Ostpreußen-Warte, Folge 06 vom Juni 1956

Ostpreußen-Warte

Folge 06 vom Juni 1956

 

Seite 1   Foto: Standbild des Großen Kurfürsten am Leuchtturm von Pillau. Foto: Löhrich

 

Seite 1   „An Polonisierung der Deutschen nicht gelegen“

Die Polen, die sich im Entstalinisierungs- und „Demokratisierungs"-Prozess bisher im Vergleich zu den anderen Satellitenstaaten am weitesten vorgewagt haben folgten dem sowjetischen Vorbild auch in der Nationalitätenfrage. Das in Allenstein erscheinende Organ des Wojewodschaftskomitees der Vereinigten Polnischen „Glos Olsztynski“, gab am 4. April 1956 zu, dass die nationalistischen Entgleisungen gegenüber der deutschen Bevölkerung unerwünschte und schmerzhafte Folgen zeitigten.

 

Die Zeitung führte im Einzelnen aus: „Gegenüber der autochthonen Bevölkerung von Ermland und Masuren (Südostpreußen) wurde und wird eine ganze Reihe von unverzeihlichen Fehlern … begangen. Ein Kardinalfehler war die Nichtberücksichtigung der nationalen Differenzierungen dieser Bevölkerung. Entgegen der Wirklichkeit hielt man die gesamte autochthone Bevölkerung des Allensteiner Landes für Masuren und Ermländer, für geborene Polen. Auf Grund dieser falschen Annahme hielt man es für notwendig, die gesamte Bevölkerung Ermlands und Südostpreußens zu repolonisieren. Man hat nicht berücksichtigt, dass ein gewisser Teil der autochthonen Bevölkerung Deutsche sind, denen gegenüber die Repolonisierung (oder in diesem Falle vielmehr Polonisierung) Unsinn und Unrecht ist“. An einer anderen Stelle schreibt das gleiche Blatt weiter: „Anstatt zwanglos zu überzeugen und die Bedingungen für die Erkenntnis der geschichtlichen Wahrheit zu schaffen, bedrückte und schikanierte man die Bevölkerung. In einigen Fällen zwang man die Leute dazu, ihre Zugehörigkeit zum polnischen Volk zu deklarieren. Diese Fälle, die selbstverständlich in krassem Widerspruch zu der Ideologie der Partei und zu unserer Verfassung stehen, sind als nationalistische Entgleisungen entschieden zu verurteilen und anzuprangern. Die Folgen dieser Fehler und Entgleisungen stellten eine schmerzliche Verleugnung unserer Absichten dar. Wir wollten die Einheit des polnischen Volkes festigen, fügten aber dem Volk Wunden zu, die nur schwer heilen. Aus allen diesen Vorkommnissen sollten wir die Konsequenzen ziehen . . . und diese auch gleich in der Praxis anwenden. Man muss jeglichen administrativen Druck ablehnen und nationalistischen

Zwang verurteilen. Nur in der Atmosphäre der freien Überzeugung und einer absoluten nationalen Toleranz kann man die Masuren und Ermländer mit dem polnischen Volk vereinigen. Man darf jedoch nicht zulassen, dass die Repolonisierung die Form einer nationalistischen Zwangsherrschaft annimmt“.

 

Das Blatt schließt den mit T. Z. Willa gezeichneten Artikel, den wir hier auszugsweise wiedergegeben haben, mit folgender Feststellung: „Die Entgleisungen festigten bei den in unserer Wojewodschaft lebenden Deutschen die Überzeugung, dass man ihnen gegenüber eine Entnationalisierungspolitik betreibe, und man nahm ihnen den Glauben an die Ehrlichkeit der internationalen Losungen unserer Partei. Es ist verständlich, dass alles dies bei der Bevölkerung einen begreiflichen Widerstand hervor rief. Dieser drückte sich im Fernbleiben vom sozialistischen Leben aus, manchmal nahm er

aber auch drastischere Formen an, z. B. die Nichterfüllung der Militärdienstpflicht. Es geht also darum, sich endlich dessen bewusst zu werden, dass unserer Partei an einer Polonisierung der im Ermland und Südostpreußen lebenden Deutschen nicht gelegen sein kann. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Menschen das Recht haben, sich zu ihrer Nationalität frei und offen zu bekennen und ihre Sprache und Heimatsitten zu pflegen“.

 

Seite 1   Vertriebene appellieren an Botschafter Sorin

Die Heimatvertriebenen des BVD und der ihm angeschlossenen Landsmannschaften in Düsseldorf haben in einem Schreiben an den sowjetischen Botschafter Sorin gebeten, er möge seinen Einfluss zur Schaffung eines wiedervereinigten Deutschland geltend machen. Die deutschen Heimatvertriebenen, so wird in diesem Brief betont, hätten keine Abneigung gegen die Völker der Sowjetunion. Sorin möge dafür Verständnis haben, dass die deutschen Vertriebenen von ihrer Liebe zur Heimat ebenso beseelt seien wie die russischen Menschen.

 

Seite 1   Zonenrandgebiete brauchen weitere Hilfe

Hannover. Bei einem Besuch im Verwaltungsbezirk Braunschweig erkannte der Niedersächsische Ministerpräsident Heinrich Hellwege an, dass für die Zonenrandgebiete eine weitgehende Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen erforderlich sei. Die Benachteiligungen durch die Zonengrenze und durch die Verkehrsferne müssten nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Vor allen Dingen sei ein Ausgleich für den Verlust der Absatzgebiete anzustreben. Das gelte sinngemäß auch für die Landwirtschaft. Er sei sich bewusst, dass die Kraft der betroffenen Wirtschaftskreise zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht ausreiche; vielmehr sei eine weitere Förderung der Wirtschaft der Randgebiete durch Bundes- und Landesmittel notwendig. Auch bedeute das Problem der Fürsorge für die Flüchtlinge und Vertriebenen in diesem Gebiete eine besondere Verpflichtung.

 

Seite 1   Sowjets sagen Heimkehr zu

Die Sowjetunion hat der Bundesregierung in einer Note mitgeteilt, dass sie zurzeit die von Botschafter Haas übergebene Liste mit 1000 Namen von Deutschen, die sich noch in der Sowjetunion befinden sollen, prüfe. Die sowjetische Regierung will den Deutschen, die in die Heimat zurückzukehren wünschen, keine Hindernisse in den Weg legen. — In der Note wird daran erinnert, dass Bundeskanzler Adenauer bei seinem Moskauer Besuch versprochen habe, sich für die Rückkehr aller in Westdeutschland lebenden sowjetischen Bürger einzusetzen, die eine Repatriierung nach der Sowjetunion wünschten.

 

Seite 1   Alternative Osteuropa. Von Hans Fleig-Zürich

Während einiger Jahre, seit Stalin im März 1952 jene historische erste Deutschland-Note an die Westmächte sandte, stand die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands im Zentrum der internationalen Politik. Ohne eine Lösung der deutschen Frage schien der kalte Krieg nicht beendet werden zu können.

 

Spätestens seit dem Genfer Treffen der Staatschefs im Sommer 1955 weiß die Welt, dass diese Annahme nicht zutrifft. Die „Entspannung“ hat seit 1955 ganz gewaltige Fortschritte gemacht, obwohl die Lösung der deutschen Frage heute weiter entfernt ist als je seit dem März 1952, obwohl es jedermann klar ist, dass die deutsche Frage auf unabsehbare Zeit hinaus nicht mehr gelöst werden kann — nicht zuletzt deshalb, weil die Regierung der westdeutschen Bundesrepublik nicht willens war, noch ist, einen sinnvollen Beitrag zur Lösung dieses Problems beizusteuern.

 

Die westdeutsche Regierung tut sich auf diese negative Leistung, wie man weiß, sehr viel zugute. Aber ihre hektischen Versicherungen, den einzig wahren Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands gegangen zu sein, wird durch die Entwicklung der Deutschlandfrage in einem Ausmaß Lügen gestraft, wie es selten einer Regierung geschah.

 

Aber die Zeit stand nicht still in diesen Jahren. Wo Bonn am Ort trat und auf Wunder wartete, brachen sich andere Entwicklungen Bahn. In großen Umgehungsmanövern gelang es der Sowjetpolitik, neue Zentren, neue Schwergewichte der internationalen Diskussion zu schaffen. Am deutlichsten war das an der Abrüstungsfrage zu verfolgen. Während in Bonn in jahrelangen Kämpfen die Aufrüstung des Bonner Rumpfstaates durchsickerte, wandten sich Moskau und die Hauptstädte des Westens der Abrüstung zu. Heute ist es so weit, dass die Abrüstung als eine Bedingung der Wiedervereinigung Deutschlands vorangesetzt wird — zu einem Zeitpunkt, da man in Bonn immer noch nach den vergilbten Marschbefehlen von Anno dazumal weiterhin in die Wüste der Aufrüstung marschiert …

 

Die Westmächte — Großbritannien, Frankreich, die USA — haben seit dem vergangenen Jahr mit aller Deutlichkeit kundgetan, dass sie bereit sind zu einem Fair Deal mit den Nachfolgern Stalins, auch wenn es sich beim Gegenstand dieses großen Übereinkommens nicht um Deutschland handelt. Noch herrscht allerdings die Überzeugung vor, dass die russische Gegenleistung in Europa zu erfolgen habe. Aber in Europa ist die deutsche Frage keineswegs die einzige, die sich dazu eignet. Die letzten Monate haben gezeigt, dass dies allerseits begriffen wurde: von den Russen, von den Amerikanern und von den Briten. Der politische Erdrutsch in den osteuropäischen Staaten, bewusst ausgelöst und kommandiert von Moskau, hat aller Welt gezeigt, wo die große Alternative zur Wiedervereinigung Deutschlands liegt: in Osteuropa.

 

Damit wird erstmals auch ein Konkurrenzverhältnis aller Welt sichtbar; so lange Deutschlands Wiedervereinigung im Zentrum der internationalen Politik stand, war die Einsicht vorherrschend, eine Lösung dieser Frage bedeute den endgültigen Verzicht auf eine Infragestellung der Sowjetisierung Osteuropas, auf die direkte Herrschalt Moskaus in Warschau, Prag, Budapest, Bukarest. In London, in Paris, selbst in Washington gestand man zu, dass Deutschlands Wiedervereinigung für Russland die Wiedererstehung einer potentiellen Gefahr solchen Ausmaßes bedeute, dass sie nur durch eine Anerkennung des Status quo im übrigen Osteuropa durch die Westmächte aufgewogen werden könnte.

 

Heute scheint diese Gefahr gebannt. Die große Alternative Osteuropa schiebt sich mit Macht in den Vordergrund. Denn jene grundsätzliche Überlegung, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis Russlands in Osteuropa legitimiere, erweist sich als umkehrbar: Wenn Sowjetrussland nicht mit einer deutschen Wiedervereinigung rechnen muss, kann es seine Sicherheitsansprüche in Osteuropa ganz wesentlich heruntersetzen, weil es sich weiterhin auf das Sicherheitspfand Ostdeutschland verlassen kann.

 

Die Offerte liegt bereits vor: von russischer Seite durch die sensationellen Lockerungen politischer Natur in den Satellitenstaaten, von amerikanischer Seite durch die leider bei uns viel zu wenig beachteten Erklärungen des Staatssekretärs Dulles vom 24. April, in denen er die Einführung nationalkommunistischer Systeme in den osteuropäischen Staaten als einen großen Fortschritt begrüßte und empfahl. Seine Ausführungen ließen keinen Zweifel daran übrig, dass die Vereinigten Staaten eine Entwicklung in Osteuropa nach dem Paradigma Jugoslawiens als Verhandlungsgrundlage für eine „große Regelung" akzeptieren würden.

 

Deutschland hatte während Jahren die einzigartige Chance, sein Lebensproblem im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit zu sehen. Es hat diese günstige Konstellation willentlich ungenützt vorbeigehen lassen, Es ist nicht verwunderlich, wenn heute die lange im Schatten der deutschen Frage liegende große Alternative Osteuropa ans Licht eines neuen Tages tritt.

 

 

Seite 2   Von unserer Warte

In einer polnisch-russischen Geheimkonferenz in Warschau wurde auch über die deutschen Ostgebiete diskutiert. Ostpreußen, erklärten die Sowjets, müsse unter Abwägung neuer politischer Perspektiven behandelt werden.

 

Mit einem Aufruf an die Sowjetjugend sucht das ZK der KPdSU und der Ministerialrat der UdSSR Freiwillige für die Erschließung Sibiriens und des Fernen Ostens zu gewinnen. In dem Appell wird festgestellt, dass Sibirien allein über 75 Prozent der gesamten Kohlenvorräte und über 80 Prozent der Wasserkraftreserven Russlands verfügt. Für das nächste Jahr rechnet man mit 400 000 bis 500 000 Freiwilligen.

 

Mehr als 5000 Personen aus dem Bundesgebiet und Westberlin sind seit Mai 1955 zu kurzfristigen „Verwandtenbesuchen“ in die polnisch verwalteten Oder-Neiße-Gebiete gefahren, teilte die Polnische Militärmission in Westberlin mit.

 

Gegen jede Revision der tschechoslowakischen Grenze wandte sich der tschechoslowakische Ministerpräsident Siroky. Zu der Rede des Bundesverkehrsministers Dr. Seebohm, die dieser Pfingsten in Nürnberg hielt, erklärte er, dass die Tschechoslowakei „im Gegensatz zu bestimmten Illusionen westdeutscher Politiker" die jetzigen Grenzen als endgültig betrachte. Siroky wiederholte das Angebot, diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik aufzunehmen. Eine Lösung der deutschen Frage könne nur durch gemeinsame Anstrengungen der Deutschen in beiden Teilen des Landes erreicht werden, sie dürfe nicht zur Bedingung für die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa gemacht werden.

 

Die Prager deutsche Wanderbühne spielt weiterhin deutsche Klassiker, nachdem sie mit slawischen Theaterstücken keinen so großen Erfolg hatte wie anfangs, als sie mit „Kabale und Liebe“ von Schiller begann. Jetzt studiert die Wanderbühne Lessings „Minna von Barnhelm“ ein und erhofft sich davon eine größere Publikumswirkung.

 

Stärkere Radioaktivität in der Luft über Japan und teilweise radioaktiven Regen melden die Wetterwarten in allen Teilen des Landes. Man führte diese Verseuchung auf amerikanische und britische Atomwaffenversuche zurück und warnte die Bevölkerung, Früchte und Gemüse aus Mitteljapan zu essen, da ihr radioaktiver Gehalt fünfmal so hoch sei, als es für den menschlichen Genuss gefahrlos ist.

 

Die USA entwickelten Wasserstoffsprengkörper, die durch Raketen von einem Kontinent zum anderen getragen werden können.

 

Eine unerschöpfliche Kraftquelle würde dadurch erschlossen, dass die Sowjetunion bald In der Lage sei, die bei der Verschmelzung schwerer Wasserstoff-Atome frei werdende Energie in Strom umzuwandeln und für die Industrie zu nutzen, erklärte der russische Atomwissenschaftler Kurtschatow.

 

698 deutsche Häftlinge entließ die Regierung der Sowjetzone. Noch über 20 000 politische Häftlinge sitzen in den Gefängnissen der Sowjetzone.

 

Deutsche Ärzte in Argentinien kämpfen erfolgreich gegen eine Kinderlähmungsepedemie, an der schon 3000 Menschen erkrankten.

 

Der Entwurf für ein Lastenausgleichsschlussgesetz soll auf Grund interministerieller Besprechungen noch keine Angabe der endgültigen Ausgabehöhe enthalten. Ein abschließendes Gesetz über die Verteilung der Lastenausgleichsmittel sei zurzeit reichlich verfrüht, und es erscheine zweckmäßig, die Möglichkeit offen zu lassen, die Endsumme zu korrigieren. Es käme naturgemäß nur eine Korrektur nach oben und nicht nach unten in Frage.

 

Das Präsidium des Bundes der vertriebenen Deutschen (BVD) wurde vom Präsidium des Saarländischen Landtags empfangen. Dabei wurden Fragen besprochen, die mit dem organisatorischen Zusammenschluss der im Saargebiet lebenden vertriebenen Deutschen sowie der Ausdehnung der Lastenausgleichs- und anderer Eingliederungsgesetze auf das Saargebiet nach Anschluss an das Bundesgebiet in Verbindung stehen.

 

Auf Grund des Reichskonkordats erkennt der Heilige Stuhl nach wie vor die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße als zu Deutschland gehörig an. Das offizielle päpstliche Jahrbuch 1956 nennt u. a. als Teile Deutschlands die Erzdiözese Breslau, die Diözese Ermland und die freie Prälatur Schneidemühl. Als zu Polen gehörig werden nur die Gebiete außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gezählt.

 

Zahlreiche Volksdeutsche Siedlungen gibt es noch immer in Sibirien. Der Rundfunkkommentator Klaus Mehnert, der von einer 7000 km langen Reise durch Sibirien zurückkehrte, berichtete, dass er die Zahl der Volksdeutschen allein im Raum Slangorod auf einhundert- bis zweihunderttausend schätze. Noch größer sei die Zahl der Deutschen in Kasakstan, doch lebten sie dort nach China habe er Dörfer besucht, die ausverstreut. In der Kulandasteppe an der Grenze schließlich von Deutschen bewohnt werden.

 

Seite 2   Polen gibt Satellitenstaaten gefährliches Beispiel

Washington. Die Aufmerksamkeit der politischen Beobachter in der amerikanischen Hauptstadt und in der Welt ist immer noch auf die politischen Entwicklungen in Polen gerichtet. Gerade hat die polnische Presse von dem Rücktritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Mitgliedes des Politbüros der Kommunistischen Arbeiterpartei, Jakob Berman, berichtet. Das Abtreten Bermans ist nur ein Glied einer ganzen Kette ähnlicher Umschichtungen in der Führung des kommunistisch kontrollierten polnischen Satelittenstaates.

 

Berman, seit seinem Jurastudium an der Warschauer Universität Kommunist, ging 1939 in die Sowjetunion. Er kehrte dann mit der Roten Armee in sein Land zurück.

 

Wenn er auch vermied, zu stark in den Vordergrund zu treten, so war er doch einer der mächtigsten und einflussreichsten Männer des polnischen Regimes. Er bot seinen — auch sofort angenommenen — Rücktritt an, nachdem das Politbüro seine Arbeit „auf den ihm unterstellten Gebieten“ kritisiert hatte.

 

Über Bermans Versagen ist im Einzelnen nicht viel gesagt worden. Aber es ist allgemein bekannt, dass er einer der vertrautesten Schergen Stalins war, dem besonders die Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen dem Kreml und Warschau oblag. Sein Sturz kommt daher nicht überraschend.

 

Berman ist der dritte polnische Regierungsvertreter im Kabinettsrang, der in den letzten Wochen sein Amt verlor. Vor ihm traten schon Stanislaw Radkiewicz, der Minister für staatliche Landwirtschaft und frühere Minister für die öffentliche Sicherheit und Wlodzimierz Sokorski, der frühere Minister für kulturelle Angelegenheit und Kunst, den Abstieg an.

 

So bedeutsam es sein mag, dass diese Männer aus ihren Ämtern entfernt wurden, so sind die Beobachter und Experten für kommunistische Angelegenheiten doch der Ansicht, dass der Wandel an sich, der sich in Polen abspielt, wichtiger sein könnte, als die Personen, die davon betroffen werden. Seit der Kreml nach dem 20. Parteikongress der KPdSU in Moskau seinen Standpunkt änderte und anordnete, dass es viele Wege zum Sozialismus gebe, waren die führenden Kommunisten in Polen nur zu bereit, mit der Stalinistischen Vergangenheit zu brechen.

 

Polen hat von allen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang am gründlichsten und schnellsten gebrochen. Das ist folgerichtig. Schon in der Vergangenheit hinkte Polen immer hinter den anderen Satelliten her, wenn es galt, die verschiedenen vom Kreml befohlenen „Feldzüge“ zu führen, wie etwa zur Kollektivierung der bäuerlichen Betriebe oder gegen die katholische Kirche. Jetzt, da der Antistalinismus auf der Tagesordnung steht, ist es nur verständlich, dass Polen allen vorangeht.

 

Immerhin stellen die Abberufung von drei Kabinettsministern und anderen hohen Beamten, die Amnestie für 30 000 Gefangene und die Versuche, im Parlament wenigstens so etwas ähnliches wie eine Debatte einzuführen, ein Ausmaß in der Abkehr vom Stalinismus dar, das weit über das hinausgeht, was sich in anderen kommunistischen Ländern jetzt auf diesem Gebiet vollzieht.

 

Eines der jüngsten Beispiele für die offene Kritik der Polen an führenden Persönlichkeiten ist die gegenwärtig geführte Debatte über den Wiederaufbau der im Kriege zerstörten Stadt Warschau. Der leitende Architekt der Stadt, Ingenieur Sigalin, ist jetzt schweren Angriffen ausgesetzt, da er bei dem Wiederaufbau der Stadt angeblich schwere Fehler begangen hat. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die Errichtung von zu vielen Regierungsgebäuden und zuwenig Wohnungen sowie gegen die schlechte handwerkliche Durchführung der Bauarbeiten und die Verwendung schlechter Materialien.

 

Während jedoch überall sonst hinter dem Eisernen Vorhang eine solche Kritik an einem offiziellen Vertreter des Regimes das Signal zu scharfen Angriffen unter dem Vorwurf des „Personenkults“ auslösen würde, hatte die Kritik an Sigalin eine ganz andere Auswirkung. Über ein Dutzend Warschauer Architekten vertrat in einem — überall diskutierten — offenen Brief die Auffassung, dass Sigalin allein unmöglich an all den ihm zur Last gelegten Fehlern schuld sein und daher auch nicht für alle etwaigen Versager beim Wiederaufbau der Stadt verantwortlich gemacht werden könne. Die Architekten wiesen darauf hin, dass bei allen Entscheidungen die offiziellen Partei- und Regierungsstellen ein Mitsprachrecht hatten.

 

Die Frage, die noch zu beantworten bleibt, ist die nach den Motiven des jetzigen polnischen Regimes. Will man in Warschau der kochenden Volksseele erlauben, sich Luft zu machen, oder will man versuchen, wie weit die Antistalinkampagne getrieben werden kann, ohne die Fundamente des Kommunismus selbst zu erschüttern?

 

Wie auch immer die Antwort ausfallen mag, auf jeden Fall werden alle zuverlässigen Berichte aus Polen in der nächsten Zeit von Regierungsvertretern und privaten Bürgern in anderen Satelittenstaaten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Benjamin E. West

 

Seite 2   Unabhängigkeit der Völker gefordert.

Straßburg. Die Vollversammlung der versklavten Völker Europas, die kürzlich in Straßburg tagte, sandte an den Premierminister Großbritanniens und den Ministerpräsidenten Frankreichs Telegramme, in denen beide Staatsmänner zur Einlösung der Versprechungen aufgefordert werden, die seinerzeit nicht nur von den Westmächten, sondern auch von den Sowjets feierlich abgegeben wurden und in denen versichert wird, dass eine Unabhängigkeit den Völkern gewährt werden soll, die fähig und willens sind, frei und unabhängig zu leben. Dieses Telegramm wurde im Zusammenhang mit dem Besuch Bulganins und Chruschtschows in London und der Reise Mollets nach Moskau gerichtet.

 

Seite 2    Polen gesteht Fehlschlag zu

Wie in Washington bekannt wird, geben polnische Behörden jetzt offen zu, dass ihr Besiedlungsprogramm für die ostdeutschen Vertreibungsgebiete hinter der Oder-Neiße-Linie völlig fehlgeschlagen ist. Weite Teile des Landes liegen brach und unbewohnt da. Eine der größten Schwierigkeiten bilden die Spekulanten, die Darlehen und Ausrüstung zum Siedeln in Empfang nehmen, sich aber aus dem Staube machen, bevor ein Staatsbeauftragter erscheinen kann, um das Abgabesoll nach der ersten Ernte Zu fordern.

 

Seite 2   Reiseziel Sowjetunion

Der von Moskau seit langem propagierte ostwestliche Reiseverkehr dürfte in nächster Zeit beginnen. Die britische Presse veröffentlichte eine amtliche Bekanntmachung, wonach die Sowjetunion ein neues 7500-BRT-Schiff für den Touristenverkehr gechartert habe, das Platz für 300 Passagiere bietet. Aus Wien wird ferner bekannt, dass erstmals am 15. Mai eine österreichische Reisegesellschaft nach Moskau fahren will. „Belebend“ dürfte außerdem die Eröffnung einer Luftlinie der SAS von Stockholm über Riga nach Moskau wirken.

 

Interessant ist das Fahrtprogramm, worauf sich ein Wiener Reisebüro mit dem staatlichen sowjetischen Büro Intourist geeinigt hat. Es sieht Luftreisen nach Leningrad, aber auch Überlandfahrten nach Südrussland bis Odessa und von dort nach Moskau vor. Vorbereitet

werden weitere Abschlüsse über Fahrten auf die Krim mit einem Besuch Jaltas sowie an das Asowsche Meer und nach Stalingrad.

 

Das Büro Intourist hat auch in der Bundesrepublik eine Vertretung, die Einzel- und Gruppenreisen in die Balkanländer und nach, Russland durchführt. Eine Bahnreise Berlin-Moskau und zurück mit Unterbringung in erstklassigen Hotels, voller Verpflegung und Visagebühren kostet für zehn Tage Dauer je nach Kategorie 816 -- DM bis 1276,-- DM bei Gruppenfahrt, für Einzelreisende 1407,- DM bis 1587,-- DM. Eine dreiwöchige Studienreise über Wien, Kiew nach der Krim, dann über Stalingrad nach Moskau und zurück nach Berlin wird mit Bahn, Schiff und Flugzeug bewältigt und kostet in der niedrigsten Preisklasse 2169,-- DM, für Einzelreisende etwa doppelt so viel. Der Besuch Stalingrads dauert zwei Tage und schließt „die Besichtigung denkwürdiger Stätten der Schlacht von Stalingrad“ ein, wie es im Prospekt heißt, der die Überschrift trägt: „Reisen in die Sowjetunion — das Reiseerlebnis von 1956“.

 

Der Gesamtauflage dieser Ausgabe liegt ein Sonderprospekt der Firma Textilmanufaktur Haagen bei, auf den wir unsere Leser besonders aufmerksam machen.

 

Seite 2   Pressespiegel

Priester für den deutschen Osten

Selbst dann, wenn der Heimatgedanke schwächer geworden ist, ist es möglich, eine letzte Verantwortung für den Osten im Priesternachwuchs zu erhalten. Hier geht die Verantwortung über den Rahmen der engen Heimat- im Osten hinaus. Wie sich ja auch die Vertreibung heute nur als der Vorakt der Verfolgung der Kirche im Osten durch den Bolschewismus enthüllt. Diese Verfolgung aber, die größte aller Zeiten, ist in erster Linie eine Priesterverfolgung. Mehr als 50 Millionen Katholiken im Osten Europas — darunter 45 Millionen lateinischen Ritus — stehen in dieser Verfolgung. Sie hatten 1945 etwa 40 000 Priester zur Verfügung. Wie viele werden es heute noch sein? Die Hälfte? Wohl weitaus weniger. Manche Staaten haben seit Jahren keine Seminare und keine Klöster mehr.

 

Was aber, wenn die Stunde kommt, in der sich zum ersten Mal ein Tor auftut? Werden wir vorbereitet sein? Dann sind junge, gesunde, opferbereite Priester mit missionarischem Herzen von Nöten. Werden wir sie haben? Sie müssen jetzt vorbereitet werden. Der Heilige Vater hat einige Seminare für die Priesternot in Südamerika ins Leben gerufen, davon eines in Löwen (Belgien). In Südamerika ist die Priesternot sehr groß. Noch größer ist sie bereits im Osten.

 

Sollte die Verfolgung im Osten noch Jahre anhalten, so wird der Klerus für die 50 Millionen Katholiken auf ein Minimum herabsinken. Die wenigen Priester, die aus den sogenannten Staatsseminaren hervorgehen, rücken von Tag zu Tag immer mehr in ein zweifelhaftes Licht.

 

Umso mehr ist es Pflicht und Verantwortung der Kirche im freien Westen und vor allem in den unmittelbar an den Eisernen Vorhang grenzenden Ländern, die Entwicklung zu sehen und ihr rechtzeitig Rechnung zu tragen. Auch wenn nur 10 Prozent Hoffnung bestünde — und wer wollte da ein endgültiges Urteil fällen? —, dass sich einmal ein Tor auftut zu den verfolgten Brüdern und Schwestern, müssten wir uns für jene Stunde vorbereiten: wir brauchen dann vor allem Priester, die missionarisch brennen. Die Verfügung des Heiligen Vaters gibt eine Möglichkeit.

 

Wichtig ist, dass die Verantwortung für den Osten in einem bestimmten Seminar ganz besonders wach gehalten werde. Dieses Seminar würde der Motor sein, der lebendig erhält. Von daher erhält Königstein seine besondere Bedeutung. (Königsberger Blätter)

 

Seite 2   Tauwetterperiode im Osten

Ohne Zweifel werden die gegenwärtigen Vorgänge in den Ostblockstaaten im Westen unterschätzt, denn man ist noch viel zu sehr von der Vorstellung befangen, dass dort drüben nichts geschehen kann, was nicht von Moskau befohlen worden ist. Man verkennt, dass auch der mächtigste Diktator keinesfalls immer Herr seiner Entschlüsse ist. An dieser Stelle wurde schon früher die Auffassung vertreten, dass die Wendung in Sowjetrussland wirtschaftliche Gründe haben muss. Das stalinistische System hat durch seinen Terror zu einer Lähmung des ganzen gesellschaftlichen Organismus geführt. Die Angst hat schließlich jede persönliche Initiative in der Wirtschaft erstickt und damit zu einer ungeheuren Verschwendung von Arbeitskraft geführt. Eine weitere Intensivierung der Wirtschaft war nicht möglich, ohne das lähmende Entsetzen, das sich in Sowjetrussland ausgebreitet hatte, zu beseitigen.

 

Solange sich das System von außen bedroht wähnte, war an einen Abbau des Terrors nicht zu denken. Als jedoch die Wasserstoffbombe einen dritten Weltkrieg unwahrscheinlich

machte, leitete man in Russland die „Tauwetterperiode“ ein.

 

Der Stalinismus lässt sich allerdings nicht durch ein Dekret aus der Welt schaffen, er wurde von einem machtvollen bürokratischen Apparat getragen, der auch heute noch vorhanden ist. Wir müssen deshalb mit einem langen Ringen rechnen, dessen Ausgang ungewiss ist. Es ist jedoch anzunehmen, dass Menschen, die zur Ausübung ihrer Funktion in der Wirtschaft Wissen, Intelligenz und Initiative haben sollen, sich auf die Dauer im politischen Bereich nicht einer primitiven Bevormundung beugen werden. Gelingt es ihnen, sich allmählich durchzusetzen — diese Möglichkeit muss immerhin in Betracht gezogen werden —, dann könnte mit der Zeit eine weltpolitische Entkrampfung eintreten, an die vor einigen Jahren nur wenige zu denken wagten. (Die Brücke, München)

 

Mit Romantik keine Politik zu machen

Mit Romantik lässt sich in einer Welt der harten Tatsachen keine Politik machen. Wesentlich wichtiger erscheint es, heute die Situation zu nützen und mit den Exilvertretern der mittel- und südosteuropäischen Völker auf einer breiten Basisgespäche zu führen, die der Bereinigung der Vergangenheit und einem neuen und ungetrübten Zusammenleben in der Zukunft dienen können. Solche Gespräche würden auch wesentlich zu einer eindeutigen Haltung der Bundesregierung beitragen, die wiederum ihren Eindruck auf die freiheitliebenden Kräfte in den Satellitenstaaten nicht verfehlen wird. Es geht daher heute nicht darum, sich mit den Exilvertretern über pseudo-juristische Begriffe zu streiten, sondern mit ihnen in Freiheit und über die Freiheit zu sprechen. Eine Front der

Deutschen mit den Slaven zur Befreiung der Deutschen und Slaven, die unter dem Bolschewismus zu leiden haben, muss auf die unterdrückten Völker wie ein Fanal wirken. Eine solche Front aber würde wesentlich die Moral jener Völker heben, die heute zum Teil infolge mangelnder persönlicher Erfahrungen mit dem Bolschewismus liebäugeln. (Vertriebenenanzeiger, München)

 

 

Seite 2   Slawische Völker unsere Nachbarn.

Schulbücher sind bei uns im Umlauf, die die Teilung Berlins und die Tatsache der Sektorengrenzen überhaupt nicht erwähnen und als Hauptgeschäftsstraße die Friedrichstraße nennen, der nach alten Erinnerungen noch Glanz und Leben zugeschrieben wird. Die an sich anerkennenswerte Absicht, dem Schulkind auch ein Bild von Berlin zu vermitteln, ist durch die wirklichkeitsfremde Darstellung, die das Geschehen seit 1945 einfach leugnet, in ihr Gegenteil verkehrt worden. Aber wenn hier wenigstens die Verpflichtung zu verspüren ist, die Jugend auch über Berlin zu unterrichten, so ist in der Schule der Blick für den weiteren Osten weitgehend verlorengegangen oder verbaut

 

Zu Recht stellt ein jetzt veröffentlichtes Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen daher fest, dass deutsche Kultur und Politik stets wesentlich dadurch bestimmt sein werden, dass Deutschland in der Mitte Europas liegt. Die slawischen Völker werden, gleichviel in welcher staatlichen Form, für alle Zeit unsere Nachbarn bleiben und wir müssen auf weite Sicht mit ihnen Formen des friedlichen und fruchtbaren Zusammenlebens finden. Das Denken und Leben der östlichen Völker darf nicht mit der aus dem Westen stammenden Ideologie des bolschewistischen Marxismus gleichgesetzt werden, unter deren Herrschaft sie gegenwärtig stehen und die eine weithin verbreitete Abneigung gegen den Osten noch verstärkt. (Ost-West-Kurier, Frankfurt)

 

 

Seite 3   Unsere Heimat heute.

Kredite an deutsche Bauern.

Der kleine Ort Drigelsdorf (heute „Drygaly“) im Landkreis Johannisburg hat noch eine deutsche Gemeinde von 232 Landsleuten. Das geht aus einer polnischen Pressenotiz hervor, in der die genaue Zahl der hier lebenden „Autochthonen" genannt wurde. Wie es weiter heißt, wurden kürzlich Kredite auch an die deutschen Bauern gegeben. Es handelt sich dabei um Landsleute, die erst nach 1950 ihren landwirtschaftlichen Besitz teilweise zurückerhielten und wegen der Schwierigkeiten beim Neuanfang bisher keine rentablen Wirtschaften aufziehen konnten. In Johannisburg bemüht man sich seit einiger Zeit auffallend um solche Betriebe, die oft nur von deutschen Witwen geführt werden. Auch die Nachbarschaftshilfe wird angeregt. Hilfe jeder Art ist in Drigelsdorf zudem sehr wirksam, weil sie direkt der Agrarwirtschaft zugutekommen kann. Da der Ort unzerstört ist, fallen Ausgaben für Neubauten usw. fort. Unterstützung will man auch den deutschen Landwirten gewähren, die nach 1945 gezwungen oder freiwillig für Polen optierten.

 

Seite 3   Tilsiter Volksgericht

Das im alten deutschen Rathaus von Tilsit untergebrachte Bezirksvolksgericht der sowjetischen Okkupanten hat in den letzten Monaten mehrfach Verhandlungen gegen sogenannte „Vagabundierende Banditen“ geführt. Mit diesem Ausdruck wird jetzt eine neue Gruppe von Kriminellen bezeichnet, die herumstromernd durch das Land zieht und sich von Raub, Diebstahl und Überfällen ernährt. In Tilsit wurden gegen diese Elemente hohe Strafen verhängt, weil sie es vor allem auf die Verwaltungsgebäude der Kolchosen und Sowchosen bzw. auf die Privaträume der Direktoren abgesehen haben. Sie sollen bei ihren Beutezügen großer Mengen Geldes habhaft geworden sein. In anderen Fällen haben sich die „Vagabundierenden Banditen“ auf Viehdiebstähle spezialisiert. Das Fleisch der irgendwo getöteten Tiere verkaufen sie an die berufsmäßigen Hehler oder Schwarzhändler, die es ihrerseits wieder auf dem Tilsiter Schlossplatz — dem Markt der Stadt — an den Mann bringen. Das Volksgericht rügte in den ersten Urteilen gegen diese Banditen, dass die Miliz nicht genügend einschreite und z.B. die Kontrollen aller den Schlossplatz aufsuchenden Händler zu lasch handhabe. Tatsache ist, dass die Schwarzhändler viele Milizer aller Dienstgrade bestochen haben, um auf dem preisgünstigeren „Freien Markt“ auf dem Schlossplatz verkaufen zu können.

 

 

Seite 3   Export nach Norden

Auf Grund des neuen sowjetisch-polnischen Abkommens über den beiderseitigen Handelsaustausch werden jetzt in verstärktem Maße Waren aus Süd-Ostpreußen in das sowjetisch besetzte Nord-Ostpreußen exportiert. Unter anderem werden über die Autobahn zurzeit große Mengen von Zucker nach Königsberg geschafft. Vor der Bevölkerung sucht man diese Lieferungen geheim zu halten, weil es gegenwärtig im Allensteiner Bezirk wieder zu Versorgungsschwierigkeiten mit Zucker gekommen ist. Auch Leinengewebe, die für die südostpreußische Bevölkerung bestimmt waren, gehören zu den polnischen Exportlieferungen nach Norden.

 

 

Seite 3   Wollen die Polen die deutschen Vertriebenen zurückholen?

Breslau. Ein sensationeller Artikel über die Rückkehr deutscher Heimatvertriebener wurde jetzt in der deutschsprachigen Breslauer Zeitung „Arbeiterstimme" veröffentlicht. In der Ausgabe Nr. 68 (431) dieser von den polnischen Kommunisten für die deutsche Restbevölkerung in den Oder-Neiße-Gebieten herausgegebenen Zeitung findet sich ein zweispaltiger Bericht über die „Repatriierung“ von Deutschen in ihre ostdeutsche Heimat, aus der sie vor zehn Jahren von den Polen brutal vertrieben wurden. Der Bericht fußt auf einem Interview der Redaktion der „Arbeiterstimme“ mit dem polnischen Provinzial-Funktionär Borislaw Ostapczuk.

