da verrichten, in der Landwirtschaft im Sommer und des Winters im Walde. Nach drei Jahren erfolgte die Entlassung nach Deutschland. Niemals aber konnte Frau Bartels etwas über ihre Kinder erfahren. Ob sie noch lebten, wie es ihnen ging und wo sie wohl waren? Und auch über das Schicksal ihres Mannes war ihr nichts bekannt. Sie wusste nicht, dass er, der an der Front gestanden hatte, als ihr Leidensweg begann, in englische Gefangenschaft geraten und nach seiner Entlassung im Kreise Uelzen in Neu-Rieste Unterkunft gefunden hatte. Doch nun, als sie auch in Westdeutschland war, fanden sie sich und wandten sich sofort mit Bittgesuchen an den polnischen Staatspräsidenten, an kirchliche Stellen und an das Rote Kreuz. Es kamen jedoch keine Nachrichten über den Verbleib der Kinder. Schließlich fand sich auf Umwegen eine Polin, die in Erfahrung brachte, dass Erika, das älteste der Kinder, in einem Kinderheim lebte und Irena genannt wurde. Mit diesem Anhaltspunkt konnte — wieder nach langem Briefwechsel — erreicht werden, dass das Mädchen nach Deutschland zu seinen Eltern entlassen wurde. Auch die anderen drei Kinder, Brunhilde, Alfred und Günther, sollen in Kinderheime gebracht worden sein, aber das ist auch alles, was die Eltern wissen. Nun ist wenigstens ein Kind wieder da, das elf Jahre lang mit unendlich viel Tränen beweint und mit Tränen der Freude begrüßt wurde.

 

Seite 7   Agnes - Miegel- Straße in Salzgitter.

Die Stadt Salzgitter entsprach einem Vorschlag der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen und benannte eine ihrer neuen Straßen in Thiede-Steterburg nach der Dichterin Agnes Miegel. Die Begründung des Antrages verwies auf die Bedeutung ihres literarischen Schaffens und auch auf den engen Kontakt, den die ostpreußischen Landsmannschaften im Norden und Süden des Stadtgebietes mit der Dichterin pflegen. Der Rat der Stadt wählte eine Straße in der Nähe des neuen Redemptoristen-Klosters für die Ehrung. Noch wird dort gebaut, aber bald wird die Siedlung fertig sein und die Agnes-Miegel-Straße vielen Einheimischen und Vertriebenen zur Heimat werden. Die Dichterin dankte der Landsmannschaft in einem Briefe: „Ich sage Ihnen meinen herzlichen Dank für Ihren Vorschlag, dem ich diese Ehrung verdanke und für Ihren, in so heimatlicher warmen Art ausgesprochenen Glückwunsch dazu und bitte Sie, dem Rat der Stadt Salzgitter meinen aufrichtigsten Dank für seine Einwilligung in diese Namensgebung auszusprechen. Möchten alle Einwohner dieser Straße dort so gerne wohnen, in so glücklichem Einvernehmen in guten und schweren Tagen, wie es mir immer in der alten Heimat beschieden war“.

 

Seite 7   Nie vergessene Heimat. Einmalige Artikelserie über die Ostgebiete.

Viele Millionen Deutsche lebten bis zum Ende des Krieges östlich der Oder und Neiße. Sie bestellten ihre fruchtbaren Äcker, sie pflegten ihr überliefertes Brauchtum und liebten die schwermütige Weite ihrer schönen Heimat.

 

Ein unerbittliches Schicksal vertrieb sie von ihrer Scholle; die Städte versanken in Glut und Asche und friedliche Felder erzitterten unter dem tosenden Hagel aus Flammen und Stahl.

 

Elf Jahre sind seitdem vergangen — und doch hat das Land seine ursprüngliche Eigenart nicht wiedergefunden. Wie es im deutschen Osten heute aussieht, schildert die „Bunte Illustrierte" in erschütternden Farbreportagen, die jetzt fortlaufend erscheinen.

 

Seite 7   Odyssee eines Kunstwerkes.

Foto: Hans Memlings weltberühmter Altar „Das Jüngste Gericht" aus der Marienkirche zu Danzig.

Einer der kostbarsten Schätze, die Danzig in seinen Mauern barg, war das Altargemälde „Das Jüngste Gericht" des niederländischen Malers Hans Memling (1480), das sich bis gegen Kriegsende in der Marienkirche befand. In den letzten Monaten des Krieges soll es, wie jetzt verlautet, nach Thüringen ausgelagert worden sein. Seither fehlte jede Spur von diesem Kunstwerk. Man vermutete lediglich, dass es sich mit anderen deutschen Kunstschätzen in Moskau befand. Eine Meldung des Zentralorgans der kommunistischen „Vereinigten Arbeiterpartei" Polens, die Warschauer Zeitung „Trybuna Ludu", bringt nun Licht in die Ungewissheit; es heißt darin, dass das Gemälde jetzt von der Sowjetunion an Polen ausgehändigt worden sei. Es ist anzunehmen, dass es im Zuge des Wiederaufbaues der Danziger Marienkirche wieder seinen alten Platz erhalten wird.

 

Seite 7   Bist du Marlene? / Ergreifendes Schicksal unserer Tage.

Ein ostpreußisches Geschwisterpaar fand sich nach neun Jahren wieder. Als sie sich das letzte Mal sahen, waren sie 15 und 7 Jahre alt. Wir entnehmen dem Weser-Kurier eine auszugsweise Schilderung ihres kummervollen Weges und des Wiedersehens:

 

Hans ist heute 24 Jahre alt, Marlene 16. Auf dem elterlichen Bauernhof in Ostpreußen verlebten sie ein paar kurze, friedliche Jahre, bis der Krieg kam. Er brachte Kummer und Not über die Familie. Die Mutter wurde vor den Augen der Kinder erschossen. Der Vater starb später als Soldat. Eine ältere Schwester ist verschollen. Hans, der damals 15-jährige, wurde verschleppt und auch Marlene erlitt das gleiche Schicksal.

 

Getrennt voneinander wanderten die Geschwister von einem Lager zum andern. Hans wurde 1946 „wegen Mundraubes" zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Von Königsberg kam er nach Sibirien. Seine Muttersprache hatte er fast verlernt.

 

In den ersten Märztagen dieses Jahres kamen Hans und sein Lagerkamerad Alex in Friedland an.

 

Der junge Heimkehrer kam in ein Lager nach Westfalen. Aber die Einsamkeit quälte ihn unaufhörlich. „Ich schloss mich in ein Zimmer ein und wollte nichts sehen und hören. Die deutsche Sprache verstand und sprach ich nicht richtig. Ich dachte immer an meine Familie“. Und eines Tages holte Alex den Hans nach Bremen. Das war im Mai.

 

Inzwischen hatte Hans durch das Rote Kreuz nach seinen Familienangehörigen forschen lassen. Und dann kam eines Tages die Nachricht, die er kaum fassen konnte: seine Schwester Marlene lebt! Zwar trennte die Zonengrenze die Geschwister, denn Marlene war nach langen Jahren des Lagerlebens bei Pflegeeltern in der Sowjetzone untergekommen. Aber Hans wusste: er ist nicht mehr allein auf der Welt, Briefe gingen hin und her, und in der vergangenen Woche schrieb die kleine Marlene ihrem großen Bruder: „Ich komme in der Nacht zum Sonntag in Bremen an“. Weil sie sich über die genaue Ankunft des Zuges nicht klar waren, gingen Hans und sein Freund Alex schon um vier Uhr nachts zum Bahnhof. Dauernd sah Hans das Foto seiner Schwester an: „Ob ich sie auch finde!" Um kurz vor 5 Uhr entdeckte Hans in einem haltenden Zug ein schlafendes Mädchen durchs Fenster. Er stürzte ins Abteil und bat die Mitreisenden, das Mädchen zu wecken. Aber es war ein Irrtum.

 

Und während die beiden jungen Männer Stunde um Stunde warteten, fuhr Marlene, das Bild des Bruders fest in der Hand haltend, Bremen entgegen. Das Wiedersehen in den frühen Morgenstunden war stumm und erschütternd. „Bist du Marlene?" fragte schließlich der junge Mann das Mädchen mit den braunen Augen. Und Marlene, die ihrem Bruder so ähnlich sieht, nickte nur. Dann weinten beide, und auch dem Freund Alex wurden die Augen nass.

 

Bis Anfang August wird Marlene bei ihrem Bruder in Bremen bleiben. „Ich möchte, dass sie später für immer zu mir kommt", sagte Hans und streichelt scheu den Arm der kleinen Schwester. Viel Schönes haben sich die Geschwister nicht zu erzählen, denn sie erlitten Furchtbares. Und ein wenig verloren und ratlos gehen sie durch die Stadt und man spürt, dass sie noch immer Heimatlose sind. Aber sie haben sich wiedergefunden.

 

Seite 7   Eine Familie aus Oliva sieht sich nach 13 Jahren wieder.

Das große Glück, auf das so viele Heimatvertriebene noch warten, nämlich wieder mit den Angehörigen vereint zu sein, wurde vor wenigen Wochen der Familie Formella aus Danzig-Oliva zuteil. Der Vater und die beiden Söhne Bruno und Ernst standen an der Front, als der Krieg zu Ende ging und gerieten in Gefangenschaft. Der Vater wollte nach Danzig zurück, seine Frau und die Tochter waren ja noch dort, aber es war nicht leicht, bis dahin durchzudringen. Doch er schaffte es und blieb bei ihnen. Dass die beiden Söhne inzwischen entlassen wurden und sich in der Bundesrepublik aufhielten, wussten die Danziger nicht, und die Söhne fürchteten, ihr Vater sei verschollen. Mit den Jahren gelang es dem Suchdienst, so manche Verbindung wiederherzustellen. Auch Familie Formella erhielt so Kunde voneinander. Nun konnte man doch wenigstens Briefe austauschen. Einer der beiden Söhne, Bruno, hatte in Oker eine neue Heimat gefunden; auch Hans blieb im Harz, in Seesen. Das Deutsche Rote Kreuz und das Bundesministerium des Innern bemühten sich darum, die Familie wieder zusammenzuführen, und eines Tages war es dann soweit: Vater Formella traf mit Frau und Tochter Ilse und deren Kind in Friedland ein. Die Söhne eilten hin und konnten ein lange herbeigesehntes Wiedersehen feiern, waren doch dreizehn Jahre ins Land gegangen, seit sie sich trennen mussten. Vater und Mutter sind nach Oker gezogen und wollen dort bleiben. Bei dem anderen Bruder in Seesen fand die Schwester Ilse mit dem Kinde Aufnahme.

 

Seite 7   Das freut uns. Ostdeutsche Brücken in Duisburg.

Auf Vorschlag des Ratsherrn Michael aus Duisburg sollen etwa 60 Brücken über Straßen, Schienen und Gewässer, die Duisburg auf der Strecke der geplanten Autobahn durch sein Stadtgebiet errichtet, die Namen ost- und mitteldeutscher Städte erhalten und mit deren Wappen, in Stein gemeißelt, geziert werden. Künftig wird es also in Duisburg eine Königsberger, Tilsiter und Danziger Brücke geben. Ein sehr begrüßenswerter Vorschlag, dem man eine reiche Nachahmung wünschen möchte.

 

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg-Osdorf, Blumkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus dem Waisenhaus in Angerburg werden die Geschwister Liesbeth oder Elisabeth Grube, geboren etwa 1936, Gerda Grube, geboren etwa 1938 und Erna Grube, geboren etwa 1940, gesucht von ihrem Bruder Erwin Grube.

 

Aus Cranz, Kreis Samland, Königsbergerstr. 15, wird Gerhard Penk, geboren am 22. Mai 1938 gesucht von seinem Vater Karl Penk, geboren am 23. Juli 1904.

 

Aus Groß Schiemanen, Kreis Ortelsburg, Flugplatz, wird Stefanie Schiel, geboren am 22. Mai 1939 in Königsberg, gesucht von ihrem Onkel Ewald Kewitz, geboren am 2. Oktober 1907 in Rhein/Ostpreußen und von ihrer Großmutter Johanna Schiel, geborene Dujat.

 

Aus Gründamm, Post Kreutzingen, Kreis Elchniederung werden Traute Skambraks, geboren am 21. April 1942 und Egon Skambraks, geboren am 19. Oktober 1935, gesucht von Rudolf Skambraks, geboren am 21. Dezember 1928 in Gründamm.

 

Aus Heiligenbeil, Herzog-Albrecht-Straße 7 wird Waltraud Unruh, geboren im März 1934 in Heiligenbeil gesucht von der Großtante Johanne Wilhelm, geborene Pelikan, geboren am, 22. November 1884 in Eisenberg.

 

Aus Hindenburg, Kreis Labiau wird Rudi Schapp, geboren 1937 in Hindenburg, gesucht von Meta Lindemann, geborene Schapp, geboren am 16. September 1901.

 

Aus Königsberg-Ponarth, Karschauerstraße 52 wird Günter Reinke, geboren am 15. Oktober 1934, gesucht von seinem Vater Franz Reinke und seinem Bruder Herbert Reinke, geboren am 28. Mai 1920 in Königsberg.

 

Aus Königsberg, Unterlaak 13/14 wird Inge Pelka, geboren am 4. August 1934 in Königsberg, gesucht von ihrem Vater Albert Pelka, geboren am 18. Oktober 1900 und von ihrem Bruder Horst Pelka, geboren am 18. August 1931 in Königsberg.

 

Aus Klein Leschienen, Kreis Ortelsburg wird Joseph Kroll, geboren am 8. September 1937, gesucht von seiner Tante Paula Rudnick. Die Mutter Marie Kroll, geborene Schillack, geboren am 6. Juni 1908 wird auch noch gesucht.

 

Aus Lehlesken, Kreis Ortelsburg wird Helmut Wettklov, geboren am 10. September 1939, gesucht von seinem Bruder Alfred Wettklov, geboren am 11. April 1929 in Lehlesken.

 

Aus Liebenberg, Kreis Ortelsburg wird Ernst Bortel, geboren etwa im Juli 1943, gesucht von Marie Bortel, geborene Pisch.

 

Aus Liebenberg, Kreis Ortelsburg wird Dieter Sadlevski, geboren am 17. August 1939 in Liebenberg, gesucht von Fritz Sadlevski, geboren am 6. April 1899.

 

Aus Liebenberg, Kreis Ortelsburg wird Gerlinde Schletz/Porkovsky, geboren etwa 1938 in Liebenberg, gesucht von Marie Bortel, geborene Pisch.

 

Aus Lentenbude, Kreis Elchniederung wird Lydia Kardels, geboren am 25. Februar 1938 in Nauseden, gesucht von ihrer Mutter Gertrud Kardels, geborene Vogelsang, geboren am 21. März 1910.

 

Aus Nubertshöfen, Kreis Gerdauen/Ostpreußen wird Herbert Wassel, geboren am 30. März 1937, gesucht von seinen Eltern Otto Wassel, geboren am 22. Juli 1910 und Helene Wassel, geboren am 6. November 1912. Herbert Wassel ist 1947 von Gerdauen nach Litauen gegangen.

 

Aus Ortelsburg, Yorkstraße 21 werden die Geschwister Haritz, und zwar: Kurt Haritz, geboren am 16. März 1935, Horst Haritz, geboren am 13. November 1936, Inge Haritz, geboren am 20. Oktober 1938, Ursel Haritz, geboren am 9. März 1940 und Heinz Dieter Haritz, geboren am 30. August 1941, gesucht von ihrer Schwester Gertrud Haritz, geboren am 24. September 1928.

 

Aus Powarden, Kreis Samland wird Eva Brieskorn, geboren am 3. Januar 1933 in Königsberg/Preußen, gesucht von ihrer Tante Martha Kurzmann, geborene Brieskorn.

 

Aus Puppen, Kreis Ortelsburg werden Gudrun Sunta, geboren am 31. August 1943 in Puppen und Wolfgang Sunta, geboren am 21. Mai 1940 in Puppen, gesucht von Otto Sunta, geboren am 28. August 1906.

 

Aus Seerappen, Kreis Samland werden die Geschwister Gertrud Keitel, geboren am 15. Januar 1940 und Gisela Keitel, geboren am 11. November 1938, gesucht von ihrer Tante Gerda Timm, geborene Staschewski.

 

Aus Soltmahnen, Kreis Angerburg werden Bernhard Blank, geboren am 1. Februar 1943 und Horst Blank, geboren am 6. Februar 1935 in Soltmahnen, gesucht von ihrer Schwester Brunhilde-Martha Blank, geboren am 24. Februar 1932 in Soltmahnen.

 

Aus Schillmeyssen, Kreis Heydekrug werden Günther Radszuweit, geboren am 9. März 1943 und Traute Radszuweit, geboren am 29. Dezember 1941, gesucht von ihrem Vater Karl Radszuweit, geboren am 6. August 1905 in Alt-Heidendorf/Ostpreußen.

 

Aus Tapiau, Kreis Wehlau, Horst-Wessel-Ring 4 werden die Geschwister Schwarz, und zwar: Ullrich Schwarz, geboren am 6. September 1942, Dorchen Schwarz, geboren am 10. Mai 1941 und Lothar Schwarz, geboren am 1. Oktober 1938, gesucht von Martha Schwarz. Die Eltern: Willi Schwarz, geboren am 27. April 1905 und Klara Schwarz, werden auch noch gesucht.

 

Aus Wensen, Kreis Angerburg werden Ursula Kemsies, geboren etwa 1938 in Angerburg und Lothar Kemsies, geboren am 15. September 1937, gesucht von ihrem Vater Ernst Kemsies, geboren am 13. April 1905 in Angerburg/Ostpreußen.

 

Aus Wuslack, Kreis Heilsberg wird Frau Lieske, die sich 1945 oder 1946 eines Knaben Manfred Ollech, geboren am 27. August 1943, angenommen hatte, gesucht.

 

Aus Zweilinden, Kreis Gumbinnen werden die Geschwister: Sabine Lippert, geboren am 19. April 1941 und Hans-Jürgen Lippert, geboren am 20. Juli 1935, gesucht von Werner Lippert, geboren am 14. Dezember 1908.

 

Aus Klausmühlen, Memel werden die Geschwister Skrandies, und zwar: Werner Skrandies, geboren am 26. September 1943 in Memel, Adolf Skrandies, geboren am 26. September 1941 in Memel, Ruta Skrandies, geboren am 4. Oktober 1939 auf Gut Paugen, Kreis Memel, Ida Skrandies, geboren am 28. März 1937 auf Gut Paugen, Kreis Memel und Marta Skrandies, geboren am 7. September 1935 in Dawielen, Kreis Memel, gesucht von ihrem Vater Fritz Skrandies, geboren am 31. Januar 1906 in Löbarten. Die Mutter Wally Skrandies, geborene Kaulekies, geboren am 3. April 1907 wird auch noch vermisst.

 

Aus dem Waisenhaus in Königsberg-Kalthof wird Helmut Hopp, geboren am 5. Dezember 1940, gesucht von seinem Onkel Hermann Hopp. Helmut Hopp kam nach dem Tode seiner Angehörigen in das Waisenhaus und soll mit einem Transport 1947 oder 1948 ausgesiedelt worden sein. Es ist möglich, dass er anfangs von den Großeltern und einer Tante Helene gesprochen hat.

 

Aus einem Krankenhaus in Königsberg wird Georg Helmut Poerschke, geboren am 31. Oktober 1944 in Wehlau/Ostpreußen, gesucht von seiner Mutter Elfriede Günther, geborene Poerschke, geboren am 15. Oktober 1919. Der Junge wurde im Januar 1945 in der Achselhöhle an einem Geschwür operiert. Anschließend soll er dann in der Kinderklinik in Königsberg/Ostpreußen gewesen sein.

 

Aus Königsberg-Kohlhof, Straße 1050 Nummer 58 wird Heinz Nikolaus, geboren am 3. Oktober 1939 in Königsberg/Preußen, gesucht von seinem Vater Kurt Nikolaus und seiner Tante Käte Boege.

 

Steckbrief mit Foto:

Bildnummer: 02245

Name: unbekannt, (vielleicht Wegsweid);

Vorname: unbekannt, (vielleicht Peter);

Geboren etwa 1939/1940;

Augen: braun;

Haar: dunkelbraun

Der Junge, der sich selber Peter nannte, kam Anfang 1945 mit einem Krankentransport aus Ostpreußen. Vermutlich stammt er aus Labiau, Ostpreußen, wo er sich in einem Hospital befand. Später gab er an, dass er Wegsweid heißt. Er erinnert sich, dass sein Vater, der Paul heißt Soldat war und er im Krankenhaus nur einmal von seiner Mutter besucht wurde. Ferner erinnert er sich, dass die Eltern einen kleinen Bauernhof hatten und er der kleinste von seinen fünf oder sechs Geschwistern war. Die Schwestern hießen Bummerl, Grete und Ursula,

 

Steckbrief mit Foto:

Bildnummer: 0282

Name: Rath;

Vorname: Rosa;

geb.: etwa 1940;

Augen: blau;

Haare: blond.

