Ostpreußen-Warte, Folge 05 vom Mai 1954

Ostpreußen-Warte

Folge 05 vom Mai 1954

 

Seite 1   Foto: Weideweg nach Bardehnen bei Trakeningken, Kreis Tilsit

 

 

Seite 1   „Deutsche höchst gleichgültig“. Was die Welt über die nationale Haltung der Deutschen denkt.

Vor kurzem veröffentlichte die schweizerische Zeitung „Die Tat" unter der vielsagenden Überschrift „Der deutsche Teig" eine Betrachtung über die politische Haltung des westdeutschen Bundesbürgers gegenüber dem Schicksal seines Volkes und Landes. Da wurde zunächst die Äußerung eines amerikanischen Offiziers wiedergegeben, der kurz nach 1945 erklärt habe, er sei überrascht gewesen, die Deutschen so gefügig und butterweich gefunden zu haben, nachdem er sie auf den Schlachtfeldern so ganz anders kennengelernt habe. Sie seien wie ein Kuchenteig, den man nach Belieben zusammenknüllen, zerteilen, auf das Kuchenbrett werfen oder aufessen könne. Immer geschehe das gleiche, nämlich gar nichts.

 

Der Verfasser jenes Aufsatzes in der „Tat" bestätigt in seinen weiteren Ausführungen diese Auffassung des Amerikaners und meint dann wörtlich: „Den Bundesrepublikanern — wenn man von den Vertriebenen und Ostflüchtlingen absieht — ist es in ihrer jetzigen Lage ganz wohl. Von der Deutschen Demokratischen Republik und den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sprechen sie wenn überhaupt (was selten genug der Fall ist) wie von China: achselzuckend. Geht uns doch nichts an. Sollen die Alliierten sehen, wie sie damit fertig werden. — Und wenn die Alliierten gesehen haben, dass sie damit nicht fertig werden, wie bei der letzten Außenministerkonferenz, dann spritzt eine hohle Debatte im Bonner Bundeshaus auf, und vergessen ist der ganze Spuk. Dann widmet man sich wieder dem eigenen Wohlergehen“.

 

Ein hartes, aber berechtigtes Urteil

Das ist ein hartes, bitteres Urteil, das da ein Schweizer Journalist über den westdeutschen Bundesbürger fällt. Ist es gerecht? Ist es zu scharf? Und wenn es im Kern berechtigt ist: Worin liegen die Ursachen für eine solche Haltung der Deutschen? Es scheint gerade jetzt in diesem Augenblick notwendig, sich diese Fragen vorzulegen und eine Antwort auf sie zu suchen. Gerade in diesem Augenblick, da eine grundsätzlich so überaus wichtige Frage wie die der Zukunft des Saargebietes zur Erörterung steht und der größte Teil der Welt schon wieder mit erhobenem Zeigefinger bereitsteht, um die Deutschen zur „Vernunft“ zu ermahnen.

 

Um die Antwort auf die beiden ersten Fragen vorwegzunehmen: Jenes Schweizer Urteil scheint leider berechtigt und auch nicht zu scharf. Wer Gelegenheit hat, die Presse der westlichen Welt sorgfältig zu verfolgen, kann immer wieder Artikel finden, deren Verfasser kopfschüttelnd und staunend feststellen, dass die Deutschen eigentlich überraschend gleichgültig seien gegenüber dem Verlust weiter Provinzen und gegenüber der Tatsache der Spaltung ihres Landes.

 

So brachte, um nur ein Beispiel zu nennen, die führende italienische Zeitung „Corriere della Serra“ vor einiger Zeit den Bericht eines Korrespondenten, der kreuz und quer durch die Deutsche Bundesrepublik gereist war. Der italienische Journalist fasste seine Eindrücke dahin zusammen: Es sei für ihn überraschend und geradezu Verblüffend gewesen, dass er in den vielen Gesprächen, die er mit Deutschen geführt habe, eigentlich niemals etwas über den Verlust der deutschen Ostgebiete gehört habe oder über die Spaltung Deutschlands in zwei Teile oder über den Verlust des Saargebiets. Er als Italiener hätte geglaubt, dass diese Themen die ersten in allen Gesprächen sein müssten und dass er immer wieder auf die leidenschaftliche Forderung nach Vereinigung und nach Rückgabe der entrissenen Gebiete stoßen werde, denn in seiner italienischen Heimat wäre dies einfach selbstverständlich. Die Deutschen, mit denen er zu sprechen Gelegenheit hatte, hätten ihm gegenüber immer nur eine Sehnsucht geäußert, die nach der europäischen Einigung.

 

„Politische Interesselosigkeit“

Dieses gewiss unvoreingenommene Urteil eines italienischen Beobachters, der offensichtlich nach Deutschland gekommen war, um zu hören, dass das deutsche Volk seine Einigung und sein Recht mit allen Fasern seines Herzens anstrebt, stimmt weitgehend mit dem des erwähnten Schweizer Blattes überein und mit der Auffassung jenes amerikanischen Offiziers. In letzter Zeit kann man aber ähnliche Urteile auch von englischer Seite hören, Meinungen, die das Erstaunen ausdrücken über die Ruhe, um nicht zu sagen Gleichgültigkeit, mit der die Deutschen ihr politisches Schicksal hinzunehmen scheinen. So schrieb der Londoner „Observer" unlängst in einer Betrachtung über Deutschland: „Was man in Deutschland hört, sind nur die Stimmen einzelner. Es fehlt der volle, tiefe Chor des allgemeinen Wollens, die authentische Stimme der Nation. Meinungsumfragen ergaben eindeutig die völlige politische Interesselosigkeit der Massen, und die erklärt, was jedem objektiven Beobachter als das überraschendste und merkwürdigste der deutschen Nachkriegsgeschichte erscheinen muss, nämlich die Leichtigkeit, mit der Deutschland seine Teilung hingenommen hat, sowie die gemächliche, halbherzige und verworrene Art und Weise, wie es heute die Frage der Wiedervereinigung behandelt“.

 

Das wahre deutsche Wunder

In der österreichischen Wochenschrift „Berichte und Informationen“ kommt der in Spanien lebende bekannte Publizist Anton Zischka zu einem ähnlichen Urteil, in dem er schreibt: „Diese Lauheit ist tatsächlich das Erstaunlichste. Sie scheint mir das wahre deutsche Wunder. Und sie dokumentiert eine Geisteshaltung, wie man sie nirgends sonst auf der Welt fand, über dieses politische Manko können weder Rekordproduktion noch „einzigartige Aufbauerfolge“ hinwegtäuschen. Und dieses Manko kann diese Erfolge auch über Nacht zunichtemachen.

 

Diese Beispiele für das Erstaunen des Auslandes über unsere Haltung gegenüber dem Schicksal, das unser Volk betroffen hat, ließen sich noch um viele weitere vermehren. Sie sind eine ernste Mahnung an einen jeden einzelnen von uns, sich bewusster und tatkräftiger im Denken wie im Handeln für das Volksganze, für die Gesamtheit dessen einzusetzen, was wir unter die Begriffe „Volk und Vaterland“ zusammenfassen. Niemand von uns, der sich seine Selbstkritik und ein sachliches Denken bewahrt hat, wird sich der Berechtigung jener Urteile verschließen können, die alle jene Ausländer da in ihren Artikeln niedergelegt haben.

 

Aber nun hat dieser ganze Fragenkomplex auch noch eine andere Seite, die erst das eigentliche Problem schafft und gleichzeitig die Antwort auf die zweite, eingangs gestellte Frage gibt, nämlich auf die Frage, wo die Ursachen für die Haltung der Deutschen liegen. Wir erleben es doch auf der anderen Seite immer wieder: wenn in irgendeiner nationalen, beispielsweise in einer territorialen Frage von deutscher Seite die Forderung nach gerechtem Denken bei den anderen erhoben wird, ertönt sofort von jenseits der deutschen Grenzen ein Hohngelächter. Man belehrt uns alsbald, dass unsere Forderungen absurd seien und dass ihre Erfüllung den Frieden Europas störe. So war es beispielsweise, als kürzlich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, auf die Rechtswidrigkeit der Losreißung kleiner Gebietsteile im Westen zugunsten Hollands und Belgiens hinwies und die Forderung nach Rückkehr dieser rein deutschen Gebiete zum deutschen Mutterlande erhob. Da wies man in den betroffenen Nachbarländern dieses Begehren als „unerhört“ und „anmaßend“ zurück und glaubte in ihm ein „Wiederaufleben des Nazismus“ sehen zu können.

 

Die französische Zeitung „Le Monde“ brachte es sogar fertig, allen Ernstes zu erklären, es sei nicht einzusehen, was die Deutschen eigentlich wollten. Einmal handle es sich ja nur um ein paar Quadratkilometer mit „bloß“ 13 500 Einwohnern, und zum anderen seien diese Gebietsabtretungen in voller Legalität erfolgt, denn den dort ansässigen Deutschen stände es jederzeit frei, ihren Besitz zu veräußern und nach Deutschland auszuwandern. Als ob damit das Problem als solches und seine völkerrechtliche Seite geklärt wären! Kein Wort, kein Gedanke, von dem Recht auf Heimat, von dem Recht eines jeden Menschen — auch wenn es „nur“ 13 500 Deutsche sind — in den jahrhundertealten Bindungen seiner Volksgemeinschaft zu verbleiben und diese Gemeinschaft gegen Siegerwillkür zu verteidigen.

 

In der Saarfrage ist die Argumentation des Auslandes genauso verständnislos und ungerecht. So erklärte unlängst zur Saarfrage Radio „BBC London“, selbstverständlich sei das Saargebiet kulturell in jeder Beziehung deutsch, aber daraus folge noch lange nicht, dass es auch politisch einen Teil von Deutschland bilden müsse, ebenso wenig wie Österreich und die deutschsprachige Schweiz einen Teil von Deutschland bilden müssten oder könnten. Hier werden mit Taschenspielerkniffen Dinge miteinander verglichen, die gar nicht vergleichbar sind, wird einfach darüber hinweggegangen, dass das Saargebiet — im Gegensatz zu Österreich und der deutschsprachigen Schweiz — tatsächlich seit Jahrhunderten ein Bestandteil des Deutschen Reiches war und nur willkürlich aus Siegerlaune jetzt erst von Deutschland losgerissen wurde. Auch hier wieder werden selbstverständliche Grundrechte einfach abgesprochen. Sobald wir aber diese Grundrechte fordern, wenn wir also nicht in der Gleichgültigkeit und Stumpfheit verharren, die man uns auf der anderen Seite als „überraschend“ und „unverständlich“ vorhält, unterstellt man uns einfach, dass wir den Frieden stören und Unmögliches verlangen.

 

Wie kann sich angesichts solcher Widersprüche in unserem geschlagenen und gedemütigten Volke ein klares Denken und unbeirrbares Handeln in lebenswichtigen Fragen unserer Nation entwickeln? Hierin liegt die eigentliche Problematik unserer nationalen Politik, eine der Hauptursachen für die scheinbar gleichgültige Haltung weiter Kreise unseres Volkes. Freilich ist dies nur eine Erklärung und keine Entschuldigung, Die Erkenntnis dieser Problematik stellt uns vielmehr gleichzeitig klar und deutlich eine Aufgabe. Die Aufgabe, den Weg des Rechtes zu suchen und ihn auch unmittelbar zu gehen, das heißt das Bewusstsein von Recht und Unrecht unserem Volke gegenüber zu wecken und zu schärfen und es wachzuhalten, bis es eine lebendige Kraft ist, die in einem neuen Europa einen gestaltenden Ordnungsfaktor darstellen kann.

 

 

Seite 1   Ostpreussen – dennoch Deutsch allzeit unser!

Zum Landestreffen der Ostpreußen in Hannover Von Dr. Friedrich Holter.

Die weltumspannenden Konferenzen zeigen: Die Weltpolitik sucht nach Wegen aus einem Weltdilemma. Dabei glaubt man anscheinend unser, der paar Millionen Verbliebenen Geschick werde nach einem Jahrzehnt vergeblicher Hoffnung als unabänderliches Verhängnis hingenommen und sei mehr ein soziales denn politisches Problem. Es könne widerspruchslos in den vermeintlich mit Vorrang zu behandelnden planetarischen Konfliktstrudeln versinken, zumal doch eine gewisse soziale Mindestsicherung der Betroffenen angeblich gelungen sei.

 

Man erreiche unter Umgehung unseres Anliegens vielleicht eher eine Entspannung auf Weltebene, wenn man es unerledigt an den Rand schöbe, und zwar als Gegenstand einer vor der Hand nicht lösbaren „Illusionspolitik“— wie man uns glauben machen möchte. Dabei übersieht man freilich den gefährlichen Keim, der stets aus ungesühntem Unrecht erwächst. Denn wer Unrecht begangen hat, verbirgt sich zur Rechtfertigung seines schlechten Gewissens hinter Hass, der jeden Frieden bedroht.

 

Nichts wäre verwerflicher, als aus einer geschichtlichen Aufgabe eine moraltriefende Geste barmherziger Samariter zu machen, die dem zuvor von ihnen Geschundenen obendrein nur ihr Mitleid aufnötigen wollen. Wir haben aber nicht zu betteln, sondern zu fordern!

 

Sind aber nicht schon manche von uns — ohne die Tragweite zu ahnen — in Gefahr, aus wiedererlangter Sattheit gleichgültig zu werden und viele bereit, zu resignieren? Sich gar mit einem unwürdigen Existenzminimum aus öffentlicher Hand zu begnügen? Denn von vollzogener Eingliederung kann aufs Ganze gesehen gar nicht die Rede sein.

 

Das haltgebende aufrichtende Ziel: In die Heimat zurückzukehren, mindestens das Recht auf Heimat gültig verankert zu wissen — das glauben sie in generationsweite Ferne entschwinden zu sehen. Deshalb erlahmen sie; sind drauf und dran innerlich „abzuschnallen“, enttäuscht aufzugeben, die notwendige Geduld zu verlieren.

 

Darauf aber warten die Verursacher unseres Unglücks neben anderen Nutznießern ja nur! Und diejenigen von uns, die sich mit einem Verzichte, dem Ausgeschaltet werden abfänden, sie hülfen selber, es jenen leichtmachen, uns die Heimat vorzuenthalten und eine Klärung des uns widerfahrenen Unrechts auf den St. Nimmerleinstag zu vertagen.

 

Wie soll denn aber auch der Westdeutsche, gar der Ausländer im Einzelnen wissen, was Gesamtdeutschland und das Abendland durch den endgültigen Raub unseres Heimatlandes verlöre? Nahmen sie nicht alle gedankenlos seine Erzeugnisse, seine Segnungen, seine geistigen und materiellen Leistungen als selbstverständlich einfach hin? Was wussten sie schon davon, dass allein seine Existenz mit deutscher Bevölkerung auch die ihrige sicherte?

 

Wer also kann denn anders bewusst in Geduld, zäh und unverdrossen um seine Wiedergewinnung, den unterschlagenen Rechtsanspruch ringen, wenn nicht wir selbst? Wir, seine noch lebende, wenn auch ausgetriebene Menschensubstanz.

 

In Niedersachsen lebt die stärkste Landesgruppe der Landsmannschaft, leben rund 400 000 Ostpreußen! Also fast ein Fünftel der ehemaligen Gesamtbevölkerung; und das verpflichtet.

 

Diese Verpflichtung gelte jedem einzelnen als ein „kategorischer Imperativ“, nämlich mitvertretend für die gesamte Landsmannschaft in Hannover demonstrativ zu bezeugen: Hier sind wir, Mann für Mann, Frau für Frau und fordern das gottgewollte Naturrecht auf unsere Heimat für Deutschland und das Abendland; und zwar in dem Rahmen, wie ihn die Charta der Sieger anscheinend leider nur auf dem Papier feierlich proklamiert hat!

 

Heute genügt es einfach nicht mehr, wenn eine Handvoll erwählter und befugter Sprecher und Rufer in Wort und Schrift ihre Stimme erhebt; die wird im Zeitalter der Massen übertönt und totgeschwiegen. Nein, Das ganze lebendige Volk eines Landes muss hinter ihnen aufstehen! Und das mindestens einmal im Jahr vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

 

Seht an unsere Menge! Wir schlafen nicht wir verzichten nicht, bis uns Recht wird um der Menschlichkeit willen! Wir geben nicht Ruh, weil wir den echten Frieden wollen und eine saubere, von Vergeltungsgelüsten unbelastete Zukunft!

 

Und daran: Wie und wie viele von uns zusammentreten, der Welt das einschlafende Gewissen wachzuhalten, daran wird sie ablesen, wie weit unser Selbstbehauptungswille, die Bindung an die Heimat noch zu respektieren seien. Das kann uns niemand abnehmen, das liegt an uns allein. Hierbei wird offenbar werden: War es uns bei unserem Zusammenschluss um die Sicherung der elementaren Existenzgrundlage zu tun — oder haben wir begriffen, dass es um Heimat, Vaterland und Zukunft geht; um Zurückweisung einer grausamen Siegerüberheblichkeit, die unser unabdingbares Recht, unsere innere und äußere Not für Nichts achtet. Diese höheren Ziele, die Opfermut, Treue und unbestechlichen politischen Sinn verlangen, sie stehen am Ende unserer Aufgabe.

 

Denn über eines muss illusionslose Nüchternheit unseren Blick schärfen: Das harte, geduldfordernde Ringen um die Wiedergewinnung des uns schamlos geraubten deutschen Ostens, es beginnt erst! Vergessen wir nie das hehre Beispiel jener Völker, die solche Sehnsucht, solchen Rechtsanspruch unbeirrbar durch Jahrhunderte hindurch getragen und bewahrt haben.

 

Zu all den großen Opfern, die man uns abverlangte, soll uns der Weg nach Hannover nicht verdrießen.

 

Gehen wir diesen Gang doch in eigener Sache für das Ganze, für eine gesunde geschichtliche deutsche und abendländische Zukunft!

 

 

 

Seite 2   Bergung der „Tannenberg“

Eine schwedische Bergungsgesellschaft bereitet die Bergung der ehemaligen deutschen Truppentransporter „Tannenberg“ und „Hansestadt Danzig“ vor, die 1941 vor der schwedischen Insel Oeland auf Minen gelaufen waren. Die gleiche Gesellschaft bemüht sich auch um die Auffindung der „Preußen“, die um die gleiche Zeit im gleichen Gebiet verlorengegangen ist.

 

 

Seite 2   Oberländer mahnt zur Einigkeit. Auf der Jahreshauptversammlung des ZvD/BvD

Die fünfte Jahreshauptversammlung des ZvD (Zentralverband der vertriebenen Deutschen) stand im Zeichen einer gesteigerten Aktivität dieses mit 1,7 Millionen Mitgliedern wohl größten Verbandes der deutschen Ostvertriebenen. Über eines der wichtigsten Anliegen der deutschen Ostvertriebenen, über den seit Jahren propagierten und immer wieder nur debattierten Zusammenschluss, konnte allerdings auch diese Hauptversammlung nichts Neues berichten. Der anwesende Bundesvertriebenenminister Prof. Dr. Oberländer unterstrich die Wichtigkeit des Zusammenschlusses aller Vertriebenen- und Flüchtlingsverbände, da die Chancen der Heimatvertriebenen allein in ihrer Einigkeit lägen. Seit seiner Ankündigung nach den Bundestagswahlen, dass er die Einigung der Vertriebenenverbände betreiben werde, ist dieser Appell Prof. Dr. Oberländers die erste energische Mahnung vor einem großen Vertriebenenforum, die Einigung endlich intensiver zu betreiben Gerade die Genfer Konferenz, zu der nach den letzten Meldungen rund 1000 Journalisten aus aller Welt gekommen sind, hätte für ein geschlossenes und einheitliches Auftreten der deutschen Vertriebenen eine günstige Gelegenheit geboten, wie sie nicht so schnell wiederkommen wird.

 

Prof. Dr. Oberländer wies in seiner Rede darauf hin, dass die Eingliederung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in den nächsten sechs Jahren als Voraussetzung für eine Wiedervereinigung West- und Ostdeutschlands vollzogen sein müsse. Er wandte sich gegen die Auffassung, dass in der Frage der Wiedervereinigung die Zeit für den Westen arbeite. Je länger die Wiedervereinigung hinausgezögert werde, umso schwieriger werde sie sein. Wenn es um den heißen Krieg ginge, würden alle lebendig; um aber den kalten Krieg zu gewinnen, rühre sich im Westen kaum jemand. Das Ausland müsse der Bundesrepublik die Last der Sowjetzonenflüchtlinge tragen helfen, die ein Opfer des kalten Krieges seien.

 

Der wiedergewählte Erste Vorsitzende des ZvD, Dr. Linus Kather, machte die interessante Feststellung, die letzten Bundestagswahlen hätten bewiesen, dass der ZvD nicht länger in seiner parteipolitisch neutralen Haltung verharren könne. Bei den kommenden Landtagswahlen werde er seinen Mitgliedern sagen, wo diejenigen Frauen und Männer seien, die die Interessen der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge wahrnähmen. Zur Frage der Wiedervereinigung bezeichnete es Dr. Kather als fraglich, ob das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen geeignet sei, eine Volksbewegung für die Wiedervereinigung ins Leben zu rufen. Trotzdem werde sich der ZvD für diese Bewegung zur Verfügung stellen.

 

Der ZvD werde am 17. Juni überall an der Zonengrenze Gedenkfeiern aus Anlass der Volkserhebung im vergangenen Jahr in Ostberlin und der Sowjetzone veranstalten.

 

In mehreren Entschließungen forderten die Delegierten des ZvD eine Intensivierung aller Kräfte des deutschen Volkes zur Wiedervereinigung, die auch die Rückgabe der Heimat an die Vertriebenen und nicht nur eine Vereinigung der Bundesrepublik und der Sowjetzone bringen müsse. Die Saar sei ein Bestandteil des deutschen Reiches. Eine Europäisierung der Saar sei nur im Zuge einer gesamteuropäischen Entwicklung möglich.

 

Um einer Nivellierung des Vertriebenenschicksals vorzubeugen, forderte schließlich der ZvD, dass das Bundesausgleichsamt für den Lastenausgleich dem Ministerium Oberländers unterstellt werde.

 

 

Seite 2   Saarfrage und deutsche Ostgebiete. Zwei gegensätzliche Entschließungen.

Der BvD (Bund der vertriebenen Deutschen) fasste auf seiner Jahreshauptversammlung folgende Entschließung:

 

„Die Saar ist ein Bestandteil des deutschen Reiches genauso wie die reichsdeutschen Vertreibungsgebiete östlich der Oder-Neiße. Jede Regelung der Saarfrage präjudiziert auch die Entscheidung für diese Gebiete.

 

Die Vertriebenen bestehen darauf, dass deutsche Rechte auf die Saar nicht preisgegeben werden. Eine Europäisierung der Saar ist nur möglich im Zuge einer gesamteuropäischen Entwicklung. Jede Verquickung von Saarfrage und EVG wird schärfstens abgelehnt.

 

Von der Bundesregierung wird gefordert, dass sie bei ihren Verhandlungen diesen Grundsätzen Rechnung trägt“.

 

 

Am 26. und 27. April hat in Bonn eine Sprechertagung des Verbandes der Landsmannschaften stattgefunden, der eine Präsidialsitzung vorausgegangen war. Auf dieser Präsidialsitzung erklärte der Sprecher der schlesischen Landsmannschaft, Dr. Rinke, er werde künftig an keiner Sprechertagung teilnehmen, bei der Vertreter der oberschlesischen Landsmannschaft anwesend seien. Entschließungen wurden auf der Sprechertagung nicht gefasst, jedoch wurde auch hier das Saar-Problem erörtert. Im Gegensatz zum ZvD kam man zu der Feststellung, dass eine Saarlösung die Frage der deutschen Ostgebiete nicht präjudiziere. Ausgiebig wurden auch die Maßnahmen erörtert, die in nächster Zeit zur Förderung des gesamtdeutschen Gedankens ergriffen werden sollen. An den Beratungen des Verbandes nahm eine Reihe der dem neugeschaffenen Arbeitsrat angehörenden Bundestagsabgeordneten teil.

 

 

 

Seite 2   Schwierigste Arbeit noch vor uns

Der neugebildete Beirat beim Bundesvertriebenenministerium, der die Bundesregierung in Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen beraten soll, ist in Bonn zum ersten Mal zusammengetreten. Als Ergebnis der mehrstündigen Besprechungen wurde eine Entschließung gefasst, in der es unter anderem heißt: Der Beirat ist einhellig der Überzeugung, dass bei der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Situation die Gefahr, die in der nur zum geringeren Teil vollzogenen Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge liegt, nicht unterschätzt werden darf. Sie ist vielmehr für den sozialen Frieden und die Fortentwicklung einer sich auf Freiheit und Privateigentum gründenden Gesellschaft so bedrohlich, dass sie ohne Zusammenfassung aller Kräfte des deutschen Volkes und der freien Welt nicht überwunden werden kann“.

 

In der Entschließung wurde weiterhin betont, dass insbesondere der Jugend durch Berufsausbildung und Bereitstellung von Lehrstellen die materielle Zukunft gesichert und ihr durch eine intensive Kulturpflege die Verbundenheit mit der Heimat erhalten werden müsse. Die Sesshaftmachung der Bauern, die Sicherung und Neuschaffung selbständiger gewerblicher Existenzen, die Festigung und Ausbreitung gewerblicher und industrieller Kapazitäten in den Hauptflüchtlingsländern und Zonengrenzgebieten seien ohne die praktische Mitwirkung aller Bevölkerungskreise undenkbar. Die Bevölkerung Westdeutschlands habe auf dem harten Weg vom Zusammenbruch bis in unsere Tage Vorbildliches an Gemeinschaftsgeist und Opferwillen gezeigt. „Es bleibt ihre Aufgabe, über zehn Millionen ohne eigene Schuld vermögenlos gewordene Deutsche vor der dauernden sozialen Deklassierung zu bewahren, indem sie ihre Anstrengungen darauf richtet, die bleibende Verankerung Deutschlands in der europäischen Ordnung zu sichern. Diese Verankerung ist ohne Schaffung von Eigentum und Tätigkeit im erlernten Beruf in der früheren sozialen Stellung undenkbar. Erst die Eingliederung lässt die Vertriebenen und Flüchtlinge Anteil haben an den Werten der westlichen Welt“.

 

Bundesvertriebenenminister Prof. Oberländer erklärte vor dem Beirat, für die Vertriebenen und Flüchtlinge sei zwar Beachtliches geleistet worden, jedoch liege die schwierigste Arbeit noch vor uns. Der Minister warnte vor einer „Vogel-Strauß-Politik“. Man dürfe nicht glauben, die Probleme lösten sich von selbst und es gebe eigentlich gar keine Sorge um die Vertriebenen mehr.

 

 

 

Seite 2:   800 000 Deutsche in Ostgebieten. Polnischer Zoll unterbindet Paketaktion

Rund 800 000 Deutsche leben noch in den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie, erklärte der Leiter des Nachrichtendienstes Ost und Rektor der kirchlichen Hochschule Berlin, Prof. Kauska.

 

Zur Diasporahilfe des Nachrichtendienstes Ost für die Evangelische Kirche in Polen, betonte Kruska, es sei gelungen, einen umfangreichen Briefverkehr aufzubauen. Der Versand von Literatur sei jedoch seit eineinhalb Jahren so gut wie unterbrochen. Auch der Paketaktion, durch die viele Kleidungsstücke, Medikamente und Lebensmittel nach dem Osten verschickt worden seien, drohe Gefahr.

 

Durch den am 8. Februar in Polen eingeführten neuen Zolltarif sei es den meisten deutschen Empfängern unmöglich, Geschenkpakete abzuholen, da sie dann ungefähr einen Monatslohn an Zoll bezahlen müssten.

 

 

 

Seite 2   Scharfe polnische Zollbestimmungen

Die polnische Postverwaltung hat einschneidende Änderungen der Zolltarifbestimmungen für Brief- und Paketsendungen von der Bundesrepublik und Westberlin nach Polen und den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten bekannt gegeben. In der Mitteilung der polnischen Postverwaltung heißt es, „dass für alle in Briefen und Paketen nach Polen versandten Gegenstände ohne Rücksicht auf ihre Menge vom 9. Februar 1954 an Zollgebühren erhoben werden. Die bisher an deren Stelle erhobene feste Gebühr, die sich nach dem Bruttogewicht der Sendung richtete, fällt weg".

 

Wie weiter bekannt wird, sind die Zollsätze für Sendungen aus Ostberlin und der Sowjetzonenrepublik nach Polen und den deutschen Ostgebieten ebenfalls erhöht worden. Diese Sendungen müssen zweimal verzollt werden: Zuerst bei der Absendung in Ostberlin oder der Sowjetzone und dann vom Empfänger in Polen oder den deutschen Ostgebieten.

 

Die Empfänger der Brief- und Paketsendungen in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, zumeist zurückgebliebene und festgehaltene Deutsche, müssen die erhöhten polnischen Zollgebühren innerhalb von fünf Tagen entrichten, da sonst die Sendung zurückgeht. Sie dürfen auch nur persönlich die Gebühren entrichten. Die bisher bekanntgewordenen Zolltarife sind außerordentlich hoch: Der Zollsatz für Textilien liegt zwischen 200 und 250 Zloty (für gebrauchte Kleidung bis zu 140 Zloty pro Kilogramm) für Schuhe (Kinderschuhe eingeschlossen) werden durchschnittlich 200 Zloty, für getragene Schuhe 80 Zloty Zoll erhoben. Die Zollsätze für Lebensmittel dagegen liegen etwas niedriger: Ein Kilogramm Butter 30 Zloty, 1 kg Zucker 12 Zloty, 1 kg Mehl 5 Zloty, 500 g Schokolade 35 Zloty, 1 kg Hülsenfrüchte 6 Zloty

 

 

Seite 2   Carlo Schmidt schreibt Königsberg ab.

Der stellvertretende Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses und Vizepräsident des Bundestages, Bundestagsabgeordneter Prof. Dr. Carlo Schmid reiste kürzlich nach Amerika.

 

Bei seiner Landung in New York gab er ein Interview, das in der New-Yorker Wochenzeitung „Aufbau“ vom 19. März abgedruckt ist. Er erklärte dort dem Redakteur Kurt R Grossmann u. a. wörtlich: „Es leidet keiner bei uns unter dem Verlust von Königsberg“. Herr Grossmann setzt die Worte Carlo Schmids in Anführungszeichen; ein Zweifel daran, ob sie wirklich gefallen sind, ist also leider kaum möglich. Es ist u. E. nur ein geringes Entlastungsmoment für den Juristen und Völkerrechtler Carlo Schrnid, wenn er diese Formulierung gebrauchte, um damit zu begründen, dass seiner Meinung nach der Nationalismus der zwanziger Jahre in Deutschland nicht mehr existiere. Während wir uns bemühen, der Welt klarzumachen, da es eben kein Nationalismus sei, wenn wir das Recht auf unsere Heimat nicht preisgeben wollen, erklärt der Herr stellvertretende Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, es gebe keinen Nationalismus mehr in Deutschland, weil keiner unter dem Verlust unserer alten Heimat leide. Das ist ein starkes Stück. Wir wundern uns zudem, dass der Bundestagsabgeordnete Fritz Erler nicht protestierte, der sich in seiner Begleitung befand. Beide Herren sind auch mit den Stimmen der Heimatvertriebenen gewählt worden. Wie kommt Herr Schmid heute dazu, im Ausland zu behaupten, dass keiner von ihnen unter dem Verlust seiner Heimat leide? Wollte er sich damit vielleicht eine gute Presse in Amerika sichern? Muss das auf unsere Kosten gehen? Oder meinte er, Heimatvertriebene lesen ohnehin keine New-Yorker Zeitungen? Wir können über diese peinliche Entgleisung nur den Kopf schütteln: Wenn so etwas am grünen Holze geschieht ….

 

 

Seite 3 und 6    Wiederaufbau Ostpreußens 1915 – 1921. Von Prof. Kurt Frick, Königsberg / Pr., Bezirksarchitekt für den Kreis Stallupönen mit der Stadt Schirwindt.

Foto: Das im ersten Weltkrieg zerstörte Gerdauen.

Foto: So sah Gerdauen nach dem Wiederaufbau aus.

Foto: Neuer Markt in Stallupönen nach dem Wiederaufbau

Foto: Stallupönen: Apotheke und Vorschussverein am Altstädtischen Markt.

Foto: Eydtkuhnen: Häuser am Markt

Foto: Schirwindt im Wiederaufbau

Foto: Goldap, wiederaufgebaute Ziegelei

Foto: Auch diese Stadt an der Rominter Heide hatten die Russen schon im ersten Weltkrieg niedergesengt. Unser Bild zeigt die wiederaufgebaute Marktseite.

Man wird vielleicht einwenden, dass solche Erinnerungen heute überholt, also zwecklos seien, da uns die Heimat Ostpreußen durch den zweiten Weltkrieg verloren ging und dass „Erinnerungen" nur geeignet sein könnten, der Sorge um den Nöten um das Verlorene neue Nahrung zu geben. Ich bin als gebürtiger Ostpreuße der Meinung, dass gerade deshalb für uns Lebende das Schicksal der Heimat in Zeiten ihrer größten Not nicht vergessen werden darf, sondern in unserem Herzen lebendig fortleben muss, da es uns dadurch umso fester an das Verlorene bindet, das wir alle hoffen, wieder einmal zu besitzen.