 

Bevor wir auf diesen Artikel näher eingehen, sei noch auf einige erklärende Tatsachen hingewiesen. Gegenwärtig leben in den seit 1945 unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Provinzen Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg und Nieder- sowie Oberschlesien rd. 800 000 Deutsche. Ein erheblicher Teil wurde inzwischen durch die verschiedensten Zwangsmaßnahmen gezwungen, für Polen zu optieren. Trotzdem ist der deutsche Bevölkerungsanteil in einigen Provinzen so groß, dass man sich vor einiger Zeit entschloss, für sie eine eigene (prokommunistische) Zeitung unter polnischer Direktive herauszugeben. Die „Arbeiterstimme" erscheint in Breslau für die Deutschen in Schlesien und hat für die Deutschen in Pommern eine Bezirksausgabe. Aufgabe dieser Zeitung ist es, die Deutschen politisch, wirtschaftlich und kulturell eng an das Polentum zu binden und sie vor allem zu hohen Arbeitsleistungen anzuspornen.

 

Um die jetzige vorbereitende polnische Aktion zur Rückkehr richtig beurteilen zu können, ist es gut, sich in Erinnerung zu rufen, dass nach Kriegsende von den Polen eine der größten unmenschlichsten Massenaustreibung der Geschichte vorgenommen wurde. Damals wurden rund zehn Millionen Deutsche aus den deutschen Provinzen jenseits von Oder und Neiße wie Vieh nach Westen getrieben. Nicht, ohne dass sie vorher völlig ausgeplündert wurden und dass an Zehntausenden Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Deportation vorgenommen worden waren. Die Zurückgebliebenen 800 000 lebten jahrelang als Sklaven und wurden entgegen dem Völkerrecht immer wieder bedrängt, die polnische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Erst seit einigen Jahren hat man ihnen eine Art „Minderheitenrecht“ eingeräumt. Und schließlich hat das polnische Rote Kreuz seit einigen Monaten eine Vereinbarung mit der Bonner Regierung getroffen, alleinstehende oder von ihren Familien getrennt lebende Deutsche aus den polnisch verwalteten Ostgebieten nach Westdeutschland zu ihren Verwandten umsiedeln zu lassen. Eine ähnliche Vereinbarung traf die Warschauer Regierung auch mit dem Regime in Pankow.

 

Auf diese Vorkommnisse bezog sich auch die Frage, die die „Arbeiterstimme“ in ihrem Interview mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Wojewodschafts-Nationarrates in Breslau, Bronjslaw Ostapczuk, stellte. Die Frage lautet: „Wie mir bekannt ist, interessiert sich ein Teil der deutschen Bevölkerung in den letzten Wochen für die Frage der Ausreise nach Deutschland. Können Sie mir eine ausführliche Auskunft darüber erteilen?“

 

Der polnische Funktionär, der vergleichsweise die Stellung eines stellvertretenden Regierungspräsidenten hat, antwortete: „Die polnische Regierung, deren Beweggründe immer von menschlichen Grundsätzen geleitet werden, kam zu dem Schluss, alle Bedingungen zu schaffen, um die durch den 2. Weltkrieg getrennten deutschen Familien zu vereinigen. Deswegen konnten in den letzten Wochen aus unserer Wojewodschaft (Provinz, d. Red.) einige Hundert von Deutschen zu ihren in Westdeutschland wohnenden Familien ausreisen. In Kürze wird wieder ein Teil der deutschen Bevölkerung zu ihren Angehörigen auch in der DDR ausreisen. Selbstverständlich handelt es sich hier nur um Zusammenführungen von Familienangehörigen. Darunter verstehen wir z. B., wenn die Frau mit den Kindern zu ihrem Mann fährt. Auch der Mann zur Familie oder alte alleinstehende Leute oder arbeitsunfähige Eltern, welche Kinder in Deutschland haben.

 

Wir wollen hier erwähnen, dass die Zusammenführung getrennter Familienmitglieder keinesfalls nur durch die Ausreise in beide Teile Deutschlands erfolgt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Verwandte deutscher, in Polen ansässiger Familien, nach Polen kommen können! In solchen Fällen bestehen für diese nach Polen eingereisten Deutschen die Rechte, wie für einen in die Heimat zurückgekehrten Polen!

 

Im Rahmen der Repatriierung werden demnach nach Polen kommenden Deutschen Wohnungen zugeteilt, Geldbeträge für die Einrichtung zugewiesen und eine Anstellung laut Fachkenntnissen gesichert!"

 

Diese geradezu sensationelle Formulierung und Auslegung der gegenwärtigen Familienzusammenführung lässt den Schluss zu, dass Polen in Zukunft die Rückkehr von deutschen Heimatvertriebenen in die polnisch verwalteten Ostgebiete anstreben will. Dabei ist daran gedacht, diesen Rückkehrern denselben Status zu geben, wie Warschau ihn den in das Ausland emigrierten und nun zur Rückkehr aufgeforderten Polen zugesteht. Das Angebot der Rückkehr bezieht sich gleichermaßen auf die in der Bundesrepublik und der Sowjetzone lebenden Heimatvertriebenen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Angebot unter den gegenwärtigen Verhältnissen in den Ostgebieten Resonanz findet. W. D.

 

Seite 3   Die Memelniederung von heute.

Die Wildnis breitet sich aus:

Berlin. Von Je 50 deutschen Höfen in der Memelniederung fielen 40 bis 45 bei der sowjetischen Besetzung unbeschädigt in russische Hände. Nichtsdestotrotz haben es die Russen nicht verstanden, auf dieser günstigen Grundlage die Bodenbewirtschaftung weiterzuführen. Heute sind von den erhalten gebliebenen Gehöften (auf 40 bis 45 bezogen) nur noch jeweils zwei oder drei in bewohnbarem und betriebsfähigem Zustand. Diese Zahlen stammen von einem entlassenen deutschen Zivilinternierten, der bis vor kurzem auf einer Sowchose in der Memelniederung tätig war. Nach der Besetzung wurden bereits viele Höfe sinnlos angezündet, von den Plünderungen gar nicht zu sprechen. In den darauffolgenden Nachkriegsjahren und bis zum heutigen Tag wird der Rest systematisch von den neuen Bewohnern ausgeschaltet. Besteht auch seit einiger Zeit ein Verbot, leerstehende Höfe abzureißen, so kümmert sich doch niemand um die Einhaltung. Die Memelniederung ist zu einer großen Wildnis geworden, aus der nur — wie kleine Inseln — hier und dort Sowchosen und Kolchosen herausragen. Die von diesen staatlichen Betrieben bearbeitete Fläche ist jedoch sehr klein. Das größte Manko ist, dass in der Memelniederung überhaupt kein bäuerlicher Privatbesitz mehr gestattet ist und somit jede Initiative fehlt. In dem menschenleer gewordenen Gebiet fassten die russischen Güter und Kollektiven nur an einigen wenigen Verkehrswegen Fuß — alles Übrige blieb sich selbst überlassen. So breitete sich über weite Teile der Niederung die Wildnis aus, begünstigt noch durch einige große Überschwemmungen. Zwar wurden danach Militär und Zwangsarbeiter zum Instandsetzen der Deichanlagen usw. eingesetzt, aber die Wiederbearbeitung des Bodens kam nicht in Gang. Fast die gesamte deutsche Kolonistenarbeit hier, die aus weiten Teilen der Niederung fruchtbare Landstriche machte, ist dahin. Einige bereits völlig abgerissene Dörfer sind schon nicht mehr zu finden — sie sind wieder ein Teil der üppig wuchernden Natur geworden!

 

Seite 3   Memeler Badefreuden

In diesem Jahr wurde erstmalig ein vergrößerter Badestrand für die Memeler Bevölkerung freigegeben. Und zwar im Nordteil der Kurischen Nehrung in Sandkrug sowie beim Rettungsschuppen an der Süderspitze. Gebadet darf ferner auch im alten Bad werden, das sich an der Seeseite der Nehrung auf der Höhe der „Kanzel“ und des „Waldhauses“ befindet. Bisher stand zum Baden nur ein wesentlich kleineres Gebiet auf der Nehrung zur Verfügung. Interessant sind jedoch einige der Bestimmungen, die von jedem Badegast beachtet werden müssen. Es dürfen keine Taschenlampen mitgeführt oder Feuer angezündet werden, weil man darin anscheinend Möglichkeiten zur Nachrichtenübermittlung oder Zeichengebung sieht. Weiter ist es nicht gestattet, sich in der Nacht oder während der morgendlichen und abendlichen Dämmerung am Strand aufzuhalten. Und schließlich ist die Mitnahme auch der geringsten Schwimmunterlagen — wie Autoschläuche für Kinder usw. — verboten.

 

Seite 3   Ostpreußisches Papier

Die beiden Papierfabriken und die vier Zellulose-Kombinate in Nord-Ostpreußen haben Pläne zur Modernisierung eingereicht. Unter anderem ist vorgesehen, maschinelle Ausrüstungen aus der Sowjetzone und dem westlichen Ausland zu beziehen. Aus den Situationsberichten geht hervor, dass infolge „Abnutzung, Veraltung und vorzeitigem Verschleiß wegen unsachgemäßer Reparaturen“ fünf der Betriebe eine ganz neue Ausrüstung benötigen. Durch die „Weiterarbeit trotz technischer Mängel“ sinke die Produktion ständig ab, obwohl die Pläne eine Kapazitätssteigerung vorsähen. Bemängelt wird ferner, dass die zuständigen Moskauer Ministerien laufend mehr ostpreußisches Papier für Innerrussland verlangten, aber nichts zur Unterstützung täten. Umso unverständlicher sei es, dass die Fabriken und Kombinate jetzt Strafbeträge zahlen sollten, weil sie zu wenig Zellulose und Spiritus erzeugt und abgeliefert hätten. Für die Minderproduktion von Papier seien obendrein noch besondere Konventionalstrafen angekündigt. Wörtlich heißt es in den Situationsberichten, die u a. vom Königsberger Sender verbreitet wurden: „Es ist unserer Wirtschaftsform abträglich, dass wir noch immer keine für uns günstigen Vergleiche zu der Erzeugung dieser Werke während ihrer kapitalistischen Periode ziehen können“.

 

Seite 3   Auswüchse

Zu seltsamen Auswüchsen hat der Wohnraummangel in Allenstein geführt. Bei den „kritischen Ausspracheabenden mit der Bevölkerung“ wurde bekannt, dass die Beamten des Wohnungsamtes jeden Antragsteller nach seiner Parteizugehörigkeit fragen. Weiter seien Fälle bekannt, in denen sich Funktionäre mehrere Wohnungen hätten zusprechen lassen und nun gegen Wucherzins vermieteten… Auf die Frage nach Namen, antworteten die Befragten, sie hätten Angst. Aber im Wohnungsamt wisse man ganz genau Bescheid. Als weiterer Missstand wurde es bezeichnet, dass seit einiger Zeit möblierte Zimmer nur noch an mehrere Personen abgegeben würden, von denen jede den vollen Preis zahlen müsste. Man könne direkt von einem Terror der Wohnungsinhaber sprechen. Oft stimme das Wohnungsamt auch Kündigungen zu, die nur erfolgten, weil andere Interessenten Schmiergelder oder höhere Mieten zahlen wollten. (Anfang des Satzes unlesbar) sei es auch, dass meist kinderreiche Familien aus ihren Wohnungen gesetzt würden.

 

Seite 3   Barackenpolizei

In Königsberg hat die sowjetische Stadtverwaltung beschlossen, für die vielen auf dem Stadtgebiet befindlichen Baracken eine eigene Polizei einzusetzen. Bekanntlich wohnen Tausende der Russen in Königsberg in Notunterkünften und Barackenvierteln. Da in diesen Wohnbezirken unverantwortliche Zustände eingerissen seien, soll nun eine eigene Barackenpolizei, die sich ausschließlich für Ruhe und Ordnung in den Notunterkünften einsetzen soll, gebildet werden. Ferner will man ihr eine Art von Schnellrichtern beigeben, die Streitfälle an Ort und Stelle schlichten oder kleinere Vergehen sofort bestrafen. Auch die Polizei soll in gewissem Umfang Strafen verkünden können. Durch diese Maßnahmen will man vor allem die weitere Gefährdung der Jugend vor den asozialen Elementen in den Baracken-Wohngebieten verhindern und die schlimmsten Unruhestifter aussondern. Die Vorgänge in den behelfsmäßigen Wohngebieten wurden schon mehrfach kritisiert. Im letzten Winter kam es auf Grund der verschiedenartigen Verknappung zur Bildung von Banden, die die Umgebung terrorisieren und die Kriminalität fördern.

 

Seite 3   Deutsche Hochschüler

(Anfang des Satzes unlesbar) Allenstein hat eine Werbung unter der deutschen Bevölkerung begonnen, „autochthone“ Schüler für die Landwirtschaftliche Hochschule in Allenstein zu finden. Nachdem erst vor kurzem die Regierung bemängelt hatte, dass es unter den rund 2000 Schülern dieser Universität nur sechs Deutsche gibt, soll ihre Zahl noch in diesem Jahr auf 150 erhöht werden. Man wendet sich vor allem an deutsche Jugendliche, die bereits praktische Erfahrung in der Landwirtschaft haben und über gute Schulzeugnisse verfügen. Man bietet ihnen Stipendien und nach Abschluss des Studiums gut bezahlte Stellungen. Teilweise macht man sogar den Versuch, durch Kreditvergabe an die Angehörigen oder „Ablösungsgelder“ wegen der durch das Studium ausfallenden Arbeitskraft die Familien günstig für das Hochschulstudium eines Kindes zustimmen. Die gesamte Aktion erfolgt in Hinsicht auf die geforderte „Verbesserung der Repolonisierung der Autochthonen“ und soll die deutsche Bevölkerung dem Polentum näherbringen. Wegen dieser Zielsetzung ist es jedoch sehr schwer, deutsche Studenten für die Landwirtschaftliche Hochschule zu finden.

 

Seite 3   Mahnfeuer an der Grenze

Bonn. Das Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ hat dazu aufgefordert, am Vorabend des diesjährigen „Tages der deutschen Einheit“ — 16. Juni — nach Einbruch der Dunkelheit entlang der Zonengrenze von Lübeck bis Hof Fackeln und Feuer zu entzünden. Auf diese Weise soll ein Augenmerk der Bevölkerung des In- und Auslandes auf diese „unhaltbare Grenze“ gelenkt werden.

 

Seite 3   Chronik

Allenstein. Die Stadt gilt heute als die Hauptstadt des unter polnischer Verwaltung stehenden Teiles von Ostpreußen. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren durch starken polnischen Zuzug auf 60 000 gestiegen. Durch Vergrößerung des Stadtgebietes soll Allenstein zur Großstadt erhoben werden. Das wiederhergestellte Rathaus dient als Zweigstelle der Thorner Universität, das ehemalige Sprangsche Bahnhofshotel ist „Kulturhaus“ geworden. Wie weiter bekannt wurde, sind kürzlich zur Erweiterung der staatlichen polnischen Handwerksgenossenschaften größere Gruppen von Zigeunern eingetroffen, die in den Landbezirken im Zuge der Bemühungen um die Sesshaftmachung der Zigeuner angesiedelt werden sollen.

 

Angerburg. Die Stadt zählt heute nur noch etwa 200 deutsche Einwohner. Der Wiederaufbau geht nur sehr langsam voran; der Stadtkern wurde im Kriege völlig zerstört.

 

Braunsberg. Im südlichen Ostpreußen, vor allem an der Passarge sind in den letzten Jahren mehrere Biberkolonien entstanden. Man schätzt den Bestand in diesem Gebiet gegenwärtig auf 130 Tiere.

 

Danzig. Drei Segelschiffe der sowjetzonalen Handelsmarine, die sich auf einer Werbefahrt für ein internationales Jugendferienlager vom 29. Juni bis 31. Juli 1956 in Graal-Müritz befinden, gingen vor kurzem in Danzig vor Anker.

 

Königsberg. Der sowjetisch besetzte Teil Ostpreußens bleibt für Ausländer auch weiterhin Sperrgebiet. Weder britische noch amerikanische Korrespondenten haben die Erlaubnis erhalten, nach Königsberg zu kommen, als Marschall Bulganin und Parteichef Chruschtschow mit etwa 50 Regierungsbeamten von Moskau nach Königsberg kamen, um vom ostpreußischen Hafen Pillau aus auf dem sowjetischen Kreuzer „Ordschonikidse" zu ihrem Staatsbesuch nach England zu fahren.

 

Nidden. Die Glocken der Kirche läuten auch heute noch jeden Sonntag, obwohl in dem Gotteshause keine Gottesdienste mehr stattfinden. Die Glocken werden von einem alten Fischer zum Klingen gebracht. Deutsche leben in den Nehrungsdörfern nicht mehr. Das Badeleben, das früher auf der Nehrung entlang der Küste eifrig betrieben wurde, ist heute so gut wie ausgestorben.

 

Posen. Auf der diesjährigen Posener Messe, die vom 17. bis zum 30. Juni 1956 stattfindet, will Polen diesmal von der weitverbreiteten östlichen Gepflogenheit abgehen, Prototypen noch nicht fabrikationsreifer Modelle zu zeigen, die den Auftraggebern in absehbarer Zeit überhaupt nicht geliefert werden können. Es sollen — wenigstens überwiegend — solche Waren gezeigt werden, die sich tatsächlich schon in Serienfertigung befinden. Man rechnet mit etwa 600 Ausstellern aus 35 Ländern.

 

Tilsit. Von Labiau, dem Zentrum des ostpreußischen Fischfangs, führt ein Personenverkehr mit kleinen Flussdampfern nach Tilsit und von dort nach der früheren litauischen Hauptstadt Kowno. Die Hauptteile der Stadt Tilsit, wie beispielsweise die frühere Deutsche Straße und die Ordenskirche sind völlig zerstört. Hingegen wurde die ebenfalls zerstörte Königin-Luisen-Brücke über die Memel als Holzbrücke neu erstellt. Sie ist Tag und Nacht von Sowjetsoldaten bewacht und nach der litauischen Seite zu abgesperrt. Ein besonderer Ausweis ist erforderlich, um sie passieren zu können.

 

Tauroggen. Wie aus neuen Berichten hervorgeht, ist die ehemalige Fleisch- und Konservenfabrik heute in ein städtisches Fleischkombinat umgewandelt worden. Da die Fabrik unzerstört in die Hände der Sowjets fiel, konnte die Produktion sofort wieder anlaufen.

 

 

Seite 4   Die Sozialpolitische Seite.

Nach 9 Monaten: Verbessorte Kriegsopferversorgung .Von Helmut Petersen (MdB.), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Kriegsopferfragen

Der Bundestag hat eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung im Gesamtbetrage von 772 Millionen DM beschlossen. Damit wurde der seit 9 Monaten währende Kampf um verbesserte Kriegsopferrenten zu einem guten Ergebnis geführt. Der Gesamtdeutsche Block/BHE hat von vornherein mit allem Nachdruck eine schnelle und wesentliche Erhöhung der Kriegsopferrenten vertreten und das mit seinem im Oktober v. Js. im Bundestag eingebrachten Antrag bekundet. Hierin waren Erhöhungen der Kriegsopferrenten im Gesamtbetrage von 921 Millionen DM vorgesehen. Dieses Anliegen wurde in dieser Höhe damals nur von der SPD unterstützt, während sich die Koalitionsparteien damit begnügten, eine Verbesserung der Kriegsopferrente im Gesamtbetrage von 140 Millionen DM vorzusehen.

 

Die Unterschiedlichkeit in der Höhe war vor allem darauf zurückzuführen, dass der GB/BHE von vornherein eine wesentliche Erhöhung der Grundrenten vorsah, während sowohl CDU/CSU, FDP und DP sich damals entschieden gegen eine Ausweitung der Grundrenten aussprachen. Im Ausschuss wurden alle Anträge des GB/BHE und der SPD mit einer Stimme Mehrheit niedergestimmt. So stand im Dezember v. Js. ein Beratungsergebnis von 140 Millionen DM entsprechend dem Antrag der Regierungsparteien fest, wozu noch 40 Millionen DM durch die Gewährung eines echten Kindergeldes für Kriegerwitwen mit zwei und mehr Kindern kamen.

 

Die Regierungskoalition hatte dann im Januar und Februar d. Js. nicht mehr den Mut, für diese Kleinstlösung einzutreten und erreichte mit Zustimmung der anderen Parteien eine Rückverweisung der Beratungen an den Kriegsopfer und Heimkehrerausschuss. Hier standen nunmehr Anträge des GB/BHE und der SPD mit einem Volumen von über 1 Milliarde DM, der Regierungskoalition und FDP im Betrage von 738 Millionen und der Bundesregierung von 585 Millionen DM zur Beratung. Die Anträge des GB/BHE lagen im Gesamtvolumen und in den Einzelpositionen zusammen mit den Anträgen der SPD an der Spitze.

 

Es ist mit Genugtuung festzustellen, dass in der beschlossenen Erhöhung der Kriegsopferrenten im Gesamtbetrag von 772 Millionen DM vor allen Dingen die Grundrenten mit 321 Millionen DM (Kriegsbeschädigte 161 Mill. DM, Kriegerwitwen 98 Mill. DM und Kriegerwaisen 42 Mill. DM) eine wesentliche Verbesserung erfahren haben. Erfreulich ist auch, dass für die Schwerbeschädigten ab 65. Lebensjahr eine Alterszulage von monatlich 10,-- DM beschlossen wurde, was einer Erhöhung der Grundrente um diesen Betrag gleichkommt.

 

Die Ausgleichsrenten wurden einschließlich der Beträge für die Erhöhung der Einkommensgrenzen und der Progression für die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit um insgesamt 498 Mill. DM (für Beschädigte 118 Mill. DM, für Kriegerwitwen 2503 Mill. DM, für Kriegerwaisen 127 Mill. DM) verbessert. Die nicht erwerbstätigen Kriegerwitwen mit zwei und mehr Kindern werden mit der Verabschiedung der 5. Novelle außerdem die Zahlung eines echten Kindergeldes in Höhe von 25 DM erhalten.

 

Bedeutsam ist ferner, dass für die Kriegerwitwen die Ausgleichsrenten nunmehr nach dem vollendeten 45. Lebensjahr an Stelle bisher 50. Lebensjahr gezahlt werden. Die Heiratsabfindung wurde von 1200 DM auf 1980 DM erhöht. Bei Scheidung der neuen Ehe kann in Zukunft eine Witwenbeihilfe in Höhe von zwei Dritteln der Rente gewährt werden, sofern die Witwe nicht die Scheidung oder Aufhebung der Ehe überwiegend oder allein verschuldet hat. Der Antrag des GB/BHE, die Kriegerwitwe ebenso wie die Beamtenwitwe zu behandeln, d. h. bei Scheidung der Ehe die Versorgungsbezüge automatisch wieder zu zahlen und nicht von einer Untersuchung der Schuldfrage im Scheidungsverfahren abhängig zu machen, fand leider keine Mehrheit. Wir haben also nach wie vor eine Benachteiligung der Kriegerwitwe gegenüber der Beamtenwitwe, ein Zustand, der bei einer späteren Novelle beseitigt werden muss. Die jetzt erreichte Lösung stellt aber immerhin einen Fortschritt dar.

 

Die finanziellen Auswirkungen der 5. Novelle sind erheblich und bringen für die Berechtigten wesentliche Verbesserungen. So wird z. B. eine Kriegerwitwe mit 3 Kindern, die bisher eine monatliche Gesamteinnahme von 262,-- DM bezog, in Zukunft 365,-- DM, also 103,-- DM monatlich mehr, erhalten. Wir dürfen also feststellen, dass die 5. Novelle uns einen wesentlichen Schritt auf dem Wege, eine sozial gerechte Lösung der Kriegsopferversorgung zu erhalten, nach vorne gebracht hat.

 

Es wird bald der Zeitpunkt kommen, wo über die Endlösung in der Kriegsopferversorgung diskutiert und entschieden werden muss. Das wird dann sein, wenn das Saargebiet mit

Deutschland wieder vereinigt wird. Im Saargebiet werden erheblich höhere Versorgungsrenten gezahlt, weil man sich dort zum Prinzip der echten Schadensrente bekennt. Es ist undenkbar, dass die Kriegsopfer an der Saar, die ein politisches Bekenntnis für Deutschland abgelegt haben, eines Tages für diese Entscheidung eine Verschlechterung ihrer Lebensgrundlage erfahren müssten.

 

Der Kampf um den Termin, von welchem Zeitpunkte an die verbesserten Kriegsopferrenten gezahlt werden sollen, ist in den letzten Wochen noch einmal mit aller Heftigkeit ausgetragen worden. Der Gesamtdeutsche Block/BHE und die SPD haben sich bei allen Abstimmungen für den 1. Januar d. Js. entschieden, aber hierfür keine Unterstützung bei den anderen Parteien gefunden. Auch der Alternativ-Vorschlag des GB/BHE, dann wenigstens die verbesserte Kriegsopferrente ab 1. April d. Js. (mit Beginn des neuen Haushaltsjahres zu zahlen) fand ebenfalls bei den anderen Parteien zumeist keine Unterstützung.

 

Die Erklärungen des Bundesfinanzministers, dass er für diesen früheren Zeitbeginn der Rentenzahlung keine Haushaltsmittel habe, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Denn wer will den Kriegsopfern klar machen, es seien nicht genügend Haushaltsmittel vorhanden, wenn gleichzeitig unwidersprochen 52 Millionen DM für den Bau eines Bundesverteidigungsministeriums in Bonn veranschlagt werden.

 

Grundrente: Erwerbsminderung (in Prozent):

30%: bisher 18 DM. Jetzt 25 DM

40%: bisher 24 DM. Jetzt 33 DM

50%: bisher 31 DM. Jetzt 40 DM

60%: bisher 43 DM. Jetzt 50 DM

70%: bisher 56 DM. Jetzt 67 DM

80%: bisher 69 DM. Jetzt 85 DM

90%: bisher 83 DM. Jetzt 10 DM

Erwerbsunfähig, bisher 97 DM. Jetzt 120 DM

 

Erwerbsunfähig Ausgleichsrente: Erwerbsminderung (in Prozent)

50%: bisher 52 DM. Jetzt 70 DM

60%: bisher 55 DM. Jetzt 75 DM

70%: bisher 65 DM. Jetzt 95 DM

80%: bisher 70 DM. Jetzt 115 DM

90%: bisher 98 DM. Jetzt 135 DM

Erwerbsunfähig bisher: 120 DM. Jetzt 160 DM

 

Seite 4   Bevorzugte Förderung beim Wohnungsbau. Richtlinien des Bundeswohnungsbauministers für den sozialen Wohnungsbau 1956.

Der Bundesminister für Wohnungsbau hat für den Einsatz der Bundesmittel 1956 (sozialer Wohnungsbau) neue Richtlinien erlassen und im Einvernehmen mit dem Bundesausgleichsamt Sonderbestimmungen für den Einsatz der zur Durchführung der Wohnraumhilfe bereitgestellten Lastenausgleichsmittel herausgegeben. Hiernach ist die Schaffung von Wohnungen durch Neubau, Wiederaufbau zerstörter oder Wiederherstellung beschädigter, aber auch durch Ausbau oder Erweiterung bestehender Gebäude zu fördern.

 

Die Bauherren sind gehalten, alle vertretbaren Möglichkeiten der Baukostensenkung auszunutzen. Die Wohnungen müssen dort errichtet werden, wo der Bedarf am dringlichsten ist und Dauerarbeitsplätze für die künftigen Bewohner vorhanden sind oder geschaffen werden sollen. Die Forderung von Wohnungen für nichtarbeitsfähige Personen wird nicht ausgeschlossen.

 

Die allgemeinen Bestimmungen der neuen Richtlinien fordern, dass der Wohnungsbau für Vertriebene, Kriegssachgeschädigte und sonstige Lastenausgleichsberechtigte sowie für Sowjetzonenflüchtlinge, ferner für Schwerkriegsbeschädigte, Kriegerwitwen, Heimkehrer, Evakuierte und Besatzungsverdrängte bevorzugt zu fördern ist. Dabei sind die noch in Lagern und anderen Notunterkünften befindlichen Personen besonders zu berücksichtigen.

 

Schwerkriegsbeschädigten und Kriegerwitwen soll der Bau oder Erwerb einer eigenen Wohnung (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung) ermöglicht werden, wenn die Finanzierung der Gesamtkosten unter Zuhilfenahme der Kapitalabfindung bis auf die Bereitstellung von Darlehen aus öffentlichen Mitteln gesichert ist. Das öffentliche Darlehen kann in diesem Falle im Grundbuch an erster Stelle eingetragen werden, wenngleich es nach der Vorschrift des Wohnungsbaugesetzes für die zweitrangige Finanzierung zu bewilligen ist.

 

Bevorzugte Förderung sollen weiterhin der Eigenheimbau, Kleinsiedlungen und Kaufeigenheime erfahren, die unter erheblichem Einsatz von Selbsthilfe errichtet werden. Geht die Selbsthilfe über die nach den Landesförderungsbestimmungen geforderte Selbsthilfeleistung hinaus, kann der Bauherr verlangen, dass die Selbsthilfeleistung insoweit hinsichtlich ihrer Verzinsung wie eine erststellige Hypothek behandelt wird. Der Wohnungsbau für die Angehörigen der Bundespost sowie der Bundesbahn ist bei der Vergabe der Bundesmittel angemessen zu berücksichtigen.

 

Die neuen Richtlinien sehen schließlich noch vor, dass der Wohnungsbau im Zonengrenzgebiet und in anerkannten Notstandsgebieten ebenfalls durch Bewilligung der Bundesmittel angemessen berücksichtigt werden muss. Das gleiche gilt für den Wohnungsbau auf dem Lande.

 

 

Seite 4   LA-Wohnungsbaudarlehen auch bei Grundstücksankauf

Nachdem kürzlich der Bundestag die Siebente Novelle zum Lastenausgleichsgesetz verabschiedete, ist es den Vertriebenen erneut geglückt, eine Abänderung und damit Verbesserung des Lastenausgleichsgesetzes zu erreichen. Um die Novellierungen hat sich der Abgeordnete Leukert besonders verdient gemacht.

 

Es handelt sich um Änderungen des LAG, die im Rahmen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes erfolgen werden. Eine wesentliche Verbesserung ist, das Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau künftig auch für den Erwerb eines Baugrundstückes gewährt werden können, wenn gesichert erscheint, dass das Bauvorhaben alsbald durchgeführt wird.

 

Seite 4   Zwangstausch auch für freifinanzierte Wohnungen

Für zahlreiche Mieter frei finanzierter Wohnungen hat eine Entscheidung des Landgerichts Bochum (7 T 673/55) grundsätzliche Bedeutung. Das Gericht hat festgestellt, dass auch frei finanzierte Wohnungen gegen den Willen des Vermieters getauscht werden können und dass die für den Tausch erforderliche Einwilligung durch einen entsprechenden Gerichtsbeschluss ersetzt werden kann. Bisher war die Frage, ob die einschlägige Vorschrift (§ 30 Mieterschutzgesetz) auch auf frei finanzierte Wohnungen anwendbar ist, umstritten.

 

In dem Beschluss des Landgerichts Bochum heißt es, dem Sinn und Zweck des Mieterschutzgesetzes entspreche die Anwendung jenes § 30 auch auf frei finanzierte Wohnungen. Es sei nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, das Mieterschutzgesetz zugunsten des Vermieters von frei finanzierten Wohnungen völlig außer Kraft zu setzen.

 

Seite 4   Pakete nach dem Osten zollfrei

Die Bundesgeschäftsstelle des BVD teilt mit, dass ab sofort Pakete für deutsche Angehörige in den Oder-Neiße-Gebieten zoll- und spesenfrei geschickt werden können. Deutsche in den Oder-Neiße-Gebieten, die Geschenkpakete aus dem Westen zu erwarten haben, müssen wegen der zollfreien Einfuhr dieser Pakete ein Gesuch an das Außenhandelsministerium in Warschau richten. Die Anschrift lautet: Ministerstwo Handlu Zagraniczego, Centralny Urzad Cel, Warszawa u1, Trebacka 4. In dem Gesuch ist anzuführen, welche Waren für den Eigenbedarf des Empfängers übersandt werden. Ferner muss dem Gesuch eine Bestätigung der Abteilung für Arbeit und Sozialfürsorge über die Mittellosigkeit des Antragstellers beigefügt werden. Die Angehörigen in Deutschland sind von der Genehmigung des Gesuches zu verständigen.

 

 

Seite 4   Paketdienst in die Sowjetunion

Zur Versorgung der Deutschen in der Sowjetunion hat das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Stuttgart einen Paketdienst eingerichtet, über den Pakete und Geld zollfrei in die UdSSR versandt werden können (Zentralbüro des Hilfswerks, Stuttgart-S, Stafflenbergstr. 66).

 

Seite 4   Pauschsätze für Kraftfahrzeuge

Arbeitnehmer, die mit dem eigenen Kraftfahrzeug von der Wohnung zur Arbeitsstätte fahren, dürfen die hierfür entstehenden Aufwendungen jetzt in Form von Pauschsätzen als Werbungskosten geltend machen. Diese Pauschsätze — die ja sämtliche Aufwendungen einschließlich der für die Abnutzung abgelten sollen — sind jedoch zu niedrig angesetzt worden, besonders, wenn man an die Kilometergelder von Beamten und Abgeordneten denkt. Zu beanstanden ist weiter, dass die Behandlung der Kleinwagen im Bundesgebiet uneinheitlich ist. Während eine Oberfinanzdirektion die Gleichung „Dreiräder = Motorrad" und „Vierräder = Auto" aufstellt, hat die Oberfinanzdirektion Düsseldorf erklärt, dass die ganze Gruppe der Kleinwagen zu den Motorrädern zu zählen sei.

 

Seite 4   Erst 50 Prozent der Vertriebenen eingegliedert. Sogar der Bundesvertriebenenminister höchst unbefriedigt / überschätzte Ergebnisse.

Unter dem Zitat von Abraham Lincoln „Nichts, ist geregelt, was nicht gerecht ist“, hat der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigte ein dreiundzwanzigseitiges „Memorandum zur Eingliederung der Vertriebenen“ vorgelegt, das in sieben Abschnitten von insgesamt 90 Punkten eine Bilanz der bisherigen Eingliederungsarbeit zieht und Wege aufzeigt, die zu einer Vollendung der Eingliederung führen können.

 

Das Memorandum stellt fest, dass erst 50 Prozent der Vertriebenen – vornehmlich die Arbeiter und Beamten – als eingegliedert angesehen werden könnten. 40 Prozent seien auf dem Wege zur Eingliederung, 10 Prozent jedoch stünden noch in der Anfangsphase.

 

Daraus – so sagt die Denkschrift – dürfe jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der vorgenannte aus — so sagt die Denkschrift — dürfe jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der vorgenannte Eingliederungsstand für alle Teile der vertriebenen Bevölkerung gleich ist. Zum Beispiel könnten von den Vertriebenen, die früher selbständig waren, nur 30 Prozent als eingegliedert bezeichnet werden, während sich 35 Prozent auf dem Wege dorthin befänden. Weitere 35 Prozent aber hätten heute noch nicht einmal die Möglichkeit, zur völligen Eingliederung zu gelangen.

 

„Alle Maßnahmen zugunsten der Vertriebenen" — so stellt die Denkschrift fest, „die während der letzten zehn Jahre ergriffen wurden und zu den im Ausland und in den weniger einsichtsvollen Kreisen der Einheimischen überschätzten Ergebnissen führten, haben bei weitem nicht ausgereicht, die Vertriebenen einzugliedern, ihnen die richtige Arbeit und die angemessene Wohnung sowie die Voraussetzungen für einen ungehinderten Wettbewerb mit den einheimischen Bewohnern der Bundesrepublik zu sichern", über den im LAG vorgesehenen Termin des 31. März 1957 hinaus, von dem ab ein Rückgriff auf die für die Entschädigung von Vermögensverlusten noch nicht in Anspruch genommenen jährlichen Einkommen des Ausgleichsfonds nicht möglich ist, müssen daher die staatlichen Maßnahmen zur Eingliederung der Vertriebenen fortgeführt werden. Vor allem für

die Finanzierung der Wohnungsbauten und für Zwecke der Lagerräumung, aber auch für die Finanzierung landwirtschaftlicher Eingliederungsstellen sowie von Maßnahmen zur Übernahme von Betrieben des Gewerbes und der Industrie wie auch zur Festigung neuerrichteter Betriebe werden nach den Schätzungen der Denkschrift ab 1. April 1957 im ersten Jahr 900 Millionen DM benötigt, eine Summe, die in fünf Jahren auf 500 Millionen DM jährlich absinken könnte. Das würde für die Zeit vom 1. April 1957 bis zum 31. März 1962 einen Gesamtbetrag von 3,5 Milliarden DM für Eingliederungszwecke bedeuten. In dieser Schätzung sind die Kosten für die Eingliederung der Flüchtlinge aus der DDR nicht enthalten.

 

Das Memorandum betont, eine Verzögerung der Auszahlung der Hauptentschädigung, die nach Mitteilung des Ausgleichsamtes bereits im Jahre 1958 mit 800 Millionen DM anlaufen soll, erscheine 13 Jahre nach Vertreibung nicht mehr möglich. „Daher müssen andere Quellen erschlossen werden, um die dringende staatspolitischen Aufgabe der Eingliederung der noch nicht zum Zuge gekommenen Vertriebenen so weit wie nur irgend möglich zu lösen“. Das Vertriebenenministerium deutet an, dass man dabei an Mittel aus dem Bundeshaushalt oder eventuell auch an eine Aufstockung der Einnahmen aus dem Ausgleichsfonds denkt.

 

Seite 4   Anerkennung mitteldeutscher Zeugnisse.