Das Kind soll von zwei Offizieren im Frühjahr oder Herbst 1945 in der Nähe von Königsberg gefunden worden sein. Später kam das Kind in ein Waisenhaus in den Kreis Kaunas. Es erinnert sich an einen Bruder Otto oder Heinz.

 

Seite 9   Das „Aufschneidmesser“ auf Vorder-Roßgarten. Von Museumsdirektor Dr. Wilhelm Gaerte.

In seinem 1648 vollendeten Reisewerk „Der Wanderer“ (Perigrinator) berichtet der Königsberger Caspar Stein von einem großen hölzernen Messer, das zusammen mit einer Schwertfischsäge an dem Hause des Branntweinbrenners Christoph Meinart auf Vorder-Roßgarten zu Königsberg / Preußen angebracht war. Das Messer, 1 ¾ Ellen, also rund 1 m lang, trug die in lateinischer Sprache gefasste Inschrift (Übertragung nach Charisius: Das alte Königsberg, 1910): „Ein Messer groß ohn‘ Unterscheid / Allen Aufschneidern zu Dienst bereit./Drum, Monsieur, ich bitt‘ mich anzunehmen, / Weil ich mich zum Schneidern tu bequemen. / Ich kann aufschneiden und pflügen wacker, / Ich schneide scharf und lüge frei / Dem Vorschneider, der mein dürftig sei. / Zum Vorschneiden bin ich sehr geschwind, / als wenn ich flieg‘ in den Wind. / Dass ich wohl schneiden und lügen kann, / Weiß von mir zu sagen jedermann“.

 

Unmittelbar vor diesem Bericht erwähnt Caspar Stein den schönen Garten des Goldschmieds Paul Eglof auf der „Neuen Sorge" (Königsstraße). Darin befand sich „eine in Erz gravierte Figur mit dieser Unterschrift: ‚Meister Großwort, vornehmer Fremder, wohlversuchter Schleifer der großen Messer, so man itzo sehr braucht, welche ich so scharf mache, dass sie selbsten in Lüfften davonfliegen‘. Dazu die Verse: ‚Ich bin der fremde Meister gut, / Der alle Messer schleifen tut. / Sie seien auch weß Standes sie woll'n, / So dürfen sie bei mir nur holn. / Sie fliegen dahin scharf, wohlgeziert, / Auch hell, blank und sehr poliert, / Dass, so ein' Mann ziert sein Messer, / Dir wohltut und täuscht dich besser. / Ist's schärtig, komm zu mir gelaufen, / Es soll sich hinfort besser gebrauchen. / Neben mir steht auch ein Mann, / Der's Messer bei mir hat schleifen lan, / Dass solches Messer er gebrauchet fort, / Dass dergleichen noch nie gehort; / Je länger er schneid't, je besser es wird. / Ich bin gut, mir gar nichts irrt" (nach Charisius Übertragung).

 

Beide Berichte bilden einen inhaltlichen Zusammenhang miteinander; hier wie dort ist von „großen Messern" die Rede. Sie stehen, wie gesagt wird, „allen Aufschneidern zu Dienst bereit", sie lügen, mit ihnen kann man täuschen. Wem fiele hierbei nicht der Ausdruck „aufschneiden" im Sinne von „Unglaubbares erzählen, prahlen, lügen" ein? Zugrunde liegen dem Wort die großen, langen Tranchiermesser des Spätmittelalters; mit ihnen schnitt bei höfischen Gelagen ein meist adliger Vorschneider den als Ganzes aufgetragenen Braten zu und verteilte die großen, groben Stücke unter die Gäste, „Kredenzer" war sein Name. So erklärt sich die früher gebräuchliche ausführliche Wendung: „mit dem großen Messer aufschneiden" — in Schleswig-Holstein noch heute: mit dat grote Mess snieden — im Sinne von „großtun, groß angeben, prahlen, lügen", was in besonderem Umfange in den Lügenromanen der frühen Neuzeit geschah. Diese Art von Erzählungen ist von Frankreich und Italien, wo sie zu Hause war, nach Deutschland gewandert, gleichzeitig mit dem Gebrauch der „großen, langen Messer", die in den romanischen Ländern ein Erbgut Altroms waren. In Dedekinds 1615 erschienener, neulateinisch geschriebener Satire „Grobianus" wird die Lehr gegeben, „bei Tisch so viel Reiselügen zu erzählen, dass die Brotmesser Scharten und Zacken bekommt und der Gastgeber damit das Brot sägen kann". Hiermit lässt sich die zweite Stelle bei Caspar Stein über den „Meister Großmaul" treffend verknüpfen, der die schartigen Messer schleift, damit sie besser zur Täuschung und Lüge gebraucht werden können.

 

Auch unsere Redensart „große Stücke auftischen" in der Bedeutung „groß oder schwer angeben, prahlen" — vgl. „das ist ein starkes Stück", d. h. „eine grobe Ungehörigkeit, schwere Lüge" — hat höchstwahrscheinlich die oben erwähnte Tischsitte zur Voraussetzung. Ob es sich um Braten- oder Brotmesser gehandelt hat, dürfte für den Ursprung der herangezogenen Wendungen ohne Bedeutung sein. In den Meinartschen Versen erscheint sogar die Vorstellung von dem langen Vormesser am Pflug, dem Sech oder Kolter, das vor der Schar die Erde „aufschneidet".

 

Dass die Unsitte der lügnerischen Erzählungen im Schrifttum und in mündlicher Rede Gegenströmung hervorriefest nur zu verständlich. Man bediente sich im Kampfe gegen das „Lügenmesser" meistens der moralisierenden, satirischen Form; die vorher angezogenen Stellen sind Beispiele hierfür. Auch scherzhaftsatirische Einblattdrucke mit Bild und Schrift halfen mit dem im Volke verbreiteten Unwesen des „Aufschneidens" zu steuern. Flugblätter flatterten über das Land. Von ihnen mögen zwei als Beispiele dienen. Die Abb. 1  — Kupferstich aus dem 17.  — stellt ein einfaches Vorschneidemesser dar mit der Zeichnung einer Brille auf dem Klingenblatt — auch die Brille war das Bild der Täuschung und Lüge. Die Überschrift besagt, dass das Aufschneidemesser „Allen Platzmachern, Bossenreissern, Maulauffspreissern und Brillenschneidern zu sonder gefallen inn Trackh geben", also den aufgeführten Personen gewidmet sei, auf sie abziele.

 

Die Abb. 2 aus dem 15. Jahrhundert steht in innerlicher Beziehung zu dem Königsberger Eglofschen Schleiferbilde. Die Unterschrift in holländischer Sprache weist der messerschleifenden Person einen unwahren, heuchlerischen Charakter zu: „Ick slip ick wend ende keer myn huycksken nae den wynd". (Ich schleife, ich wende und kehre mein Mäntelchen nach dem Winde). Das lateinisch gefasste Spruchbandwort: Dilexisti omnia verba precipita comis besagt, dass der Mann seine gefährlichen Worte in sanfter Weise vorträgt. Er ist also durchaus trügerisch wie ein Aufschneider. Bedeutsam ist es, dass auch hier das Messer als Sinnbild des gesprochenen Wortes steht wie so oft in der Bibel das Schwert, z. B. Psalm 59, 8: „Schwerter sind in ihren Lippen", ebenda 55, 22: „Ihre Worte sind gelinder denn Öl und doch bloße Schwerter" und ebenso an mancher anderen Stelle.

 

Seite 9   Königsberger Winkel / Von Herbert Meinhard Mühlpfordt, 4. Fortsetzung

Doch fehlte das Einzel nicht. Wir finden es als Rokokoverzierungen über einzelnen Fenstern und in den geschnitzten Türen, besonders des Hauptportals. Hier sprach der Geist des Rokoko besonders lebhaft.

 

Im Innern der Katholischen Kirche gab es nur ein einziges wirkliches Kunstwerk: die schmiedeeiserne Sakristei mit entzückend spielerischen und von jeder Erdenschwerde befreiten Blumenranken. Sie war von dem in Insterburg geborenen Schmiedemeister Johann Michael Sommer, der 1767 das Bürgerrecht in Königsberg erwarb. Er hat manches schöne Stück Eisenarbeit in unserer Stadt geschaffen.

 

VII. Das v.-Seydlitz-Kalneinsche Stift.

In der Landhofmeisterstraße (Nr. 16 - 18) erhob sich das Haus der Generallandschaftsdirektion,

in dem der Eiserne Yorck am 5. Februar 1813, die Stände aufrief zur Befreiung des Vaterlandes von französischer Unterdrückung.

 

Schräg gegenüber, in die Mündung der Krönchenstraße hineinblickend, stand ein breit hingelagertes, nur zweistöckiges altes Haus aus der Zeit um 1770 mit gebrochenem Dach, auf dem mit goldenen Lettern zu lesen war: v.-Seydlitz-Kalneinsches Stift. Der einzige Schmuck des regelmäßig gebauten Hauses waren vier mächtige Pilaster, die die Front gliederten; nur schüchtern hingen, unter dem Einfluss der bei seinem Bau herrschend gewordenen strengen Kunstform des Klassizismus, an ihnen ein paar verlorene Rokokoranken vom Dachgesims herab. Rechts befand sich ein Torweg mit flachem Bogen, dessen Oberlicht in zwei elliptischen Augen bestand, die einen bald böse, bald geheimnisvoll anzufunkeln schienen.

 

Drei Stufen führten hinauf und durch eine schwere Bohlentür betrat man den dickmauerigen Torweg, der auch bei größter Hitze stets kühl und seltsam still war. Links ging es in die beiden Wohnungen, geradeaus aber führte eine kleinere Tür in den Garten. In ihm standen noch bis zum bitteren Ende ein altes geducktes Haus und ein Fachwerkstall für Gartengeräte, Holz und Gerümpel mit großer Holztür und Giebel.

 

Die alten Pensionäre, die in dem Stifte wohnten, hatten im Garten Lauben und Beete; zu ihnen gehörten auch meine Großeltern, und so verlebte ich in diesem idyllischen, ganz weltabgeschiedenen Winkel einen Teil meiner Kindheit.

 

Zwischen den beiden genannten Gebäuden führte ein schattiger Engpass, in dem der Frühlingsschnee viel länger als anderswo liegen blieb, auf einen hohen Bretterzaun mit einer stets fest verschlossenen Tür. Hohe Bäume ragten über den Zaun herüber. Diese Tür war für uns Kinder so etwas wie die Pforte des Gartens Eden, hinter der wir unendliche Schönheiten und ganz wundersame Geheimnisse vermuteten. Wie gerne hätten wir nur einmal einen Blick durch die Tür oder über den Zaun geworfen! Aber kein Zauberer öffnete uns den geheimnisvollen Garten.

 

Erst viel, viel später, als die Kinderträume längst verflogen waren, kam ich einmal durch die Tür hindurch und betrat nichts als – einen schönen, gepflegten, gar nicht übermäßig großen Garten. Wunderbares und Geheimnisse vermochte ich nicht zu entdecken. So war auch hier ein Bild von Sais entschleiert worden – wie so oft im Leben.

 

Nach der Schreckensnacht vom 29./30. August 1944 kletterte ich über Berge von hohem Schutt durch den nun gar nicht mehr geheimnisvollen Torweg in den Garten, wo sich ein trostloses Bild der Verwüstung, von Trümmern, Ruinen, leeren Schornsteinen und Schutt darbot und verkohlte Bäume anklagend ihre Äste gen Himmel streckten. (Fortsetzung folgt)

 

Seite 9   Deutsche in Westpreußen.

Im alten westpreußischen Kreis Preußisch-Stargard (südlich von Danzig) lebt noch eine Reihe Deutscher. Darunter befinden sich auch Landsleute, die nach 1945 Ostpreußen verlassen mussten und hier hängenblieben. Einige von ihnen sind in der Filzplattenfabrik „Czarna Woda" beschäftigt.

 

Seite 9   Konsul Haslinger gestorben.

Im Alter von, 75 Jahren verstarb in Bremen am 21. Juli 1956 Konsul und Reeder Erich Haslinger. Mit seinem Tode verlieren die Vertriebenen einen Mann, der aufrecht und erfolgreich Ostpreußen repräsentierte. Haslinger war Seniorchef der Firma Meyerhofer in Königsberg, jetzt Bremen. Er gehörte zu den Mitbegründern der Vertretung der heimatvertriebenen Wirtschaft und war dort bis zu seinem Tode Ehrenvorsitzender. Dem nun Heimgerufenen werden die Vertriebenen und Flüchtlinge, die ihn kannten und denen sein Wirken galt, ein bleibendes Andenken bewahren.

 

Seite 9   Foto: Ostpreußin bei der Feldarbeit. Dazu ein Gedicht.

Im späten Sommer

Holpernder Erntewagen zur Nacht. —

Mädchen, bist du allein?

Herzliche Liebe und fruchtschwere Fracht:

holpernder Erntewagen zur Nacht

fährt Spätgetreide ein,

 

letzten Hafer und fettschweren Klee.

Rössel, halte dich gut!

Zweites Heu so um Bartholomä,

letzter Hafer und fettschwerer Klee

bringt uns doch Segen und Mut,

 

Kettenhund bellt, ein starker Geruch

fällt aus der Landschalt herein.

Abend im Frühherbst: das tröstende Buch,

heiter ein Vers und freundlich ein Spruch —

lässt uns das alles allein?

 

 

Seite 10   Ju sönd all meed, de Herrgott woakt …

Von der Volkspoesie ostpreußischer Nachtwächter.

Der Nachtwächter der „guten, alten Zeit" war früher in unserer Heimat ein wichtiger und vielseitiger Gemeindebeamter. Er sorgte für Ruhe, Ordnung und Sicherheit der schlafenden Ortschaft, schloss mit den vielen Schlüsseln, die er mit sich führte, auch manchem verspäteten Nachtbummler die Haustüre auf, schlug bei Feuersgefahr Alarm und sagte oder sang nach sanftem Blasen in sein krummes Horn die Stunde an.

 

Man könnte von den Nachtwächterliedern ein ganzes Buch füllen, so reichhaltig ist die Zahl.

 

In dem Preußischen Archiv von Faber ist zu lesen: In der Feuer-Ordnung vom Jahr 1667 ist vorgeschrieben, dass die Nachtwächter stündlich in den Straßen umhergehen, auf das Feuer Achtung geben und ausrufen sollen: Ihr lieben Herren, lasst euch sagen, die Glocke hat 10, 11 und mehr geschlagen, ein jeder sehe zu, zu Feuer und Licht, dass meinem gnädigen Kurfürsten und Herrn, euch und dem Nachbarn kein Schaden geschieht, und lobet Gott den Herrn! — Gellerts Streit der beiden Nachtwächter konnte damals so wenig als jetzt (1810) in Königsberg entstehen“.

 

Und doch hat es auch mitunter Streit gegeben. Es war so vor der Jahrhundertwende unserer Zeit, als im samländischen Pobethen in einer bitterkalten Winternacht übermütige Bauernjungen ihren Nachtwächter zum Grog einluden und ihn „einsargten", das heißt betrunken bis zur Bewusstlosigkeit machten. In solchem Zustande luden sie den „Hüter der Ordnung" auf einen Schlitten und fuhren mit ihm nach Rauschen. Hier wurde er am Mühlenteich abgesetzt und man wartete, der Dinge, die da kommen sollten. Der Rauschener Kollege sang um 1 Uhr: „Eins ist not, Herr Jesu Christ, lass dich finden, wo du bist!" — Der Pobether war vom Hornruf und dem Sang erwacht und tat dasselbe: „De Glock häfft eent geschloage, eent ös de Glock! — On wer opp kromme Wege jeit, de Nacht söck öm de Ohre schleit. Eck roop äm toa: Du Bösewicht, bedenk bi allem dine Pflicht!" — Nun hat Pobethen auch einen Mühlenteich und der Schlaftrunkene glaubte, es wäre sein Revier. Es kam zu einer Rempelei, zu gegenseitiger Verhaftung und schließlich mit Hilfe der Anstifter zu einem frohen Versöhnungstrunk. Karl Bink hat diese Episode zu einem plattdeutschen Einakter geformt: „Nachtwächtasch", der auch seiner Zeit über den Königsberger Sender ging.

 

Der Urtext der Nachtwächterlieder stammt aus einem alten Kirchenliede; denn das Religiöse spielt in den Stundenversen eine wichtige Rolle: „Zehn Gebote setzt Gott ein, gib, dass wir gehorsam sein!" — Vielfach begann die Runde auch schon um 9 Uhr: „Neun undankbar blieben sind, flieh den Undank, Menschenskind!" An anderen Orten hieß es um 10 Uhr: „Zehn Jungfrauen war'n bereit, Herr, stärk unsre Wachsamkeit!" Oder auch plattdeutsch: „Tigge häfft de Glock geschloahne! — Oen Feld ön Hus ward Schluss gemoakt! Ju sönd all meed, de Herrgott woakt! Nu seggt ,Go'n Nacht!" on goaht toa Bedd, schlopt goot, wer rein Gewösse hett!"

 

Eindringlich klingt die Mahnung zur elften Stunde: „Elf der Jünger blieben treu, gib, dass ich kein Judas sei!" Oder: „Elf schloag de Seeja, Punkte elf! Wer nu noch schabbert on noch muckt, öm Kroog noch bi de Karte huckt, eck segg äm datt toam letztemoal: Bedenk dien Tied, on legg di doal!"

 

Etwas Trost und Aufmunterung gibt er den noch wachenden Leuten, die vor Kummer und Sorgen keinen Schlaf finden können: „Und wer noch wacht in dunkler Nacht, sich Kummer und viel Sorgen macht, schlaft ein! Es geht doch alles seinen Gang, drum sei nicht um dein Schicksal bang!" — „Zwölfe ist das Ziel der Zeit, Mensch, gedenk' der Sterblichkeit!"

 

Um 2 Uhr nachts kommt eine Bitte: „Zwei Weg‘ hat der Mensch vor sich: Herr, den rechten führe mich!" — Die dritte Morgenstunde führte zum Bekenntnis: „Dreifach ist, was göttlich heißt: Vater, Sohn und heil'ger Geist“.

 

Um 4 Uhr war gewöhnlich der letzte Ruf: „Vierfach ist das Ackerfeld, Mensch! Wie ist dein Herz bestellt?" — Oder: „Auf, ermuntert alle Sinnen, denn es gebt die Nacht von hinnen! Danket Gott, dass uns die Nacht keine Trübsal hat gebracht!"

 

Natürlich hatte auch mancher Wächter zur nächtlichen Zeit seltsame Erlebnisse. Als einmal der Wächter vor langer Zeit bei der Steindammer Kirche in Königsberg die zwölfte Stunde ausgerufen hatte, erzählt das Volk, sah er auf der Kirchhofsmauer eine zarte, schneeweiße Gans sitzen. Er hielt sie für herrenlos, nahm sie unter den Arm und wollte das Tier seiner Behausung zutragen. Aber unterwegs wurde der fette Vogel immer schwerer und schwerer. Der Wächter sperrte das Tier für die restliche Nachtzeit in seinen Schweinestall ein, um die Gans am kommenden Morgen zu schlachten. Er stand ganz früh auf, wetzte sein Schlachtmesser und öffnete die Tür des Stalles. Aber ein gehöriger Schreck durchfuhr seine Glieder, als er statt der Gans ein splitternacktes altes Weib erblickte. „Verdammte Hexerei!" schrie er, und als er sich vom Schock etwas erholt hatte, holte er eine dreizinkige Dunggabel und warf das magere Ungeheuer über den Gartenzaun. — Und wenn er wieder einmal bei der nächtlichen Runde eine Gans auf der Mauer gewahr wurde, sprach er: „Alle bösen Geister von mir, alle guten zu mir! Und dann geschah ihm nichts.

 

Durch ein halbes Jahrtausend gehörte die Gestalt des Nachtwächters im wallenden Mantel oder „Havellock", die Pudelmütze auf dem Kopf, mit Spieß, Laterne und Horn zum nächtlichen Bilde unserer Dörfer und Städte. Seit dem 15. Jahrhundert ist sie in den Chroniken vermerkt. Sie machte zuerst still und unbeachtet ihre Runde. Im Spätmittelalter erst kam auch das Ansingen oder Ausrufen der Stunden auf. Seitdem füllen die Stundenrufe und Lieder unserer Nachtwächter eine ganze Literatur. Die Innigkeit und Kraft dieser Poesie konnte nur einem Geschlechte zuwachsen, das noch in die Stille der Nacht und der Sterne hineinzuhorchen verstand. Hermann Bink  

 

Der Weg nach Kunkeim.

Schulrat Dinter besucht öfter seinen Freund, den Pfarrer von Klein-Dexen, und pflegt dabei die Schulen der Umgegend zu revidieren. Einmal will er auch nach Kunkeim und fragt, da er den Weg nicht weiß, einen kleinen Jungen danach. Der blickt ihn feindselig an und antwortet: „Gistre wußde Se jedem Dorp in Afreka on Oasje, hiede weete Se nich moal den Wech nach Konkaim! Hiede weet eck!" Und er läuft fort, ohne die Auskunft zu geben.