 

Es gilt deshalb heute das Gleiche, was Oberpräsident Siehr bereits im Jahre 1928 anlässlich der Herausgabe des Buches „Der Wiederaufbau Ostpreußens“ einleitend sagte: „In Zeiten schwerer Not ist es erforderlich, den Blick rückwärts zu lenken und aus der Erinnerung an einstige Taten neue Kräfte zu ziehen. Wenn eine große Vergangenheit, mahnt, kann eine Gegenwart nicht schwächlich und klein bleiben“. Das sind vortreffliche Worte, die uns die schöpferischen Leistungen der damaligen Zeit neu vor Augen führt und uns für die Gegenwart zu ähnlichen und noch größeren Leistungen befähigt.

 

Es ist im Rahmen dieser Erinnerungen nicht möglich, den Wiederaufbau der Heimat erschöpfend zu behandeln, doch soll das Entscheidende und Wichtigste den Weg weisen, einmal über den Umfang und die Art der Zerstörungen, sowie über die Organisation des Wiederaufbaues durch den Staat; ferner über die gestellten städtebaulichen und baukünstlerischen Aufgaben in den Städten und auf dem flachen Lande. Dreiviertel des Gebietes der 37 000 qkm großen Provinz war in dem Jahre 1914 bis in das Jahr 1915 hinein dem Russeneinfall preisgegeben, und zwar wurde der Hauptteil bis zur Deime und westlich über Guttstadt reichend im August und September des Jahres 1914 durch die Wilna-Armee und der südliche Teil im August 1914 durch die Narew-Armee und später durch die Siewers-Armee und andere russische Verbände besetzt. Hierbei wurden, meistens durch Brandstiftung, rund 41 500 Gebäude total zerstört und etwa 60 000 durch schwere Trümmerschäden unbewohnbar gemacht. Zahlreiche öffentliche Gebäude, Rathäuser und Schulen, sowie 20 total und sieben teilweise zerstörte Kirchen und Pfarrhäuser sind diesen Angaben hinzuzufügen.

 

Das Einfallsgebiet war nach der Vertreibung der Russen im Jahre 1915 ein großer entvölkerter Trümmerhaufen, dessen baldige Beseitigung, besonders in Anbetracht der großen und wichtigen Aufgaben, die der Krieg stellte, fast unmöglich erschien. Und doch gelang es dem unbeugsamen Willen einer straffen staatlichen Organisation und den brennenden Wünschen der heimatlosen Ostpreußen, das große Werk des Wiederaufbaues sofort und unmittelbar nach der Vertreibung des Feindes 1915 zu beginnen, ein Werk, das einen Friedenswert von mehr als ein Drittel Milliarden Mark besaß. Das war eine Tat, auf die Deutschland für alle Zeiten stolz sein kann. Es war das große Verdienst des damaligen Oberpräsidenten von Ostpreußen, Exz. v. Batocki-Bledau, durch eine sofort einsetzende Organisation die notwendigen Wege geebnet und gewiesen, sowie die Bereitstellung aller Hilfsmöglichkeiten bereits noch im Jahre 1915 veranlasst zu haben, so dass im gleichen Jahr der Wiederaufbau machtvoll beginnen konnte. — Die zu schaffende Wiederaufbauorganisation hatte nach genauer Aufnahme und Feststellung aller Total- und Trümmerschäden in erster Linie für deren Finanzierung Sorge zu tragen, sowie die Arbeitskräfte und Großmengen an Baumaterialien, hauptsächlich Ziegel, Holz und Eisen trotz der Anspannung durch den Verteidigungskrieg bereitzustellen. Sie hatte ferner die entscheidende und wichtige Pflicht, einen Mitarbeiterkreis von leitenden Fachkräften und entwerfenden Architekten, besonders auch auf städtebaulichem Gebiet, für die Erfüllung dieser einmaligen baukulturellen Aufgabe zu sammeln und in das Wiederaufbauwerk einzugliedern.

 

So entstanden die 18 Bauberatungsämter, jeweilig unter der Leitung des „Bezirksarchitekten“, den das Staatsministerium berief und der als amtliche Stelle außer seinen Gehaltsbezügen am Wiederaufbau keine finanzielle Beteiligung haben durfte. Die Bauberatungsämter in den verschiedenen Zerstörungsgebieten unterstanden, allerdings mehr formell, dem Hauptberatungsamt beim Oberpräsidium in Königsberg Pr., das eigentlich nur in besonders wichtigen Fällen die letzte Entscheidung fällte, im Übrigen aber den Bezirksarchitekten unter deren eigener Verantwortung freie Arbeitsmöglichkeiten schaffte, was für das Gelingen des Wiederaufbaues, besonders auf baukünstlerischen Gebiet, entscheidend war. Die Aufgabe der Baubearbeitungsämter war aber nicht nur das technische und architektonische Gebiet, sondern auch die Abwicklung aller baufinanziellen und Entschädigungsfragen, bis zur letzten Abrechnung.

 

Die Regelung der Entschädigungsfragen erfolgte auf Grund der Preuß. Anweisung vom 18. Januar 1915 und dem Erlass des Preuß. Innenministers vom 20. August 1915 und dem späteren Reichsgesetz vom 3. Juli 1916 mit den erforderlichen Ausführungsbestimmungen für den praktischen Gebrauch, die keinesfalls eng fiskalisch, sondern von Fachkräften des praktischen Baulebens aufgestellt waren. Die Schäden wurden in Totalschäden und Trümmerschäden geteilt; die ersten wiederum in „Architektenbauten“ und „Pauschalbauten“. Diese Teilung bedingte, dass für alle „Architektenbauten“ Architektenzwang bestand und der neu geschaffene „Bauanwalt“ die wichtige Verantwortung für die ihm zugewiesenen Einzelbauvorhaben, trug und nicht an der Bauausführung geschäftlich beteiligt sein durfte. Diese Beschränkung der Arbeit der „Bauanwälte“, nur auf die „Architektenbauten“ die der Staat aus Sparsamkeitsgründen anordnete, hat sich nicht immer einsparend ausgewirkt, da bei den „Pauschalbauten“ oft Kräfte tätig waren, denen der letzte Sinn für die Berufsverantwortung fehlte und dadurch auch gestalterisch manche Unvollkommenheiten eintraten, die besser vermieden worden wären.

 

Auch die „Bauanwälte“ bedurften in jedem Einzelfalle, nach Beurteilung durch den Bezirksarchitekten, der Zulassung durch den Oberpräsidenten, damit nur beste und befähigte Kräfte die oft nicht leichten Aufgaben lösen konnten. Die Beratungsämter arbeiteten auf dem Gebiet der Baugestaltung und der Lösung städtebaulicher Fragen lediglich mit dem Hauptberatungsamt Hand in Hand, während sie bei allen Entschädigungsfragen mit den zuständigen Landratsämtern und vor allen Dingen mit den Regierungen in Königsberg Pr., Gumbinnen und Allenstein zur Zusammenarbeit verpflichtet waren. So musste der Bezirksarchitekt nicht nur ein guter Städtebauer und Gestalter, sondern auch ein geschulter und erfahrener Fachmann auf wirtschaftlichen Gebiet sein. Er wurde in dieser Hinsicht von staatlichen Bausekretären unterstützt, die auf dem Gebiet staatlicher Bauabrechnung beste Schulung besaßen.

 

Geringfügige Vollschäden, sowie Trümmerschäden bis zum Entschädigungswert von 1000 Mark wurden von den Kriegshilfsausschüssen begutachtet und festgesetzt. Die amtliche Schätzung vor Beginn jedes „Architektenbaues“ erfolgte durch vereidigte Bausachverständige der Feuersozietät der Provinz Ostpreußen nach besonders erlassenen Vorschriften. Alles in allem war das Verfahren zur Feststellung der Entschädigungen für Bauschäden sehr überlegt und auf die Praxis eingestellt. Für die Berechnung von Teil- und Trümmerschäden wurde gleichfalls das Gutachten amtlichen Schätzer zugrunde gelegt, die der Bezirksarchitekt bei lückenhaften Schätzungen selbst ergänzen durfte.

 

Diese Organisation ermöglichte nicht nur eine soziale und gerechte Gutmachung der erlittenen Bauschäden, sondern schaffte auch in der Zeitfolge, wie in der Leistung aller beteiligten Stellen einen Erfolg, der das gewaltige Werk des Wiederaufbaues, die Schaffung neuer Städte und Teile von Städten und Dörfern, sowie die Beseitigung der zahllosen Trümmerschäden in einer beispiellos kurzen Hauptbauzeit von 5 Jahren ermöglichte.

 

Als Gesamtleistung gesehen und beurteilt ist der Wiederaufbau der Kriegszerstörungen eine Großtat deutscher Organisationsarbeit, deutschen Fleißes und Schaffens, die umso höher einzusetzen ist, als sie während des Krieges erfolgte, der Deutschland vor viele andere volkswichtige und staatserhaltende Probleme und Aufgaben stellte, die unter allen Umständen erfüllt werden mussten, um überhaupt die Voraussetzungen für einen Wiederaufbau in diesem Umfang zu schaffen und zu sichern.

 

Ihre einmalige kulturelle Bedeutung, besonders nach der gewaltsamen Trennung in ein West- und ein Ostdeutschland und den Verlust Ostpreußens an Russland und Polen, ist heute selbst bei den gebürtigen Ostpreußen, leider etwas verblasst, ein Umstand, der gerade heute überwunden werden muss, wenn wir nicht unsere innere Verbundenheit mit der verlorenen Heimat freiwillig aufgeben wollen.

 

Über den Umfang der Zerstörungen und ihrer Beseitigung im Einzelnen zu berichten, ist im Rahmen dieser Erinnerungen leider nicht möglich. Eine gewisse Übersicht wird trotzdem, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, gegeben. Das Zerstörungsgebiet beginnt nördlich von Tilsit und wird östlich und südlich durch die Landesgrenze bestimmt, während westlich die Städte Gumbinnen, Darkehnen, Angerburg, Arys, Nikolaiken, Bischofsburg, Allenstein, Hohenstein, Soldau und Neidenburg die ungefähre Ausbreitung der Totalschäden in Städten und Dorfanlagen umreißen. Die stark zerstörten Städte Ortelsburg und Johannesburg liegen in der südlichen Zone. Darüber hinaus erstreckten sich die Zerstörungen über die genannten Hauptzerstörungsgebiete hinaus auf zahlreiche weitere Ortschaften und vor allen Dingen Dorfanlagen im gesamten Besetzungsgebiet. Im nördlichen Abschnitt war die Grenzstadt Schirwindt im Kreise Pillkallen, bis auf die auf der Marktmitte stehende Kirche, total zerstört. In Stallupönen lagen ein großer Teil des Altstädter und des Neustädter Marktes, sowie der ganze Kleine Markt in Trümmern, während, die dazwischen liegende schöne alte Kirche keinen Schaden erlitt. In der Grenzstadt Eydtkuhnen, über die sich der Fernverkehr Paris—Berlin—Königsberg—Russland vollzog, musste der gesamte große Marktplatz neu erbaut werden. Ähnlich lagen die Verhältnisse in der Stadt Pillkallen und in Goldap, dessen Marktplatz ebenfalls restlos in Trümmern lag. Besonders umfangreiche Totalzerstörungen erlitt die Stadt Lyck rings um die Kirche und in der Hindenburg-Straße. Hier galt es auch, die zerstörte Kirche und das Rathaus neu zu erbauen. Einen großen zusammenhängenden Totalschaden erlitt die freundliche Stadt Gerdauen, wo 2 Hauptfronten des Marktplatzes, sowie die anschließende Bebauung der Wilhelm-, Kirchen- und Stallstraße zerstört wurden, deren Wiederaufbau zu den besten architektonischen Leistungen zu rechnen ist. Die Städte Ortelsburg, Hohenstein, Neidenburg, Soldau, sowie eine Anzahl großer Dörfer zeigen ausgedehnte Bauschäden, die fast alle, wie auch in den anderen Orten, durch bewusste Brandlegung verursacht wurden und von den Platzanlagen ausgehend in den meisten Fällen die angrenzenden Straßenbebauungen vernichtete. Besonders ausgedehnt war das Zerstörungsgebiet der Stadt Neidenburg, in dem mit wenigen Ausnahmen der kleine, wie der angrenzende große Marktplatz in Asche gelegt wurde. Von den zahlreichen zerstörten Dorfanlagen sind besonders die Dörfer Assaunen, Possessern und Windminnen zu nennen. In Ortelsburg wurde das Rathaus erst einige Jahre später in besonders eindrucksvollen Formen neu erbaut.

 

In diesem Zusammenhang darf die private Hilfstätigkeit für den Aufbau der zerstörten Ortschaften, die sich aus den im ganzen Deutschland gebildeten „Kriegshilfsvereinen“ ergab, nicht vergessen werden. Das Schlagwort „Ostpreußenhilfe“ weckte dann weit über die deutschen Grenzen hinaus die private Hilfsbereitschaft weitester Kreise. Bereits im Mai des Jahres 1916 verfügte das Hilfswerk über eine Summe von über 12 Millionen Mark zur Linderung der Nöte, die durch das staatliche Entschädigungsverfahren nicht beseitigt werden konnten. Freiherrn v. Lüdinghausen, ehemals Landrat in Gumbinnen, der auch der Vater des „Patenschaftsgedankens“ war, gebührt bei diesem großzügigen Hilfswerk „Dank und Anerkennung der Geschädigten. Durch die Patenschaft reichsdeutscher Städte für die besonders schwer zerstörten Städte, erweiterte sich das private Hilfswerk zu weiterer Höhe.

 

Inzwischen war das Umlegungsverfahren, besonders in den zerstörten Stadtgebieten, zur Ausschaltung alter, ungünstiger Grenzziehungen beendet und die vorbereitenden Planungsarbeiten der Bauberatungsämter waren abgeschlossen, so dass der eigentliche Wiederaufbau begonnen werden konnte. Es ist hier erwähnenswert, dass die Beseitigung der alten, unzugänglichen Straßen, die oft Grundstücksbreiten von nur zwei bis drei Meter aufwiesen, so dass nach den bestehenden Baugesetzen eine Bebauung gar nicht möglich war, ohne wesentlichen Schwierigkeiten erfolgte, da eine gerechte Entschädigung denjenigen gewährt wurde, die im Interesse des Wiederaufbaues Bauland abzugeben gezwungen waren. Auch ein Ausgleich der Straßenbreiten zur Beseitigung verkehrsstörender Engpässe war notwendig, um eine wirklich einwandfreie Gesamtbebauung, besonders in den geschlossenen Stadtgebieten, sicherzustellen. Das hierzu eingeführte „Umlegungsverfahren“ wurde ohne amtliche Überspitzung so zeitig und mit besonderer Hilfe des Oberpräsidenten und des Provinzialrates durch die Bauberatungsämter durchgeführt, so dass die Neuplanungen der Häuser alle bisher oft vernachlässigten hygienischen Anforderungen an den Hausgrundriss, die lichten Raumhöhen, Querdurchlüftung etc., berücksichtigen konnten. Durch das jetzt einsetzende Vorentschädigungsverfahren, das den Bau in seiner alten Größe und Art finanzierte, wurde die finanzielle Grundlage des Wiederaufbaues geschaffen, während der Größer- und Besserbau durch die einzelnen Bauherrn sicherzustellen war. Bei den Vorplanungen der Bezirksarchitekten und den späteren Ausführungsplänen der freien Architekten, standen die mehr oder weniger selbstverständlichen technischen Anforderungen gegenüber den städtebaulichen und gestalterischen Entscheidungen zurück. Wo es sich darum handelte, kleinere Lücken in Platz- und Straßenwandungen zu füllen, ergaben sich keine Probleme. Anders und schwieriger lagen die Gestaltungsfragen beim Neuaufbau der größeren, zusammenhängenden Straßen- und Platzgebiete, oder zerstörter Dorfanlagen; doch wurden auch diese durch die gemeinsame Arbeit der Bauberatungsämter mit den ,,Bauanwälten“ mit wenigen Ausnahmen gut, oft sogar vorbildlich gelöst.

 

Über das architektonische Ergebnis des Wiederaufbaues oder Teilen desselben ist später, gerade aus Fachkreisen, nicht immer eine zustimmende Kritik geübt worden und zwar derart, dass der Wiederaufbau sich zu stark an das Alte, vor der Zerstörung, gelehnt hätte. Diese Beurteilung ist unbegründet; denn sie übersieht, dass trotz des damaligen neuen Gestaltungswillens, die Notwendigkeit bestand, das Neue mit dem Alten in harmonischen Einklang zu bringen, um wieder in den Grundzügen einheitliche Stadt- und Dorfbilder zu schaffen. Hierfür gelten besonders die Beispiele: Stallupönen, Goldap, Darkehnen, Lyck, Gerdauen, Ortelsburg, Hohenstein, Neidenburg, Johannesburg und Soldau. Dort, wo in wenigen Fällen der Architekt bewusst abweichend von dieser Erkenntnis und Einsicht versuchte, besonders bei der Einfügung größerer Bauten, wie beispielsweise Rathäuser, durch eine nicht bodengewachsene Architektur besondere städtebauliche Wirkungen zu erzielen, gelang diese Absicht nicht immer und es entstand eine formale Zwiespältigkeit, die den Gesamteindruck nicht günstig beeinflusste. Diese Einzelfälle beeinträchtigen aber keineswegs den Wiederaufbau als Ganzes gesehen.

 

Die erwähnte Verbundenheit zwischen Boden und Mensch, zwischen gewachsener Baukultur und neuen Baugedanken war bei den zerstörten Dorfanlagen und großen Gütern fast noch ausgeprägter und zwingender als bei den zerstörten Stadtgebieten und schuf unter besonderer Betonung und Erfüllung landwirtschaftlicher Zeitforderungen neue, sehr einprägsame Dorfbilder. Besonders baulich vorbildlich erfolgte der Wiederaufbau der großen zerstörten Rittergüter, wie beispielsweise Ranten bei Lötzen, Lindicken i. Kreis Pilkallen und Gramberg i. Kreis Gerdauen.

 

Die Hauptjahre des Wiederaufbaues 1915 bis 1919 waren für alle Beteiligten schwere und arbeitsreiche Jahre, sowohl für alle Ämter, besonders im unmittelbaren Aufbaugebiet, zu denen in Sonderheit die staatlichen Bauberatungsämter zählten, als für alle freischaffenden Unternehmungen und Kräfte, besonders der freien Architektenschaft und der gesamten Baustoffindustrie und des Baugewerbes. Es ist Pflicht, der freien Architektenschaft eine besondere Anerkennung für ihre großen Leistungen auszusprechen. Niemand, kein Berufszweig hat versagt; jeder gab sein Bestes, trotzdem die Mehrzahl der entscheidenden Kräfte an der Front stand. Bauen in diesem Umfang und nach bis ins Letzte vorbedachten Plänen und Absichten ist für den praktischen, wie für den geistig schaffenden Baufachmann etwas Einmaliges und Großes. Ich habe als Leiter eines der größten Bauberatungsämter einen tiefen Einblick in diese Dinge gewinnen können und glaube, bei der heutigen Rückerinnerung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu haben, dies zum Ausdruck zu bringen, als ein Beispiel, wie auch heute der Einsatz bei entsprechenden Aufgaben zu erfolgen hätte. Leider hat der zweite Weltkrieg des Neugeschaffenen wiederum zerstört und uns Ostpreußen die Heimat geraubt.

 

Schicksal — aber nicht ohne den Glauben, dass die Zukunft uns Heimatvertriebenen unsere Rechte doch einmal zurückgeben wird!

 

 

 

Seite 4   Unsere Leser schreiben:

Interessiert uns Polen?

Selten, nur ganz vereinzelt, findet man in dem Wust der zahlreichen deutschen Zeitungsblätter einen Aufsatz über unsere Nachbarländer. Was man zuweilen kurz erwähnt, ist gewöhnlich von politischer Art. Es ist nicht gut bestellt, wenn man sich über seinen Nachbarn allzu hart ausschweigt, seinen Namen nicht erwähnt und sich um ihn nicht kümmern mag. Kein Volk ist von so vielen, verschiedengearteten Nachbarn umgeben wie das deutsche. Andere ehemals kleine Völker waren bemüht, die Zahl ihrer Nachbarn zu verringern und sind dadurch nachmals groß und mächtig geworden. Bei unserem Volk hat das Staatswesen eine rückläufige Entwicklung angenommen.

 

Die innigste nachbarliche Berührung hat unser Volk mit dem groß gewordenen polnischen Volk. Viele werden das nicht wissen, die meisten nicht wahr haben wollen. Eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze verläuft zwischen Deutschland und dem heutigen Polen. Vor dem Kriege war diese fast doppelt so lang. Aber zwischen den beiden Völkern lässt sich eine Abgrenzung nicht aufzeigen. In einem 300 Kilometer breiten Gebietsstreifen beiderseits des Weichselstromes lebten Deutsche und Polen seit Jahrhunderten zum Teil nah beieinander. Manchen Theoretikern scheint es, dass die beiden Nachbarn in guter Gemeinschaft gelebt hätten. Worin diese Gemeinschaft bestanden hat, sagen sie nicht. Nach und nach sind ihre Epigonen in dem stets stärker auftretenden Polentum aufgegangen. Ihre Stelle nahmen dauernd nachwandernde deutsche Stammesgenossen ein. Heute hat das Polentum in Europa die 50-Millionengrenze bald erreicht. Seine Zahl vergrößert sich jährlich um die Einwohnerzahl von Hannover.

 

Diese bemerkenswerten Tatsachen interessieren die deutsche Öffentlichkeit leider nicht. Das sind Dinge, die liegen anscheinend weit weg, hinter einem großen Strom, in unermesslicher Ferne. Das „Volk der Denker“ hat Besseres zu tun: sich um andere Welten zu sorgen, das Aufblühen der Kunst zu fördern, sich um den Aufschwung der Kultur zu mühen. Wer sollte wohl über die nachbarlichen Gebiete berichten? Bedenklicher ist die Frage, wem soll berichtet werden? Unsere deutsche Öffentlichkeit lechzt nach Kunst, Wissenschaft, Kultur, Literarischem. „Es ist dem Rheinländer nicht zuzumuten“, spricht Herr Regierungspräsident a. D. Dr. Soundso in einer großen Wahlversammlung, für Pommern oder ein irgendwo bei Kamtschatka liegendes Ostpreußen Verständnis aufzubringen. Ebenso kann man es einem Bayern oder Hessen nicht „verargen“, ruft dieser auserwählte Abgeordnete, „wenn er von einem preußisch geraubten Schlesien nichts wissen will“. —

 

Wenn über unser Nachbarland Polen nicht oder nur selten berichtet wird, so geschieht das aus mancherlei Gründen. Erstens ist es nicht opportun, heute über Polen oder ein anderes Nachbarland zu schreiben. Es sieht so aus, als wolle man dort etwas suchen, das einem nicht gehört. Das ist aber doch nicht der Fall, wie der Herr „Oberrat“ in der Versammlung gelehrt hat. Wer über Grenzgebiete schreibt, macht sich bei seinen Landsleuten der Aggression verdächtig. Seine Leute haben aber schon oft versichert, dass sie im Ausland nichts anderes wollen als Touristik pflegen, Devisen umsetzen und Waren austauschen. Sie sind bereit, diese Erklärung beliebig zu wiederholen. — Zweitens, ist für solcherlei Berichte, wenn selbst sie schmackhaft abgefasst wären, keinerlei Verwendung. „Schreibt uns über den Sudan, die Etoschosümpfe oder über die Südabhänge des Krakatau“ lehren uns die Gelehrten, „aber lasst uns in Ruh mit Grenzland“. — Schließlich, und das ist wohl der Hauptgrund für das Ausschweigen, hält man mit solchen Themen sehr zurück -- einfach wegen Unkenntnis der Sache. Wenn es sich um den Osten handelt, ist das bestimmt der Fall. Es gibt nur sehr wenige, die über die Fähigkeit verfügen, einen sachlichen Artikel über Polen abzufassen. Wer kennt Polen? Wer weiß Genaues über den Osten? Wenn jemand in Warschau einen ungetrübten Spaziergang über die neuen Boulevards und die Kierbedzia-Brücke gemacht und dann einen unvergesslichen Bigos verzehrt hat, kann er allenfalls darüber etwas aussagen, aber nicht über Polen. Vor allem sind Jedem Nichtpolen die nationalen, kulturellen und ethnographischen Verhältnisse vollkommen verborgen. Die wenigen Publizisten, die zuweilen mit einem kleinen Zeitungseinsatz herauskommen, kennen Polen durch das Teleskop. Wenn sie einmal wirklich dort gewesen sind, sehen sie die Dinge durch das Mikroskop ihrer Miniaturschau, die sich für die östlichen Verhältnisse immer negativ herausnimmt. Ein Bericht über die deutsch-polnischen Verhältnisse muss, soll er zutreffend sein, weder von Königsberg noch von Göttingen aus geschrieben werden, sondern der Schreiber muss die Verhältnisse von Warschau, mindestens von Posen aus sehen können, d. h. er muss Polen und sein deutschnachbarliches Verhältnis genauso kennen wie ein Pole selber. Mit einer Berichterstattung nach den Richtlinien der Fernblickperspektive, angefüllt mit unterhaltsamen Gleichnis Bildern der Phantasie, kann man wohl gewissen Lesern der Tagespresse imponieren, — die Wirklichkeit aber sieht anders aus.

 

Polen wie es wirklich ist, d. h. wie man es nicht kennt, der deutschen Öffentlichkeit im

Rahmen eines Zeitungsaufsatzes plausibel zu machen, ist nicht möglich, weil dem Deutschen das Organ fehlt, jene ihm völlig fremde Welt zu erfassen, sie zu erkennen und muss Verständnis aufzunehmen. Dazu ist die gründliche Kenntnis der polnischen Sprache, über Polnischen Literatur, der Geschichte Polens und seiner Kultur sowie der lange Umgang mit den Nationalpolen möglichst aller Gesellschaftsschichten unentbehrlich. Wir sehen,— eine schwer erfüllbare Forderung. Diese Voraussetzungen sind, wie wir wissen, zum richtigen Kennenlernen der Weddas oder der Ainos, der Todas oder Inkas sowie zur genauen Schilderung ihrer national-kulturellen Lebensseite durchaus nicht erforderlich. Man kann ohne weiteres über sie schreiben.

 

Eine deutsch-polnische Schicksalsgemeinschaft auf dem Grund der Ausbreitung des Christentums, d.i. des Nichtnationalen, kann nur der zusammenkonstruieren, der den Begriff Polen und Polentum aus wirklichkeitsfremden Büchern erlernt und sich den entsprechenden „Gemeinschaftsanteil“ dazu erdacht hat. Man könnte, wenn man wollte, nur eine solche deutsch-polnische Schicksalsgemeinschaft (allerdings ohne polnisches Einverständnis) ausdenken, also konstruieren, dass beide Völker, die Polen wie die Deutschen, von den stärkeren Russen nacheinander besiegt wurden, mit dem grundsätzlichen Unterschied dass die Russen (nicht Sowjets) die polnische Nation niemals verdauen werden, während ihre angeblichen „Schicksalspartner“, die Deutschen, in der zweiten Generation nicht im Wirtschaftspansen, aber im nationalen Magensaft der Russen verschwunden sein werden.

 

Interessiert uns Polen? — Ich sage: nein! Wer spricht von Polen? Wer fragt nach Polen? — Niemand. Als wäre es nicht vorhanden, als säße es nicht in unserem Volks- und Staatskörper mitten drin. Jedermann denkt, wenn er überhaupt etwas denkt: die polnische Frage ist keineswegs von Bedeutung, die lässt sich, wenn es so weit ist, mit Leichtigkeit lösen. Jeder Flüchtling denkt wohl an seine verlassene Heimat, aber er denkt nicht an Polen, weil ihn im Grunde Polen nichts anzugehen scheint. Es soll ja auch schon politische Heinzelmännchen gegeben haben, die große Dinge vollbracht haben.

Studienrat R. H., Hameln

 

 

 

Seite 4   Wie Elbing wieder zu Preußen kam. Die „Jagd bei Johannisburg“ mit politischen Auswirkungen.

„Die große Jagd bei Johannisburg“ vom 4 bis 8. Juni 1698 ist keineswegs nur ein herrschaftliches Jagdvergnügen des letzten Kurfürsten von Brandenburg und nachmaligen Königs von Preußen, Friedrich I., mit seinem Gast, dem Polenkönig Friedrich August II., von Sachsen gewesen, sie war vielmehr der Rahmen für hochpolitische Entscheidungen, die letzten Endes die dann 1701 erfolgte Erhebung Preußens zum Königreich vorbereiteten. Aus beiden Gründen ist diese größte Jagd in der preußisch-deutschen Geschichte so interessant dass ihre Begleitumstände es verdienen, einmal kurz angedeutet zu werden.

 

Johannisburg, lebhafte Kreisstadt unserer Tage, am Rande des größten zusammenhängenden deutschen Waldgebietes, der Johannisburger Heide, war im ausgehenden 17. Jahrhundert ein kleines Landstädtchen, das sich an das zur „Festung" ausgebaute alte Ordensschloss anlehnte. Hier traf, von Pultusk über Willenberg und Ortelsburg kommend, der vor kurzem zum König von Polen gewählte prachtliebende August von Sachsen mit seinem zahlreichen, glänzenden Gefolge ein und wurde vor der Stadt von Kurfürst Friedrich empfangen. In der Festung mit Geschützsalut begrüßt konferierten die beiden Fürsten zunächst zwei Stunden miteinander. Am folgenden Tage fand dann die „große Jagd bei Johannisburg“ statt, die wegen ihrer politischen Auswirkungen in die Geschichte eingegangen ist.

 

Schon seit Wochen hatten aus den riesigen Waldungen Galindiens und Sudauens, damals „die Wildnis“ genannt, Bauern das Wild in Scharen in große Wildgehege bei Johannisburg zusammengetrieben. „Es waren darunter Auerochsen, Elende (Elche), Rehe, Wölfe Luchse und andere Thiere, insonderheit aber einige hundert Hirsche“, schreibt der zeitgenössische Chronust. „Für den König und Kurfürsten war auf einem sehr hohen und dicken Fichtenbaum ein kleines und überaus zierliches Haus aufgebaut, so wie die übrigen in nach Art der Straßen angelegten Buden und Zelten ihren Aufenthalt fanden. Die Jagd währte drei Tage hintereinander unter dem beständigen Schall der Trompeten, Wald- und Jagdhörner“. „Die eingehegten wilden Tiere wurden herausgelassen und mit großer Lust erlegt“, berichtet der König August begleitende Bischof Johann Zaluski, der auch mitteilt, dass „achtzig Stück großes (Auerochsen, Elche und Bären) und zahlloses kleines Wild fiel“. Diese Vernichtung von Wild, von dem wir heute sprechen würden, hatte immerhin zur Folge, dass mit vier- bis fünfhundert Hirschen, die der „großen Jagd“ zum Opfer fielen, „diese Tiere seitdem in ganz Preußen seltener geworden sind“.

 

Politisch wurden im glanzvollen Rahmen dieser Jagd im Wesentlichen zwei große Entscheidungen zwischen den beiden Fürsten getroffen: es wurde der Widerstand Augusts gegen die Erhebung Preußens zum Königreich überwunden und ein Vertrag über die Rückgabe der Stadt Elbing an Preußen unterzeichnet. Schon dem Großen Kurfürsten hatte Polen für ein Pfand von 400000 Talern die Rückgabe Elbings zugesagt, sie aber hartnäckig vorenthalten. Jetzt wurde sie vertraglich festgestellt und erfolgte nach einer kurzen, formellen Belagerung durch brandenburgische Truppen noch im gleichen Jahre. Es ist ferner interessant, dass auch Vereinbarungen über den Postverkehr, besonders über die Postverwaltung in Danzig getroffen wurden.

 

 

 

Seite 4   Niedersachsen und das Deutsch-Ordensland. Landesmuseumsdirektor Dr. Wilhelm Gaerte sprach vor dem Volkskunde-Kongress in Celle.

Zu einem „Allgemeinen volkskundlichen Kongress“, dem „Neunten deutschen Volkskundetag“ hatte der „Verband der Vereine für Volkskunde“ nach Celle (Niedersachsen) die Wissenschaftler vom Fach eingeladen. Vom 20. bis 24. April wurden vor rund 200 Teilnehmern in verschiedenen Abteilungen Fragen der sprachlichen und sachlichen Volkskunde behandelt. In der an den Schluss gelegten Gruppe: Volkskunde der Vertriebenen sprachen leider nur zwei Redner (von achtzehn im Ganzen), Prof. Dr. Künzig (Freiburg i. Br.) über „Neu entstehende Gemeinschaftsformen ostdeutschen Bauerntums“ und Landesmuseumsdirektor Dr. Gaerte (Hannover) über „Volkskundliche Beziehungen zwischen Niedersachsen und dem Deutsch-Ordenslande“. Die vertriebenen Ostpreußen dürften vornehmlich die Ausführungen unseres Landsmannes, Dir. Dr. Gaerte, interessieren.