Berlin. Die Erste Kammer des Westberliner Verwaltungsgerichtes entschied im Prozess einer aus der Sowjetzone geflüchteten Krankenschwester gegen den Senat von Berlin auf Anerkennung ihrer Arbeitszeugnisse und Ausbildung. Die Klägerin hatte in der Sowjetzone die volle Ausbildung bis zur Krankenschwester erhalten und war anschließend ein Jahr lang praktisch tätig gewesen. Nach ihrer Flucht verweigerte ihr die Stadt Berlin die Ausstellung eines Ausweises als Schwester, da die Westberliner Vorschriften eine mindestens zweijährige Ausbildung vorsehen. In dem für alle Sowjetzonenflüchtlinge wichtigen Urteil des Verwaltungsgerichtes heißt es nun, bei der Prüfung sowjetzonaler und östlicher Urkunden, Examina usw., sollen die Behörden so weit wie nur möglich sachliche Urkunden, Entscheidungen, Fachprüfungen u.a. anerkennen. Nicht jede Prüfung sei grundsätzlich minderwertig, nur weil sie in Mitteldeutschland abgelegt sei. Auch Entscheidungen und Führerscheine aus diesem Gebiet würden ja in der Bundesrepublik anerkannt. Unzweideutig gefärbte Entscheidungen müssten natürlich von einer Anerkennung ausgeschlossen bleiben.

 

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. Nummer 4. Mai 1956

Fahrt durch Südtirol.

Deutsches Land jenseits der Alpen.

 

Lieber Heinz!

Du wirst Dich sicher wundern, von mir, den Du als schreibfaul kennst, diesen ziemlich langen Brief zu bekommen. Aber „wes das Herz voll ist, des gehet der Mund überheißt es schon in der Bibel.

 

Es hat also geklappt (von meinen Plänen schrieb ich Dir ja), mein Zeugnis war so einigermaßen, und so durfte ich meinen Vater nach Südtirol begleiten. Da ich weiß, wie gerne Du mit von der Partie gewesen wärest, will ich versuchen, so gut ich es eben kann, Dich auf diese Weise etwas zu entschädigen. Wir starteten am späten Abend in Stuttgart. Ein neuer, pfundiger Bus nahm uns auf; uns, das heißt: DJOler wie Du und ich, nur meist etwas ältere, die löbliche Führerschaft also.

 

Weil ich nicht ganz seefest bin (wie oft hast Du mich schon deshalb verkohlt), vielleicht auch, weil ich der Benjamin dieser fröhlichen Reisegesellschaft war, durfte ich ganz vorne neben dem Fahrtleiter sitzen; das war eine Sache! So weißt Du auch gleich, wenn Dir mein Brief manchmal zu gescheit vorkommt, woher ich meine Kenntnisse bezog.

 

Erst ging es durchs nächtliche Schwaben, auf der Autobahn bis Ulm. Zwar sollte ich schlafen, aber ich dachte, schlafen kannst du zuhause! In Ulm erhaschte ich von Münster nur einen grauen Schatten. Hier verließen wir die Autobahn und es ging südwärts über Memmingen, Kempten, Sonthofen an die österreichische Grenze. Ich dachte, jetzt wird es spannend, aber die Kontrolle ging rasch und schmerzlos vonstatten.

 

Trotz der Dunkelheit sah ich die Berge immer höher werden, und der Mondschein, manchmal zwischen den Wolken hervorschauend, ließ den Gipfelschnee aufglänzen. Eine Zeitlang habe ich dann doch geschlafen; als ich wieder zu mir kam, war es schon hell. Schon ging es über den Fernpass. Wie schlängelt sich hier die Straße an den von blühender Schneeheide rot überhauchten steilen Hängen entlang. Tief unten liegen dunkelgrüne Seen. Auch ein Zipfelchen der Zugspitze konnten wir erhaschen, wenn auch nur von ihrer wenig ansehnlichen Rückseite. Bald waren wir am Inn, in dessen milchig-grünem Schneewasser wir uns wuschen, um munter zu werden. Ehe ich's für möglich hielt, hielten wir in Innsbruck. Weißt Du, auf dem berühmten „goldenen Dachel“ ist recht wenig Gold; aber schön ist es doch. Gotisch, sagt mein Vater, er kennt sich darin aus. Sicher hast Du schon einmal auf einer Abbildung den Blick von der Maria-Therisien-Straße zur schneebedeckten Nordkette gesehen, die Wirklichkeit aber ist noch viel, viel schöner! Ich konnte auch „Frau Hitt", ein Felsgebilde vom Gebirgskamm aufragend, gut erkennen. Der Sage nach wurde Frau Hitt wegen ihrer Hartherzigkeit in Stein verwandelt.

 

Da wir längeren Aufenthalt hatten, besichtigten wir auch die Schlosskirche. Hier stehen die mächtigen Bronzegestalten der österreichischen Herrscher des Mittelalters, die der kunstsinnige Kaiser Maximilian, genannt der letzte Ritter, anfertigen ließ. Dann führte mich mein Vater zum Grabmal Andreas Hofers, des Tiroler Freiheitshelden, der eigentlich aus dem Passeiertal in Südtirol stammte. Hier lag ein Kranz des „Bergisel-Bundes", das ist der große Hilfsverein für Südtirol, musst Du wissen, mit dem Sitz Innsbruck. Mein Vater ist Mitglied des Bundes, heute, nach dieser eindrucksvollen Südtirolfahrt, steht das auch für mich fest! Den Südtirolern muss geholfen werden, dass sie ihre Selbständigkeit, soweit dies in einem fremden Staate sein kann, nicht nur auf dem Papier, sondern endlich auch im praktischen Leben erhalten. Und wer sollte ihnen denn in diesem Kampfe helfen, wenn wir es als nächste Brüder nicht tun!

 

Bald ging es weiter, dem Brenner zu. Und schon standen wir an der berühmten Grenzsperre, und die italienischen Zöllner in ihren schwarzen Uniformen, einer dem andern wie ein Bruder ähnlich, nahmen uns in Empfang. So rasch ging auch hier die Kontrolle vorüber, dass ich nicht einmal meine paar italienischen Vokabeln anbringen konnte. „A revederci!" schrie ich daher noch schnell aus dem fahrenden Bus dem Zöllner zu. Der Fahrtleiter nahm mich daraufhin ins Gebet: „Das musst du dir merken, wir sind hier nicht in Italien, sondern in Südtirol, und hier redet man noch ein ganz gutes Deutsch!" Davon wurde ich auch bald überzeugt.

 

Kurzen Aufenthalt nahmen wir in dem schönen Alpenstädtchen Sterzing. Seltsam muten die zweisprachigen Aufschriften an. Diese sind erst seit 1945 erlaubt, denn unter Mussolini gab es nur italienische Aufschriften. Er war es auch, der viele Süditaliener in dem reindeutschen Gebiet ansiedelte. Man begegnet heute diesen südländischen Typen auf Schritt und Tritt. Die Tiroler selbst sind ein kerniger Volksstamm, meist helläugig, oft sogar blond. Ja, denk Dir, sie führen stolz ihre Abstammung auf die Goten zurück. Und die Sagenwelt — Dietrich von Bern, Laurins, des Zwergenkönigs Rosengarten und der Name Gossensaß (Gotensitz) — könnten es beweisen. Ich glaube es gerne, denn unerschrocken und getreu wie die Goten halten die Südtiroler an ihrem Volkstum und ihrer Scholle trotz aller Lockungen des Südens fest. Dabei sind sie bescheiden und still. Du merkst ihnen die Schwere ihres Schicksals nicht an.

 

An Franzensfeste, einem alten Festungswerke aus der Kaiserzeit vorbei, gelangten wir nach Bozen. Neben uns floss schon die Eisack, die sich mit der Thalfer in Bozen vereinigt, um den gemeinsamen Weg in die Etsch zu nehmen. Die schneeigen Zacken des „Rosengartens" und der gewaltige Bergstock des Schlern stiegen vor uns auf. Im Tale blühte und grünte alles in solcher Pracht und Fülle, wie ich es noch nie sah, aber viel später als sonst infolge des langen Winters. Bozen selbst ist, soweit es die alte Stadt betrifft, auch heute noch deutsch, aber „Neu-Bozen", das über zwei Drittel ausmacht, ist ganz italienisch.

 

In den Kirchen gibt es uralte Wandbilder und Bildwerke. In den langen Laubengängen kannst Du alles kaufen, wenn Du genug Lire hast. Hier konnte ich auch Bergbäuerinnen in ihrer schönen strengen Tracht sehen, große ernste Gestalten, wie aus einer anderen vergangen Zeit herkommend.

 

Unweit von Bozen waren wir an Ort und Stelle. In Frangard liegt das „Haus an der Etsch", das neu renoviert, jetzt von der DJO gepachtet wurde. Unweit davon die alte Burg Siegmundskron. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick in das breite Bozner Tal, das die Etsch durchzieht. Endlich sah ich den Fluss, der im Deutschlandlied als Deutschlands südliche Grenze genannt wird. Ein erhebendes Gefühl, über und über blühte, soweit man sehen konnte, der Talboden weiß und rosa. Nach kurzer Rast, weil das Wetter so schön war, ging es auf den Penegal, das ist der 1700 m hohe Hausberg von Eppan, dem größeren Nachbarort. Vom Mendelpass aus stiegen wir noch eineinhalb Stunden lang, an steilen Abstürzen vorbei, auf den noch schneebedeckten Gipfel. Vor uns tat sich ein Blick ins Land auf, wie Du ihn Dir nicht schöner vorstellen kannst, bis hin zu den Dolomiten. Unsere geplante Fahrt in die Dolomiten selbst musste leider wegen Lawinengefahr ausfallen. So wanderten wir am nächsten Tage zum Montiggler-See, der mitten im Walde liegt. Hier steht im Sommer das Zeltlager der DJO. Dort müssten wir einmal gemeinsam hin!

 

Ein alter Bauer, den wir trafen, erzählte uns von der schweren Not der vergangenen Jahrzehnte. Weniger eine Not um Brot, denn Südtirol ist ein reiches, fruchtbares Land, sondern weil damals alles Deutsche verpönt und verboten war, sogar die Grabinschriften mussten italienisch sein. Deutsche Schulen gab es nur im Verborgenen, die sogenannten Katakombenschulen, die von tapferen Geistlichen abgehalten wurden. Jetzt gibt es wohl deutsche Schulen, aber noch längst keine Gleichberechtigung. Wie glücklich waren alle Südtiroler, die wir trafen, dass sie mit Deutschen aus dem großen Vaterlande reden durften, wie ihnen ums Herz ist.

 

Rasch verflogen die vier Tage und es hieß Abschied nehmen. Diesmal ging es über Meran, das herrlich zwischen hohen schneebedeckten Bergen liegt, und von dort weiter durch den Vintschgau zum Reschenpass. Ein Blick auf den Ortler war uns doch vergönnt, obwohl es ziemlich wolkig war. Einmal dort oben sein können und bei klarer Sicht über die Gipfel schauen dürfen.

 

Vorüber an alten Kirchen und Gebirgsdörfern ging es der Grenze zu. Noch einmal schauten wir zurück. lch war wie in einem Traum und schwor mir im Stillen, dieses schöne deutsche Land mit seinen treuen Menschen nie zu vergessen und, so viel ich kann, mitzuhelfen, dass es sein deutsches Gesicht behält. Dein Helmut  

 

Seite 5   Haus an der Etsch. DJO schuf eine deutsche Herberge in Südtirol.

Federzeichnung: Burg Siegmundkren/Südtirol. Blick in das Etsch-Tal.

Mit einem Gemeinschaftsabend mit Jungen und Mädeln aus Südtirol wurde am 1. Mai das von der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) am Stadtrand, von Bozen geschaffene neue „Haus an der Etsch" vom Landesvorstand der DJO Baden-Württemberg seiner Bestimmung übergeben. Das in einer idyllischen Lage inmitten von Weinbergen und Obsthamen gelegene moderne zweistöckige Haus soll nicht nur jungen Deutschen aus der Bundesrepublik, vornehmlich Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, auf Fahrten und Wanderungen durch Südtirol Stützpunkt und Herberge sein, sondern auch der Südtiroler Jugend für ihre heimat- und volkspolitische Arbeit jederzeit offenstehen. In Südtiroler Kreisen wird dieses erste deutsche Haus in Südtirol wärmstens begrüßt, schon deshalb, weil die Jungen und Mädel der Deutschen Jugend des Ostens ein großes Verständnis für den Südtiroler Volkstumskampf aufbringen und das harte Schicksal dieser schwergeprüften Volksgruppe mittragen helfen wollen, soweit sie durch die Errichtung dieses Hauses dazu in der Lage sind. Auch in diesem Sommer wird die DJO wieder ein großes Zeltlager in der unmittelbaren Nähe des „Hauses an der Etsch" in zehn Etappen durchführen.

 

Unser Kogge-Leser Helmut hatte das Glück, an einer der ersten Fahrten zum „Haus an der Etsch" im Mai teilzunehmen. Seine Eindrücke hat er in dem nebenstehenden Brief an seinen Freund Heinz und einer Reihe von Federzeichnungen festgehalten, aus denen wir die Burg Siegmundskron im Etschtal zur Veröffentlichung ausgewählt haben.

 

Über die Fahrtmöglichkeiten und die Teilnahmebedingen zu dem großen DJO-Zeltlager am Montiggler-See bringen wir auf Seite 5 der „Kogge“ einen ausführlichen Bericht.

 

Seite 5   Aus Bund und Gruppen. Zeltlager in Südtirol.

Am schönsten und wärmsten See in Südtirol führt das „Haus an der Etsch" in Verbindung mit der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) ein Sommerlager durch, das von Ende Juni bis Anfang September dauert. Hieran können alle Jugendlichen teilnehmen, auch solche, die keinen Jugendverbänden angehören. Das Zeltlager entspricht allen gestellten Anforderungen. Es liegt direkt am See und ist mit festen sanitären Anlagen ausgestattet. Die Zelte haben Luftmatratzen. Ein fester Bau ergänzt die Ausstattung des Lagers.

 

Schwimmen, Rudern, Wasserspiele, Bergwanderungen, Fahrten (auch an die Gardoner Rivera) und Gemeinschaftsabende am Lagerfeuer in schönster Landschaft des Südens bringen die rechte Urlaubsfreude.

 

Das Sommerlager wird in folgende Etappen eingeteilt:

 

29. Juni bis 10. Juli; 4. Juli bis 15. Juli; 10. Juli bis 21 Juli; 15. Juli bis 26. Juli; 21. Juli bis 1. August; 26. Juli bis 6. August; 1. August bis 12. August; 6. August bis 17. August; 12. August bis 23. August; 17. August bis 28. August.

 

Aus dem Raume Baden-Württemberg fahren zu den einzelnen Terminen Omnibusse, mit denen Fahrtmöglichkeit besteht. Die Kosten für diese Sommerfahrt betragen einschließlich Fahrt, Verpflegung und Unterkunft für 12 Tage, eine Fahrt an den Gardasee und in die Dolomiten mit einheimischer Betreuung:

 

ab Stuttgart: 118,-- DM

ab Heidelberg: 126,-- DM

ab Karlsruhe: 122,-- DM

ab Freiburg: 118,-- DM

ab Ulm: 113,-- DM

ab Göppingen: 115,50 DM

ab Uberlingen: 111,50 DM

ab Stockach: 112,25 DM

 

Aus den übrigen Landesverbänden werden verbilligte Fahrten zu diesen Abfahrtspunkten organisiert.

 

Anfragen und Anmeldungen an: Friedl Geyer, Stuttgart S, Charlottenplatz 17/II, Zimmer 121.

 

„Preußenfahrt" zum Montiggler-See.

Die Landesspielschar der ost- und westpreußischen Jugend Stuttgart unter der Leitung von Alfred Rieß startet vom 17.08. bis 23.08.1956 eine Sonderfahrt, zu der alle ost- und westpreußischen Jungen aus dem Lande Baden-Württemberg herzlich eingeladen werden. Diese Fahrt läuft unter dem Motto „Preußenfahrt". Kosten für Fahrt, Verpflegung, Unterkunft — einschl. je einer Fahrt zum Gardasee und den Dolomiten — ab Stuttgart für volle 12 Tage 118,-- DM. Zusteigemöglichkeiten sind unterwegs gegeben.

 

Meldungen von Interessenten an Alfred Rieß, Stuttgart-Bad Cannstatt, Martin-Luther-Straße 80.

 

Gegen einen Aufpreis von ca. 25 bis 80 DM besteht die Möglichkeit, nach Venedig zu fahren.

 

Seite 5   DJO-Landesgruppe Niedersachsen im Landesjugendring

Als letzte Landesgruppe im Bundesgebiet ist dieser Tage die Landesgruppe Niedersachsen der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) in den Landesjugendring aufgenommen worden. In Niedersachsen war bisher die Aufnahme der DJO vorwiegend am Widerstand der sozialistischen Jugendorganisationen des Landesjugendringes Niedersachsen gescheitert.

 

Bundestreffen der Westpreußen

Westpreußische Jungen und Mädchen, die zum Bundestreffen der Westpreußen am 7. und 8. Juli nach Hannover kommen wollen und die wünschen, dass die DJO-Bundesgruppe für sie ein einfaches Hotelquartier bestellen soll (Preis etwa 2,50 bis 3,-- DM), müssen sich bis zum 15. Mai bei der DJO Bundesgruppe Westpreußen, Bonn, Leipziger Straße 3, anmelden.

 

Bundesjugendtag verschoben

Wegen der am 13. Mai im Saargebiet stattfindenden Gemeindewahlen muss der ursprünglich für den 5./6. Mai geplante Bundesjugendtag der DJO (Jahreshauptversammlung), der in diesem Jahr in Saarbrücken durchgeführt wird, auf den 16. /17. Juni verschoben werden.

 

Für unsere Leseratten

Liebe-Leseratten!

Heute sind wir mit unserem Gespräch afi ein kleines bescheidenes Plätzchen gedrängt worden, auf dem wir uns begnügen müssen. Hanns, unser Steuermann, hat alle Segel auf Kurs Südtirol setzen lassen, und ganz bewusst nicht allein wegen der Herrlichkeit dieser Landschaft und der sich hier bietenden Möglichkeit einer Erholung.

 

Den tieferen Sinn werdet Ihr sicher empfunden haben. Ein Buch ist es, mit dem ich Euch heute bekannt machen möchte und das Euch in die ganz entgegengesetzte Richtung versetzen wird:

 

den Ost- und Westpreußischen Sagenborn, Neu erzählt von Jochen Schmauch, mit zahlreichen Textillustrationen versehen, mit festem, mehrfarbigem Einband, erschienen im Verlag „Volk und Heimat", München, 68 Seiten, DM 3,90.

 

In Märchen, Sage und Lied spiegelt sich die Seele eines Volkes. In dieser Sammlung scheint sie uns in einzigartiger Weise eingefangen, eine Ballade aus Geschichte und Legende, Wissen und Glauben, Gottes- und Geisterwelt. Eine köstliche Probe, die Sage vom „Domnauer Dittchenbrot", haben wir für Euch ausgewählt und auf Seite 2 der „Kogge" abgedruckt. Der Erzähler versteht es meisterhaft, die oft erblindeten alten Quellen zu neuem Leuchten zu erwecken, ein Unterfangen, das nur in seltenen Fällen ohne Verlust an Ursprünglichkeit gelingt. Ein Buch, das eigentlich jeder Kogge-Fahrer in seinem Marschgepäck haben müsste, gewissermaßen als Reiseführer zu uns selbst. Euer Gert

 

Seite 5   Mit Büchern auf Fahrt!

Das große Fahrt- und Lager-Handbuch

400 Seiten, Fotos, Farbtafeln, 200 Abbildungen.

Ein großartiges Nachschlagewerk für alle Fahrt- und Lagertechniken. Von der Fahrtenvorbereitung bis zum Morseapparat, Baustil, Kochrezepte, Zeltbau, Kompasskunde usw. Dazu ein komplettes Lager-Programm für 4 Wochen. DM 4,80

 

Waldläufer-Handbuch I u. II

Jeder Band 330 Seiten, 300 Abbildungen . Diese beiden Taschenbücher zeigen gründlich alle Kenntnisse und Handfertigkeiten, die ein echter Junge und Pfadfinder beherrschen muss. Jeder Band in sich abgeschlossen, je DM 4,80

 

1000 Jugend-Spiele

Spielhandbuch für Jungen und Mädchen, für Heim und Sportplatz. 360 Seiten, 500 Abbildungen. Mit diesem weitverbreiteten Spielhandbuch ist Langeweile unmöglich! 1700 Spiele aller Art mit über 3600 Anregungen! DM 4,80

 

Beliebte ostpreußische Jugendbücher!

Wolf der Struter

von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Deutschen Ritterordens in Preußen. DM 3,80

 

Tatarensturm

von Max Worgitzki. Geschichtliche Erzählung aus der Zeit des Großen Kurfürsten, die den Einfall der Tataren schildert. DM 3,80

 

Ost- und Westpreußischer Sagenborn

von Jochen Schmauch. Auf 68 Seiten die schönsten Sagen unserer Heimat, mit zahlreichen Illustrationen versehen. DM 3,90

 

Diese und alle anderen Jugendbücher durch

Ostpreußen-Buchdienst, Elchland-Verlag Göttingen / Postfach

 

 

Seite 6   Wolf der Struter. Erzählung aus der Zeit des Deutschritterordens in Ostpreußen.

3. Fortsetzung

„Jörge", sprach Wolf zu ihm, „Herr Henke und ich haben Rats gepflogen, was mit dir geschehen soll, bis du ein Mann bist und dein Leben in deine eigenen Hände zu nehmen vermagst. Wir wissen eine gute Stadt für dich. Herr Henke hat in Thorn einen Bruder wohnen, den ehrsamen Zunftmeister Herrn Mattes Henke. Er wird dich mit Freuden in sein Haus aufnehmen, und dann magst du ein Handwerk erlernen oder die gelehrte Schule besuchen, wie du willst“.

 

„Ich will bei Euch bleiben!" entgegnete Jörge, demütig bittend und doch fest entschlossen.

 

Herr Henke lachte, dass die Wände dröhnten.

 

„Der Teufelsjunge will ein Struter werden, Wolf!"

 

Wolf aber fuhr ganz erschrocken auf: „Bei mir willst du bleiben? Jörge, weißt du, was das Leben eines Struters wert ist?"

 

„Ja. Darum gehe ich mit Euch!" „Unmöglich, Junge. Weißt du, dass ich nicht nur Wolf heiße, sondern auch ein rechter Wolf bin? Ich habe weder Haus noch Herd. Mein Heim ist die Wildnis, und mein Lager bald hier, bald dort auf rauher Erde, im dunklen Gestrüpp. Immer bin ich dem Feind auf der Spur und immer zugleich von ihm gehetzt. Mein einziger Begleiter ist der Tod! Weißt du das?"

 

„Ich weiß es. Und gerade darum gehe ich mit Euch!"

 

Jetzt sah sich Wolf am Ende seiner Kunst und schickte ratlos einen hilfeheischenden Blick zu Herrn Henke herüber. Gerade wollte dieser gutmütig polternd losbrechen, da fuhr Jörge in seltsam stillem Ernst zu sprechen fort:

 

„Ich werde meinen Vater und die Brüder rächen!“

 

War's die Art, wie sie gesprochen wurden, waren es die Worte selbst, Herrn Henke war plötzlich das Lachen und Poltern vergangen, und totenstill wurde es in dem Raum. Dann erklang aufs Neue die Stimme des Struters, schlicht und schwer:

 

„Ein Christ spricht: Die Rache ist dein, mein Gott und Herr!"

 

Es zuckte über das Gesicht des Knaben, und hastig stieß er hervor:

 

„Dann nennt es nicht Rache, nennt es Kampf, Heidenkampf! Was ich will, weiß ich, und ich tue es!"

 

„Und wenn ich mich weigere, dich mit mir zu nehmen?"

 

Der Knabe senkte das Haupt und entgegnete leise, doch ohne zu zögern:

 

„Dann gehe ich allein!"

 

Der Struter schaute lange in zwiespältigem Gefühl auf das blonde Haupt vor ihm herunter. Unmut und warme Freude stritten heftig in seiner Brust. Dann legte er in jähem Entschluss seine Rechte auf die Schulter des Knaben und sagte kurz „Komm!"

 

Am Tore des Ringwalls verabschiedete Herr Henke seine beiden Gäste. „Glückliche Fahrt! und lasst euch nicht von einem Häher erwischen. Sonst weiß es bereits morgen die ganze Wildnis, dass der Wolf sich ein Junges zugelegt hat. Lebt wohl, Wolf und Wolfsohn!" Wolf drückte dem munteren Manne lachend die Hand, und auch über das verhärmte Gesicht des Knaben huschte ein heller Schein. Denn beide hatten ihre Freude an dem lustigen Wort.

 

Aber es muss wohl doch auch ein Häher die Rede des Wartsmannes vernommen haben. Denn nicht lange, so klang es in der Tat durch die ganze Wildnis, an den Lagerfeuern der Struter, wie in den Dörfern der Sudauer: Wolf und Wolfsohn! Der Wolf hat ein Junges! Nur schloss der Ruf dort mit einem Heil und hier mit einem Wehe.

 

Wolf hatte seine Pferde dem Stall der Wachtbude anvertraut. Die Wildnis war kein Tummelplatz für Rosse. So zog er denn zu Fuß des Weges und Jörge an seiner Seite. Das ergab eine lange und beschwerliche Wanderung. Wolf aber war fürsorglich bedacht, das Maß seiner Schritte dem seines jungen Gesellen anzupassen, und Jörge war über seine Jahre groß und kräftig. Das harte Bauerngeschlecht an der Heidengrenze zog sich auch ein früh gehärtetes Jungvolk heran. So fanden sich die beiden Wanderer gut zusammen und kamen rüstig vorwärts.

 

Am nächsten Tage folgten sie aufs Neue dem Lauf der Roduppe und drangen weit und immer weiter in die Wildnis ein. Die zweite Rast hielten sie am Ufer eines großen stillen Waldsees, dem die Roduppe entsprang. Und auch den dritten Tag wanderten sie unermüdlich, über sanfte Hügel, durch enge Schluchten, an Seen entlang und an Bächen und Flüssen, bis in den Abend hinein. Endlich machte Wolf am Fluss einer kleinen steilen Kuppe halt. Er sandte einen sichernden Blick rundum und horchte sorgsam in die tiefe Stille, dann wandte er sich lächelnd an seinen jungen Gesellen. „So! Da sind wir angelangt! Nun, was sagst du zu unserer Burg?" Jörge schaute erstaunt um sich, er sah den steil ansteigenden Hang vor sich, vom Gesträuch der Hasel und des Kaddicks bedeckt, er sah gewaltige Riesen, Eichen und Buchen zum Himmel emporstreben, aber nichts, was einer menschlichen Behausung ähnlich gewesen wäre. Ratlos blickte er schließlich zu Wolf auf. Der lachte. „Ja, ein schönes, spitzes Dach, einen hohen Turm und blinkende Fenster darfst du freilich in der Wildnis nicht suchen. Der Wolf haust im Dickicht, und die Erde ist seine Bettstatt. Und Wolfsohn wird sich daran gewöhnen müssen. Doch nun komm, und nicht zu früh verzagt! Es ist alles da, nur eben — wolfsmäßig."

 

Sie erstiegen den Hang, wanden sich durch das Gestrüpp und hielten nun vor einer klafterstarken Eiche. Sie mochte uralt sein, und so manchen Ast hatte sie im Kampf mit dem Sturm verloren. Aber der Stamm stand gerade und unerschüttert auf seinen dicken, knorrigen Wurzeln.

 

Jörge ließ seinen Blick an der rauen Rinde zur Höhe klettern. „Nein, mein Junge, da kannst du doch nicht hinauf“, sagte Wolf. „Es tut auch nicht not“.

 

Er bückte sich, griff in den Moosteppich, der über die Füße des Riesen gebreitet war, und hob an einem eisernen Ring eine Falltür hoch. „Bitte, nur hineinspaziert!"

 

Wolf wies mit der Hand einladend auf das gähnende Loch, und Jörge zögerte nicht, den Sprung zu wagen. Sogleich aber umfing ihn grabkühle Finsternis und legte sich schwer auf seine Brust. Wolf war ihm gefolgt und hatte die Tür zufallen lassen. „Stehenbleiben!" rief er. Dann hörte Jörge, wie Stahl an Stein schlug, Fünkchen sprühten auf, ein Flämmchen erglomm, und alsbald breitete eine dicke Kerze gastlichen Schein durch das seltsame Gemach. Wolfs Stimme aber erfüllte es vollends mit Frohsinn und Herzlichkeit.

 

Alle Bangigkeit war von Jörge gewichen. Ach, sie gefiel ihm ausgezeichnet, diese Wolfshöhle. Da ließ sich gewiss vortrefflich wohnen. Sie war geräumig wie eine Bauernstube. Wände, Decken und Fußboden waren mit Wisenthäuten bekleidet. Ein Tisch war da, eine Bank und ein breites Ruhelager, für das Meister Petz sein weiches Fell hatte hergeben müssen. Sogar ein kleiner Herd aus Lehm stand breitspurig in seiner Ecke.

 

Das war wirklich ein kunstvoller Bau, den sich Wolf unter den Wurzeln der alten Eiche angelegt hatte. Das Alter hatte den Stamm ausgehöhlt und so die schönste Esse für den Herd geschaffen. Ganz hoch oben entwich der Rauch durch ein Astloch ins Freie. Und wenn das Feuer nur mit ganz trockenem Holz genährt wurde, dann war er so hauchfein, dass er nicht zum Verräter werden konnte.

 

„Und nun", sagte Wolf, als sie alles eingehend betrachtet und gewürdigt hatten, „kommt das Wichtigste“.

 

Er schob an der hinteren Wand einen Fellvorhang zur Seite, und es öffnete sich der Eingang zu einer zweiten Höhle. Fortsetzung folgt

 

Seite 6   Gedenkblatt des Monats. E. Th. A. Hoffmann genannt „Gespensterhoffmann“

Der als „Gespensterhoffmann" in die deutsche Literatur eingegangene Ernst Theodor Hoffmann wurde am 24.01.1776, vor 180 Jahren, in Königsberg, dem „Paradies aller Sonderlinge", wie er selbst die Stadt am Pregel genannt hat, geboren. Aus Verehrung für Mozart gab er sich später selbst noch den Vornamen Amadeus.

 

Wir begegnen in Hoffmann einer universalen Künstlernatur, wie sie ganz selten geschenkt wird. Nicht allein als Dichter, welcher der zeitgenössischen Strömung in seinen Werken formvollendeten Ausdruck verlieh, sondern mit gleichem Erfolge auch als Maler und Musiker wirkte er in nachhaltiger Weise auf seine Zeit und noch weit darüber hinaus. Daneben war er ein hervorragender Jurist von peinlicher Gewissenhaftigkeit und ausgeprägtem Gerechtigkeitsgefühl. Seine berufliche Tätigkeit führte ihn weit im Lande herum: Glogau, Berlin, Plozk, Warschau, das damals zu Preußen gehörte. Nachdem er infolge der unglücklichen Ereignisse von 1806 Amt und Würden im Staatsdienst verlor, wirkte er als Musikdirektor in Bamberg. Hier errang er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften auch seine ersten wesentlichen literarischen Erfolge, die satirische Schilderung „Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza", die „Geschichte vom verlorenen Spiegelbild" und die „Abenteuer in der Sylvesternacht", die letzteren beiden gaben zusammen mit den gruseligen Erzählungen „Der Sandmann" und „Rat Krespel" den Stoff für die bekannte Offenbadische Oper „Hoffmanns Erzählungen".

 

Leipzig und Dresden sind die nächsten Stationen, wo er ebenfalls als Kapellmeister tätig war, bis es ihm nach den Befreiungskriegen gelang, wieder in den preußischen Staatsdienst zu treten (seit 1816 Kammergerichtsrat in Berlin).

 

Die „Phantasiestücke in Callots Manier, Blätter aus dem Tagebuch eines reisenden Enthusiasten" (1814 - 1815) zeigen Hoffmann auf der Höhe seines Schaffens. Jaques Callot war ein französischer Kupferstecher, der durch seine phantastisch-humoristischen, grotesken Zeichnungen Hoffmanns verwandtes Wesen besonders anzog. Die Mischung von Spott, greller Realistik und der Hang, alle Dinge romantisch zu sehen und spukhaft zu empfinden, zeigt sich mehr oder weniger in allen Dichtungen Hoffmanns, am stärksten wohl in seinen „Elixieren des Teufels". In seinen Phantasiestücken sind die schönen Erzählungen „Kreisleriana", „Ritter Gluck" und „Don Juan", die uns den Musiker Hoffmann verraten, enthalten.

 

In Berlin unterhielt er fruchtbare freundschaftliche Beziehungen mit Brentano, Fouqué, Chamisso und vor allem mit dem genialen, geistvollen Schauspieler Devrient, mit dem er viele Nächte im Weinkeller von Lutter und Wegner verbrachte. Die ungewöhnliche Lebensweise, mit der er die Nächte zum Tag machte, verzehrten frühzeitig die Kräfte des Dichters. Er starb im 46. Lebensjahr am 25. Juni 1622 in Berlin.

 

Seite 6   Das Domnauer Dittchenbrot

Kleine Städte wie Domnau mag es in Ostpreußen viele geben, aber halten wir uns an das eine, das in der Nähe von Königsberg liegt und weithin berühmt ist. Denn was sich in dieser Stadt alles ereignete, reicht aus, die Chronikbücher sämtlicher Städte und Dörfer des alten Preußenlandes zu füllen. Es scheint, als sei das Städtchen von den Nachkommen Till Eulenspiegels besiedelt worden und als hätten die Siedler sich ihre Frauen aus dem berühmten Schilda geholt, so dass Eulenspiegeleien und Schildbürgerstreiche an der Tagesordnung waren.

 

Wie gesagt: randvoll ist die Chronik von Domnau mit Späßen und Streichen gefüllt, und eine Handvoll davon genügt, um die unverkennbare Eigenart seiner Einwohner und ihren Ruhm im ganzen Land aufzuweisen.

 

Zu der Zeit, da es noch Galgen gab und Mörder, Räuber und Diebe an ihren Querbäumen aufgeknüpft wurden, erwischte die stets wachsame Domnauer Polizei einen Mann, dem nach einen schweren Einbruch der Ausbruch nicht recht gelingen wollte, da er zu sehr bepackt war. Der Amtsdiener fasste ihn am Kragen und führte ihn mit diebischer Freude dem Bürgermeister vor, der den Ertappten nach reiflicher Prüfung zum Galgen verurteilte. Da nun ein solcher Fall lange nicht vorgekommen war, machte sich am anderen Morgen der Bürgermeister mit seinem Magistrat selbst auf den Weg, um sowohl der Richtstätte ein würdiges Aussehen zu geben, als auch dem Verurteilten keinen Zweifel an der ernsthaften Absicht der Stadtväter zu lassen. Viel Volk hatte sich, wie es bei solchen Gelegenheiten stets der Fall ist, auf dem Galgenberg versammelt und erwartete den Augenblick, da der Schuldige sein letztes Wort sprechen und seinen Geist, sofern er einen hatte, aufgeben würde. Das Todesurteil wurde noch einmal vor aller Ohren verlesen, und der zum Galgen Verdammte nach seinem letzten Wunsch gefragt.

 

Demütig antwortete der Gefragte, die hohen Herren sollten ihm Geld und Gelegenheit geben, vor seinem Hinscheiden noch einmal ein Domnauer Dittchenbrot kaufen und essen zu dürfen.

 

Der Bürgermeister mitsamt seinem Magistrat war von dieser Bitte überrascht und geschmeichelt. In ihrer Weisheit erkannten die Väter der Stadt, das es für einen Menschen nicht gut sei, mit leerem Magen in den Tod zu gehen, und waren gerührt, dass der Betroffene angesichts des Todes keinen sehnlicheren Wunsch hatte, als ein Dittchenbrot aus Domnau zu essen, auf dessen Güte die ganze Stadt stolz war.

 

Der Bürgermeister händigte darum in einer Aufwallung von Milde dem Bittsteller höchstpersönlich ein Dittchen aus und ließ ihn in die nächste Bäckerei gehen, um das ersehnte Brötchen zu erstehen, indes er und seine Ratgeber auf sein Wiederkommen warten wollten.

 

Der Gefangene dankte unterwürfig für die große Gnade, versprach auf der Stelle zurückzukehren, machte sich auf den Weg, kaufte bei einem Bäcker, der ganz in der Nähe des Stadttores wohnte, ein Dittchenbrot, steckte es als Wegzehrung in seine Tasche und lief davon, nicht ohne den am Richtplatz versammelten zuzurufen:

 

„Dank, Domnauer, ferr't Dittchenbrot!"

 

So sahen sich Bürgermeister, Magistrat und Gemeinde um ein Dittchenbrot und einen Dieb betrogen, kehrten missmutig und erbost in ihre Häuser zurück und schwuren, den nächsten Dieb, den sie ertappen sollten, am Tatort aufzuhängen.

 

Von der Zeit an gab es in Domnau weder Diebe noch Dittchenbrote. (Aus „Ost- und Westpreußischer Märchen- und Sagenborn“. Erzählt von Jochen Schmauch, Verlag Volk und Heimat, München).

 

Seite 6   Weißt du ...

… dass die Schichau-Werft in Elbing den ersten eisernen Schraubendampfer der Welt nach Plänen Ferdinand Schichaus baute, der übrigens, außer in Elbing, auch Werften in Danzig und Königsberg gründete.

 

… dass die Tucheler Heide in Westpreußen größtenteils ein Aufforstungsgebiet ist. Wo heute riesige Kiefernwälder sind, gab es vor 200 Jahren fast nur Sand.

 

 

Seite 7   Menschen – Wege – Schicksale. 

Das 100000. Suchkind die Mutter wiedergefunden.

Neumünster. Einem roten Käppchen hat es Frau Rohmann zu verdanken, dass sie ihre Tochter Edeltraut nach elf Jahrein wieder in die Arme schließen konnte. Seit ihrer Flucht aus Ostpreußen hatte das jetzt 13-jährige Mädchen bei einer Pflegemutter in Dassow (Mecklenburg) gelebt. Dieser Tage konnte die Frau ihre Tochter in ihre zweite Heimat nach Neumünster holen. Das Kind war zugleich das 100 000., das der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes nach dem Kriege gefunden hat.