 

Seite 10   Anekdoten um Friedrich den Großen

Der beschnittene Mantel.

Der Bischof von Ermeland verlor durch die Besitznahme des preußischen Hauses in Polen einen großen Teil seiner Einkünfte. Als er darauf 1773 dem Könige in Potsdam seine Aufwartung machte, fragte ihn dieser: „Sie können mich wohl unmöglich lieb haben?" Der Prälat antwortete, er werde nie die Pflicht des Untertanen gegen seinen Monarchen vergessen. „Ich", erwiderte der König, „bin Ihr sehr guter Freund und mache starke Rechnung auf Ihre Freundschaft. Sollte mir Petrus einst den Eingang ins Paradies versagen, so werden Sie, hoffe ich, die Güte haben, mich unter Ihren Mantel unbemerkt hineinzutragen“. — „Das wird schwerlich angehen", sagte der Bischof; „Euer Majestät haben den Mantel zu sehr beschnitten, als dass man noch Konterbande darunter verstecken könnte“.

 

Wo ich es besser haben könnte.

Ein Kolonist, dem der König die gewöhnlichen Wohltaten erzeigt, ihm ein Haus bauen, eine Kuh und andere Notwendigkeiten hatte geben lassen, war damit nicht zufrieden und sagte zu dem König, er würde mit seinen Kindern aus dem Lande und anderswohin gehen, wo er es besser haben könnte. Durch diese Drohung glaubte er den König zu bewegen, ihm noch mehr zu geben. Der König antwortete ihm aber: „Da tut Er recht daran! Wüsste ich einen Ort, wo ich es besser haben könnte als hier, so ginge ich auch hin“.

 

 

Gehet hin in alle Welt.

Wenn der König jemandem eine Bitte abschlug, geschah es meistens mit einem witzigen Einfall, fast nie mit Härte. Ein Landprediger ersuchte einst in einem Schreiben den König ganz treuherzig, er möchte doch seinen Pfarrkindern befehlen, dass sie ihm Furage für sein Pferd liefern müssten, weil er sonst seine Filiale zu Fuß besuchen müsse, und das mache ihm sein Amt beschwerlich. Der König lachte über des Predigers Zumuten und schrieb unter die Vorstellung: „Es heißt nicht: reitet hin in alle Welt, sondern: gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“.

 

Seite 10   Volksglaube und Brauchtum Ostpreußens.

Als Band 5 der Marburger Ostforschungen erscheint im August im Holzner-Verlag, Würzburg, ein Werk des bekannten ostpreußischen Volkskundlers Dr. Wilhelm Gaerte unter dem Titel „Volksglaube und Brauchtum Ostpreußens" (Beiträge zur vergleichenden Volkskunde, 160 Seiten, 12 Tafeln, DM 13,80).

 

Der Verfasser ist unseren Lesern durch seine anschaulichen und interessanten volks- und heimatkundlichen Beiträge seit vielen Jahren bekannt. Er wurde 1945 aus seiner Heimat vertrieben. Seine 25-jährige Tätigkeit als Direktor des „Ostpreußischen Landesmuseums“ (Prussia-Museum) zu Königsberg-Pr. hat ihn, wie kaum einen anderen, tiefe Einblicke gewinnen lassen in den Volksglauben und das Brauchtum seines Landes. Seine bisherigen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der allgemeinen wie insbesondere der ostpreußischen Volkskunde haben ihm den Ruf eines Forschers eingebracht, der mit dem Stoff und der Struktur seiner Arbeiten nicht nur innerhalb seines Faches, sondern auch darüber hinaus interessierte Nichtfachleute anzuziehen imstande ist.

 

Mit seinem neuen Buch legt W. Gaerte viel Neues und bisher Unbekanntes vor, das nach eigenen Forschungen und unter Berücksichtigung der ostpreußischen Volkstumsverhältnisse gegenwärtiges und vergangenes Brauchtum und von alters her fortlebenden Volksglauben zu einer lebensvollen Übersicht vereinigt. Die ostpreußischen Erscheinungen und Vorgänge werden dabei mit solchen aus anderen deutschen und europäischen Gebieten verglichen, womit der Verfasser eine breite Grundlage für die Bedeutung des behandelten Stoffes gewinnt. Mit dieser vergleichenden Methode wird das Werk zu einem Abriss ostpreußischer Geistesgeschichte auf volkskundlicher Grundlage, dem die beigefügten Abbildungen manche Anschauung vermitteln.

 

Seite 10   Masurische Sommer. Von Tamara Ehlert

Die Hecke sieht verschlafen aus,

Ein Wagen mahlt durch heißen Sand.

Der Apfelbaum bewacht das Haus,

Tropft grünes Licht auf weiße Wand.

 

Und seine Früchte werden groß

Und reif. Im Schatten hockt das Kind.

Die Blume öffnet ihren Schoß

Der Biene und dem warmen Wind.

 

Die Roggenfelder spüren schon

Den nahen Tod, den nahen Schnitt,

In ihrer Brandung glüht der Mohn

Mit rotem Mund und spürt ihn mit.

 

Der Wald ertrinkt in blauem Rauch.

Im See vergeht das Taggestirn

Und Nebel knüpft am Brombeerstrauch

Ein dichtes Kleid aus Silberzwirn.

 

Die Fledermaus ist aufgewacht.

Ein Mann fährt aus in dunklem Kahn

Und fischt den Mond um Mitternacht

Mit seinem Netz aus Filigran.

 

 

Seite 10   Ostdeutsche Bilder in der Bundesbahn.

Wie das „Werbe- und Auskunftsamt für den Personen- und Güterverkehr" der Deutschen Bundesbahn mitteilte, befinden sich unter den in den Reisezugwagen der Bundesbahn angebrachten Schmuckbildern 20 Bilder mit Motiven aus den deutschen Ostgebieten, die gegenwärtig polnischer und sowjetischer Verwaltung unterstellt sind. Es handelt sich u. a. um zwei Motive aus Königsberg und vier Motive aus dem Riesengebirge sowie um Bilder von Allenstein, Elbing, der Marienburg, von Marienwerder, Breslau, Landeck im Glatzer Bergland, Fürstensteine bei Waldenburg usw. 77 weitere Bildmotive betreffen mitteldeutsche Städte und Landschaften sowie Berlin. Die Bilder wurden von der Bundesbahn bei einer bekannten westdeutschen Firma in Auftrag gegeben.

 

Seite 10   Kulturschaffende unserer Heimat.

„Na, dichten se schon wieder?“

Tamara Ehlert, hoffnungsvolle Nachwuchsdichterin (Foto)

Man hört überall, seit zehn Jahren, in Presse und Rundfunk die pessimistischen Stimmen, der deutschen Literatur mangele es an Nachwuchs, der mit der Sprache unserer Zeit an das große Erbe unserer Dichtung anknüpfe. Es ist hier nicht der Platz zu untersuchen, wie weit diese ewigen Pessimisten (auch Schiller und Kleist, in unserem Jahrhundert TrakI und Weinheber kannten sie schon) für das literarische Schallen nach 1945 recht haben. Das wird die Zeit einmal von sich aus tun, wenn auch, wie so oft, in vielen Fällen zu spät.

 

Horcht man in das Schaffen der Jungen und Jüngsten hinein, das sich oft nur, in der Lyrik besonders, in gelegentlichen Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften in unzureichender Weise dartut, so finden wir doch einige Namen, an die wir berechtigte Hoffnungen knüpfen dürfen. Unter ihnen die junge Königsbergerin Tamara Ehlert, deren liedhalte Strophen von eigentümlicher Ursprünglichkeit und herber Süße einem unverlierbar im Ohr bleiben. Am stärksten dort, wo sie das Bild der Heimat in feinen Pastelltönen entwirft („Meine Stadt“, „Bei den Booten", „Masurischer Sommer“), die stillen Wasser, die Wälder, das Haff. Nichts ist bloße Kulisse und wehmütige Erinnerung, jede Zeile schwingt und fließt mit den anderen zu Bildern zusammen, die von einem hintergründigen Licht magisch durchleuchtet sind. Sie erinnern an die gotischen Glasbilder fränkischer Meister.

 

Obwohl seit 1938 in verschiedenen Tageszeitungen Kurzgeschichten von ihr erschienen sind, weiß man eigentlich kaum etwas über diese junge Dichterin. Es blieb dem Brentano-Verlag, Stuttgart, in seinem literarischen Wettbewerb für Heimatvertriebene vorbehalten, ihr lyrisches Talent zu entdecken. In dem Ergebnis dieses Wettbewerbs, der Anthologie. „Aber das Herz hängt daran“ (1953), ist Tamara Ehlert mit zwei ihrer preisgekrönten Gedichte vertreten, die die Aufmerksamkeit auf sie lenkten und sie vor allem auch in dem Kreis ihrer Landsleute bekannt machten.

 

Ihre Lebensdaten sind schnell erzählt. 1921 in Königsberg/Pr, geboren. Von Vater und Mutter wurde ihr der Hang zum Schreiben in die Wiege gelegt, der bereits auf der Schulbank seine Blüten trieb. „Er war so groß“, sagt sie selber, „dass ich auf der Oberschule jahrelang leere Mathematikhefte ablieferte und während der Klassenarbeiten Romane schrieb, in denen es immer entsetzlich traurig zuging und sich nie jemand ‚kriegte'. Meine Lehrer pflegten nur zu sagen: „Na, Tamara Ehlert, dichten Se schon wieder?' Ich brachte es dennoch fertig, nie sitzen zu bleiben“.

 

Nach dem Einjährigen wandte sie sich dem Theater zu. Nebenbei schrieb sie siebzehnjährig ihre ersten Kurzgeschichten für Tageszeitungen. Ihre Bühnenlaufbahn wurde jedoch gleich in den Anfängen durch die Heranziehung zum Kriegsdienst jäh unterbrochen. Hier brachte sie es bis zu einer erstklassigen Funkerin. Gegen Kriegsende kam sie über Polen nach Danzig, wo sie mit einem der letzten Schiffe herauskam. Sie landete in Niedersachsen. Hier ging auch ihr Schiff in dem Hafen der Ehe vor Anker.

 

In Hannover finden wir sie auch erstmalig wieder mit Kurzgeschichten in Tagesblättern, darunter eine ihrer reifsten „Die Mondscheinküche", die im Herbst 1955 anlässlich der „Eßlinger Begegnung“ der Künstlergilde vom Süddeutschen Rundfunk auf Band genommen wurde. Seit 1951 lebt sie in München. Sie hofft, in Kürze einen Lyrikband zu veröffentlichen, und schreibt zurzeit an einem Roman. E. Knobloch

 

Seite 11   Die stille Stunde (Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte).

Die Kuh Vergissmeinnicht / Von Agnes Miegel.

Es ist vor mehr als 60 Jahren. Königsberg ist eine stille Mittelstadt, die Gegend, in der wir wohnen, ist in nichts verschieden von den Landstädtchen, die überall in Ostpreußen verstreut liegen. Zu dem Wassergürtel der beiden Pregelarme um den Kneiphof kommt als dritter der alte Zuggraben. Kleine Holzbrücken führen über sein dunkles Wasser, auf dem die Lindenherzen der alten Bäume in den stillen alten Gärten dahinter schwimmen. Wir wohnen an dem übergroßen Platz vor der Gasanstalt, den die Wipfel überragte Mauer des Georgenhospitals abschließt. Am Dienstag und Freitag ist dort Bauernmarkt, da halten ringsum die kleinen Wägelchen, von deren lehmbedeckten Rädern der Teer tropft. Sommers und Winters stehn die Frauen in den dicken Jacken im Stroh, in großen Häckselkisten liegen die Eier, es gackert und gurrt in Korb und Käfig, es riecht gut und frisch nach Äpfeln und Spillen, Kohl und Kartoffeln, nach Zwiebeln und Wruken. Es riecht nach dem Käsestand drüben, als läge da ein Käsebrot auf der stillen Gracht.

 

Aber es ist die liebste und lustigste Wohnung, die man sich denken kann. Da ist die altmodische große Veranda über dem schmalen Gärtchen, hinter dem noch keine rote Schuppenwand dunkelt, nur die alten Kastanien des Nachbargartens. Hier hausen wir sommerüber, die Ferienzeit am Strand abgerechnet, hinter einem Gitter von Feuerbohnen, spanischen Wicken und Kick-über-Zaun hinter rotgepaspelten grauen Leinengardinen an Regentagen. Hier blühn Mutters Rosen, hier breiten ihre kleinen Palmen sich aus, hier steht schlank und rank ihr Gummibaum neben der hellblättrigen großen Zimmerlinde. Die Veranda ist durch ein Treppchen in Ober- und Unterstock geteilt, der Unterstock ist der Küchenbalkon. Da stehe ich und rühre die Milch in dem Kessel, der drei Röhren hat wie unser Waschkessel, bis sie in der großen irdenen Wasserschale gekühlt und vom Rühren schaumig wird wie frisch gemolken. Es ist die Zeit, wo auch sonst ruhige Menschen von der allgemeinen Bazillenfurcht so weit beeinflusst werden, dass sie die Milch abkochen. „Denn sonst bekommt man Tuberkulose oder Milzbrand, oder Maul- und Klauenseuche“.

 

„Wir haben bisher alles nicht bekommen, weil es uns nicht bestimmt war —", sagt Vater auf gut reformiert, „weil ihr nun mal solche Steinchristen seid", sagt Onkel Doktor. Jedenfalls, der Röhrenkessel wurde angeschafft und die Milch kochte, wenn auch nicht nach Vorschrift zehn Minuten lang, und schmeckte uns gar nicht, bis wir dahinterkamen, sie so zu rühren und dann in den Eisschrank zu stellen, der unser neuester Besitz und ganzer Stolz war, trotzdem wir uns alle nicht recht an seine graue Zinkkühle gewöhnen konnten, auch nicht an sein schwermütiges Tropfen. Es war ein Trost, dass dieses Rühren mir immer eine ruhige Stunde mit der Mutter eintrug, die dann neben mir saß, auf dem breiten Feldstuhl, der uns an die See begleitete und darum, so verblichen wie er war, immer etwas Festlich Erholsames an sich hatte, selbst wenn man auf ihm Strümpfe stopfte.

 

„Mutschmama, kochtet ihr auch die Milch?" „Niemals — dann schmeckt sie ja nicht! Milch schmeckt am besten frischgemolken, das weißt du doch aus Cranz!" Sehnsüchtig dachten wir beide an das weißgestrichene Hüttchen in der Plantage, wo man nach dem Baden hinging, Mütter und Kinder, und aus den großen dunkelbraunen Milchtöpfen die schäumende Milch ins kantige Glas geschenkt bekam. Um die braunen Töpfe war ein dickes Tuch gewickelt, damit sie ja nicht von dem scharfen Seewind abkühlten. Aber man wollte doch nie den Rest haben, sondern wartete, bis wieder eine der braven schwarzweißen Kühe hergeführt und gemolken wurde. Am allerbesten schmeckte es, wenn man sich gleich von der netten blonden Frau ins Glas melken ließ.

 

„Mutschschen, kannst du melken?" „Aber natürlich!" Alle konnten melken, bloß ich nicht. Es ist schlimm, wenn man ein Stadtkind ist — immer kommt man sich so dumm vor neben denen vom Gut. Aber einmal, in dem Stall auf dem Land, wo man von der guten alten Frau immer die Milch holen ging und noch ein bisschen herumständerte, weil's in dem kleinen Stall so viel zu sehn gab: die Raufe, das Ackergerät, die Klucke mit den Keichelchen, das Schwalbennest — da hat man sich ein Herz gefasst und der Altchen geklagt. Die hat erlaubt, dass man sich auf den Schemel setzte und an den weichen, festen, rosigen Stripsen zog, sie hat einem gezeigt, wie man's machen musste, bis wirklich ein dünner Milchfaden in den Eimer floss.

 

Aber man wird sich hüten, das zu erzählen. Es ist etwas ganz und gar Herrliches gewesen: der Stall war auf einmal voll Abendsonne und der warme schwarzweiße Leib ganz nahe, sanft und gut. Es war eine schläfrig süße Geborgenheit um einen, man wusste nicht mehr, wie man hieß und wie alt man war, und wo man war — es war bloß schön. — Nein, davon erzählt man nicht. Große Leute verstehen vieles nicht. Bloß solche alte, wie die Altchen im Stall und Tante Lusche.

 

„Gingst du mit auf die Weide?" Die Mutter lachte „Nein, ich bekam nicht die Weidemilch". Die Großmutter meinte, weil unsere Mutter so früh gestorben war und wir beide, der Andreas und ich, so klein und dünn waren, wir müssten bloß eine einzige Kuh haben, so richtig als Amme. Sie hatte Angst, dass die Gutskühe immer noch krank sein konnten, sie hatte den Schrecken in sich seit der großen Seuche. Da verschrieb sie für uns eine Kuh aus Bayern. Sie meinte, weil wir Salzburger wären, müsste die Milch einer Gebirgskuh für uns die richtige sein.

 

Die Mutter war eine Weile still und ernst. Aber dann lachte sie wieder. „Die Kuh hatte eine Glocke, das klang so schön — nun, du hast ja damals in der Schar in Löwenhagen die Herdeglocken gehört. Sie war ganz hell, beinah silbern. Sie brachte einen Zettel mit, darauf stand, „man sollte gut zu ihr sein und sie ,Liebi' rufen“. Aber unsere alte Mine sagte, „das wäre kein Name und eigentlich wäre die Kuh bläulich' — da nannten wir sie „Vergissmeinnicht". Nie haben wir beide, der Andreas und ich, andere Milch trinken wollen als die ihre. Bloß sie stand immer so still und wir meinten, ihr schmeckte unser Heu nicht. Aber die Mine sagte, sie hätte Heimweh — das hätten die Salzburger auch so gehabt, und sie wollte wohl Berge sehn!" „War sie aus Salzburg?" „Nein, ich sagte dir's ja, sie kam aus Bayern — und ich dachte immer: du fährst mal hin und siehst, ob's da so schön ist, schöner als bei uns, dass man sich so danach bangen kann. Aber ich bin nie hingekommen“. Die Mutter seufzte, der Stopfpilz lag still auf ihrem Schoß. „Der eine Urgroßvater, der hat noch immer davon erzählt. Er war noch ein Junge, als sie vertrieben wurden, man wollte ihn dort festhalten, aber er ist heimlich nachgelaufen und zu den Wagen gekommen. Die Verwandten haben ihn im Stroh versteckt, bis alle über die Grenze waren. Ja, der hat sich noch besinnen können, und wie er ganz alt war, da hat er immer davon gesprochen. Schöne Rösser haben wir gehabt im Lehn und lauter Pinzgauer Vieh. Ein Brunnentrog war am Haus, grad vor dem breiten Giebel, mit ganz klarem Wasser, da tranken sie, eine Kalbin wie die andere braun und rund, mit rosigen Mäulern“.

 

Ich hörte zu, mein Quirl ruhte auch. Es kroch mir über den Rücken, zwischen Freude und Graun, grad wie in der Dämmerstunde wenn einer Spukgeschichten erzählte.

 

„Warst du mal da?" fragte ich endlich. „O Kind — nie! Wie soll ich da wohl hinkommen, so weit wie das ist! Einmal schrieb noch wer Verwandtes von dort, es sei eine Mur über den Hof gegangen. Aber das Land — ja, das hätte ich doch zu gerne mal gesehen!"

 

Sie war eine Weile still, aber dann ging schon wieder der helle Schein über ihr Gesicht und die Stopfnadel glitt gleichmäßig hin und her. „Ja, dort oben, da haben sie sich so gut auf die Ochsenmast verstanden. Da hat's der Urgroßvater auch hier damit versucht — und es ist gegangen, sie wurden richtig reich dabei!" „Wieso reich?"

 

Reich — das war damals ein fremdes Wort bei uns. Es gab immer reichlich zu essen, einfache und verschlagsame Dinge, es war alles schlicht und dauerhaft was wir trugen, was wir um uns sahen. Arm, das waren die Hauspracher, die Bettler an den Ecken — aber reich? Wer war reich?

 

Die Mutter dachte nach. „Reich ist, wer viele Gespanne hat und Remonten zieht — und eine große, eine ganz große Herde hat!"

 

Die Milch war nun wirklich kalt. Aber ehe ich sie forttrug, sagte ich: „So reich möchte ich nicht sein. Aber eine Kuh, eine ganz ruhige schwarzweiße Kuh mit einem Stern auf der Stirn — ja, die möchte‘ ich haben!"