 

Nach einleitenden Worten über die besiedlungsgeschichtlichen Tatsachen, die sich während des Mittelalters im Osten abgespielt und die einen starken Blutstrom aus dem Niedersachsenlande nach Ost- und Westpreußen geführt haben, legte der Redner die volkskundlichen Folgerungen dieses Besiedlungsprozesses dar. Die niederdeutsche Sprache (Platt) eroberte sich große Räume des Ostens. Ortsnamen (z. B. Ladekoß) und Baumnamen (so Yper  = Ulme) weisen auf die Gegend zwischen Hamburg und der Niederems hin. Das nordwestdeutsche Hallenhaus wurde in dem niederdeutsch besiedelten Raum des Ostens heimisch und die herrschende Form; die letzten Zeugnisse dafür boten die beiden Werder der Niederweichsel und Neu-Passarge, Kreis Braunsberg, am Frischen Haff. Auch der Städtebau machte sich die eingeführte Hausform zu Eigen. Von landwirtschaftlichen Beziehungen erwähnte der Redner das über ganz Ostpreußen verbreitete Wort Hocke (Garbenstand), das klar nach dem nördlichen Niedersachsen und Schleswig-Holstein weist. Für weiteren Zusammenhang beider Landesteile ist der Hase als Substitut des Korndämons im Ernteschluss bezeichnend. Auch in manchem Festbrauch stimmen beide Länder überein, z. B. in der Verwendung des Brummtopfes zu Fastnacht. An diesem Tage kamen hier und dort die Heetwecken (heiße Semmeln) als Festtagsgebäck auf den Tisch. Dies und manches andere ließ klar aufleuchten, dass der Alt-Niedersachse dem Deutsch-Ordenslande nicht nur sein Blut geschenkt hat, sondern dass er auch sprachlich, sachlich und geistig sich den Osten zu Eigen gemacht hat. Der Vortrag war von reichlichen sprechenden Lichtbildern begleitet und legte in mancher Hinsicht neue Forschungsergebnisse vor.

 

 

Peter Heinz Seraphim, Ostdeutschland und das heutige Polen, 87 Kartenbilder von Gerhard Fischer. Georg Westermann Verlag. Ganzleinen DM 12,--.

 

Prof. Seraphim, ein ausgezeichneter Kenner der osteuropäischen Verhältnisse, hatte diesem Buch schon 1937 unter dem Titel „Polen und seine Wirtschaft“ herausgegeben. Jetzt erscheint es in neuer Bearbeitung, weil ein völlig neues Polen nach sowjetischem Muster entstanden ist. Es ist so außerordentlich wichtig, für alle, die sich mit Ostpolitik befassen, dieses neue Polen zu kennen. Eine schwierige Arbeit ist hier vorbildlich geleistet, aus dem an sich doch dürftigen Material, das uns zugänglich ist, ein so gründliches und instruktives Buch zu gestalten. Der Textteil will kurz orientieren, die zahlreichen Karten erläutern. Alles ist da interessant, Bevölkerung, Wirtschaft, und nicht zuletzt die Geschichtstabellen und Karten der Entwicklung Polens — soweit es überhaupt existierte - von 800 v. Chr. bis heute. Der Preis ist für ein solches Kartenbuch mäßig, so dass man dem Buch weiter Verbreitung wünschen kann.

Dr. Paul

 

 

 

Seite 4   Der „Ostpreußische Spreewald“

Das Deltagebiet der Memel mit seinem Netz von schmalen Wasserläufen, verschilften Sumpfflächen und den dichten Erlenwäldern der Ibenhorster und Tawellningker Forsten ist bis in die letzte Zeit einsam, abgeschieden und unbekannt geblieben. Seine eigenartige Schönheit und Ursprünglichkeit aber machte dieses Gebiet, das in weiten Strecken für den menschlichen Fuß unbegehbar blieb, zu einem Kleinod unberührter Natur. Hier war im sumpfigen Dickicht und Erlendschungel der Hauptstandplatz der urigen Elche, die hier in größerer Zahl als auf der Kurischen Nehrung lebten. Das Labyrinth seiner Wasserläufe machte den Kahn zum einzigen Beförderungsmittel. Auf ihm wurde die Ernte eingeholt, wurden die Wege des Alltags in den langen, flachbodigen Kähnen gemacht, und Postbote wie Förster, Lehrer und Pfarrer der Elchniederung hatten sogar ihre „Dienstkähne“. Am Sonntag eine Reihe von 40 bis 50 Booten mit Landbewohnern zur Kirche fahren zu sehen, war ein Erlebnis. Der Vergleich zu der Bezeichnung „Ostpreußischer Spreewald“ war naheliegend. Die auf kleinen Erdhügeln über einem System tief in den Boden gerammter Pfähle erbauten Gehöfte umgab alle ein Kranz von Erlen, Pappeln und Birken. Hier im „Großen Moßbruch“ wuchsen auf schwarzer Moorerde die besten und schmackhaftesten Kartoffeln Deutschlands und Zwiebeln von unwahrscheinlicher Größe. Wasser, Wald und Moor, eine seltene Tierwelt und tiefer Frieden beherrschen diese kleine Welt, die zu den eigenartigsten Forsten der Erde gerechnet werden kann.

 

 

 

Seite 4   Praktische Berufsberatung eines ostpreußischen Lehrers. Schüler sind Lehrlinge für einen Tag.

Nicht wenig erstaunt war Tischlermeister Bartels in Klein-Berkel bei Hameln, als kürzlich ein Schüler der Volksschule bei ihm vorsprach und um Beschäftigung als Lehrling bat. „Du kommst doch erst im nächsten Jahr, aus der Schule, das hat doch noch Zeit“, gab er dem Jungen zu verstehen.

 

Ein Begleitbrief des Schulleiters klärte den Handwerksmeister auf: „Wir sind um das Wohl unserer Kinder, die in diesem und im nächsten Jahr die Schule verlassen, sehr besorgt, schrieb Dr. Lechner. „Der Mangel an Lehrstellen zwingt uns, neue Wege zu beschreiten. Bitte unterstützen Sie uns bei dieser Arbeit im Interesse der Kinder. Nehmen Sie diesen Jungen für einige Tage als Lehrling in Ihrem Betrieb auf. Behandeln Sie ihn so, als wäre er bei Ihnen angestellt. Dem Kind wird so Gelegenheit gegeben, den Berufszweig aus eigener Anschauung kennen zu lernen“.

 

Dieses Experiment Dr. Lechners war außerordentlich erfolgreich. Der betreffende Junge war von der Arbeit in der Tischlerei begeistert. In einem Aufsatz brachte er seine Erlebnisse zum Ausdruck. Sein Wortschatz wurde innerhalb dieser wenigen Tage wesentlich erweitert.

 

Praktische Berufsberatung nennt Dr. Lechner dieses Verfahren, das er seit Monaten in seiner fünfklassigen Schule eingeführt hat. Für 1 bis 3 Tage schickt er die Schüler des 7. und 8. Schuljahres in die verschiedensten Betriebe, in denen sie als reguläre Lehrlinge beschäftigt werden. Sie sollen auf diese Weise einen ungefähren Begriff von den vielfältigen Anforderungen bekommen, die jeder Beruf an geistige und körperliche Fähigkeiten stellt. Dr. Lechner: „Die meisten Schüler kennen von einem Beruf nicht mehr als den Namen. Mit hochfliegenden Plänen und falschen Vorstellungen gehen sie diesen ersten Schritt ins selbständige Leben“.

 

Die Betriebsleiter in Hameln und Umgebung stehen der praktischen Berufsberatung Dr. Lechners aufgeschlossen gegenüber. Teilweise halten sie sogar mehr davon, als vom üblichen Testen.

 

Das niedersächsische Kultusministerium sanktioniert großzügig das Experiment des ostpreußischen Schulleiters. Auch die Herren vom Landesarbeitsamt befürworten seine Arbeit. Mit dem Arbeitsamt in Hameln arbeitet Dr. Lechner eng zusammen. Nur einige Vertreter der Innungen sind dem rührigen Schulmeister etwas gram: „Er kümmert sich zu viel um die beruflichen Belange seiner Kinder — es ist doch nicht seine Aufgabe!“

 

Nach Rückkehr aus den Betrieben müssen die Schüler über ihre Erfahrungen berichten. Begeistert erzählen sie von den Menschen, die sie kennengelernt haben, von Maschinen, Werkzeugen usw. Eine ganz andere Welt dringt mitunter in die nüchternen Klassenräume ein. Dr. Lechner findet immer wieder die alte pädagogische Erfahrung bestätigt, dass ein Kind durch nichts mehr gefördert werden kann, als durch die Begegnung mit der lebendigen Wirklichkeit.

 

Erziehung zur Selbständigkeit ist ein weiteres Moment dieses Verfahrens; die Kinder gehen allein zu den Betriebsführern, tragen ihnen ihr Anliegen vor, mit mehr oder weniger Herzklopfen. Aber schon nach wenigen Minuten verfliegt die Befangenheit, die Unterhaltung mit dem Älteren kommt schnell in Gang. Die Kinder verlieren die Scheu vor dem fremden Erwachsenen. Ihr Selbstvertrauen wächst.

 

Fünf ehemalige Schüler sind bereits in Berufen tätig, die sie durch Dr. Lechner kennengelernt haben. „Ich bin glücklich über diesen Erfolg“, sagt er. „Es ist für mich ein Beweis, dass ich auf dem richtigen Wege bin“.

 

Von großer Bedeutung dürfte diese neue Art der Berufsfindung besonders für Schüler sein, die in dem ursprünglich gewünschten Beruf nicht unterkommen können. Ihnen wird die Möglichkeit gegeben, auch andere Berufszweige gründlich zu erforschen. Auf die Frage des Arbeitsamtes „Wozu hättest du sonst noch Lust?“ wissen die meisten Lehrlingsanwärter keine Antwort. Dr. Lechner: „Eltern und Schule haben da schuldhaft versagt“.

Willi Jepp

 

 

Seite 5   Schul-Wettbewerb zum „1. Landestreffen der Ostpreußen“

Anlässlich des „1. Landestreffen der Ostpreußen“ am 3./4. Juli 1954 in Hannover, dessen Schirmherrschaft der Niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf übernommen hat, führt die „Deutsche Jugend des Ostens (DJO), Landesgruppe Niedersachsen, im Einverständnis mit dem Niedersächsischen Kultusminister ein Preisausschreiben für alle Schulen in Niedersachsen mit dem Thema „Ostpreußen – deutsches Land“ durch. Sie ruft sämtliche Schulleiter und Lehrkräfte zu zahlreicher, klassenweiser Beteiligung auf. Gewünscht werden schriftliche Gemeinschaftsarbeiten, die Aussagen über die Geschichte sowie kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung Ostpreußen, enthalten und zwar sowohl Abhandlungen über das allgemeine Thema als auch Teilgebiete, Zeichnungen, Kartenskizzen usw. werden begrüßt.

 

Die Wertung erfolgt unter Berücksichtigung von Altersstufe und Schulgattung. Als Preise sind eine Lichtbildreihe, eine Buchreihe sowie Einzel-Bildbände vorgesehen, die im Unterricht verwandt werden können. Vertreter von Klassen, deren Gemeinschaftsarbeit mit einem 1. Preis ausgezeichnet wird, erhalten eine Einladung zum Landestreffen nach Hannover, in dessen Rahmen die Preisübergabe erfolgt.

 

Einsendungen sich zu richten an die Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Niedersachen im BvD, Hannover, Anzeiger-Hochhaus, und sollen mit folgenden Vermerken versehen sein: Name der Schule – Schulgattung – Klasse – Ort. Letzter Einsendungstermin ist der 4. Juni 1954.

 

 

 

Seite 5   Aus den Landsmannschaften.

Heimatkreistreffen in Hannover

Im Rahmen des 1. Landestreffen der Ostpreußen am 3./4. Juli in der niedersächsischen Landeshauptstadt finden nach den bisher vorliegenden Meldungen Jahreshaupttreffen bzw. Treffen für den nordwestdeutschen Raum nachstehender Heimatkreise der Landsmannschaft Ostpreußen statt:

 

Angerapp, Bartenstein, Ebenrode, Fischhausen, Gerdauen, Goldap, Gumbinnen, Heilsberg, Johannisburg, Königsberg-Stadt, Königsberg-Land, Mohrungen, Osterode, Pr.-Holland, Rössel, Treuburg.

Nach den Schätzungen der einzelnen Heimatkreise dürften allein zu diesen 16 Heimatkreistreffen, deren Zahl sich noch wesentlich erhöhen wird, etwa 10 000 Ostpreußen nach Hannover kommen.

 

Landeshauptstadt sagte Unterstützung zu

Der Oberbürgermeister von Hannover, Wilhelm Weber, empfing eine Abordnung der Landsmannschaft Ostpreußen, bestehend aus den Mitgliedern des Landesvorstandes, Frau Erna Siebert, dem ostpreußischen Stadtrat Siegfried Saßnik, dem Landesgeschäftsführer Gerhard Bednarski und Dr. Friedrich Holter als Vertreter der Organisationsleitung des „1. Landestreffens der Ostpreußen“. Die Abordnung unterrichtete den Oberbürgermeister über die Planungen für das am 3./4. Juli in Hannover stattfindende Landestreffen der Landsmannschaft Ostpreußen und erbat die Unterstützung der Landeshauptstadt bei der Vorbereitung und Durchführung. Weber sagte zu, dass er selbst und der Rat der Stadt alles tun werden, um, den nach Hannover gekommenen Ostpreußen, echte Gastfreundschaft angedeihen zu lassen und ihren Aufenthalt in der Landeshauptstadt zu einem bleibenden Erlebnis zu gestalten. Hannover wird am 3./4. Juli seine Verbundenheit mit Ostpreußen auch durch das entsprechende äußere Kleid bekunden. Eine größere Zahl von Ostpreußen wird an dem am 4. Juli beginnenden hannoverschen Schützenfest teilnehmen und Ausflüge in die Umgebung machen. Aus den verschiedenen Teilen des Landes Niedersachsen ist der Einsatz von 15 Sonderzügen vorgesehen.

 

 

Memel-Treffen in Hamburg

Die Arbeitsgemeinschaft der Memelländer in der Landsmannschaft Ostpreußen führt am 23. Mai in Hamburg ein Heimattreffen der Memelländer durch. Es soll dabei insbesondere an die Wiedervereinigung des Memelgebietes mit dem Reich vor 15 Jahren gedacht werden. Die Kreise Memel-Stadt und Land, Heydekrug und Pogegen treffen sich in Hamburg-Nienstedten, Elbschloßbrauerei.

 

 

Deggendorf/Donau

Der März-Heimatabend des Bundes heimattreuer Ost- und Westpreußen brachte eine Agnes Miegel-Feierstunde, die in der Tagespresse gewisse Beachtung fand. — Im Februar vereinten sich die Landsleute und viele einheimische Freunde zum gutgelungenen Fasching. — Anfragen über Beitrittserklärungen, Sterbeversicherungen oder sonstige organisatorische Fragen sind zu richten an die beiden Vorsitzenden: Hans Vorwald, Edelmaierstraße (Werkhof). Eva Hurtig-Christeleit, Michael-Fischer-Platz 6.

 

 

Aus dem Kreise Lübbecke.

Vor Ostern hatte in Espelkamp-Mittwald Herr Dr. Thuleweit unsere Landsleute zu einer Sitzung einberufen. Nach Eröffnung erhielt der Kreissprecher der Ostpreußischen Landsmannschaft, Herr Hardt, Lübbecke, das Wort zu einem Referat über die Ziele. Zwecke und Arbeitsweisen der Landsmannschaft. Darauf sprach Herr Biefel, der Kreisvorsitzende des BvD über die Aufgabenbegrenzung beider Verbände. Es wurde dann die Gründung einer Ortsgruppe einstimmig beschlossen. Gewählt wurden folgende Personen in den Vorstand: 1. Vorsitzender Herr Krause. 2 Vorsitzender Herr Dr. Thuleweit. Schriftführer Herr Heß, Kassenwart Frau Kopp.

 

 

 

560 Mitglieder in Nürnberg

Die Jahreshauptversammlung der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen gab Gelegenheit zum Rückblick auf ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Vereinsjahr seit der Gründung im Herbst 1952. Der Mitgliederstand stieg von anfänglich 86 auf über 560 heute. Dem 500. Mitglied und ??? ??? ??? Heimatbilder überreicht. Der Tätigkeitsbericht hob insbesondere die Erfolge bei der Beratung der Mitglieder, in der Kulturarbeit und beim Einsatz für die Bruderhilfe heraus. Die Kassenentwicklung war, trotz anfänglich großer Schwierigkeiten, gesund und zeigt, wie man selbst bei niedrigsten Beiträgen gut wirtschaften kann. So wurde dem Vorstand Entlastung erteilt. Landsmann Mex (Treuburg) konnte nach einem Dank an den scheidenden Vorstand als Leiter des Wahlausschusses dem einstimmig wiedergewählten Vorstand weiteren Erfolg in seiner Arbeit wünschen. Die Vorstandsämter wurden — bei geringfügigen organisatorischen Änderungen — besetzt mit den Landsleuten: Tomerius (Vorsitzender), Boehnke (Stellv.), Koerner (Schriftw.). Grotthaus (Kassierer), Breit (Kultur und Presse), Schmitt (Sozialwart), Frau Zimmer (Frauenfragen). Frau Bornschein (Jugend), Bitzer (Veranstaltungen). — Zwei Schmalfilme („Immanuel Kant“ und „Kurische Nehrung“) fanden viel Interesse und herzlichen Beifall.

 

 

Schorndorf Württ.

Zu einer Jahreshauptversammlung mit anschließendem Heimatabend hatte die Landsmannschaft Ostpreußen ihre Mitglieder am 1. Mai in den Saal der Schlachthaus-Gaststätte eingeladen. Nach der Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden, August Preuß, gedachten die Mitglieder ihrer ersten drei Toten, die sie seit ihrer Gründung im Jahre 1949 in den letzten Wochen schnell nacheinander verloren hatten.

 

Die Neuwahlen sprachen dem alten Gesamtvorstand einstimmig das weitere Vertrauen für die nächste Amtsperiode aus. Lediglich die seit einiger Zeit freie Stelle des 2. Vorsitzenden musste neu besetzt werden. Durch Beifall artige Zurufe erhielt hierfür Heinz Kubelke einstimmig das. Vertrauen der Versammlung. Neu wurde ein Organisationsausschuss gebildet, dem Frau Irmer, Alfred Schiminski und Erwin Spalding angehören. Er erhielt gleichzeitig die Aufgabe, eine Kindergruppe der Landsmannschaft aufzuziehen, und diese in regelmäßigen Heimnachmittagen mit dem Wesen unserer alten Heimat Ostpreußen vertraut zu machen.

 

Anschließend fand ein unterhaltsamer und lustiger Heimatabend statt, der von musikalischen Darbietungen der Damen Irmgard Spendel und Anneliese Preuß umrahmt wurde, und die Mitglieder noch recht lange fröhlich beisammenhielt.

 

 

Sehorndorf/Württ.

Die Landsmannschaft Ostpreußen in Göppingen veranstaltet mit den Landsleuten aus Schwäbisch-Gmünd am Himmelfahrtstag einen Ausflug mit einem nachbarlichen Ostpreußentreffen in Lorch. Auf Einladung der Göppinger Landsleute werden auch die Schorndorfer Ostpreußen an diesem nachbarlichen Landsmannschaftstreffen teilnehmen.

 

 

Plochingen/Neckar

Auf Einladung der Plochinger Landsmannschaft der Ost-, Westpreußen und Danziger zu einem „Tanz in den Mai“ im Gasthaus „Zum Rößle“ in Wernau war auch eine Abordnung der Landsmannschaft aus Schorndorf erschienen. In heimatlicher Kameradschaft vereinbarten die beiden Vorstände, die nachbarlichen Verbindungen beider Ortsgruppen weiter auszubauen. Der 1. Vorsitzende der Schorndorfer Ostpreußen hat die Plochinger Landsleute eingeladen, im Juni Schorndorf zu besuchen. Nach einer Besichtigung der schönen Geburtsstadt Gottlieb Daimlers sollen die Landleute der Ortsgruppe Plochingen mit den Schorndorfern dann einen netten Heimatabend verleben.

 

 

 

Seesen a. H.

Die Agnes Miegel-Feier der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen am 3. April stand in Auswahl und Interpretation der gebotenen Dichtergaben auf so beachtlicher Höhe, dass Obmann Papendick gebeten wurde, diese Dichterstunde bei der Landsmannschaft in Bad Gandersheim und beim Heimatbund (Harzklub) in Seesen durchzuführen. — Der nächste Heimatabend am 1. Mai wird als Frühlingsfeier ausgestaltet und gleichzeitig der Organisation von Gemeinschaftsfahrten zum großen Landestreffen der Ostpreußen in Hannover am 4. Juli dienen.

 

 

Pfingsttreffen des Inf.-Regts. 2

Vom 5. bis 07.06.1954 treffen sich die Angehören des ehem. ostpreußischen Inf.-Regts. 2 mit den Angehörigen ihres Schwesterregiments Inf. Regt. 422 zum 3. Mal nach dem Kriege in Hamburg-Harburg („Eichenhöhe“). In Harburg wohnende Landsleute werden gebeten, für unsere Kameraden Privatquartiere zur Verfügung zu stellen. Angebote mit Preisangabe und Anmeldungen zum Treffen an W. Bannuscher, Hamburg-Harburg, Hoppenstedterstraße 57.

 

 

Ostpreußisches Bäckerhandwerk

Zum großen Treffen der Königsberger Einwohner werden am 16. Mai in Hamburg in „Planten und Blomen“ Ernst-Mark-Halle sicher auch viele Ostpreußische Bäckermeister sein. Aus diesem Grunde veranstalten wir am Nachmittag 14.30 bis 17 Uhr ein Sondertreffen Im Bäckeramtshaus, Holstenwall 19. Die Innung Hamburg wird freundlicherweise uns und unsere anwesenden Damen mit einer Kaffeetafel bewirten. Wir erwarten große Teilnahme. Richard Popp, Heinrich Berg, Arthur Tobias

 

 

 

Seite 5   Turnerfamiiie Ost- und Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb.) Gotenstraße 33

Der Name unserer Turnerfamilie ist durch die Einfügung „Danzig“ ergänzt worden, um eindeutiger das gesamte Heimatgebiet unserer Turner und Turnerinnen zu bezeichnen. Umfang, Weg und Ziel der Gemeinschaft bleiben unverändert dieselben. Das 8. Wiedersehenstreffen in Hameln vom 19. bis 23. August 1954 soll den Dreiklang Ostpreußen—Danzig—Westpreußen besonders harmonisch in allen Herzen ertönen lassen. Zeitplan und Formblätter für die Anmeldung zu dem Treffen können bei Wilhelm Alm in Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33, angefordert werden.

 

Allen im Wonnemonat Mai Geborenen einen herzlichen Geburtstagsgruß! Ganz besonders

 

Hans Kahnau (Pillau) am 15.05.1954 zur 40.,

 

Martin Imme (Sorgeau) am 06.05.1954 zur 50,

 

Vally Möller-Lowien (KTC Königsberg) am 07.05.1954 zur 60.

 

Otto Koltzsch (Bartenstein) am 27.05.1954 zur 60.

 

Johannes Hippler (KMTV und Ponarth (Kbg.) am 03.05.1954 zur 65.,

 

Karl Tomscheit (KTC Kbg.) am 13.05.1954, zur 77.

 

Karl Schüleit (Tilsit und KMTV Kbg.) am 21.05.1954 zur 78.,

 

Richard Schirrmann (Turnlehrer-Vg.) am 15.05.1954 zur 80.

 

Arthur Callwitz (Tgm. Danzig) am 23.05.1954 zur 80.

 

Zur Wiederkehr ihres Geburtstages. Allen ein fröhliches Gut Heil! Onkel Wiihelm.

 

 

Seite 5   Wir gratulieren

Das Abitur an der Oberschule am Leibnizplatz in Bremen hat Christa Radünz, Bremen, Schopenhauerstraße 45 (früher in Allenstein, Roonstraße 34), älteste Tochter des im Jahre 1940 in Frankreich gefallenen prakt. Zahnarztes Helmut Radünz, bestanden.

 

Seinen 75. Geburtstag beging am 6. April 1954, Max Kriegsmann aus Zinten. Der Jubilar, der jetzt in Darmstadt 2, St. Stephan-Heimstätten 16 wohnt, war später Standesbeamter in Zinten.

 

Seinen 80. Geburtstag feierte am 19. April 1954 Pfarrer Robert Griggo aus Grünhagen, Krs. Pr. Holland. Der Jubilar wohnt jetzt in Leer/Ostfriesland, Am Markt 66.

 

75 Jahre alt wurde am 20. April 1954, Lehrer Gustav Prenschmann aus Gumbinnen, jetzt wohnhaft in Werther/Westf., Hellerstr. 19.

 

Auch Obersteuersekretär i. R. Ferdinand Stippat (viell. Schreibfehler Steppat) aus Gumbinnen beging am 9. April 1954 seinen 75. Geburtstag. Er wohnt in Westerstede/Oldenburg.

 

Der Pfarrer i. R. Franz Schibalski aus Neuhausen, Ostpreußen, jetzt wohnhaft in Bornhausen 2 über Seesen a/Harz, vollendet am 6. Mai 1954, sein 82. Lebensjahr.

 

Am 1./2. April 1954 bestand Gerhard Radau aus Braunsberg, Ostpreußen, Bahnhofstraße, das Staatsexamen am sozialpädag. Institut in Freiburg/Breisgau, wohnhaft in Freiburg/Br., Zasinsstraße 50.

 

Die Prüfung für den gehobenen Postdienst bestand Rudolf Zeuch aus Hohenstein, Kreis Osterode (Ostpr.), jetzt (17b) Offenburg (Baden), Rheinstraße 5.

 

 

 

Seite 5   Flensburger Ostpreußenfamilie

Im Monat Mai 1954 können die nachstehend aufgeführten betagten Mitglieder der Flensburger Ostpreußenfamilie ihren Geburtstag feiern.

 

Am 01.05.1954: Minna Sommer, Twedter Straße 65, 73 Jahre.

 

Am 01.05.1954: Adalbert Thiel, Osterallee 26. früher Regerteln. Kreis Heilsberg, 72 Jahre.

 

Am 02.05.1954: Amalie Schulz, Turnierstraße 5, früher Königsberg (Pr.), Tragheimer Kirchenstraße 13. 76 Jahre.

 

Am 04.05.1954: August Beyer, Mützelburglager, früher Wenkendorf, Kreis Gerdauen, 76 Jahre.

 

Am 07.05.1954: Mathilde Matzek, Mommsenstr. 9, früher Lessen bei Neukirch (Elchniederung), 71 Jahre.

 

Am 11.05.1954: Franz Lamolla. Mützelburglager, früher Fuchsberg, Kreis Königsberg, 71 Jahre.

 

Am 13.05.1954: Karl Tomscheit, Kauslunder Straße 76, früher Königsberg-Maraunenhof. 77 Jahre.

 

Am 14.05.1954: Elisabeth Rosenkranz, Falkenberg 6, früher Königsberg (Pr.), Dieffenbachstraße 11, 75 Jahre.

 

Am 15.05.1954: Rosalie Bergmann, Dorotheenstraße 24. früher Königsberg (Pr.), Briesenerstraße 17, 81 Jahre.

 

Am 15.05.1954: Hermann Puschke, Mittelstraße 35, früher Kittlitz, Kreis Angerburg. 71 Jahre.

 

Am 18.05.1954: Hugo Günther, Osterallee 5. früher Saalfeld. Langgasse 21/22, 70 Jahre.

 

Am 18.05.1954: Maria Klewer, Martinstift, früher Tilsit. Packhofstraße 8, 86 Jahre.

 

Am 18.05.1954 Gertrud Loesser. Ostseebadweg 13. früher Königsberg (Pr.), Probstheidastraße 6. 73 Jahre.

 

Am 18.05.1954: Berta Schlak, Moltkestraße 29. früher Königsberg (Pr.), Vogelweide 29, 78 Jahre.

 

Am 20.05.1954: Elisabeth Maluck, Nordergraben 62, früher Königsberg (Pr.), Lobeckstr. 1, 75 Jahre.

 

Am 21.05.1954: Maria Aschmoneit, Neustadt 43, früher Altenkirch, Kreis Tilsit-Ragnit, 80 Jahre.

 

Am 23.05.1954: August Schettler, Ostlandstr. 20. früher Königsberg (Pr.), Raederstr. 16, 81 Jahre.

 

Am 24.05.1954: Anna Schettler (wie vor), 74 Jahre.

 

Am 25.05.1954: Karoline Sturm, Am Burgfried 3, früher Königsberg (Pr.). Königseck 13, 72 Jahre.

 

Am 26.05.1954: Hans Lubitzki, Bergstraße 22, früher Nordenburg, 70 Jahre.

 

Am 28.05.1954: Berta Kropeit, Junkerhohlweg 6, früher Königsberg (Pr.). Tragh. Pulverstraße 38. 74 Jahre.

 

Am 28.05.1954: Ferdinand Neumann, Mathildenstraße 6, früher Königsberg (Pr.), Quitzowweg 1c, 88 Jahre.

 

Am 30.05.1954: Berta Hirschfelder, Schiffbrücke 65, früher Neumünsterberg, Kreis Pr.-Holland., 91 Jahre.

 

Am 30.05.1954: Johann Sakuth, Hafendamm 52, früher Nidden. 78 Jahre.

 

Allen Geburtstagskindern im Monat Mai wünscht die landsmannschaftliche Familie der Ostpreußen einen gesegneten Lebensabend und gratuliert ihnen aufs herzlichste.

 

 

 

Seite 5   BvD Niedersachsen ergreift gesamtdeutsche Initiative

In einer Sitzung des Gesamtvorstandes des Landesverbandes Niedersachsen des BvD nahm Landesvorsitzender Hellmut Gossing zu einer Reihe grundlegender außen- und innenpolitischer Fragen Stellung. Solange die deutsche Wiedervereinigung nicht Kernproblem der Außenpolitik der Bundesregierung sei, erklärte er, müssten Viermächte-Verhandlungen ergebnislos verlaufen und offizielle Erklärungen vom Auslande als Lippenbekenntnisse betrachtet werden. Man dürfe nicht Wohlstand und Aktienkurse zu entscheidenden Gesichtspunkten erheben, müsse vielmehr auch Risiken eingehen, wenn die Zerreißung Deutschlands nicht verewigt werden solle. Der deutsche Osten werde von maßgeblichen Gremien der Bundesrepublik offenbar bewusst verschwiegen. Es bestehe auch die Gefahr, dass die von Bundesminister Kaiser ausgelöste „Gesamtdeutsche Aktion“ im Sande verläuft. Der BvD Niedersachsen, äußerte Gossing des Weiteren, werde aus allen diesen Gegebenheiten die Folgerung ziehen, dass er von sich aus ständig gesamtdeutsche Initiativen ergreift und sich für eine dahingehende Mobilisierung des BvD im gesamtdeutschen Bundesgebiet einsetzt. Die Erfahrungen hätten klar bewiesen, dass der parlamentarische Weg nicht genügt, die deutsche Wiedervereinigung zu verwirklichen.

 

Gossing kritisierte die Tatsache, dass noch immer keine durchgreifenden Maßnahmen zur Sanierung der Zonengrenz-Gebiete ergriffen wurden und es seit Monaten bei der Ankündigung blieb, einem der vier Sonderminister der Bundesregierung einen Spezialauftrag in dieser Richtung zu erteilen. Der BvD werde das Schwergewicht seiner eigenen Maßnahmen von der Neugründung von Existenzen auf die Beteiligung an bestehenden Unternehmen verlagern. Im Zuge einer Dezentralisierung der Industrie würden nach dem Vorbilde von Espelkamp/Westfalen unter der Leitung der „Internationalen Gesellschaft für christlichen Aufbau“ im Bundesgebiet weitere große Vertriebenen-Städte entstehen. In Niedersachsen seien der Ausbau der Siedlung Hambühren/Kreis Celle und die Schaffung von 500 neuen Arbeitsplätzen vorgesehen. Jedes Land erhalte eine Million DM zur Finanzierung. Beteiligt werde auch die „Treuhand-GmbH“ des BvD. Der BvD Niedersachsen werde in Kürze in Verhandlungen mit den Landesbehörden eintreten.

 

Hinsichtlich der Verhältnisse auf dem Gebiete der Wohnungsbewirtschaftung teilte Gossing mit, dass der Landesverband Niedersachsen des BvD an die anderen Hauptvertriebenenländer herangetreten ist und gemeinsame Schritte vorgeschlagen hat, die unsozialen Auswirkungen des Wohnungsbewirtschaftungs-Gesetzes durch entsprechende Länderverordnungen wenigstens teilweise abzustellen.