 

Frau Gertrud Rohmann hatte ihre zweijährige Tochter im Januar 1945 in Ostpreußen Verwandten mitgegeben, die mit der Eisenbahn nach Westen flüchteten. Sie selber verließ ihren Hof mit einem großen Treck. Diese Strapazen wollte sie ihrer kleinen Tochter ersparen. In Mitteldeutschland sollten Mutter und Kind wieder zusammentreffen.

Edeltraut erkrankte jedoch während der Bahnfahrt und musste in Kolberg in ein Lazarett gebracht werden. Nach ihrer Genesung kam sie auf ein Transportschiff, das aber in der Lübecker Bucht durch Bomben versenkt wurde. Das Mädchen wurde gerettet und von einer kinderlosen Frau in Dassow aufgenommen. Die Frau ließ das Kind beim Suchdienst registrieren und gab dabei ein rotes Käppchen als Erkennungsmerkmal an.

 

Frau Rohmann war die Flucht aus Ostpreußen nicht geglückt. Die sowjetischen Truppen hatten ihren Treck überrollt. Sie verbrachte drei Jahre in Lagern und Gefängnissen in Ostpreußen, ehe sie nach Westdeutschland reisen durfte. Hier ließ auch sie ihre Tochter beim Suchdienst registrieren und gab ebenfalls das rote Käppchen als Erkennungszeichen an.

 

Vor einigen Wochen schrieb der Suchdienst Frau Rohmann, dass Edeltraut mit großer Wahrscheinlichkeit gefunden ist. Viele behördliche Hindernisse waren noch zu überwinden, ehe einwandfrei feststand, dass das Kind in Dassow ihres war. Dann fuhr die Mutter nach Mecklenburg, um ihre Edeltraut zu holen.

 

Seite 7   Ostpreuße als Stadtdirektor gewählt.

Melle. Am 1. Mai trat der Stadtdirektor Franz Mietzner in den Ruhestand. Mietzner ist Ostpreuße und wirkte in den letzten Kriegsjahren als Bürgermeister von Heiligenbeil. Sein Nachfolger in Melle, Kreisoberinspektor und Diplom-Kommunalbeamter Herbert Zeise ist 1912 in Insterburg/Ostpreußen geboren, besuchte die höhere Handelsschule und die Verwaltungsakademie und legte die Inspektorenprüfung in Allenstein/Ostpreußen ab. Im zweiten Weltkrieg, den er von Anfang an mitmachte, wurde er fünfmal verwundet, erhielt höchste Tapferkeitsauszeichnungen und geriet als Hauptmann bei einer Panzeraufklärungsabteilung in amerikanische Gefangenschaft. Im Juli 1945 fand er seine Frau in Bad Pyrmont wieder; sie war inzwischen aus Ostpreußen geflüchtet. Zeise arbeitete dann in Höxter in der Kreisverwaltung, wurde bald Kreisoberinspektor und leitete das Rechnungs- und Prüfungsamt. An der dortigen Berufsschule bildete er Verwaltungs- und Sparkassenlehrlinge aus.

 

Herbert Zeise betreibt trotz seiner zahlreichen Verwundungen eifrig Sport und erwarb sich im letzten Jahre das Goldene Bundessportabzeichen. Zu seiner Benennung als Stadtdirektor kam es durch eine geheime Wahl im Rat der Stadt Melle. Drei Bewerber waren in die engere Wahl gezogen worden, zwischen denen es sich vor einigen Wochen zu entscheiden galt. Ausschlaggebend war ein Kurzreferat über ein kommunalpolitisches Thema. Da aber alle drei Bewerber diese Aufgabe vorzüglich lösten, fiel die Entscheidung sehr schwer. Zeises Thema hieß „Was hat die Stadt in planerischer und finanzieller Hinsicht in Zukunft zu beachten?" Die Sitzung des Stadtrates dauerte fünf Stunden; es war eine genaue und vollständige Prüfung, die zur Benennung Zeises zum Stadtdirektor führte.

 

Seite 7   Lebensroman einer ostpreußischen Bäuerin. In Ostpreußen sind die Kirchen voll von Deutschen.

„Wenn Sie heute nach Ostpreußen kommen, da finden Sie die Kirchen voller Menschen. Sie knien alle nieder und bitten inbrünstig um eine Erlösung“. Frau Auguste S., die das berichtet, ist kürzlich erst aus Ostpreußen nach Wittingen gekommen. Dort lebt ihre Familie, von der sie seit elf Jahren getrennt war. Die einzige Verbindung bildeten in den letzten Jahren Briefe, die aber zuweilen monatelang unterwegs waren. Man muss einmal zurückdenken — elf Sommer, elf Winter, sich vor Augen halten, wieviel Gutes und Beglückendes man selbst in diesen Jahren doch schließlich erlebt hat, und dann muss man versuchen, sich das nicht enden-wollende Warten und Hoffen dieser ostpreußischen Bäuerin vorzustellen. Und so, wie es Frau Auguste S. erging, geht es noch vielen anderen, die immer noch in der alten Heimat leben und auf ein Wiedersehen mit ihren Angehörigen und Freunden hoffen. In dem Dorfe, aus dem Frau S. kommt, leben 45 deutsche Familien. 20 polnische Familien wurden nach dem Kriege angesiedelt, die es aber wieder in ihre polnische Heimat zieht. Es ist ihnen aber nicht erlaubt, zurückzukehren; sie hoffen, dass die Deutschen bald wieder nach Ostpreußen kommen.

 

Auguste S. ist es nicht anzusehen, was sie in den letzten elf Jahren an körperlicher und seelischer Pein erdulden musste. Ungebrochen und leuchtenden Auges dankt sie ihrem Schöpfer, dass es ihr vergönnt ist, nun doch noch nach all der Not mit ihrer Familie vereint zu sein. Kein Wort des Jammers und der Klage mischt sich in ihren Bericht. Und sie hätte wahrlich Anlass genug, mit ihrem Schicksal zu grollen. Sie wurde im Jahre 1898 im Kreise Treuburg in Ostpreußen geboren und wuchs sorglos und heiter im Kreise ihrer drei Geschwister auf dem 300 Morgen großen Hof des Vaters auf. 1924 heiratete sie und wurde nun selbst Bäuerin und bewirtschaftete mit ihrem Mann 100 Morgen Land. Aber diesem ruhigen Glück war keine lebenslängliche Dauer beschieden. Das Kriegsende brachte über die Familie unendliches Leid. Die Flucht gelang nicht, denn in Eis und Schnee kommt man nicht gut vorwärts und die Russen holten Mutter S. mit ihren drei Kindern ein. Zwar konnten sie auf einem Bauernhof unterkommen, aber die Kinder wurden verschleppt. Erst später erfuhr Auguste S., dass ihre einzige Tochter — sie war 18 Jahre alt — in Pr.-Eylau jämmerlich an Hungertyphus zugrunde gegangen war. Und die beiden Söhne von 15 und 16 Jahren konnten vor einigen Jahren glücklicherweise in die Bundesrepublik gelangen, aber die Mutter wusste lange nichts von ihnen. Es waren unvorstellbar harte Jahre für sie, da es kaum zu essen gab; das Land musste mit dem Spaten bearbeitet werden, da keine Maschinen mehr da waren, und das gedroschene Getreide wurde abgeholt. Als es in dieser Hinsicht schließlich etwas besser geworden war, wurden die Deutschen zur Option für Polen gedrängt. Wer aber optierte, konnte damit seine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den in Deutschland lebenden Verwandten begraben. Wer nicht optierte, hatte unzählige Peinigungen zu erdulden.

 

Trotz allem ließ sich Frau Auguste nicht unterkriegen und ist glücklich, ihren Mann und ihre Söhne wiederzuhaben.

 

Seite 7   Miene Ohlke /Sophie Rodel

Foto.

Schriewe sull eck on von miene ostpreißische Heimat vertelle? Na, wenn schon schriewe, denn well eck von miene Ohlke vertelle.

 

Nu ware ju aller mie froage: „Wer best ejentlich? On best ok werklich en Ostpreiße to hus?“ „Joa, denn well eck gliek Antwort gäwe“. De erschte Froag to beantworte, es e beßke scharnierlich fer mie. Eck sie nämlich von dö ganz nuschtdaugige Sorte Mönsch, wo all sprichwörtlich geworde es (Pfarrers Kinder und Müllers Vieh …), de zweite Froag to beanworte, det es kein beske scharnierlich, de es sogar janz stolz to beantworte, eck sie nämlich utem Trakehnsche to hus, on Trakehnen, das Paradies der Pferde“, dat kennt doch e jederer. Trakehnen geherd nämlich to mien Voader sien Gemeinde, on doa hät he dorch völe Joahre ut alle Trakehnsche Familie, vom Stallknecht rop tom Landstallmester, de Kinder gedofft on enjesägnet, de Brutlied getrut on de Verstorwene to Graw geleit.

 

On of zwee von sone Hochtiede häb eck selwst ok gedanzt, dat wär dem Gestiets-Sekretär Schraoje siene Dochter ehr Hochtied, wo noa Stallopehn henjeheiroat hädt, on dem Landstallmester seine Dochter ehr Polteroawend, wo dem Herr Krosigk jeheiroat hädd, dä Landroat enne Danzigsche Jägend wär.

 

Bienoah, man schoad, bloß bienoah, had he oak dem beriehmte Feldmarschall von Wrangel on sein Moalchen, dem Landstallmester seine Dochter, getrut. Man doa hadd he seck e beßke verspät on wär nich ganz to de rechte Tied gekoame, wielst dat all Sticker zehn fuffzehn Johr torick läg. Doartmoal wär mien Voader noch Rekter vonne Birgerschol en Gumbinne on däd de Orgel späle, wenn de olle Konster (Konsistorialrat) Heinrici op de Kanzel stund. On dat wär nich bloß sindagsch, dat wär ok veelmoals alldagsch, on doa hadd seck so e schnoddriger Gumbinnsche Speilzoahn e Versch utgedicht:

 

„Und Heinrici, immer munter, kommt nicht von der Kanzel runter, - und der Rektor Salomo wird nicht seines Lebens froh!“

 

Iebrijers wär de allerwärts hochgeachtete „Konster“ de Großvoader vom General Heinrici, wo sech em zweite Weltkrieg so verdeent gemoakt hät.

 

Häbb Ju nu aller begräpe, dat eck richtig on echtn ostpreißisch sie? Joa? – Noa, denn kann eck joa anfange, von miene Ohlke to vertelle:

 

Miene Ohlke, dat wär miene lewe, lewe Kinderfru, se wär e Litausche. En jenne Tiede hät mien Voader noch meist alle dredde Sindag litausch geprädigt man doa käme emmer bloß ganz olle Fruens on Männer, on ons Ohlke wär ok immer doabie. Mien Voder hät met ehr ok sonst litausch gered. Met andere Lied on met ons Kinder hät miene Ohlke plattdietsch gered, on wenn wie ons moal vergäte häbbe on hade ehr hochdietsch angeredt, denn säd se ganz traurig: „Sie Ju all so stolz geworde?“ –

 

Wenn ons Ohlke tom Oawendmoahl ging, denn tog se ehre Marginne (Nationaltracht) an, da wär e groff selvestgewäwte, rotbuntkarrerte Rock, en brede stiewe Fole (Falten) gelegt on bes oppe Hacke, e spetzebesetztet Hemd met lange Armels, e schwarte West on e grote, brede, witte, schwarte oder grene Schärt.

 

On alle ole Fruens, wo met de Ohlke tom Oawendmoahl ginge, hadde ok ehre Marginne an, on dat wär sehr hiebsch antosehne.

 

Op dat Beld von miene Ohlke kenne ju aller dat Oawendsmoalshemd sehne, es – on dat meegt mie – dat es dat gode, treie Herz von de lewe, ole Frau; dat kunn de Typer nich en seine „Camera“, wie se hied sägge, enfange, wielst dat enwendig wär. Schoad es ok, dat miene Ohlke ehre kleene Schlorrkes nich nea oppet Beld gekoame sen. Eck her on seh ehr noch ganz leibhaftig, wie se op diese Schlorre met ehre flinke Schrettkes dorch Hus on Goarde on dorchet ganze Därp gegange es. Wenn „Pfarrsch Ohlke“ käm, doa hät doch e jederer, wo ehr begägnet, de Mötz afgenoame on hebsch Gundag gesägt. Eck kann mie ok nich besenne, dat wie Kinder ok bloß en enzigstmoal frech oder ongetoage to ehr gewäse sen. Dat käm woll, wielst dat mien Voader on Mutter de Ohlke emmer met sone Hochachtung behandelt häbbe. Dat wär doch selvstverständlich, wenn vonne Frindschaft odder Verwandtschaft wer op Beseek käm, dat onse Mutter noah de erschte fünf Minute säd:

 

„Nu denk eck, warscht amerscht ferre Ohlke Gundag segge?! –„. Doa käm ok moal miene Mutter ehr eenzigste Broder, de bekannte Kenigsberger Reeder Robert Meyhöfer, to Gast, dem froagd se: „Wetst noch, Robert, wie du e kleen Jungske wärscht, on wie du mie geholpe häst, oawens met „teschucke, teschucke“ de Kiekels on Ente ennem Stall to schichere?“ – Joa, he kunn sech god drop besenne on wär ganz begeistert.

 

Eenem Dag ging de Ohlke ent Därp, biem Kopmann Schultzke, Essig, Solt on Zocker hoale, da boad he ehr seine niege Sort Kaffee an. „Dank ok scheen, Herr Schultzke“, säd se „dienem Kaffee bruk wie nich, dem scheckt on immer ons Herr Sähn ut Hamborg“.

 

De selwige Herr Sähn hat seck denoah von Hamborg ut de Wölt en USA on en Argentinie angesehene on veel später (1909) „als Beauftragter von Albert Ballin“ en Antwerpe de Hapag-Filiale, wo leider met det End vom erschte Weltkrieg ut weer, gegründ on geleit.

 

Doä käm oak mal de Ohlke ut de Därp, on vertellt: „Hied häbb eck de Drogiessche gedroape, dä wär janz opgelewt on so voll Freid. „Ohlke“, säd se, „kenne se sich veerstelle dat grote Glöck? Mien Fretz wo doch ön Berln es, hät geschwrewe, dat he biem Prinz es. Nä, dat grote, grote Glöck? Mien Fretz wo doch ön Berlin es, hät geschwrewe, dat he biem Prinz es. Nä, dat grote, grote Glöck! Nu kann em doch nuscht mehr fehle! -  On he es joa nich bloß biem Prinz, he srewt, dat he biem Prinzepoal es, dat mot doch noch veel wat Höcheret sen. Man de Lied gönne mie nich dat grote Glöck, de sägge, Prinzepoal, dat es sein nieger Herr. Dat glow eck obber nich, on eck loat mie de grote Freid nich nähme“.

 

Wenn bio ons Gebordsdag wär, denn ging de Ohlke em Goarde on pleckd Emmergreen on moakd e scheenem Kranz; dem kreeg e jederer oppem Gebordsdagsdesch, on denn säd se: „Eck gratereer die ok e schenem Gebortdstag“. Bloß onse Mutter bekäm e besonderem Kranz; dat wär em April, on denn häbbe wie Kinder ganze Schärte vull Vijohlkes oppe Terrasse am Goarde geläse, on dat gäw denn dem allerscheenste Kranz, wie sich dat fer onse Mutter gehärd hätt.

 

Wenn wie Kinder Gebordsdag hadde, froagd de Ohlke: „Wat meenst, Frau Pfarr, wat sull eck de Kinder schenke? Weetst, eck war Göld schenke, denn kenne se sich keepe, wat se welle“. On dat ded se ok, on schenkt ons e jederem e Kranzke on e Halfdittke, on denn wäre wie aller sehr glücklich“.

 

De niemodsche Göldbenennung gefull ons Ohlke ganz on goar nich, se bläw die Gulde on Doaler, on op 4,50 Mark säd se „e Doaler, e Gulde, ok fimf Dittke“.

 

Wie mien öllste Broder tohus käm, wie he dem medezinsche Staatsexoame gemoakt had, dröckd de Ohlke em e Mark enne Hand on säd: „Herrmannke, hier häst ok, häst mie joa manche Razeptke verschräwe“. Joa, dat had he, on ganz besondersch fer dem schlemme Hoste, dat wär so e ganz grulije Stickhoste, we enem Hemmelangst ware kunn, dat antosehne on antohere. Man ons Herrmann seine Droppes, de däde gleich helpe, wenn eck bloß schnell jenung gelope keem, om ehr de Droppes entogewe. Doa kem eck ok moal en vullstem Joages on ganz verröckt fer Angst gelope, man de Ohlke winkd all von wiedem met de Hand: „Bliew man, bliew! Et es nich de sinndagsche Hoste, es man Bloß de alldagsche.

 

Enem Wiehnachte wär ons Ohlke krank, on wie alle wäre sehr traurig on em grote Angst. Doa käm ons Herrmann, wo all Arzt en Darkehme wär, ok to Wiehnacht to Hus ond hät er gleich behorcht on bekloppt on säd: „Dat Herz es schwach“. Doa mißd ons Friedrich, wo de Pfarrsche Knecht on Kutscher wär, oppet Perd stiege on met dat Rezept noah Trakehne enne Aptek riede.

 

Nu ware ju aller mie glowe odder nich, man wat eck nu vertell, dat es woahr; de Friedrich wär erscht met een Bee noppet Perd, met det andere wär he noch nich so wied, doa säd ons Ohlke, „Mie es doch all veel leichter!“ Na, wär dat nich e reine Wunderkur? – Doa mecht sich manch een Dokter freie, wenn he ok so schnell gesund moake kunnt. Man dat wär doch ok keen gewehnlichet Rezept gewese, dat had joa „ons Herrmann“ verschräwe, on de Ohlke wär ok bold wedder ganz gesund.

 

Bie ons aller wär de Freid grot, on de Ohlke selwst wußd nich, wat se ehrem Dokter Lewet dohne odder winsche kunn; doa säd se: „Herrmannke“, eck winsch die, dat du michst ware Magistroat“. Doa mott se sich ganz wat doll Hoche drunder gedocht häbbe. Na, on wat ded passeere? – Duert nich lang, doa wurd ons Herrmann Stadtverordneten-Vorsteher en Darkehme, on doa hät de nich noageloate on nich lockergeloate, bes he de Darkehmsche Lied romgekräge had, dat se de grote Woaterkraft von de Angerapp utnutze däde on dat de Stadt elektrisch Licht bekäm on dat wär de allererschte Stadt en Ostpreiße, wo so wat erläwt had. Dat kann gewäse sen, wenn eck mie recht besenn do, 1883 oder 1884.

 

Wat wär dat scheen, wenn de Ohlke em Winter morgens, met de Splötter on de Schwewelkes enne Hand, enne Schloapstoaw käm, om de Oawes to hitze. Wie Kinder kunne denn von onse Bedde ut de Ohlke Fier anmoake on op det Brenne oppasse sehne, on dat wär e röchtiget Beld, wie se doa, von det Fier angestroahlt, verem Oawe gehuckt hät. On mien Voader säd doarto: „ehrwürdig, rätselhaft, wie eine Norne der urgermanischen Sage“.

 

„Ohlke, wat es fer Wedder?“ däd mien Voader ehr froage. „Wulwewedder“, säd se, wenn et stieme on schlacke däd, on wenn doa nuscht Besonderet wär, säd se: „Hied es goar keen Wedder“.

 

De Ohlke fer ehrem Wocke hucke to sehne, wo se de Woll von ons egene Schoap spenne däd, dat wer ok e hebschet Beld. En mien Voader on Mutter ehr Schloapstoav doa had se ehrem Platz, on op dem Fensterkopp, we se Koppfenster dropp säd, doa läge ehr letausche Bibel on Gesangbok, wo se oft dren geläse hat.

 

Tod at „Koppfenster“ es to sägge, dat ons Ohlke ok sunst etwelche komische Werder had, so säd se op miene Mutter ehr Lesepultke „Pulterleske“ on op onse Erzieherin, wo dunnemoals sech Gouvernante schriewe däd, „Obernente“.

 

Dat Moal, wie se noah Stallupeen gegange wär, om sech type (photographieren) to loate, käm se tohus on säd: „Es ok soo dier, dat säd eck ok ferre Typersche, man de säd: „dat geiht nich billiger to moake, de Farw es so dier“.

 

An ehr Fensterplatz am Wocke, doa spunn ons Ohlke dem scheenste glatte Foadem, we ener sech denke kunn, on miene Mutter hät drut Strömp on Socke on Unterräck ferre ganze Familie on Verwandtschaft gestreckt. Enne Sommertied had de Ohlke kum Tied tom Spenne, doa hät se sech om de Hehner on Kiekels on Ente gekömmert on dem Gemiesegoarde en Ordnung gehole, to Meddag on Oawendbrot de Erdbeere gepleckt, wenn de Tied wär, on wenn de erschte Äppel on Bäre vonne Bäm fulle, hät se se en ehre Schärt tosamm geläse, on dat wär ehr keinmoal nicht to veel. Wenn se moal meed wär, däd se sich ent Goardehuske oppem Zementboddem henlegge on Meddagstund schloape. E Koppkesse brukt se nich, doa nehm se ehre kleene Schlorrkes on Lägd se onder’m Kopp, on met ehre Schärt däd se sich bedecke. Man durt nich lang, doa wär se all wedder op de Been.

 

Dat wär e grote Schmerz fer mie, dat eck groad en Berlin wär on Exoame to moake had, wie miene gelewte Exoame to moake had, wie miene gelewte Ohlke dat allerletzte Moal tom Schloape hengelägt hät, so dat eck ehr nich dat letzte Geleit gäwe kunn.

 

Man wie eck denn später an dat Gumbinnsche Mäke-Lyceum Scholmeistersche wär, doa sie eck to ehr letztet Schloap-Stellke gefoahre on häbb ehr met miene eegene Händ e Gravsteen gesett. On hied deit mie leid, dat eck nich ok dem hebsche Versch roppgeschwrewe häbb, wo se scheen fer ehr on mie passe deit; man dat ging joa nich, wielst dat e hochdietsche Versch es.

 

Doa fallt mie en, eck war dem Versch nu jetzt hier henschriewe:

 

„Und ich an meinem Abend wollte,

ich hätte diesen Treuen gleich

erfüllt, was ich erfüllen sollte,

in meinem Grenzen und Bereich!“ –

 

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kinder Suchdienst Hamburg – Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit. das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Allenburg, Kreis Wehlau, Markt 2, wird Horst Fischer, geboren am 1. Oktober 1942, gesucht von seiner Tante Lotte Deutschmann, geb. Gawehns, geboren am 28. Mai 1914 in Allenburg. Die letzte Nachricht war vom Oktober 1947 aus Chatt Jannowa / Litauen. Horst Fischer hört auch auf den Namen Wilco.

 

Aus dem Krankenhaus in Braunsberg wird Christel Bobeth oder Buböth, geboren am 11. Januar 1937 in Zinten, Kreis Heiligenbeil/Ostpreußen, gesucht von ihrer Tante Luise Olschewski, geborene Plewa, geboren am 20. Dezember 1913 in Altkirchen. Christel Bobeth oder Buböth wird seit Oktober 1946 aus dem Krankenhaus in Braunsberg vermisst.

 

Aus Gallgarben, Kreis Samland wird Ursula Pieper, geboren am 15. Juli 1938 In Görken, gesucht von ihrem Vater August Pieper, geboren am 19. Juni 1900 in Gunthenen. Ursula Pieper kam im Februar/ März 1945 in das Waisenhaus in Spuken, Kreis Schloßberg.

 

Aus Herdenau, Kreis Elchniederung wird Ursula Friedrici, geboren am 2. Oktober 1941 in Antonswiese bei Herdenau, gesucht von ihrer Großmutter Maria Friedrici, geborene Poweleit, geboren am 4. Dezember 1878, in Gräflich Prudimen.

 

Aus Ilmsdorf, Kreis Gerdauen werden Wally Fischer, geboren am 24. Mai 1941 in Ilmsdorf, und Claus Fischer, geboren am 19. Juni 1943 in Ilmsdorf, gesucht von ihrem Vater Walter Fischer, geboren am 23. Februar 1904 in Groß-Engelau, Kreis Wehlau.

 

Aus Karkeln, Kreis Elchniederung wird Siegfried Mertins, geboren am 3. April 1935, gesucht. Er war zuletzt im Kreise Pfarrkirchen/Niederbayern untergebracht.

 

Aus Königsberg, Artilleriestraße 26, werden die Geschwister Harry Wischnewsky, geboren am 21. März 1943, Horst Wischnewsky, geboren am 9. Juli 1940 und Waldemar Wischnewsky, geboren am 13. Oktober 1937, gesucht von ihrem Vater Max Wischnewsky. Die Brüder Wischnewsky waren zuletzt in einem Waisenhaus in Königsberg.

 

Aus Königsberg-Speichersdorf, Ziegenweg 14, wird Rudi Gallowski, geboren am 10. Juli 1937 in Liebenfelde, Kreis Labiau, gesucht von seiner Schwester Irmgard Gallowski, geboren 1943 und von seinem Onkel Albert Hinz, geboren am 18. März 1892.

 

Aus Königsberg, Kapornerstraße 19d, wird Eva Theophil, geboren am 20. November 1933, gesucht von ihrem Bruder Fritz Theophil, geboren am 21. Oktober 1919.

 

Aus Kuckerneese, Kreis Elchniederung, wird Klaus Grasteit, geboren etwa 1940 in Gilgethal, gesucht von seiner Tante Amanda Petter, geboren am 24. November 1898. Der Junge Klaus Grasteit war im November 1945 mit seiner Mutter Gertrud Grasteit, geborene Kröhnert, und zwei Schwestern im Lager Kuckerneese. Dortselbst sind die Mutter und die Geschwister verstorben. Klaus soll in das Waisenhaus Tilsit-Ragnit gekommen sein.

 

Aus Memel, Holzstraße 3, werden die Geschwister Laukstin, und zwar: Manfred Laukstin, geboren am 1. Mai 1940 und die Zwillinge Hannelore Laukstin und Erika Laukstin, geboren am 15. März 1943 in Memel, gesucht von ihrem Onkel Michael Laukstin, geboren am 19. September 1905. Im Januar 1945 befanden sich die Geschwister Laukstin bei dem Bauern Rohdmann in Neuhof, Post Trautenau/Ostpreußen. Wo befindet sich heute die Familie Rohdmann?

 

Aus Ortelsburg, Heimstraße 22, wird Marianne Günther, geboren am 7. Juni 1939, gesucht von Minni Grunwald, geborene Jaschinski.

 

Aus dem Krankenhaus in Ortelsburg wird Reinhard Napiwotzki, geboren am 8. Juni 1944, gesucht von seinen Eltern. Das Kind Reinhard Napiwotzki befand sich im Januar 1945 im Krankenhaus in Ortelsburg und soll am 20. Januar 1945 nach Heiligenbeil evakuiert worden sein.

 

Aus Runden, Kreis Angerapp wird Doris Schmidt, geboren am 1. April 1934 in Krupinnen, gesucht von ihrer Tante Helene Hammelmann, geborene Kannenberg, geboren am 10. Januar 1903 in Markau. Letzte Nachricht vom Januar 1945 aus Sommerfeld, Kreis Preußisch-Holland/Ostpreußen.

 

Aus Spittels, Kreis Preußisch-Holland werden die Geschwister Schmidt, und zwar: Traute Schmidt, geboren am 10. September 1940, Georg Schmidt, geboren am 13. September 1938, Edith Schmidt, geboren am 9. April 1936 und Rudi Schmidt, geboren am 23. Dezember 1933, gesucht von ihrem Großvater Karl Schmidt, geboren am 10. September 1878 in Grossainen.

 

Aus Stangau bei Waldau, Kreis Samland, wird Helmut Krakau, geboren am 21. Februar 1939, gesucht von seinem Bruder Erich Krakau, geboren am 16. September 1922.

 

Aus Stegmannsdorf bei Wirsen, Kreis Braunsberg, wird Werner Demmer, geboren am 19. November 1938 in Castrop-Rauxel, gesucht von seinem Vater Otto Demmer, geboren am 16. Juli 1900 in Wusen, Kreis Braunsberg.

 

Aus Stremehnen, Kreis Heydekrug, wird Manfred Schulz, geboren am 10. März 1939, gesucht von seinem Großvater Martin Schulz.

 

Aus Transsau, Kreis Samland, wird Christa Hildebrandt, geboren am 19. August 1937, gesucht von ihrem Vater Wilhelm Hildebrandt, geboren am 3. Juli 1902 in Transsau/Ostpreußen. Christa Hildebrandt war zuletzt im Waisenhaus in Pobethen/ Ostpreußen und soll angeblich am 27. Oktober von dort nach Seltz/Pommern zu Pflegeeltern gekommen sein.

 

Aus Uderwangen, Kreis Preußisch-Eylau wird Horst Droese, geboren am 27. Januar 1934 in Lowitten, gesucht von seiner Mutter Gertrud Droese, geborene Roddek, geboren am 4. November 1913.

 

Aus Walden, Kreis Lyck, wird Herbert Katzenski, geboren am 11. August 1939 in Wittenberge, gesucht von seinem Vater Karl Katzenski, geboren am 27. November 1900.

 

Aus Waldhufen, Kreis Schloßberg, werden Elli Pflug, geboren am 16. Dezember 1938 in Waldhufen, und Inge Pflug, geboren am 5. Januar 1937 in Waldhufen, gesucht von ihrer Tante Frieda Knier, geborene Puschkat.

 

Aus Waldstein, Kreis Samland, wird Herbert Apholtz, geboren am 3. Juni 1941, gesucht von seinem Bruder Arno Apholtz, geboren am 18. Juni 1937 in Waldstein. Das Kind Herbert Apholtz befand sich 1947 im Flüchtlingslager Bischofswerda in Sachsen.


 

Aus Angerburg, Rheinlandstraße 11, wird Frau Masuch gesucht, die sich im April 1945 des Knaben Manfred Stelkyte oder Stelkeite, geboren am 17. September 1944 in Rastenburg/Ostpreußen, annahm. Frau Masuch soll den Knaben von der Kindesmutter Viktoria Stelkyte oder Stelkeite in Angerburg übernommen haben und 1945 nach Bärenstein übergesiedelt sein. Wer kennt den jetzigen Aufenthalt der Frau Masuch?

 

Aus-Groß-Lindenau, Kreis Samland wird Günther Wessel, geboren am 28. Oktober 1938, gesucht von seinem Vater Heinrich Wessel, geboren am 13. Februar 1916. Die letzte Nachricht von Günther Wessel war vom Januar 1949 aus Litauen.

 

Aus Grünhausen, Kreis Elchniederung wird Fritz Dannat, geboren am 1. September 1939, gesucht von seiner Mutter Anna Dannat, geborene Kujus, geboren am 21. November 1911 in Altheitlauken/Ostpreußen. Fritz Dannat war zuletzt im Krankenhaus in Rauschen, Kreis Samland.

 

Aus Guttstadt. Kreis Heilsberg, Kirchenstraße 18 (zweite Zahl unleserlich). Agnes Koch, geboren am 13. Februar 1935 in Guttstadt, gesucht von ihrem Vater Otto Koch, geboren am 9 Dezember 1910. Agnes Koch war zuletzt in einem polnischen Waisenhaus in Guttstadt.

 

Aus Königsberg, Ostpreußen werden die Geschwister Böhm, und zwar: Ingrid Böhm, geboren etwa 1942, Gisela Böhm, geboren etwa 1941, Eberhard Böhm, geboren 1940. Annemarie Böhm, geboren 1939 und Arno Böhm, geboren 1937, gesucht von Vera Liedtke, geborene Schwarz. Die Kinder Böhm sollen zusammen mit ihren Eltern, Fritz Böhm, von Beruf Briefträger und Grete Böhm, geborene Scharmacher, zuletzt in Schönmoor, bei Tharau, Kreis Samland, bei Verwandten - Richard Klein - gewesen sein.

 

Aus Königsberg, Karlstraße 3, wird Christa Biermann, geboren am 15. Dezember 1938, gesucht von ihrer Tante Agnes Biermann, geboren am 1. August 1895. Christa Biermann war zuletzt in einem Waisenhaus in Tilsit.

 

Aus Königsberg-Ponarth, Karschauer Straße, wird Annelore Bartel, geboren am 31. Juli 1936 in Prappeln, gesucht von ihrer Mutter Minna Bartel, geborene Rodwald, geboren am 31. Dezember 1906 und von ihrer Schwester Elsa Bartel.

 

Aus Königsberg, Königswieserstraße 6, Steffecksiedlung, werden Angehörige der verstorbenen Frau Gronau gesucht, die 1947 den Jungen Gert-Bruno Neumann, geboren am 12. April 1941, in Pflege hatte. Vielleicht können die Angehörigen über das Schicksal des Kindes Auskunft geben.

 

Aus Königsberg, Nasser Garten 9/11, wird Ursula Schneidereit, geboren am 24. Juni 1937, gesucht von ihrem Bruder Fritz Schneidereit. Ursula Schneidereit wurde zuletzt nach dem Kreis Samland/Ostpreußen evakuiert.

 

Aus Königsberg, Plantage 8, wird Rudi Arndt, geboren am 17. September 1935, gesucht von seinen Eltern: Walter Arndt, geboren 13. Oktober 1910 und Gertrud Arndt, geborene Nieder.

 

Aus Mulden, Kreis Gerdauen, wird Hartmut Köslin, geboren am 21. Januar 1944 in Königsberg Ostpreußen, gesucht von seinem Vater Karl Köslin, geboren am 29. April 1915. Die Mutter des Kindes, Gerda Köslin, geborene Behrend, geboren am 21. Mai 1915 in Jorksdorf, Kreis Labiau, wird auch noch gesucht.

 

Aus Mittelpogauen, Kreis Johannisburg, wird Adolf Kowallik, geboren am 16. Januar 1941, gesucht von seinem Vater Eduard Kowallik. Das Kind Adolf Kowallik war 1945 in Dänemark in einem Krankenhaus oder Kinderheim.

 

Kindersteckbrief mit Foto:

Name: Lembke (Lempke).

Vorname: Werner,

geb.: etwa 1942,

Augen: blaugrau,

Haar: hellblond.

Der Junge soll 1945 mit einem Transport aus Ostpreußen gekommen sein. Die Mutter ist angeblich verstorben und der Vater befand sich in Gefangenschaft. Bild Nr. 01198

 

Kindersteckbrief mit Foto:

Name: Reckeschat,

Vorname: Götz,

geboren 16.08.1943

Augen: graubraun,

Haar: mittelbraun.

Götz Reckeschat kam, wie die Angaben an den Kindersuchdienst des Deutschen Roten Kreuzes besagen, im Jahre 1948 mit einem Transport aus Ostpreußen. Bei seiner Ankunft hatte der Knabe ein Pappschild um den Hals, auf dem der Name „Götz Reckeschat und das Geburtsdatum; 18.08.1943, Insterburg" angegeben waren. Näheres ist über seine Herkunft und seine Angehörigen nicht bekannt. Bild Nr. 01465

 

 

Seite 9    Das deutsche Ordensheer. Ritter und erwählte Streiter für Gesetz und Vaterland.

Foto: Originalschild des Hochmeisters Karl von Trier, 1320. Aufbewahrungsort: Ferdinandeum zu Innsbruck.

Foto: Kampfszene. Bild aus der Handschrift Heinrich Heslers: „Apokalypse“, Wende 13./14. Jh.

Krankenpflege, mönchisches Leben und Waffendienst kennzeichneten das Wirken des Deutschen Ritterordens, dessen Angehörige an die drei Gelübde Keuschheit, Armut und Gehorsam gebunden waren.

 

Der ursprüngliche Krankenpflegerorden wurde im Jahre 1198 in einen Ritterorden umgewandelt und hatte wie die anderen bereits bestehenden Ritterorden das Heilige Land und andere dem Orden untertänige Länder gegen Feinde zu verteidigen.

 

In dem Prolog der Ordensregel des Deutschen Ritterordens heißt es u. a.: ... diesem Streiten ist nachgefolgt der heilige ritterliche Orden des Spitals St. Mariens von dem deutschen Hause und hat sich bemüht, mit manchem ehrsamen Mitgliede geschmückt zu werden. Denn sie sind Ritter und erwählte Streiter, die im Eifer für das Gesetz und für das Vaterland mit starker Hand die Feinde des Glaubens vertilgen. Sie sind auch in überströmender Liebe die, welche die Pilger und die Armen aufnehmen. Sie sind es auch, die mildtätigem und glühendem Geist den Siechen dienen, die im Spitale liegen“. Wichtigste Aufgabe war der Waffendienst, bei dem die Brüder gehalten waren, „demütig gehorsam zu sein und in allen Dingen den eigenen Willen zu brechen". Es herrschte harte Disziplin, die den Deutschen Ritterorden zu einer Kampfgenossenschaft größter militärischer Schlagkraft machte, die selbst den Ruhm der früher gegründeten Ritterorden überstrahlte. Er erhielt dadurch Einsatzmöglichkeiten, die ihm schließlich die Basis für die Gründung eines eigenen Staates gaben. Das Unternehmen in Preußen gelang, weil sich der Hochmeister Hermann von Salza, gewitzigt durch den Fehlschlag im Burzenland, vor Beginn des Kampfes um das heidnische Land im Nordosten Europas den Rechtstitel auf den Besitz des erst zu erobernden Landes von den damals höchsten Instanzen der Macht, von Kaiser und Papst, bestätigen ließ und sich die Verzichterklärung Herzog Konrads von Masowien auf Preußen ausbedang. Erst dann begann der Deutsche Ritterorden sein kühnes Unternehmen, das mit lächerlich geringen Kräften begonnen wurde. Hermann von Balk, der bewährte Mitarbeiter des Hochmeisters, zog als Landmeister mit fünf Brüdern und einigen Gefolgsleuten, insgesamt etwa 30 Mann, los und setzte sich am linken Weichselufer fest. Der erste Vorstoß erfolgte im Jahr 1231, als Kreuzfahrer die kleine Schar verstärkten. Der Strom wurde überschritten und am anderen Ufer ein befestigtes Lager angelegt, von dem aus das umliegende Gebiet erobert und die Städte Kulm und Thorn gegründet wurden. Erst zwei Jahre später wurden größere Operationen begonnen, in deren Verlauf es Balk gelang, 1233 Marienwerder, 1237 Elbing und 1239 Bslgs zu gründen. Die katastrophale Niederlage des Schwertbrüderordens in Livland, der darauf — im Jahre 1237 — dem Deutschen Ritterorden einverleibt wurde, machte den Einsatz von Ordensstreitkräften in Livland notwendig, die das Land von den Russen befreiten und den Kampf in das Land der fliehenden Feinde verlegten. Da aber der Nachfolger Hermanns von Balk, der jugendliche Dietrich von Grüningen seine Kräfte auf zwei Kampfplätze verteilte, wurde die am Peipus-See operierende Kampfgruppe des Ordens geschlagen. Die Russen wagten zwar keinen Vorstoß ins Ordensland, doch die unterworfenen Pruzzen und der mit ihnen verbündete Herzog Svantopolk von Pomerellen erhoben sich und setzten sich — bis auf fünf Burgen an der Weichsel und am Meere — in den Besitz des gesamten Ordensgebietes. Es gelang den Aufständischen jedoch nicht, die fünf Igelstellungen des Ordens zu überwinden, im Gegenteil mit größter Tapferkeit durchgeführte Ausfälle brachen die Kraft der Aufständischen, die sich im Frieden von Christburg, am 7. Februar 1249, dem Orden unterwarfen. Dieser Friedensvertrag ist sehr bemerkenswert, da der Sieger großmütig und klug die Unterlegenen als durchaus gleichwertig betrachtete und behandelte, die Lebensrechte der Pruzzen voll respektierte und sie dadurch zu Verbündeten und Freunden machte. Die Friedenskonferenz endete mit einer herzlichen Versöhnungsfeier!