 

Seite 11   Abend im Moor

Der Abend naht heran, vielstimmiger wird das Geläute der Kuckucke, die Turteltauben schnurren im Birkenwald, die Mücken erheben sich aus dem Heidekraut. Wer die nicht vertragen kann, der muss jetzt gehen. Aber die schönste Zeit für den, der gegen sie abgehärtet ist, beginnt erst. Aus den Wiesen steigen die Nebel und ziehen durch die Birkenbüsche. Im hohen Moor taucht und trommelt noch ein Birkhahn, die Nachtschwalbe spult und spinnt, jauchzt gellend und schlägt die Flügel zusammen, im Schilf am Grabenrand vor den Wiesen schwirrt der Heuschreckensänger, mit dumpfem Heulen schwebt der Kauz über den Weg, und wenn das Abendrot hinter dem fernen Wald erloschen ist, meckern die Bekassinen und schnattern die Enten ringsumher, bis auch sie schweigen und nur das Singen der Mücken und das ferne Quarren der Frösche die große, heimliche Ruhe des Moores noch mehr verstärkt.

 

Wer dann durch das Moor geht, lernt es erst recht kennen in seiner erhabenen Ruhe, und fährt er in der Kühle zurück und kommt in die dumpfe, laute Stadt hinein, dann weiß er, wo er sich ausruhen kann, wird ihm des städtischen Lebens bunte Hast einmal zu viel.

 

Er geht in das Moor. Hermann Löns

 

Seite 11   Emil Merker: Die Stimme

Ich hatte den Freund jahrelang nicht mehr gesehen; nun betrachtete ich in seinem Atelier die Bilder, die inzwischen entstanden waren. Ich ging von einem zum andern, trat wieder zu einem früheren zurück, alles schweigend, wie es zwischen uns seit je selbstverständlich war, indes er die türkische Messingmühle drehte, den in solcher Situation gleichfalls altgewohnten Mokka zu bereiten. Nachdem er die winzigen Tässchen gefüllt und mich gebeten hatte, Platz zu nehmen, schaltete er zu meiner Verwunderung den Plattenspieler ein. Etwas enttäuscht äußerte ich, es wäre mir eigentlich lieber, wenn er mir aus seinen letzten Lebensjahren erzählen würde. Da lächelte er flüchtig mit der orakelhaften Bemerkung, er schicke sich eben dazu an.

 

So ließ ich ihn gewähren und hatte in den nächsten Minuten auch schon meinen Protest vergessen. Was ans Ohr drang, waren — bei der Kultiviertheit des Freundes von vornherein kaum anders zu erwarten — nicht öde Schlager; aber auch nicht atonal übersteigerte moderne Musik, in die er sich früher voll nervösen Spürsinns gern vergrübelt hatte. Es war überhaupt nicht Musik, sondern gesprochenes Wort. Gedichte der Agnes Miegel. Und die hohe Kunst der greisen Frau, durchstrahlt von ihrer warmen Menschlichkeit, fesselte abermals, wie gut ich sie auch schon kennen mochte. Nicht minder aber fesselte der Vortrag, der von ebenbürtigem Rang war: eine Altstimme, edel wie goldbrauner Bernstein. Der Vergleich war mir wohl im Gedanken an die Heimat der Verfasserin gekommen.

 

Der Freund stimmte wortlos, um nicht zu stören, mit einem Kopfnicken und einem Aufleuchten in seinen braunen Augen, zu. Dann stellte er ab und begann zu erzählen: „Ja, diese Stimme! Wirst du begreifen, dass sie mich aufstörte, als ich sie das erste Mal im Rundfunk hörte? Ich war damals über der Arbeit und hatte eigentlich, hingegeben an meine Farben, nur vergessen, abzudrehen. Bald vergaß ich zu malen und lauschte, den Pinsel in der Hand. Sie sprach die Pippa in Gerhart Hauptmanns Glashüttenmärchen. Nun, ich malte, auch als sie fertig war, nicht weiter, ließ vielmehr alles stehen und liegen und rannte hinaus. Lief stundenlang in den Feldern umher und tat, spät abends heimgekommen, ungewöhnliches. Ich schrieb über den Sender an diese Frau. Nicht, das ich in überschwenglichen Worten ihre Leistung pries, für so geschmacklos wirst du mich nicht halten. Ich bat nur um Mitteilung, ob von ihr besprochene Platten im Handel seien.

 

Die Antwort kam, als ich sie kaum mehr erwartete, und zwar sachlich dürr; enthielt nur Titel und Nummern. Aber am Schluss immerhin noch eine Mitteilung: die Unterzeichnete werde demnächst — es folgte Angabe von Tag und Stunde — in dem und dem Sender die Titelrolle in Ibsens „Frau vom Meer" sprechen.

 

In dunkler Erregung bereitete ich mich auf den Empfang der Sendung vor wie auf ein gefährliches Abenteuer. Nun, meine Ahnung hatte mich nicht betrogen. Als das Spiel zu Ende war, wusste ich in einer verzweifelten Gewissheit nur eins: dass ich diese Frau kennenlernen musste. Ich schrieb abermals. Und diesmal kam die Antwort umgehend. Sie war voll Abwehr. Die Schreiberin verstehe Zweck und Sinn einer solchen Begegnung nicht. Sie habe über ihre Stimme hinaus nichts zu geben.

 

Ich schrieb ein drittes Mal, und sie antwortete, — ein Lächeln war in den paar Worten: Nun gut! Da es wohl das einzige Mittel sei, mich von meiner nun schon bedenklichen Verrücktheit zu heilen: sie bitte mich zum Tee.

 

Ich hatte ein paar Rosen geschickt und stellte mich zur festgesetzten Stunde, nervös und düster, ein. Das Hausmädchen öffnete, ohne verständlichen Grund über ihr ganzes, durch ein grauenvolles Brandmal entstelltes Gesicht errötend, und gab mir, vor Verlegenheit an ihrer weißen Schürze nestelnd, als stünde sie auf der Bühne, heiser flüsternd den Bescheid, die gnädige Frau bedaure, sie habe in letzter Minute, telefonisch abgerufen, wegmüssen ...

 

Ich weiß nicht einmal, ob ich fluchte, als ich wiederum stundenlang durch die Flussauen lief. Ich glaube nicht. Ich war nur ratlos. Das war ja kein Leben mehr. Seit Tagen schon konnte ich nichts anderes mehr denken, nicht mehr arbeiten.

 

Als ich nach Hause kam, fand ich einen Brief vor. Von ihr. Nun kannte ich sie also. Das vermeintliche Stubenmädchen sei — sie selbst gewesen. Wenn ich es trotzdem noch einmal versuchen und mit diesem Geschöpf Tee trinken wolle, bitte ---

 

Ich wollte es. Und begann in einer wilden Energie auch wieder zu malen. Da, sieh!

 

Und der Freund brachte eine Mappe mit Studien, die ich voll tiefer Ergriffenheit Blatt für Blatt durchsah: hier war ein Gesicht, mit dem man wohl nicht auf die Bühne treten konnte. Aber diese Hässlichkeit war mehr als Schönheit.

 

Seite 11   Pferd ohne Erziehung.

Unter den Rollkutschern in Königsberg waren die ansteigenden Straßen wenig beliebt. Die Pferde, damals meist Kaltblüter, mussten sich tüchtig in die Sielen legen, um die schwerbeladenen Rollwagen hinaufzuziehen. Ohne argen Schweiß und Pusten ging es selten ab.

 

Eines Tages steht mal wieder ein Gespann am Gesekusplatz und verschnauft. Die Pferde haben ihre Zungen weit aus dem Maul gesteckt, wahrscheinlich, um mehr Kühlung zu erhalten. In diesem Augenblick kommt ein biederer Mann vorbei und sagt zum Kutscher: „Kaorl, Du hest diene Perd oawer schlächt tatoage“.Warum?", fragt der Kutscher. „Warum? Na weil die Krete de Tung utstrecke“.

 

Seite 11   Nichts geht verloren. Gedanken von Johann Georg Hamann.

In allem muss jeder seines eigenen Glaubens leben.

 

Ich sehe allenthalben Spuren der Vorsehung, die jeden meiner Schritte lenkt und mir den rechten Weg zeigt.

 

„Gott versteht mich", ist eins der weisesten Sprüche im Munde des ehrlichen Sancho Pansa.

 

Ich glaube, dass nichts in unserer Seele verlorengeht, so wenig als vor Gott; gleichwohl scheint es mir, dass wir gewisser Gedanken nur einmal fähig sind.

 

Wie jene Morgenländer den Stern über dem Hause sahen, so müssen wir beständig Gottes Hand über unserem Haupte zu sehen trachten.

 

Ohne seinen Segen taugt weder Wille noch Werk, und nichts ist gut ohne diesen Einfluss.

 

Seite 11   In Kampf und Not

Wir wachsen wie die Saat im Feld,

In der die Götter walten.

Doch müssen wir in dieser Welt

Uns selber auch gestalten.

 

Nur, wenn wir unsre Erdenhaft

Mit hartem Willen sprengen,

Kann unsrer Seele Wurzelkraft

Befreit zum Lichte drängen.

 

Und wenn dann Sturm und Wetter drohn,

Sie können uns nur stärken.

Denn erst in Kampf und Not und Fron

Wächst Kraft zu wahren Werken.

Fritz Kudnig

(Aus Fritz Kudnig „Gottes Lautenspiel", Verlag Mona Lisa, Stuttgart)

 

Seite 12   Käthe-Kollwitz-Gemeinde gegründet.

Bewahrung und Verwirklichung des künstlerischen Erbes in unserer Zeit.

In Bonn ist eine neue Zeitschrift, die den Namen der ebenfalls neu ins Leben-gerufenen „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" trägt, erschienen. Bundestagsabgeordneter Reinhold Rehs umriss in der ersten Nummer die Ziele dieser Organisation:

 

Die Leiderfahrungen aus Flucht und Vertreibung haben mehr denn je die sozialen Verpflichtungen in den Mittelpunkt aller menschlichen Beziehungen gestellt.

 

Diese Verpflichtungen sind mit visionärer Kraft von der Leidgestalterin Käthe Kollwitz gesehen worden.

 

Das Schicksal der Vertreibung muss uns täglich aufrufen, uns für den Schutz jedes leidenden Menschen einzusetzen und für eine aussöhnende und friedliche Haltung einzustehen.

 

Das Recht auf Heimat muss ein Teil echter sozialer Gesinnung werden.

 

Aus dieser Gesinnung heraus hat sich die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" gebildet. Sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die das Werk der ostpreußischen Künstlerin Käthe Kollwitz als Vermächtnis und für sich als verpflichtende Aufgabe übernehmen und bereit sind, für sozialen und kulturellen Fortschritt, für Einheit und Freiheit des deutschen Volkes und für gerechten Ausgleich unter den Völkern einzutreten.

 

Der Käthe-Kollwitz-Gemeinde kann jeder beitreten, der sich zu dieser Aufgabe und Einstellung bekennt.

 

Die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" stellt einen Zusammenschluss vornehmlich ostpreußischer Heimatvertriebener dar, die sich im Gedenken an die landsmannschaftliche Herkunft dieser großen Künstlerin zur Bewahrung und Verwirklichung ihres künstlerischen Erbes und dessen sozialen Ethos zusammengefunden haben.

 

Die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" will durch Wachhalten der Erinnerung an einen bedeutenden Menschen und Künstler nicht nur den Wert solcher Haltung und Aussage bewahren, sondern zugleich ihr Erbe für unsere Gegenwart aktualisieren.

 

Die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" nimmt aus der Fülle des künstlerischen Werkes nicht nur das Sozialkritische gegen gleichgültiges Behagen und Verantwortung gegenüber gesellschaftlichen Notzuständen auf, sondern erst recht den Ruf zum Brudertum aller Menschen, zur Achtung vor jedem Menschenantlitz.

 

Die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" will durch praktisches Tun und solidarisches Verhalten im Alltag Nöte unter den Heimatvertriebenen lindern, das Bewusstsein von der Kulturleistung des deutschen Ostens stärken und den menschlichen Zusammenschluss unter ihren Mitgliedern fördern.

 

Als Aufgabe übernimmt die „Käthe-Kollwitz-Gemeinde" insbesondere:

 

a) Die Unterrichtung und Schulung ihrer Mitglieder in osteuropäischen Problemen,

 

b) den Einsatz im Kampf für das Heimatrecht,

 

c) die Sammlung und Weiterführung sozialer und kultureller Bestrebungen in der osteuropäischen Volksgruppe,

 

d) die Erhaltung und Pflege sozialer und kultureller Leistungen der früheren ostpreußischen Arbeiterorganisationen.

 

Seite 12   Der deutsche Osten und Europa.

Ein eindrucksvolles Bildkartenwerk von den deutschen Kulturleistungen im Osten.

Die ersten drei Nummern des aus zwölf Karten bestehenden Bildkartenwerkes, um das sich Dr. Nadolny und der Lippa-Verlag verdient gemacht haben, sind erschienen. Das gesamte Werk entsteht in Verbindung mit der „Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht" und ist so vielseitig angelegt, wie es das Thema verlangt. Angefangen von der Gewinnung und Durchdringung des Ostlandes, über den inneren und äußeren Aufbau zur wissenschaftlichen, geistigen und künstlerischen Bedeutung der folgenden Jahrhunderte, umfasst es all das, was notwendig ist zu wissen und was in den Schulen nicht ausreichend gelernt wird. Die Erläuterungshefte zeichnen sich durch klare, umfassende Darstellung aus, sind mit einer Reihe von Abbildungen versehen und enthalten Schrifttumshinweise. Klarheit, Sauberkeit und Exaktheit sind überhaupt die hervorstechendsten Züge dieses Bildkartenwerkes.

 

Die Bildtafeln sind in sechs bis acht Farben gehalten. Da sie abwaschbar lackiert und auch aufgezogen erhältlich sind, können sie vielseitige Verwendung finden. Die erste Karte heißt „Die Hanse bindet durch ihre Handels- und Kulturbeziehungen den Osten an Europas Westen" — ein Thema, das sehr deutlich das Bestreben des ganzen Werkes zeigt: den deutschen Osten aus seiner Isoliertheit zu lösen und immer wieder vor allem die Jugend auf die Gemeinsamkeiten der geschichtlichen Entwicklung Europas hinzuweisen. Auch die beiden folgenden Bildkarten sprechen davon: „Der Deutsche Ritterorden schuf im Preußenlande einen Kulturstaat" und „Das deutsche Recht verbindet den Osten mit der abendländischen Kultur". Die künstlerische Gestaltung der sich auf das wesentliche beschränkenden geschichtlichen Ereignisse macht die Kartenreihe zu einem sehr eindrucksvollen Unterrichtswerk.

 

Der Deutche Osten und Europa, ein Bildkartenwerk, bearbeitet und herausgegeben von Dr. E. Nadolny. Jede Karte (122 X 86 cm) mit Erläuterungsheft 8 DM, auf Leinwand gezogen mit Stäben 18 DM, Paul Lippa Verlag, Berlin-Charlottenburg 9, Kaiserdamm 87.

 

Seite 12   Bekenntnis

Wer aus seiner Heimat scheidet, ist sich selten bewusst, was er alles aufgibt; er merkt es vielleicht erst dann, wenn die Erinnerung daran eine Freude seines späteren Lebens wird.

 

Wenn die Auswanderer alles verlieren, die Liebe zu ihrem Vaterlande, selbst den geläufigen Ausdruck ihrer Muttersprache, die Melodien der Heimat leben unter ihnen länger als alles andere.

 

Erst im Auslande lernt man den Reiz des Heimatdialektes genießen; erst in der Fremde erkennt man, was das Vaterland ist. Gustav Freytag

 

Seite 12   Bücher – die uns angehen.

Walter Müller-Bringmann: Das Bch von Friedland. Musterschmidt-Verlag, Göttingen, 156 S. Kunstdruckpapier, 65 zum Teil ganzseitige Abbildungen. Kart. DM 10,80, Leinen DM 12,80.

 

In diesem Buch offenbart sich dem Leser ein anderes Deutschland, an das man in der wieder geschaffenen Bequemlichkeit nicht gern erinnert sein möchte: das Deutschland des verlorenen Krieges — und das heute noch ebenso wirklich ist wie 1945, heute im Jahre der Wiedereinführung der Wehrpflicht! „In Friedland flossen die Tränen unendlich vieler geprüfter Menschen — Tränen, die mit zur Geschichte unseres Volkes gehören", sagt der Verfasser, und diese Tränen fließen noch immer, der letzte Heimkehrer ist noch nicht da, und noch immer kommen Flüchtlinge. Das Lager ist noch nicht überflüssig geworden. Das Buch von Friedland kann nicht nur als ein Dokument unserer Zeit hingenommen werden, es mahnt uns, nichts von alledem zu vergessen, was gelitten wurde und was auch heute noch von unendlich vielen erduldet werden muss. Es mahnt zur Versöhnung und ruft auf, den so schwer Geschlagenen helfend zur Seite zu stehen. Der Verfasser hat die Entstehung des Lagers miterlebt und in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten. In sehr schlichter Sprache berichtet er von der Ankunft der ersten Kriegsgefangenen und der aus dem Ural entlassenen Frauen, von der Vergrößerung des Lagers und den Tagen, die die großen Transporte brachten. Die Bilder machen es deutlich, wie weit wir uns in den vergangenen Nachkriegs jähren schon wieder gewandelt haben, nicht nur was das Äußere anbelangt, sondern auch unsere innere Haltung.

 

Hans-Wilhelm Smolik: Schöne Tagschmetterlinge. (Das Kleine Buch Nr. 90). C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 48 Seiten, 55 Bilder nach Aquarellen von Xaver Wengenmayr. Gebunden 2,20 DM.

 

Höchst merkwürdig mutet es an, was Hans-Wilhelm Smolik über das Leben der Schmetterlinge zu berichten weiß. Und er tut es in einer ansprechenden Art mit einer ausgesprochenen Liebe zu den Faltern. Beim Lesen lernt man, ohne es zu merken, und staunt immer wieder über die Wunder der Schöpfung. Die mehrfarbigen Tafeln sind Wiedergaben bisher unbekannter Bilder des Augsburger Schulmeisters Wengenmayr, die im Heimatmuseum der Stadt Kaufbeuren hängen. Dieses Bändchen der Reihe „Das Kleine Buch" ist sehr hübsch ausgestattet und macht viel Freude.

 

Fritz Kudnig: Gottes Lautenspiel. Gedichte. Verlag Mona Lisa, Stuttgart. 36 Seiten.

 

Eine Handvoll Gedichte: aus der Zeit geschrieben, für die Zeit geschrieben — und dennoch zeitlos in ihrem Ringen um die Seele des Menschen. Hier hat Kudnig, dem Mahlwerk des Schicksals entronnen, sein Bekenntnis niedergelegt, kein Gebrochener, sondern feststehend im Glauben an das Bessere, das letztlich in der -Hinwendung zu Gott den Sieg erringen muss. Keine neue Heilslehre, keine ekstatischen Ausbrüche und schreienden Anklagen — wie überhaupt alle schrillen Töne aus den Versen dieses Dichters verbannt sind —, sondern die alten menschheitsbildenden Grundelemente, die die christliche Glaubenswelt tragen und aus denen zu ihrer Zeit ein Grünewald, ein Veit Stoss und die schlesischen Mystiker schufen, in selten reifer und zwingender Aussage für unsere Zeit. Spüren wir in seinen früheren Gedichten den starken Atem des Meeres, der Wälder und Dünen seiner ostpreußischen Heimat, so fühlen wir hier in diesen neuen Versen beglückt den Durchbruch aus dem bildhaft Verschlüsselten in die erlöste Form. Man möchte dieses Bändchen vor allem jungen Menschen mit auf den Weg geben; es wird sich ihnen in allen Nöten und Zweifeln des Lebens als ein stiller und getreuer Weggefährte erweisen.

 

Walter von Sanden-Guja: Am großen Binsensee. Ein Jahreslauf. Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart. 149 Seiten mit 40 Tierdrucktafeln. Ganzleinen mit Goldschnitt, 11,80 DM.

 

Seine tiefe Liebe zur Natur und den Tieren bewegte den Ostpreußen Walter von Sanden-Guja, am Dümmer, dem großen Binnensee, alles zu belauschen und zu beobachten, was dort wächst, kriecht und fliegt. Ein ganzes Jahr hindurch schildert er die Stimmungen des Sees und die mannigfachen Erlebnisse mit den kleinen und großen Tieren. Das Buch enthält sehr viele Aufnahmen, die der Verfasser bei seinen Streifzügen machte, und hat einen wunderschönen Einband bekommen. Es eignet sich ganz besonders als Geschenk für Tier- und Naturfreunde und natürlich auch für die Freunde des Dümmersees.

 

Dorothea Hollatz: Wer unter Euch ist ohne Sünde.Roman. 57. - 59. Tsd. Rufer-Verlag, Gütersloh. 208 S. Leinen, DM 7,80.