 

 

 

Seite 5   Kahlschläge in Ostpreußen

Ostpreußens Wälder lichten sich beängstigend, meldet „Die Welt“ aus Stettin. Ständig sind polnische Holzeinschlag-Kommandos an der Arbeit, die den einst dichten Baumbestand in Kahlschlägen abholzen. Geflüchtete deutsche Waldarbeiter berichteten jetzt in Berlin, dass weite Teile der Johannisburger Heide vollständig abgeholzt worden sind. Mächtige Stapel von Balken und Rundhölzern türmen sich auf den Bahnhöfen des von Polen verwalteten Teiles Ostpreußens. Ihr Abtransport nach Polen wird ohne Unterbrechung durchgeführt. Auch die Flüsse sind mit großen Flößen bedeckt. Ergänzend hierzu berichtet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Westberlin, dass der Raubbau an den Wäldern des mitteldeutschen Raumes von den sowjetzonalen Forstbehörden unvermindert fortgesetzt wird.

 

 

 

Seite 7   660 Millionen DM für Hausratshilfe. Punktzahl für die 1. Rate wird auf 50 Punkte herabgesetzt.

In der Zeit vom 1. April 1954 bis 31. März 1955 werden aus dem Lastenausgleichsfonds 3.362 Millionen DM zur Auszahlung gelangen. Diese Gesamtsumme ist in dem Finanzplan des Bundesausgleichsamtes für das Rechnungsjahr 1954 enthalten, der am 5. April in Bonn vom Kontrollausschuss gebilligt wurde.

 

Für die einzelnen Ausgleichsleistungen sind u. a. folgende Beträge ausgeworfen (in Millionen DM):

 

Unterhaltshilfe 735,

Entschädigungsrente 75,

Wohnraumhilfe 390,

Härtefonds 40,

Währungsausgleich 50,

Altsparerentschädigung 150,

Hausrathilfe 660,

Aufbaudarlehen für die gewerbliche Wirtschaft 280,

für die Landwirtschaft 190,

für den Wohnungsbau 460,

Arbeitsplatzdarlehen 50 und

Ausbildungsbeihilfe 100.

 

Wie der Präsident des Bundesausgleichsamtes, Dr. Kühne, bekanntgab, soll die Grenze für die Auszahlung der ersten Rate der Hausrathilfe „schon in allernächster Zeit“ von bisher 60 Punkten auf 50 Punkte herabgesetzt werden. Außerdem gelangen in einer Reihe von Fällen ohne Rücksicht auf die Punkttabelle ab sofort bereits beide Raten der Hausrathilfe zur Auszahlung und zwar in Höhe bis zu 800 DM zuzüglich der Familienzuschläge. Bei den auf diese Weise Bevorzugten handelt es sich um folgende Personengruppen:

 

Geschädigte, die Heimkehrer im Sinne des Heimkehrergesetzes sind, soweit sie seit dem 01.07.1953 zurückgekehrt sind oder zurückkehren werden.

 

Geschädigte, die im Laufe des jeweiligen Kalenderjahres das 70. oder ein höheres Lebensjahr vollenden.

 

Geschädigte, die auswandern wollen und ihre Auswanderung durch eine Bescheinigung einer Auswanderer-Beratungsstelle des Bundesamtes für Auswanderung nachweisen.

 

Geschädigte, die schwer körperbeschädigt sind oder solche, die bestimmte Pflegezulagen erhalten.

 

Auf den Betrag von 800 DM zuzüglich Familienzuschläge werden bisher empfangene Reichsmark-Entschädigungszahlen mit 10 v.H. sowie die auf die Hausrathilfe nach dem Soforthilfegesetz und dem Lastenausgleichsgesetz bisher gezahlten Beträge angerechnet. Für die Gewährung der zweiten Rate genügt ein formloser schriftlicher Antrag.

 

 

 

Seite 7   Unterhaltshilfe und Vermögen. Rechtsverordnung über Verwertung von Vermögen über 5000 DM

Nach § 268 des Lastenausgleichsgesetzes wird Unterhaltshilfe nicht gewährt, wenn das Vermögen des Berechtigten, seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten und seiner Kinder den Betrag von 5000 DM übersteigt und die Verwertung dieses Vermögens zumutbar ist.

 

Im Bundesgesetzblatt vom 21 Dezember 1953 ist hierzu eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erschienen, in der der Begriff des Vermögens näher erläutert und die Voraussetzungen für die Zumutbarkeit der Verwertung des Vermögens festgelegt werden. Danach ist Vermögen das gesamte Vermögen, gleichgültig, ob es der Vermögenssteuer unterliegt oder nicht. Bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, Grundvermögen und Betriebsvermögen ist der Einheitswert zugrunde zu legen; ist dieser nicht festgestellt, ist der gemeine Wert maßgebend. Andere Wirtschaftsgüter sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Wertpapiere und Schuldbuchforderungen sind mit dem letzten vor dem Stichtag festgestellten Kurswert anzusetzen; besteht kein solcher, dann mit dem gemeinen Wert.

 

Stichtag für Vermögensermittlung

Als Stichtag für die Vermögensermittlung sind die Verhältnisse zu Beginn desjenigen Kalenderjahres maßgebend, für das erstmals Unterhaltshilfe bewilligt wird. Vermögensveränderungen zugunsten des Geschädigten werden mit Wirkung vom Ersten desjenigen Monats, in dem die Veränderung eingetreten ist, Veränderungen zuungunsten des Geschädigten, die zu einer wertmäßigen Steigerung von mehr als einem Fünftel führen, von dem auf die Veränderung folgenden Monatsersten ab berücksichtigt. Andere Veränderungen des Vermögens, die zum Ruhen der Unterhaltshilfe führen, werden vom Beginn des folgenden Kalenderjahres ab berücksichtigt.

 

Wann ist Verwertung zumutbar?

Die Verwertung eines 5000 DM übersteigenden Vermögens ist zumutbar, soweit es verwertbar ist und in seiner Verwertung nicht eine besondere Härte liegt. Das Vermögen ist nicht verwertbar, wenn der Geschädigte in der Verfügung über dieses rechtlich oder tatsächlich beschränkt ist. Das gleiche gilt, wenn das Vermögen nach seiner Lage und Beschaffenheit auf dem Kapital-, Wertpapier- oder Grundstücksmarkt oder auf sonstige Weise nicht verbraucht, veräußert oder belastet werden kann.

 

Wann liegt eine Härte vor?

Eine besondere Härte ist anzunehmen, wenn die Verwertung nach der Art des Vermögens oder unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und früheren Lebensverhältnisse des Berechtigten billigerweise nicht erwartet werden kann. Eine besondere Härte liegt z. B. bei einem Hausgrundstück vor, das der Berechtigte mit seiner Familie ganz oder überwiegend bewohnt, ferner bei einem Grundstück, dessen Veräußerungswert unter 75 Prozent des Einheitswertes liegen würde. Bei Schmuck, Kunstgegenständen und Sammlungen wird eine Härte immer dann angenommen, wenn der gemeine Wert in keinem Verhältnis zu dem Wert steht, den diese Gegenstände für den Berechtigten haben. Die Geltendmachung einer besonderen Härte ist in der Regel dann ausgeschlossen, wenn das Vermögen 10 000 D-Mark übersteigt.

 

 

Seite 7   Heimkehrer-Aussagen über Zivilgefangene

Wir veröffentlichen nachfolgend Namen von in die UdSSR Verschleppten, die dort noch zurückgehalten werden, bzw. dort verstorben sind. Der Suchdienst Hamburg ist bemüht, die Anschriften der Angehörigen zu ermitteln, um sie benachrichtigen zu können. Sollten Sie die Namen und Anschriften von Angehörigen kennen, schreiben Sie an den Suchdienst Hamburg, Abteilung II (Zivilvermisste), Hamburg-Altona, Allee 131.

 

Alt-Seckenburg (Elchniederung): die Angehörigen der Lotte Eigenfeld, Königsberg, Bismarckstraße.

 

die Angehörigen der Käthe Kaßlack oder Paßlack, geb. etwa 1885, Lehrerin. Umgebung von Königsberg.

 

die Angehörigen der Vorname vermutlich Maria König, geb. etwa 1890, Gutsbesitzerin.

 

Heilsberg: die Angehörigen der Natascha Hinz, geb etwa 1923. Kellnerin.

 

Münsterberg, Kr. Heilsberg: die Angehörigen des Fritz Richter, geb. etwa 1908, ehemal. Reichsbahnbeamter.

 

Queetz, Kr. Heilsberg: die Angehörigen des Frl. Müller, geb. etwa 1905, Angestellte beim Landwirt Gerigk. Pr.-Holland.

 

die Angehörigen des Frl. Vorname vermutlich Martha oder Frieda Neumann, geb. etwa 1926. Die Pflegeeltern hießen vermutlich Hölger.

 

Schellen, Kreis Rößel: die Angehörigen der Maria Anhut, geb. etwa 1924. War mit Vater und Bruder Josef auf Gut Bergenthal beschäftigt.

 

Tilsit: die Angehörigen der Frau Apsel, geb. etwa 1917, verheiratet, 3 Kinder, eine Tochter hieß Gerda.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Emmi Wittin, geb. etwa 1920, Kindergärtnerin.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Idele Zacharias, geb. etwa 1925.

 

Gusenofen, Kreis Osterode: die Angehörigen der Erna Terczy, geb. etwa 1929.

 

Heiligenbeil: die Angehörigen des Paul Steckel geb. etwa 1895

 

Heiligenbeil: die Angehörigen des Hans Wickmann.

 

Königsberg: die Angehörigen der Ingeborg Arnsburg oder Arnsberg.

 

Königsberg: die Angehörigen der Frau Vornamen vermutlich Henriette, Amalie Hinz.  geb. etwa 1893. Frau Hinz hatte in Königsberg verheiratete Töchter.

 

 Königsberg: die Angehörigen der Anita Katzmarzik, geb. etwa 1924.

 

Königsberg: die Angehörigen der Helene Klein, geb. etwa 1926. Arbeiterin.

 

Königsberg: die Angehörigen des Dieter Schwarz, geb. etwa 1917. Der Vater war Superintendent in Passenheim.

 

Königsberg: die Angehörigen des Johann Wichmann, geb. etwa 1903.

 

Rastenburg, Oberteichstraße: die Angehörigen der Irmgard Stenchly, geb. etwa 1929, Schülerin.

 

Tilsit: die Angehörigen des Fritz Weber, geb. 13.05.1930.

 

Treuburg: die Angehörigen des Ludwig Karl.

 

Kreis Bartenstein: die Angehörigen der Hedwig Kannig, geb. etwa 1915.

 

Kreis Heilsberg: die Angehörigen der Maria Hoppe, geb. etwa 1922. ledig, sie wird auch gesucht von Frau Ursula Kolberg. Berlin.

 

Elchniederung (Ostpreußen): die Angehörigen des Paul Weiß, geb. etwa 1928, ledig.

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Anton Kaposchinski, geb. etwa 1924.

 

Braunsberg: die Angehörigen der Frau Maria Hoppe, vermutlich geborene August, geb. etwa 1925.

 

Farienen, Kreis Ortelsburg: die Angehörigen des Karl Weschollek, geb. etwa 1902. Beruf: Arbeiter.

 

Gertlauken, Kr. Labiau: die Angehörigen des Otto Wabbel, geb. etwa 1905. Beruf: Waldarbeiter.

 

Kreis Allenstein: die Angehörigen der Frau Liedmann, geb. etwa 1905.

 

Kreis Heilsberg: die Angehörigen des Herrn Vorname vermutl. Ernst König, geb. etwa 1905, Bauer und Pferdezüchter.

 

Gut Hermannshof, Kr. Rastenburg: die Angehörigen des Frl. Schwarz, geb. etwa 1925, Rendantin auf dem Gut Hermannshof, Besitzer Herr Rose.

 

Königsberg: die Angehörigen des Helmut Pahlke, geb. etwa 1913, vermutlich Elektroschweißer.

 

Königsberg, Hansaring 47: die Angehörigen des Herrn Schmidt, geb. etwa 1909, Zugführer bei der Reichsbahn.

 

Mühlhansen, Kr. Pr.-Holland: die Angehörigen der Elli Elter.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Elfriede Seifert, geb. etwa 1915, verh., 1 Tochter, damals etwa 3 oder 4 Jahre. Sie besaß ein Gut oder einen größeren Bauernhof.

 

Ostpreußen, vermutl. Masuren: die Angehörigen der Erika Thomas, geb. etwa 1927.

 

Allenstein: die Angehörigen von Otto Weiß, geb. etwa 1900 vermutlich in Allenstein, verh., Beruf: Maurer, Obergefr. beim Bataillon 239 — A/1466.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Hermann Garels oder Gareis, verh., mehrere Kinder, geb. etwa 1905/1908 — A/6717

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Fritz Grow, verh., Unteroffizier beim Sicherungs-Bataillon Ruma — A/4924

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Kurt Winter, geb. etwa 1924/1925, ledig, Obergefreiter bei der 4. Kompanie Panzer-Abteilung 301, Feldpostnummer 33 631 — B/3869

 

 

Seite 7   Der erste Austrieb des Viehs. Von Hermine Meyerding.

Eine Reihe schöner Frühlingstage war durch das liebe Masurenland gezogen. Das Gras grünte schon saftig und voll auf den Wiesen. Das Vieh in den Ställen brüllte immer unruhiger und sah verlangend nach der sich öffnenden Stalltür.

 

Da war an einem sonnigen Morgen der Tag des ersten Austriebs gekommen. Die Hunde waren gefüttert; mein Brotbeutel aus blauem Schürzenstoff, mit weißen Maßliebchen bestickt, hing über meiner Schulter. Meinen Hirtenstab, den ich früh noch schnell aus einem Ast zurechtgeschnitten, hielt ich in der Hand. So ging ich, gefolgt von dem freudig bellenden Mohr, den Schafstall öffnen.

 

Jeder, der zum Hof gehörte, stand heute müßig da, um den ersten Austrieb des Viehs mitzuerleben. Denn das war jedes Mal ein Festtag. Zuerst wurden die Kühe und das Jungvieh herausgelassen. Walter, mein jüngerer Bruder, war mit ihnen schon auf dem Wege zur Weide. Die Kühe gebärdeten sich wie toll, so dass Erich, der ältere, folgte, um ihm zu helfen, das Vieh zusammenzuhalten. Denn die schwerfälligen Kühe brachen durch wie die jungen Kinder.

 

Und ebenso hüpften und sprangen die freudig blökenden Schafe, und die kleinen Lämmer liefen auf ihren staksigen Beinen noch ungeschickt und verwundert hin und her. Alles war ein Fragen und Rufen, ein Lachen und Singen. Und der Ziegenbock ging laut meckernd auf zwei Beinen kerzengerade vom Hof. Von da ab hieß er der „General“.

 

So wie Roland und Cäsar, die beiden Hunde, um Walter und Erich herumgesprungen waren, so umkreiste mich, vor Freude laut bellend, Mohr, und wollte mir keine Ruhe lassen.

 

Das Lachen und Rufen der Leute, die auf dem Hof zurückblieben und sich an den grotesken Sprüngen des einen oder andern Tieres ergötzten, folgte mir auf dem Weg.

 

Die Schafweide war nicht weit vom Hof entfernt. Es war eine langgestreckte, stark hügelige Landzunge, die sich in das Talter Gewässer hineinzog. Nachdem die Schafe sich müde gehüpft hatten, froh, dass sie den Winter hinter sich hatten, machten sie sich daran, an dem frischen Grün zu rupfen. Ich ging den Berg hinauf, der an einer Seite steil zum See abfiel.

 

Von hier aus sah man weit übers Land: Groß-Jauer, Schalensee und die Burg Rhein Und die Seenkette nach Lötzen hin blinkte silbrig herüber. Niemals hatte ich mich satt sehen können an dem schönen Land; und auch heute füllte mich ganz die Liebe zu ihm. Und so sang ich auch diesmal aus übervollem Herzen ein Heimatlied nach dem andern.

 

Und dazu war es Frühling, dieser neue junge Frühling, und ich 18 Jahre alt, selige 18 Jahre!

 

Wo sollte ich da wohl hin mit all der Lust!

 

Dann lag ich auf dem Rücken und ließ meine Sehnsucht und Freude auf den weißen Wolken, von denen jede ein anderes Gesicht hatte, in die weite Welt segeln. In die wunderbare, unbekannte Welt, in die hinein der Weg über Königshöhe-Sensburg führen musste. Gewiss lag sie noch ein gutes Stück hinter Sensburg; aber da irgendwo musste sie sein.

 

Einmal wird wohl einer kommen mich holen, vier Pferde vor dem Wagen, — ein ganz besonderer Mann, ein Prinz oder so etwas Ähnliches. Doch ein bisschen werde ich sicher noch warten müssen.

 

Da bellte der Mohr. Ach, die Schafe! Ich hatte sie ganz vergessen. Sie waren mir langsam nachgekommen und grasten in meiner Nähe. Mohr hatte wohl ein Mauseloch entdeckt und scharrte eifrig, ab und zu nach mir und den Schafen herüberblickend. Er war gewissenhaft und der beste Hütehund, den wir je gehabt hatten. Wenn ich träumte und mein Amt Vergaß, Mohr passte auf. Das wussten auch die Schafe.

 

Nun lag ich längelang mit dem Gesicht zur Erde und entdeckte eine neue Welt. Der wilde Thymian duftete würzig und stark, und dazwischen kribbelte ein emsiges Leben von vielerlei Getier. Da gab es Wunder über Wunder zu schauen; ganz andächtig wurde mir zu Sinn.

 

Mohr kam gelaufen und blickte mich bittend an. Seine Nase war ganz mit Erde beschmutzt, er stieß damit an meinen Brotbeutel. Das war eine Mahnung. Ich setzte mich auf und wir frühstückten. Mohr musste zwischendurch die Schafe von Nachbar Meyers Grenze zurückholen. Ich ging ihm nach, und da sah ich den ersten Storch fliegen. Mohr hatte ihn auch schon erschaut. Mit unsinnigem Gebell jagte er hinterdrein.

 

„Mohr! Mohr!“

 

Doch da half kein Rufen, er verschwand hinter dem nächsten Hügel. Aber bald war er wieder da, ein bisschen schuldbewusst mit dem Schwänze wedelnd. Wie konnte ich ihn schelten! Er hatte mich ja so freudig überrascht, dieser erste Storch, der jetzt auf Gieses Scheune klapperte.

 

Sieht man den ersten Storch fliegen, so wird man fleißig in dem gleichen Jahr. Ach so, richtig! Ich hatte mir ja eine Arbeit mitgenommen. Das Deckchen wollte ich fertig sticken, das über der Nähmaschine liegen sollte, Ich fasste in den Beutel und griff — und fasste ein Buch: Nikolaus Lenaus Gedichte. Ich blätterte darin, doch es war alles so voll Wehmut und Trauer und gefiel mir heute gar nicht. Ich besaß aber außer meinen Märchenbüchern nur noch die Gedichte von Lenau. Eine Cousine gab mir das Buch. „Du liest ja so gern Gedichte. Nimm das Buch, ich mag es nicht“. Nun hatte ich es schon stark zerlesen, vieles konnte ich auswendig: „Hab ein Schloss und finstre Wälder, Berge hab' ich, reich an Erz ...“ ... und weiter: „Hier an diesem Rosenzweige häng ich dir mein Ringlein auf!“ ... ; dazu hatte ich schon eine Melodie gefunden; sie klang ähnlich wie „An der Saale hellem Strande ...“

 

Aber heute schien mir Lenau nicht das rechte, und doch hatte das Blättern darin etwas in mir gelöst. Ich holte aus meiner blauen Tasche Bleistift und Papier, legte das Papier auf das Buch und schrieb: von dem blühenden Thymian, von den Erlenbüschen am See, von den Wolken am Himmel. Dazu sang und klang es in mir, und die Fülle des Frühlings bedrängte mich so, dass mir der Atem stocken wollte. Dann ließ ich die Zettel in Sonnenschein und Windes wehen fliegen und hoffte, dass sie der Prinz finden möchte, der doch einmal kommen musste. Vierspännig wird er daher gebraust kommen, geradewegs zu mir, hier aufs Sandfeld.

 

Das Deckchen werde ich aber vorher noch fertig machen müssen und wohl noch manches andere. Denn einige Zeit wird es wahrscheinlich dauern, bis er kommt.

 

Und so setzte ich mich unten an den See, wo die Schafe jetzt weideten. Der Mohr, der an Meyers Grenze gelegen hatte, kam auch herüber. Und ich stickte Kornblumen und Klatschmohn auf das weiße Leinen, bis mein Schatten 12 Uhr anzeigte und wir alle gemeinsam fröhlich nach Hause zogen zum Mittagessen.

------------------

Heute bin ich eine alte Frau voll von Wehmut und Erinnerung. Ein Prinz war nicht gekommen mich zu holen. Aber mit dem schweren Treckfuhrwerk, vier Pferde davor gespannt, mussten wir vor dem Feinde flüchten in Winterkälte und Schnee, sind fortgezogen weit — weit hinter Königshöhe-Sensburg, wo die unbekannte Welt liegt. Und doch ist mir die Heimat, der Weidehügel am Talter Gewässer so greifbar nahe in Erinnerung und Traum.

 

 

Seite 7   Kant als praktischer Lebensphilosoph

Kants philosophische Hauptwerke sind dem Durchschnittsleser wegen der etwas schwer verständlichen Sprache nicht ohne weiteres zugänglich. Dagegen ist es sehr erfreulich, dass einige seiner kleineren Schriften leichter zu fassen sind. So ist sein Traktat „Vom ewigen Frieden“ schon eher in die Kreise der Interessierten gedrungen. Es sind klare, wohldurchdachte Lehrsätze über die praktischen Möglichkeiten eines dauernden Friedens unter den Völkern.

 

Ohne weiteres verständlich aber ist eine andere kleine Arbeit des Königsberger Philosophen, ein Aufsatz, der früher in Reclams Universal-Bibliothek erschienen war und hoffentlich bald wieder zu haben sein wird. Es ist Kants Schrift „Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein“.

 

Dieses Werk ist eine kleine Willensschule. Hier müssen wir uns nicht erst durch einen Wald verschlungener Gedankenpfade und durch das Gestrüpp einer wissenschaftlichen Gelehrtensprache hindurcharbeiten. Hier wird klar und in gut verständlichen Worten gesagt, wie sich der Mensch über die Hemmnisse und Schwierigkeiten des Alltags hinweghelfen kann, wie er Körper und Willen stählt und welche Vorteile ihm für das Leben erwachsen, wenn er die Kräfte seines Gemüts in seine Gewalt bekommt und mit ihrer Hilfe die Schwankungen seines seelischen und körperlichen Haushalts ausgleicht. Es ist, kurz gesagt, der Leitfaden zu einem positiven und vernunftgeleiteten Leben.

 

Hier finden wir praktische Lebensphilosophie, hier werden Gesetze aufgestellt, nach denen sich jeder, der guten Willens ist und dem an einem gesunden und zielbewussten Leben gelegen ist, ohne Schwierigkeiten zu richten vermag. Sowohl der geistige Arbeiter als auch der Handwerker und Angestellte, der im öffentlichen Leben steht und dem in unserer verwirrten Zeit die Probleme des Daseins mitunter über den Kopf zu wachsen scheinen, wird aus dieser kleinen Schrift Belehrung, Trost, Hilfe und einen fürs ganze Leben bleibenden Nutzen ziehen. Kant hat mit seinem Traktat einen sehr gewichtigen Beitrag zur praktischen Lebensführung und zur Philosophie des Alltags, wie wir sie heute verstehen und brauchen, geleistet.

Alfred Gramer

 

 

Seite 7  Frühling ist es wieder. Von Karla Coste, geb. Brandes-Althof

Die ersten Frühlingsblumen strecken

die Köpfchen neugierig empor.

Aus windgeschützten Sonnenecken

leuchtet es gelb und blau hervor.

 

Vergessen ist des Winters Wüten

so schnell im warmen Frühlingslicht.

Es öffneten die zarten Blüten

vertrauensvoll der Sonne sich.

 

Mag sein, dass noch in dieser Nacht

sie Jämmerlich im Reif erstarren,

und dass der Nordwind sie verlacht

die ungeduld'gen, kleinen Narren.

 

Und doch, sie blühen sonnenselig,

es rufen ja die Lerchenlieder.

Und alle Menschen werden fröhlich,

denn Frühling, Frühling ist es wieder!

 

 

 

 

Seite 8   Das alte Lied von der Memel. Aus der Erinnerung geschöpft von Erminia von Olfers-Batocki. (Schluss)

Foto: Memelniederung: Fischerdorf Loye

Foto: Blick auf die Luisenbrücke über die Memel bei Tilsit

Der Winter verging mit Eis und Schnee. Die Fähre war festgefroren, Schlitten glitten über den Strom, gaben Verbindung zwischen der Pruzzischen und der Litauischen Seite. Der alte Holräwer prüfte die Eisdecke, ob sie mürbe würde, denn die Wildgänse meldeten den Frühling an. Endlich zeigten sich Risse in der brüchig werdenden Kruste, mächtige Schollen schwammen dem Haff entgegen, schichteten sich auf. Kerneis knallte brechend zu Stücken. Nun wurde es Frühling. Doch Geduld, die Eisheiligen zogen über Land, Hagelschauer schlugen die werdenden Blüten von ihren Stengeln und Schnee bedeckte von neuem die Saat. Doch dann schrien die Kibitze, ihre Nester umkreisend, und die Stare pfiffen in den Baumkronen. Alles in den verschlafenen Niederungen wachte auf, alles kehrte von den Winterreisen zurück in die alten Nester.

 

Auch Gerlinde, Gielguds junge Tochter, kam zurück. Hatte die Mutter sie doch im Herbst ans andere Haff gebracht, wo in Frauenburg, vom Dom beschattet, das Haus der Nonnen stand. Die wussten Jungfrauen der Frömmigkeit zu lehren, darum sollte Gerlinde Winter über dort bleiben und würde nicht an Spiel und Tanz mehr denken. Doch wenn sie sich über die Messgewänder beugte, die sie nach Anweisung der Nonnen kunstvoll sticken musste, fiel manche Träne auf den feinen Faden und das junge Herz klopfte in banger Frage: Glänzten über der Memel die Sterne ebenso klar wie über dem Turme Frauenburgs, von dem aus der weise Astronom die Sterne enträtselt hatte? — Hinauf schauend befragte sie die Sterne, doch auf ihr stilles Wünschen antworteten sie nicht.

 

Der Winter ging dahin und die Mutter kam. Gleicherweise wie sie die Tochter im Herbst durchs Land geleitet hatte, zu Pferde, holte sie sie wieder aus den Klostermauern ab. Fast männlich sah sie aus, wie sie auf dem elchledernen Sattel saß, den Schafpelz um die breiten Schultern geschnallt, die Gamaschen von der Zehe bis übers Knie geschnürt und die Marderkappe ließ nur das kraftvolle Gesicht frei. Sie war von Dorf zu Dorf geritten, das Handpferd an der Seite. Darauf stieg nun frischen Mutes die Tochter. Ging es doch zurück an die Memel. Wenn der Mond sich rundete, wollten sie zu Hause sein. Gerlinde war der Mutter ähnlich. Auch sie saß hoch und gerade zu Pferde, bändigte kraftvoll den Schimmel und lenkte ihn am Zügel durch Felder und Wälder, wie die Mutter bestimmte. Sie wandte ihren Kopf, der den Kranz der langen Zöpfe trug, hier und dorthin, freute sich der Freiheit und dachte nicht mehr an Domgesänge und Kirchenstickereien. Sie hörte die Vögel singen und erkannte die Spuren von Fuchs und Hase im Sand. So ritten sie von Dorf zu Dorf. Zu Hause wollte sie wieder ihr Turmstübchen bewohnen, fleißig sein, ihren Spinnwocken vom Boden holen, aber auch zuweilen, wenn der Finger zu schmerzen begann, ins liebe Memeltal hinuntersehen, wo die Fähre gewiss wieder von einem Ufer zum anderen trieb.

 

„Was denkst du, Gerlinde?", frug die Mutter und hielt ihr Pferd ein wenig zurück. „An unsere Memel“, sagte die Tochter leise, „und woran denkt meine Frau Mutter“. — „Dass du niemals mehr die Fähre betreten darfst“. Sie gab ihrem Junghengst einen Schlag und trabte voran.

 

Gerlinde saß auf niedrigem Schemel und spann. Des Wockens Wippstange klopfte in der Bewegung des Mädchenfußes unter dem weichen Schuh. Das hörte die Mutter unten in ihrem Gemach und wusste, Gerlinde war bei ihrer Arbeit. Vom Winter her lag viel Flachs da, der musste versponnen werden und fein musste der Faden sein, so fein, dass das Gebinde durch einen Trauring gezogen werden konnte. Wozu hatte die Tochter sonst den eitlen Schmuck von Bernstein? Nutzte er doch nun auf diese Weise. Zog das Mädchen aber das Gespinst durch das sonnengelbe Rund, dachte es für sich allein an den Tanz, summte es das Lied, das sie einst auf der Fähre gesungen. Der Flachs war ja so weiß wie die Herbstfäden damals die zwei junge Häupter umschwebt hatten. Ach, spann sie vergebens an ihrem Brautlinnen? — An der Flachsdocke hing die Eierschale, gefüllt mit Regenwasser, um den Faden anzufeuchten. Zwei Rautenzweiglein schwammen darin. Blieben sie frisch, hatte es gute Bedeutung, vertrockneten sie — ach, warum daran denken?! Es dunkelte, Gerlinde stellte ihr Spinnrad in die Ecke, lehnte die Arme aufs Fenstersims und schaute hinaus. An seiner Schilfhütte ging der alte Fährmann auf und ab. Er wartete darauf, angerufen zu werden. Aber sonst blieb alles unbeweglich. Nur die abendlichen Laute wechselten oder vermischten sich zu vielstimmiger Gemeinschaft. Hier ließen die Frösche, dort die Unken sich hören. Die Stimme des Wachtelkönigs grüßte vom Felde her; junge Vögel schirpsten im Bach und von diesseits und jenseits des Flusses überboten sich Nachtigallen in ihren abendlichen Liedern. Die Sonne ging hinter dem Rombinus unter, der Abendstern blinzelte durch die saftig grünen Birken. Diese erste warme Nacht verlockte das Mädchen, länger als sonst im Fenster zu lehnen. Mit bloßem Arm griff es hinaus nach einem hängenden Birkenast. Zwei Maikäfer saßen dicht beieinander darauf. Da ließ die Hand den Zweig wieder los. Würden auch Nachtfalter vom Licht angelockt werden? Gerlinde zündete die kurze Wachskerze an, die sonst ihre spinnenden Finger beleuchtete und stellte sie ans Fenster. Wie duftete der Faulbaum in süßlicher Schwere. Vom Walde her bellte ein Fuchs. Sie suchte das Dach des Forsthauses mit den Augen. Auch dort flammte ein Licht auf und gleich darauf erkannte sie klopfenden Herzens eine ihr wohlbekannte Stimme:

 

(Lied mit Noten)

(Er:) überm Fluss mit leuchten Blicken

Kann ich dir nur Seufzer schicken.

 

Da legte sie die Hände um ihren Mund und

ihre Antwort klang über den Fluss hinaus:

 

(Sie:) Seufze nicht, geliebtes Leben

Singe mir ein hohes Lied.

 

Sonne wird uns Freude geben

Wenn die Nacht vorüberzieht.

 

(Er:) Hörst du nicht der Nachtigallen

Lieder, die hinüberschallen?

 

(Sie:) Ja, ich hör ein Vöglein singen

Ruf ich es, dann ist es da

Will mir seine Grüße bringen,

Denn sein Herz ist immer nah.

 

Sie hielt den Atem an. Würde er nochmals fragen? Ihr Herz jubelte, als sie vernahm:

 

(Er:) Willst du nicht die Vöglein fragen,

Ob sie hoffen oder zagen?

 

Und ihre Antwort ging zurück:

 

(Sie:) Vöglein, wüssten selber gerne

Ob das Glück uns beiden nah.

Wenn du fragst, dann frag die Sterne,

Wollte Gott, sie sagten: Ja.

 

Über dem Hause des Wildnisbereiters stieg der Rauch nicht so hoch wie an Frosttagen übers Dach, er schlich sich zwischen den Baumkronen hindurch und drückte auf den Rauchfang. Auch wollte das Holz im Kamin nicht brennen; aus der Nische zog der Dunst in die Dachkammer. Diese bewohnte der Sohn des Hauses seit seiner Knabenzeit. Jahr für Jahr ging dahin, in jedem Frühling zählte Wilk die Rufe des ersten Kuckucks, in jedem Herbst die Zahl der Wildgänse, die in langen Ketten nach Süden zogen. Wozu diese Fragen in die Zukunft hinein, man wusste ja doch nicht, was die Vögel weissagten, was die Sterne antworteten. Jetzt war er kein Kind mehr und konnte doch nicht Gerlindes Frage beantworten: „Wenn du fragst, dann frag die Sterne, wollte Gott, sie sagten Ja“.