 

Gestützt auf die neuen Freunde konnte der Deutsche Ritterorden zu großen Operationen schreiten, 1252 Memel errichten, 1254 mit Hilfe des gewaltigen, von König Ottokar II von Böhmen geführten, Kreuzheeres Samland erobern und Königsberg gründen. Der Waffenruhm des Ordens drang in alle Lande und der Papst gab sich der — utopischen — Hoffnung hin, dass der Orden ganz Russland erobern und die Vereinigung der Christenheit erreichen könnte. Er übertrug daher dem Orden alle Gebiete, die den Russen entrissen würden. Dieses Ziel konnte selbst der Deutsche Ritterorden nicht erreichen, da seine Kräfte dieser gigantischen Aufgabe einfach nicht gewachsen waren. Der Orden hatte alle Mühe, das bisher Erreichte zu halten.

 

Im Jahre 1260 erlitt der Orden bei Durben eine katastrophale Niederlage durch die Niederlitauer. 150 Brüder und zahlreiche Pruzzen fielen. Der Niederlage folgte ein allgemeiner Volksaufstand, der mit Windeseile das ganze Gebiet von der Düna bis zur Weichsel erfasste. Die kleinen Ordensburgen gingen im ersten Ansturm verloren und nur die großen Burgen hielten sich, die nicht nur die kämpfenden Ritter, sondern auch zahlreiche Flüchtlinge beherbergen und ernähren mussten. Der Ordenschronist Peter Dusberg berichtet von der Not im belagerten Königsberg: „Nachdem sie Schaf, Rind, Schweine, Kühe und Pferde nicht mehr hatten, wurden sie gezwungen, Felle zu verzehren, indem die größte Not sie dazu drängte. So groß war die Härte der Felle, bei dieser ungewohnten Speise, dass viele Ordensbrüder und andere, die sie verzehrt, ihrer Zähne beraubt wurden“. Doch die Ordensbrüder gaben den Kampf auch in dieser verzweifelten Lage nicht auf. Eine Reihe von Heldentaten sind uns überliefert worden, von denen zwei erwähnt seien. Der nur mit einem Mastbaum bewaffnete Bruder Ulrich von Magdeburg warf 50 über eine Sperrbrücke anstürmende Pruzzen zurück. Eine aus zusammengekoppelten Schiffen errichtete Fluss-Sperre wurde von einem anderen Ordensbruder, der im Tauchen ein Schiff nach dem anderen anbohrte, versenkt. Kreuzheere verschafften dem Orden Luft, so dass 1283 Preußen und 1290 Livland zur Gänze wiedergewonnen werden konnten.

 

Kriegsoperationen über See

Der Deutsche Ritterorden war jedoch nicht nur zu Angriff und Abwehr auf dem Lande fähig, sondern unternahm, wenn es nottat, selbst Kriegszüge über See, wie das erfolgreiche Unternehmen gegen die auf der Insel Gotland sitzenden Seeräuber, die mit 300 Schiffen den gesamten Handel in der Ostsee lahmgelegt und Deutschland und den Niederlanden einen vernichtenden Schlag versetzt hatten, beweist. Was den großen Seemächten nicht gelang, gelang dem Orden im Jahre 1398. Orden und preußische Städte stellten binnen vier Wochen 10 Koggen, 31 kleinere Kriegsfahrzeuge, die notwendige Anzahl von Lastschiffen und 4000 Mann bereit. Am 17. März stach die Streitmacht in See. Drei Tage darauf erfolgt die Landung auf Gotland, wo die Piratenstadt Wisby und drei weitere Raubburgen bezwungen wurden. Binnen drei Wochen war die ganze Insel von den Seeräubern gesäubert. 1403 besetzten dänische Truppen die dem Orden unterstehende Insel. Im Gegenschlag vernichtete eine Ordensflotte bei Schonen die dänischen Seestreitkräfte und eroberte Gotland zurück, das gegen Bezahlung von 9000 Nobel Schweden überlassen wurde. In dieser Zeit hatte der Deutsche Ritterorden den Höhepunkt seiner Macht erreicht, dem bald darauf der erste große Rückschlag in der Schlacht bei Tannenberg (1410) folgte. Es gelang zwar, im 1. Thorner Frieden (1411) den größten Teil der territorialen Bestandes zu erhalten, doch die innenpolitischen Schwierigkeiten mit den Ständen legten den Keim zum Niedergang. Die grandiosen militärischen Leistungen der Ordensritter legten die Frage nach der Bewaffnung und der Kriegstaktik des Deutschen Ordensheeres nahe.

 

Die Bewaffnung der Ordensritter

Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht ganz einfach, weil auch vor 1945 in Ostpreußen kaum mehr Waffen aus der Ordenszeit erhalten waren. Bis zum Jahr 1807 gab es zwar in Königsberg eine Rüstkammer mit zahlreichen Waffen und Ausrüstungsstücken des Deutschen Ritterordens. Doch diese Bestände wurden 1807, als Napoleon I. Königsberg besetzte, versteigert und landeten als Alteisen in den Eisenhämmern. Nur ein einziges Panzerhemd, das ein Königsberger Bürger, Saturgus, erworben hatte, blieb erhalten. Die Stadt Wormditt, die einige Hakenbüchsen aus dem 15. Jh. besaß, schenkte diese dem Königl. Schloss in Königsberg. In der privaten Waffensammlung des Herrn Blell in Gr.-Lichterfelde, Villa Tüngen, sowie in der Prussia zu Königsberg, einer Sammlung von vaterländischen Altertümern, befanden sich weitere Stücke vor Ordenswaffen.

 

Die Ordensritter verfügten über folgende Ausrüstungsstücke: Schilde, deren berühmteste Herstellungsorte Wien, Nürnberg, Gent, Paris und Rouen waren, Schwerter, deren Klingenlänge in der Regel 55,3 cm bis 82 cm betrug. Die kürzeren Schwerter waren Stoß-, die längeren Hiebwaffen. Die Lanzen, auch Speereisen genannt, waren mit dem Schaft mehr als zwei Meter lang. Ohne Schaft hatten sie ein Gewicht von 650 g. Der Schaft war aus Eschenholz gefertigt. Der Harnisch bestand aus der „Halsberge", einem Kettenpanzerrock mit Ärmeln, Handschuhen und einer Kapuze. Hinzu kamen Panzerstrümpfe und Eisenhosen. Die „Rüstung" wog mehr als 20 kg. Über die Rüstung trugen die Ordensritter den weißen Ordensmantel mit dem schwarzen Kreuz. Der 8 kg schwere Helm war meist eine runde, mit einer Nasenschiene versehene Eisenkappe. Als Schusswaffen wurden Pfeile und Armbrüste verwendet. Bis zur Einführung der Feuerwaffen war auch die Schleuder gebräuchlich. Der Ordenschronist erwähnt weiter den Baculus, den Streitkolben, die Streitaxt. Eine große Rolle spielten die Pferde. Und zwar wurden nicht die kleinen als schwarz geschilderten ostpreußischen, sondern schwere, von auswärts bezogene Pferde verwendet. Jeder Ritter hatte drei Pferde zur Verfügung: eins, das er während des Marsches ritt, ein zweites, das ein bewaffneter Diener ritt. Ein mit einer Armbrust bewaffneter Schütze vervollständigte diese kleinste Einheit des Ordensheeres, die später Glevenie oder Spieß genannt wurde.

 

Pferde waren damals sehr teuer, da sie einem besonders starken Verschleiß ausgesetzt waren. Infolge der Schwierigkeit, die gewappneten und geschienten Ordensritter zu verwunden, richteten sich die Angriffe der Feinde zuerst auf die Pferde, die stets mit einem Geschoßhagel überschüttet wurden. So wird berichtet, dass i. J. 1454 ein einziges Pferd 40 Pfeile im Leib stecken hatte. Ein weißer Hengst kostete damals 120 Gulden (Gold). Über Armbrüste verfügte das Ordensheer zweifellos bereits unter Hermann von Balk, der nur mit dieser neuartigen Waffe die zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den primitiv bewaffneten Pruzzen ausgleichen konnte. Man kann daher sagen, dass ein Ordensritter i. J. 1230 etwa so viel bedeutete, wie ein Panzerwagen im ersten Weltkrieg. Seit dem Jahre 1362 verwendete der Orden Pulverbüchsen und der Geschützgießer des Ordens, Dunnecken, erfand, ein Menschenalter vor Leonardo da Vinci, dafür das Hinterladersystem. Die zahlenmäßige Stärke des Ordensheeres, gewöhnlich überschätzt, bestand in der Regel aus ganzen 5000 Mann, die allerdings hervorragend geschult waren. Diese Truppe war jederzeit einsatzbereit und war durch ein Netz von Eilboten und Spähern vor plötzlichen Angriffen weitgehend gesichert. Diese stehende Truppe wurde im Kriege durch die Aufgebote der Ritter, Städte und Freien, später auch durch angeworbene Söldner aus dem Reich, verstärkt. Während die Lehensleute des Ordens, sowie die einheimischen Edelleute zu schwerem oder leichtem Rossdienst verwendet wurden, hatten die Städter Reiter und Armbrustschützen zu stellen. Die eingewanderten deutschen Bauern wurden, um sie möglichst zu schonen, zu Trossdiensten, die preußischen Bauern, denen man nie ganz traute, nur in besonderen Gefahrenzeit als eine Art Landsturm verwendet. Neben der schweren Reiterei der „Linie" gab es die „Sarjanten", leichte Reiter, die besonders in dichten Wäldern, in denen die schweren Reiter nicht recht vorwärts kamen, verwendet wurden. Gut besoldete „Leitsleute" hatten vor einem Feldzug Weg und Steg, sowie die Stärke und die Art seiner Befestigungen und Stützpunkte zu erkunden.

 

Die Kriegstaktik

Vor einem Kriegszug wurde der Sammelplatz durch in die Erde gerammte Fahnen abgesteckt, daneben die „Kapelle" — das Allerheiligste mit den Reliquien in einem Zelt — aufgestellt. Die Ordensbrüder lagerten im Ring um die Kapelle und die Entfernung von diesem Platz war nur bis zur Rufweite erlaubt. Niemand durfte sich ohne Befehl wappnen oder entwappnen. Beim Marsch hatte jeder seinen fest bestimmten Platz in der Kolonne. Dieser Platz durfte auf keinen Fall aufgegeben werden. Bei Feindberührung wurde die Fahne enthüllt. Der Meister selbst gab der Fahne den Befehl „einzusprengen". Niemand durfte anreiten, bevor die Fahne „sprengte". Bei Anwesenheit des Hochmeisters wehte seine Fahne, dem Heere voran. Ansonsten hatte das Feldzeichen der Grenzburg Ragnit den „Vorstreit", das Recht zum Angriff. Der Ragniter Fahne folgte die von Insterburg und die der Sarjanten. Gäste aus dem Reich führten ihre eigenen Feldzeichen, Banner von St. Maria oder St. Georg.

 

Bei Beginn einer Feldschlacht traten zuerst die Bogenschützen in Aktion. Hierauf ritten die Reiter in fester Ordnung an und stießen im Nahgefecht mit der Lanze zu, schlugen mit dem Schwert und hängten gar manchmal den Schild auf den Rücken, um beide Hände zu wuchtigstem Schwertstreich freizuhalten, überlegene Körperkraft, die bessere Brünne und der festere Helm waren entscheidend.

 

Die Artillerie

Griffen die Ordensritter einen festen Platz an, fegten die Bogenschützen die feindlichen Wälle leer und zwangen den Feind solange in Deckung, bis die Ordensritter sich in die Erde eingegraben oder die mehrere Etagen hohen Sturmmaschinen an die Mauern herangeschoben hatten. Auf diese Weise konnten gleichzeitig Zinnen erklommen, eine Etage tiefer die Mauer durchbrochen und in der untersten Etage Kriechgänge unter die Mauer gegraben werden. Diese Maschinen waren bis ins 15. Jahrhundert im Gebrauch. Geschütze schossen mit Steinkugeln von einem halben kg Gewicht 850 Meter weit. Chronisten schilderten die „furchtbare" Wirkung dieser Geschütze, die „eine Mauer wie ein Lindenblatt zertrümmerten" und den Balken einer feindlichen Maschine „wie ein Ei zerdrückten". Man darf sich das „Geschützfeuer" allerdings nicht als Trommelfeuer vorstellen. Alle 24 Stunden konnte ein Schuss abgegeben werden. In den Feuerpausen kamen die Armbrust- und Lotbüchsenschützen zu Wort. Die Armbrüste wurden vom 15. bis ins 17. Jahrhundert verwendet. Ihre Anzahl war beschränkt, da ein Armbrustverfertiger in einem Jahre höchstens fünf Stück herstellen konnte. Auch die Herstellung von Pulver war sehr kostspielig.

 

Die Geschütze hatten vor allem einen großen Nachteil: ihr Transport war überaus schwierig. In der Schlacht von Tannenberg z. B. — einer offenen Feldschlacht — spielte die Artillerie des Ordens aus diesem Grunde eine ganz untergeordnete Rolle. Seit den Hussitenkriegen — 1419—1434 — hatten das Fußvolk und die Wagenburgen eine überragende Bedeutung. Auch die zahlreichen Ordensburgen, die solange das eiserne Rückgrat der Ordensmacht gewesen sind, konnten schließlich den Verfall und den Niedergang des Ordens in Preußen nicht mehr aufhalten. Die Stärke des Deutschen Ritterordens, seine nach außen hin klar umgrenzte Geschlossenheit war seit dem Aufkommen der preußischen Städte und des preußischen Adels auch seine Schwäche. Der Orden lebte nicht mit, sondern als Herrscherkaste über den Ständen. Die stammliche Verschiedenheit — der Orden rekrutierte sich zum Großteil aus Ober- und Mitteldeutschland — tat das übrige zur Entstehung einer unüberbrücklichen Kluft zwischen ihm und der bodenständigen Bevölkerung. Doch trotz seines Niederganges in Preußen hat der Deutsche Ritterorden auf allen Lebensbereichen Leistungen vollbracht, die in ihren Wirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind. Preußische Einfachheit, preußische Tapferkeit, preußische Sauberkeit in der Verwaltung sind Tugenden, die die gehorsam, keusch und tapfer lebenden Ordensritter und Mönche den nach ihnen kommenden Geschlechtern vorgelebt haben. Altpreußen ist auch nach der im Jahre 1525 erfolgten Säkularisierung im übertragenen Sinne  - Ordensland geblieben und ist heute allen aus diesem Land Vertriebenen, ja allen Deutschen wieder — ebenfalls im übertragenen Sinne — das, was es unter den Ordensrittern war: heiliges Land!

 

Seite 9   Königsberger Winkel / Von Herbert Meinhard Mühlpfordt. 2. Fortsetzung

IV. Der Mühlengang

Wenn man, vom Bergplatz — oder Schiefem Berg, wie er seit undenklichen Zeiten hieß — kommend, an der Burow-Säule vorbei zur Tuchmacherstraße hinabging, so kam man am Hause Bergplatz 10 vorüber. Dies war noch einer der alten Adelshöfe, der Tettausche Hof, der noch bis zuletzt eine Stuckdecke und einen Barockkamin enthielt. In einem Stallgebäude im Hof fanden sich noch die einzigen Reste der Löbenichtschen Stadtmauer. Dicht neben dem Hof stand das nur mit einem Satteldach gedeckte niedrige Narrentor, das seinen merkwürdigen Namen wohl einer bildlichen Darstellung verdankte. Es wurde im Jahre 1735 abgebrochen.

 

Ehe man es durchschritt, erhob sich rechts, damals noch neu, das stattliche, zweiflügelige, mit einem gebrochenen Dach gedeckte Barockpalais des Grafen Dohna-Schlodien, ein schönes Werk des Königsberger Oberlandbaudirektors Joachim Ludwig Schultheiß von Unfried. Später kam es in den Besitz der Grafen Dönhoff, der Grafen Kalckreuth, dann wieder in Dohna'sche Hände.

 

Ein echtes Kind des Barock, lud das Palais in einem breiten, von einem Balkon überragten Torweg die Gäste zu sich. Der Torweg erweiterte sich nach dem Garten hin zu einem geräumigen Rundsaal, in dem Nischen für Bildwerke eingelassen waren. Von hier führte rechter Hand eine breite, wunderschön geschnitzte Treppe zum oberen Stockwerk empor. Die Schnitzereien stellten Eber und Waffengerät dar — das Dona'sche Wappen — und waren zuletzt ocker, ziegelrot und hellgrün gestrichen. Ich fand sie früher in ihrem tiefen Holzbraun noch schöner, doch konnte man auch so sich dieses kostbaren Stadtbesitzes freuen.

 

Durchschritt man nun im Geiste das Narrentor, so zweigte sich sogleich von der geradeaus führenden Tuchmacherstraße, die im Mittelalter Webergasse hieß, der Mühlengang ab. Durch ein Barockhaus führte ein Torweg in den Mühlengang. Nach dessen Abbruch erst in diesem Jahrhundert blieben noch zwei alte Häuser erhalten. Das eine mit zwei vorgekragten Stockwerken war das einzige dieser Art in Königsberg, das andere hatte ein abgewalmtes Dach. Sie schienen auch jetzt noch den Eingang in den Mühlengang versperren zu wollen.

 

Weder auf dem Behringschen, noch auf dem Plan von 1720 gibt es den Mühlengang; damals waren dort Gärten und Grünflächen.

 

Von der genannten Ecke führte die poesievolle Winkligkeit, durch die man abends bei Mondschein nur mit einem prickelnden unheimlichen Gefühl gehen konnte, auf den Mühlenberg hinaus, etwa da, wo einst die Malz- oder Untermühle an „der" offen hinabplätschernden Katzbach lag.

 

Ein wenig weiter bergab, hinter der Untermühle, nach der Krummen Grube zu stand das Untere Mühlentor, in dem der Löbenichtsche Stadtmusikus wohnte.

 

Blieb man im Mühlengraben, so war das Haus Nr. 8 einst die Schmiede des „Reitschmieds", ganz nahe lag das „Kabackche" der Tante Fischer, die „Wolfsschlucht", deren Kneipe eine Lokalberühmtheit war. Sie setzte ihren Kunden, unter denen viele Studenten waren, für sehr billiges Geld Eisbein und zwei Sorten Käse, „Seehundche" (Quark) und „Moorhundche" bei größter Sauberkeit vor. Fleck, das Königsberger Nationalgericht dagegen gab es bei ihr nicht, die hasste sie. Dabei verstand sie es, ihre Gäste in herrlichem Ostpreußisch prächtig zu unterhalten.

 

Stieg man dann den Mühlenberg hinauf, so lag rechts, neben der Konditorei Zappa, die Mittelmühle, ein von Alter geschwärzter Bau mit Doppeldach und dicken Mauern. Sie lag also dem Albrechtstor des Schlosses gegenüber und flankierte würdig den steilen Berg.

 

Längst war das Untere Mühlentor der Spitzhacke zum Opfer gefallen, viel später die Katzbach unterirdisch gelegt, die Untermühle abgebrochen, dann wurde die winklige Pracht des Mühlengrundes mit Tante Fischers Kabackche niedergelegt, aber erst im Anfange dieses Jahrhunderts fiel auch die Mittelmühle. Und dem heimeligen Mühlengang gab dann der Bau des Neuen Elektrizitätswerkes im Anfang der zwanziger Jahre den Rest. Was übrig blieb, war eine nüchterne Straße. Nur die beiden Häuser neben dem Dohna'schen Palais blieben, wie dieses, bis zur Schreckensnacht erhalten. Fortsetzung folgt

 

 

Seite 10   Die Frau bei den Altpreußen vor 700 Jahren. Von Landesmuseumsdirektor a. D. Dr. Wilh. Gaerte – Hannover. (Schluss)

Zur Hausfrau und Gattin geworden, fand die Altpreußin im neuen Heim ein nach unseren Begriffen wenig erfreuliches Los. Wie als Tochter im Hause des Vaters ward sie auch im neuen Wirkungskreis nur als Sache behandelt, mit welcher der Herr und Besitzer nach Belieben umspringen konnte. Oft musste sie das Leben neben ihrem Gatten mit noch einer oder mehreren anderen Frauen teilen, denn die Einehe war nicht allgemein üblicher Brauch. Wem von den Altpreußen bessere Vermögensverhältnisse es gestatteten, der durfte sich mehrere Frauen einkaufen. Bestrebt mit dieser Sitte zu brechen, nötigte der Orden im Christburger Vertrag den Preußen das Versprechen ab, sie würden fernerhin nicht mehr zu gleicher Zeit zwei oder mehr Gattinnen ihr eigen nennen (Voigt I, 544). Der Unterschied zwischen der Behandlung einer deutschen Ehefrau und einer altpreußischen war so augenfällig, dass der Ordensschriftsteller Peter v. Dusburg es der Erwähnung für wert hielt, darüber zu berichten. Er schreibt: „Der Altpreuße behandelt seine Gattin wie eine Dienerin. Nicht isst er mit ihr an einem Tisch und an bestimmten Tagen muss sie dem Hausgesinde und den Gastfreunden die Füße waschen".

 

Der Altpreußin selber fielen nur Pflichten zu: sie hatte nicht die geringste Bedeutung einer bürgerlichen Person. Rechtlos blieb auch nach dem Tode des Gatten die Frau als Witwe. Erbansprüche an das fahrende und unbewegliche Hab und Gut des Verstorbenen konnte nur der männliche Nachkomme erheben, in seinem Wegfall der Bruder des Toten. Witwe und unverheiratete Tochter gingen wie jede andere Hinterlassenschaft in den Besitz des rechtmäßigen Erben über. War dieser ein Stiefsohn der hinterbliebenen Witwe, so konnte er diese, d. h. seine eigene Stiefmutter, ehelichen. Sonst scheint die Witwe im alten Preußenlande nicht wieder geheiratet zu haben, während es für den Witwer moralisches Gesetz war, sich möglichst bald wieder zu verheiraten. Wenn Winrich v. Kniprode in einem Privileg verfügte, man solle den Witwen der im Kriege gefallenen Schalauer an der Memel die fahrende Habe belassen und ihre Wiederverheiratung betreiben (Peter von Dusburg), dann bestätigt diese Ausnahmeverfügung nur das vorher gezeichnete Bild von der Stellung der altpreußischen Witwe. Dass dieselbe wie bei anderen Völkern des Altertums nach dem Tode ihres Mannes sich verschiedentlich selbst tötete und hat verbrennen lassen, ist zwar nicht von älteren Schriftstellern überliefert, doch schließt dieses Versagen des Schrifttums nicht aus, dass Selbsttötung der Witwe vorgekommen ist, zumal die vorgeschichtliche Bodenforschung Gräber aus den verschiedenen Jahrhunderten nachgewiesen hat, wo Mann und Frau in einer Grube beigesetzt waren. Dieses Zusammentreffen lässt wohl nur den Schluss auf Witwenselbsttod zu (Gaerte, Witwenverbrennung im Vorordenszeitlichen Ostpreußen, Prussia 29, 1931, S. 125 ff.).

 

Es erhebt sich noch die Frage, welche Rolle die Frau im Kultus spielte. Gewisse kultische Handlungen waren nur Männer vorbehalten, Frauen mussten ihnen fernbleiben. Es handelte sich dabei wohl um bestimmte Fruchtbarkeitszeremonien, wobei die Anwesenheit eines weiblichen Wesens als erfolgsstörend betrachtet wurde. Daneben gab es Kulte, die nur den Frauen oblagen, wenn sie z. B. die Schlange des Potrimpos pflegten, von dem sie Segen des Leibel erflehten. Weidelottinnen, Priesterinnen waren bevorzugte weibliche Mitglieder der Gemeinde. Sie mussten zeitlebens unverehelicht bleiben. Bisweilen genoss eine Priesterin als Stammes-Prophetin besonders hohe, allgemeine Verehrung, wie es z. B. bei den Galindern der Fall war, wo nach dem Willen und Gutachten einer Hohepriesterin sogar Kriegsangelegenheiten geregelt zu sein scheinen.

 

So viel über die Stellung der altpreußischen Frau innerhalb des damaligen gesellschaftlichen Lebens. Wir möchten unsere Schilderung aber nicht beschließen, ohne eines im alten Schrifttum besonders hervorgehobenen Wesenszuges der Frau in Altpreußen Erwähnung zu tun, nämlich ihrer Trunkfestigkeit. Noch um 1700 berichtet der Pfarrer Prätorius von den in Ostpreußen angesiedelten Litauern, dass ihre Frauen im Trinken mehr vertragen als die Männer. Bei dem Brudervolk der Altpreußen herrschte das gleiche Verhältnis vor. Vornehmlich bei zwei Gelegenheiten trat diese Trinkunsitte der Frauen in Erscheinung, bei der Begrüßung eines Gastes und bei der Totenfeier. Im ersteren Falle tranken alle Familienangehörigen, Hausfrau und Töchter eingeschlossen, so lange, bis, wie es heißt „alle trunkin worden". An der Totenfeier nach dem Begräbnis und alljährlich an dem altpreußischen Allerseelenfest beteiligten sich die Frauen ebenfalls mit unmäßigem Trinken. Sie kamen den Männern vor und diese wechselten dann mit jenen im Trinken ab. Und so lange tranken sie in toller Ausgelassenheit und genossen die Gastfreundschaft der Witwe, bis der letzte Tropfen vertrunken. So kann die Nachricht nicht Wunder nehmen, dass zehn altpreußisch-sudauische Frauen eine Tonne Bieres ausgetrunken haben.

 

Die Stellung der Frau im Altpreußen vor 700 Jahren unterschied sich, wie wir sahen, wesentlich von heutigen Verhältnissen. Von einer Gleichberechtigung der Geschlechter kann nach den uns überkommenen Nachrichten nicht die Rede sein. Im Mittelpunkt der Familie, des gesamten Hauswesens, stand der Mann als Hausherr. Für ihn gab es Rechte, für die Frau nur Pflichten. Bedingt wurde diese Stellung der Frau durch die bei den Altpreußen wie auch bei allen andern indogermanischen Völkern üblich gewesene Form der sogenannten Vaterfamilie mit fest ausgeprägtem Vater, recht und Vaterfolge im Gegensatz zu den mutterrechtlich bedingten Gesellschaftsformen anderer alter europäischer Völker, z. B. der Pikten in Schottland, er Iberer und Basken in Spanien, bei denen noch in historischen Zeiten die einstige Vorherrschaft des Mutterrechtes der Mutterfolge in Erscheinung trat.

 

 

Seite 10   Kulturelle Nachrichten

Der neue „Bohnenkönig“

Der Göttinger Völkerrechtler Professor Herbert Kraus ist zum Ehrenmitglied der „Gesellschaft der Freunde Kants" ernannt worden, deren Mitglieder sich am Geburtstag des Königsberger Philosophen am 22. April in Göttingen zum traditionellen „Bohnenmahl" versammelt hatten. Beim „Bohnenmahl" wird der neue Vorsitzende der Gesellschaft dadurch ermittelt, dass alle Teilnehmer von einer Torte essen, in der sich eine Bohne befindet. Wer sie findet, ist „Bohnenkönig" und Vorsitzender der Gesellschaft bis zur nächsten Jahrestagung. Staatsarchivdirektor Dr. Forstreuter, Göttingen, wurde „Bohnenkönig“ 1956/1957.

 

Johann-Gottfried-Herder-Institut tagte

Ende April fand in Marburg die Jahreshauptversammlung des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrates e. V. statt. Im Rahmen der Wissenschaftlichen Tagung erfolgte eine Aussprache über „Die Entstehung der Städte in Polen und Böhmen" auf Grund der Berichte, die von Prof. Dr. H. Ludat, Prof. Dr. W. Weizäcker, Prof. Dr. H. Jankuhn und Prof. Dr. W. La Baume erstattet worden waren. Prof. Dr. G. Grundmann (Hamburg) hielt einen Vortrag über Wanderungen der Renaissance nach Osten“ und Prof. Dr. H. J. Eggers berichtete über seine erfolgreichen Bemühungen, die weitere Erforschung der Vor- und Frühgeschichte Pommerns zu ermöglichen. Im Staatsarchiv Marburg war durch Staatsarchivrat Dr. K. Dülfer eine Ausstellung auf den Beständen, soweit diese den deutschen Osten betreffen, veranstaltet worden.

 

Hansischer Geschichtsverein für Erhaltung der geistigen Einheit

Auf der Jahresmitgliederversammlung des Hansischen Geschichtsvereins in Lüneburg sprach sich Professor von Brand-Lübeck für die Erhaltung der geistigen Einheit auf dem Gebiet der hansischen Forschung im gesamten Deutschland aus. Er begrüßte die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der hansischen Geschichte, die vor kurzem in Leipzig gebildet wurde. Diese Arbeitsgemeinschaft will dazu beitragen, westdeutschen Wissenschaftlern die Forschungstätigkeit in der Sowjetzone zu erleichtern. Zur Unterstützung mitteldeutscher Hanseforscher, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, stellte der Hansische Geschichtsverein Mittel zur Verfügung. Außerdem nahm der Geschichtsverein eine Einladung der Stadt Rostock (Sowjetzone) an, innerhalb der nächsten drei Jahre in Rostock eine gesamtdeutsche Tagung zu veranstalten. Zum Abschluss der Tagung wurde Professor Heinrich Reincke-Hamburg in Anerkennung seiner Verdienste um die hansische Geschichtsforschung zum Ehrenmitglied ernannt. Die Vorsitzenden, Professor Dr. Johannsen und Oberarchivrat Dr. Lehe, beide Hamburg, wurden wiedergewählt.

 

Forschungsstelle der ostdeutschen Volkskunde

Eine Forschungsstelle für ostdeutsche Volkskunde ist in diesen Tagen in Bremen gegründet worden. Sie wird mit dem „Verein für niedersächsisches Volkstum" in Bremen und mit der „Forschungsstelle für ostdeutsche Landes- und Volkskunde in Niedersachsen" in Hannover zusammenarbeiten.

 

Aufgabe der Forschungsstelle ist, wie der Leiter, Studienrat Alfred Cammann, am Dienstag mitteilte, die Sammlung und wissenschaftliche Bearbeitung von Mundarten, Sagen, Geschichten und Erzählungen aus Ostdeutschland zur Erhaltung ostdeutschen Kulturgutes. Ferner soll die bisherige und künftige Entwicklung der Einschmelzung von Brauchtum und Mundarten der ostdeutschen Bevölkerung in Westdeutschland beobachtet und festgehalten werden. Als Sammelstelle für Fundberichte und Mitteilungen soll das Bremer Focke-Museum eingeschaltet werden. In ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit steht die Bremer Forschungsstelle in Verbindung mit der Zentralstelle für Volkskunde der Heimatvertriebenen in Freiburg im Breisgau.

 

Keine Antwort ist auch eine Antwort

Ein Bauer in der Lüneburger Heide verlangte bei seinem Apotheker Blutegel zum Schröpfen. Der Apotheker, der stets zu einem Spaß aufgelegt war, schickte ihn zum Finanzamt, er möge sich dort die Schröpfköpfe abholen. Hier aber verstand man gar keinen Spaß, man schleppte den Witzbold vor den Kadi, der ihn zu einer Geldstrafe von 20 Mark verdonnerte. Der Verurteilte verkaufte nun diese Geschichte an eine Zeitung, strich 30 Mark Honorar ein, überwies davon 20 Mark an das Amtsgericht und schrieb an das Finanzamt einen freundlichen Brief, wie er die restlichen 10 Mark zu versteuern habe. Er wartet noch heute auf Antwort.

 

Seite 10  Kulturschaffende unserer Heimat. (Foto)

Der Komponist Otto Besch

Der Senior der ostpreußischen Komponisten, zugleich einer der künstlerisch und menschlich liebenswertesten unter ihnen, wurde am 14.02.1885 in Neuhausen bei Königsberg als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte zunächst Theologie, ging aber nach abgelegtem Staatsexamen zur Musik über und war 1910 - 1914 Kompositionsschüler von E. Humperdinck in Berlin. Nach dem ersten Weltkrieg wurde er Musikkritiker an der Königsberger Hartung'schen Zeitung und dann, von 1922 bis 1945, an der Königsberger Allgemeinen Zeitung. Außerdem, aber sicher nicht „nebenbei", leitete er eine Kompositionsklasse am Königsberger Konservatorium. Wer immer von den Größen der musikalischen Welt nach Königsberg kam, hatte direkt oder indirekt mit Besch zu tun, welcher die kaum je bestrittene musikalische Autorität der ostpreußischen Hauptstadt geworden war. Nach dem Zusammenbruch lebte er zwei Jahre in einem dänischen Flüchtlingslager in Nordjütland, kam dann nach Neugamme und lebt nun seit 1951 in Geesthacht bei Hamburg. Er ist Musikkritiker der „Neuen Welt“ und Mitarbeiter des NWDR Hamburg im musikalischen Lektorat. In allen diesen Jahren war er schöpferisch tätig und kann nun auf ein zwar zahlenmäßig relativ geringes, dafür aber an innerer Fülle und Lebendigkeit umso reicheres Lebenswerk zurückblicken.

 

Besch hat vor allem für Orchester und Kammermusik geschrieben. Schon die meisten Titel seiner Orchesterwerke (E. T. A. Hoffmann-Ouvertüre, Kurische Suite, Ostpreußisches Bilderbuch, Divertimento, Konzert für Orchester, Samländische Idylle) legen Zeugnis von des Komponisten Verbundenheit mit seiner ostpreußischen Heimat ab, deren Atmosphäre in seinen Werken ebenso zwingend wie unaufdringlich zum Ausdruck kommt. Auch seine einzige Oper („E. T. A. Hoffmann") huldigt einem Genius der alten Heimat. Von Beschs Kammermusikwerken sind vor allem die vier Streichquartette zu nennen. Die letzten beiden von ihnen scheinen ihm besonders ans Herz gewachsen zu sein (… „wohl meine besten Sachen, aber ziemlich schwer zu spielen …“). An geistlicher Musik existiert ein Marienlied für 2 Soprane und Orchester und zwei Motetten auf Bibelworte. „Stimme im Dunkeln“, drei Lieder nach Dehmel, sind von einer geradezu faszinierenden Dichte der Stimmung. Das „Triptychon für Klavier“ bezeichnet Besch bescheidener Weise als Gelegenheitsarbeit.

 

Nur 12 Werke in vier Jahrzehnten? Besch ist kein Vielschreiber, er weiß die Dinge reifen zu lassen, er ist bedächtig und vielleicht etwas schwerblütig, wie es nun einmal ostpreußische Art sein mag. Aber was dann gewachsen ist und Gnade vor den Augen seines Schöpfers gefunden hat, der nicht umsonst ein bedeutender Kritiker ist, das hat wahrhaft Bestand. Er hat es verstanden, moderne und modernste Elemente seiner im Grunde frühromantischen Empfindungsart zu verschmelzen. Selbst sagt er, dass ihn mit zunehmender innerer Reife das Satztechnische und Architektonische immer mehr beschäftigt. Wenn dies vielleicht auch mit einem stärkeren Zurückdrängen des bewusst Ausdrucksmäßigen Hand in Hand gehen mag, so ist dies sicher kein Verlust, denn Besch ist eine so starke Persönlichkeit, dass sein Wesen jede seiner musikalischen Gestaltungen ganz selbstverständlich durchdringt, formt und unverwechselbar macht.

 

Besch, der „große alte Mann“ der ostpreußischen Musik, von dessen ungebrochener Schaffenskraft wir noch manches erhoffen dürfen, ist in seiner ruhigen Kraft und unverkennbaren Eigenart neben dem beweglichen und ganz andersartigen Heinz Tiessen der bedeutendste lebende Komponist seiner Heimat, der er sich in ganz unpathetischer Selbstverständlichkeit verbunden fühlt. Dass er dabei von großer Güte und rührender Bescheidenheit ist, macht ihn auch menschlich liebenswert. H. Simbriger

 

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

Meinen Vater habe ich stets geliebt …

Als Lovis Corinth, der große Sohn seiner ostpreußischen Heimat am 17.07.1925 in Zandwoort in Holland starb, hinterließ er im Schubfach seines Schreibtisches eine Selbstbiographie, an der er viele Jahre geschrieben und die er zwei Monate vor seinem Tode mit der hier wiedergegebenen Zusammenfassung geschlossen hatte. „Mein Leben schildern?“ schreibt er in der Einführung, „das heißt, wahr und objektiv sein, sowohl gegen sich selbst als auch gegen diejenigen, welche in meinem Leben eine Rolle gespielt haben“. Der nachstehende Abschnitt ist ein Beispiel dafür, wie ernst es ihm damit ist und wie schwer er um diese Wahrheit ringt.