 

In dieser „Jahreschronik von St. Valth", wie Dorothea Hollatz ihren Roman im Untertitel nennt, versucht die Verfasserin, das Schicksal eines abseitigen Dorfes im Allgäu sinnbildhaft zu gestalten. Schlicht, aber tief mitfühlend erzählt sie von dem durch einen grausamen Krieg und seine Folgen heraufbeschworenen Geschick einfacher Menschen unserer Tage. Wenn man auch manchmal das Gefühl hat, dass der Autorin die Führung der erregenden Handlung etwas entgleitet, so gelingt ihr doch am Ende, in der überwindenden Kraft der Vergebung des totgeglaubten Heimkehrers, der die geliebte Frau mit dem Kinde eines anderen findet, ein Schluss von menschlich überzeugender Tiefe.

 

Waltraut Nicolas: Der Streik der Nonnen. Erzählungen. Rufer-Verlag, Gütersloh. 64 S., Taschenausgabe, DM 1,50.

 

Mit diesen fünf Erzählungen aus dem schweren Erlebnis der russischen Gefangenschaft von Waltraut Nicolas legt der Verlag ein Werk von großer Menschlichkeit und voll einer opferbereiten Frömmigkeit vor, die uns, im Satten und Sicheren befangen, fast legendär anmutet. Rührt uns nicht daraus gleichsam das arme alte Mütterchen Russland an, das im stummgemachten Seelengrund des Volkes im Sterben liegt? Erschütternd die religiösen Gedichte am Ende des Büchleins, Zeugnisse einer echten Frömmigkeit und Bekennertreue, die Beispiel und Anruf ist.

 

Seite 12   Freude. Von Käthe Kreienberg-Pötzold.

Freude ist wie Himmelstau,

Der in warmen Nächten fällt.

Freude ist ein Sonnenblick,

Der das Leben uns erhellt.

Freude nur gibt Kraft und Mut,

Wenn das Herz trug lang ein Leid. –

Schenket Freude und seid gut

In der kurzen Lebenszeit!

 

Seite 12   Kulturelle Nachrichten

„Jedermann" auf Burg Hohenstein.

Die Adalbert-Stifter-Gruppe aus Darmstadt, ein Kreis junger Heimatvertriebener, hat in diesem Jahr die Durchführung der Festspiele auf der Burg Hohenstein bei Bad Schwalbach übernommen. Zur Aufführung gelangt „Jedermann", das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes, von Hugo v. Hofmannsthal. Die Festspiele begannen am 15. Juli und enden am 19. August.

 

45 000 zum Kirchentag.

Der Ausschuss des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der vom 8. bis zum 12. August in Frankfurt stattfindet, hat mitgeteilt, bis jetzt hätten sich über 45 000 Dauerteilnehmer angemeldet. Unter ihnen befänden sich 15 000 Gäste aus Mitteldeutschland und 22 000 Besucher aus der Bundesrepublik. Die Zahl der - ausländischen Teilnehmer — unter ihnen sind auch Vertreter der Kirchen aus Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn — wird mit 2400 angegeben. Zehntausend Teilnehmer aus der Sowjetzone sollen in zehn Sonderzügen am 7. und 8. August in Frankfurt eintreffen.

 

Bundesarchiv der evangelischen Kirche Ost- und Westpreußens.

Ein Bundesarchiv der evangelischen Kirche Ost- und Westpreußens wird in Beienrode Zonengrenzkreis Helmstedt eingerichtet. In dem Archiv sollen alle noch vorhandenen Dokumente, Kirchenbücher, Briefe, Chroniken und Bilder aus ostpreußischen und westpreußischen Kirchengemeinden gesammelt werden. Das Archiv, das die Arbeit bereits aufgenommen hat, wendet sich an alle in der Bundesrepublik lebenden evangelischen Vertriebenen aus Ost- und Westpreußen mit der Bitte, in Ihrem Besitz befindliches Material zur Verfügung zu stellen.

 

Bundesbildarchiv über den deutschen Osten.

Bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes für das Rechnungsjahr 1958 wurde die Bundesregierung vom Bundestag ersucht, für die ordentliche Auswertung der Bestände des Bundesbildarchivs über den deutschen Osten Sorge zu tragen und somit die Kulturarbeit der Landsmannschaften zu unterstützen. Das Archiv, das sich gegenwärtig im Bundes-Presse- und Informationsamt befindet, umfasst z. Z. 96 000 Bilder.

 

Gerhart-Hauptmann-Haus auf Hiddensee.

Die Behörden der DDR haben das Haus, In dem Gerhart Hauptmann viele Sommer lang sich aufgehalten hat, seine Villa auf der Insel Hiddensee, anlässlich seines 10. Todestages neu hergerichtet. Es soll zu einer ständigen Forschungs- und Gedenkstätte ausgebaut werden.

 

Prof. Dr. Carstenn 70 Jahre.

Der bekannte westpreußische Gelehrte und Pädagoge Prof. Dr. Edward Carstenn vollendete am 1. Juli 1956 seinen 70. Geburtstag. Der Jubilar, der aus einer Elbinger Lehrerfamilie stammt, war lange Zeit an westpreußischen Schulen und zuletzt an der pädagogischen Akademie in Elbing tätig.

Sein Hauptwerk ist die 1937 erschienene „Geschichte der Hansestadt Elbing". Noch heute ist der Gelehrte, der jetzt im Schwarzwald lebt, als Leiter des „Arbeitskreises Westfalen und der deutsche Osten" im Westfälischen Heimatbund und als Mitarbeiter der „Elbinger Hefte" für den deutschen Osten tätig.

 

Wahrung der Tradition der Universität Königsberg in Göttingen. Die Göttinger „Akademische Turnverbindung", eine studentische Korporation an der Georg-August-Universität, hat dem Rektor der Universität Göttingen mitgeteilt, dass sie von nun an den Namen der ehemaligen Königsberger Turnerschaft „Albertia“ führen wird, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie an der Pflege der Tradition der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. mitwirken wolle. Damit widmen sich in Göttingen nunmehr drei studentische Gemeinschaften der Aufgabe, die Tradition der Albertina zu wahren: Neben der Turnerschaft „Albertia" sind dies die Burschenschaft „Gothia" sowie die „Landsmannschaft Ordensland" (bisher: „Vereinigung ostpreußischer Studierender").

 

Die Georg-August-Universität zu Göttingen übernahm vor einigen Jahren die vorläufige Patenschaft für die Königsberger Universität. Der „Göttinger Arbeitskreis“ ostdeutscher Wissenschaftler gibt seit 1951 alljährlich ein „Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr." heraus, das von Prof. Dr. von Selle betreut wird, der zugleich die „Meldestelle der Ostuniversitäten" (Archiv des Universitäts-Kuratoriums Göttingen) leitet. Mit diesem „Jahrbuch" beteiligt sich die altehrwürdige, 1544 gegründete ostdeutsche Universität weiterhin am wissenschaftlichen Gespräch der Gegenwart.

 

Roman-Preisausschreiben

Für einen realistischen, gesellschaftskritischen Roman wird ein Preis in Höhe von 3000 DM ausgeschrieben. Teilnahmeberechtigt sind alle in deutscher Sprache schreibenden Schriftsteller, gleichgültig, wo sie ihren Wohnsitz haen. Der Jury des Preises gehören an: Theodor W. Adorno, Max Bense, Wolfgang Koeppen, Karl Korn und Alfred Andersch. Einzelheiten über Bedingungen und Laufzeit sind in Heft 8 „Texte und Zeichen" (Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied/Rhein) veröffentlicht.

 

Seite 12   Heimatbücher sind Geschenke von bleibendem Wert

Frühjahrs-Neuerscheinungen 1956:

Das heutige Danzig ein Reise- und Bildbericht mit 68 ganzseitigen Bildtafeln (75 Bildern), die Danzig im Herbst 1955 zeigen. 80 Seiten, DM 5,80.

 

Königsberg. Merian. Das Monatsheft der Städte und Landschaften. Königsberg wie es war und heute ist, mit zahlreichen, teils mehrfarbigen Bildern, 104 Seiten, DM 3.20.

 

Des Werk Hermann Löns. Zum 90. Geburtstag des in Kulm/Westpreußen geborenen Heidedichters am 29. August 1956.

Der letzte Hansbur. Ein historischer Bauernroman aus der Lüneburger Heide, mit vierfarb. Einband, flexibel gebunden, cell. DM 4,80.

 

Dahinten in der Heide. Ein Roman von Heimat und Heimatlosigkeit, Heimweh und Heimkehr, mit vierfarb. Einband, flexibel gebunden, cell. DM 4,80.

 

Tiergeschichten. Mümmelmann — Widu — Was da kreucht und fleugt, die schönsten Tiergeschichten Hermann Löns', 344 Seiten mit 20 Zeichnungen und 9 Farbfotos auf Kunstdruckpapier, Ganzl., DM 8,75.

 

Geschichten und Sagen. Enthaltend, Mein braunes Buch — Heidbilder — Da draußen vor dem Tore. 383 Seiten, Ganzl., DM 5,80.

 

Die Häuser von Ohlendorf.  Der Roman eines Heidedorfes. 244 Seiten, Ganzl., DM 6,50.

 

Mümmelmann. Das schönste Tierbuch des Dichters, illustrierte Ausgabe mit 154 Kupfertiefdruckbildern (396 Tsd.), 240 Seiten, Ganzl., DM 9,80.

 

In der preiwerten „Grünen Reihe" erschienen von Hermann Löns: Bd. 1 Mümmelmann  — Bd. 2 Widu — Bd. 9 Ho Rüd' Hoh — Bd. 17 Dahinten in der Heide Bd. 18 Der letzte Hansbur. Jeder Band kartoniert, cellophaniert DM 1,90, Bd. 1, 2 und 9 mit je 15 Zeichnungen.

 

Tiergeschichten:

Pepita, die Geschichte eines Trakehner Pferdes von Herbert von Böckmann. Die jedem Pferdefreund zu Herzen gehende Lebensgeschichte eines Trakehners von den frohen Fohlentagen bis zum bitteren Ende auf der Flucht. 71 Seit, mit 14 Zeichnungen. DM 4,80.

 

Frühling im Försterhaus. Sommertage im Försterhaus. Herbstferien im Försterhaus. Winterferien im Försterhaus von Erich Kloss. Horst, ein 13 jähriger Junge kommt zu seinem Onkel ins Försterhaus nach Ostpreußen. Was er hier erlebt erzählen diese 4 Bände, die zu den schönsten Jugendbüchern zählen. Je 64 S., je DM 2,80

 

Horst wird Förster von Erich Kloss. Dieses Buch ist die Fortsetzung der „Försterhaus-Bände" und erzählt vom Leben des Forstmannes und den Waldtieren. 95 Seiten, DM 3,--.

 

Beliebte Heimatbücher:

So zärtlich war Suleyken. Masurische Geschichten von Siegfried Lenz. In diesen Geschichten lebt Masuren in seiner ganzen urwüchsigen, unverfälschten Art. 172 Seiten mit vielen pfiffigen Zeichnungen, Ganzleinenband im Großformat, prachtvoller Geschenkband, DM 14,80.

 

Wälder und Menschen  von Ernst Wiechert. In diesem Erinnerungsbuch schildert der Dichter seine Kindheit in den Wäldern um die Crutine. 260 Seiten. DM 9,50.

 

Quer durch Ostpreußen. 100 Aufnahmen aus Ostpreußen, Text und Geleitwort von Gerhard Bedarff. Format 20 X 21 cm, 60 Seiten Kunstdruckpapier, farb. Schutzumschlag, DM 3,85.

 

Erde und Licht von Walter Scheffler. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk des Dichters. 152 Seiten, kart. DM 3,30, geb. DM 5,20.

 

Himmel ohne Sterne. Roman von Helmut Käutner. Das Buch zum erfolgreichen Film. 197 Seiten, Ganzl. DM 8,80.

 

Heute empfehlen wir besonders:

333 Ostpreußische Späßchen. Ein Quell des Frohsinns, zu Herzen dringender, beglückender Humor. 148 Seiten, gebunden, DM 4,80.

Diese und alle anderen Heimatbücher liefert Ihnen prompt Elchland – Verlag, Abteilung Ostpreußen-Buchdienst Göttingen

 

Seite 13   Glanzpunkt - das schwarz-bunte Vieh Ostpreußens.

Die 44. Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft wird im September in Hannover zu sehen sein. Stets erfreuten sich diese Fachschauen des lebhaften Interesses der Bauern. Eine der ersten Wanderausstellungen führte die DLG in Königsberg durch. Der Begründer dieser Gesellschaft und der Ausstellungen, Max Eyth — er ist auch durch sein Buch „Der Schneider vom Ulm" weithin bekannt geworden — berichtete in einem Brief über seine Begegnungen und Erfahrungen mit den ostpreußischen Landwirten, den Verwaltungsstellen und den für ihn als Westdeutschen ungewohnten Verhältnissen:

 

„Königsberg, den 5. Juni 1892

Natürlich bringt jede Ausstellung Schwankungen und unerwartete Zwischenspiele in das papierene Programm, die mich vor dem Verknöchern bewahren. So begann die Königsberger Zeit mit einem zornigen Streit. Die Pferdezucht ist bekanntlich der Stolz von Ostpreußen. Einige der Hauptpferdezüchter der Provinz, von der schnarrenden und schneidigen Sorte, die gewohnt sind, mit tiefen Bücklingen begrüßt zu werden, wenn sie mit den Sporen klirren, wollten sich schlechterdings nicht in unsere wohlüberlegte und wohlbewährte Ausstellordnung fügen und ihre Tiere aufstellen, wie sie es auf ihren kleinen Provinzschauen und Pferdemärkten zu tun gewohnt sind. Ich erklärte klipp und klar, dass und warum wir dies nicht dulden. Das Erstaunen eines Herrn S., Georgenburg kannte keine Grenze. Eine solche Erklärung seinen hocharistokratischen Pferden gegenüber, sei ihm noch nicht vorgekommen. Er glaubte, einen niederschmetternden Trumpf mit der Bemerkung auszuspielen, unter diesen Umständen sein ganzes Gestüt zurückziehen zu müssen. Ich versicherte ihm, dass ich diesen Entschluss bedaure, aber mit Ergebung tragen werde. Ich würde jedoch vorziehen, ein Pferd nicht auf der Aufstellung, als die hart erkämpfte Ordnung unserer Schauen durchbrochen zu sehen. Die Besprechung endete in dumpfem Groll, aber seine Anmeldungen trafen rechtzeitig ein. Es hat sein Gutes, wenn man es manchmal wagt, fest hinzustehn. —

 

Verglichen mit unsern westdeutschen Städten sieht Königsberg zurzeit etwas trübselig aus. Die Nähe der fast geschlossenen russischen Grenze und ein scharfer Gegensatz zwischen Stadt und Land, die nirgends so sehr aufeinander angewiesen sind wie hier, machen sich unangenehm fühlbar, auch für uns. Es ist ein beständiges Häckeln hin und her. Beispiel: Die Stadt, d. h. der städtische Magistrat, bezeugte keine Lust, die nunmehr üblich gewordenen zehntausend Mark für Preise auf der Ausstellung zu stiften. Darauf erklärte das Land, d. h. die Provinzverwaltung: „Man braucht euch gar nicht, die Summe stiften wir". Hierauf die Stadt sehr ärgerlich: „Ihr kommt zu spät, wir haben sie schon gestiftet". Darauf ich, mit äußerster Höflichkeit: „Hocherfreut! aber davon haben Sie uns gar nichts gesagt“. Antwort der Stadt, grollend: „Das macht nichts. Es wäre schon gekommen. Jetzt aber sind wir erzürnt und wissen allerdings noch nicht, was wir tun werden“. Schließlich, nach vielem Briefschreiben, haben sich beide wieder so weit versöhnt, dass Stadt und Land — zu meinem Bedauern — je die Hälfte stiften.

 

Eine andere Schwierigkeit machte mehr Mühe und schwere Sorgen. Wir brauchen auf der Ausstellung etwa zweihundert Leute zum Vorführen der Tiere und bekamen hierfür, natürlich gegen Bezahlung, seit Breslau von der Militärbehörde Soldaten, doch waren die Verhandlungen mit dem Höchstkommandierenden des Platzes über diese Angelegenheit immer etwas kitzliger Natur. Ich freute mich deshalb ganz besonders auf Königsberg, weil der vortreffliche Generalsekretär des dortigen Zentralvereins, ein Hauptmann a. D., versicherte, er werde im Handumdrehen die nötige Mannschaft besorgen. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Aus unerklärten und vielleicht unerklärlichen Gründen benachrichtigte mich der Festungskommandant, General von Werder: er werde keinen Mann für das unwürdige Vorführen landwirtschaftlicher Tiere beurlauben. Dies war besonders misslich, weil uns, wie seinerzeit zu Magdeburg, die Maul- und Klauenseuche belagerte, und wir bei den Soldaten sicher sein konnten, seuchenfreie Leute zu finden. Umsonst waren meine Bitten und Vorstellungen, umsonst Briefe des Regierungs- und des Oberpräsidenten der Provinz, die vor der Klauenseuche nicht weniger zittern als wir. Der Herr verstockete Pharaos Herz, und das russische: Monsieur, le général le veut! schien auch auf preußischem Gebiet nicht zu versagen, bis unsererseits alles eingeleitet war, die Sache dem Kaiser vorzulegen. Nun gab uns Excellenz Leute, wenigstens für die Pferde, reiste aber am Tag vor der Eröffnung der Ausstellung ab, um seine teilweise Niederlage nicht auch noch mitfeiern zu müssen. Die noch fehlenden Leute trieb uns der sehr gefällige Landrat von seuchenfreien Gehöften zusammen. Es kostete ein schweres Geld, aber es ging. Die alte Geschichte: es geht immer, wenn man will.

 

Bezüglich des Verlaufs der Ausstellung empfehle ich Dir die Zeitungen, die über landwirtschaftliche Dinge zwar selten viel zu sagen wissen, aber Worte genug machen. Der Glanzpunkt der Schau war neben den Pferden das schwarzbunte Vieh Ostpreußens. Merkwürdig, dass an den beiden äußersten Grenzen Deutschlands, in Ostpreußen und in Baden, die Viehzucht ihre glänzendsten Triumphe feiert, und noch merkwürdiger, dass man es in beiden Fällen einem Mann zu danken hat: dort dem Oberregierungsrat Lydtin, hier dem Generalsekretär Kreiß, die der unvernünftigen Kreatur den Stempel ihres Verständnisses und ihres Willens aufgedrückt haben. Ein schönes Beispiel, wie der Mensch die Welt der Tiere bis in ihr innerstes Wesen beherrscht, wenn er will.

 

Das Wetter war glänzend: vor- und nachher Regen und Sturm, an den fünf Ausstellungstagen nicht ein raues Lüftchen, nicht ein Tropfen Wasser. Trotzdem war der Besuch der schlechteste, den wir bis jetzt hatten. Die Ursache liegt darin, dass es keine kleinen Bauern in der Provinz gibt, die einer großen Ausstellung wegen in Bewegung geraten. Vom Großbesitz allein können auch wir nicht leben. Es wird ein hübscher Fehlbetrag zu tragen sein, aber dazu sind wir ja auf der Welt, nicht bloß in Ostpreußen. Wir können es glücklicherweise aushalten, und haben dafür dreihundert neue Mitglieder gewonnen, die in diesem äußersten Thule in keiner andern Weise erreichbar gewesen wären“.

 

Seite 13   Solling – neue Heimat der Trakehner. Die größte geschlossene Gruppe des edlen ostpreußischen Warmblutpferdes.

Foto: JungeTrakehner tummeln sich auf den Weiden bei Hunnesrück/Niedersachsen.

Als die Trakehner Pferde 1945 während des großen Trecks der bitteren Kälte, dem weiten Weg und allem Mangel widerstanden, legten sie eine Bewährungsprobe ab, die ihnen wohl niemand abverlangt hätte, wenn es nicht der einzige Weg gewesen wäre, sie überhaupt zu erhalten. Es lässt sich nicht mehr feststellen, wie hoch die Zahl der ostpreußischen Pferde ist, die damals so nach Westdeutschland gelangten. In den folgenden Jahren erfasste der Verband der Züchter des Warmblutpferdes Trakehner Abstammung 1200 Stuten im Bundesgebiet.

 

Mit dem Lande Niedersachsen konnte der Züchterverband einen Haltungsvertrag abschließen, der der Erhaltung der Trakehnerzucht dient. Es ist kein Zufall, dass sich gerade Niedersachsen der ostpreußischen Pferdezucht annimmt, ist es doch selbst ein altes Pferdeland, dem die Zucht am Herzen liegt. 50 Mutterstuten und vier Hauptbeschäler Trakehner Abstammung werden seit einigen Jahren im Solling gehalten. Das ist die größte geschlossene Gruppe von Trakehnern. Auch in Schleswig-Holstein sind zwei Zuchtstätten, eine in Schmoel mit 30 Mutterstuten und 2 Hauptbeschälern, die andere in Rantzau mit 20 Mutterstuten und 2 Hauptbeschälern. Im ganzen Bundesgebiet finden sich aber noch viele Trakehner in Privatbesitz. Auch die in den drei Gestüten gehaltenen Pferde gehören Privatzüchtern, ein Teil dem Zuchtverband.