 

„Er wischte mit dem leinenen Ärmel über seine Augen, der Rauch biss, während. er vor dem Kamin kniete und endlich die Flammen züngeln sah. Langweilig war solch Leben in dieser einsamen Kammer. Die Fensterlade, mit einer Decke stechenden Kaddikstrauchs verflochten, klapperte lose in den Angeln. Schnee lag schwer auf dem Strohdach. Aus dem Uhlenloch im Giebel kam der Kauz erst heraus, wenn der Tauwind den Schaktarp anmeldete. Der musste ja kommen wie in jedem Jahre. Dann schob sich auf der Memel das russische Eis weiter und weiter über Felder und Höfe. Dann wagte sich kaum ein Mensch zwischen den Schollen hindurch in flachen Kähnen. Dann war auch die Fähre von dem buschigen Anberg gezogen worden und am kräftigsten Baume angeseilt. Auch die Birken um das Schloss der Gielgud waren verschneit. Ihre vom Frost gebogenen Äste verdeckten die Fenster, von deren höchstem im Frühling eine liebe Mädchenstimme geantwortet hatte, das Lied, das seitdem verstummt war. Ach, würde es wieder erklingen, wenn im Frühling auch die Nachtigallen wieder sangen? —

 

Die Wetterfahne drehte sich knarrend — der Wind kam vom Osten und wandelte sich zu starkem Sturm — das Kaminfeuer flackerte auf. Wenn die Luke sich öffnen ließe, könnte Wilk hinaus spähen und vielleicht, windgetragen, eine Frage hinaussingen, die vielleicht über den Fluss eine Antwort brächte so wie damals — durfte er es wagen? — Schon erhob sich Wilk vom Kamin, vor dem er gekniet hatte, warf die letzten Holzscheite in die Feuerung und war mit wenigen Schritten an der hölzernen Lade, die er mutig aufriss. Durch die Kaddikmatte jagte nasser Schnee ihm ins Gesicht, Schnüre tropfenden Tauwassers schossen vom Mauervorsprung, vom Sturme gewehrt, in die Kammer. Der verschleierte Mond zeichnete einen matten Kreis durch den Nebelregen. Die Kaddiknadeln stachen. Doch dessen ungeachtet stieß Wilk die Äste voneinander und deutlicher sah er über den Strom, dessen Eisfläche schon von fließendem Wasser glänzte. Kraniche zogen über des Schlosses Turm, da, wo das Stübchen war, worin Gerlinde vielleicht noch wachte. Gedachte sie seiner? — Ja — da schimmerte das Fenster. Sie hatte noch Licht. „Nebel trägt den Schall“, flüsterte Wilk zu sich selbst, „soll ich es wagen?“ Ja, sein Herz bestimmte es, sein Herz fühlte die Sehnsucht noch stärker in diesem Frühlingswerden seiner Heimat. Warum diese Trennung zweier Liebender? War die Memel eine Schranke für junge Herzen? Starr sah er auf das matt schimmernde Licht, das von den windbewegten Birkenkronen bald sich zeigte, bald verdeckt wurde. — Ach, einmal die Kindheitsfreundin in den Armen halten, einmal ihre Augen, ihr Blondhaar, ihre Lippen — ach, diese Qual der Trennung musste enden. —

 

Was war das? Sie lebten von dem Strom getrennt, der ihrer beider Heimat war. Zuweilen hatte er ja die fleißige Spinnerin im Sommer von weitem gesehen, wie sie ihr weißliches Garn auf die Bleiche brachte, um die langen Talle über den Rasen zu spreiten, da, wo die Wiese ans Ufer stieß. Und er hatte ihre Blicke gefühlt, ohne dass sie den Kopf zu heben wagte, wenn er seines Vaters Pferde in die Schwemme ritt. Er hatte den Fährmann gesehen, wenn er das Treckseil hin oder zurück über den Fluss zog. Aber der alte Mann durfte von keinem der Nachbarkinder gegrüßt werden und seinen Gruß durfte niemand erwidern.

 

„Biegen oder brechen!“, so fasste Wilk seinen Entschluss, „Biegen oder Brechen muss das Eis, wenn der Frühling kommt!“ Er steckte den Kopf durch die Luke, schlug mit der Hand in ein paar zertauende Schneeflocken, schützte seitlich seine Lippen und sang in das Schlackwetter hinaus. Aufgeregt zitterten seine Worte:

 

„Eh das Eis noch wird vergehen

Werden wir uns wiedersehen?“

 

Er wartete in fieberhafter Erregung, ob Antwort käme. Das Licht im Turme erlosch. Und doch trug der Nebel Worte herüber, die das Liebende Ohr und Herz trafen:

 

„Ja, ich will dich wiedersehen.

Eh der Frühling neu erwacht.

In der dunklen Winternacht“.

Dort, wo hell die Sterne stehen,

 

Wilk legte die Hand auf sein pochendes Herz. Was sollten diese Worte ihm sagen, was verstand er daraus? Sollte er — wollte sie es wagen? —

„Eh der Frühling neu erwacht" --. Er warf seinen Pelz lose über die Schultern, er schlich auf weichen Strohsohlen die Stiege hinab. Er kroch unter tiefen Fichtenästen durch den Busch. Er eilte ans Ufer aufs Eis. Er erblickte eine weißverhüllte Gestalt. Er wusste, das Weiße war auf dem Schnee nicht zu erkennen wie bei der Wolfsjagd. So kam die Gestalt näher über die verschneite Wiese. Die Liebenden liefen einander entgegen mit ausgebreiteten Armen. Gerlinde lehnte sich frierend gegen den weißen weiten Pelz, so standen sie fest umschlungen. Sie zitterte. Wilk legte den faltigen Pelz um sie. Kaum dass sie sprachen. Die Eisschollen knisterten schäumend, lösten sich vom Uferrande, wurden vom zuströmenden Wasser überspült. Andere Schollen folgten — immer mehr schwammen heran, trieben stromab. Er sah ihre bloßen Füße auf dem Eise. „Zieh meine Strohschuhe an“, flüsterte er, „du frierst“. Als er sich beugte, ihre Füße zu bekleiden, wurde er gewahr, dass die große Scholle, auf der sie standen, sich gelöst hatte und zu schwimmen begann. „Wir stehen hier wie auf der Fähre“ lächelte sie ihm zu, „ich wollte, es wäre so“, und summte: „wie der Wind und wie die Welle“. — „Damals waren wir Kinder und tanzten und ich pflückte dir die Wasserrosen“ — „Wir waren glücklich — aber heute?“ „Heute“, antwortete sie, „sind wir glücklich im Unglück“ und schmiegte sich an seine Schulter. — Die Scholle trieb sie weiter, sie sahen die Höfe nicht mehr, sie sahen nur farblose Wiesen zu beiden Seiten den Strom entlang. Der Nebel verschleierte die ganze Welt. In Umarmung standen sie, glitten sie fort. Eis türmte sich treibend hinter ihnen auf, riss die Scholle mit — sie schwammen weiter und weiter. Da verschwammen auch die Gedanken der Liebenden. Sie wussten nur noch, dass sie lebten und sich liebten — alles andere war grau in grau im Unbewusstsein der Ewigkeit …

 

 

 

Königsberger Neue Zeitung. Ausgabe B der Ostpreußen-Warte

 

20 000 Kalmücken wohnen heute in der Pregelstadt.

Foto: Haus der Technik am Wallring

Foto: Das Herz von Königsberg. Diese Aufnahme wurde vom Luftschiff „Graf Zeppelin“ gemacht, das zurzeit auch Königsberg besuchte.

Die ehemalige ostpreußische Hauptstadt macht heute den Eindruck einer typisch russischen Stadt, etwa wie Kursk oder Wjasma, wie Witebsk oder Orel.

 

Man kann es sich kaum vorstellen, dass die einst belebteste Straße, der Steindamm, von fliegenden russischen Händlern in hohen Pelzmützen und abgetragenen Mänteln bevölkert wird. Aber dieses Bild östlicher Buntheit bietet auch der sogenannte „Basar“, der Markt an der Waldburg-Ecke, am Rande des ehemaligen Messegeländes. Doch ist es nur eine klägliche Fortsetzung des Handels, der hier einst auf dem Messegelände in der „Deutschen Ostmesse“ seinen Höhepunkt fand und Bedeutung für den ganzen osteuropäischen Raum besaß.

 

Was kann man schon hier kaufen? Angefangen vom Pferdefleisch über verschiedenartige Gemüsesorten und dem zu jedem russischen Markt gehörenden Sonnenblumenöl, Teller und Löffel aus Blech sowie eigenartige Töpfe und Schüsseln.

 

Hauptartikel Alkohol

In der Prinzenstraße wurden einige Staatsläden eingerichtet, die nur von Rotarmisten aufgesucht werden dürfen. Da Lebensmittel und Gebrauchswaren nur beschränkt zu haben sind, liefern diese Magazine vorwiegend alkoholische Getränke.

 

Königsberg ist im Übrigen seit 1951 der Schwerpunkt des Aufbaues im sowjetisch annektierten Ostpreußen. Die Bevölkerung weist heute 164 000 Russen auf. Aus der Kalmückensteppe um Elista, südlich von Stalingrad, wurden etwa 20 000 Menschen nach der Pregelstadt verpflanzt. Aber auch viele andere russische Stämme sind hier vertreten.

 

Bis auf wenige Ausnahmen sind heute wenigstens die trostlosen Trümmerviertel verschwunden. Der Wiederaufbau indessen konzentriert sich auf den Hafen, die Kasernen, Behördenbauten und Industriebetriebe. Im nächsten Jahre soll der Wohnungsbau aufgenommen werden. Bis dahin bringt man die Neusiedler in Baracken unter.

 

Die sowjetische Militärverwaltung befand sich bis vor kurzem am Hansaplatz, ist aber inzwischen in einen Neubau der Innenstadt umgezogen. Der Moskowitersaal im Schloss, dessen Hauptportal dem Artilleriebeschuss zum Opfer fiel, dient den Rotarmisten als Kasino. In der einstigen Handelshochschule befindet sich heute die russische Polizei.

 

Ein Krankenhaus

Erschreckend ist die Tatsache, dass sich in der ganzen Stadt nur ein schlecht eingerichtetes Krankenhaus befindet. Dazu klagen die russischen Ärzte über den Mangel an Medikamenten. Die öffentlichen Einrichtungen der Stadt zeigen für unsere Begriffe viele Mängel. Bei Regenfällen stehen weite Straßenteile unter Wasser, da die Abflüsse auch heute noch nicht funktionieren. Granattrichter unterbrechen die Straßen und werden von russischen Kraftfahrern geduldig umfahren. Eine der Pregelbrücken war lange Zeit ohne Geländer, und zahlreiche Betrunkene fielen dort ins Wasser. Erst als ein ganzes Lastauto in den Fluten versank, entschloss man sich, die Brücke instand zu setzen.

 

Der Eisenbahnverkehr, der 1946 unter den primitivsten Bedingungen teilweise wieder aufgenommen wurde, hat sich seither nicht verbessert. Eine Fahrt von Königsberg über Insterburg nach Gumbinnen — alle Orte tragen allerdings jetzt russische Namen — dauert mindestens einen Tag. Ebenso schlecht ist die Postverbindung.

 

Die Kantgrabstätte auf der Dominsel war 1945 durch Kriegseinwirkung zerstört worden. Der Totentempel und der niedrige Säulengang sind wieder hergestellt, das Postament ist neu hergestellt und die Schäden am Grabmal beseitigt. Die Pflege der Grabstätte ist von sowjetischen Dienststellen angeordnet worden. Es werden auch Führungen zum Kantgrab veranstaltet. Auch die Bronzestatue Schillers auf dem Theaterplatz ist wiederhergestellt worden.

 

 

„Königsberg als Brückenkopf der Aggression für immer vernichtet“ Radio Königsberg „zum 9. Jahrestag der Erstürmung Königsbergs“

„Neun Jahre sind seit dem denkwürdigen Tage vergangen, an welchem nach schweren, blutigen Kämpfen sowjetische Krieger das Banner des Sieges auf der Zitadelle Ostpreußens, Königsberg, aufpflanzten und damit den urewigen Brückenkopf der Aggression gegen unser Land vernichteten. Ein Jahr danach wurde durch einen Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSRR aus dem Gebiet des ehemaligen Ostpreußens ein neues Gebiet der RSFSR gebildet und auf den ruhmvollen Namen M. I. Kalinins getauft. Dank der Fürsorge der KP, der sowjetischen Regierung sowie der selbstaufopfernden Arbeit der Kaliningrader erhob sich binnen einer einmalig kurzen Frist aus Trümmern und Asche ein junges, blühendes Gebiet“.

 

So wörtlich Radio Königsberg. Die Wirklichkeit sieht, wie die beifolgenden Nachrichten beweisen, ganz anders aus.

 

 

 

Freie Russen: Königsberg, Brückenkopf sowjetischer Aggression

„Ostpreußen ist deutscher Kulturboden“ — 1226 wurden die Deutschen von den Polen zur Bekämpfung der Pruzzen ins Land gerufen. Großes Unrecht geschah den Deutschen, die vertrieben, den Russen, die dort zwangsweise angesiedelt wurden“, das ist die Meinung der freien Russen, die noch gezwungen sind, in der Emigration zu leben. Während der Konferenz der vier Außenminister in Berlin hat die russische antikommunistische Organisation ein Memorandum überreicht, in dem es heißt: „Daraus folgt, dass unser Land interessiert ist an: dem Abzug unserer Truppen aus allen Staaten, die von der kommunistischen Herrschaft besetzt wurden oder nach dem 2. Weltkrieg unter kommunistische Herrschaft gekommen sind . . .“ Die Besetzung Nord-Ostpreußens und die Aussiedlung der Bevölkerung geschah nicht im Interesse Russlands, sondern im Interesse der Sowjetregierung, die sich hier eine Ausgangsbasis für ihre Aggression schaffen wollte, stellt die antikommunistische deutsch-russische Zeitschrift „Russland und wir“ fest.

 

 

Radio Moskau über Königsberg

Radio Moskau berichtete am 9. April 1954 über Königsberg:

Der Berichterstatter der „Prawda“ besuchte den Vorsitzenden des Kaliningrader Stadtsowjets Pawlow. Dieser berichtete ihm:

 

„Unsere Stadt ist nach den vergangenen neun Jahren nicht wiederzuerkennen. Fabriken und Werke sind gebaut worden. Die Industrie der Stadt arbeitet für zehn Wirtschaftszweige: Zellulose, Papier, Autoverlader, Maschinen für die Fischindustrie und Fischkonserven.

 

Kipper der Kaliningrader Marke sind auf den Eisenbahnstrecken des Landes weithin bekannt. In kurzer Zeit hat sich die Stadt zu einem wohlgeordneten Kulturzentrum entwickelt. Ein pädagogisches Institut und 13 technische Schulen, sowie eine Filiale des wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Hochseefischerei sind eröffnet worden. Der Wohnungsbau wird vorangetrieben, 120 Wohnungen sind errichtet worden. Auf dem Stalingrader Prospekt hat man mit dem Aufbau eines Klubs und eines Hotels für die Fischer des Nordatlantiks begonnen. Außerdem werden zwei Lichtspielhäuser, eine Mittelschule, Kindergärten und Krippen gebaut.

 

Die Werktätigen Kaliningrads ehren das Andenken der Soldaten der heldenhaften Sowjetarmee, die ihr Leben für die Ehre, Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gegeben haben. Heute, am 9. April 1954 hat beim Siegesobelisk ein großes Meeting stattgefunden, bei dem Kränze auf dem Brudergrab niedergelegt wurden“.  

 

 

Erwähnenswert ist, dass die von Pawlow gemachten Angaben mit denen der großen Sowjetischen Enzyklopädie (Band 19, Seite 425) nicht übereinstimmen. So heißt es dort: Bis 1952 wurden 1 Million Quadratmeter Wohnraum hergerichtet; ganze Stadtteile und Straßen sind wieder aufgebaut. Weiter wird in der Enzyklopädie gesagt, dass 29 Schulen, 9 Schulen für die Arbeiterjugend, 5 technische Schulen, eine Unterarzt- und Hebammenschule, eine pädagogische Lehranstalt und ein pädagogisches Institut, sowie außer der Filiale des wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Hochseefischerei und Ozeanographie, eine Fortbildungsanstalt für Lehrer und eine wissenschaftliche Forschungsstation für Aufforstung der Akademie für kommunale Wirtschaft eröffnet worden seien.

 

Nach der Enzyklopädie gibt es in Kaliningrad ein Schauspiel- und sechs Lichtspielhäuser, ein Museum, elf Klubs, elf Bibliotheken, einen Palast der Pioniere, einen Kultur- und Kurpark, einen Botanischen und Zoologischen Garten und vier Stadion.

 

 

 

Landsleute bitte herhören!

Am 24.04.1954 und 11.05.1954 feiern unsere beiden Fischmeister Otto Kurandt und Paul Palentin ihren Geburtstag. Wie oft konnten vor dem zweiten Weltkriege diese beiden Arbeitskameraden an der Morke und Frisching die Glückwünsche an diesem Tage von ihren Petrijüngern entgegennehmen? Fern der Heimat gelten daher ihnen unsere herzlichsten Glückwünsche. Beide Kollegen haben hier im Westen ihre zweite Heimat gefunden und mit Wehmut gedenken sie sicher an die fischreichen Gefilde der Morke und Frisching zurück? Inwieweit Otto Kurandt in Eschwege seinem geliebten Fischsport nachgeht, hat er uns nicht geschrieben. Kamerad Palentin hat in Aldendorf/Göhrde keine Gelegenheit seine Nachtschnüre zu legen. Wenn wir diese Notiz hier bringen, dann deshalb, weil sich beide Arbeitskameraden mit der Anschriftensammelstelle verbunden fühlen.

 

Nach einem arbeitsreichen Leben wurde am 16.03.1854, ganz plötzlich unser Heber Kollege Stadtinspektor z. Wv. Herbert Scheideritter, im 62. Lebensjahr abberufen. In tiefer Ergriffenheit haben wir alle, die wir mit ihm in Verbindung standen, Abschied genommen. Auch er galt als engster Mitarbeiter der Anschriftensammelstelle und manchen Hinweis von ihm konnten wir zum Wohle der Arbeitskameraden verwerten.

 

Ferner ist Stadtinsp. z. Wv. Max Schablowski, im Alter von 66 Jahren verstorben. Wir werden das Andenken beider Arbedtskameraden in Ehren halten.

 

Für die eingegangenen Nachrichten danken wir folgenden Landsleuten:

 

Paul Mecklenburg,

 

Lehrer Schede,

 

Frieda Urbschat,

 

Auskunftstelle Königsberg-Pr. in Duisburg.

Meta Torkler.

 

 

Wir suchen und wer berichtet:

 

Verwalter d. Stadtkellerküche 1945 Lehrer Dedat,

 

St.-0.-Insp. Rudolf Dembowski,

 

Amtsgeh. Max Delegrand,

 

Brückenwärter Kurt Döschmann,

 

St.-O.-Sekr. Dahmer,

 

St-O.-Sekr. Heinrich Dehring,

 

Angest. Dick.

 

Dienstanwärter Lothar v. Dzingel.

 

Angest. Dorloff,

 

Arbeiter Fritz Dalko (Gem. Friedhof.).

 

Heizer Hans Dreier (Gem. Friedhof.),

 

St.-Insp. Dittloff,

 

St.-Insp. Eheling,

 

Hallenmeister Fritz Eisenblätter.

 

Angest. Ewert (Hafen),

 

St.-Insp. Otto Fligge,

 

St.-Insp. Frank.

 

St.-Insp. Albrecht Franz.

 

Brückenwärter Willi Fohrt,

 

Dipl.-Beamter Ewald Fischer,

 

Insp. d. Fuhrges. Frank

 

Frau Fischer (Familienunterh.)

 

St.-Sekr. Emil Fydrich,

 

Straßenaufseher Franz Falk,

 

Lehrerin Anna Funk.

 

Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -Angestellten u. -Arbeiter (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1.

 

 

 

Vereinigung ehemaliger Sackheimer Mittelschüler und -Schülerinnen

Unser diesjähriges Jahreshaupttreffen findet am Sonntag, den 20. Juni 1954 — 10 Uhr in Düsseldorf — Gartengaststätte „Leopold Kohnen“ — Suitbertus-Straße 1, statt. Alle ehemaligen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler unserer Schule werden hiermit auf das herzlichste eingeladen. Meldungen werden bis 13. Juni 1954 erbeten an: Herbert Minuth, Düsseldorf, Suitbertus-Straße 34. Wird evtl. Nachtquartier gewünscht, bitte um besondere Angabe

 

 

Königsberger Wohnsitznachweis für die Erlangung des Vertriebenenausweises A.

Als Wohnsitznachweis für die Erlangung des Vertriebenenausweises A dienen eigene gerettete Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass der Vertriebene vom 31. Dezember 1937 oder früher bis zur Vertreibung seinen Wohnsitz im Vertreibungsgebiet hatte. Nur wer solche Unterlagen nicht mehr besitzt, ist auf nachträglich ausgestellte Wohnsitzbestätigungen angewiesen.

 

Der Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg, stehen zur Wohnsitzbestätigung nur die Königsberger Einwohnerbücher (Adressbücher) von 1935 und 1941 zur Verfügung, die auf der Personenstandsaufnahme des Vorjahres beruhen. Darin sind grundsätzlich nur die Haushaltungsvorstände, nicht aber Familienangehörige und Untermieter aufgeführt. Akten und Karteien der Stadt Königsberg konnten nicht gerettet werden. Auszüge aus dem Einwohnerbuch können angefordert werden. Name. Vorname, Geburtsdatum, Beruf und Königsberger Anschrift (ab 1934) des früheren Haushaltungsvorstandes und der Familienangehörigen sind anzugeben. Frauen, die nach dem Zusammenbruch 1945 geheiratet haben, werden gebeten, auf ihre Namensänderung ausdrücklich hinzuweisen.

 

Wenn die Unterlagen nicht ausreichen sollten, kann der Wohnsitznachweis durch zwei Zeugenerklärungen erbracht werden. Die bei der Stadt Duisburg geführte Königsberger Kartei steht auf schriftliche Anfrage zur Auskunftserteilung zur Verfügung. Es wird gebeten, möglichst ausführlich Name, Vorname, Beruf und Königsberger Anschrift der Gesuchten anzugeben. Für die Zeugenerklärung wird folgendes Muster vorgeschlagen, das den Forderungen der Vertriebenenämter entspricht:

 

Zeugenerklärung als Wohnsitznachweis.

Ich, ……….. (Vor- und Zuname, bei Frauen auch Mädchenname und etwaige sonstige früheren Familiennamen), geb. am ..... wohnhaft in... . (Ort, Kreis, Straße, Haus-Nr.), erkläre nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäß folgendes:

 

1. geb. am ... .

 

2. geb. am ... .

 

3. geb. am ....

 

jetzt wohnhaft in ... . (Ort, Kreis, Straße, Haus-Nr.) hatte/hatten von.... bis .... seinen/ihren Wohnsitz in Königsberg (Pr.) .... Nr. . . . und hat/haben ihn infolge Flucht/Vertreibung verloren.

 

Diese Angaben beruhen auf eigener Kenntnis, weil ich (kurze Angabe des Bekanntschaftsverhältnisses) ……..

 

Ich bin mit dem/den Genannten weder verwandt noch verschwägert. Mir ist bekannt, dass ich mich durch unrichtige Angaben strafbar mache (§ 98 des Bundesvertriebenengesetzes). Ich bin bereit, diese Erklärung vor Gericht an Eides statt abzugeben.

……………….., den …………….

 

……………………………………..

(Unterschrift des Zeugen)

 

Es wird hierdurch amtlich beglaubigt, dass ….. aus ….. vorstehende Unterschrift vor mir vollzogen hat.

….., den ……“

 

Die Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg, erteilt außer dem Auszug aus dem Königsberger Einwohnerbuch keine Wohnsitzbestätigungen, auch nicht auf Grund von vorgelegten Zeugniserklärungen. Es wird daher gebeten nicht der Stadt Duisburg einzusenden. Es ist einfacher sowie zeit- und kostensparender, wenn sie unmittelbar dem Vertriebenenamt eingereicht werden.

 

Für Karteiauskünfte und Auszüge aus dem Einwohnerbuch werden keine Gebühren erhoben. Da sehr viele Anfragen kommen, sind Verzögerungen in der Beantwortung leider nicht zu vermeiden. Es wird gebeten, nicht zu erinnern. Königsberg hatte 380 000 Einwohner.

Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg.

 

 

Robert Budzinski 80 Jahre alt

Der bekannte ostpreußische Künstler und Schriftsteller Robert Budzinski feiert an 4. April 1954 in Marburg seinen 80. Geburtstag. Der Künstler hat in zahlreichen Aquarellen, Gemälden, Steinzeichnungen und Holzschnitten die Landschaft und ihre Menschen festgehalten. Wir erinnern an sein berühmtes Werk „Die Entdeckung Ostpreußens“, das in humorvollsatirischer Weise Land und Leute schildert.

 

 

„Hans von Sagan“

Zu unserer Anfrage in Nr. 4 der Königsberger Neuen Zeitung „Wer weiß es“ sind uns aus dem Leserkreise zahlreiche Zuschriften zugegangen, die die Annahme des Architekten Alberten Heske bestätigen. So schreibt Justizinspektor Werner Vogel: „Als alter Königsberger, der in der Schnürlingstraße 40 wohnte und oft an der genannten Stelle vorbeiging, kann ich die Behauptung von Herrn Heske nur bestätigen. – Im Übrigen kann ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihr Blatt mit dem größten Interesse lese und jedem Ostpreußen, insbesondere Königsberger, den Bezug der Zeitung wärmstens empfehlen“.

 

Herr K. H. Schiewinsky (Alsfeld) schreibt: „Ich weiß es genau, weil mein Vater von 1919 – 1929 als Rev.-Vorsteher des 10. Pol.-Rev. Tätig war und außerdem meine Großmutter Frau A. Heske in der Großen Sandgasse 29 gewohnt hat“.

 

Frau Erika Böttcher, früher Königsberg, Godehardstraße 9: „Ich selbst habe auf dem Unterhaberberg gewohnt und kann es Ihnen bestätigen, dass Hans von Sagan auf dem Eckhaus Unterhaberberg – Haberberger-Neue-Gasse auf der linken Seite stand. In den letzten Jahren war in dem Hause die Meierei von der Firma Leske drin“.

 

Frau Gerundt und Familie, jetzt Ahndorf bei Dahlenburg bestätigt ebenfalls, dass Hans von Sagan an dem linken Eckhaus Haberberger Neue Gasse, und zwar im ersten Stockwerk, sich befand. „Ich bin Königsbergerin“, so schreibt Frau Gerundt, „und habe in der Bismarckstraße gewohnt. Als Kind haben wir uns Hans von Sagan, mit unserem Schullehrer oft gesehen. Nach meiner Heirat zog ich dann nach Ponarth, Brandenburgerstraße 76. Mein Mann war im Baugewerbe tätig, mein Vater war Ableser bei der KWS. Wir freuen uns immer, wenn wir etwas aus der geliebten Heimat hören und lesen dürfen. Hier ist eine einsame Gegend“. –

 

Auch Frau Ella Luther, jetzt Holzminden, und Herr Bankdirektor a. D. Paul Mecklenburg, jetzt in Berlin-Zeilendorf wohnhaft, bestätigen, dass Herr Architekt Heske mit seiner Annahme recht hat.

 

 

Wir gratulieren

Am 29.04.1954 wurde Oberpostinspektor E. Pélissier, Frankfurt a. M., Mechthildstraße 17, 64 Jahre alt. In Königsberg war er beim Postamt 5 (Hauptbahnhof) tätig.

 

 

Großes Jahrestreffen der Königsberger

Das große Jahrestreffen der Königsberger findet am Sonntag, dem 16. Mai, in Hamburg. Ernst-Merck-Halle (unmittelbar am Park „Planten und Blomen“) statt. Die Veranstaltung beginnt um 10.30 Uhr mit dem Gottesdienst, der in einer Sonderhalle gehalten wird. Durch die Trennung des Gottesdienstes von der Haupthalle haben die Teilnehmer an diesem die Gewähr einer ungestörten Andacht. Nach der Begrüßungsansprache des Kreisvertreters, Konsul a. D. Hellmuth Bieske, wird der erste Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Alfred Gille, das Wort ergreifen. Die Ansprachen werden umrahmt von Darbietungen des Ostpreußenchors Hamburg und eines Blasorchesters mit Marschmusik.

 

Als froher Ausklang des Tages findet am gleichen Ort ein großer Bunter Abend mit Tanz statt, bei dem viele bekannte und beliebte Künstler, wie Marion Lindt, Eugen Wilcken, Herbert Küßner (Bariton), Peters-Arnolds (Ansage) u. a., mitwirken werden. Der Beginn dieses Bunten Abends ist bereits auf 18 Uhr angesetzt, damit möglichst alle auswärtigen Teilnehmer Gelegenheit haben, dabei zu sein.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass Sonderzüge nicht eingesetzt werden, da die von der Bundesbahn geforderte Mindestteilnehmerzahl nicht zu erreichen ist. Dagegen werden die auswärtigen Teilnehmer auf folgende Fahrpreisermäßigungen aufmerksam gemacht:

 

1. Zusammenschluss von Teilnehmern zu gemeinsamen Omnibusfahrten oder Gemeinschaftsfahrten mit der Bundesbahn. Die Bahn gewährt bei Bezahlung für mindestens 12 Personen 33 1/3 Prozent Ermäßigung, für mindestens 25 Personen 50 Prozent Ermäßigung, außerdem werden von der Bundesbahn Freikarten, je nach der Teilnehmerzahl, ausgegeben. Die örtlichen Vereinigungen mögen weitgehend von diesen verbilligten Gemeinschaftsfahrten Gebrauch machen und dadurch ihren Mitgliedern zu einer billigen Reisemöglichkeit nach Hamburg verhelfen!

 

2. Einzelreisende benutzen, soweit möglich, die um 33 1/3 Prozent ermäßigten Sonntagsrückfahrkarten. Leider werden diese nur in bestimmten Verbindungen, die durch Aushang auf den Bahnhöfen bekanntgemacht sind, ausgegeben. Wo keine Sonntagsrückfahrkarten nach Hamburg erhältlich sind, empfiehlt es sich, allgemeine Rückfahrkarten zu lösen. Diese werden in allen Verbindungen ausgegeben mit einer Fahrpreisermäßigung von 10 bis 35 Prozent, je nach der Entfernung.

 

 

Suchmeldungen

Damit die Durchsage von wichtigen Suchmeldungen wegen Zeitmangel nicht in Frage gestellt wird, werden nur dringende Fälle angenommen, bei denen eine Nachfrage bereits bei der Königsberger Kartei in Duisburg erfolgt ist und von dort nur negativ beantwortet werden konnte. Diese Suchmeldungen sind unter Beifügung des entsprechenden negativen Bescheides unserer Patenstadt Duisburg bis zum 8. Mai mit genauen Personalangaben des Gesuchten und des Suchenden an die Geschäftsstelle der Kreisvereinigung Königsberg/Pr.-Stadt, Hamburg 39, Alsterdorferstraße 26a, Tel. 47 71 51 einzusenden. Suchmeldungen werden wegen Überlastung des Tagungsbüros am Tage des Treffens nicht mehr entgegengenommen.

 

 

Treffen ehemaliger Burgschüler

Im Rahmen des Königsberger Treffens am 16. Mai in Hamburg ruft Herr Erich Böhm, Hamburg 26, Ritterstraße 126, zu einer Zusammenkunft der ehemaligen Schüler und Lehrkräfte der Oberrealschüler auf der Burg auf. Treffpunkt: zwischen 14 und 17 Uhr im Restaurant „Feldeck“, Feldstraße 60 (nahe der Ernst-Merck-Halle).

Lnaneiisiayeii

 

 

Die „grässliche“ Rudau-Schlacht

Zu der in der Ostpreußen-Warte aufgeworfenen Frage hinsichtlich des „Hans von Sagan“ wäre einiges zu sagen.

 

Heinrich von Treitschke, einer der besten Historiker unseres Volkes (1834 - 1896) hat unter seinen Werken auch einen Aufsatz „Das Ordensland Preußen“ im Jahre 1862 veröffentlicht. Der Insel-Verlag zu Leipzig hat den Aufsatz in dem Bändchen 182 der Insel-Bücherei veröffentlicht.

 

Wir lesen bei von Treitschke von Tatsachen, die vielen Königsbergern von frühester Jugend bekannt sind.

 

„Oftmals rückte die gesamte organisierte Wehrkraft des Militärstaates ins Feld — so in dem glorreichsten Jahre der Ordensgeschichte 1370. Damals fiel des großen Winrich (von Kniprode) Ordensmarschall mit dem harten Herzen und dem harten Namen, Henning von Schindekopf, als Sieger in der grässlichen Rudauschlacht, die noch heute im Gedächtnis der Altpreußen lebt. Diesen Sieg entschieden die Maien der Bürger — waffenkundige Genossenschaften von Patriziern- und Zünftlern, die in guten Zeiten jeden Frühling in festlichem Aufmarsch aus den Toren zogen, den König Lenz nach alter Sitte einzuholen. Aber wenn das Kriegsgeschrei erscholl, unter Führung ihres Ordenskomturs zu den Fahnen des Ordens stießen“. — In der hier erwähnten Rudauer Schlacht, „dem großen Litauermorden auf dem Rudaufeld“ — wie es von Treitschke bezeichnet — spielte Hans von Sagan eine fast ausschlaggebende Rolle. Diese Rolle hier weiter zu erörtern, fehlt der Raum. Erwähnt muss jedoch werden, dass die Ritter (immer nach Heinrich von Treitschke) „seit der Rudauschlacht des ersten Krieges entwöhnt, sich die Zeit mit leeren Prahlen von der unbesiegbaren Stärke der Ordenswaffen“ ihre Zeit kürzten. „----- Hans von Sagan spielte als Volks- und Kriegsheld in unserer Vaterstadt die Rolle, die den Königsberger Vater bzw. Großvater geradezu verpflichtete, dem Sohne bzw. dem Enkel das Denkmal des berühmten Mannes zu zeigen.