 

Meine Mutter war nebst der Tante, bei welcher ich in Königsberg erzogen wurde, Tochter eines Schuhmachermeisters in Tapiau mit Namen Butther. Er war ziemlich begütert zu seiner Zeit. Ein großes Haus, geradezu palastähnlich, gehörte ihm. Es wohnten noch in dem Hause unter anderen der Drechsler und Pumpenbohrer Mehlhoch. Da wurde der Klatsch großgezogen.

 

Meine Mutter, ich setze voraus das größte Pietätsgefühl, war wohl in der kleinen Stadt im Leben still und einfach. Wohl hatte sie ihren Kummer. Natürlich dachte sie vielleicht an den Zukünftigen. Aber wie es unter Männern war, in der Hauptsache eine fertige Wirtschaft zum Heiraten zu finden, so wird es auch unter den Frauen sein. Kurz und gut, sie heiratete einen Gerbermeister Opitz und wurde Mutter von vier Söhnen und einer Tochter. Die Tochter und der jüngste Sohn Zwillinge. Sie wurde als viel jüngere Frau von ihrem Manne brutal behandelt, die Trunkenheit war wohl das gewöhnlichste Laster. Sie wurde als Witwe herrschsüchtig, wirtschaftlich und vielleicht ihre beste Gemütsveranlagung, die Liebe zu ihrer Familie, wurde durch das Barbarische ihrer Umgebung vollkommen unterdrückt. Ich sah sie stets spinnen in dem Gesindezimmer und weben.

 

In der zweiten Ehe wurde sie etwas freundlicher, aber da mein Vater ihr verständig zu Willen war, hielt sie Haus und Wirtschalt tyrannisch zusammen. Dann wuchsen die Söhne zu Männern heran und wollten auf ihre Weise heiraten, und da brach der Streit los. Ihre Liebschaften fielen allgemein auf mesalliances. Ich zweifle nicht, dass eine friedliche und weiche Mutter sie hätte wohl zugeben können, aber so prallte ein harter Stein gegen den andern. Dazu kam der Hass gegen die zweite Ehe der Mutter und der Neid gegen mich, ihren Stiefbruder, weil ich in Königsberg in das Gymnasium ging. Dennoch muss ich sagen, dass manches Mal bei den Stiefbrüdern ein Funken von Liebe gegen mich auftaute, gerade, wenn ich zu den Ferien nach Hause kam.

 

Aber gegen Mutter und ihre Heiratspläne war immer Krieg. Sie begehrten auf, und die Mutter verfluchte sie! Trauer und Zank ging durch das Haus.

 

Allmählich gingen die Söhne fort, und ein ruhigeres Leben war die Folge. Einst saß die Mutter spinnend, und ich stand am Fenster, um zu sehen, wer hereinkam. Da kam eine junge Frau. Dieselbe gab sich als Frau ihres Sohnes zu erkennen. Aber nichts bewegte sie. Ein vereitelter Handkuss, indem sie ruhig weiterspann. Kein Wort wurde gesprochen, bis sie endlich fortging.

 

Ähnlich entsinne ich mich, kam in jungen Jahren ein alter Bauer mit langen weißen Haaren, buschigen Augenbrauen und blauen Augen. Meine Mutter war gegen ihn zuvorkommender als sonst. Ich musste einen Kuss geben, und sie war gegen ihn von der höchsten Delikatesse, soweit es ihr möglich war. Später schloss ich daraus, dass es wohl irgendein Verwandter meines Vaters war, denn heute sehe ich auch die Familienähnlichkeit. Aber wer der Verwandte war, konnte ich nie erfahren.

 

Ich war auf der Untertertia der Schule, und ungefähr dreizehn Jahre, als mein Vater nach Königsberg kam und sagte, dass die Mutter schwer krank darnieder liege. Als ich bald darauf zu den Ferien nach Hause kam, lag meine Mutter sehr schwer krank zu Bett. Keine Sentimentalität war an ihr zu erkennen. Sie sprach nur von der guten Wirtschaft, die sie hinterließ. Manches Mal streifte sie mich, mit kurzen Worten sah sie in die Zukunft, in der sie mich nach zwanzig Jahren sehen konnte. Der Zustand ihres Befindens wurde immer ernster, bis endlich der Arzt riet, wenn noch Verfügungen zu treffen wären, sollte es bald geschehen. Meine Mutter fasste es begierig auf. Der Schreiber kam und eine Art Jurist.

 

Ich blieb dabei und sah, wie sie es im Leben geführt hatte, so wollte sie auch nach ihrem Tode sein. Die Söhne, welche das Haus verlassen hatten, wurden auf Pflichtteil gesetzt. Dann wurde es im Hause verhältnismäßig ruhig; die Mutter fieberte und zupfte die Bettdecken. Ich habe sie in dem Zustande gezeichnet, und zu meinem größten Bedauern ist die Zeichnung verschwunden. In derselben Nacht starb sie, ruhig, als Philosophin. Dann läuteten die Kirchenglocken und machten kund, dass wieder ein Mensch schlafen gegangen war.

 

Ich habe keine gute Kinderstube gehabt, sogar eine möglichst schlechte. Die Erzogeneren haben keine Ahnung, wie das auf ein Kind wirkt, aber so viel sage ich, dass ich Gott danken kann, dass ich noch zu einem halbwegs anständigen Menschen herangewachsen bin. Und doch, die Natur konnte günstigeres Feld für einen Künstler finden. Das Leben in jedem Beruf habe ich gründlich kennen gelernt. Arm und reich, gut und schlecht. Alle Stufen folgen. Nicht, dass ich den Eltern etwas zur Last legen will. Sie verstanden es nicht besser! Meinen Vater habe ich stets geliebt, so wie er mich. Wie sollte ich denn nicht zufrieden sein. Leider haben die Eltern es nicht mehr erfahren. Sie würden meinen Erfolg mit Anerkennung konstatieren. Bin ich doch auch Ehrenbürger der Stadt Tapiau geworden! Was will man noch mehr! Selbst der Ehrgeiz meiner Mutter wäre vollständig befriedigt worden. Berlin, 8. Mai 1925. Lovis Corinth

 

Bild: Kähne auf dem Schwielowsee (1914), Öl.

Theo von Brockhusen geb. 1882 Marggrabowa, Ostpreußen gest. 1919 Berlin

 

Seite 11   Suche das Sein

Was wir überleben unserer selbst, also Tod nennen, ist bei besseren Seelen nur Schlummer zu neuem Erwachen, eine Abspannung des Bogens zu neuem Gebrauche. So ruhet der Acker, damit er desto reicher trage; so erstirbt der Baum im Winter, damit er im Frühling neu sprosse und treibe. Den Guten verlässt das Schicksal nicht, solange er sich nicht selbst verlässt und unrühmlich an sich verzweifelt. Der Genius, der von ihm gewichen schien, kehrt zu rechter Zeit zurück und mit ihm neue Tätigkeit, Glück und Freude. Oft ist ein Freund ein solcher Genius,oft ist es ein unerwarteter Wechsel der Zeiten. Opfere diesem Genius, auch wenn du ihn nicht siehst; hoffe auf das zurücksehende, wiederkehrende Glück, wenn du es gleich entfernt glaubest. Ist die linke Seite dir wund, lege dich auf die rechte; hat der Sturm dem Bäumchen hierher gebeugt, suche es dorthin zu beugen, bis es wieder seine aufstrebende Mitte erreichte. Du hast dein Gedächtnis ermattet; bilde deinen Verstand. Du hast dem Scheine zu emsig nachgestrebet, und er hat dich betrogen; suche das Sein für dich selbst; es kann dich nicht trügen. Unverdienter Ruhm hat dich verwöhnet, danke dem Himmel, dass du sein los bist und suche den, der dir nicht geraubt werden kann, in eigenem Werte. Nichts ist ehrwürdiger und edler als ein Mensch, der trotz des Schicksals in seiner Pflicht beharrt, und wenn er von außen nicht glücklich ist, es wenigstens zu sein verdiente, er wird es zu seiner Zeit gewiss werden. Die Schlange der Zeit wechselt oft ihre Häute und bringt dem Manne in der Höhle, wo nicht den fabelhaften Juwel auf dem Haupte, oder die Rose in ihrem Munde, so doch Kräuter der Arznei zur Vergessenheit des Alten und zur Wiedererneuerung. Johann Gottfried Herder

 

Fritz Kudnig: Ragende Kiefern

Wo hast du solche Kiefern gesehn,

die himmelhoch bis in die Wolken gehn?

Sie stehn mit Gott, hör ihnen still nur zu,

seit Ewigkeit wohl schon auf Du und Du.

 

Der Sturm hat ihnen mit der harten Faust

das schöne, dunkelgrüne Haar zerzaust.

Doch ihre Stämme sind wie Riesen stark;

man fühlt es bis hinein ins eigne Mark.

 

Wie anders, wenn sie dann im Abendrot

vom Licht wie tief von innen her durchloht.

Dann hört, wer hören kann und hören will:

die großen, starken Kiefern beten still.

(Aus Fritz Kudnig: Das Wunder am Meer. Gedichte. Gräfe und Unzer Verlag, München.)

 

Seite 11   Stolze Manifestation ostdeutschen Kulturschaffens. Ost- und Westpreußen gewichtig vertreten.

Die in Zusammenarbeit der Künstlergilde e. V. Esslingen und des Magistrats der Stadt Darmstadt zunächst auf der Mathildenhöhe und im Anschluss daran im Stuttgarter Kunstverein gezeigte Ausstellung „Ostdeutsche Künstler im 20. Jahrhundert“ erweist sich mit ihren 334 Werken der Malerei, Grafik und Plastik nicht nur als die umfangreichste, sondern nach Urteilen namhafter Fachkritiker auch als qualitativ beste und am schönsten aufgebaute ostdeutsche Ausstellung seit 1945.

 

Eine neunköpfige Jury, bestehend aus dem früher in Breslau tätigen Direktor des Hessischen Landesmuseums, Prof. Dr. Erich Wiese, dem Direktor der Kunsthalle Mannheim, Dr. Walter Passarge, dem Kulturreferenten der Stadt Darmstadt Heinz Winfried Sabais und den gewählten Beiräten, dem ostpreußischen Maler Ernst Mollenhauer, dem westpreußischen Maler Heinrich Klumbies , der Danziger Malerin Ursula LudwigKrebs, dem schlesischen Bildhauer Karlheinz Goedtke, dem sudetendeutschen Bildhauer Viktor Eichler und dem Geschäftsführer der Künstlergilde, hatte aus etwa 1000 Arbeiten die besten ausgesucht. Diese Auswahl bietet ein vielgestaltiges, höchst eindrucksvolles Bild der Entwicklung von Käthe Kollwitz, Lovis Corinth, Otto Mueller, Adolf Hölzel, Max Pechstein bis zu den jüngsten Begabungen. Besonders stark ist die Berliner ostdeutsche Gruppe, beachtlich auch die Beteiligung ostdeutscher Künstler, die heute in New York, Tel Aviv, Florenz, Wien und Graz leben. Viele deutsche Museen, Galerien, Nachlassverwaltungen und Privatsammler haben Leihgaben beigesteuert.

 

Der Nordosten ist in der Ausstellung sehr gewichtig vertreten. Wir wollen hier, ohne Vollständigkeit zu erzielen, einige Akzente setzen. Ausgehend vom ältesten Bild, dem feinen, 1900 gemalten Gerhart-Hauptmann-Porträt von Lovis Corinth, sehen wir einige typische Ölbilder und Grafiken (Selbstporträt und Porträts) des großen Malers und Zeichners an der Wende der Stile, darunter die schöne Huldigung an den Heimatort Tapiau, einen Entwurf für das Wandgemälde im Ratsherrensaal aus dem Jahre 1917. Ein anderer Sohn von Tapiau, der farbkräftige Expressionist Ernst Mollenhauer, unermüdlich und ungebrochen im heutigen Schaffen, erinnert uns an das Malerzentrum Nidden an der Kurischen Nehrung, das auch den großen Meistern der Dresdener „Brücke", die mit guten Arbeiten vertreten sind, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, stärkste Impulse verliehen hat. Der Erinnerung wert sind die in den Weltkriegsjahren verstorbenen Meister der Farbe Theo von Brockhusen und Waldemar Roesler (prächtiges Selbstbildnis!).

 

Die Bedeutung der Königsberger Schule demonstrieren die Maler Eduard Bischoff, Arthur Degner, der sich überraschend auch als beachtlicher Bildhauer präsentiert, Heinrich Klumbies, Karl Eulenstein (Memel), der Westpreuße Erich Kaatz, der heute in New York lebende Bruno Krauskopf, Arthur Kuhnau, Hans Orlowski, Eva Schwimmer, Rudolf Strey, Helga Tanck, Xeiner-Rösler, neben denen sich die führenden Vertreter der abstrakten Kunst, Rolf Cavael, Heinrich Wildemann und Fred Thieler, der erst 18-jährige Benjamin der Ausstellung Siegfried Lagerpusch, die Danziger Landschafter Berthold Hellingrath (verstorben), Fritz Heidingsfeld, Ursula Ludwig-Krebs, Lotte Bingmann-Droese und Bruno Paetsch sowie die Jungen Paul Herrmann, Susanne Schönberger und besonders der hochbegabte Königsberger Dietmar Lemcke gut behaupten.

 

In je einem Vertreter der älteren und der jungen Generation, Rudolf Daudert  und Jürgen Weber, ist die Plastik aus diesem Raum nicht umfänglich aber beachtlich vertreten.

 

Nur ein Teil der Werke erinnert im Thema an die ostdeutschen und heimatlichen Züge. Es ist weltoffene Kunst, die aber in der Herkunft sichtbar und beglückend wurzelt. Das gilt auch für die eindringlichen Bronzen der großen Käthe Kollwitz, besonders die „Winkenden Frauen", in denen so viel von Abschied, Sehnsucht und Bekenntnis verwurzelt ist, wie für die traumhaften Dünenbilder des 1945 umgekommenen Alfred Partikel, die den ganzen Zauber des Streifens zwischen Haff und Ostsee eingefangen halben.

 

Seite 11   Das Stück Bernstein / Von Tamara Ehlert

„Ich wollte einen Anhänger daraus machen lassen", sagte er immer und drehte ein Stück Bernstein in den Händen. Es hörte ihm niemand zu. Er fuhr mit den Fingerkuppen vorsichtig über die geschliffenen Kanten. Es war kein besonders schönes oder großes Stück, aber wenn er es so hin- und herdrehte, hielt er damit alles in der Hand — sein Dorf, sein Haus, das blaublühende Lupinenfeld, das Elsbethchen und das Blinkfeuer.

 

Das Elsbethchen hatte braunes Haar gehabt, und dazu trug es fast immer blaue Kleider. Es war seine Lieblingsfarbe, deshalb musste er es auch so oft zu dem großen Lupinenfeld mitnehmen. Dann hüpfte es daran entlang auf seinen drallen Beinen, selbst ein handfester blauer Schmetterling.

 

Die Weitkunatsche kochte ihm das Essen, aber da sie auch sonst tagsüber viel zu tun hatte, ließ sie ihm das Kind ganz gern.

 

„Geh man", sagte sie. „Bist doch lieber bei deinem neuen Opa als bei mir“.

 

Die beiden verstanden sich sehr gut. Im Sommer waren sie viel am Strand, der Alte saß auf den Steinen und sah zu, wie die Kleine in der Brandung umhersprang und ihm tote Tiere und blankgewaschene, seltsam geformte Schwemmholzstücke brachte. Dabei fand sie auch das Bernsteinstück. Sie nahmen es mit nach Hause, und der Alte verwahrte es in der Schublade, aber die Kleine durfte damit spielen, so oft sie wollte. Später ließ er es schleifen, um ihr eine besondere Freude zu machen. Jetzt war es ganz glatt anzufassen und leuchtete sanft, und das Elsbethchen mochte sich erst recht nicht mehr davon trennen.

 

„Ein schöner Klunker", sagte es, „so ein schöner Klunker, Opa. „Was meinst", sagte der Alte, „wenn du größer bist, lassen wir ein Loch durchbohren und du kriegst eine Halskette dazu — was meist, Elsbethchen?"

 

Die Kleine drehte das Bernsteinstück hin und her sah sich schon mit einem feinen dünnen Silberkettchen um den Hals, daran hing der Klunker und glänzte bräunlich und golden.

 

„Du machst die Marjell bloß eitel“, schimpfte die Weitkunatsche.

 

Oft gingen sie des Abends noch zum Strand hinunter, das Elsbethchen wollte immer das Blinkfeuer sehn. Sie standen beide auf den Steinen und sahen zu, wie es aufsprang, erlosch und wieder aufsprang, ein guter Geist für die Seeleute auf dem dunklen Wasser.

 

„Wenn ich groß bin, wird es dann noch da sein?"

 

„Ja, dann wird es auch noch da sein. Das wird immer da sein. Aber nu musst, du ins Bett, sonst darfst du morgen nicht mit dem Klunker spielen“.

 

Im Winter, wenn die See grasgrün und böse an den Dünen fraß und die Krüppelkiefern im Sturm aufstöhnten wie alte Frauen, die zu schwere Körbe schleppen müssen, hockten sie alle drei in der warmen Küche. Die Weitkunatsche strickte Strümpfe, und wenn die Nadeln durch die Wolle gingen, hin und her, sah es so aus, als ob kleine silbrige Fische sich ihren Weg durch ein Algennetz suchten.

 

Der Alte und das Elsbethchen sahen den eifrigen kleinen Fischen zu und wärmten ihre Füße an den Herdkacheln. Das Bernsteinstück war auch dabei, und wenn der wandernde Feuerschein es traf, glänzte es auf wie Seide.

 

„Wenn du nicht artig bist", sagte die Weitkunatsche, „kommt der Buscherbaubau und nimmt ihn dir weg, deinen Klunker“.

 

Das Elsbethchen machte erschreckte Tieraugen und hängte sich an den Alten.

 

„I was", sagte der, „der Buscherbaubau kommt nicht, und wenn er kommt, schmeißen wir mit dem Schlorr nach ihm, und weg ist er“.

 

Der Klunker hatte auch heilkräftige Wirkung. Wie hätte es denn sonst sein können, dass die Kleine, als sie so schwer mit Diphtherie lag, immer nach dem Bernsteinstück verlangte und dass sie dann gesund wurde, als der Alte es herüber brachte? Das Elsbethchen war bestimmt nur darum gesund geworden.

 

Aber wo waren sie jetzt, das Kind und die Weitkunatsche? Er wusste nichts mehr von ihnen, so wie er nichts mehr von seinem Haus wusste, dem Lupinenfeld und dem Blinkfeuer. Er hatte nur noch das Stück Bernstein, das hatte er mitgenommen.

 

So saß er damit, Tag für Tag, und drehte es in seinen alten Händen. „Eigentlich sollte ja ein Anhänger daraus werden", sagte er, aber niemand beachtete ihn. Und dann fügte er, wie immer, hinzu: Aber das hat nu keinen Zweck mehr“.

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (35)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Vor virzehn Tage las ich inne Zeitung von die Hexen, wo hier ieberall giebt, und von die Teifelsdienerinnen, wo bald in jedes Dorf wohnen. Se bringen de Bauern Unglick, dass das Vieh krank wird und aufe Felder mischt nich wachsen tut. Sagen Se, wie kann e vernimftiger Mensch so e Blödsinn glauben? Wir sind doch nich mehr innes Mittelalter, wo se unschuldige Frauens aufem Scheiterhaufen verbrannten, bloß weil se im Verdacht standen, dass se etwas mittem Teifel zu tun hädden. Das möchden se in manche Gegenden am liebsten auch heite noch machen, bloß se dirfen nich. So e Hexenkrankheit gab es bei uns in Ostpreußen nich, wenn auch, genau besehen, jeder e bissche abergleibisch is. Aber denn dreht sich das immer umme Kleinigkeit. Se kennen ja de Emma, was meine Frau is. Die hat in diese Hinrichtung auch e bissche was weggekriegt vom letzten Frost, wie ich all frieher mal schrieb. Aber se schnappt wenigstens nich ieber, es ist sozusagen immer noch auszuhalten und bleibt inne Familie. Da kommt es auch vor, es ist bestimmt irgendwie vererbt. Schad, dass se ihrem Bruder Rudolf nich gekannt haben, auf deitsch meinem Schwager. Mit dem konnden Se vleicht was erleben. Von morgens bis abends hädd der mischt anders im Kopp, wie bei alle Gelegenheiten seine abergleibische Redensarten anzubringen, dass einem rein angst werden kond. Er wohnd in Elbing, und wenn ich bei dem mal auf Besuch fuhr —, manchmal war es nich zu vermeiden —, denn bibberd ich all immer mitte Zähne, dass aller dachden, de Knippelmusik marschiert. Der hädd nu wieder e Schwester namens Jette, wo aufes Land wohnd. Die war so dinn und flach gedrickt, als wenn se drei Monate unters Kleiderspind gelegen hädd. Frieher war se mal rundlich gewesen wie e fette Kreizspinn, aber denn wurd se immer weniger, und zuletzt konnd se sich inne Kleider umdrehen mitte Nas nach hinten. Die war nich zu leiden, speilzahnig und mäklig war se, brastig und balstierig, das heißt frech und eigensinnig, wenn Se es nich mehr wissen sollden. Und bei jede Kleinigkeit tat se aufmutzen, es war wirklich nich zu glauben, was die alles iebelnahm. Deshalb wolld auch keiner mischt nich mit ihr zu tun haben, nich im Guten und all gar nich im Beesen. Aber ängstlich war se, daß ihr ja bloß nuscht passieren solid. Wie die das erste Mal nach Elbing kam und de Straßenbahn zu sehen kriegd, da meind se: .Ich huck mir doch nich in so e elektrisches Schaukelpferd rein." Se war nich mal zu bewegen, iebre Straß zu gehen, wo de Schienen lagen. Se konnd womeeglich e Schlag kriegen und denn das- ganze Leben mausedot sein. Ihr Bruder tat ihr zureden wie e krankem Kindche, es half nuscht. Zuletzt mißd se aber doch rieber, weil de Wohnung von meinem Schwager aufe andre Seit Straß lag und se nich e Umweg ieber Braunsberg machen wolld. Zum Glick stand da e Pollezist wo se Vertrauen hädd, und dem ging se zur Sicherheit erst fragen. „Nei, Freilein“, sagd er, „solang wie se nich mittem andern Bein oben am Drah hängen, kann Ihnen nuscht passieren“. Da war se endlich beruhigt. E paar Jahre später fiel meinem Schwager morgens beis Friehstick das Messer runter und blieb mitte Spitz inne Dielens stecken, außerdem fand er e einzelnem Strohhalm inne Stub. Weiß der Deikert, wer dem reingeschleppt hädd. Jedenfalls war ihm nu doppelt klar, dass Besuch kam. Und richtig, es klingert, und der Briefträger gibt e Briefche ab vonne Tante Jette, wo se ihrem Besuch fier zehn Tage anmelden tat. Manchmal haut es ja mittem Aberglauben so hin, dass einer direkt selbst abergleibisch werden kann. Aber einer wird nich, weil einer als gehobener Beamter z. A. ja zu die gebüldeten Menschen gehört. Mein Schwager Rudolf war nu ganz versteert und hat sich dem Zorn von die Seele geschimft. Dabei hat er einiges geflüstert, was sein vierjähriger Butzer eigentlich nich heeren solld, und das gab Ärger, wie Se bald erfahren werden. Seine Frau war mehr für das Praktische: „Wo soll se bloß zehn Nächte schlafen?" „Das is mir doch egal“, meind mein Schwager, „meintswegen aufem Kronleichter!" Damit schmiss er de Tier zu und ging innes Biero. Nu kam der firchterliche Tag ran, wo de Tante Jette erscheinen solld, denn er hädd ihr nich konnd ausladen, weil se e paar Pimperlinge aufe Sparkasse hädd, wo er drauf gieprig war. Also missd er in dem sauren Jette-Apfel reinbeißen. „Heite giebt es Ärger“, sagd er all, wie er außes Bett hoppsd und de Fieße inne Latschen steckd, „ick hab nämlich von kleine Kinder getreimt“. Der vierjährige Sperrkucks, Waldemar hieß er, war all ganz aufgeregt wegen dem Besuch, und lauerd wie e Kiekel opp Schnodder, dass es anne Angtreehtier klingern solld. Und denn klingerd es auch, und denn war es passiert. Er war gleich anne Tier, machd auf, und da stand de Tante Jette, e große Fladrusch aufem Kopp, bequeme, warme Pareezkes anne Fieße, und e ziemlich großem Kuffert inne Hand, weil se sich doch auf zehn Tage eingerichtet hädd. „Tante Jette", sagd der Waldemar, ganz entteischt, „Du kommst selbst?" De Tante Jette kickt ihm dreidammlich an. - - „Der Vatche hat doch gesagt, das Kamel von Tante kommt“. De Tante Jette aufem Absatz rum und wieder de Trepp runter. Der Schwager und seine Frau hinter ihr her und zodderden ihr wieder rauf, dass se ihr bald de Kleidasch vonne Knochen rissen, weil se sich streiben tat wie e junges Mergellche gegnem eisten Butsch, weil indem dass se allgewalt wieder aufem Bahnhof wolld. Aber de lebermacht siegt, und halb zerpliesert und ganz aufgeleest schubbsden se ihr inne Stub rein und huckden ihr aufem besten Sessel. Se wussten nich genau, wieviel Geld se aufe Kass hädd, aber es missd eigentlich e ziemlicher Hunpel sein, was ihr Mann vermacht hädd, wie er de Klumpen aufsetzd. Nu taten se sich entschuldigen, und der Waldemar kriegd vor ihre Augen e Schicht Pems, dass es fier e halbes Jahr reichen missd. Eigentlich hädd der Rudolf de Priegel verdient, und nicht der Gnoss, aber im Leben geht es ja immer ungerecht zu. Ganz allmählich tat se sich denn beruhigen und war zuletzt auch mitte Tassche Kaffee einverstanden. Aber wie se dem ersten Schlubberche nahm, da fing se auch gleich an zu mäkeln:

 

„Was trinkt Ihr bloß fier e Plurksch, fier e Pischull? Das ist ja de reine Schlorrensupp!“  „Aber Tantche", sagd de Hausfrau, „das is bald der teierste Kaffee, wo unser Kaufmann hat, das is Festtags-Mischung, wo wir immer bloß kaufen, wenn wir so liebem Besuch haben“. „So?“ - meind de Tante Jette misstrauisch“, „denn hast aber bloß eine pischrige Bohn annem Zwirnsfaden durches heiße Wasser gezogen“. Der Schwager war froh, dass er nu innes Biero missd, aber jetz wolld de Tantche zeigen, dass se alle wieder verseehnt war. Deshalb stand se auf, wie er de Hand gab, und haud ihm leitselig innes Kreiz, dass ihm foorts de Uhr stehen blieb. Und weil er diese rauhe verwandschaftliche Liebkosung nich geredient hädd, sackd er zusammen und verzog das Gesicht, weil indem dass er es mittes Rickgrat hädd, wo se heite drauf Bandscheibenschaden sagen, denn abgesehen von seinem Aberglauben war er e ganz moderner Mensch. Ersparen Se mir zu erzählen, was die arme Familie in die zehn Tage ausgehalten hat. Was wolld de Tante Jette nich alles wissen! Was der neie Schrank gekostet hadd, und warum der Rudolf sich so e teiren Anzug hädd machen lassen, und so ging das von morgens bis abends. Ihr Mundwerk stand ieberhaupt nich still, denn dazwischen schimpfd se aufes Essen. Dies schmeckd ihr nich, und das konnd se nich vertragen wegen ihre Gallensteine, wo ieberhaupt in ihre Gespräche e große Rolle spielden. Stundenlang erzähld se, wie se inne Klinik war und wie se ihr da mitten Magenschlauch kujeniert hädden, dass einem rein das Essen hochkommen konnd. Das erzählt se bei jedem Besuch, und aller mussten geduldig zu heeren, als wenn es die große Neiigkeit war, sonst wurd se immer glich falsch und drohd mit ihre sofortige Abreise. Aber es war bloß e leere Drohung, und aus die zehn Tage wurden vierzehn. So krank und anfällig se tagsieber war, jeden Abend wolld se mit Gewalt ausgehen, weil se doch so selten inne Stadt kam, sagd se. Alles missd sich um ihr drehen, und alles bloß wegen die paar Plautzpfennige, wo emmend mal zu erben gab. Liebe Landsleite, einer soll nich aufes Geld gieprig sein, das hat mein Schwager zu spät erkannt, denn er hat von das große Vermeegen nich einem roten Dittche zu sehen gekriegt, weil alles in die Inflatzjohn zusammenschmolz wie de Butter inne Sonn. — Haben Se Pfingsten auch so gehubbert? Hoffentlich wird nu im Juni endlich e bißche wärmer. Das winscht Ihnen mit herzliche Heimatgrieße

Ihr Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

 

Seite 12   Zwei Hosen. Von Dr. Alfred Lau

Es war im Juni. Schwer hing inne Luft

Der Duft von Flieder und Rosen,

Und außerdem hingen im Wind aufe Lein

Zwei frisch gewaschene Hosen.

 

Das war nich schlimm, bloß, genauer bekickt,

War es doch e bißche verfänglich:

Die eine war kurz und aus rosa Satäng,

Die andere griesgrau und länglich.

 

Nu missden se, durche Maschien gedreht,

Man erst auf zu Haus sich besinnen:

Das Hos'che, das stammt aus Hildesheim,

Die Hos, die war aus Gumbinnen.

 

Da pusd das Hos'che sich auch all auf

Und kriegd direkt rundliche Backen,

Es runzeld dem Bund und fing foorts an,

Die griesgraue Hos zu besacken:

 

„Du plumper Kerl aus der Pollakei,

Sofort hast Du hier zu verscliwinden!

Dein Anblick allein, das merkst Du wohl nicht,

Beleidigt man zartes Empfinden!"

 

Das fuhr die Gumbinner Hos im Gebein,

Und denn, mit Boß nu geladen,

Hold tief se von unten erst orndlich Luft

Und knalld empeert mitte Waden.

 

„Nu heer bloß auf, Du alte Kastroll,

Hier große Bogen zu spucken,

Sonst klatsch ich Dir eins aufe Karmenad,

Denn kannst vier Wochen nich hucken!"

 

Das saß! Doch das Hos'che aus rosa Satäng,

Das tat nich weinen und jammern,

Es wolld bloß weg von dem graurigen Kerl

Und zodderd und rucksd anne Klammern.

 

Doch wie das Hos'che aus Hildesheim

Sich placken nu tat und zerracken,

Da kehrd de Hos aus Gumbinnen sich um

Und griend ieber sämtliche Backen.

 

Da kam e karäsiger Wind umme Eck

Und klatschd die zwei Hosen zusammen,

So dass se mit ein nu — wer hädd das gedacht! —

In Wonne und Seligkeit schwammen.

 

Vereinigt fier immer, so hielden se

Sich fest und eng nu umschlungen,

Und was vorher keiner fier meeglich hield,

Das hädd nu e Windstoß vollbrungen.

 

 

Seite 12   Webers Süßer / Von Elisabeth Pfeil

Wir wohnten in dem Königsberger Vorort Hufenviertel. Da uns die Wohnung zu klein war, tauschten wir sie und zogen in eine größere nahe am Tiergarten. Es war ein Eckhaus mit zwei Eingängen. Von der Hauptstraße gelangte man zu den kleineren Zwei- und Dreizimmerwohnungen, über den zweiten Eingang von einer kleinen parallellaufenden Nebenstraße zu den größeren Wohnungen.

 

Am Morgen nach unserem Einzug sah ich auf der Haustürschwelle der kleinen Wohnungen ein etwa vierjähriges Bübchen sitzen, das soeben ein Hörnchen verputzt hatte und nun damit beschäftigt war, mit angefeuchteten Fingerchen die Krümel aufzupicken. Ich blieb stehen und sagte: „Willst du die Krümel nicht den Vögeln lassen? Sieh mal, die wollen doch auch ein Frühstück essen“.

 

„Ach nein, die können sich welche suchen. Schade um jeden Tümel“.

 

„Wie heißt du denn?" fragte ich weiter. Heißen heiße ich Heinz, aber ich bin Webers Süßer“.

 

Das war der Anfang meiner ersten nachbarlichen Bekannschaft.

 

Die Küchenbalkons beider Wohnungen gingen alle zur Hofseite hinaus. Der Hof war eine Gartenanlage mit Birkenbäumen. Auf meinem Balkon saß mit Vorliebe Moll, mein großer, gelber Angorakater, stolz und majestätisch wie ein Löwe. Mächtig ärgerte er sich über die in der Luft herumschwirrenden Vögel; sie waren ihm jedoch unerreichbar und so musste er sich begnügen, sie mit seinen Blicken zu verfolgen.

 

Auf dem Nachbarbalkon stand meist Webers Süßer, und er gab sich die erdenklichste Mühe, mit Moll eine Bekanntschaft anzuknüpfen. Er wurde jedoch von Moll völlig ignoriert. Eines Tages fragte mich Heinz: „Darf ich mal den Moll besuchen?" „Ja, das darfst du“. Und tapptapp-tapp kamen am Nachmittag ein Paar Sandalenbeinchen die Treppe herauf und draußen stand „Heißen heiße ich Heinz“.

 

Mein Moll aber hatte mit Kindern wenig im Sinn, er wischte unter die Betten im Schlafzimmer und blieb dort eisern sitzen. Da half kein Bitten und Locken. Von meiner Schreibmaschine aufschauend, sah ich plötzlich durch die offene Verbindungstür, wie Heinz sich einen Stock aus dem Schirmständer in der Diele holte und damit unter die Betten fuchtelte. Ich rief: „Er wird dich kratzen!“ Noch nicht ausgesprochen, ertönte auch schon ein Gebrüll, und tränenüberströmt zeigte mir Heißen-heiße-ich sein Händchen. Ja, da waren ein paar rote Kratzerchen darauf, die aber bei einem Stück Schokolade schnell wieder vergessen waren.

 

Schon wieder lächelnd fragte er: „Sag mal Tante, macht der Moll viel Schaden?“

 

„Ja, das tut er. Sieh dir mal die Sessel im Wohrzimmer an, wie die an den Seiten zerkratzt sind. Ich bin sehr böse mit ihm“.

 

Er ging los, betrachtete such lange und fachmännisch die Sessel, kam gewichtigen Schrittes zurück und klopfte mir tröstend auf den Arm: „Das ist halb so schlimm, die müssen bloß mal gut ausgebürstet werden!"

 

Das war Heißen heiße ich Heinz, Webers Süßer, und wir waren noch lange gute Freunde.

 

 

Die neue Köchin

„Erna", sagte die Hausfrau zu ihrer neuen Köchin, „oben vor dem Fenster des Fremdenzimmers hängt ein Hase. Holen Sie den mal her und machen Sie den Braten zurecht! Sie wissen doch damit Bescheid?"

 

„Aber ja, gnäd'ge Frau!"

 

Erna holte sich den „Krummen", warf ihn auf den Küchentisch und holte sich ihr funkelnagelneues Kochbuch. Ja, so ein Kochbuch ist doch etwas Herrliches, das weiß so genau in allen Dingen Bescheid. Und die Mutter halte doch Erna eingebläut: „Richte Dich ganz und gar nach dem Kochbuch, dann kann Dir nichts passieren!"

 

Erna schlug flugs ihr Kochlexiken auf und hatte auch bald gefunden, was sie brauchte: „Hasenbraten". Sie legte nun das aufgeschlagene Buch aufs Fensterbrett — das Fenster stand offen - und holte sich den Hasen ans Licht. In diesem Augenblick kam ein kleiner Windzug und blätterte eine Seite um, so dass statt „Hasenbraten" nun „Hahnenbraten" aufgeschlagen war.

 

Na, Erna in ihrer Unschuld dachte an nichts Böses und sagte zu sich selbst: „So, nun lese ich immer stückweise, dann werden wir das Dingelchen schon schaukeln!" Also las sie, ohne auf die Überschrift weiter zu achtrn: „Das Tier muss zunächst säuberlich gerupft werden, alsdann - -

 

 Halt stopp! Soweit erst einmal! Erna packte Mümmelmann bei den langen Ohren und fing nun sorgfältig an, dem Tierchen die Haare vom Fell zu rupfen. Das war keine Kleinigkeit. Die Haare saßen verdammt fest und allmählich fingen Ernas Finger an zu schmerzen. Aber es half nichts, der Hase musste Haare lassen. Nach einstündiger Quälerei saß der Hase immer noch voll Haare und der armen Köchin rollten schon die Tränen über die glühenden Wangen. „Gerechter Strohsak! Erna, was magst Du da?“

 

„Ich rupfe den Hasen!“

 

„Bist Du des Teufels? Hier bei uns wird dem Hasen das Fell abgezogen!“

 

„Ach, dies verdammte Kochbuch!“ H. B.

 

 

Seite 13  Paul Fechter. Begegnungen mit Gerhart Hauptmann. „Hauptmann-Premiere wie ein Ereignis der Weltgeschichte“ / Zum zehnten Todestag des Dichters am 6. Juni 1956

Ei Ist ein wunderliches Gefühl, rückschauend den Begegnungen mit dem Dichter Gerhart Hauptmann nachzugehen, die das Leben Schritt um Schritt gewährte.

 

Athenaeum Elbingense: einer der prachtvollen klugen Lehrer, die die alte Schule damals in so reichem Maße besaß, zog uns Tertianer zuerst zu ihm. „Das Stadttheater spielt morgen ein neues Stück von dem jetzt so viel genannten Dichter Gerhart Hauptmann. Wer zu Hause die Erlaubnis und das Geld bekommt, mag es sich ansehen, es heißt „Einsame Menschen", und wir können uns nachher hier darüber unterhalten“.