 

Im Jahre 1732 wurde das Hauptgestüt Trakehnen gegründet. Damals lieferte schon das Herzogliche Gestüt Neuhaus im Solling dem Kurfürstlichen und Königlichen Marstall in Hannover die Wagenpferde. Nach mehrfachem Besitzerwechsel im Laufe der Zeit kamen die ausgedehnten Weiden als Pachtland zum Gestüt Hunnesrück, das auch im Solling liegt. Und jetzt tummeln sich hier die Zweijährigen aus der Trakehnerzucht, denen im vergangenen Jahr schöne moderne Stallungen gebaut wurden. Bergauf und bergab ziehen sich die Koppeln zwischen dichten Wäldern dahin, manchmal spenden auch kleine Baumgruppen Schatten. Eine beschauliche Ruhe liegt über dem Grün, der saftigen Weiden und dem Dunkel der Tannen. Es sind die besten der in Hunnesrück geborenen Fohlen, die auch hier bleiben und der Zucht erhalten sind. Die übrigen werden auf der Frühjahrs-Auktion des Trakehner-Verbandes verkauft und sind von Jahr zu Jahr begehrter. Neben der außerordentlichen Zähigkeit hat das ostpreußische Pferd den Vorzug, sehr vielseitig und besonders zur Dressur geeignet zu sein. Die Züchter strebten immer ein Pferd an, das nicht nur als Reittier, sondern auch für die Landwirtschaft taugt. Bei den Olympischen Spielen von 1936 zeichneten sich besonders „Kronos" und „Absinth" aus, und jetzt sind „Fanal", „Perkunos" und „Thyra" bekannt geworden. „Perkunos" sowie „Adular" und „Afrika", die beide Halbostpreußen sind durch ihren Vater „Oxyd", brachten bei der diesjährigen Reiterolympiade in Stockholm in der Mannschaftswertung die Silbermedaille.

 

Neunmal gewannen ostpreußische Pferde zwischen den beiden Weltkriegen die Pardubitzer Steeple Chase. Die Trakehnerin „Kokette" war 1950 die beste Warmblutstute der DLG-Wanderausstellung, im Jahre darauf zeigte sich die Trakehner Rappstute „Polarfahrt" als die schönste Stute der Schau und wurde 1955 als beste Warmblutstute prämiiert.

 

Das Hengstaufzuchtgestüt Hunnesrück, zu dem die Weiden von Neuhaus gehören, arbeitet seit 1920, vorher diente es als Remonte-Depot für die Armee. Hier lebt der letzte Landstallmeister des Hauptgestütes Trakehnen, Dr. Ehlert. Trotz seines hohen Alters — er ist jetzt 81 Jahre alt geworden — betreut er noch immer die Zucht der ostpreußischen Pferde in Hunnesrück. Die Mittel für Erhaltung und Weiterzucht der Trakehner kommen weitgehend aus Geldern, die Bund und Land Niedersachsen zur Verfügung stellen. Wenn ein Privatzüchter seine Fohlen nicht selbst aufziehen kann, schließt der Trakehner-Verband für ihn Aufzuchtverträge mit landwirtschaftlichen Betrieben ab und trägt damit bei, die Fohlen für die Zucht zu erhalten. Drei Jahre lang werden dem Vertragspartner die Fohlen überlassen, dann gibt er eins von zweien dem Besitzer zurück und behält das andere als Entgelt für die Aufzuchtkosten.

 

Der Verband der Züchter des Warmblutpferdes Trakehner Abstammung hat jetzt seinen Sitz in Hamburg.

 

Seite 13   Noch immer 2,14 Millionen Vermisste.

17 000 Kinder suchen ihre Eltern – Heimkehrer brachten neue Namen.

Bonn. Elf Jahre nach Kriegsende ist das Schicksal von 2 136 700 Deutschen, die einst als Wehrmachtsvermisste, verschollene Kriegsgefangene, verschleppte Zivilpersonen oder verschollene Zivilgefangene registriert worden waren, noch immer nicht aufgeklärt. Den weitaus größten Teil der ungeklärten Suchdienstfälle nehmen die Vermissten der ehemaligen Wehrmacht ein, deren Zahl jetzt mit 1 246 000 angegeben wird. Es sind Soldaten, von deren Verbleib seit der Kriegszeit überhaupt keine Nachricht vorliegt. Die Gruppe der verschollenen Kriegsgefangenen in Ost und West beträgt 101700, davon rund 80 000 im Osten. Von diesen Verschollenen wissen die Angehörigen und die Suchdienste, dass sie lebend in Gefangenschaft geraten sind.

 

Bei den gesuchten Zivilpersonen steht die Gruppe der rund 750 000 einst Verschleppten und Gefangenen in der Sowjetunion an erster Stelle. Auch hier muss nach Ansicht der Suchdienstexperten damit gerechnet werden, dass heute nur noch ein geringer Prozentsatz lebt. Weitere Nachforschungen des Suchdienstes sind den rund 22 000 verschollenen Zivilgefangenen in den osteuropäischen Staaten außerhalb der Sowjetunion gewidmet.

 

Ein besonders trauriges Schicksal ist das der 17 000 Kinder, die elf Jahre nach dem Zusammenbruch noch immer nicht ihre Eltern gefunden haben. Schwer ist auch das Schicksal der rund 16 000 Eltern, die noch immer nach ihren Kindern fahnden, von denen sie in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit getrennt worden sind. Auf diesem Arbeitsgebiet kann der Suchdienst jeden Monat rund 500 Erfolgsmeldungen buchen.

 

Nach Ansicht des DRK hat die Sowjetunion ihre Zusage dahin erfüllt, dass alle Deutschen, die sich nach den Unterlagen des Deutschen Suchdienstes in sowjetischen Lagern und Gefängnissen befinden, bis auf eine kleine Zahl heimgekehrt sind.

 

Seite 13   Deutsch-Ordenskonvent in Darmstadt.

Die deutsche Ballei des Ordens hielt unter Vorsitz des Hochmeisters Abt Dr. Marian Tumler (Wien) im Deutsch-Ordenskonvent zu Darmstadt ihr diesjähriges Provinzkapitel, bei dem P. Ildefons Pauler zum Prior der Ballei in der Bundesrepublik gewählt wurde. Zu Provinzräten wählte das Kapitel P. Petrus Pollak und P. Maxel Stanzel. Ersterer vertritt die Ballei als Delegierter beim Großkapitel, das alle sechs Jahre zur Wahl des Hochmeisters zusammentritt. Die Gesamtleitung des Ordens, der 1198 vor Akkon im Heiligen Land gegründet wurde, obliegt dem Hochmeister mit seinem Generalrat. Der Superior des Deutsch-Ordenskonvents in Darmstadt, P. Beda Romanczyk, wurde zum Generalrat der deutschen Ballei gewählt. Nach der vom Apostolischen Stuhl approbierten Ordensregel ist es dem Deutschen Orden gestattet, Familiaren zu assoziieren. Aufgenommen werden katholische Männer und Frauen, die sich um den Orden verdient gemacht haben und mit ihm in religiöser Gemeinschaft verbunden sind. Als äußeres Zeichen der Zugehörigkeit zum Deutschen Orden tragen sie bei kirchlichen Feiern Kreuz und Mantel des Ordens. Zum Rektor der Deutsch-Ordensfamiliaren ernannte der Hochmeister den in der Ackermann-Gemeinde tätigen P. Paul Tilzer, Frankfurt/Main. Der Deutsche Orden besitzt zurzeit in fünf europäischen Staaten Niederlassungen.

 

Seite 13   Dank der Ostdeutschen.

Als Dank für die Rettung Hunderttausender von Ostdeutschen hat der Landesverband der vertriebenen Deutschen in Schleswig-Holstein eine Gedenkstätte im Marine-Ehrenmal Laboe errichtet. Sie ist allen jenen Angehörigen der deutschen Kriegs- und Handelsmarine gewidmet, die 1945 unter Einsatz ihres Lebens ostdeutsche Flüchtlinge retteten.

 

Seite 14   Familiennachrichten. Wir gratulieren!

Goldene Hochzeit.

Eheleute Julius Bollmann und Frau Anna Bollmann, geb. Domagalig aus Danzig am 24. Juni 1956 in Buxtehude. Der 72-jährige Maurer Bollmann hat erst vor kurzer Zeit die Kelle aus der Hand gelegt, auch nach Erreichung des „Ruhestandsalters" war er noch fleißig tätig, so vor allem beim Neubau der katholischen Marien-Kirche in Buxtehude. Zum Festtag der Jubilare waren neben Verwandten und Bekannten auch Vertreter der Stadt und von Organisationen unter den zahlreichen Gratulanten.

 

Eheleute Paul Hennig und Frau Martha Hennig, geb. Petereit aus Goldbach, Kreis Wehlau am 4. August 1956 in Itzehoe, Heinrich Rave-Str. 16. Viele Goldbacher werden sich noch gern des Gendarmeriemeisters Hennig erinnern und nicht weniger gern des gastfreien Hauses, wo der selbstgebraute Bärenfang sehr gut schmeckte.

 

98. Geburtstag

Adam Pehlke aus dem Kreis Deutsch-Eylau in Daverden, Kreis Achim, wo er im Hause seines Schwiegersohnes seinen Lebensabend verbringt. Adam Pehlke ist nicht nur der älteste Einwohner der Gemeinde Daverden, sondern der ganzen Kirchengemeinde. Bei der Rüstigkeit des Jubilars wird er sicher das biblische Alter von 100 Jahren erreichen.

 

90. Geburtstag

Marie Schächinger, geb. Lorenz aus Waldau/Westpreußeb in Ahrbeck/Hann. Die Jubilarin ist Bäuerin, sie schenkte sechs Söhnen und einer Tochter das Leben. Ihren Lebensabend verbringt sie bei ihrer Tochter Adeline Rockahr und dem Schwiegersohn in Ahrbeck.

 

Barbara Koytek, geb. Boenigk aus Ridbach, Kreis Rößel in Haselünne, Kreis Meppen, Meppener Str. 29. Von ihren 10 Kindern leben heute noch sieben, außerdem 15 Enkel und ein Urenkel.

 

Auguste Behrend, geb. Neumann aus Karschau, Kreis Bartenstein in Buxtehude, Hauptstr. 36, wo sie heute bei ihrem Sohn, dem Rentner und früheren Malermeister Behrend, lebt. Die betagte Jubilarin, die sich noch erstaunlicher körperlicher und geistiger Frische erfreut, ist mehrfache Groß- und Urgroßmutter.

 

86. Geburtstag

Maria Dann aus Königsberg/Preußen am 23. Juli 1956 in Traunstein/Obb., Siegsdorferstr. 8a, bei bester geistiger Frische.

 

85. Geburtstag

Konrektor a. D. Emil Benger aus Lyck am 23. August 1956 in der Sowjetzone. Das betagte Geburtstagskind erfreut sich seltener Frische und Rüstigkeit. Im Oktober dieses Jahres begeht er mit seiner Ehefrau Ida, geb. Mehl das Fest der „Diamantenen Hochzeit". Das Ehepaar Benger ist schriftlich zu erreichen über Frl. Hildegard Liebe, Flensburg, Mathildenstr. Hochhaus IV.

 

Witwe Therese Jung, geb. Meusel aus Ostpreußen am 7. Juli 1956 in Holte, Kreis Westrhauderfehn Ostfriesland. Frau Jung wohnt hier bei ihrem ältesten Sohn und hat sich in Ostfriesland gut eingelebt, sie ist geistig und körperlich noch sehr rege.

 

80. Geburtstag

Klara Herrmann, geb. Menzel aus Allenstein, Germanenring, am 18. Juli 1956 in Mackenzell, Kreis Hünfeld/Hessen. Ihr Ehemann, Lehrer i. R. Ernst Herrmann, steht bereits im 85. Lebensjahr. Beide sind eifrige Leser unseres Heimatblattes.

 

75. Geburtstag

Paul Hennig, Meister der Gendarmerie in Goldbach, Kreis Wehlau, am 15. Juli 1956 in Itzehoe, Heinrich-Ravestr. 16. Der Jubilar war in seiner Heimat über die Grenzen seines Bezirkes und des Kreises Wehlau hinaus bekannt. Zusammen mit seiner Ehefrau Martha, geb. Petereit begeht er im August das Fest der „Goldenen Hochzeit".

 

71. Geburtstag

August Schneider aus Iwenberg, Kreis Schlossberg am 21. August in Bornhausen 17 über Seesen a. H.

 

Geburtstagskinder in Flensburg

Ferdinand Schoettke aus Pillau am 02.08.1956,  80 Jahre, wohnh. Flensburg, Apenraderstr. 8.

 

Marta Felsner aus Insterburg am 06.08. 1956, 77 Jahre, Lager Schützenheim.

 

Berta Pedack aus Nußberg, Kreis Lyck am 08.08.1956, 76 Jahre, Friesische Str. 29.

 

Hulda Arndt aus Gr. Gemmern, Kreis Allenstein am 08.08.1956, 70 Jahre, Schloßstr. 7.

 

Fritz Böhnack aus Schippenbeil am 09.08.  1956,75 Jahre, Heinz-Krey-Lager.

 

Hermann Fischer aus Insterburg am 13.08.1956, 76 Jahre, Mühlenholz 20.

 

Maria Schumacher aus Insterburg am 17.08.1956, 70 Jahre, Dammhof 9.

 

Fritz Müller aus Löwenhagen bei Königsberg am 28.08.1956, 76 Jahre, Marienhölzungsweg 26.

 

Allen Jubilaren wünscht ihr Heimatblatt „Ostpreußen-Warte" recht viel Glück und auch fernerhin beste Gesundheit.

 

Seite 14   Aus den Landsmannschaften.

Hannover. Die 44. Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsausstellung (DLG) ist vom 9. bis 16. September 1956 in Hannover auf dem Messegelände zu sehen und wird mit einer Jagdausstellung erweitert, die die Landsmannschaft Ostpreußen zusammenstellt. Es werden die herrlichen Jagdgebiete des deutschen Ostens gezeigt, die in vielen Besuchern Erinnerungen wecken werden und allen anderen, die nie dort waren, diesen Teil Deutschlands mit Bildern und Modellen nahe bringen sollen.

 

Hildesheim. Zwei Danziger, die sich große Verdienste um ihre Heimat erworben haben, wurden in der letzten Mitgliederversammlung der Ortsstelle Hildesheim des Bundes der Danziger geehrt. Frau Hertha Pech, Hannover, überreichte als Bezirksbeauftragte im Namen der Vertretung der Freien Stadt Danzig Herrn Henkel und Herrn Eichhof eine Plakette und die dazugehörige Urkunde. Herr Henkel ist der Begründer der Ortsstelle Hildesheim, und Taubstummenoberlehrer Eichhof ist jetzt Vorsitzender und Kulturreferent zugleich. — Zum „Tag der Danziger" am 4. und 5. August in Lübeck ist eine gemeinsame Busfahrt geplant.

 

Hildesheim. Unter dem Vorsitz des stellvertretenden Vorsitzenden, Gotthard Markwald, hielt die Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen ihre Monatsversammlung ab. Es wurde beschlossen, zum „Tag der Heimat", der am 9. September gefeiert wird, nach Göttingen zu fahren, um dort an dem vor drei Jahren errichteten Ehrenmal der ost- und westpreußischen Truppenteile mit allen Landsleuten der Umgebung zusammenzutreffen. Es wird von den Angehörigen oder deren Beauftragten Ehrenschleifen niedergelegt. Der Vorsitzende Zehe nimmt Bestellungen für Seidenschleifen entgegen, die mit dem Namen des Toten handbeschrieben werden.

 

Lübbecke. Bei der Juli-Monatsversammlung war besonders die Jugend zahlreich vertreten. Lm Freitag zeigte vorzügliche Filme aus der Heimat. Die Lmn. Hapke und Kuttner berichteten über Erlebnisse, die sie bei besuchten Heimattagungen hatten. Über aktuelle Fragen der Landsmannschaft berichtete der Vorsitzende Lm. Hardt. Gedicht- und Liedvorträge umrahmten den Abend.

 

Traunstein/Obb. Trotz ungünstigen Wetters hatte die Ortsgruppe der Ost- und Westpreußen zu Pfingsten eine Busfahrt an den Bodensee unternommen, von der Landsmann Folkerts in humorvoller Weise in der Monatsversammlung am 2. Juni d. J. berichtete. In dieser wurde auch des Tages „Der deutschen Einheit" gedacht. In der am 8. Juli stattgefundenen Monatsversammlung beglückwünschte der Vorsitzende Alexander Schadau das erschienene Ehrenmitglied Maria Dann (Königsberg) zum 86. Geburtstag und überreichte ihr ein kleines Geschenk. Hier Anwesende und zu der Versammlung erschienene Landsleute aus Aachen und Wiesbaden konnten ebenfalls als Gäste begrüßt werden. Landsmann Schadau erinnerte an die Volksabstimmung von 1920 in Ost- und Westpreußen. Er ermahnte die Mitglieder, mehr denn je zur alten Heimat zu stehen und ihr die Treue zu bewahren. Die Jugend verschönte die Zusammenkunft durch Blockflötenvorträge. — Die Ortsgruppe trifft sich wieder am 4. August d. J. im Aubräu-Keller, An der Wegscheid.

 

Seite 14   Turnerfamilie Danzig, Ost- u. Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb) Gotenstraße 33.

 

Herzlichste Glückwünsche zum Geburtstag den im August geborenen Turnschwestern und Turnbrüdern. Ganz besonders grüßen wir

 

zum 40. Geburtstage

am 02.08.1956:  Werner Witt (Königsberg),

 

am 08.08.1956: Werner Küßner (Tgm Danzig),

 

am 28.08.1956:  Christel Hencker (Lyck);

 

zum 50. Geburtstage

am 15.08.1956: Kurt Kleist (Königsberg und Danzig);

 

zum 60. Geburtstage

am 27.08.1956: Alma Langheim, geb. Müller (Zoppot);

 

zum 70 Geburtstage

Walter Hermanny (Insterburg);

 

zum 81. Geburtstage

am 08.08.1956: Ernst Nelte (TuF Danzig) und

 

am 31.08.1956: Max Tribukait (KMTV Kbg.).

 

Für das neunte Wiedersehenstreffen vom 31.08. bis 03.09.1956 in Espelkamp-Mittwald sind inzwischen mehr als 200 Anmeldungen eingegangen. Aus der Sowjetzone kommen 41 Turnschwestern und Turnbrüder. Um sie tatkräftig zu unterstützen, werden weitere Spenden erbeten entweder auf Postscheckkonto Hannover 11 60 75 (Wilhelm Alm Oldenburg/Oldb) oder auf das Konto Nr. 2172 bei der Kreissparkasse des Kreises Lübbecke (Westf.), Zweigstelle Espelkamp-Mittwald mit dem Stichwort „Turnertreffen Espelkamp SBZ". Wer noch jetzt seine Teilnahme nachmelden will, wende sich unmittelbar an Tbr. Helmut Heyse in Espelkamp-Mittwald (Kr. Lübbecke/Westf.), Breslauer Straße, Tel. 280.

 

Heilbronn ruft zum 5. Alterstreffen des Deutschen Turnerbundes vom 17. bis 19.08.1956. Um einen Treffpunkt dortselbst zu vereinbaren, bitte ich alle, die aus unseren Reihen nach Heilbronn fahren, um eine kurze Mitteilung.

 

Für das Jahrbuch der Turnkunst 1957 und für die Ostpreußen-Warte bitte ich um leihweise Überlassung von Lichtbildern von turnerischen Veranstaltungen in der Heimat, von unseren bisherigen Wiedersehenstreffen, von Vereinsheimen, Turnplätzen und Turnhallen unserer Vereine und auch von besonders hervorgetretenen Turnerführern. Die Bilder werden zurückgegeben, wenn nicht ausdrücklich eine geschenkweise Abgabe für unser Turnerarchiv erklärt wird. Ganz besonders bitte ich die Fotofreunde, in Espelkamp-Mittwald den Ablauf des Treffens festzuhalten und schnellstens Bilder davon mir zur Verfügung zu stellen.

 

Das Schlagballspiel war in der Deutschen Turnerschaft eine besondere Domäne unseres Turnkreises I Nordost. An den Schulen und in den Vereinen unserer Heimat wurde es noch viel gespielt, als es in den anderen Turnkreisen schon fast der Vergessenheit anheimfiel. Unserem nach Wuppertal verschlagenen Landsmann und Turnbruder Theodor Wallerand (TuF Danzig) verdankt der Deutsche Turnerbund die Wiederbelebung des schönen Schlagballspiels, das er zuerst an einigen höheren Schulen und dann auch in verschiedenen Turnvereinen wieder einführen konnte. Als „Rheinischer Schlagballvater" konnte er in diesem Jahr bereits das 2. Turnier des TV Friesen-Wuppertal durchführen, das von acht Mannschaften beschickt war. Damit hat der deutsche Osten der Rheinischen Jugend ein Geschenk gemacht, das hoffentlich bald größere Kreise durchdringt und wieder über ganz Deutschland Verbreitung findet.