 

Von diesem Denkmal ist folgende Tatsache als Ergänzung der bereits veröffentlichten nachzuholen.

 

In dem Band Königsberg der „Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen“ befindet sich folgende Beschreibung: „In der Brandenburger Straße steht eine Pumpe, auf welcher bis vor wenigen Jahren eine Holzfigur in Lebensgröße stand, welche der Volksmund mit Hans von Sagan bezeichnete, dem sagenhaften Schusterknecht, der in der Schlacht bei Rudau 1370 das schon fliehende Ordensvolk „zum Stillstand mit heller Stimme angeschrien und zur Gegenwehr wider die Feinde ermahnt habe, darauf er selber, eine verlorene Fahne ergreifend, wider die Feinde umgekehrt und sie in die Flucht geschlagen“ (Lukas David). — Die Figur stellte nach einem Königlichen Kupferstich einen Fahnenträger des XII. Jahrhunderts dar“.

 

Nähere Beschreibungen der ganzen Episode befinden sich in der Geschichte Preußens von Voigt, ferner in den Provinzialblättern und in den Werken „Deutsche Volkssagen über Ostpreußen“, vom Jahre 1887. – Die Brunnenfigur ist dem Schreiber dieser Zeilen aus den Kindheitstagen genau bekannt.

 

Die Episode von der Schlacht bei Rudau ist von Agnes Miegel in der schönen Ballade „Hennig Schindekopf — Marienburg Königsberg“ — Rudau geschildert worden. Ein später entstandenes Denkmal befand sich auch meines Wissens in der Höhe der zweiten Etage des Eckhauses Unterhaberberg. — Haberberger Neue Gasse, war aber nicht die ursprünglich auf der Pumpe stehende Fahnenträger-Figur, die wohl in das Stadtmuseum kam.

Erich Reichelt

 

 

Eine tapfere Ostpreußen-Frau. Die Russenherrschaft in der Provinzhauptstadt erlebt von Margarete Raabe.

5. Fortsetzung.

Da nahm ich meine Vorräte, die für die Not aufgespart waren und die noch aus Königsberg stammten, etwas Erbsen, Grütze, Mehl und brachte sie frühmorgens, als noch alles schlief, meinen Freunden. In den ersten Tagen des März starb Frau Becker und ließ ihr elternloses Kind zurück. Das Leben des alten Herrn ging auch dem Ende entgegen, er starb einige Tage darauf. Dann war das Begraben eine traurige, schwere Arbeit. Es half niemand ein Grab in die gefrorene Erde schaufeln. Da kam der deutsche Arzt, schlug mit der Hacke an bereits vorhandenen Gräbern die Erde weiter weg und schaffte so Platz. Frau Marold band, wie vorher Frau Becker, nun auch ihren Bruder, in ein Deckenstück gehüllt, auf den Schlitten und zog ihn den recht weiten Weg bis zum Friedhof, ein trostloses erschütterndes Bild. Beide Tote hatten fest an die baldige Heimkehr geglaubt. Sie gingen beide schon vorher den Weg in die Heimat, sie hatten Hunger und Kälte, Not und Elend überwunden.

 

Am 15. März kam die Russenfrau zu mir, bei der ich vorher gearbeitet hatte und sagte auf Russisch: „Margarita, jetzt schnell, schnell nach Germania fahren, Dokument in Insterburg besorgen und dann fahren, Stalin hat befohlen“. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, schüttelte den Kopf, wer weiß ob es wahr war. Mein Körper war durch die mehr als mangelhafte Ernährung sehr geschwächt, und ich fühlte mich schon viele Tage krank. Als ich mich am Abend, auf mein Lager legte, packte mich starker Husten und Schüttelfrost, wie ich sie noch nicht erlebt hatte. Der Zustand dauerte die Nacht hindurch, am Morgen war ich vollkommen erschöpft und fühlte mich sehr krank. Dis Fieberthermometer zeigte 41°. Die russische Ärztin Natascha wusste schon am Morgen Bescheid; ihr Schlafraum lag unter dem unsrigen, sie hatte das Rütteln meines Lagers unten gehört. Sie schickte mir von ihrem Frühstück das auch bei den Russen aus Kartoffeln und Brot bestand, einige gekochte Pellkartoffeln. Ich hatte sie lange Zelt entbehrt, aber nun konnte ich sie und auch nichts anderes essen. Natascha untersuchte mich und stellte Lungenentzündung fest. Ich hustete stark, mir war unendlich heiß. Ich wusste nicht, wo ich war. Ich glaubte, in der Küche der Russenfrau zu stehen und meinte, die Flammen des Herdes wollten mich verbrennen. Fr. Natascha bemühte sich um mich. Frl. W. wurde beauftragt, mir zur festgesetzten Zeit die verordnete Medizin zu reichen und oft nach mir zu sehen. Man fragte mich immer, ob ich geschlafen habe. Ich wusste es nicht, um mich her glitzerten die Luft und die Wand, an der ich lag. Auch der deutsche Arzt wurde zu Rate gezogen. Auf meine Bitte, mir zu sagen, wie hoch das Fieber sei, gab auch er eine ausweichende Antwort. Doch die Kampferspritzen, die er meinte, mir geben zu müssen, ließ Natascha nicht zu. „Die verträgt Margarita nicht“ behauptete sie. Aber da ich wohl ein Stehaufmännchen bin, erholte ich mich nach ungefähr 3 Wochen wieder ganz langsam. Inzwischen unterstützte mich die Russenfrau Lida, bei der ich zuerst gearbeitet und die mich schlecht behandelt hatte, mit Lebensmitteln. Sie brachte mir auch Näharbeit und bezahlte diese mit Lebensmitteln. Als ich ziemlich hergestellt war, holte mich wieder Serafina zu ihrem Kind. Ich ging ungern, aber ich durfte nicht zurückbleiben, Serafina hätte mich sonst an die Sovjose (Kollektivwirtschaft) verraten. Nun fing wieder die Magdzeit mit all ihrer Schwere an. Die Arbeit am frühen Morgen, am langen Tag bis zum späten Abend, die müden abgezehrten Glieder konnten die vielen Stunden nur in Pein schaffen. Inzwischen war unsere Hoffnung, bald abfahren zu können, zunichte geworden. Entlassungsscheine für Deutsche wurden nicht mehr ausgegeben; die Polizei in Insterburg bearbeitet nicht die schon vorhandenen Scheine, also war die Hoffnung wieder vernichtet. Meine deutschen Freunde waren inzwischen aus ihrer Wohnung verjagt worden, sie hatten am Ende des Dorfes ein Unterkommen gefunden. Die fehlende Kochgelegenheit hatte ihnen der deutsche Arzt, Dr, B., mit eigener Hand aus Ziegeln aufgebaut.

 

Inzwischen war es Zeit geworden, die Kühe auf die Weide zu bringen. Die Herde war stark vergrößert, sie zählte 20 Tiere. Die Russen, die von meiner Krankheit wussten, wollten mich nicht als Hirten nehmen. Wie war ich froh darüber, denn ich sah, dass eine Russenfrau und ihre 2 Jungen die Tiere nicht bändigen konnten. Jede Kuh kam aus einem anderen Stall, es war schwer, sie aus- und einzutreiben. Tagsüber versuchten die Tiere, die noch nicht an die Weide gewöhnt waren, auszubrechen und nach Hause zu laufen, oh, ich hätte die Hüterei alleine nicht schaffen können. Aber wie sollte ich mich ernähren? Die Russenfrau hatte ihre Arbeit im Magazin aufgegeben, der knappen Lebensmittel wegen wollte sie keine Hilfe mehr, ich wurde arbeitslos und sollte zur Sovjose. Um der Arbeit auf dem Felde zu entgehen, musste ich mich verstecken. Ehe noch der Morgen graute, stand ich auf und lief durch den noch völlig leeren Ort zu Fr. Marold. Neben ihrer Wohnung versteckte ich mich in einer Ruine und wartete auf die Zeit, in der sie aufstehen würde. Abends, wenn es stark dunkelte, schlich ich mich wieder nach Hause. Fr. Natascha besorgte mir dann wieder Näharbeit, für die ich wieder Milch und andere Lebensmittel bekam. Unter viel Mühe und Ausdauer entstanden auch Männerhosen, Joppen u. dgl., die mir Rubel und Lebensmittel einbrachten.

 

Eines Tages wurde ich aufgefordert, in einer anderen Russenfamilie zweimal in der Woche Hausarbeit zu machen und vor allem während der Abwesenheit der Mutter ein Kind zu besorgen. Weil die Familie mitten im Dorf wohnte, ging ich ungern hin, ich fürchtete gekascht zu werden. Auf dem Hin- und Herwege lief ich über Felder und Wiesen und versteckte mich in Ruinen. Aber eines Tages, es war der 22.07.1947, erfüllte sich doch mein Schicksal. Während das Kind schlief, ging ich in den Garten, um Kartoffeln zu graben. Ich musste dazu einen Weg überqueren. Plötzlich sah ich unweit von mir einen russ. Offizier. Er kam mit wütender Gebärde auf mich zu und schrie auf Russisch, warum ich nicht arbeitete, sofort sollte ich mitkommen zum Kommandanten. Während des stieß er mich mit Füßen und Fäusten so, dass ich fallen musste. Ich verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, konnte ich nicht aufstehen, ich kroch zum Hause zurück, kurz davor blieb ich stöhnend liegen. Da stand der Russe wieder schimpfend und wutentstellt, mit den Fäusten drohend, vor mir. Ich verstand nur die Worte: „Du Nazi, du Nazi!“ Als ich, so laut ich konnte, um Hilfe schrie, ließ der Mensch von mir ab und ging schimpfend davon. Wie ich später hörte, war es der „Direktor“ der Sovjose, der an dem Tage, wie so oft, betrunken war. Die Russenfrau, die nach meinem Namen und meiner Wohnung gefragt wurde, behauptete nichts zu wissen. So entging ich wieder der Arbeit auf dem Felde und dachte wie so oft: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“. Nun war mir eine Arbeitsstelle verloren gegangen, aber bisher hatte ich das Essen durch Näharbeit verdient und hoffte, das auch weiter tun zu können.

 

Auf den Feldern reifte der Roggen. Frl. W riet energisch, mir den Hungertod für den Winter prophezeiend, auf die Felder zu gehen und Ähren zu schneiden. In meinem Innern sträubte sich alles dagegen, ich wollte nicht, ich konnte nicht. Als sie mich immer wieder drängte, machte ich mich mit Beutel und Messer auf und ging wie üblich auf Umwegen auf ein Roggenfeld, das an der Bahnstrecke lag. Hinter einer verwilderten Hecke kauerte ich nieder und schnitt die nächsten Ähren ab. Meine Hände zitterten, mein Herz klopfte, es klopfte immer mehr, auch die Hände zitterten immer mehr und schnitten dabei immer weniger. Es ging nicht, ich konnte nicht, ich kroch aus meinem Versteck und schlich gedrückt und geduckt nach Hause. Frl. W sagte mir: „Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihnen zeigen, wie man das Organisieren macht, ohne sich dabei ertappen zu lassen“.

 

In diesen Tagen legte der derzeitige Kuhhirte seine Arbeit nieder. Ich bat Natascha, die inzwischen auch Kuhbesitzer geworden war, den Vorschlag zu machen, es wieder mit mir als Hirte zu versuchen Die Herde bestand zurzeit aus 15 Kühen, einem Kälbchen und vier Schäfchen. Ich wurde für den 1. August als Kuhhirten bestellt und trat an diesem Tage mein Amt in aller Herrgottsfrühe an, hoffend auf die Hilfe meines guten Sternes. Fräulein W. kam, wie im vorigen Jahre mit mir und den Kühen mit, aber nur, um ihr Versprechen einzulösen und mir zu zeigen, wie man Ähren zum Brot nach Hause schafft.

Fortsetzung folgt

 

 

 

Seite 11   Sommer im Bernsteinland. Von Alexis

(Schluss)

Foto: Die Juditter Kirche

Foto: Blick auf Schloss Preyl im Samland

Unwirklich erschien mir die Wirklichkeit: diese Sommernacht an Deiner Seite mit ihrer Stille, aus der nur wenige Töne durch die feuchte Kühle den Weg zu unserm Ohr fanden, wie um alle Zweifel zu entkräften, dass wir lebten und atmeten: Singen der Zikaden, der Ruf eines Vogels, fernes Hundegebell. Wie nie zuvor erkannte ich den Wert des Besitzers; fester fasste ich Deine Hand. Wir fanden einen verwilderten Schankgarten, in den uns ein kleines Mädchen die Gläser herausbrachte, wobei es die Puppe, die gerade ins Bett sollte, unter dem Arm trug.

 

Lieber noch schlagen wir den Weg nach Juditten ein. Das uralte Kirchlein mit dem Friedhof ist wie eine beruhigende Oase inmitten dieser Gegend, die innerhalb weniger Jahre vom Dorf zum Ausflugsort wurde und sich immer mehr zur Wohnhauskolonie umgestaltet, ein Wachstumsprozess, der mit seinen Unfertigkeiten so eigenartig berührt.

 

In der Kirche klingen die Ausmaße des Raums, seine Buntheit und Pracht zusammen und verbinden sich zu einem starken Eindruck, der die ehemalige Wallfahrtskapelle, zu der Pilger selbst aus Italien gezogen kamen, noch jetzt nach vierhundert Jahren Protestantismus spüren lässt. Sie war der Jungfrau Maria geweiht; das holzgeschnitzte Bildnis der Beschützerin des Ordens grüßte als Meerstern die Schiffer schon von weitem, wenn sie, von See her kommend, Pregel-aufwärts trieben.

 

Der Friedhof ist terrassenförmig auf der Südseite angelegt und lässt bei seiner geschützten Lage ein reiches Wachstum gedeihen. Auch im Winter ist es dort heimelig. Das Immergrün der Lebensbäume täuscht ein bisschen über die harte Jahreszeit hinweg. Selbst die vertrockneten Kränze wecken Erinnerungen an Veilchen, die im Frühling zwischen den Gräbern blühen werden.

 

In der Zeit des ersten Schnees gingen wir eines Sonntags durch den Totengarten. Die Hügel trugen frischen Schmuck und aus der Kirche drang Orgelspiel zu uns heraus. Die dünnen Stimmen erhoben sich; o Ewigkeit, du Donnerwort hörten wir sie singen. In unserer Nähe waren Männer damit beschäftigt, eine neue Gruft auszuheben. Wir dachten an unsere Verstorbenen, die uns niemand zurückbringt und um die wir nicht aufhören werden, zu trauern. Als wir an der Kirchentür vorbeikamen, lasen wir den Spruch. Lieber will ich mich zu Tode hoffen, als im Unglauben verderben.

 

Von dieser Stunde an zog es uns immer wieder an diesen Ort und sooft es an Zeit mangelte, weiter heranzufahren, bot uns Juditten willkommenen Ersatz. Der Spitze Kirchturm wurde uns ein neuer Anziehungspunkt auf unseren Wanderungen. So folgten wir einmal der plötzlichen Eingebung, ihn zum Ziel zu nehmen, als wir jenseits des Pregels durch die Wiesen geschlendert waren und bei Haffstrom dem ländlich - sittlichen Bad kinderreicher Familien zusahen, für die eine Fahrkarte nach Cranz zu teuer ist. Wir peilten ihn aus der Ferne an, stießen dabei auf das Hindernis des Stroms, fanden aber ein Boot, das uns hinübersetzte und bald war die vertraute Anhöhe erreicht.

 

Wir hatten die Empfindung, mit knapper Not an einer Unterlassungssünde vorbeigekommen zu sein. Das harmlose Wäldchen belohnte uns mit köstlicher Stille, nachdem die pünktlichen Königsberger bei Einbruch der Dämmerung scharenweise zur Bahn gedrängt waren.

 

Immer wieder sind wir gern auf diesen Wegen gewandelt, wo wir uns stets in der besten Gesellschaft befanden. Denn wie wir sie auch sahen — Sommers im Blättergrün oder Winters entlaubt — immer standen unsere Freunde, die Bäume, in guter Haltung da. Zielstrebig die Äste zum Licht gereckt, fest in den Boden verwachsen zwangen sie unwillkürlich den Fuß des Wurzellosen zu langsamerem Schreiten.

 

Die Pregelaue unterhalb Königsbergs hat sich im Lauf der Zeiten kaum verändert. Noch immer haben die schwungvollen Verse des Barockdichters Gültigkeit, der vor zweihundert Jahren denselben Spaziergang besang:

 

Der anerhöhte Damm, der durch die Weiden führt

Wo sich des Pregels Sturz ins Frische Haff verliert

Scheint wie ein Tafelwerk mit Licht- und Schattenrissen

Der Erden großes Bild im Kleinen einzuschließen.

Allhier durchblickt der Blick, wenn Jahr und Wärme steigt

Ein Feld, wo sich die Lust in ihrer Fülle zeigt

Wo breite Wiesen dort bis zu der Berge Füßen

Als ihnen Untertan den Teppich legen müssen —

Ein flaches Habestrom den ebnen Strand

Juditten sich erhebt, der Hol von Hollstein

umgrenzt

glänzt

Die Haide von Kaporn die krausen Gipfel strecket

Und wie ein Grün Gewölk den Rand den Lichtraums decket.

 

Manche Orte wurden unserm Ohr Musik. Dennoch hätte der melodische Name Rosignaiten für uns nicht die Bedeutung gewonnen, wären wir dort nicht an einem Tag vorübergekommen, an dem unser fröhliches Herz imstande war, das Strahlend-Heitere dieses Frühlingstags wie Schalmeienklang aus dem Säuseln des Windes herauszuhören.

 

Du begannst schon-zu trällern, als bei Brasnicken ein voreiliger Mercedes-Benz auf der Inspektionsreise nach Rauschen daher gebraust kam, wo die korpulente Dame, die darin saß, in ihrer Villa gewiss nach Mottenfraß und Wasserschäden Ausschau halten wollte. Die für den Bruchteil einer Sekunde Periskop artig auf uns gerichteten Schutzbrillen waren auch zu erstaunt. Wüsstet ihr doch, wie schön es jetzt im Willgaiter Wald ist! Zwar sieht man noch kein Blatt an den Bäumen, aber die Luft ist von dem unendlich süßen Geruch erfüllt, der das neue Werden anzeigt.

 

Wie sollte man an solchen Tagen nicht aus der Fassung geraten! Im April, als die Schneeschmelze grad eingetreten war, gingen wir nach Moditten. Vor dem Forsthaus musste ich Dich durchs Wasser tragen. Wir freuten uns über die elementare Kraft, mit der die Sonne dem Winter zu Leibe ging, brachen Eisschollen vom Rand des Bächleins und sahen ihnen nach, wie sie talabwärts zum Pregel heruntertrieben.

 

Selber verjüngt, begossen wir den sichtbaren Frühlingsbeginn mit Johannisbeerwein, der uns ein bisschen in die Beine fuhr. Die Folge davon war, dass Deine Korallenkette zerriss. Nun mussten wir sie mühsam vom Boden zusammensuchen.

 

Ein Ober half, das Klavier wegzurücken. Wir schämten uns etwas. Kant, der hier draußen seinen Kaffee zu trinken pflegte und in einem Fachwerkhäuschen von der Größe eines Puppenschlosses Bücher schrieb, hätte unsern Mangel an reiner Vernunft gerügt. Dabei ist es uns daran gelegen, es nicht mit seinem Mannen zu verderben. Zwar haben die Königsberger sein Geburtshaus unterhalb des Schlosses längst abgerissen und sein Denkmal steht in der Nähe der Universität im Gebüsch versteckt. Die Kantstraße findet niemand, der nicht in Geelhaars berühmter Konditorei Königsberger Marzipan kaufen will und der Philosophendamm am Güterbahnhof ist allen Gedanken feind, die sich nicht mit den Gütern des Lebens befassen, die hier ausgeladen werden. Sein Grab aber, die Stoa Kantiana auf dem Kneiphof, ist mit ihren überhohen, klassizistischen Säulen dem müden Bau des alten Doms ein wenig unorganisch angeklebt.

Dafür ist jeder Bürger der Stadt stolz darauf, dass Kant sein Landsmann ist. Es gibt noch immer viele Leute, die ihn lesen und zu verstehen behaupten. Im Völkerbund hängt sein Porträt an der Wand als das Bild eines Mannes, der sich um den Frieden verdient gemacht hat und seine Abhandlung „Projet de paix perpetuelle“ steht als gewichtiges Dokument in der Handbibliothek.

 

Auf dem Rückweg war der Himmel voller Watteau-Wölkchen. In der rosaroten Stimmung ging ein Handschuh flöten. So und auf ähnliche Weise mussten wir des Öfteren Vergnügungssteuer zahlen, die der Kaufmannschaft zugutekam.

 

Als wir ein paar Tage später nach Tannenwalde zogen, waren die Straßen bereits trocken. Schon übten sich Motorräder für kommende Fahrten und verpesteten die Luft mit ihren Benzindämpfen, damit es uns nicht zu wohl gehe. Im Wald lag noch die Feuchtigkeit des Winters: bis an die Knöchel mussten wir durch den Schlamm, um in stilleren Gebieten die Frühlingsfeier stäubender Kätzchen bewundern zu können. Ein paarmal standest Du hilflos auf einem Bein, weil ein Schuh stecken geblieben war. Da Du keine Löcher im Strumpf hattest, war die Sache halb so gefährlich.

 

Peinlicher erging es einst einer Dame, die auf dem Steindamm in einer Straßenbahnschiene stecken blieb. Ihr Absatz hatte sich derart festgeklemmt, dass man ihr anriet, aus dem Schuh herauszuschlüpfen. Ihr auffälliges Sträuben wurde den interessiert Umherstehenden offenkundig, als ein Straßenbahner kurz entschlossen den Riemen löste, woraufhin ein nackter Fuß erschien, an dem die Strumpflänge mit einem Band befestigt war. Schallendes Gelächter tönte der Unglücklichen entgegen, die wohl kaum aus Spaß mit nackten Sohlen in ihre Schuh gefahren ist.

 

Trotz mancher Hindernisse bewältigten wir die Strecke bis Dammkrug, ein Name, der eine Irreführung ist. Denn ein Krug, in dem wir uns hätten auftrocknen können, war nicht zu finden. An diesem Tag mussten wir das Umpressen Deines Frühjahrshütchens auf Unkosten buchen. Wie dem Zitronenfalter sollte ihm kein langes Leben beschieden sein.

 

Auf dem Rückweg flötete eine Amsel so süß, dass wir kaum nach Haus fanden. Gern achten wir in diesen ersten linden Tagen darauf, wie jeder neu eintreffende Piepmatz ein anderes Register zieht, bis endlich im Mai das Konzert vollständig ist.

 

Gemütvolle Pfarrer, die dazu Zeit hatten, haben bisweilen ihre täglichen Beobachtungen über den Fortschritt in der Natur gewissenhaft aufgezeichnet. So verfertigte Pastor Bock im Jahr 1756 einen Kalender, über das Eintreffen der Vogelwelt auf der Elbinger Höhe, der freilich nur für ein zeitiges Frühjahr Gültigkeit besitzt. Nachdem schon am 30. Januar die Kohlmeise laut geworden war, bemerkt er in den darauffolgenden Wochen:

 

14. Februar: Der Goldammer fing an, sich hören zu lassen.

 

17. Februar: Die Lerche besang den Abzug des Winters.

 

4. März: Der Hänfling stimmte seinen Gesang an.

 

5. März: Der Kybitz ließ sich zuerst sehen und der Finke schlug laut.

 

6. März: Die wilden Gänse kamen angeflogen.

 

7. März: Die Menge der wilden Enten flog daher.

 

15. März: Die Grasmücke sang.

 

19. März: Das Rotkehlchen sang anmutig und die geschäftige Bachstelze kam an.

 

22. März: Die Amsel pfiff aufgeweckt und die Drossel ließ sich hören.

 

24. März: Die Waldschnepfe ließ sich hören.

 

26. März: Der Storch bezog seine Sommerwohnung. 1

 

4. April: Die Feld- und Waldtaube ließ sich sehen.

 

17. April: Der Wiedehopf fing an zu rufen.

 

27. April: Die Rauchschwalbe zeigte ihre Anwesenheit.

 

28. April: Die Nachtigall schlug munter.

 

3. Mai: Der Kuckuck rief seinen Namen laut.

 

6. Mai: Die Hausschwalbe baute ihr Nest.

 

8. Mai: Die Wachtel wiederholte ihre Schläge.

 

Einen Vogel hat unser Pfarrer nicht aufgezählt, mit dem Du mich erst bekannt machen musstest: der Bekassine. Freilich waren wir dabei weit über die Grenze des Samlands hinausgegangen, in das östlichere Schalauen, dorthin, wo sich die Ruß in Atmatt und Skirwith teilt, um träge ins Kurische Haff hinunterzufließen, in diese wasserreiche Gegend, die mit ihren eintönigen Mooren so recht zum Aufenthalt der sumpfliebenden Schnepfe geschaffen ist.

 

Während wir durch die Wiesen gingen, warfen sich Hunderte der Vögel mit lautem Geschrei in die Luft. Kaum vermochten sie gegen den Sturm anzukämpfen. Ihr unruhvolles Gaukelspiel inmitten dieser Öde war so großartig, dass wir plötzlich verstanden, warum sich einmal am Vogelflug ästhetische Betrachtungsweise entzünden konnte, getragen von dem Gedanken, dass solcherlei Ausdruck ein Gleichnis ewigen Suchens ist, wie es im deutschen Herzen lebt und in seinen Werken am reinsten Niederschlag findet.

 

Erst im dahinschwindenden Licht kamen die Vögel zur Ruhe. Wir aber waren noch beim Stillen Heimweg am Strömchen seltsam ergriffen von der Macht, mit der die Natur jeglichem Geschöpf seinen Lebenswillen aufzwingt.

 

Fünf Wochen währt die Zeit, in der es draußen lang hell bleibt und sobald es schummert, im Gebüsch das Schnalzen und Flöten der Sprosser zu hören ist. Immer wieder packen uns die klaren Töne, die von der Nachtluft vernehmlich an unser Ohr getragen werden. Die Erregung des kleinen Tiers teilt sich dem Lauschenden mit und weckt in ihm Sehnsucht und Kraft. Dann ist es gut, nicht allein zu sein, sondern zu zweit ins freie Land hinausstreifen zu können, ohne Zwang zu eiliger Heimkehr, bis etwa ein roter, kriegerischer Mond Regen ankündet oder ein hellerer Schein über dem Horizont den nahenden Morgen verheißt.

 

In einer solchen Nacht trafen sich unsere Gedanken und in der Trennung erfuhren wir, wie tief unsere Bindung im gleichgestimmten Erleben jenseits des geräuschvollen Tagewerks verankert war.

 

Der Hund des Nachbarn begleitete mich, mit täppischen Sprüngen dazu auffordernd, Steinchen zu werfen, die er stets zu finden wusste, um sie mir zu bringen. Am Landgraben aber folgte er mir auf meinen Zuruf, ein gehorsamer Schatten, denn meine Aufmerksamkeit galt dem Sänger, der dem Auge verborgen, dicht vor mir im Gebüsch saß. Lauschend verhielt ich; der Hund hatte sich bei mir hingelegt, unbekümmert konzertierte die Nachtigall.

 

Da furchte auf einmal ein blitzender Schein den Himmel und in dem Augenblick, als der Meteor mit Gedankenschnelle herniederfuhr und meine Lippen Deinen Namen formten, fühlte ich die Nase des Hundes an meinem Knie wie eine Liebkosung. Zur selben Stunde fuhrst Du im Boot über das nächtliche Wasser der Uszlenkis, hörtest wie ich das Schlagen der Sprosser, und als Du den Stern erblicktest, beschlossest Du, zu mir zurückzukehren.

 

So im Frühling ist es überhaupt am schönsten in Ostpreußen. Mit Eurem Herbst könnt Ihr nicht antreten! (Die Red.) Wo man keinen Wein keltert und nicht stundenlang durch Wälder streifen kann, ist kein richtiger Herbst. Gut, dass es niemand gehört hat — ich weiß schon, Masuren. Aber das ist mir zu weit.

 

Hier am Galtgarben, bin ich doch immer wieder am liebsten, so gern, dass noch nicht mal mein Sitzfleisch rebellisch wird, wenn wir uns mal ins Gras setzen. Plauderst Du klug, wie Scheherezade, kannst Du mich glatt für ein Stündchen festnageln. Alle Menschen haben es viel zu eilig. Da, auf der Straße nach Marienhof schnurren Autos, jeder möchte seinen Vordermann überholen. Radfahrer flitzen mit Schwung vom Hegeberg nach Drugehnen hinunter.

Auch ich habe das Bedürfnis, ab und zu mit dem Rad ein Stück durch die Landschaft zu flitzen. Mir geht es darin wie einem jungen Hund, der Lust daran hat, seine Kräfte mit Motoren zu messen, um sich zum Schluss mit heraushängender Zunge schachmatt seiner Herrin zu Füßen zu legen. Der Zwang, unter dem ich mich befinde, setzt sich aus Rekordsucht und Freude an der Bewegung zusammen.

 

Voran stehen meine Litauenreisen. Wenn es sich hierbei auch nicht darum handelte, wie ein Ordensritter gegen die Heiden zu Feld zu ziehen, so trat ich diese Fahrten doch immer wie ein Abenteuer an, denn wenn es gelang, die Strecke bis Tilsit hinter mich zu bringen und die feindlichen Zollwächter an der Memel zu durchbrechen, konnte ich gewiss sein, Dich wiederzusehen.

 

Nie konnte ich erwarten, bis ich aus der Stadt heraus war. Zu leicht gibt es im letzten Augenblick eine Panne. Einmal nahm mir sogar ein Sipo das Rad weg, weil ich falsch gefahren war. Ich benutzte den Zug, aber es fehlte mir etwas, weil ich die hundert Kilometer, die mich von Dir trennten, zu leicht bewältigt hatte.

 

Bis Labiau geht es durch das grüne Samland. Ein lauer, doch unablässig wehender Wind streicht über Felder und Koppeln, auf denen schwarzbuntes Vieh und schlanke Pferde stehen. Alles lebt und freut sich der Jahreszeit. Kibitze schreien und Störche klappern von den Giebeln der Scheunen, die halb versteckt hinter Bäumen liegen. Jenseits der Deiche beginnt der Wald. Selbst die große Lichtung um Laukischken ist ihm nur abgetrotzt. Und dann, hinter Mehlauken wandelt sich abermals das Bild. An Stelle großer Güter und weiter Flächen trifft man kleine Gehöfte und viele kleine Felder, die sich schachbrettartig bis zum Horizont erstrecken. Manche Häuser sind aus Holz gebaut und rotbraun angestrichen.

 

Uszballen, Skaisgirren. Fremdartig klingende Namen erinnern an die Litauer, die man ins Land rief, als die Pest diese Gegend entvölkert hatte.

 

Nun beginnt die Niederung. Sie ist freundlich und malerisch zugleich. Kanäle und Deiche durchziehen die fruchtbare Gegend. Überall ragen Kopfweiden in die feuchtigkeitsgesättigte Luft. Im zeitigen Frühjahr sind die Wiesen gelb von Dotterblumen.

 

Auch hier lässt sich‘s leben. Zwar darf der Wanderer keine noblen Gasthöfe erwarten, in denen man nur nach seinen Wünschen fragt. Dafür ist‘s im Dorfkrug umso gemütlicher. Das Gespräch dreht sich ums Wetter, um die Ernte und den Viehkauf. Meist ist der Schänke ein Laden angegliedert.

 

Als ich einmal in einem solchen Budchen einkehrte, weil es wie auf den toten Hund goss, verlangte es mich, ein Gläschen Meschkinnis zu trinken. Der süße Honigschnaps, den sie in Königsberg Bärenfang nennen, wird hier überall gebraut. Nachdem mir ein Glas eingeschenkt worden war, bemerkte ich, dass eine Rosine drin schwamm. Das Rezept gefiel mir, bis ich gewahrte, dass die Rosine eine Fliege war. Nun machte ich‘s wie jeder gute Deutsche, der sie herausfischt, während sie der Russe mittrinkt, der Engländer aber sein Glas stehn lässt. Im zweiten Gläschen fand ich zwei Rosinen. Da wurde ich aufmerksam und betrachtete die bauchige Flasche, die im Halbdunkel über der Theke stand. Lauter schwarze Rosinen schwammen an ihrer Oberfläche!

 

Als ich mich darüber wunderte, setzte sich die dicke Wirtin an meinen Tisch. Indem sie mit dem kleinen Finger die beiden Spiritusleichen aus meinem Glas schnippte, meinte sie begütigend: „Ja sehen Sie, das kommt so beim Kochen. Die Fliegen werden von dem süßen Trank angelockt und fallen massenweise bedammelt in den Kessel. Sie brauchen sich deswegen nicht zu ekeln“.