 

Das war die erste Begegnung. Dann kam, wenige Jahre später, die erste persönliche — das erste Sehen von Angesicht zu Angesicht. Es war auf dem Platz vor dem Potsdamer Bahnhof in Berlin. Es mag ein Sonntag gewesen sein, mit irgendeinem großen Konzert in der Philharmonie. Man ging gegen einen Strom heimkehrender Menschen — und auf einmal schritt er vorüber. Man kannte sein Gesicht schon von gelegentlichen Photographien und vor allem von der schönen Radierung, die Hermann Struck von ihm gefertigt.

 

An jenem Sonntag sah man den vielgeschmähten, vielgeliebten Dichter des „Hannele" und der „Weber" zum ersten Male. Eine große schmale Gestalt in einem schweren dunklen Wintermantel, ein schmales, blasses Gesicht unter einem schwarzen Hut — so ging er langsam vorüber, und viele gab es, die sich nach ihm umwandten, der immer noch merkwürdig schlank und jünglinghaft wirkte, obwohl er die Vierzig schon überschritten hatte. Seine Augen hatten etwas Abweisendes und Abwesendes — so, als ob er möglichst unbeteiligt an allem und an allen bleiben wollte. Und doch ging da ein wesentliches Stück der Zeit vorüber, der erste Mann der „Moderne", wie man damals sagte, obwohl Ibsen noch als ebenso modern galt und Sudermann ebenfalls.

 

Das war bald nach 1900, als man noch jeden beneidete, dem es vergönnt war, eine Hauptmann-Premiere mitzumachen, die damals ungefähr wie ein Ereignis der Weltgeschichte angesehen wurde.

 

In den Jahren nach 1933 wurde es stiller um Gerhart Hauptmann. Der Dichter des „Fuhrmann Henschel“ war nicht unter die Emigranten gegangen. Den Verlust unzähliger Freunde nahm er auf sich — das Land war stärker für den Schlesier.

 

Neue Geschlechter wuchsen heran, denen Literatur und Premieren nichts mehr von dem bedeuteten, was sie einmal für uns gewesen waren. Dann und wann sah man den alten Herrn im Theater, sah den schmalen Kopf der Frau neben ihm, deren Haare lange das tiefe Schwarz der Jugend bewahrte, bis es sich am Ende ebenfalls dem Weiß des Alters beugte. Der Glanz des großen Lebens, der einst um Hauptmann war, wo er erschien, verblasste langsam wie so vieles in dieser Zeit.

 

Aber einmal durfte man diesen Glanz noch erleben, als Glanz seines eigenen wunderbaren Lebens, das stärker geblieben war als das Alter. Der 80. Geburtstag lag hinter dem Dichter, man hatte ihn gefeiert, aber ohne große Feste — der Krieg lastete auf dem Lande. Da rief noch einmal eine Uraufführung nach Breslau, nicht die eines Hauptmann-Stückes (die letzte war Fehlings unvergessliche Inszenierung der delphischen „Iphigenie" im Berliner Staatstheater gewesen), sondern die Premiere eines jungen Autors. Noch einmal, zum letzten Mal, führte der Beruf ins Schlesische herüber; noch einmal, zum letzten Mal, ergab sich eine Begegnung mit Gerhart Hauptmann — und jetzt am Ende eine Berührung von innen her. Zu später Stunde — wir saßen nach dem Theater im Hotel zusammen — kam er heran; sein Gang war schwerer, unsicherer, die Haltung etwas gebeugt, müder geworden; die Augen aber hatten das Herrenhafte wie immer, und als wir dann lange bis in den beginnenden Morgen zusammensaßen, ergab sich zu später Stunde ein Gespräch über Menschen aus gemeinsamer Nähe, über gemeinsame Freunde — und da tat einmal der Mensch Gerhart Hauptmann die Tore seiner Seele auf. „Frühling, Sommer und Herbst genoss der glückliche Dichter" — diesen Goethe Vers hatten wir oft auf Hauptmann angewandt; jetzt wurde fühlbar, dass er auch den Winter mit vollen Zügen gelebt und genossen hatte. In dieser Nacht, unter dem schon nahenden Krieg, erhob sich aus dem Schatten des Dichters der Mensch und kam nahe, wie der Junge von einst, der sehnsüchtig den Premierengästen der Jahrhundertwende nachgeschaut hatte, es sich nie hätte träumen lassen. Die leuchtenden Augen des alten Mannes, mit denen er von seinem letzten Sommer berichtete, waren Abschied von einer ganzen Zeit und von einem ganz reichen Leben, sie waren ein Geschenk des Schicksals, für das der, der das Geschenk empfing, zu danken nie wird vergessen können. (Mit freundlicher Genehmigung des C. Bertelsmann-Verlages, der das Gesamtwerk von Gerhart Hauptmann betreut)

 

 

Gerhard Hauptmann: Trost

Es ist ein Trost,

Der fest besteht,

Dass beides, gut und schlimm, vergeht.

Nun gut: Erinnerung bau ich an,

Sie nur ist Wahrheit und kein Wahn.

Ein andrer Sturm

Weht heut ums Haus,

Als der vor vielen tausend Jahren:

Wir bleiben immer unerfahren

Inmitten des Daseins unendlichem Graus.

Allein wir wissen in aller Not,

Den ewigen Jugendfreund: den Tod. (3. April 1945)

 

Mein letztes Werk soll eine große Rede an das deutsche Volk sein. Mag sie ein anderer für mich halten! Ich will noch einmal sagen, worum es geht: Furchtlosigkeit, Zuversicht und — Einigkeit. Gerhart Hauptmann kurz vor seinem Tode

 

 

Zwei Hauptmann-Anekdoten

Die Stimme des Volkes

Gerhart Hauptmann wurde in Salzbrunn geboren. Dort lebte ein uralter Mann, der die Familienverhältnisse bei „Hauptmanns" genau kannte. Als eines Tages das Gespräch auf den Sohn dieser „Hauptmanns" kam, gab der Alte folgenden Kommentar:

 

„Ju, ju, die Hauptmannschen! Wenn der Alte besser gewirtschaftet und seinen Gasthof nicht hätte aufgeben müssen, dann brauchte der Gerhart nicht zeitlebens Stücke zu schreiben“.

 

 

Selbst für Goethe gesperrt

Eines Tages geriet Gerhart Hauptmann bei einem Ritt durch den Grunewald in einen Bezirk, der für Reiter abgesperrt war. Es dauerte keine fünf Minuten und schon tauchte ein uniformierter Hüter des Gesetzes auf, stellte sich dem stolzen Reiter in den Weg und forderte ihn in Berliner Amtsdeutsch auf, die Sperrzone augenblicklich zu verlassen.

 

Hauptmann musterte den Polizisten und fragte: „Ja, wissen Sie denn nicht wer ich bin?"

 

„Jawoll", sagte der Schupo, „Sie sinn Goethe, aber deswegen müssen Sie doch hier verschwinden!"

 

 

Foto: Gerhart Hauptmann:

Alles Leben ist dramatisch

Sucht euch die Elemente der Dramaturgie in der menschlichen Psyche zusammen! Dort stecken sie.

 

Du sollst nicht mit der Galle dichten. Du sollst deine Gestalten lieben — keine unter ihnen hassen! Soll Leben sein in deinen Gestalten, so musst du ihnen dein Leben geben. Deine Gestalten sind deine Kinder.

 

Das Drama ist doch wohl die größte Dichtungsform. Schließlich werden alle Gedanken dramatisch gedacht, wird alles Leben dramatisch gelebt.

 

Die früheste Bühne ist der Kopf des Menschen. Es wurde darin gespielt, lange bevor das erste Theater eröffnet wurde.

Die epische Kunst lebt von der historischen Fiktion. Sie setzt einen Erzähler voraus.

 

Die dramatische Kunst fingiert Gegenwart. Sie hat einen unsichtbaren Schöpfer, allerdings einen unsichtbar Gegenwärtigen, der sich in seinen Geschöpfen dokumentiert.

 

Lust am Schauspiel: nur solange ich lebe, kann ich mich erinnern, und je tiefer ich lebe in Schmerz und Lust, umso tiefer und voller erinnere ich mich. Darum schreibe und sehe ich Schauspiele.

 

Das Epos geht seine Straße, das Drama bleibt auf seinen Kampfplatz angewiesen. Das Epos entwickelt sich in der Zeit, das Drama vornehmlich im Raum.

 

In der alten Tragödie überwiegt das Sein, in der neuen das Werden.

 

Was man der Handlung gibt, nimmt man den Charakteren. (Aus dem Gesamtwerk Gerhart Hauptmanns mit freundlicher Genehmigung des Verlages C. Bertelsmann, Gütersloh.)

 

 

Drei von 333 ostpreußischen Späßchen

Nur keine Aufregung

Einen richtigen Ostpreußen kann man bekanntlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Stieg ich da einst in Königsberg auf die Linie 6, damals, als sie noch die kurvenreiche Tour Schönstraße, Fließstraße, Mühlenplatz, Waldburgstraße, Wrangelstraße, Steindamm fuhr. Es war an einem schönen Sonntagnachmittag. Mit mir wollten noch viele andere bei Packhäuser in Juditen Kaffee trinken. So fuhr ich schon vom Schlossplatz ab auf einem Bein, man wird zugeben, nicht sehr gemütlich. Pflichtgemäß hielt der Wagen auch an der Regierung, wo jedoch die meisten, die dort warteten, nicht mitkamen. Trotzdem drängte sich ein ältliches Fräulein mit Kneifer noch im letzten Augenblick auf das obere Trittbrett; vermutlich wollte sie ihren Kaffee unter gar keinen Umständen versäumen. Der Schaffner schwang sich mit bewundernswerter Kunstfertigkeit ebenfalls noch hinein, kassierte in Seelenruhe und bohrte sich dabei weiter durch die schwitzenden Menschenleiber. Da, der Wagen kreischt auf, und mit ihm die hinten stehenden Fahrgäste. Das Fräulein sitzt mit Sonntagsstaat und Kneifer im Staub der Fließstraßenecke. „Schaffner", schreie ich aus Leibeskräften, „halten, es ist einer rausgefallen!" Da dreht er sich um und meint: „Lass ihr man, Mannche, die hat ja schon bezahlt!"

 

Der Beiname

In den am nördlichen Ufer des Frischen Haffes gelegenen Fischerdörfern Peyse, Zimmerbude und Groß-Heydekrug kamen nur etwa ein halbes Dutzend Familiennamen vor. Die Namen Schöttke, Gerwien, Klement, Ulke und Mai waren dort geradezu gesät. Die Sache wurde noch dadurch schwieriger, dass die Träger dieser Namen oft auch die gleichen Vornamen hatten. Man half sich aus der Verlegenheit, indem man ihnen einen Beinamen gab. Eines Tages kam der Kreisarzt aus Fischhausen nach Groß-Heiydekrug. Er wurde dort von einer Frau aufgesucht, die einen in dem Ort sehr verbreiteten Familiennamen führte. Im Lauf der Unterhaltung sprach sie den Kreisarzt wiederholt mit „Herr Doktor" an. Der Kreisarzt meinte: „Liebe Frau, es hat ja weiter nichts auf sich, dass Sie immer Herr Doktor sagen, ich bin aber Medizinalrat. Daraufhin lächelte die Frau verständnisinnig: „Ach, dann hebbe se wohl ok son Binoame. Opp minen Mann segge sie ömmer Peerdskopp“.

 

Der Ausgleich

Sie hielten vor dem Dorfwirtshaus, wo eine landwirtschaftliche Versammlung stattfand. Der Gutsbesitzer ging in die „Herrenstube“, sein Kutscher Karl setzte sich in die allgemeine Gästestube. Dort fand er einige gute Freunde, mit denen er ein kleines Spielchen anfing. Nach einer Weile schaute der Gutsbesitzer in die Gästestube und bemerkte, dass Karl von seinen Mitspielern betrogen wurde; sie steckten sich unter dem Tisch die passenden Karten zu. Empört rief der Gutsbesitzer den Begaunerten zu sich und machte ihn auf die Frechheit seiner Mitspieler aufmerksam. Doch Karl erwiderte gelassen: „Ach, Herrke, dat moakt doch nuscht, wenn de annere seck unnerm Dösch de Koarte tostöcke, denn klau öck se boave de Dittkes weg“.

 

Und so geht es weiter über 148 Seiten in der soeben Im Verlag Gerhard Rautenberg, Leer/Ostfriesland, erschienenen Sammlung ostpreußischen Humors unter dem Titel „333 Ostpreußische Späßchen" (mit 16 lustigen Zeichnungen versehen. Gebunden DM 4,80). Das Büchlein wird schon nach kurzem Blättern die Herzen seiner Leser gewinnen. Es zielt nicht nach billigen Affekten, sondern schenkt echten, von Herzen kommenden Humor und lässt eine der unverlierbaren Gaben" der fernen Heimat in alter Klarheit aufscheinen. Humor ist ja nicht zuletzt Ausdruck der Seele eines Volkes. Wer so zu lachen versteht nach all dem Gewesenen, der hat sein Bestes bewahrt und darf der Zukunft getrost sein.

 

 

Seite 13   Bücher – die uns angehen.

Fritz Kudnig: Das Wunder am Meer. Das Lied einer Landschaft. Gräfe und Unzer Verlag, München. 40 S. mit 8 ganzseitigen Bildern auf Kunstdruckpapier. Kart. 2,80 DM, Leinen 4,25 DM.

Wie in allen Schöpfungen Kudnigs gestaltet der ostpreußische Lyriker auch hier aus dem reichen Schatz der Erinnerungen und Erlebnisse, ohne spekulative Rückbeziehung, und vermag vielleicht gerade deshalb das wahre Inbild dieser Landschaft als erfülltes Ganzes zu geben. Man staunt, mit welcher Farbigkeit und Inbrunst er diese eigenartige Welt von Meer, Düne und Wald vor uns aufbaut. Mit glühenden Untertönen, von innen her erleuchtet, scheinen in seiner Hand Wesen und Dinge auf. So sind seine Gedichte Zwiesprachen mit der Schöpfung, erkennen sie, beleben sie und gipfeln in der Hingabe an Gott (etwa „Im Dünenwind"). Scheint auch Form und Rhythmus der Gedichte herkömmlich, die Bilder- und Gedankenverbindungen, auch die Reimworte sind kühn und eigenartig gewählt, dass selbst ein „Neutöner", dem die Form allzu viel bedeutet, diese gültigen und einmaligen Aussagen von starker Eindringlichkeit und wesentlicher Frische im besten Sinne gelten lassen muss.

 

Versenkt man sich in diese Gedichte, schlagen sie sogleich in Bann. Man liegt gleichsam mit in der sonnenheißen Düne oder steht Im scharfen Seewind über dem aufschäumenden Meer. Fühlt die harten Gräser, die letzten getreuen Lebenswächter gegen den wandernden Sand. Namen tauchen auf, gesättigt von Erlebnis und Bedeutung: Hohe Düne, Nehrung, Nidden, Kurisches Haff und Rossitten . . .

 

Dann die Menschen. Wie aus Holz schnitzt Kudnig die Fischer; aber nicht ohne Humor, hart, derb und deftig stehen sie vor uns, furchtlos und rau. Aber mit goldenen Herzen. Von ihrer herben Heimat geformt und erfüllt. Selbst die Frauen sind mehr verhalten als weich, mehr groß im Ertragen als demütig. Und wie tief erfasst und gestaltet der Dichter das Sinnbild des Landes, den urhaften Elch, umwittert von Mythe und Einsamkeit. So wird jeder, der sich nur eine Spur von Erlebnisfähigkeit und aufnahmebereitem Fühlen in unserer allzu flüchtigen und lärmenden Zeit bewahrte, aus der Lyrik Fritz Kudnigs mehr erkennen als das große Gemälde einer uns schmerzhaft entrückten Landschaft, die zum Schönheitsbestand unseres Vaterlandes gehört wie Gebirge und Wald. Er wird, wie selten sonst, eine Einheit von Schöpfung und Menschen daraus aufklingen hören, der auch er sich nicht verschließen kann.

 

Unser Recht auf Heimkehr. Die Vorträge der Augsburger Tagung. Beiträge des Witiko-Bundes zu Fragen der Zeit, Band 3. Der Heimreiter Verlag, Frankfurt/M., Kriegkstr. 20. 104 Selten, broschiert 4,50 DM.

Als Band 3 der Schriftenreihe des Witiko-Bundes ist soeben die Sammlung der auf der Augsburger Tagung (Herbst 1955) gehaltenen Vorträge erschienen. Die Broschüre enthält außerdem das bei dieser Tagung geführte Round-Table-Gespräch zwischen den sudetendeutschen Politikern Frank Seiboth, Dr. Becher, Dr. Brand, Hermann Hönig und Vertretern der Exil-Tschechen, Slowaken, Slowenen, Rumänen und Ukrainer. Dieses Gespräch verdient gerade deshalb in weitestem Kreise besondere Aufmerksamkeit, da es sich nicht allein mit der Erörterung sudetendeutscher Probleme begnügt, sondern darüber hinaus Wege zu einer Befriedung des gesamten mitteleuropäischen Raumes sucht und als Voraussetzung hierfür eine echte Partnerschaft mit den westslawischen Völkern anstrebt. Man kann dieses Gespräch als einen gelungenen Ansatz in dieser Richtung bezeichnen. Gewissermaßen als Fortsetzung dieses Gesprächs ist die ebenfalls in diese Broschüre aufgenommene Abhandlung des Vorsitzenden des Witiko-Bundes Frank Seiboth (MdB) über „Politische Partnerschaft für und in Mitteleuropa" anzusehen, in der die Lösung der offenen Fragen in diesem Raum, somit auch die Frage des Deutschen Ostens in einer „Staatlichen Gemeinschaft freier europäischer Völker" gesucht wird. In der Vorbereitung auf den Tag der Rückkehr und der Neuordnung der politischen Verhältnisse müssten wir schon jetzt um eine sehr enge Verbindung zwischen all den Menschen, ob Deutsche oder Nichtdeutsche, bemüht sein, die einmal diesem Werke dienen sollen.

 

Besondere Beachtung verdient auch der wissenschaftlich gut fundierte Beitrag des Baseler Rechtslehrers Dr. Dr. Rabl über die Grundlagen des sudetendeutschen Rechtskampfes, der eine stichhaltige Begründung des Münchener Abkommens darstellt. Eine Betrachtung über die sozialen Voraussetzungen für die deutsche Wiedervereinigung von Staatsminister St. Walter Staln sowie zwei Reden Franz Höllers („Witiko, Urbild und Leitbild der Heimat" und „Der geistige Raum Böhmen") bilden eine Abrundung und Ergänzung der Seibot'schen Gedanken auf sozialem und kulturpolitischem Gebiete.

 

Soweit man es bis heute verfolgen kann, stößt diese Broschüre auf ein lebhaftes Interesse bei deutschen und ausländischen Politikern und wird noch manche maßgebliche Stimme auf den Plan rufen. —tt—

 

Gerhart Hauptmann: Atlantis. Roman. C. Bertelsmann Verlag. Gütersloh. 328 S, Leinen 14,80 DM.

Der Bertelsmann Verlag, der sich bereits in den letzten Jahren in verdienstvoller Weise der Pflege des Hauptmannschen Werkes angenommen hat, setzt nun mit dem Roman „Atlantis" die Neuausgabe der Werke des Dichters fort. Dieser Roman, den Hauptmann wenige Monate vor dem tragischen Untergang des Ozeanriesen „Titanic" (15.04.1912) vollendete, ist eine prophetische Vorwegnahme dieser schrecklichsten Schiffskatastrophe unserer Zeit, bis in Einzelheiten hinein Zug um Zug vorgezeichnet. In der Schilderung der Katastrophe des Luxusdampfers „Roland" von einer drastischen Gegenständlichkeit, die dem Leser nichts erspart. Aber, es müsste kein echter Hauptmann sein, fände er in der reportagenhaften Schilderung Genüge, immer wieder stößt er darüber hinaus in sein eigentliches Feld, in die dunklen Landschaften der Seele. Viel Unwirklich-Gespenstisches geistert durch die Fieberträume des Überlebenden der Katastrophe, des Arztes Friedrich von Kammacher. Die Toten gewinnen wieder Gestalt und treten in den sonderbaren Reigen aus Vergangenheit und Traum.

 

An diesem Roman erweist sich der große Dramatiker unserer Zeit als ein mindest ebenso großes erzählerisches Talent. —ejk—

 

Heinrich von Kleist: Gesammelte Werke in zwei Bänden. Band I 568 Seiten, Band II 597 Seiten. Herausgegeben von Bernt von Heiseler. Leinen je Band 6,85 DM. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh.

 

„Der Wert des Höchsten, das wir in uns tragen, wird auf einer geheimen Waage gewogen nach dem Wert des Opfers, das wir ihm bringen. Kleist hat es gewusst, er hat die Nation zu diesem Opfer gerufen", sagt Bernt von Heiseler in der Einleitung zu der zweibändigen Neuausgabe von Kleists Werken und zeigt damit, wie sehr auch uns heute die Worte des Dichters angehen. „Wer hörend und ahnend die Kleistische Welt betritt, wird merkwürdige Entdeckungen darin machen. Er wird ahnen, dass in diesem „allerqualvollsten Leben“ Entscheidungen ausgekämpft sind, die für uns alle mitgelten“. Das gilt für die Dramen, in die er mit beschwörender Kraft seine innersten Anliegen ergießt, ebenso wie für die acht Erzählungen, darunter besonders den „Michael Kohlhaas". Was bei Kleist immer wieder überrascht, ist die knappe, klare, intensiv vorwärts treibende Sprache, besonders prägnant auch in den berühmten Anekdoten. Seine Gedichte sind zwar weniger bekannt, aber zum Teil nicht minder reizvoll. Aus Kleists Journalistischem Schaffen sind eine Reihe kleinerer Schriften aufgenommen. Die Ausstattung dieser wirklich preiswerten Klassikerausgabe ist ansprechend und sorgfältig bearbeitet.

 

Das Deutsche Danzig. Ein Reise- und Bildbericht mit 68 ganzseitigen Bildtafeln (75 Bildern). Aufstieg-Verlag, München. — 80 Selten. DM 5,80.

 

Unter den Städten, die durch den unsinnigen Ausgang des Krieges im Osten unter fremde Herrschaft gerieten, ist Danzig wohl die bekannteste, nicht nur durch eine ruhmvolle Geschichte der Vergangenheit, sondern weit mehr noch als eine Stadt, die auf jeden, der einmal in ihr geweilt, einen ganz besonderen Reiz ob der Eigenart und der Schönheit der in ihr aus früheren Jahrhunderten in reicher Fülle erhalten gebliebenen Bauten ausübte. Deren hervorragende Merkmale fielen bei der Besetzung Danzigs im März 1945 der Zerstörung anheim und ragten als anklagende Ruinen in dem Trümmerfeld, das von der einst so stolzen Stadt übrig geblieben war. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, und von polnischer Seite sind einige der berühmtesten Baudenkmäler, wie die Marienkirche, das Rathaus und der Artushof wieder aufgebaut; ebenso sind in mehreren Hauptstraßen die alten Fassaden der schmuckreichen Patrizierhäuser restauriert. Von dieser Wiederherstellung, aber auch von der noch immer sichtbaren Verwüstung Danzigs, vermittelt das Buch mit seinen 75 Aufnahmen ein anschauliches Bild, das Jeden anzusprechen imstande ist, der an dem Schicksal Danzigs mehr oder minder interessiert ist. Ein Bericht von Willi Michael Beutel, der Danzig im Herbst 1955 besucht hat, führt den Leser durch Danzigs Tore und Gassen, durch restlos ausgelöschte Stadtviertel, vorbei an den Ruinen seiner Kirchen, weist auf die wiederhergestellten Bauten, vermittelt lebendige Eindrücke von dem gegenwärtigen Leben und geleitet ihn durch die Vororte Langfuhr und Oliva zu dem früher so glanzvollen Zoppot.

 

„Das heutige Danzig" wurde vom Chefredakteur Dr. Gspann, dem Kulturreferenten des Bundes der Danziger bearbeitet und zusammengestellt. Dr. Könnemann, der Vorsitzende und Sprecher der Danziger, schrieb das Geleitwort.

 

 

Seite 14   Wir gratulieren!

Goldene Hochzeit

Eheleute Eduard Arndt und Frau Luise, geborene Arndt aus Tilsit am 3. Juni 1956. Das Jubelpaar ist noch gesund und rüstig, sie feierten das seltene Fest im Kreise ihrer sieben Kinder und Enkelkinder in Landshut, Erlenstraße 24.

 

Oberregierungsrat Dr. Hans Dudenhausen und Frau. Dr. Dudenhausen war zuletzt an der Schulabteilung der Regierung Königsberg tätig. Die Ostpreußen-Warte brachte in ihrer September-Ausgabe 1954 aus Anlass des 75. Geburtstages eine Würdigung dieses beliebten und erfolgreichen Schulmannes. Das Jubelpaar, das in Lindau a. B., Schweizer Hofweg 9, eine neue Heimat gefunden hat, erfreut sich vorzüglicher Gesundheit und geistiger Frische.

 

Eheleute Ernst Krause und Frau Ida aus Heinrichsdorf/Westpreußen am 25. Mai 1956 in Bassen, Kr. Achim. Das Ehepaar besaß vor 1945 einen stattlichen Hof in Heinrichsdorf und war dort Nachbar des früheren Reichspräsidenten von Hindenburg, von dem Vater Krause gern erzählt.

 

Eheleute Heinrich Schattschneider und Frau Rosalie, geborene Schulz, aus dem Kreis Leipe/Westpreußen am 17.05.1956 in Walle, Kreis Verden/ Aller. Der Jubilar ist 78, seine Ehekameradin 72 Jahre alt; sie sind beide noch rüstig und nehmen regen Anteil am Zeitgeschehen. Neun Kinder schenkte die Ehefrau ihrem Mann; zwei verstarben, zwei sind aus dem letzten Krieg noch nicht heimgekehrt, und fünf Kinder mit acht Enkelkindern nahmen an der Feier teil.

 

88. Geburtstag

Rentner Jakob Jednoralski aus Königsberg/Pr., Sackheim 3, am 10. Juni 1956 in Bünsdorf bei Rendsburg.

 

85. Geburtstag

Monika Hensel, geborene Grochowski aus Bordzichow/Westpreußen am 5. Mai 1956 in Göttingen, Rosdorfer Weg 14.

 

82. Geburtstag

Emma Augath, geborene Kulmke aus Königsberg, Tuchmacherstraße 1 - 2, in Wiesbaden-Bielrich, Pfälzerstraße 11.

 

Johanne Braun, geborene Reiß aus Nikolaiken/Ostpreußen, am 6. Juni 1956 in Seesen a. Harz, Lange Straße 45.

 

80. Geburtstag

Margarethe Weiß aus Zoppot bei Danzig am 19. Juni 1956 in Velmarheim/Ruhr. Die Jubilarin war 30 Jahre im Dienst der öffentlichen Krankenpflege tätig, Kriegsteilnehmerin des ersten Weltkrieges mit Auszeichnungen, zuletzt hat sie als Oberin große Anstalten geleitet. Sie lebt nun schon über 10 Jahre in dem Dachkämmerchen eines Altersheimes in Velmarheim. Ihr Leben war selbstlose Aufopferung für den leidenden Nächsten.

 

77. Geburtstag

Rentner Fritz Sakut aus Ostpreußen am 20. Mai 1956 in Altencelle.

 

75. Geburtstag

Bauer Franz Klaffki aus Ostpreußen am 15. Mai 1956 in Elze, Flutstraße 12 A.

 

Zum Doktorhut

Dipl.-Landwlrt Hans-Jürgen Wick wurde in Kiel zum Dr. Phil, promoviert.

 

Allen Jubilaren wünscht ihr Heimatblatt „Ostpreußen-Warte" recht viel Glück und auch fernerhin beste Gesundheit.

 

 

Seite 14   Geburtstagskinder in Flensburg

Berta Kutz aus Memel, Flensburg, Flurstraße 17, am 1. Juni 1956.

 

75 Jahre.

Karl Schipper aus Mühle Voigthof, Kreis Rössel, Kl.-Solt, Kreis Flensburg, am 6. Juni 1956. 70 Jahre.

 

Ernestine Paulukuhn aus Seehausen, Kreis Ebenwerder, Flensburg, Bismarckstraße 48, am 09.06.1956, 86 Jahre.

 

Klara Weiß aus Prökuls, Kreis Memel, Flensburg, Mathildenstraße 2, am 11. Juni 1956, 70 Jahre.

 

Friedrich Groß aus Allenburg, Kreis Wehlau, Flensburg, Lager Weiche, am 17. Juni 1956, 83 Jahre.

 

Ottilie Böhm aus Königsberg, Flensburg, Junkerhohlweg 16, am 19. Juni 1956, 84 Jahre.

 

Allen Jubilaren wünscht ihr Heimatblatt „Ostpreußen-Warte" und auch fernerhin beste Gesundheit.

 

 

Seite 14   Turnerfamilie Danzig, Ost- u. Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldbg.), Gotenstraße 33.

Herzliche Geburtstagsglückwünsche allen Junikindern, unter denen die Nachgenannten ein volles Lebensjahrzehnt vollenden:

 

40 Jahre

am 01.06.1956: Waldemar Droß (Tgm Danzig),

am 02.06.1956: Hedwig Matzat-Paul (KTC Königsberg) und Rudolf Wilhelm (Danzig-Nfw);

 

50 Jahre

am 05.06.1956: Erich Neumann (Lyck),

am 10.06.1956: Amanda Bruchmann-Dudda (Pillau),

am 20.06.1956: Luise Nickel (Lyck),

am 23.06.1956: Margot Biswanger (Lötzen),

am 26.06.1956: Bertha Raddatz (Marienburg);

 

60 Jahre

am 25.06.1956: Otto Isekeit (KTB Königsberg).

 

Das 75. Lebensjahr vollendet

am 15.06.1956: Hedwig Meyer-Doepner (Marienburg).

 

Gott halte Euch frisch, fromm, fröhlich und frei! Bleibt, wie Ihr wart, unserm Turnertum treu!

 

Das neunte Wiedersehenstreffen in Espelkamp-Mittwald vom 31.08. bis 03.09.1956 wird nach den bisherigen Voranmeldungen mindestens von 200 Turnschwestern und Turnbrüdern aus den verschiedenden Heimatvereinen besucht werden; aus der Sowjetzone sind wenigstens 40 zu erwarten. Für die endgültige Anmeldung ist eine Frist bis zum 15. Juli gesetzt. Es ist aber sehr zu empfehlen, die Teilnahme unverzüglich anzukündigen, auch wenn noch ein Rücktritt vorbehalten werden muss. Die örtlichen Vorbereitungen insbesondere für gute Unterbringung können dann für den Einzelnen umso besser getroffen werden. Bei gleichzeitiger Meldung zu dem Jugendgruppenleiterlehrgang wird eine Fahrpreisermäßigung um ein Drittel gewährt. Um den Turnbrüdern und Turnschwestern aus der Sowjetzone in Espelkamp-Mittwald kostenlosen Aufenthalt und die Rückreisekosten zu bieten, werden freiwillige Spenden auf das Postscheckkonto Hannover 11 60 75 (Wilhelm Alm, Oldenburg/Oldbg.) erbeten.

 

Das 5. Alterstreffen des Deutschen Turnerbundes wird vom 17. bis 19.08.1956 in Heilbronn durchgeführt. Die Meldung hierzu muss jeder durch den Verein abgeben, dem er jetzt angehört. Gleichzeitige Nachricht an unsere Turnerfamilie ist erwünscht, da wir in Heilbronn auch ein Standquartier belegen und einen Gemeinschaftsabend abhalten möchten.

 

In die Kartei neu aufgenommen:

Turnclub Danzig:

Kläre Barsoe-Wurm und

Emmi Kollm.

 

FrauenTurnverein Labiau:

Margarethe Heldt,

Hanna Kemper,

Erna Lang,

Margarethe Modest,

Gertrud Stüven-Lamoth und

Dora Wellnitz.

 

Männer-Turnverein Lyck:

Elisabeth Tunnat-Flötenmeyer.

 

MännerTurnverein Tilsit:

Kurt Hoffmann

Fred Schroeter.

 

Unbekannt verzogen:

Herta Prange (Danzig-Heubude),

Else Schäfer-Schmidtke (Dzg.-Langf.),

Lenchen Schmolinski (Tgm Elbing),

Lore Buchholz (MTV Marienburg),

Herta Schmidt (TV Marienwerder),

Gerold Stark (TV Zoppot).

Wer kann die jetzigen Anschriften mitteilen? Onkel Wilhelm.

 

Lehrte erwartet seine Patenkinder

Erstes Heimatkreistreffen der Heiligenbeiler am 11./12. August in der Patenstadt Lehrte.

Mit welcher Erwartung die Lehrter Bürger der ersten Begegnung mit den ehemaligen Einwohnern

ihrer Patenstadt Helligenbeil entgegensehen, beweist ein Bericht über die Vorbereitungen zu diesem Treffen, den wir der Lokalpresse (Burgdorfer Kreisblatt / Lehrter Stadtblatt) entnehmen:

 

Zum ersten Male werden wir in elf Wochen also die Bekanntschaft unserer ostpreußischen Landsleute aus unserer Patenstadt Heiligenbeil machen können. 2000 - 2500 Heiligenbeiler werden an diesen beiden Tagen in Lehrte erwartet. Aus allen Gegenden der Bundesrepublik wird ihr Weg sie nach Niedersachsen führen, um in der Gemeinschaft alte Erinnerungen aufzufrischen, von der Gegenwart zu reden und für die Zukunft zu planen.

 

Der Sonnabend (11. August) wird im Zeichen des großen Treffens im „Lehrter Hof" stehen. Der neue Kreistag soll bei dieser Gelegenheit gewählt werden, der dann wiederum anschließend den Kreisausschuss nominiert. Diese Zusammenkunft wird sicher den Charakter eines Heimatabends haben.

 

Am Sonntag (12. August) wird in der Lehrter Viehversteigerjmgshalle eine große Kundgebung durchgeführt. Die weitere Programmfolge bedarf noch der entsprechenden Ausarbeitung.

 

Die Rahmenorganisation dieses ersten Treffens der Heiligenbeiler in ihrer Patenstadt hat der Städt. Verkehrsverein Lehrte übernommen. Umfangreiche Vorarbeiten und Planungen werden erforderlich sein, um diesem ersten Treffen den Rahmen zu geben, den eine Veranstaltung dieser besonderen Art verdient. Der Verkehrsverein ist sich unserer Verpflichtung als Patenstadt dieser ostpreußischen Landsleute durchaus bewusst und wird alles daransetzen, um ihnen den zweitägigen Aufenthalt in Lehrte zu einem Erlebnis werden zu lassen.

 

Vereinigung ehemaliger Loebenichter Gruppe Duisburg

Nächstes Treffen am Sonnabend, den 9. Juni, ab 18.00 Uhr im Hotel „Prinzregent".

 

Erstes Kreistreffen der Labiauer

Gastgeber der Patenkreis Land Hadeln

560 ehemalige Einwohner des ostpreußischen Kreises Labiau kamen zu dem ersten Heimattreffen der Labiauer in ihrem Patenkreis Land Hadeln zusammen.

 

Wie der Vorsitzende der Kreislandsmannschaft, Walter Gernhöfer, mitteilte, konnte seit Kriegsende die Existenz von 34 000 Einwohnern des Kreises Labiau ermittelt werden. Vor dem Kriege hatte der Kreis 50 000 Einwohner.

 

Außer einer finanziellen Unterstützung beim Aufbau der Heimatkreiskartei Labiau will der Patenkreis Land Hadeln in diesem Sommer auch Labiauer Kindern aus Berlin und der Sowjetzone einen kostenlosen Ferienaufenthalt an der Nordsee vermitteln.

 

Dadurch, so sagte Gernhöfer, sollen gleichzeitig auch die in der Sowjetzone und Berlin lebenden Labiauer erkennen, dass sie nicht vergessen sind.

 

Seite 14   Praktische Heimatkunde. Farienen, Freystadt, Finkenhof

Unsere Suche nach ost- und westpreußischen Ortsnamen hat auch für den Buchstaben F ein sehr erfreuliches Ergebnis gehabt. Diejenigen, die sich nur auf ihr Gedächtnis verlassen haben, sind natürlich dabei wieder zu kurz gekommen. Man muss schon eine Karte zur Hand haben oder, wie die diesmalige Siegerin, besonderes Glück haben und bei Bekannten ein altes Ortslexikon finden.

 

Noch eine kurze Bemerkung technischer Art: Wenn der gleiche Ortsname mehrfach in Ost- und Westpreußen vorkam, dann ist er nur einmal aufzuführen. Orte, die mit dem Zusatz „Klein, Groß, Ober, Unter- usw.“ versehen sind, sind unter dem jeweiligen Buchstaben K, G usw. zu verzeichnen.

 

Die Sieger bei der Suche im Monat Mai sind

1. Margarete Ross, Hamburg-Harburg, Wilhelmstraße 30 mit 255 Namen;

2. Philipp Weidmann, Herne, Wiescherstraße 125 mit 246 Namen;

3. Arthur Thiel, Bonn, (bitte dem Verlag sofort die Postanschrift mitzuteilen) mit 193 Namen.

 

Die Buchpreise werden den Siegern dieser Tage zugestellt.

 

Mit besonderer Anerkennung für ihren Sammeleifer nennen wir

1. Harry Graap, Gadderbaum/W., (Kr. Bielefeld) Handwerkerstraße 7 mit 171 Namen;

2. Martin Walsdorff, Schiffdorf/Bremerhaven, mit 165 Namen;

3. Otto Gerhardt, Warleberg über Gettorf mit 155 Namen.

 

Allen Lesern, die sich an der Suchaktion beteiligt haben, sagen wir herzlichen Dank für die aufgewandte Mühe. Nun lassen wir „zum Verpusten" eine Sommerpause eintreten. Wir raten Ihnen aber, diese Pause zu nutzen und sich bei Verwandten oder Bekannten nach geeigneten Unterlagen umzusehen, die nicht nur die Arbeit erleichtern sollen, sondern Sie in die Lage versetzen, Spitzenleistungen zustandezubringen. Es gibt überall noch ungenutzte Möglichkeiten der verschiedensten Art, man muss sie nur finden. So wünscht Ihnen bis auf weiteres Glück und späteren Erfolg Ihre Ostpreußen-Warte.