 

Neu in die Kartei aufgenommen:

Erna-Kuschel-Müller, Turngemeinschaft Danzig

Frieda Rückbrodt-Baginski, Turngemeinschaft Danzig und

Walter Wißmann, Turngemeinschaft Danzig

 

Charlotte Fratz-Koch, Elbinger Turngemeinde und

Käte Pohl-Lindenblatt

 

Toni Külow, Insterburg

 

Dr. Herbert Schmidtke, Asko Königsberg

 

Hanni Damm-Müller, Rastenburg

Onkel Wilhelm.

 

Seite 14   Heimatkreistreffen

12. August 1956:

Memelkreise in Hannover, Kurhaus Limmerbrunnen

 

Fischhausen in Pinneberg

 

Heiligenbeil in Lehrte

 

Rastenburg in Hamburg-Nienstedten, Elbschloßbrauerei

 

19. August 1956:

Gerdauen in Rendsburg (Haupttreffen), Bahnhofshotel

 

Gumbinnen in Hamburg-Nienstedten, Elbschloßbrauerei

 

Lötzen in Neumünster, Altonaer Straße, „Reichshalle"

 

Lyck in Hannover, Pallaschs Gaststätte, Ratewiese 18

 

26. August 1956:

Insterburg (Stadt und Land) in Hamburg, Nienstedten, Elbschloßbrauerei

 

Ortelsburg in Neumünster, Probstenstr. 1, „Reichshalle"

 

Wehlau in Syke

 

2. September 1956:

Allenstein (Stadt und Land) in Gelsenkirchen, Hans-Sachs-Haus

 

Angerburg in Siegburg, Kronprinzenstr. 5, Lindenhof

 

Bartenstein in Hamburg-Sülldof, „Sülldorfer Hof"

 

Ebenrode in Hamburg - Nienstedten, Elbschloßbrauerei

 

Heiligenbeil in Schwerte.Gaststätte „Freischütz"

 

Johannisburg in Dortmund

 

Lyck in Neumünster, „Reichshalle"

 

Osterode in Kiel, Gaststätte „Eichhof“

 

Sensburg in Remscheid

 

Tilsit (Stadt, Ragnit und Elchniederung) in Frankfurt/M.-Schwanheim, Saarbrückenstraße, Turnhalle.

 

Seite 14   Sondertreffen des ehem. Luftgau I in Göttingen am 9. September 1956.

Im Jahre 1953 wurde in Göttingen ein Ehrenmal für die Gefallenen ostpreußischer, hannoverscher und braunschweiger Truppenteile eingeweiht. Es sind u. a. Gedenktafeln für 11 ostpr. Divisionen, für die in Pillau stationierten Marineeinheiten und für die zum Bereich des Lufgau Kdo I gehörenden Einheiten in diesem Ehrenmal untergebracht, die von den Traditionsverbänden angeschafft und von der Landsmannschaft Ostpreußen in Göttingen gepflegt werden.

 

Seither veranstaltet die Landsmannschaft am „Tage der Heimat", dem 9. September 1956, auch in diesem Jahre eine Feierstunde an diesem Ehrenmal mit einem Feldgottesdienst und Kranzniederlegung und anschließendem kameradschaftlichen Beisammensein in den festgelegten Lokalen der Stadt Göttingen.

 

Ich rufe hiermit alle Angehörigen des ehem. Luftgau I mit allen zugehörigen Dienststellen und Einheiten zur Teilnahme auf und bitte um Zusendung der Teilnahmemeldungen sowie der Anmeldung zum gemeinsamen Mittagessen bis zum 15. August 1956, damit das Trefflokal und das Essen rechtzeitig festgelegt werden kann. Auskunft über die zeitliche Einteilung und unser Lokal erteilt ab 20. August auf Anfrage die Landsmannschaft Ostpreußen e. V. in Göttingen, Keppler Straße 26, bzw. bitte ich, die Hinweise in Göttingen selbst zu beachten. Die Heimatzeitungen werden hierüber ebenfalls Einzelheiten bekanntgeben.

 

Quartierwünsche sind beim Fremdenverkehrsverein e. V. Göttingen, Rathaus, anzumelden.

 

Es ist von verschiedenen Seiten an mich der Vorschlag herangetragen worden, die ehem. Angehörigen des Lg I auch in Form eines Traditionsverbandes zusammenzuschließen, wie das bei anderen, auch ostpr. Einheiten, der Fall ist. Ich bitte, mir Ihre Meinungen hierüber schriftlich mitzuteilen bzw. werde ich diesen Vorschlag am 9. September in Göttingen zur Debatte stellen. Falls sich die Kameraden an den Unkosten beteiligen wollen, werden auch wir vom Luftgau I am Ehrenmal einen Kranz mit Schleife und Aufdruck niederlegen. Auch hierüber bitte ich um Ihre Stellungnahme und Überweisung von Spenden auf mein Konto 52 570 bei der Städtischen Sparpasse in Celle, Wilhelm Gramsch.

 

Ich erwarte bald Ihre Anmeldungen und begrüße Sie alle kameradschaftlich! Wilhelm Gramsch, (20a)

Celle, Waldweg 83, Tel. 4734“.

 

3. Wiedersehenstreffen der 121. (ostpreußischen) Infanterie-Division

Am 1. und 2. September 1956 trifft sich diese bewährte ostpreußische Division zum dritten Male, diesmal in Hannover. Nachdem 1953 bei der Einweihung des Ehrenmales für die ostpreußischen Truppenteile in Göttingen der Traditionsverband gegründet wurde, war das zweite Divisionstreffen im Herbst 1954 in Bielefeld. Das diesjährige Treffen erhält seinen besonderen Charakter durch die Tatsache, dass die letzten Heimkehrer der Division aus Sowjetrussland im vorigen Jahr zurückgekommen sind. So wird es auch für viele frühere Divisionsangehörige eine besondere Freude sein, u. a. den letzten Kommandeur der Division, Generalleutnant Ranck, den Kommandeur Gr. Rgt. 407 Oberst von Tycowicz und Kommandeur A. R. 121 Oberstleutnant Walter Tarin, wiederzusehen.

 

Schon in Bielefeld konnte eine größere Anzahl von Vermisstenschicksalen aufgeklärt werden. Auch diesmal wird der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, soweit wie möglich durch Bildlisten, sich auf dem Divisionstreffen um die Aufklärung weiterer Vermisstenschicksale mühen.

 

Die Zahl der Kameraden, die sich in fester Verbundenheit zu ihrer Frontdivision bekennen, ist von Jahr zu Jahr gestiegen. Wenn auch die Schwierigkeiten bei einer Division, die keinen Standort im Bundesgebiet hat und überwiegend aus Ostpreußen bestand, wesentlich größer sind als bei anderen Verbänden, so hat doch das alte soldatische Erbe und die große Tradition der Ostpreußen bewirkt, dass der Traditionsverband zu einer festen und bewährten Gemeinschaft der alten Kameraden geworden ist.

 

Nähere Auskünfte erteilt der Traditionsverband in Engehausen über Schwarmstedt.

 

Seite 14   „Kamerad ich rufe Dich!"

Traditionsverband der ehemaligen 291. (ostpr.) Infanterie-Division (Kameradschaftswerk)

Wir bitten alle Kameraden, die von unserem Verband noch nicht erfasst sind, sich mit folgenden Angaben zu melden: 1. Genaue und deutliche Anschrift, 2. Geburtsdatum, 3. Beruf, 4. letzter Dienstgrad, 5. bei Einheit... von ... bis ..., 6. wann aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Etwa 5700 Vermisstenschicksale sind noch zu klären. Die Meldungen werden erbeten an Kamerad Franz Schnewitz, (20a) Westerweyhe b. Uelzen/Hannover.

 

Unser nächstes Divisionstreffen findet am 1. und 2. September 1956 in Osnabrück statt. Lokal: Gasthaus Gerritzen, Mellerstraße 10, Nähe Rosenplatz. Eröffnung des Treffens Sonnabend, 01.09., 19.00 Uhr. Am Sonntag, 02.09., vormittags Kranzniederlegung am Ehrenmal.

 

Sofortige Anmeldung an den Vorsitzenden mit Postkarte erbeten. Dabei bitte angeben: 1. Teilnehmerzahl, 2. ob Hotelübernachtung (einfache, mittlere oder beste) oder Privatunterkunft gewünscht wird. Kraftfahrzeuge haben am Tagungslokal gute Parkmöglichkeit.

 

Auf Wiedersehen, Kameraden! gez. Kurt Illas, Oberst a. D. und 1. Vorsitzender Oldenburg (Oldbg.), Friedensplatz 4.

 

Treffen ostdeutscher Leichtathleten.

Die Traditionsgemeinschaft der Leichtathleten aus den deutschen Ostgebieten veranstaltet ihr diesjähriges Treffen im Rahmen der Deutschen Leichtathletikmeisterschaften am 17. August in Berlin. Wie der Ausschreibung der Wettkämpfe, die von der Geschäftsstelle der Traditionsgemeinschaft in Friedberg/Hessen, Mainzertoranlage 9, bezogen werden kann, zu entnehmen ist, finden die Leichtathletikwettkämpfe und ein Fußballspiel auf dem Dominikussportplatz, Berlin - Schöneberg, Sachsendamm 2, um 14,30 Uhr statt. Ein Kameradschaftsabend, an dem die Prominenz der ostdeutschen Sportverbände und der Vorstand des Deutschen Leichtathletikverbandes teilnehmen, ist am gleichen Tag im „Haus der Festlichkeit", Schöneberg, Hauptstraße 122/124, vorgesehen. Billige Omnibussonderreisen aus dem Bundesgebiet nach Berlin werden einem großen Kreis von Interessenten die Teilnahme an dieser Veranstaltung und gleichzeitig an den Deutschen Leichtathletikmeisterschaften ermöglichen.

 

Seite 14   Es starben fern der Heimat

Max Lasarzik,Viehkaufmann aus Treuburg, 75-jährig in Verden/Aller.

 

Adolf Lepke, Landwirt aus Waldmark/Westpreußen, 70-jährig in Ahnbeck, Gemeinde Schönemoor.

 

Lina Olstowski, geb. Friedel aus Marienwerder/ Westpreußen, 84-jährig am 14. Juni 1956 in Berchtesgaden/Obb.

 

Seite 14   Leser-Suchdienst

Wer kennt meine Tante, Frau Maria Schulz, geb. Gelfart, bis 26.08.1944 wohnhaft Königsberg/ Pr., Hinterlomse 19, nach Ausbombung in Sachsen. Nachricht erbeten an: Hans Wittke, Oppelsbohm, Kreis Waiblingen.

 

Gesucht werden aus Elbing Albert Kachler und Frau Ida Kachler, geb. Koschinschky (geb. 23.06.1883). wohnh. Tannenberg Allee 57. Letzte Nachricht aus Schlangenhaken, Kreis Gr. Werder, vom 14.02.1945. Gesucht von der Tochter Käthe Struwe, geb. Kachler, Delmenhorst, Kolberger Str. 1

 

Aus Gartenstadt Scegenfeld bei Königsberg, Sieder Albert Sult und Frau Thea Sult. geb. Groß. Gesucht von Adolf Groß, Delmenhorst, Breslauerstr. 22.

 

Gesucht wird Frau Auguste Terzenbach, geb. Kredell, geboren 12. März 1895 in Tolkheim, Kreis Pr. Eylau Ostpreußen, zuletzt wohnhaft in Pr. Eylau, Königsbergerstraße. Die Genannte soll zusammen mit Frau Anna Schallies im Lager Pr. Eylau gewesen und im Winter 1945/1946 dortselbst an Hungertyphus verstorben sein. Wer war mit ihr zusammen und kann über ihr Schicksal Auskunft geben? Nachricht erbeten an den Ehemann Gustav Terzenbach, Traunstein/Obb., Karl-Theodor-Platz 7.

 

Seite 15   Für Freiheit, Selbstbestimmung und Heimatrecht. 20 000 Westpreußen in Hannover – Dr. Kohnert neuer Sprecher der Westpreußen – Festliche Stunden des Wiedersehens.

Foto: Dr. Hans Kohnert, der neue Sprecher der Westpreußen.

Foto: Frohes Wiedersehen beim Westpreußen-Treffen in Hannover Foto: Hauschild (2)

Viele Gruß- und Begrüßungsworte empfingen die annähernd 30 000 Westpreußen in Hannover, die zu ihrem Bundestreffen am 7./8. Juli 1956 gekommen waren. Es gab wohl kaum in den letzten Jahren eine Begegnung von Landsleuten aus dem deutschen Osten, die so viele strahlende und lachende Gesichter sah, ein so lebendiges Ausschauhalten nach Freunden und Bekannten und so zahlreiche glückliche Gesichter. Von weit und breit waren sie hergereist, aus allen Gebieten der Bundesrepublik, aus dem Saarland und von jenseits der Zonengrenze. In Zügen, Wagen und fast 300 Autobussen kamen sie, nicht nur, um sich wiederzusehen, sondern auch, um erneut ein machtvolles Bekenntnis zur Heimat abzulegen.

 

Den Höhepunkt bildete am Sonntag die Kundgebung auf dem Messegelände mit einer  Festansprache des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser. „Es gibt kein fertiges Rezept für die Lösung der deutschen Frage, aber eines wissen wir: „Wir brauchen zunächst eine gesamtdeutsche Regierung", sagte er und forderte weiter: „Man sollte uns aber nicht zumuten, den Weg zu einer gesamtdeutschen Regierung mit Verzichten auf deutsche Gebiete zu erkaufen“.  Erst eine gesamtdeutsche Regierung könne in Verhandlungen über die Rückgabe der Ostgebiete treten. Minister Kaiser sprach von dem Anteil der Vertriebenen an der Nachkriegsarbeit zur Bereicherung von Wirtschaft und Kultur. Von den West- und Ostpreußen, so sagte er, gehe ein gesundes Staatsgefühl aus; sie tragen Disziplin in sich, wie sie Preußen immer ausgezeichnet hat und davon könnten wir ein gutes Stück hier im Westen Deutschlands gebrauchen. Er hoffe, dass sich dieses Staatsgefühl und die Disziplin im gesamten deutschen Volke vertiefen mögen, denn noch stehe die Aufgabe vor uns, einen neuen freien Staat aufzubauen. Bundesminister Kaiser warnte davor, dass Sattheit und Selbstzufriedenheit die Oberhand gewännen und kritisierte, dass in den Schulen nicht genügend Aufklärung über den deutschen Osten gegeben würde. Die Vertriebenen, betonte Kaiser, haben sich zu einer friedlicheren Lösung der deutschen Fragen bekannt, die Millionen von Heimatvertriebenen seien nicht zum revolutionären Sprengstoff geworden, sondern unter der besonderen Führung der Landsmannschaften zu einem wertvollen und werteschaffenden Element im deutschen Volke.

 

Der niedersächsische Vertriebenenminister Schellhaus wies als Sprecher der Landsmannschaft Schlesien darauf hin, dass das Recht auf Heimat keine theoretische Konstruktion sei, sondern ein millionenfaches persönliches Anliegen und sprach von der Verpflichtung der Landsmannschaften gegenüber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Die Heimat ist der Urquell der Kraft des Volkstums". Eine Mahnung, untereinander mehr Kameradschaft zu üben, sprach der Präsident des Verbandes der Landsmannschaften, Baron von Manteuffel-Szoege, aus. Man könne nicht nur an andere Forderungen stellen.

 

Die Teilnehmer stimmten einer Entschließung zu, die von Delegierten verfasst worden war und in der „Freiheit, Selbstbestimmung und Heimatrecht für uns und alle Völker Europas" gefordert werden. Verlesen wurde der Text von dem neuen Sprecher der Landsmannschaft, Dr. Hans Kohnert, der auch noch Gelegenheit nahm, die Arbeit seines Vorgängers, Erik von Witzleben, zu würdigen. Von Witzleben hat sich schon früher im Volkstumskampf hervorgetan und ist besonders jetzt nach dem zweiten Weltkriege immer wieder unermüdlich für die Belange seiner Landsleute und der ostdeutschen Heimat eingetreten. In Anbetracht seines hohen Alters — er ist 70 Jahre alt — hat er auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Am Vorabend des großen Treffens mahnte er in der Niedersachsenhalle die 4000 zum Begrüßungsabend erschienenen Westpreußen, unentwegt dem großen Tag der Wiedervereinigung entgegenzusehen und entgegenzuarbeiten.

 

Der Begrüßungsabend am Sonnabend sah einen so überfüllten Raum, dass es leider nicht allen möglich war, die Lieder und Volkstänze zu verfolgen, die von der Landesspielschar der DJO dargeboten wurden. Oberbürgermeister Weber überbrachte die Grüße der Stadt und sprach den dringenden Wunsch aus, dass dieses Bundestreffen der Westpreußen ein Markstein sein möge für die Regelung der Wiedervereinigung. Er sagte, dass die Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland die Voraussetzung für die Lösung der Grenzfragen im Osten sei. „Es darf kein wichtigeres außenpolitisches Ziel geben. Wir brauchen den Frieden in der Welt, damit die Menschen zum Frieden und sich selbst zurückfinden“.

 

Eine Veranstaltung, die wie dieses große Westpreußentreffen weit mehr Besucher brachte, als Hannover angenommen hatte, bringt allerlei Schwierigkeiten mit sich. Aber selbst diejenigen, die nun gar keine Unterkunft mehr bekommen konnten, ließen es sich nicht verdrießen und nahmen mit dem Wartesaal des Bahnhofs vorlieb. So mancher Machandel bekräftigte die Wiedersehensfreude, wenn man alte Bekannte entdeckt hatte. Und das geschah recht oft.

 

Seite 15   In Westpreußen, dem Lande beiderseits der unteren Weichsel, haben wir in vielen Jahrhunderten „unveräußerliche Rechte" erworben und werden darauf niemals verzichten. Wir sind entschlossen, unsere ganze Kraft einzusetzen, damit Frieden und Glück in unsere alte Heimat einziehen können.

Aus der beim Westpreußen-Trelfen 1956 gefasste Entschließung.

 

Seite 15   Gedenkfeier 725 Jahre Thorn am 18./19. August 1956 in Berlin.

Die Kreisvereinigung Thorn-Kulm und die Landsmannschaft Westpreußen in Berlin veranstalten am 18./19. August eine Gedenkfeier anlässlich der Gründung der Stadt Thorn vor 725 Jahren.

 

Auftakt bildet der Begrüßungsabend am Sonnabend, 19.30 Uhr im „Haus der Wirtschaft", Berlin-Steglitz, Lepsiusstraße 103. Die Gedenkstunde findet am Sonntag, 11 Uhr im Auditorium maximum der Freien Universität Berlin-Dahlem, Henry-Ford-Bau, Garystraße 39, statt, bei der Dr. Hanns von Krannhals von der Ostdeutschen Akademie Lüneburg den Festvortrag halten wird. Ein Thorner Volksfest, das im „Haus der Wirtschaft" stattfindet und an dem eine Kapelle ehemaliger Militärmusiker und der Gemischte Chor Danzig-Westpreußen mitwirken, beschließt die Festfolge.

 

Seite 15   Ostdeutsches Chorfest in Hagen (Westfalen)

Anlässlich des 5-jährigen Bestehens des Ostdeutschen Heimatchores Hagen unter Leitung von Dipl. Musiklehrer Hermann Pockardt fand am 01.07.1956 im großen Hohenzollernsaal in Hagen ein Chorfest des „Verbandes der Ostdeutschen Chöre im VdL Nordrhein-Westfalen" statt, an dem 8 Chorgemeinschaften vom Bezirksverband Reg.-Bez. Arnsberg aus Belecke/ Möhne, Brambauer, Herdecke/Ruhr, Dortmund-Huckarde, Castrop-Rauxel, Neheim-Hüsten, Herne und Hagen teilnahmen. Die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung hatte Regierungspräsident Schlensker übernommen. In seinem Geleitwort sagte der Schirmherr u. a. „. . . Ich verbinde mit meinen Grüßen nicht nur den Wunsch nach einem harmonischen Verlauf der Veranstaltung an diesem Tage, sondern möchte auch meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass sich auch auf der kulturellen Basis eines Freundschaftssingens Menschen gemeinsamen, schweren Schicksals zusammenfinden, um ihre innere Verbundenheit mit der alten Heimat zu bestätigen und zu festigen! - Möge die Gemeinschaft ostdeutscher Sänger und Sangesfreunde nie in dem Bemühen nachlassen, in ihren Liedern übernommenes Kulturgut zu erhalten, den Idealen der Freiheit, Freundschaft und des Friedens nachzustreben und in ihrer segensreichen Arbeit jene Anerkennung und Zufriedenheit gewinnen, die immer wieder Ansporn zu neuen Leistungen bedeutet!" Der Leiter des Verbandes der Ostdeutschen Chöre im Reg.-Bez. Arnsberg Otto Weber, Herne, überbrachte der Festgemeinde die Grüße von Dr. Alois Schnabel, Viersen, der die Geschicke des Gesamtverbandes lenkt. Es sei der Sinn derartiger Veranstaltungen so führte er u. a. aus, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, durch den Vortrag der verschiedenen Chöre die Auswahl geeigneter Chormusik zu erleichtern, Anregungen für die Chorpraxis und die Programmgestaltung zu geben und die Leistungen der Chöre zu fördern. Die im Verband  zusammengeschlossenen ostdeutschen Chöre haben den Dienst an der Heimat, das Walten der Gemeinschaft, die Pflege des lebendigen Heimatsinnes als Sonderaufgabe.