 

Das tat ich auch nicht. Ostpreußen hat seinen eigenen Reiz. Es passt nicht für zimperliche Leute. Wer es lieb gewonnen hat. möchte immer dahin zurückkehren.

 

 

 

Seite 12   Meine Begegnungen mit Robert Johannes

Meine erste Begegnung mit Robert Johannes fällt in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Es war um Weihnachten herum, als meine Eltern mich zu einem der beliebten „Robert-Johannes-Abende“ mitnahmen. Dieser fand in der Deutschen Ressource in der Jägerhofstraße in Königsberg statt. Ich hatte bereits viel von und über den lustigen Robert Johannes gehört und fieberte vor Erwartung. Mein Erstaunen wuchs, als wir kurz vor dem Saaleingang an einem Tisch einen älteren Herrn mit krausem weißen Haar, gerötetem Gesicht und lustigen Augen im Frack sitzen sahen, auf dessen weißer Krawatte eine große Brillanten Nadel auffällig funkelte (übrigens ein persönliches Geschenk des Kaisers anlässlich eines Vortrages des Künstlers am Hofe). Mein Vater flüsterte: „Das ist er!“ Später erfuhr ich, dass Robert Johannes stets selbst die Kasse verwaltete, um sich vor Zugriffen seitens gewisser Behörden zu bewahren.

 

Wir saßen also vor der Bühne, alles war vergnügt, und ich fing vor lauter Aufregung an, mächtig zu zittern. Plötzlich ertönte ein Klingelzeichen, der Vorhang ging hoch, und es erschien unter lebhaften Beifall der kleine rundliche alte Herr von der Kasse. Ich brüllte natürlich laut los vor Jubel, was fast zu einer Katastrophe geführt hätte. Denn Robert Johannes hatte als ehemaliger Schauspieler den Ehrgeiz, zu Beginn des Abends stets mit einem ernsten Gedicht oder einer Ballade zu glänzen. Da ich damals etwa 8 Jahre alt war und mir die feinen Unterschiede der Literatur noch nicht geläufig waren, der alte Herr so vergnüglich aussah und das Ganze sich „Lustiger Abend“ nannte, gnidderte ich also munter weiter und glaubte, dass der da oben sich nur vorstellte. „Jung sei still“, sagte meine Mutter und gab mir einen Buks, „das Heitere kommt erst später“. Nichts half, Ich gnidderte zum Ärger einiger besonders anspruchsvoller Zuhörer lustig weiter. Und als dann Robert Johannes seine Tante Malchen im schwarzen langen Kleide mit Schultertuch, Perücke und Kapottlhütchen nebst Pompadour und fingerlosen Handschuhen „gab“, durfte ich ungehindert vor Vergnügen wiehern. Ich habe ihn dann noch öfter gehört, aber seinen Vortrag nicht mehr durch Gniddern gestört.

 

Oft habe ich später Robert Johannes in Cranz getroffen. Dort war in der „Zesong“ jede Woche einmal sogenanntes „Silberschießen“ in der Plantage, woran Robert Johannes lebhaften Anteil nahm. Es wurde mit einer Armbrust nach einem eisernen Adler auf hoher Stange geschossen, hinter der zur Sicherheit und zum Auffangen der Pfeile ein großer Plan ausgespannt war. Ich sehe Robert Johannes noch vor mir im weißen Strandanzug mit einer weißen Schirmmütze, sehe ihn die Armbrust heben und manchen silbernen Löffel gewinnen. Daher der Name „Silberschießen“.

 

Ein Onkel von mir gehörte zu den engeren Freunden von Robert Johannes (der übrigens von Hause aus Lutkat hieß, aber nie so angesprochen wurde). Beide waren frohe Zecher und trafen sich öfters am Stammtisch, mit Vorliebe im „Königsberger Blutgericht“. Unzählige Anekdoten und Wippchen erzählte mein Onkel von seinem Freunde, der oft den ganzen Stammtisch durch seine Urwüchsigkeit und echt preußischen Humor in fröhliche Stimmung versetzte. Robert Johannes war sozusagen stadtbekannt. Jedermann im Lokal begrüßte ihn. Er dankte stets überschwänglich, und wenn man ihn fragte, wer der Gast wäre, antwortete er meistens: „Na meinst, ich weiß?!“

 

Im Jahre 1918 hatte ich Fronturlaub und fuhr zu meinem Onkel nach Rauschen, der mit seiner Familie zur Sommerfrische bei Robert Johannes in dessen Villa „Roland“ wohnte. Wer kennt nicht das Gedicht von Johannes von seinem Mops, der „nicht Keenigsberger Klops fraß“, oder sein „Idyll“ mit dem Hausche und dem kleinen Hundche, und wer beschreibt mein Erstaunen, als mir bei Ankunft in der Villa „Roland“ der liebe, fröhliche alte Herr nicht mit einem Mops, sondern mit einem ausgewachsenen schottischen Collie entgegentrat. Nach diesem bildschönen Lieblingshund hieß auch die Villa „Roland“. Auch sie war alles andere als ein Hausche. Er begrüßte den Urlauber mit echt ostpreußischer Herzlichkeit und zeigte mir sogleich voller Stolz in echt heimatlicher Mundart seinen Garten. „Sehn Se mal hier, da hätt meine Schwester vor dem Krieg Kaninchen gehalten. Nu im Krieg is alles wech. Da steht noch dran: „Pängs“, das hieß nämlich frieher „Pängsjonat“. Und hier in seiner Rede angelangt, gab es einen riesigen Krach mit starker Lufterschütterung und Scheibenklirren. Mein kriegsgewohntes Ohr vermutete sofort: angespülte Seemine. Robert Johannes gebräuntes Gesicht wurde trotz des heißen Wetters erheblich fahl und ein Stöhnen entrang sich seiner Brust: „Herrgott war das e Detonatzon. Uff. Herrgott, war das „uff“. Die ganze Nachbarschalt strömte an den Strand, auch Robert Johannes setzte sich in Bewegung, meinte dann allerdings vor lauter Hitze, Aufregung und tiefem Sand: „Jehn Se man allein … Herrjeh, war das e Detonatzon, nei, nei, ach nei“. Ich sagte nur: „Ich kenne das zur Genüge, Herr Johannes, ich komme gerne mit Ihnen zurück“.

 

Abends gab mein Onkel in den oberen Räumen der Villa, die Johannes mit seiner gleichfalls verwitweten Schwester bewohnte, einen Grog- Abend. Da zeigte es sich, dass seine Schwester ein ihm fast ebenbürtiges Original war. Als mein Onkel ihr den Rum über den vor ihr gehaltenen Löffel ins Glas goss, drehte sie sich unterhaltend zu mir und fragte nach einer ganzen Weile meinen Onkel: „Is schon jenuch?“ Worauf mich Johannes buggerte und meinte: „So macht se emmer“.

 

Am nächsten Morgen erhob sich über uns plötzlich ein Mordslärm. Stühle flogen um, und zwei Stimmen kreischten durcheinander, von einer helllachenden Mädchenstimme unterbrochen. Auf die ängstliche Frage meines Onkels, was es denn gegeben hätte, sagte Johannes verschmitzt lächelnd: „Ja, sieh mal, wir haben da sone junge Marjell vom Dorf bei uns, und da spielen meine Schwester und ich der Marjell immer zwei alte Eigenkätner vor, so zum Spaß, und de Marjell liegt dann auffe Erd und kreischt vor Vergnügen“.

 

Im Jahre 1924 ist dieser Altmeister des ostpreußischen Humors in Königsberg gestorben. Viele haben versucht, ihn zu kopieren, aber keiner hat ihn erreicht. Er war einmalig, schöpfte aus vollem Volkstum und reicher Lebenserfahrung, besaß eine glänzende Beobachtungsgabe und geschulte Stimme sowie tiefe Menschlichkeit, daher die Eindringlichkeit seines Wirkens.

Walther Bonsa

 

 

 

Seite 12   De Divel öm Flachs

Dat ös nu al lang, lang her, doa hett et dem Divel moal gejankert, von ne Mäkes gebutscht to ware. Oawer wie er em Spegel kiggd on sach, wie grulich he weer möt sine kromme Nääs' on möt de Hörnersch on de Peerdsfeet, doa wurd er ganz trurig. Denn hat kunn er sök schon värstelle: ut frie Stöcke had em söcher kein junget Mäke, wo nach wat utsach, e Butsch gegäve. On doarop keem et em geroad an: hibsch sull se sön on von sölvst sull se et done.

 

Na, wat weer doa to moake? — He sönneerd on sönneerd on kreep om de Mäkes rom wie de Katz ommem hete Brie, on doa, ob eenmoal, doa had er öt! He sach, wie de Margelles bi'm Spenne ömmer dem Foaden anne Löppe feerde, om em e bösske natt so moake. On dat weer akroat so, als wenn se em butsche dede.

 

„Wenn ök nu mankem Flachs steek“, so dochd er bi sök, „denn michde se ok mi möt äre rode sete Löppes butsche!“ On em wurd all ganz heet, wie er bloß dran dochd.

 

Nu weer et groad öm August, on de Lien all meist riep. Doa verstöckelt he sik mödde önne Flachföld on moakd sik so dönn, so dönn, dat er meist so utsach wie e Lienstengel.

 

On wie de Flachs nu getoage wurde, doa wurd mien Divel mötgegrappscht on önne Bund gebunde.

 

E poar Doagkes bleve de Bundkes noch oppem Föld stoane, denn wurde se öngefoare. — De Lien keem oppe Raffelbank, on de Divel möt. De scharpe isere Rafeltään klaude ein dem Koap

nich schlecht, on he mussd hellsch oppasse, dat em nich de ganze Dääz afgeräte wurd. Oaver wiel sien Kopp sonst keinmoal nich mötte Kamm tosamme keem, doa dochd he: „E bösske kämme ös mi ganz goot!“ on heel stöll wie e Lammke.

 

Oaver dat weer noch lang nich alles, wat er uttohole had. Nein Doag lang wurd de Lien öm Diek geleggt on möt grote Staner beschwäärt. On de Divel leeg öm Woater on dachd: „Dat hool de Schinder ut, dat ös joa natt!“ Oaver denn full em ön: „Dat kann ganz good sön! Amend' warr ök nu e bösske afbleke!“

 

On wie de nein Doagkes rom were, doa keme de Lied wedder am Diek, föschde dem Flachs rut od sprede em oppe Stoppels ut. On nu duerd dat Wäke on Wäke. On de Divel leeg oppem Puckel on kickd öm blaue Himmel an sach, wie de Wolke toge on wie de leve Sonnke op on under ging on de Mond on de Steernkes keme on wedder varschwunde, on he dochd: „So fien hebb ök mi al lang nich verameseert. Wat ös dat doch lostig, nuscht to done on Dag on Nacht oppem Puckel to ligge“. Oaver de schene Tiet weer bool to end. De Lied keme oppet Föld, moakde ö Kul önne Eerd on läde dem Lien oppe Rost, om em to druckne. E Fierke ut Torf wurd angepäsert, on de Divel dochd: „To wat weer nu dat Bleke, wenn ök foorts wedder angerekert warr?“ Oawer hete Loft weer er joa gewennt. Doa grifflachd er: „Önne Hell ös et ok nich bäter!“ on leet sök geduldig druckne.

 

Nun wurd oaver de Lien to Huus gebrocht on gebroake. Doa verging dem arme Divel dat

Lache. Ok nich een Knoake bleev em heel. On had er sök nich ömmer wedder geseggt:

 

„Höllst ut, denn krigst e Butsch!

Höllst ut, denn krigst e Butsch!“

 

denn weer er foorts vonne Rack runnergehopst on wie e bedrippster Oap afgetoage.

 

On et keem noch doller! Kuum had er sine oarme Knoakes ö bösske tosammegeläse, da wurd de Flachs geschwunge. — Du leve Tiet, wat kreeg de Divel doa far Pregel! On noch doato möt e scharpe Schwingholz! Wenn er nich schonn schwart gewäse weer, denn weer er et nu geworde; sien ganzet Ledder weer bool wiee e eendze Blootbloas'. — He beet de Tään tosamme on burbeld far sök hen:

 

„Höllst ut, denn krigst e Butsch!

Höllst ut, denn krigst e Butsch!"

 

Dat keem oaver schonn so pieptrurig rut, dat et dem Hund gejammert had, wann ener doa gewäse weer. On he had dat Schwinge söcher nich äverstande, wenn em nich öngefalle weer: Mönsch, kriggt Dine Grooske dat rut, dat Du Dien Stöck nich dorchgefeert häst, denn moakt se Di wedder to ärem Schlorrkeschlepperr!“ —

 

Nu oaver keem dat Ilderdollste: de Hechelbank. On Häkele, dat könne al väle Mönsche nich vardroage, on dä sön doch meist abgebreggt wie e Nuckelke öm Trog, — färem Divel ös dat oaver dat Ilderschlömmste! Kuum ging dat Häkele los, doa keem er nich meer to end möt sien Verschke. —

 

„Höllst ut . . .“

 

kunn er groad noch segge, oaver denn klemmd er dem Zoagel ön on reet ut wie Schoapeledder ...

 

On so kömmt et, dat et dem Divel noch ömmer jankert, von e hibsche junge Margell e Butsch to kriee, oaver dat em dat Glöck woll böt tom Nömmerschdag nich blege warrt.

Aus dem „Wundergarten“

 

 

Seite 12   Gnabblig bis toletzt

Vär hundert Joar weer de ool Georg Hoch Buer on Schulz ön Kusse önne Pillkallsche Gegend. De weer on bleev, bös er sturv, so e röcht‘ger Kribbelkopp. Wie se doamoals dat Land nie verdeelde — Separation nennde de Herres dat —, da truff op dem Görg Hoch on sine Bure so e gruriger Sandsträmel. De ool Gnabbel hadd ferrem Divel kein Schöß on sadd to de andere Bure, dat de Herres vonne Regierungskommission boold de Schlag röre deed: „Koamt thuus, Noabersch! Ons verfloke joa onse Kinder, wenn wie möt dat tofräde sön!“ Doamoals hadde s' em om een Hoar verhaft't; obber de Landroat wußd ganz genau, dat de Görg Hoch dat Hart op em röchtge Fleck hadd, on leet em nuscht done.

 

Sien Fru hadd möt em öfter moal e harde Dam. Wie he wedder moal so upbrunsd wie möt‘m Preem önne Hinderschte, sääd de to em: „Voder, Du warscht Di doch noch de Hell verdene!“ Doa sittst de Hell!“ schreeg de Görg on haud motte Fuust undre brennende Öllamp, dat de Ender floge. Als he starve mußd, gloovd er doch meist, wat sien Oolsche em ömmer geseggt hadd. He hadd nich vääl Hoffnung, dat de leve Gottke sik noa em rite wurd, wielt he sien Levelang goar to gnaddrig gewese weer. Dem Farr' hadde s‘ ober doch gehoalt, on de huckd nu an sien Bedd on trößd em. He meend, de allmächtige Gott wurd em schonn noch emoal helpe. Obber de ool Querkopp kunn dat nu moal nich lide, wenn ener dat letzte Woort hadd. „Wat sulle S' mi all andersch verteile als Farr'“, brommd er gegen e Wand, „de leve Gottke, on mir helpe? Glove Se man söcher, he warrt mi wat hoste !“

Fritz Hofer

 

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (10)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Wenn Ihr diesem Brief lesen tut, mit oder ohne Brill, denn is all der Mai gekommen, und die Beime schlagen aus, dass einer sich vorsehen muss, dass er nich eins gewischt kriegt. Aber wie ich ihm jetz schreib, is noch April, und draußen stiemt es, dass nich Hand vor Augen sehen kannst, und denn scheint wieder fimf Minuten de Sonnche, na kurz und rund, es is das richtge Aprilwetter. Aber mir hat keiner im April geschickt, auch de Emma nich. Ich war auch nich gegangen, denn erstens war ich ja mit mein Gipsbein angetiedert, und zweitens bin ich einmal zu Haus in Ostpreißen ganz geheerig anne Nas rumgeführt geworden, und das hab ich mir gemerkt. Gehn Se mir bloß los mittem ersten April! Wenn ich dran denk, denn fängt mir das jetz noch und jetz erst richtig an zu ärgern. Aber ich hab Ihnen im letzten Brief die Aprilgeschichte versprochen, und nu muss ich auch in den sauren Aeppel reinbeißen und dem alten Aerger untre West wieder nei umriehren wie de Muttche dem Glumsfladen. Also es traf geradzig Sonntag, und ich mißd ran z. A. Es ging auch alles ganz gut, das heiß ich kriegt bei jedem Bauer e Schnapsche wie mein Kollege Wilhelm T. aus Stallupönen, wo jetz in eine Baracke innes Isartal wohnt und mir e herzlichem Brief geschrieben hat. Er ist schwerbeschädigt und ieber fuffzig und nu will ihm keiner nich mehr haben. Ja, das waren noch Zeiten, wie wir in Ostpreißen unterwegens waren und der Schnee bis anne Brieftasch ging! Scheenem Dank fier Deinem Brief, lieber Kollege, und man nich verzagt! Denn was e richtiger ostpreißischer Landbriefträger is, dem pust kein Sturm nich um! — Wo war ich denn nu stehngeblieben? Ach ja, bei die viele kleine und große Schnapschens, denn ich hädd viele kleine und große Bauern zu besuchen. Die kleinen Bauern hädden immer große Gläser, und die großen Bauern hädden kleine. Dafier gaben die großen Bauern auch bloß einem aus und die kleinen zwei. Aber es gab auch Ausnahmen. An dem ersten April, wo ich nu unterwegs war, kriegd ich ieberall große Gläser und ieberall zwei, rein als wenn se sich aller besprochen hädden und mir ganz geheerig einseifen wollden. Bis ich beim dicken Gastwirt Rinnau kam, war ich all richtig im Stiehm und sang immer abwechselnd: „Guter Mond, du gehst so stille“ und „Joachim Hans von Ziethen“, das waren meine Lieblingslieder. Der Rinnau kickd iebre Brill und fragd, ob ich noch einem nehmen wolld. „Wer fragt, der giebt nich gern“, sagd ich, und da goss er auch all ein. Denn iebergab er mir e Wertpaket annem Herrn Oberpostvorsteher Nucklies, das solld der Rauschus all am Sonnabend mitnehmen, hadd es aber vergessen. Der Pacheidel war nich emal groß, aber ganz aasig schwer, und ich wolld ihm deshalb garnich erst nehmen. Aber der Rinnau sagd, es is ganz doll eilig, und da erwachd mein Pflichtgefiehl, so dass ich e orndlichem Knippel durchem Bindfaden steckd und das Paket aufe Schulter nahm. Nu war dem Tag ziemlich warm und schwiel, und dazwischen kam immer e Schauerche vom Himmel, also richtig Aprilwetter. Was meinen Se, wie ich mir mit dem Pacheidel abmarachelt hab! De ganze Schulter hing schief runter. Und was ich unterwegens zusammengeschimpft hab! Und der Weg wurd und wurd nich aller, ich mißd mir e paar Mal verruhen und innem Graben Leberblümchen suchen. Dabei hab ich denn immer es bische iebergeschlafen, sonst hädd ich es emmend ieberhaupt nich geschafft. Was soll ich Ihnen sagen, um Uhre acht abends kam ich endlich beim Nucklies an. Der empfing mir mit die freehliche Nachricht, dass der Pacheidel fier mich bestimmt war, als Lohn fier die Peerzerei. Der Rinnau hädd angeklingert. Nu war ich aber gespannt wie e Flitzbogen und packd foorts aus. Vor Aufregung kriegt ich dem Knoten gar nich auf, deshalb schnitt ich dem Bindfaden einfach durch. Und wissen Se, was drin war? Vier ausgewachsene Ziegelsteine, und auf jedem stand mit Kreid geschrieben: April, April! Sehn Se! Aber e Brief lag auch noch drin: „An dem sehr geehrten Herrn Trostmann“, und da wollden se mir noch emal fier dumm verkaufen, denn se schrieben, dass beim Rinnau noch e Pacheidel fier mich liegt, da sind zwei Flaschen Kornus drin. Ich hädd bloß Pech gehabt und dem falschen Paket gekriegt, schrieben se. Aber ich mißd gleich umkehren und ihm holen kommen, so lang wie noch der erste April is. Sonst morgen kriegt ihm der Rauschus. Natierlich ging ich nich noch emal zurick, denn ich wolld mir doch nich zweimal fier dumm verkaufen lassen. Aber es war wirklich noch ein Pacheidel da, und da waren wirklich zwei Buddels Kornus drin, und die hat wirklich am nächsten Morgen der Raudschus gekriegt. Sehn Sie, und das hat mir gewurmt. So ungerecht is das inne Welt eingericht, der eine rackert sich ab mitte Ziegelsteine, und der andere kriegt dafier zwei Flaschen Kornus. Aber der Raudschus war anständig und gab mir e Flaschche ab, wie das unter Kollegen ja auch sein soll. Bloß einer sieht, wie vorsichtig einer mit dem ersten April sein muss. — Nu mechd ich mir aber fier die viele Beileidsbezeigungen und gute Ratschläge bedanken, wo ich gekriegt hab. Ich hab gar nicht gedacht, dass so viele liebe Landsleite mir in meinem Unglick bedauern und dass so viele mitfiehlende Herzen in ostpreißische Briste schlagen. Ich bemiehe mir ja nu auch all ganz doll, wieder aufe Fieße zu kommen, und es geht ja auch all e ganzes End besser. „Obn nu bekuwere Se söck man wedder, onn Enne Fruke sall Enne hibsch to äte bringe on Ennem Puckel bet unde scheen mit Brantwien önnriewe. Dat wart Oenne goot sönn“, so schreibt e ostpreißisches Frauche außem Ruhrgebiet. Se stammt aus eine große Wirtschaft und erzählt von ihre Jugend, vom umgekippten Schlitten, vom Schmackostern und vonnes Osterwassorholen. Nun is se bald achzig alt und wohnt all das neinte Jahr inne Dachkammer. Aber ihrem gesunden Humor hat se nich verloren. Schenem Dank, liebe Frau W., fier Ihrem Brief, er hat mir wieder ganz jung gemacht. Meine Back is all ziemlich beheilt, dem Arm kann ich auch all e bische riehren, und diese Woch soll nu endlich auch der Gips vonnes Bein runter. Aber ich hab doch allerhand wuien und stehnen missen, und jedesmal sagd de Emma: „Siehst, was bist nich zu Haus geblieben!“ Das war das Schlimmste von das ganze Schmerzenslager. Dem Kerdel, wo mir mit sein Auto umgerissen hat, werden se nu bei e Flicker kriegen, und er wird beim Herrn Staatsanwalt antanzen müssen. Ich hab ja viel Verständnis daher, dass einer mal e bische ieberm Durst trinkt, aber denn soll er mit seine unegale Finger vonnes Auto wegbleiben. Deshalb is es ganz gut, wenn er e Denkzettel verpasst kriegt, und e paar Dittche Schmerzensgeld werden bei die Gelegenheit ja auch rausspringen. Ich hab all einmal alles genau fier e Polizei aufschreiben missen, aber se wollen mir noch emal perseenlich verheeren. Nu lauer Ich al immer, dass einer kommt. Die hibsche junge Frau von noch nich ganz fuffzig, wegen der wo ich mir hab die Knochen verbiegen lassen, hat mir auch sehr herzlich zu dem Unfall kontrolliert. Das Wort hab ich vonne Emma, die is ganz doll gebildet und sagt, das heißt so. Aber ich glaub das nich. Trotzdem mißd ich es hinschreiben, sonst gab es wieder Krach, und den kann ich jetz in die Genesung nich brauchen. Was tut einer nich alles wegnem lieben Frieden! Unser Bauerochse hat mir auch zweimal besucht und jedes Mal e paar Aeppel mitgebracht. Die solld ich man essen, denn Obst is sehr gesund, sagd er. Ich hab se auch gegessen. Wie haben Se das scheene Osterfest verlebt? Hat der Osterhas Ihnen was gebracht? Mir hat de Emma e paar Eierchens geforben, grien und rot und blau. Auf aller hat se mittem Nagel „Freehliche Ostern“ raufgeschrieben, aber denn war noch e gelbes Ei zwischen, und wie ich den umdrehd, da stand drauf: „Siehst, was bist nich zu Haus geblieben!“ Ich war still, was solld ich auch sagen. Nu grieß ich Ihnen herzlich und winsch Ihnen viel Glick in dem scheenen Monat Mai.

Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

 

 

Seite 13   Patenstadt Duisburg schreibt: 150 000 Königsberger kamen um.

Erinnerungen an die frühgeschichtlichen Völkerwanderungen werden wach angesichts der Größe und der Not der Wanderungsbewegungen am Schluss des zweiten Weltkrieges. 9 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge haben allein im Bereich der Bundesrepublik Zuflucht gefunden.

 

Königsberg, unsere ostpreußische Patenstadt, hatte 380 000 Einwohner. Heute gibt es dort keine frei lebenden Deutschen mehr. 150 000 Königsberger mögen ihr Leben durch den Krieg und den Zusammenbruch verloren haben, in den Bomben- und Brandnächten im August 1944, während der Belagerung und der Kapitulation von Januar bis April 1945 und schließlich unter der sowjetischen Besetzung 1945 bis 1948. Die überlebenden verließen ihre Heimat auf den verschiedensten Wegen. Bereits 1944 waren zahlreiche Frauen und Kinder evakuiert worden. Im Januar 1945, nach einer vorübergehenden Öffnung des Einschließungsringes auch im Frühjahr und März, flohen Zehntausende, die meisten in Schiffstransporten über Pillau. Längst nicht alle Schiffe erreichten ihr Ziel. Hatten sie überhaupt ein Ziel? Wie Strandgut trieben die Gejagten an den Küsten Dänemarks, Schleswig-Holsteins, Mecklenburgs, Pommerns an. Aber sie waren davongekommen. Wie leicht wurde damals der Verlust aller materiellen Güter getragen! Jeder Gedanke wurde von der Sorge um das Schicksal der Vermissten beherrscht. Selten gab es eine Familie, der es gelungen war, beisammenzubleiben. Jahre vergingen, ehe man sich wiedergefunden hatte. Die Soldaten kamen aus den Entlassungslagern, die in Königsberg verbliebenen Überlebenden wurden 1947 und 1948 in Sammeltransporten ausgesiedelt, die in Dänemark Aufgenommenen durften nach jahrelanger Internierung endlich ihre Barackenlager verlassen und nach Deutschland fahren, und bis auf den heutigen Tag kehren immer wieder Gefangene, Verschleppte, Vermisste, für tot Erklärte heim. Nicht alle kehren im echten Sinne des Wortes „heim“ in ihre Stadt, in ihr Haus, in ihre Familie. Die ostdeutschen Heimkehrer finden im günstigsten Falle Angehörige wieder. Häufig genug müssen sie sie erst suchen.

 

Wer täglich in der Vertriebenenarbeit steht, kennt die ganze Skala der Möglichkeiten auf dem Gebiete der Familienzusammenführungen. Von dem Mann, der 1945 von Land zu Land, von Dorf zu Dorf wanderte, überall nach seiner Familie fragte und sie auf diese Weise endlich fand, bis zu der Familie, deren Angehörige durch den Suchdienst zusammengeführt werden konnten, nachdem sie neun Jahre unweit voneinander gewohnt hatten. Dazwischen liegt die emsige, oft von Erfolg gekrönte Sucharbeit der Rot-Kreuz-Stellen, der landsmannschaftlichen Vereinigungen und des kirchlichen Suchdienstes.

 

Seit die Stadt Duisburg die Patenschaft für Königsberg übernahm, ist sie mit ihrer Kartei der Königsberger auch am Suchdienst beteiligt. Wenn von bisher rd. 18000 Karteiauskünften der Auskunftsstelle Königsberg in Duisburg rund 6000 erfolgreich waren, so ist das ein erfreuliches Ergebnis. Die Königsberger finden ihre Freunde, Nachbarn, Kollegen, Geschäftspartner und ihre Zeugen für die Geltendmachung von Ansprüchen. Wenn sich unter den Gefundenen aber lange vergeblich gesuchte Ehegatte, der Bruder, der Sohn befindet, wird dem Sachbearbeiter die Freude über den Erfolg seiner Arbeit zur herzlichen menschlichen Anteilnahme. Es ist schön, in solch gutem Sinn Schicksal spielen zu dürfen. „Da ich mit größter Freude meinen tot erklärten Sohn durch Ihre Mühe wiedergefunden habe, danke ich Ihnen tausendmal“, solche Briefe bringen Licht in das mit Karteiblättern, Akten und Suchlisten angefüllte Bürozimmer im Bunker Oberstraße.

 

In den letzten Monaten konnte die Auskunftsstelle Königsberg bei der Patenstadt Duisburg u. a. folgende ehemalige Königsberger ihren Angehörigen zuführen:

 

Otto Bruse, Berlin-Lichterfelde-Süd, Herlenertweg 1c, fand seine Eltern Otto und Charlotte Beruse, Großenbrode/Holstein, Fischer-Siedlung, Baracke 41, früher Königsberg, Yorcketraße 14.

 

Charlotte Canditt, geb. Leipenat, Arches-Vosges, Route de Remiremont, Frankreich, früher Königsberg, Tragheimer Kirchenstraße 12, fand ihre drei Schwestern.

 

Johannes Demant, Mülheim (Ruhr)-Speldorf, Arndtstraße 80, fand seine Eltern Gustav und Helene Demant, Niedereschoch, Kreis Villingen, früher Königsberg, Wagnerstraße 10.

 

Heinz Hillgruber, Konstanz (Bodensee), Fürstenbergstraße 125, fand seine Schwester Christa Hillgruber, früher Königsberg, Bismarckstr. 19.

 

Günter Hüge, Brüggen (Niederrhein), fand seine Eltern Franz und Elisabeth Hüge, Harksheide (Holstein), Parallelstraße 29, früher Königsberg, Friesestraße 26.

 

Ernst Klein, Gimte Nr. 51 bei Hann. Münden, fand seine Schwester Charlotte Klein, Solingen, Burger Landstraße 91, früher Königsberg, Schrötterstraße 172.

 

Günter Krause, Gütersloh (Westf.), Domhof 1. St.-Elisabeth-Hospital, fand seine Eltern Arthur und Frida Krause, Schweicheln-Bermbech 377, Kreis Herford, früher Königsberg, Hindenburgstraße 47.

 

Walter Maser, Bremen, Hildesheimer Str. 45, fand seine Schwester Lia Prinzhausen, geb. Maser, Trier, Krausstraße 3, früher Königsberg, Brüderstraße 3.

 

Manfred Rogge, Waltrop, fand seine Eltern Heinrich und Helene Rogge, Treysa, Parkstr. 8, früher Königsberg, Samlandweg 25.

 

Anna Schenk, geb. Holstein, fand ihre Tochter Ingrid Folgmann, geb. Schenk, Elmshorn (Holstein), Köhnholzstraße 21, früher Königsberg, Thomasgasse 4.

 

Diese Erfolge berechtigen zu der Annahme, dass die Königsberger Kartei auch für die Zukunft noch Möglichkeiten bietet, Versprengte zu sammeln. Neun Jahre haben nicht genügt, um Ordnung in das Chaos von 1945 zu bringen. Noch wirksamer könnte allerdings geholfen werden, wenn die Kartei vollständiger und besser auf dem Laufenden wäre. Alle ehemaligen Königsberger sind daher nach wie vor aufgerufen, ihre Anschriften und Anschriftenänderungen der Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg, mitzuteilen.

 

 

 

Seite 13   Patenstadt Duisburg ehrte Agnes Miegel.

Am 9. März 1954, waren unter Führung von Oberbürgermeister Seeling Vertreter der Stadt Duisburg, Patenstadt für Königsberg, in Bad Nenndorf, um der Dichterin Agnes Miegel zu ihrem 75. Geburtstag Glückwünsche und Gaben zu überbringen. Der Oberbürgermeister grüßte die große Königsbergerin als das lebende Symbol der verlorenen ostpreußischen Muttererde, als die Fackelträgerin des besten Geistes ihrer verlassenen Heimat. Die Patenstadt schenkte der Dichterin eine Reiseschreibmaschine und einen Geschenkband der Geschichte der Stadt Duisburg. Die Rektorin der Duisburger Agnes-Miegel-Schule brachte als Gabe der Schule eine wertvolle Handarbeit, und die Landsmannschaft

Ost- und Westpreußen, Kreisgruppe Duisburg, übergab einen Wandteppich, das Königsberger Stadtwappen darstellend, von der Mädchenberufsschule Gitschiner Straße handgewebt.

 

Am Sonntag, dem 14. März, versammelten sich in der Aula der Schule Obermauerstraße die Duisburger Freunde und Verehrer der Dichterin zu einer Agnes-Miegel-Feier, die von der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen, Kreisgruppe Duisburg, in Verbindung mit dem Städtischen Kulturamt und dem Verein für Literatur und Kunst veranstaltet wurde. Oberspielleiter Eberhard Gieseler, Wolfenbüttel, früher Königsberg, sprach Dichtungen der Jubilarin. Seine Absicht, das Lebensbild Agnes Miegels in seinen Höhen und Tiefen, im Menschlichsten wie im Prophetischen in ihren Liedern darzustellen, gelang ihm meisterhaft. Irmgard Giesen spielte Klaviermusik von Franz Schubert.