 

Seite 14   Bundesverdienstkreuz für Oberregierungs- und Schulrat a. D. Richard Meyer.

Am 9. Mai 1956 wurde dem Vorsitzenden der Areitsgemeinschaft der Memelkreise i. d. LO. Richard Meyer in seiner wohnung in Oldenburg/Oldbg., Heinrich-Sandstede-Straße, das ihm vom Bundespräsidenten verliehene undesverdienstkreuz 1. Kl. durch den Präsidenten des niedersächsischen Verwaltungsbezirks Oldenburg überreicht.

 

Mit Präsident Dannemann, der im besonderen den Dank des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Hellwege zum Ausdruck brachte, waren Oberbürgermeister, Bürgermeister und Oberstadtdirektor Oldenburgs gekommen, für die Ratsfraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE Senator Dr. Boening, die in herzlichen Ansprachen das an Kämpfen reiche Leben des deutschen Menschen und Politikers Richard Meyer und sein stetiges vielseitiges Wirken für die Allgemeinheit und seine Verdienste würdigten. Im Kampf um deutsche Rechte und für die Erhaltung der deutschen Kultur der nördlichsten Kreise Ostpreußens, die erstmalig durch den Vertrag von Versailles von Deutschland abgetrennt wurden, stand Meyer vor Jahrzehnten bereits an vorderster Stelle. Nach Inkrafttreten der Memelkonvention wurde der damalige Schulrat Meyer, als führendes Mitglied der Memelländischen Volksopartei Landtagsabgeordneter und durch das Vertrauen seiner Landsleute Vizepräsident des Memelländischen Landtags, dem er zehn Jahre angehörte. In zehn schweren Jahren war er als Beschwerdeführer der Ostpreußen des Memelgebiets, dem „Territoire de Memel", dem willkürlich von der Heimatprovinz Ostpreußen losgetrennten Gebietsteil nördlich der Memel, seit 1926 nicht weniger als 16 mal in Genf, Paris und London, um in dieser Zeit zvischen den beiden Weltkriegen bei den Signatarmächten der Memelkonvention gegen Verletzungen der international garantierten Rechte der deutschen Bevölkerung dieses urdeutschen Gebiets durch Litauen zu protestieren. Dreimalige Amtsenthebung als Schulrat und Verhaftung, Stellung unter Anklage auf Grund seiner Arbeit für die Deutscherhaltung seiner Heimat entmutigten ihn nicht. Auf Wunsch aller politischen Parteien des Memelgebiets vertrat er ab 1934 mit dem Sitz in Königsberg die Rechte der abgetrennten ostpreußischen Bevölkerung nördlich der Memel. Nach Berufung wirkte Richard Meyer als Bezirksschulrat später in Berlin und als Oberregierungs- und Schulrat an der Regierung in Danzig.

 

Nach dem Zusammenbruch Deutschlands fand der Ostpreuße Richard Meyer als Heimatvertriebener 1949 eine neue Heimat in Oldenburg/Oldbg. Er stellte sich den Vertriebenen-Organisationen zur Verfügung; war Vorsitzender des ZVD und wurde nach Gründung des Gesamtdeutschen Blocks/BHE Kreis- und Bezirksvorsitzender. Von 1951 - 1955 gehörte er als Abgeordneter und Vizepräsident dem Niedersächsischen Landtag an. 1952 wurde er Ratsherr der Stadt Oldenburg und war zugleich bis zum Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung 1955 stellvertretender Oberbürgermeister in Oldenburg. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Memelkreise i. d. LO wirkt er wieder für die durch den deutsch-litauischen Staatsvertrag vom 22.03.1939 erneut legitimierten Ansprüche der heimatvertrliebenen Ostpreußen aus dem Gebiet nördlich der Memel auf ihre Heimat und die Zugehörigkeit der ostpreußischen Kreise mit der ältesten Stadt Ostpreußens: Memel als ein Teil Ostpreußens und eines wiedervereinigten Deutschlands.

 

Auf Vorschlag der Bundesregierung wurde Richard Meyer 1955 in den Personalgutachterausschuss für die Streitkräfte berufen. Ein ausgefülltes Leben im ständigen Dienst an der Allgemeinheit. G. G.

 

Seite 14   Königsberger Stadtnachrichten. Königsberger Stadtanzeiger 1924 - 1932 gerettet.

Viele ehemalige Beamte, Angestellte und Arbeiter der Stadtverwaltung Königsberg und der städt. Betriebe und viele Hinterbliebene der verstorbenen Dienstkräfte haben ihre Papiere durch Krieg, Zusammenbruch und Vertreibung verloren. Wer Ruhe- oder Hinterbliebenenbezüge oder Renten aus der Sozialversicherung beantragt, oder wer sich um die Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst bemüht, hat es schwer, die geforderten Beweismittel zu beschaffen. Der Auskunftstelle Königsberg der Patenstadt Duisburg ist es jetzt gelungen, eine weitere Beweisquelle zu finden: den Königsberger Stadtanzeiger für die Zeit von Januar 1924 bis Juli 1932. Der Königsberger Stadtanzeiger ist heute insofern von Wert, als er einige Personalnachrichten enthält, und zwar bestandene Verwaltungsprüfungen, Dienstjubiläen, Versetzungen in den Ruhestand und Nachrufe für verstorbene Dienstkräfte (unter Angabe der Gesamtdienstzeit). Diese Nachrichten sind sowohl für die städt. Verwaltung als auch für die städt. Gesellschaften (KWS., Fuhrgesellschaft) vorhanden. Auszüge können bei der Stadt Duisburg, Auskunftstelle Königsberg, angefordert werden.

 

Seite 14   Wer kann Auskunft geben!

Folgende ehemalige Angehörige der Stadtverwaltung Königsberg (Pr.) oder ihre Hinterbliebenen haben Schwierigkeiten, das Königsberger Dienstverhältnis zu beweisen:

 

Friedrich Böttcher, Stadtsekretär, geboren 1889 (letzte Zahl mit ?, da schlecht lesbar), gestorben 1929, in den Ruhestand versetzt wahrscheinlich 1924;

 

Emil Gnabs, Stadtobersekretär, geboren 1883, für tot erklärt;

 

Helene Hardt, Stadtsekretärin bei der KWS, geboren 1887;

 

Fritz Hochmann, Arbeiter im Straßenbauamt, Pförtner, geb. 1907;

 

Wilhelm Jahn, Meister der Feuerschutzpolizei, geboren 1895;

 

Erik Krüger, Direktor, geboren 1881 gestorben 1945;

 

Rudolf Laaß, Gewerbeoberlehrer, geboren 1907, verschollen;

 

Franz Merretz, Straßenbausekretär, geboren 1906;

 

Richard Schöne, Stadtinspektor, geboren 1892, gestorben 1944;

 

Alfred Schusterius, Stadtinspektor, geboren 1897, verschollen;

 

Alfred Schwede, Stadtsekretär, geboren 1876, gestorben 1948;

 

Albert Thermer, Oberbrandmeister, geboren 1876, gestorben 1937;

 

Gustav Wolf, Stadtsekretär a. D., geboren 1880, gestorben.

 

Die Personalunterlagen sind verloren gegangen, Zeugen, nach Möglichkeit ehemalige Mitarbeiter, für die Dienstlaufbahn, die Dienstzeit und die Besoldungsverhältnisse werden gesucht. Auch Teilangaben sind willkommen. Auskunft erbittet Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg.

 

Seite 14   Es starben fern der Heimat

Max Budszinsky, aus Danzig, 79-jährig, am 11. Mai 1956.

 

Friedrich Karl Budszuhn, aus Tilsit, 76-jährig, am 13. Mai 1956 in Jever.

 

Anna Grigull, geborene Wormit, Pfarrwitwe, aus Königsberg Preußen, am 21. Mai 1956 in Soltau.

 

August Radtke, aus Gerkienen, Ostpreußen, 57-jährig, am 23. April 1956 in Moordeich.

 

Auguste Rock, geborene Olivier, aus Grünfließ, Kreis Gumbinnen, 92jährig, am 11. April 1956 in Krombach/Westfalen.

 

Gertrud Weidemann, aus Ortelsburg, 78-jährig, am 28. April 1956 in Oldenhöfen, Kreis Rotenburg/Hannover.

 

Otto Zitzlaff, Landwirt, aus Saalfeld, Ostpreußen, am 20. Mai 1956 in Hagen.

 

Seite 14   Heimatkreistreffen

10. Juni 1956: Königsberg-Land, Fischhausen, Labiau und Pr.-Eylau in Frankfurt/Main, „Ratskeller".

Insterburg-Stadt und -Land in der Patenstadt Krefeld, „Stadtwaldhaus".

Allenstein-Stadt und -Land in Osnabrück in der Mehrzweckanlage „Gartlage".

Osterode, (Haupttreffen) in Hamburg-Nienstedten, „Elbschlossbrauerei",

Neidenburg in Berlin.

 

24. Juni 1956:

Gumbinnen (Haupttreffen) in der Patenstadt Bielefeld.

Angerburg (Haupttreffen) in Rotenburg/ Hann, im „Rotenburger Hof".

Elchniederung in Hannover, „Limmerbrunnen".

 

8. Juli 1956:

Tilsit-Stadt und Tilsit-Ragnit in Bochum. Gaststätte „Kaiseraue", Josephinenstr. 29.

 

Seite 14   Reg.-Rat a. D. Dr. Otto Gehrmann 65 Jahre

Am 14. Mai 1956 wären zu Hause sicher viele Glückwünsche von Freunden und Bekannten zum 65. Geburtstag bei Dr. Gehrmann, Groß-Neumühl. der in der Heimat kein Unbekannter war, eingegangen.

 

Als Sohn eines Gymnasialprofessors in Braunsberg geboren, studierte er in Königsberg und Halle/ Saale Naturwissenschaften und Landwirtechaft. Durch den 1. Weltkrieg konnte seine erste Dissertation über die Bekämpfung der Rüben-Nematoden durch ihre pilzlichen Feinde nicht zu Ende geführt werden, eine Arbeit, auf die die Praxis große Hoffnungen setzte? weil der Anbau von Zuckerrüben damals wegen dieses Schädlings fast unmöglich wurde. Nach schwerer Verwundung und Krankheit erfolgte Ausbildung als Bakteriologe, sodann in den Seuchengebieten des Ostens tätig, zuletzt als Armeebakteriologe des AOK Grenzschutz Nord. Promovierte mit einer med. bakteriologischen Arbeit. Auf Grund seiner Vorträge und Kurse an der landw Schule Insterburg entstand das bekannte Büchlein: Die Bakterien als Freunde und Feinde des Landwirts. Nach landw. Praxis wurde er Leiter der landw. Beratungsstelle - damals etwas ganz Neues - und landw. Sachverständiger der ostpreußischen Stinnesbetriebe, danach freier landw. Sachverständiger und Wirtschaftsberater im In- und Auslande. Volkswirtschaftliche Arbeiten und Versuche über Ausnutzung der städtischen Abwässer und Ödlandkultivierung mit bakterisiertem Torfdünger und dadurch bedingt: die Verwertung der städtischen Abwässer und Ausnutzung der Moore. 1935 Übernahm er das 380 ha große Gut Groß-Neumühl, Kreis Wehlau/Ostpreußen. Auf diesem schwersten Lehmboden wurde er bahnbrechend für die Behandlung solcher Böden. Herdbuch, Kaltblutzucht, Saatbau (Köstlin'sche Bohne sowie Klee- und Grassaatenbau im Großen), Teichwirtschaft.

 

Nach der Flucht 1945 war Dr. G. auf Rügen fünf Monate Gärtner, dann beim Landrat als Sachverständiger beim Aufbau der zerschlagenen landw. Verwaltungen Betreuer der wenigen Staatsgüter und beauftragt mit der Saaten-Anerkennung auf ganz Rügen. Nach 13 Monaten wurde Dr. G. von der Landesregierung Mecklenburg aus der Verwaltung gezogen und als alter Fachbakteriologe mit der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten in dem Seuchennest Rügen, wo besonders Typhus, Paratyphus und Diphtherie grassierten, beauftragt und zum Reg.-Rat ernannt. Ein kleines Hygien Institut wurde von ihm eingerichtet. Nach drei Jahren konnte das Institut als nicht mehr notwendig aufgelöst werden und wurde Dr. G. Leiter der bakteriologischen Abteilung bei der Zentralstelle für Hygiene Neustrelitz. Nach 1 ½ Jahren erhielt er die Leitung des großen Hygien. Instituts in Gera, das für sechs Industriekreise zuständig war. Bei einer Epidemie von Spinaler Kinderlähmung war er ein Hauptverantwortlicher der Bekämpfung und erhielt nach Abschluss der Epidemie, die sehr wenig Opfer forderte, ein Dankschreiben des Ministerpräsidenten von Thüringen. Seiner Arbeit und wissenschaftlicher Versuche wird in einem besonderen Kapitel des Buches: „Beitrag zum PoliomyelitisProblem" von Prof. Dr. Dr. Kukowka, Greiz, gedacht. Aus politischen Gründen musste sich Dr. G. im Dezember 1951 mit seiner Familie unter erneuter Preisgabe seiner Habe nach West-Berlin absetzen.

 

Erneute Leidenszeit: Lager, Anerkennungsverfahren, Arbeitslosigkeit, zu lange im Osten ausgeharrt, im Westen alles überfüllt, mit 60 Jahren schon zu alt! Erst 1954 gelang es, ein Aufbaudarlehn zu erhalten. Und so wurde in Münster, der Patenstadt Braunsbergs, eine Mietwäscherei eingerichtet, in der nun Vater, Mutter und Tochter von früh bis spät tätig sind. Und es geht vorwärts.

 

Die meisten Arbeiten Dr. Gehrmanns erschienen in der „Georgine".

 

 

Seite 15   Aus den Landsmannschaften.

Schleswig-Holstein.

Echt ostpreußischer, sonniger Humor. Heiterer Abend der Landsmannschaft in Heide/Holst.

Über die letzte stark besuchte Zusammenkunft der Ost- und Westpreußen, die als ein großer Erfolg der hiesigen landsmannschaftlichen Arbeit zu werten ist, gab die „Dithmarsche Landeszeitung" einen ausführlichen und treffenden Bericht, den wir hier In ungekürztem Wortlaut wiedergeben möchten:

 

„Wenn der Frühling nicht von selber kommt, dann wollen wir ihn locken", sagte der neugewählte erste Vorsitzende der ostpreußischen Landsmannschaft, Neumann, als er den vollbesetzten „Tivolisaal" begrüßte. Das über dem heiteren Abend stehende Motto: „So lachten wir zu Hause", hatte seine Wirkung nicht verfehlt; oder waren so viele gekommen, um ein Wiedersehen mit Dr. Alfred Lau zu feiern? — der den meisten durch die munteren Kinder seiner Muse und die Tätigkeit als Königsberger Rundfunkintendant ein lebendiges Stück Heimat blieb. Dr. Lau, mit Begeisterung begrüßt, trat seinem Publikum zunächst ernsthaft entgegen, indem er sein Bedauern darüber aussprach, dass allzu viele aus den Reihen der Vertriebenen noch außerhalb der Landsmannschaften stünden. Es wäre aber notwendig, betonte er, dass alle Stimmen sich zu einem Ruf vereinten, dass alle Kraft an einem Strange zöge, um geschehenes Unrecht wieder gutzumachen und die Rückkehr in die Heimat zu erreichen.

 

Nach solcher Mahnung übersprang der Vortragende rund dreißig Jahre und landete mitten im Ostpreußen glücklicherer Zeiten. „So schabbern wir" erweckte stille Wehmut, fordert es doch in lustigen Bildern auf, sich das beschauliche Leben in einer nun so ferngerückten Landschaft anzuschauen. Durch urwüchsiges Platt, teilweise mit Verwendung heute schon vergessener Worte heraufbeschworen, erstanden köstliche Gestalten, z. B. Karoline, die sich nicht wohlbefand, wenn sie nicht krank war, der Tollwutverdächtige, das Marjellche, das die achte Stellung antrat! Herrlich die Schlittenfahrt, bei der ein ehemaliger Ulan kutschiert, die derbe Schimpfwortkanonade, die .“ragische" Liebesballade von Ami und Kastor oder der urkomische Bericht des Landbriefträgers Trostmann. Es wurde herzlich gelacht und heftig applaudiert.

 

Der Chor der Heimatvertriebenen, Singgemeinichaft Heide, erfreute unter der umsichtigen Stabführung ihres Leiters Haut mit zahlreichen Gesangsvorträgen; besonders gut gefielen: „Bettelleute" und das entzückend gebrachte Liedchen vom „Kronenwirt". Mitbeteiligt am Erfolg des Abends war die temperamentvolle Musikumrahmung, Brockmann (Geige) und Mündt (Klavier).

 

Landesgruppe Niedersachsen

Lüneburg. Eintausend Ostpreußen aus dem Regierungsbezirk Lüneburg kamen zu einem Treffen ihrer Landsmannschaft zusammen. Besondere Beachtung fanden auf einer Kundgebung die Worte des stellvertretenden Landesgruppenvorsitzenden der Landsmannschaft Ostpreußen, H. L. Loeffke. Die Ostpreußen, so führte er aus, lehnten es ab, in eine polnische Kolchose zurückzukehren und als Einzelne tropfenweise im polnischen Untergrund zu versickern. Loeffke bezog sich dabei auf in letzter Zeit laut gewordene Versprechen der Polen, deutschen Rückkehrern in die alte Heimat Vergünstigungen zuteil werden zu lassen. Die ablehnende Stellungnahme solchen Vorschlägen gegenüber fand die stürmische Zustimmung der anwesenden Ostpreußen. Zur Verleihung des Karlspreises an Churchill sagte Loeffke. dass sie Veranlassung gäbe, schweigend beiseite zu stehen, aber nicht, tumultartige Demonstrationen gegen ein verständnisloses Kuratorium zu veranstalten. Sehr eindeutig sprach sich der Bundestagsabgeordnete K. von Elern — er ist Mitglied des Personalgutachter-Ausschusses — für die allgemeine Wehrpflicht aus und forderte die Wiedervereinigung.

 

Quakenbrück. Zum Jahrestreffen des Kreises Bersenbrück ihrer Landsmannschaft waren 1000 Ostpreußen am 5. Mai nach Quakenbrück gekommen. In der Eröffnungsfeierstunde wurde der langjährige Vorsteher des jetzt in Quakenbrück weitergeführten Mutterhauses Bethanien, Pastor Kuessner, geehrt. Der 1. Bundesvorsitzende der Memelländer, Oberregierungs- und Schulrat Meyer, Oldenburg, kritisierte, dass für den Aufbau der Wirtschaft in der Bundesrepublik viel getan worden sei, aber leider nichts für die Wiedervereinigung. Er führte das Wahlergebnis an der Saar als Beweis dafür an, dass letztliche der Wille des Volkes, nicht der Regierung, entscheidend ist, und gab dabei zu bedenken, dass die nationale Existenz nicht von außen her, sondern durch Selbstaufgabe vernichtet wird. Der Vertreter des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Ostpreußen, Naujoks, betonte, dass es auf den Willen zum Opfer und die Kraft zur Verantwortung ankomme. Die Kapelle des ehemaligen Infanterieregiments 37 trug mit einem Platzkonzert während der Abendvorstellung und mit dem Großen Zapfenstreich wesentlich zum Gelingen des Treffens bei, das dank der Rührigkeit des Kreisvorsitzenden Fredi Jost zu einem Erlebnis für alle wurde.

 

Wilhelmshaven. Der Vorsitzende der Landsmannschaft Ostpreußen, Obermedizinalrat Dr. Zürcher, hatte zu der monatlichen Zusammenkunft zwei Verkehrsexperten der Polizei gebeten, die im Anschluss an seine eigenen Ausführungen über den „Alkohol im Verkehr" über Verkehrsprobleme in Wilhelmshaven sprachen. Sie zeigten einen Film und Lichtbilder und hatten bis in den späten Abend hinein Fragen der interessierten Zuhörer zu beantworten.

 

Lebenstedt. Die Landsmannschaft Ost- und Westpreußen beschloss, ihre Jugendgruppe in einen selbständigen Jugendverband umzuwandeln, der den Namen „Jugendbund Ordensland" tragen wird. Der Jugendbund bleibt aber korporatives Mitglied der Landsmannschaft, die ihn in materieller und ideeller Hinsicht unterstützen will.

 

Soltau. Wie alljährlich begingen die Ostpreußen in Soltau ihr Maienfest mit viel Musik, Maientanz und der Wahl der Maikönigin. Es waren nicht nur Ostpreußen, sondern auch zahlreiche Freunde aus anderen Landsmannschaften und Einheimische, die zu dem überaus vergnüglichen Fest erschienen waren.

 

Oldenburg. Mit dem gemeinsam gesungenen Lied „Kein schöner Land in unsrer Zeit" endete ein Dichterabend, den die Landsmannschaft Ostpreußen zusammen mit dem „Ollnborger Kring" veranstaltete. Die in allen wohnende Liebe zur Heimat war das Grundthema des Abends, der Besinnliches und Heiteres in Prosa und Dichtung, in Oldenburger und ostpreußischem Platt und in Hochdeutsch brachte. Der Ostdeutsche Heimatchor unter Leitung von Helmut Müller sang Volksweisen.

 

Seesen/Harz. In Verhinderung beider Vorsitzer leitete Kulturwartin, Frau Donnermann, den gut besuchten Heimatabend der Ost- und Westpreußen am 5. Mai. Ein Paradies der Erinnerung waren die schönen Tonfilme Masuren, Kopernikus, Ostpreußen (Mensch und Scholle) und Kurenfischer, die Mittelschullehrer Budzinski technisch vollendet an die Leinwand zauberte. Dazu brachte Frau Lina Fahlke wieder köstliche Proben heimatlichen Humors.

 

Nächste Veranstaltung: Große Weserfahrt in modernen Bussen am 3. Juni.

 

Nordrhein-Westfalen

Herne. Dem allgemeinen Wunsch der an der Eisernen Hochzeit unserer Landsleute Matziwitzki anwesenden Mitglieder folgend, hat der Vorstand in seiner letzten Sitzung beschlossen, einen Lokalwechsel vorzunehmen und unsere Versammlungen und Veranstaltungen künftig im kleinen Saal des Kolpinghauses, Neustraße, durchzuführen.

 

Unsere nächste Versammlung, am Sonnabend, den 9. Juni 1956, findet daher bereits im kleinen Saal des Kolpinghauses um 20.00 Uhr statt.

 

„Was wissen wir vom deutschen Osten?" Erfolgreiche Schülerausstellung in Hannover.

 

Hannover. Es waren die Klassensprecher der Lutherschule in Hannover, die im letzten Herbst den Plan fassten, eine „Ostdeutsche Woche" durchzuführen. Sie hatten gefragt: „Was wissen wir, die Jugend, vom deutschen Osten. Wenn wir Deutschen nicht mehr in Deutschland Bescheid wissen, wer soll es dann?" Sie überhörten für sich selber nicht die Forderung, die in diesen Fragen liegt und arbeiteten mit ihren Lehrern und Kameraden, um umfangreiche Kenntnisse über das Ostland zusammenzutragen. Im Mai zeigten sie in ihrer Schule in 17 Räumen ihre Ausstellung „Unsere Heimat im Osten". Die Jungen zeichneten, bauten Modelle, sammelten Bilder, Abhandlungen, Bücher und Zeitungsausschnitte, die das kulturelle und wirtschaftliche Leben Mittel- und Ostdeutschlands durch die Jahrhunderte erläutern und Eindrücke der verschiedenen Landschaften vermitteln.

 

Berlin

Bund heimattreuer Ost- und Westpreußen. Ein Heimatbanner wurde geweiht.

Berlin. Das in heutiger Zeit recht selten gewordene Fest einer Bannerweihe, wie es die Bundesgruppe Spandau-Altstadt des Bundes heimattreuer Ost- und Westpreußen e. V. am 5. Mai ds. Js. in angemessener feierlicher Aufmachung beging, bietet berechtigten Anlass, in breiterem Rahmen gewürdigt zu werden. Der höheren Bedeutung dieser besonderen Festlichkeit entsprachen vollauf der glücklich gewählte Festraum, der stimmungsvolle, sinnig und schön ausgestattete Saal des „Schützenhofes Hakenfelde" und das sorgfältig gestaltete reichhaltige Programm, das nach dem feierlichen Einzug der Banner die zahlreich erschienenen Festteilnehmer durch beifällig aufgenommene Gesangsvorträge des bestens geschulten Spandauer Liederhortes und gut einstudierte Tanzdarbietungen der Spandauer Jugendgruppe erfreute. — Allgemeines Interesse begleitete die Begrüßungsansprache des Bundesgruppen-Vorsitzenden Ldsm. Schiborski, der anschließend dem Gedächtnis der Toten in würdiger Form Ausdruck gab. — Das Herderwort „Licht, Liebe, Leben", das dem von Elke Rothkowski gut gesprochenen Prolog zu Grunde lag, bildete auch das Thema der von dem Bundes-Ehrenvorsitzenden Erich Schattkowsky gehaltenen Weiherede, die den Höhepunkt der festlichen Veranstaltung darstellte und durch die klare Umreißung der Bedeutung und Aufgabe des Heimatbanners die aufmerksame Zuhörerschaft stark beeindruckte. Dem heimatlichen Banner, diesem nachdrücklichsten sichtbaren Zeichen innigsten Dankes an die Heimat, bekennender Liebe zur Heimat und zuversichtlicher Hoffnung für die Zukunft der Heimat, wies der Festredner mit dem Wahlspruch des großen Mohrunger Landsmannes seine erhabene Aufgabe zu, im Kreise der Heimattreuen das Licht der Freiheit leuchten, die Liebe zur Heimat brennen und das Leben in der Gemeinschaft der Bgr. Spandau - Altstadt leuchten zu lassen, auf dass der Bund heimattreuer Ost- und Westpreußen sich weiterhin stärke und festige und eine machtvolle Front bilde, wenn die Heimat seiner bedürfe. — Die Enthüllung des kostbaren, farbschönen Banners, das auf der einen Seite einen Ordensritter im Schmuck seiner Rüstung und rückseitig unter dem Bild der Marienburg einen pflügenden Bauer zeigt, wird jedem Festteilnehmer ebenso unvergesslich bleiben wie die anschließende feierliche Weihe und Übergabe des Banners an den Bgr.-Vorsitzenden Ldsm. Schiborski, dessen Initiative im Zusammenwirken mit der Opferfreudigkeit der rührigen Mitglieder die Beschaffung dieses ersten Bundes-Heimatbanners der Nachkriegszelt zu verdanken ist. Der Bund gab seiner Dankbarkeit und Freude durch Überreichung eines Fahnenbandes in den Heimatfarben Ausdruck. Ein zweites wertvolles Band mit Schleife stifteten die Frauen der Bgr.- Spandau-Altstadt, während die übrigen Bundesgruppen durch Überreichung von Fahnennägeln ihre landsmannschaftliche Verbundenheit bekundeten. — Den festlichen Akt beschloss die Ehrung verdienter Mitglieder durch Überreichung von goldenen und silbernen Ehrennadeln durch den Bundesvorsitzenden Erhard Richter, der an diesem Tage seinen 75. Geburtstag unter herzlicher Anteilnahme des ganzen Bundes beging.

 

Bayern.

Traunstein/Obb. Die letzte Zusammenkunft der Landsmannschaft der Ostpreußen, Ortsgruppe Traunstein war recht zahlreich besucht. Der erste Vorsitzende Alexander Schadau konnte den jetzt aus der alten Heimat Ostpreußen eingetroffenen 71-jährigen Landsmann Gustav Bögel begrüßen und ihn durch Überreichung der Ostpreußennadel und eines Präsentkorbes erfreuen. Bögel, der hier seine Angehörigen gefunden hat, dankte in bewegten Worten. Der nach München verziehenden Familie Erich Wolf wurde bei der Verabschiedung als Erinnerung für die bewiesene Treue zur Gemeinschaft der Bildband „Quer durch Ostpreußen" überreicht. Das mit frischem Maiengrün und Blumen geschmückte Versammlungszimmer ließ von Anfang an frohe Stimmung aufkommen. Landsmann Schadau übermittelte den im Mai geborenen Mitgliedern herzliche Glückwünsche und ging dann durch eine Ansprache, die von entsprechenden Gedichten umrahmt war, zu einer würdigen Feierstunde zu Ehren des Muttertages über. Landsmannschaftliche Bekanntmachungen und ein Überblick über die augenblickliche politische Weltlage folgten. Der Vortragende wies weiter darauf hin, dass die landsmannschaftliche Gruppe in den sechs Jahren ihres Bestehens (13. Mai) zu einer festen Gemeinschaft zusammengewachsen ist. Da der Ortsgruppe Ost- und Westpreußen seit der Gründung einmütig angehören, wurde auf seine Anregung beschlossen, fortan die Bezeichnung „Landsmannschaft Ost- und Westpreußen" zu führen. Dadurch wird erwartet, dass noch alle abseits stehenden Landsleute den Weg zu der Ortsgruppe finden werden. Am Pflngstsonnabend unternahm die Ortsgruppe eine Busfahrt an den Bodensee. Fröhliche ostpreußische Vorträge, Lieder und angeregte Unterhaltung hielten die Versammelten bis in den späten Abend hinein zusammen.

 

Seite 15   11 Jahre „ostpreugische Arztfamilie". Familientag 1956 in Göttingen. Bekenntnis zur selbstgewählten Aufgabe. Festsitzung des Vereins für wissenschaftliche Heilkunde Königsberg.

Wie alljährlich am Wochenende nach Pfingsten, so trafen sich vom 25. bis 27. Mai die Mitglieder der „Ostpreußischen Arztfamilie", die nun schon 11 Jahre besteht, in Göttingen, um in hergebrachter Weise ihren Familientag zu begehen. Schon beim Eintreffen erfuhr man vom unermüdlichen „pater familias" Herrn Dr. Paul Schroeder, dass rund 100 Anmeldungen mehr vorlagen als im Vorjahre, und damit war eigentlich schon die Antwort auf die Diskussionsfrage nach dem Fortbestand dieser einmaligen Selbsthilfe-Organisation im Voraus gegeben. Besonders erfreulich war die Teilnahme von 17 Familienmitgliedern aus der Ostzone, die mit größter Herzlichkeit aufgenommen wurden. Im Standquartier „Gebhard's Hotel" trafen sich die bereits angekommenen Familienmitglieder zum Begrüßungsabend, der für viele ein frohes Wiedersehen mit alten Bekannten brachte. Die ostpreußische Dichterin Gertrud Papendick, die nun schon zum eisernen Bestand der Familie gehört, gab dem Abend durch den Vortrag aus ihren Werken heimatliches Gepräge und inneren Gehalt. Herzlicher Beifall dankte ihr.

 

Am nächsten Morgen um zehn Uhr wurde ein sehr interessanter Kulturfilm über Brasilien vorgeführt, der, von einem im Ausland lebenden Familienmitglied zur Verfügung gestellt, hier seine öffentliche Uraufführung erlebte. Er vermittelte ein eindrucksvolles Bild dieses seltsamen Landes mit seinen tausend Wundern und Gegensätzen. Der besondere Dank für diese genussreiche Morgenstunde gebührt dem „Antipoden" Herrn Dr. Schnorrenberg, der sich um die Beschaffung des Films sehr bemüht hatte. Anschließend begann das Gespräch am Runden Tisch im nun schon bis auf das letzte Plätzchen gefüllten Vorführraum. Der „pater familias" eröffnete die Diskussion um die alle bewegende Frage: „Wie denken wir uns Aufgaben und Fortbestand der Ostpreußischen Arztfamilie?" mit dem Hinweis auf die „familiären Wackelkontakte", die Monate hindurch ernste Sorgen verursacht hatten. Haben wir uns wirklich nichts mehr zu sagen? Haben die Zusammenkünfte noch einen Zweck? Eine schriftliche Rundfrage hatte ein überaus starkes Echo gefunden, und das Für und Wider der Antworten, die verlesen wurden, fand nun seine mündliche Ergänzung in einer lebhaften Aussprache, an der sich vor allem die ostzonalen Angehörigen der Familie beteiligten. Es wurden keine Beschlüsse gefasst, das war auch nicht nötig, denn es ergaben sich so viele zwingende Gründe für den Fortbestand der Familie und so viele dringende Aufgaben: — Hilfe für die Bedürftigen und Vereinsamten, Vermittlung unseres ostpreußischen Arzttums an die Jungen — dass der „pater familias" abschließend feststellen konnte: „Diese allgemeine Zustimmung zum Weitermachen ist ein beglückendes Ergebnis für ein ganzes Jahr. Wir sehen eine Aufgabe, der wir nachgehen werden, so lange noch ein Impuls in uns ist“.

 

Nach einer internen Mitgliederversammlung der Alten Versorgungskasse Ostpreußen trafen sich die Familienmitglieder am Nachmittag im Hörsaal des Physiologischen Institutes zur Festsitzung des Vereins für wissenschaftliche Heilkunde Königsberg, die alljährlich dem Familientag die repräsentative wissenschaftliche Kulisse gibt. Wieder war es gelungen, drei hervorragende Wissenschaftler als Vortragende zu gewinnen, die nun in fesselnder Weise aus ihren Forschungsgebieten berichteten. Professor Dr. Krauspe, Hamburg, sprach über „Fortschritte auf dem Gebiet der Knochenpathologie", Professor Dr. Mueller, Heidelberg, über „Neue Erkenntnisse bezüglich des Ertrinkungstodes", und Professor Dr. Hoffmann, Berlin, der die Festsitzung leitete, über „Moderne Beleuchtungsfragen". Die hochinteressanten Ausführungen fanden bei den Zuhörern, die den ganzen Hörsaal füllten, stärkste Anteilnahme und herzlichen Dank, dem Professor Dr. Hoffmann in seinen Schlussworten noch besonderen Ausdruck gab. Es war ein Festkolleg, würdig der großen Tradition des alten Königsberger Vereins.

 

Zum Familientag gehört auch immer der Festabend in den schön gelegenen Hainberg-Gaststätten auf dem Rohns, eine gesellschaftliche und gesellige Veranstaltung, die alle Teilnehmer für ein paar frohe Stunden vereint. Der große Saal konnte kaum die Gäste fassen, die erschienen waren. Kein Platz an den festlich gedeckten Tischen blieb leer. Dr. Schroeder wünschte allen einen genussreichen Abend, und Obermedizinalrat Dr. Dembowski verlas eine launige Tischrede aus der eigenen Versschmiede. Nach dem Essen, von der flotten Musik der Hauskapelle gewürzt, startete Frau Gerda Rühmkorf, treues, mit vielseitigen Vorzügen ausgestattetes Mitglied der Familie, zu einem von ihr erdachten, mit Charme und Geschick durchgeführten ostpreußischen „Quiz", bei dem es viel zu lachen gab und auch die Preise für die besten Leistungen nicht fehlten. Später trat dann auch Alfred Lau auf den Plan, der Mundart-Dichter der Familie, und unterhielt die Festteilnehmer mit seinen lustigen, übermütigen ostpreußischen Versen. Beide ernteten herzlichen Beifall. Dazwischen wurde flott und ausdauernd getanzt, so dass auch die sehr zahlreich erschiene Jugend zu ihrem Recht kam.

 

Am Sonntagvormittag begann dann der eigentliche Familientag. Leider sind seit dem letzten Treffen wieder zahlreiche Mitglieder der großen Familie verstorben, und jede Lücke, die entsteht, ist ein schmerzlicher, nicht mehr zu ersetzender Verlust. Zu Ehren der Toten, deren Namen der „pater familias" verlas, erhoben sich die Anwesenden von ihren Plätzen. In seinen Begrüßungsworten gab er denn seiner großen Freude über den zahlreichen Besuch Ausdruck, wobei er besonders herzlich die „Ostzonalen" ansprach. Mit größter Genugtuung erinnerte er an die ehrenvolle Auszeichnung, die dem im Saal anwesenden Familienmitglied Frau Dr. Haßlinger durch die Verleihung der Paracelsus-Medaille zuteil geworden ist. In herzlichen Worten gedachte er des lieben Kollegen Dr. Frey, der demnächst 80 Jahre alt wird.

 

Nach der Bekanntgabe einiger Gruß-Telegramme — so hatte u. a. auch Agnes Miegel herzliche Grüße und Wünsche übermittelt — begann die Vortragsfolge „Als Arzt in Ostpreußen". Es war ein glücklicher Gedanke, ostpreußische Ärzte aus ihren Erfahrungen und Erinnerungen berichten zu lassen. Als Amtsarzt sprach Herr Dr. Dembowski, Lüneburg, als Krankenhauschef Herr Dr. Wiedwald, Flensburg, und als Nehrungsarzt Herr Dr. Gudjons, Wettbergen/Hann. Die aufschlussreichen, mit viel Humor gewürzten Berichte waren für die Zuhörer ein besonders schönes und eindrucksvolles Erlebnis. Wie sehr sie allen gefielen, bewies der lang anhaltende, herzliche Beifall, mit dem die Referenten bedacht wurden. Der Jahresbericht, den Herr Dr. Schroeder erstattete, zeigte, welche Arbeit im letzten Jahr wieder geleistet worden war, vor allem in der materiellen und seelischen Betreuung der Hilfbedürftigen. Schon um ihretwillen müsse weitergearbeitet, werden. Die Zahl der Mitglieder ist weiter gewachsen, und auch der günstige Kassenstand, über den Herr Dr. Schnorrenberg berichtete, zeigte, dass die Familie lebendig ist wie eh und je. Nach einem herzlichen Dank an alle, die mitgeholfen hatten, die Flaute zu überwinden, an alle Spender der „Obuli", an die Päckchentanten und sonstigen ehrenamtlichen Helfer, folgte der Appell, weiter treu zur Familie zu stehen und nicht müde zu werden in der Hilfe für alle diejenigen, die dieser Hilfe bedürfen. Damit ging der Familientag zu Ende. Wieder nahmen alle Teilnehmer die Erinnerung an frohe, gehaltvolle Tage mit auf die Heimreise und verabschiedeten sich voneinander mit einem „Auf Wiedersehen im nächsten Jahre In Göttingen!"

 

 

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