 

Die Glückwünsche für den Jubiläumschor und die Grüße für die Gastchöre sprach als Vertreter der Stadt Hagen Verkehrsdirektor Dr. Bartels aus. Er sei von der starken Verbundenheit beeindruckt, die das gemeinsame Kulturschaffen im Dienste der Heimat bewirke, erklärte er. Besondere Anerkennung zollte er dem Jubiläumschor, der innerhalb der kurzen Zeit seines Bestehens sich im Kultur schaffen der Stadt Rang und Namen erworben hat. Er überreichte als Aufmerksamkeit der Stadt ein Chorwerk.

 

Der Festredner des Tages, Professor Dr. Wilhelm Menzel (Dortmund), verstand es vorzüglich, in das große Gebiet des ostdeutschen Liedgutes einzuführen und die Wichtigkeit einer lebendigen ostdeutschen Musikpflege deutlich zu machen. In seiner mit großer Sachkenntnis und Passion gehaltenen Ansprache nannte er diese musikalische Veranstaltung eine Kulturtat mit einer künstlerischen, erzieherischen, kulturpolitischen und religiösen Aufgabe in der dreifachen Bezogenheit zu Heimat, Vaterland und Gott. Entscheidend sei hierbei weniger die künstlerische Vollendung der Darbietung als der Geist, aus dem und mit dem gesungen werde. Die aus großem Erleben schöpfenden Ausführungen Prof. Menzels gipfelten in einem Wort Felix Dahns, das einst die Stirnwand des Rathauses in Eger schmückte: „Dem Volk, dem Recht und unserer Sprache treu fand uns der Tag, soll jeder Tag uns finden".

 

Jeder beteiligte Chor sang bei zwei Auftritten insgesamt vier Chorsätze, meist ostdeutscher Komponisten oder Textdichter, und es versteht sich, dass alle ihr Bestes gaben. Der Gastgeberchor Hagen fand besonderen Beifall mit Franz Curtis „Hoch empor am Himmelsbogen". Einen Höhepunkt im Rahmen des Gesamtprogramms bot der Herner Ostvertriebenenchor mit A. Knabs „Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben" in ausgefeilter Darbietung. Auch das ostpreußische Liedgut kam in diesem Wettstreit hervorragend zur Geltung mit H. Brust's „Land der dunklen Wälder", den Volksliedern „Ännchen von Tharau" und „Zogen einst fünf wilde Schwäne" und der schönen Melodie „Ostpreußen schönes Land" von Warkentin. Zum Abschluss sangen die Chöre Hagen, Herne, Neheim-Hüsten und Belecke gemeinsam „Mein Heimatland", Text und Chorsatz schuf H. Pockardt, der Dirigent des Hagener Chors. Die Besucher — es waren nahezu 1500 Zuhörer neben den etwa insgesamt 400 Sängern — erzwangen durch überreichen Beifall eine Wiederholung.

 

Unter Wortführung von Professor Menzel fand im weiteren Verlauf des Nachmittages und Abends eine freie Diskussion im Kreise der Vorsitzenden statt. In diesem Rundgespräch „aus der Praxis für die Praxis" ergaben sich wertvolle technische und musikalische Hinweise. Atemtechnik, Dynamik, Aussprache und Tonhaltung und die Dirigiertechnik der einzelnen Chorleiter, sowie die Gesichtspunkte einer richtigen Programmauswahl waren Mittelpunkte der interessanten Gespräche.

 

Die Darbietungen der Chöre wurden auf Tonband aufgenommen. Sie sollen bei Chorleiterschulungen — der Verband für den Reg.-Bez. Arnsberg wird voraussichtlich im Oktober in Herne einen solchen Lehrgang durchführen — die Referate als Beispiele aus der Praxis unterstützen. M. J.

 

Seite 15   Niedersachsen.

Lingen. Von einer beachtlichen und auch beachteten Aktivität der Ostpreußen in den USA berichtete auf der Mitgliederversammlung der Landsmannschaft Ostpreußen Studienrat Großmann. In Amerika habe sich eine Gesellschaft der Freunde der Ostpreußen gebildet, in der auch der Sohn des früheren Präsidenten Roosevelt als Mitglied wirkt. In Washington ist die Landsmannschaft Ostpreußen außerdem durch eine Gesandtschaft unter der Leitung von Dr. Sallet vertreten, der in guter Beziehung zur amerikanischen Regierung steht, die seine Arbeit voll anerkennt. Bei völkerpolitischen Besprechungen, sagte Großmann, die sich mit Ostpreußen befassen, werde Dr. Sallet stets hinzugezogen. — Im Verlaufe der Zusammenkunft wurden verdiente Ostpreußen erwähnt, so der stellvertretende Sprecher Wilhelm Strüvy, der das Große Verdienstkreuz des Bundesverdienstordens erhielt, Oberregierungs- und Schulrat a. D. Meyer, dem das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen wurde, und Konrektor Beyrau aus der Ortsgruppe Lingen, der sich besonders um die Erhaltung des Heimatgedankens in der Schuljugend bemühte. — Alle Landsleute sind zum Sommerfest am 18. August 1956 im Saalbau der Wilhelmshöhe eingeladen.

 

Göttingen. Ein Ehepaar, das erst kürzlich aus Ostpreußen kam, nahm an der letzten Mitgliederversammlung der Landsmannschaft Ostpreußen teil und wurde vom Vorsitzenden, Landwirtschaftsrat Woelke, besonders begrüßt. Die Göttinger Volkshochschule und das Göttinger Bildwerk ermöglichten die Vorführung des Tonfilmes „Jenseits der Weichsel", der bei allen Anwesenden einen besonders tiefen Eindruck hinterließ. Es waren so viele gekommen, dass der große Saal des Deutschen Gartens nicht alle fassen konnte.

 

Uetze. Die Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen veranstaltete einen Heimatabend, an dem auch Einheimische zu Gast waren. Auf dem Programm standen zahlreiche Darbietungen des früheren Intendanten des Reichssenders Königsberg, Dr. Lau. Im Dialekt und in Plattdeutsch trug er Gedichte, Anekdoten und Prosastücke vor, die größte Heiterkeit auslösten, nicht nur durch den Inhalt, sondern vor allem auch die Art des Vortrags. Dr. Lau betonte, dass er sich darum bemühe, alte plattdeutsche Wörter, die Gefahr laufen, vergessen zu werden, immer wieder zu sammeln und auch in seinen Gedichten anzuwenden.

 

Seesen a. H. Der heimatpolitische Abend der landsmannschaftlichen Gruppe der Ost- und Westpreußen am 7. Juli war trotz der Ferien und der gleichzeitigen Bundestagung der Landsmannschaft Westpreußen in Hannover gut besucht. Mit seinem Vortrag „Das Ringen um Entspannung und Wiedervereinigung" fand Landsmann Augustin reichen Beifall, in gleicher Weise wurde auch die von den Landsmänern Fahlke und Bremer I zusammengestellte „Chronik der alten Heimat" aufgenommen. Gesangsdarbietungen und humoristische Vorträge verschönten das anschließende gesellige Beisammensein.

 

Der lustige Marion-Lindt-Abend am 04.08.1956 wird unter dem Motto „Unsere Kinderchens" stehen.

 

Seite 15   Lachen des Ostpreußen mit Dr. Alfred Lau.

Unter diesem Leitsatz stehen die fröhlichen Abende, die der bekannte ostpreußische Mundartdichter und Humorist Dr. Alfred Lau, Bad Grund (Harz), Hübichweg 16, Ihnen bereitet. Er stellt sich auch in diesem Herbst und Winter wieder den landsmannschaftlichen Gruppen für ihre Veranstaltungen zur Verfügung, bittet aber, möglichst einen Sonnabend oder Sonntag zu wählen. Bitte, wenden Sie sich wegen der weiteren Einzelheiten direkt an ihn und fordern Sie ihn rechtzeitig an, denn er ist, besonders im Winterhalbjahr, sehr besetzt. Dr. Lau sichert Ihnen volle Säle und sehr vergnügte Stunden. Seine Bedingungen sind auch für kleinere Gruppen durchaus tragbar. Klären Sie bitte die Termin- und Saalfrage und schreiben Sie dann sofort an ihn.

 

Seite 15   Bundestreffen der Danziger am 4./5. August 1956 in Lübeck.

Das diesjährige Bundestreffen der Danziger findet am 4. und 5. August in Lübeck statt. Es sieht folgende Programmpunkte vor:

 

Sonnabend, den 4. August, 18.30 Uhr:

Festakt im Stadttheater Lübeck. Es sprechen: Bürgermeister Dr. Böttcher, Lübeck, und der erste Vorsitzende des Bundes der Danziger, Oberstudienrat Dr. Könnemann.

 

Jugendveranstaltung:

20 Uhr: Die Danziger und Lübecker Jugend versammelt sich auf dem Marktplatz (Rathaus). Dazwischen Promenadenkonzert. Gemeinsamer Marsch zur Freilichtbühne. 21 Uhr: Feierstunde auf der Freilichtbühne am Buniamshof in Lübeck. Dort werden Fackeln entzündet und Festreden gehalten.

 

Die Veranstaltung wird durch Glockengeläut der Danziger Glocken von der Marienkirche eingeläutet,

 

Sonntag, den 5. August 1956, 7.30 Uhr:

Festgottesdienste beider Konfessionen in der Marienkirche und der Herz-Jesu-Kirche. 9 Uhr: Turnerische Vorführungen von Angehörigen des Turnkreises Lübeck im DTB auf dem Sportplatz Buniamshof. 10 Uhr: Großkundgebung unter Mitwirkung des Musikkorps der Schutzpolizei Lübeck und des Bundesgrenzschutz Hannover.

 

Im Anschluss an die Großkundgebung finden Sondertreffen statt. Die Einzelheiten sind aus den Programmheften ersichtlich, die für 1,25 DM einschl. Eintrittskarten bei den Ortsstellen des Bundes der Danziger zu haben sind.

 

Am Sonnabend, dem 4., und Montag, dem 6. August, finden Dampferfahrten mit der „Dania" statt. Preis 4 DM pro Fahrt. Abfahrt um 13 Uhr vom Ostpreußenkai.

 

Seite 16   Todesanzeigen

Nach kurzer, schwerer Krankheit verschied heute ganz unerwartet mein überaus geliebter Mann und getreuer Lebenskamerad, mein lieber Schwiegersohn und unser Schwager, Dr. rer. nat. Ernft-Otto Glogau, im fast vollendeten 47. Lebensjahr. Sein Herz schlug in unwandelbarer Treue für die Seinen, seine ostpreußische Heimat und alle ihm in Freundschaft Verbundenen. Stuttgart 13, den 25. Juni 1956, Klingenstraße 21. Im Namen aller Angehörigen: Edith Glogau, geborene Schütz. Die Beisetzung fand am Donnerstag, 28. Juni 1956, 13.30 Uhr, auf dem Hauptfriedhof im Steinhaldenfeld statt.

 

Im Alter von 77 Jahren verstarb am 05.07.1956 Turnschwester Margarete Rawitz, vom Männer-Turn-Verein Lyck. Ihrem Gatten, dem langjährigen Vereinsschriftführer Walter Rawitz, der zu den Vermissten des Krieges gehört und auf dessen Heimkehr sie immer noch hoffte, war sie als echte Turnerfrau jahrzehntelang treue Weggenossin und Helferin, die die Liebe zum deutschen Turnen, zum Turnertum und zu den Turneridealen frühzeitig auch in ihren Kindern zu wecken und zu pflegen verstand. In aufrichtiger Mittrauer mit den Hinterbliebenen und in tiefem Schmerz um die neue Lücke in den Reihen unserer getreuen alten Vorkämpfer geloben wir, in ihrem Geiste in der Jugend weiterzuarbeiten und ihr Andenken hoch und in Ehren zu halten. Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen Fritz Babbel. Wilhelm Alm

 

Seite 16   Zehn Jahre Ostkirchenausschuss. Seine größte Aufgabe: In rechter Weise neue Wege in die Heimat bereiten.

Am 31. Juli 1946 saßen im Notheim des ausgebombten Frankfurter Diakonissenhauses in Niederrad eine Reihe von Männern zusammen, auf deren Zügen noch Not und Entbehrung, Spuren und Schrecken und tiefe Erschütterung zu lesen waren und die sich doch bereits aufgemacht hatten, die ihnen auferlegte Verantwortung in der Fremde wieder wahrzunehmen. Es waren Führer der verdrängten deutschen Kirchen aus dem Osten — vom Finnischen Meerbusen bis ans Schwarze Meer —, die hier über den weiteren Weg ihrer Kirchen berieten. Es war für Viele der erste Überblick vor allem auch darüber, wer nicht mehr da war.

 

Gestorben war:

Generalsuperintendent Blau in Posen und

 

der letzte Bischof der Balten, Harald Poelchan.

 

Ein dunkler Schleier lag über dem Schicksal des lutherischen Bischofs in Jugoslawien, Philipp Popp.

 

Halb erblindet grüßte aus Stade der Bodelschwingh des Ostens, Theodor Zöckler.

 

Der sudetendeutsche Kirchenpräsident Wehrenpfennig saß im Gefängnis.

 

Aber da war mit dem ihm eigentümlichen durchgeistigten Wort Herbert Girgensohn, der theologische Lehrer aus Riga, und Gerhard Gülzow, der energiegeladene Bewahrer des verwaisten Bischofskreuzes von Danzig. Neben ihnen der mittlerweile heimgerufene Vertreter des pommerschen Bruderrats Dr. Gehlhoff und etwa fünfzehn andere Kirchenführer. Und da waren die Vertreter der Kirchenkanzlei und des Hilfswerks, die sich auf Drängen von Nord und Süd bereiterklärt hatten, diese Tagung einzuberufen.

 

Sie waren gekommen, aus dem Hunger ihrer Gemeinden, in überfüllten Zügen, aber zusammengerufen durch den brennenden Wunsch, in der Not ihrer Gemeinden zu helfen. Sie forderten trotz aller Koalitionsverbote die Anerkennung ihrer Legitimation zu solcher Hilfe. Wer wollte Kirchen für ausgelöscht erklären? Sie erklärten, dass diese Kirchen, wenn auch verdrängt, noch bestehen, und forderten ihre Anerkennung vom Rat der Evangelischen Kirche. Sie beschlossen, für jede ihrer Gruppen ein Hilfskomitee zu bilden und wählten zur gemeinsamen Vertretung ihrer Belange den Ostkirchenausschuss unter dem Vorsitz von Girgensohn und Gülzow. Ostkirchenausschuss und Hilfskomitee erhielten die kirchliche Anerkennung und haben mit dieser — zumindest im Westen, anfangs auch in der Sowjetzone – ungehindert arbeiten können. Aus der Rechtsfrage, ob eine vertriebene Kirche noch besteht, ist eine Doktorfrage geworden, ein heißes Eisen, an das man ungern rührt.

 

In den Hilfskomitees fanden die Vertriebenen ihre erste Sammlung. Sie trafen sich nach den Heimatgottesdiensten,  die ihre Reiseprediger hielten, zu großen Fragestunden. Die Fragen „Warum ließ Gott das zu?" und „Wann kommen wir wieder heim?" standen hier neben Suchdienst, Zuzugsproblemen, Hilferufen aus schreiender Not. In den Geschäftsstellen gaben sich die Menschen die Klinke in die Hand Auf den Schreibtischen häuften sich Briefe, von ungelenker Hand geschrieben. Die ersten Heimatkarteien wuchsen aus mühsam erbettelten Karten. Und die Geschäftsführer liefen von Behörde zu Behörde, erst ungern gesehen und misstrauisch betrachtet, allmählich bekannt geworden, schließlich als zuverlässige Mitarbeiter geschätzt. Sie schleusten die Volksdeutschen SS-Männer durch die Spruchkammern, beschafften den krank aus dem Ural gekommen Frauen und Mädchen Zuzugsgenehmigungen, vermittelten Arbeit und Wohnung, machten Übersetzungen, stellten Ersatzurkunden aus, halfen Angehörige finden, vermittelten eine gute Auswanderung. Dann begannen sie beratend bei der Ansiedlung zu helfen, machten den Verzagten Mut zum Bauen, beschafften Bauland und Kredite.

 

Aus den Hilfskomitees wuchsen eine Reihe der Landsmannschaften heraus. Langsam konnten sie den nun gebildeten Verbänden manche Aufgaben überlassen, aber immer noch kommen zahlreiche Menschen in Not zu ihnen. Heute sind diese Organisationen die Kirche der Landsmannschaften.

 

Der Ostkirchenausschuss fasst diese ganze Arbeit zusammen. Er sorgte dafür, dass die Kirche nicht aufhörte, diese Arbeit mitzutragen. Er half, dass die Fragen der Vertriebenen an die Kirche und die Fragen der Kirche an die Vertriebenen gehört werden. Er entwickelte, erst mit ökumenischer, dann auch mit staatlicher Hilfe ein Programm zur geistigen Durchdringung der Vertriebenen mit Hunderten von großen und kleinen Tagungen, einer Reihe von Blättern und Büchern, allen voraus „Der Remter", die Blätter ostdeutscher Besinnung. Er schaffte sich im „Konvent der zerstreuten evangelischen Ostkirchen" seine eigene Synode.

 

Wer hätte damals vor zehn Jahren, als dieser erste Zusammenschluss deutscher Heimatvertriebener sich unter dem Dach der Kirche fand, geahnt, was für Aufgaben ihm erwachsen werden? Die zehn Jahre bergen eine reiche Geschichte, in der die Vertriebenen die ersten zaghaften Versuche machten, ihr Gesicht wiederzufinden. Und wie damals der Glanz von Gottes Angesicht Staub und Tränen auf ihren blassen Wangen durchleuchtete, so blieb er bis heute der tiefste Quell ihres unantastbaren Menschseins, der tiefste, festeste Halt zwischen den Versuchungen der schnell zufriedenen satten Gleichgültigkeit, ebenso wie der schreienden anspruchsvollen Verantwortungslosigkeit der Masse. Nur wer darin wurzelt, kann in rechter Weise neue Wege in die Heimat bereiten. Darin liegt bis heute die große Aufgabe der Ostkirchen.

 

Seite 16   „Vertrau Gott allein". Gebetbuch Herzog Albrechts von Preußen.

Im Holzner-Verlag, Würzburg, erschien soeben unter dem Titel „Vertrau Gott allein" eine Sammlung der Gebete Herzog Albrechts von Preußen, welche der Göttinger Theologieprofessor D. Dr. Erich Roth als Veröffentlichung des Göttinger Arbeitskreises bearbeitet und herausgegeben hat. Der Band enthält eine erstmalige Sammlung der Gebete, die der Herzog in der Reformationszeit für sich selbst oder die Herzogin Dorothea geschrieben hat. Ihre Edition erfolgte auf Grund der zahlreichen Handschriften, Konzeptbände und Gebetbüchlein Albrechts, die sich unter den geretteten Bestände des Königsberger Staatsarchivs (jetzt in Göttingen) sowie in der Wolfenbütteler Bibliothek befinden. Ferner ist die in Brevierformat gedruckte Ausgabe mit farbgetreuen Wiedergaben zweier Miniaturen aus dem Gebetbuch der Herzogin Dorothea sowie durch ein Porträt des Herzogs von Lucas Cranach d. Ä. und ein Faksimili eines eigenhändigen Gebetsentwurfs Albrechts geschmückt. Der Band umfasst 204 Seiten und kostet DM 6,80.

 

Seite 16   Verdienstkreuz für leitende Männer der kirchlichen Vertriebenenarbeit.

In einem festlichen Akt überreichte Frau Regierungspräsidentin Bähnisch dem Hauptgeschäftsführer des Ostkirchenausschusses, Pastor Spiegel-Schmidt, und dem Landesflüchtlingspastor Baumann, der zugleich die Bessarabien-deutschen betreut, das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Auszeichnung ist den beiden leitenden Männern in der kirchlichen Arbeit an den Vertriebenen und Flüchtlingen vom Bundespräsidenten in Anerkennung ihres unermüdlichen Einsatzes für die Betreuung und die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge verliehen worden. In einer Ansprache wies Frau Regierungspräsidentin Bähnisch auf die hohe Bedeutung gerade der kirchlichen Arbeit auf diesem leidvollen Gebiet unserer Nachkriegsgeschichte hin. Ungezählte Vertriebene hätten nach dem Kriege in der Kirche und durch die Kirche einen neuen Halt für ihr Leben gewonnen.

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