 

 

 

Ina Graffius sang.

Die Ostpreußin Ina Graffius, jetzt Hamburg, früher Königsberg, kam auf ihrer Tournee auch nach Eßlingen, wo sie mit ihrem Begleiter, dem Stuttgarter Pianisten K. H. Lautner, eine Konzertstunde gab. — Ina Graffius sang in mehreren Sprachen Volkslieder und erntete reichen Beifall. — Die Anwesenden zeigten an dem Programm „Brücken der Völker“ reges Interesse und nahmen unvergessliche Erinnerungen mit. M. S.

 

 

Tagung der Künstlergilde.

In Eßlingen fand eine Vorstandssitzung mit anschließender Mitgliederversammlung statt. Nach Begrüßung durch Dr. Josef Mühlberger ergriff Dr. Schremmer das Wort. Er berichtete über die Tagungen der Europäischen Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen in Rom und Salzburg. Ferner gab Dr. Schremmer über die Arbeiten der einzelnen Fachgruppen Aufschluss sowie wichtige Hinweise für die Ausstellungen der Künstlergilde. Auch über die Pläne des Siedlungsbaues wurde gesprochen. Erfreulicherweise steigt die Mitgliederzahl des Verbandes der heimatvertriebenen Kulturschaffenden laufend. Aus dem ganzen Bundesgebiet und Österreich waren neue Aufnahmeanträge eingegangen. M. S.

 

 

Lebensgeschichte eines Trakehner Pferdes.

Im Holzner-Verlag/Kitzingen erscheint in Kürze unter dem Titel: „Pepita“ die Lebensgeschichte eines Trakehner Pferdes, erzählt von Herbert von Böckmann. Mit zahlreichen Bildern von W. M. Busch. Preis voraussichtlich 4,80 DM.

 

 

 

Seite 13   Wir gratulieren!

 

Ihren 90. Geburtstag feiert am 30. Mai 1954, in voller Geistesfrische, Frau Amalie Reiter, geb. Kloß, geboren in Schönfließ bei Königsberg, Witwe des Gutsbesitzers Gustav Reiter in Pompisken, Kreis Preußisch Eylau, später in Uderwangen, Kr. Pr. Eylau, wohnhaft in Neumünster, Holstein, Apenrader StraBe 2c.

 

Das Fest der goldenen Hochzeit konnten am 2. April 1954, Reichbahnoberschaffner i. R., Hermann Krause und seine Ehefrau Auguste, aus Königsberg feiern. Sie wohnen jetzt in Daxweiler im Hunsrück.

 

Am 8. April 1954, feierten das Fest der goldenen Hochzeit die Eheleute Ludwig Rosenbaum und Frau Auguste geb. Borchert, aus Königsberg, jetzt in Eckernförde, Rosser Weg 50, wohnhaft.

 

Ihren 85. Geburtstag feierte am 20. April 1954, Frau Amalie Oltersdorf, aus Königsberg. Sie wohnt jetzt in Eisbergen, Kreis Minden.

 

82 Jahre alt wurde am 8. April 1954,Regierungsinspektor a. D. Alwin Hallwich, aus Königsberg, jetzt in Hoyel, Kreis Melle, wohnhaft.

 

Telegrapheninspektor i. R. Max Pape, aus Königsberg wurde am 11. April 1954, 80 Jahre alt. Der Jubilar wohnt jetzt in Bonn, Koblenzerstraße 132.

 

Das Abitur bestand Dieter-Kurt Bräuer, aus Königsberg. Er wohnt in Mannheim-Schönau, Gryphiusweg 71.

 

Das Staatsexamen in der Krankenpflege bestand Schwester Christel Poepke, aus Königsberg, jetzt im Karl-Olga-Krankenhaus, Stuttgart-O., tätig.

 

Das Examen zum Diplom-Ingenieur bestand Eberhard Jahns und das Examen zum Diplom-Chemiker Wolfgang Jahns, aus Königsberg. Beide wohnen in Wiesbaden. Taunusstraße 69.

 

Am 10. Juni 1954, wird der Rentner Jakob Jednoralski, 86 Jahre alt. Er wohnt in Bünsdorf über Rendsburg, Kreis Eckernförde. Sein früherer Wohnort war Königsberg (Pr.). Sackheim 3.

 

Gert Werner, aus Königsberg, jetzt Helmstedt, Johannisstraße 131, hat sein Abitur bestanden. Er ist der Sohn des beim Untergang der Steuben verstorbenen Pfarrers Werner vom Tragheim. Auch er will Theologie studieren.

 

Das Fest der goldenen Hochzeit, feierten am 15. April 1954, der Bauunternehmer August Naujoks und Frau Rosine geb. Knorr, aus Paterswalde bei Wehlau. Sie wohnen jetzt in Krefeld, Geldernschestraße 193.

 

 

Seite 13   Neues von alten Königsberger Schulen.

Foto: Die Ostpreußische Mädchengewerbeschule in Königsberg.

Als die Stadt Duisburg mit der Patenschaft für Königsberg auch die Traditionspflege für die ostpreußische Hauptstadt übernahm, fand sie sich in einem seit Jahren bestehenden lebendigen Kreise von Königsberger Traditionsträgern. Sie begegnete nicht allein der Landsmannschaft Ostpreußen, sondern konnte sich bald mit vielen Königsberger Gruppen, Vereinen, Betriebsgemeinschaften, Innungen, Archiven und Büchereien, Abwicklungs- und Auskunftsstellen zu gemeinsamem Dienst an den heimatvertriebenen Königsbergern verbinden. So lebt die verlassene Stadt Königsberg weiter, und ihren Beitrag leisten dabei auch die alten Königsberger Schulen, ihre Lehrkörper und ihre Schülergemeinschaften.

 

Besonders rührig haben sich dabei die Königsberger höheren Schulen mit alter Überlieferung gezeigt. Die ehemaligen Oberstudiendirektoren D. Dr. Mentz (Rinteln) vom Stadtgymnasium Altstadt-Kneiphof und Professor Dr. Schumacher (Hamburg) vom Friedrichskollegium halten die Verbindung mit den Angehörigen der Schule aufrecht, indem sie Rundbriefe mit Nachrichten über ehemalige Lehrer, Schüler und Gönner der Schule sowie Anschriftenlisten verbreiten. Der ehemalige Leiter der Löbenichtschen Oberschule, Oberstudiendirektor Hundertmark, wurde in dieser nützlichen Arbeit leider durch seinen Tod 1949 unterbrochen, und ein ehemaliger Schüler, Herr Weidenhaupt (Düsseldorf), führt die Anschriftensammlung weiter. Sprecher für die Körte-Oberschule ist Oberstudienrat Klingenberg (Essen), für die Maria-Krause-Oberschule Studienrätin Schwarz-Neumann (Hamburg). Zum Zusammenschluss der Burg-Oberschule und der Vorstädtischen Oberschule haben die Herren Böhm (Hamburg) und Wilhelm (Bremen) aufgerufen. Für das Friedrichkollegium wurde durch das Landfermanngymnasium in der Patenstadt Duisburg die Patenschaft übernommen. Beide Anstalten sind staatliche humanistische Schulen mit jahrhundertealter Geschichte. Ihr Beispiel verdient Nachahmung, überörtlich für alle ostpreußischen höheren Schulen hat es Oberstudiendirektor i. R. Dehnen (Diepholz) unternommen, die neuen Anschriften der Lehrkräfte zu sammeln und bei Bedarf Auskünfte zu erteilen. Wichtige Unterlagen der Hufen-Oberschule für Mädchen besitzt jetzt die Auskunftsstelle Königsberg bei der Patenstadt Duisburg, und zwar Aufzeichnungen über die Geschichte der Schule sowie Verzeichnisse der Lehrkräfte und der Abiturientinnen, die zu Auskünften und Bestätigungen gern zur Verfügung stehen. Die ehemaligen Lehrer und Schülerinnen der Hufen-Oberschule wurden durch Aufruf in der ostpreußischen Heimatpresse gefragt, ob sie die Herausgabe der Schulgeschichte wünschen. Von dem Ergebnis der Umfrage wird es abhängen, ob die Aufzeichnungen im Druck erscheinen können.

 

 

Von den Königsberger Mittelschulen ist bisher nur die Sackheimer Mittelschule in der Öffentlichkeit hervorgetreten. Unter der Leitung des Vorsitzenden der Vereinigung ehemaliger Sackheimer Mittelschüler, Minuth (Düsseldorf), finden von Zeit zu Zeit Zusammenkünfte der Lehrer und Schüler statt. Der sich über alle Mittelschulen erstreckende „Verein ehemaliger Mittelschüler Königsbergs“ hat sich unter Herrn Fischer (Elm/Bremervörde) wieder gebildet. Die Patenstadt Duisburg hat eine ihrer Realschulen Agnes-Miegel-Realschule genannt. Sie verbindet mit einer Ehrung der Königsberger Dichterin auch eine Erinnerung an die ehemalige Agnes-Miegel-Mittelschule in Königsberg.

 

Eine besonders nützliche und inhaltsreiche Patenschaft führt die Staatsbauschule Essen für die ehemalige Staatsbauschule Königsberg. Sie ist in der glücklichen Lage, einige Unterlagen, darunter eine Absolventenkartei, zu besitzen und danach Auskünfte für ehemalige Dozenten, Absolventen und Studierende der Staatsbauschule Königsberg erteilen zu können. Daneben sammelt sie die Anschriften der ehemaligen Dozenten. Die Tradition der Landfrauenschule Metgethen wird durch die Landfrauenschule Kattenbühl in Hann. Münden gepflegt. Die ehemalige Leiterin der Ostpreußischen Mädchengewerbeschule Königsberg, Direktorin Brostowski (Kassel), unterhält die Verbindung mit den ehemaligen Lehrkräften und dem Personal ihrer Schule. Die Auskunftsstelle Königsberg in Duisburg besitzt die Satzung der Mädchengewerbeschule.

 

Es gilt nicht allein die Traditions- und Freundschaftspflege aus der alten Heimat herüberzuretten. Ebenso wichtig ist es, Urkunden, Unterlagen, Akten für den praktischen Gebrauch zu ermitteln. Königsberger Lehrer und Lehrerinnen an Volks-, Mittel- und höheren Schulen, deren eigene Personalunterlagen durch Kriegseinwirkung und Vertreibung verloren gingen, finden wertvolle Hilfe bei der Hauptstelle für Erziehungs- und Schulwesen in Berlin-Schöneberg, Grunewaldstraße 6/7. Die Hauptstelle besitzt ein Archiv mit Unterlagen über die Dienstlaufbahn der Königsberger Lehrer, und zwar über die 1. und 2. Lehrerprüfungen, Dienstzeit, Anstellung letzte Schule, Berechnung des Besoldungsdienstalters, Mittelschullehrerprüfung, wissenschaftliche und pädagogische Prüfung, Anstellung als Studienrat usw. Wer Bescheinigungen wünscht, wird zur Vereinfachung der Sucharbeit gebeten, die wichtigsten Angaben der Dienstlaufbahn mitzuteilen (Geburtstag, Prüfungen, Eintritt in den Schuldienst, Anstellung, letzte Schule, evtl. bekanntes Besoldungsdienstalter). Das Archiv besitzt auch unvollständige Unterlagen über Berufschullehrer sowie die Jahresberichte der höheren Schulen seit ihrer Gründung. Das Philologen Jahrbuch (Jahrbuch der Lehrer der höheren Schulen, Kunze-Kalender) ist mit allen Jahrgängen von 1894 bis zum Schuljahre 1941/1942 (letzter Jahrgang vor dem Zusammenbruch) vorhanden. Das Jahrbuch enthält Dienstalterlisten mit persönlichen Daten, Prüfungs- und Anstellungsdaten sowie Listen über die einzelnen höheren Lehranstalten mit den Namen der Lehrkräfte.

 

Längst nicht alle Königsberger Lehrer können sich diese Fundgrube nutzbar machen. Viele haben den Krieg und die Vertreibung nicht überlebt. Ein ehemaliger Königsberger Mittelschullehrer übergab der Patenstadt eine umfangreiche Liste der Lehrer und Lehrerinnen, die in den schicksalsschweren Jahren 1945 bis 1948 in Königsberg unter tragischen Umständen starben, ein erschütterndes Ehrenblatt der Königsberger Lehrerschaft.

 

 

 

Seite 14   50 Jahre Sportvereinigung Prussia-Samland Königsberg/Preußen.

Foto: Besonders tüchtige Förderer und Leichtathleten Prussia-Samlands vor 33 Jahren: Obere Reihe von links: Nadolny, Heinrich Singer, Wiemer, Franz Lalla (Ehrenmitglied), Fritz Döhring. - Untere Reihe sitzend von links: Kurt Paulat, Karl Baaske, Georg Brenke.

Foto: Prussia-Samland Königsberg/Preußen erstmalig Baltenfussballmeister 1908/1909. Die Mannschaft von links: Franz. Lowin. Max Friedrich. Fr. Wonigkeit. Schukmann. Bündig. E. Pohl. Bliersbach. Schulz (Schwager). Peter Müller. H. Schanter.

Foto: Prussia-Samlands Baltenmeisterelf 1933 von links: Westphal, Kurpat. Morr. Weiß. Bläsner. Buchay. Norde. Knieend: Milz. Preugschat Jandt. Riemann. Im Hintergrund die Tribüne auf dem Prussia-Samland-Platz.

Foto: Fritz Ruchay (links), Prussia-Samlands Internationaler und Willy Kurpat, langjähriger Ligaspieler

Wieder begeht einer der ältesten und ruhmreichsten Rasensportvereine aus dem Osten sein 50-jähriges Jubiläum. Die festlichen Jubiläumsveranstaltungen nach 20, 25, 30 und 40 Jahren des Bestehens sind bei allen denen, die sie miterleben durften, noch in bester Erinnerung. Und wie glanzvoll hätte man diese 50-Jahrfeier in der Heimat, in unserem Königsberg, auf dem Prussia-Samland-Sportgelände an der Steffeckstraße und im Parkhotel am Schlossteich begehen können!

 

Heute nach mehr als neun Jahren der Vertreibung wird sich an den Festtagen die in alle Welt zerstreute, übriggebliebene Prussia-Samland-Familie in Hamburg zu einem Wiedersehenstreffen ein Stelldichein geben. Bruno Rohmahn, der letzte Vereinsführer in der Heimat, unter dessen Führung noch 1944 das 40-jährige Bestehen trotz der Kriegsereignisse in würdigem Rahmen begangen werden konnte, ist auch heute wieder der Mann, der die alten Prussia-Samländer zusammenhält. Am 1. und 2. Mai wird es im „Feldeck“ in Hamburg manches frohe Wiedersehen seit Jahren geben, aber auch eine große Zahl derer, die wir noch vor und mit uns sehen wollten, wird fehlen.

 

Kameradschaft, die auf den Sportplätzen begründet wird, dauert über das Grab hinaus. Jeder unserer Prussia-Samländer hat Angehörige oder Kameraden, die er schmerzlich vermisst, und wir alle denken mit Wehmut an die unsern, mit denen wir ein großes Stück unseres Lebens gemeinsam gingen, denen wir durch die gleiche Liebe zu unserem Sport und vielfach durch Freundschaft, die sich aus Kameradschaft entwickelt hatte, verbunden waren. In diesen Tagen, an denen wir besonders unserer verlorenen Heimat und unserer Sportvereinigung Prussia-Samland gedenken, legen wir auf die fernen Gräber unserer Kameraden, mit denen wir jung und frohgemut waren, Kränze des Gedenkens und bekunden damit unsere Dankbarkeit, unsere Zuneigung und unsere immer währende Kameradschaft. Unsere Toten leben mit uns weiter, sie leben in unserer Erinnerung, in unseren Gesprächen, in unseren Herzen. Niemals können wir sie, die der Jugend vortreffliche Vorbilder waren oder als hoffnungsvolle junge Sportkameraden ihr Leben lassen mussten, vergessen. (1914 – 1918; 52 Aktive gefallen, 1939 — 1945 zirka 200 Tote und Vermisste.)

 

Einen lückenlosen Rückblick über diese 50 Jahre zu geben, ist kaum möglich, da keinerlei Unterlagen durch die Kriegsereignisse vorliegen, Mitglieder, die in vorderster Front die ganzen Jahre miterlebt haben, nicht da sind, und das zusammengetragene Material nicht mehr vollständig sein kann. Trotzdem soll der Versuch gemacht werden, die zurückgelegten 50 Jahre wenigstens teilweise in das Gedächtnis zurückzurufen. So mancher Name aus der ruhmreichen Vereinsgeschichte wird in Erinnerung gebracht werden, doch wird es verständlich sein, dass dieser oder jener treue Vereinskamerad beim Aufzählen oder Streifen der Ereignisse nicht namentlich in Erscheinung tritt.

 

1904, als schon der Fußballclub Königsberg (VfB) und Sportclub Ostpreußen (Asco) bestanden, war es eine kleine Anzahl kaufmännischer Angestellter, die unter Führung von Karl Paehlke sich zu einer Sportgemeinschaft auf dem „Herzogsacker“ zusammenfanden. Der 17. April 1904 wurde unter Paehlke im Lokal „Eisernes Kreuz“, der jedoch bald von Laddey und später Johannes Melchien, dem heute noch allein übrig gebliebenen Mitbegründer, abgelöst wurde, der Gründungstag des Fußballclubs Prussia. Die sportlichen Erfolge waren trotz des sehr lebhaften Sportbetriebes nicht die erhofften. 1905, als auch Fritz Döhring dazu kam, waren es vor allem Melchien und Döhring, die für die Weiterentwicklung unter dem Namen Sportclub Prussia unter deren straffen Führung eintraten. 1905 waren es auch Prussia-Mitglieder, die in Elbing die Gründung des Elbinger Sportvereins 05, in Gumbinnen des Fußballclubs Preußen, in Tilsit von Lituania und in Insterburg des Sportclubs Insterburg vorbereiteten und durchführten. Auch eine Ringerabteilung wurde angegliedert. Die Sporterfolge, namentlich im Fußball, verbesserten sich, und bei dem ersten Hallensportfest im Tiergarten und bei einem Sportfest in Gumbinnen gab es schöne Prussia-Erfolge.

 

1905 entstand der Sportzirkel „Samland“. Der Gründer war der noch heute lebende Ernst Nötzel und auch Max Friedrich und Johannes Schanter, die gleichfalls noch leben, waren Mitbegründer. Dieser Verein bestand in der Hauptsache aus Jugendlichen, hatte dadurch viel Zustrom der gesamten Jugend, und „Samland“ gelang es, die weiteren Königsberger Sportvereine im Fußball einwandfrei zu besiegen. Auch in der Leichtathletik wurden die Samländer beachtliche Gegner. 1908 erfolgte der Zusammenschluss der beiden Vereine, und so entstand die Sportvereinigung Prussia-Samland. Als äußeres Zeichen dieser glücklichen Vereinigung entsprang neben vielen anderen Erfolgen die Erringung der ersten Baltenmeisterschaft. Aus dieser Mannschaft, damals noch in schwarzweißem Dress, stehen noch Walter Schulz (Schwager!), dieser auf allen Gebieten immer vorbildlich hervorgetretene Recke, sowie Max Friedrich und Hans Schanter in den Reihen von Prussia-Samland.

 

Der Jubilar ist nicht nur in Ostpreußen, sondern auch in ganz Deutschland und darüber hinaus im Laufe der Zeit ein Begriff geworden. Allerdings mit der Einschränkung, dass die jüngere Sportgeneration kaum mehr den Namen kennt, da dieser traditionsreiche Verein nach 1944 nicht mehr aktiv in Erscheinung treten konnte und heute nur noch die alten Mitglieder mit ihren Familien zusammenhalten kann.

 

In den 40 Jahren in der Heimat, in Königsberg, gehörte Prussia-Samland zu den erfolgreichsten Großvereinen des Ostens, sowohl zahlenmäßig, als auch an den Sporterfolgen gemessen. Vor allem beim Fußball, der Leichtathletik sowie eine Reihe von Jahren auch im Boxsport, stand der Jubiläumsverein immer wieder an der Spitze und beherrschte diese auch oft einwandfrei allein. Aber auch die Frauenabteilung und zu Anfang der 20-er Jahre die Schlagballspieler, stießen bis in die deutschen Meisterschaftsendspiele vor.

 

Obwohl die Farben schwarz-weiß-blau (Prussia schwarz-weiß, Samland blau-weiß) waren, war nach den Anfangsjahren der Fußballdress rotes Hemd und weiße Hose, einer Sportkleidung, die damals für Ostpreußen neu war und sehr kleidsam wirkte. Die ganzen Jahre hat die 1. Fußballmannschaft, zwei Jahre hindurch auch die zweite Mannschaft, der obersten Spielklasse angehört, war mehrfacher Baltenmeister (Ostpreußen, Westpreußen und Pommern), ebenfalls mehrfacher Ostpreußen- oder Gaumeister, wenn auch die Königsberger wie ihr noch größerer Rivale, der VfB Königsberg als Meister in den weiteren Spielen zur Deutschen Meisterschaft immer wieder den großen Mannschaften, wenn auch oft sehr ehrenvoll, unterlegen war. Wie es im Süden das Derby Nürnberg-Fürth, in Berlin BSC Tennis-Borussia gab, so war immer wieder in Königsberg VfB Prussia-Samland bis auf einige wenige Jahre das Spiel der Spiele. Gerade diese großen Rivalen-Kämpfe waren in Königsberg die zugkräftigsten Fußballdemonstrationen, an die man sich noch heute und auch später immer wieder gern erinnern wird. Aber nach diesen harten Fußballkämpfen fanden sich die Spieler sofort wieder friedlich und freundschaftlich zur gemeinsamen Kaffeetafel zusammen, und oft war man auch bei Musik und Tanz noch lange zusammen.

 

Nach der ersten Baltenmeisterschaft waren die Jahre 1910, 1913 - 1914, 1931, 1933 sowie 1935 die erfolgreichsten. Prussia-Samland stellte auch eine große Anzahl Spieler für repräsentative Mannschaften, die für Königsberg. Ostpreußen und den Baltenverband antraten.

 

Die erste Baltenfußballmeisterschaft, noch im ganz schwarzen Sportdress, erspielten Franz, Löwin, Max Friedrich, Fr. Wonigkeit, Schuchmann, Bündig. Ernst Pohl. Bliersbach, W. Schulz (Schwager), Peter Müller, Hans Schanter.

 

Die Spieler der Baltenmeisterschaft 1933 waren: Jandt-Milz, Norde-Weiß. Ruchay, Westphal – Preugschat. Morr. Bläsner. Riemann. Kurpat. Und gerade aus dieser Mannschaft ragte ein Talent besonders heraus: Fritz Ruchay. Von 1929 bis 1937 stand Ruchay in fast jeder Auswahlmannschaft, auch so, als Prussia-Samland 1931 nur 2:3 von Holstein Kiel ausgeschaltet wurde, Baltenverband im gleichen Jahr in Braunschweig gegen Norddeutschland 3:4 unterlag und eine ostdeutsche (Schlesien, Pommern, Ostpreußen) Elf in Danzig gegen Finnland 2:1 gewann. Der Reichstrainer, Otto Nerz, berief Ruchay 1935 als einzigen ostpreußischen Spieler als Außenläufer in die Deutsche Nationalmannschaft für das mit 3:0 gewonnene Spiel gegen Lettland. 1938 wurde Ruchay Sportlehrer, spielte während dieser Zeit in Berlin für Tennis-Borussia und ist heute Trainer im süddeutschen Raum.

 

Viele erstklassige Mannschaften, unter anderem HSV, Eintracht Frankfurt, Holstein Kiel, Beuthen, Breslau, München, Leipzig, Saarbrücken Neunkirchen, Berlin usw. kamen immer wieder gerne nach Königsberg, und im Laufe der Jahre hat die für damalige Verhältnisse in Ostpreußen einzige vereinseigene repräsentative Sportplatzanlage mit großzügiger Tribüne, Klubhaus und Saal bedeutende Fußballgroßkämpfe erlebt. Wenn auch nur ein kleiner Teil der Namen von den Spielern genannt wird, die zu den großen Fußballerfolgen führten dann erinnert sich die Prussia-Samland-Familie am besten aller dieser Spiele und der Spieler, die hier nicht alle aufgeführt werden können:

 

Friedrich, Schanter, W. Schulz, Lauf, Greif, E. Konietzka. Bärwald, Casper I und II, Gewitsch, Lau, Hermenau, W. Dzaebel, Korpel, Will, Migge, H. Paulat, Meißner, Sump, Weinert, Ruchay, Morr, Milz, Preugschat, Gehlhaar, Kurpat, Bläsner, Beutler, Stillger, Stattsus, Hardt, Mischke.

 

Die Leichtathletik, die Krone aller Leibesübungen, kam bei Prussia-Samland ebenfalls hervorragend zur Geltung, wenn es auch Jahre gab, in denen der Verein nicht so erfolgreich war. Leichtathlet Nummer 1 war bereits vor mehr als vierzig Jahren Karl Baaske, der ehemalige deutsche Rekordmann im Dreisprung (14,87 m) von 1912 bis 1922, aufgestellt in Osterode, und gleichfalls deutscher Rekordhalter im inzwischen von der Rekordliste gestrichenen Weithochsprung (1913 mit 1:60:3,20 m in Eydtkuhnen aufgestellt). Baaske ist auch die ganzen Jahre hindurch der größte Leichtathlet des Jubilars geblieben, wenn auch nach ihm viele Prussia-Samländer, vor allem ein großes Läufermaterial, mit ganz hervorragenden Ergebnissen die Vereinsfarben im schwarz-weißen Trikot immer wieder zu Siegen geführt haben. Karl Baaske stand 1914 in der kleinen deutschen Vertretung mit Könnern wie Zehnkampfmeister Ritter von Halt, dem heutigen Präsidenten des Deutschen Olympischen Komitees, und der deutschen 4 x 100-m-Rekordstaffel im Kampf gegen sechs weitere Nationen, darunter Russland, in Malmö anlässlich der Internationalen Baltischen Spiele. Hier gewann Baaske als Dreiundzwanzigjähriger den internationalen Fünfkampf und erhielt aus der Hand des schwedischen Kronprinzen, des heutigen Königs von Schweden, den Siegerpreis überreicht. Unzählige Preise hat dieser vielseitige Athlet, der über zwanzig Jahre in vorderster Front der ostdeutschen Leichtathletik gestanden hat, für seinen Verein gewonnen, darunter den Wanderpreis des Preußischen Kultusministers im Olympischen Fünfkampf. Als Lehrer, später Mittelschullehrer und Rektor hat Baaske auch den ostpreußischen Schulsport, in den letzten Jahren auch den Schulsport im Gebiet von Stade groß gefördert, war auch darüber hinaus Verbandssportlehrer und selbst noch als Sechzigjähriger in Alterskämpfen aktiv dabei. Heute lebt er in Neukloster, nicht weit von Hamburg entfernt, im Ruhestand.

 

Vor 1914 war außerdem Erich Konietzka ein sieggewohnter Läufer, der Prussia-Samland manchen Meistertitel heimgebracht hat. In der Nachkriegszeit ab 1919 war neben Baaske der Stabhochspringer Georg Brenke. der auch als Sportorganisator, Sportrundfunksprecher und Veranstalter auch von gesellschaftlichen Festen im Sport hervorgetreten ist und jetzt die ostpreußischen Rasensportler im Gebiet von Hamburg zusammengeführt hat, sowie Kurt Paulat als Mehrkämpfer weiter herausragende Leichtathletik-Pioniere. Und wieder sollen Namen von Prussia-Samland-Leichtathleten an alle die Kämpfe auf den Laufbahnen Ostpreußens und besonders auf dem Prussia-Samland-Platz erinnern: Lucht, Wöllmann, Benson, Plorin, Prinzen, Streckies. Bordasch, Krause, Kross, Kurreik, Liedig. Kirstein. Kühn, Riemann, v Kositzkowski (Pr. Danzig). Hervorragende Veranstaltungen waren die mit Richard Rau, dem Sportclub Charlottenburg, dem Berliner Sportclub, Kämpfe mit Nurmi, Dr. Peltzer, Syring, die Hallensportfeste usw. Anlässlich einer großen Werbeveranstaltung 1923 ließ es sich der Feldmarschall von Hindenburg nicht nehmen, dieser Veranstaltung mit größtem Interesse auf dem Prussia-Samland-Platz zu folgen. Und wenn man weiß, dass ein Fritz Döhring, ein Franz Lalla, Herbert Wöllmann, um nur einige zu nennen, die Leichtathletik während der Jahre im Verband und Verein geführt haben, dann sind auch die Erfolge des jungen Nachwuchses immer wieder erklärlich und eigentlich selbstverständlich.

 

Kloos, Klein und Tessun ist es wohl in erster Linie zu verdanken, wenn die Boxabteilung sich so gut entwickelte, Prussia-Samland eine große Anzahl erstklassiger ostpreußischer Boxtalente herausbrachte von denen sich ein Teil Meistertitel holte und der Verein bald über eine gleichmäßig gute und erfolgreiche Boxstaffel verfügte. Fritz Gahrmeister, der spätere Deutsche Meister im Berufsboxen 1946/1948, ist aus diesem Kreis am bekanntesten geworden. Einen Teil der Gaumeister, oft mehr als vier, stellte Prussia-Samland. Butzke wurde auch deutscher Polizeimeister, Kloos war 1928 Olympiateilnehmer, und Battke. Limbach, Eisenheim, Riemann, Stinski und andere waren die erfolgreichsten Kämpfer in den verschiedenen Klassen. Gegen die ersten Boxvereine in Deutschland trat die Prussia-Samland-Staffel an, und Butzke ist heute noch Boxsportwart in einem Kölner Großverein.

 

Während des Krieges 1914/1918 erlebte das Schlagballspiel einen gewaltigen Aufschwung. Der alte Walter-Simon-Platz sah unzählige Mannschaften im Kampf, und die Jugend strömte in großen Scharen zu diesen Spielen. Prussia-Samland gehörte bald zu den spielstärksten Mannschaften des Ostens. Ab 1920 Ostpreußenmeister, erwarb die Mannschaft für Ost- und Westpreußen die Teilnahmeberechtigung für die Deutschen Meisterschafts-Endspiele in München und dort ehrenvoll gegen die weitere deutsche Elite. Will, Köwius, Maeser l. Sudau, Korsch. Tamoschus, Groß und weitere waren die Spitzenkräfte der Schlagballmannschaften. Später wurde dann wieder das Spiel durch die Kampfspiele, vor allem durch das Handballspiel, abgelöst und verdrängt.

 

Prussia - Samlands Frauenabteilung. 1919 wieder durch Frau Gropp und Fräulein Nachtigall neu ins Leben gerufen, konnten ebenfalls Erfolge aufweisen. Frau Bläsner. Frau Egger und Frau Liedtke (Bolli!) waren die vielseitigsten und bestimmenden Kräfte in der Leichtathletik wie im Handball. Handball-Gaumeister wurde die Mannschaft 1934/1935 und siegte auch noch 1944 in einem sehr gut besetzten Turnier vor der sieggewohnten Asco-Mannschaft.

 

Und nun sollen einige Namen, die mit der Sportvereinigung Prussia-Samland während vieler Jahre besonders verbunden waren, alle unserer ehemaligen Mitglieder, von denen die meisten sich mit Recht und Stolz an ihre eigene im Verein geleistete Arbeit und an ihre eigenen sportlichen Erfolge immer wieder gern erinnern, die große, schöne Königsberger Sportzeit ins Gedächtnis zurückrufen.

 

Es traten besonders hervor:

 

Als Vereinsführer:

Ernst Nötzel (1905 bis 1911),

 

Harry Gropp (1912 bis 1920),

 

Joh. Harder (1927 bis 1939) und

 

Bruno Romahn (ab 1940 bis heute).

 

Als bedeutende Vorstandsmitglieder im Verband und Verein:

 

Fritz Döhring (1945 in Königsberg umgekommen),

 

Heinrich Singer,

 

Walter Schulz,

 

Harry Gropp,

 

Beuter,

 

Franz Lalla (Ehrenmitglied),

 

als älteste Mitglieder, die treu während der ganzen Jahre zum Verein gehalten haben:

 

Nötzel.

 

Schanter.

 

E. Konietzka,

 

Baaske,

 

Lalla,

 

Dr. W. Grossen,

 

H. Frisch,

 

H. Beier,

 

F. Sahm,

 

E. Bärwald,

 

Will, Gewitsch,

 

Edg. Gropp,

 

Brenke,

 

Muntau (internat. Schiedsrichter),

 

M. Kowalewski,

 

als erfolgreichste Jugendleiter:

Hans Frisch,

 

Franz Lalla,

 

Fr. Sahm,

 

H. Singer,

 

Gebr. Metzler,

 

Walter Schulz,

 

Paul Tiedemann.

 

Der ehrwürdige „Herzogsacker“, der „Radauplatz“, Walter-Simon-Platz waren in der Hauptsache die Sportstätten vor dem Entstehen der eigenen Platzanlage 1912 an der Steffeckstraße. Kein Geringerer als der damalige Deutsche Fußballmeister, der VfB Leipzig, spielte mit seinem internationalen Mittelläufer „Edy“ (Pendorf), Fritz Döhring hielt die Weiherede, und diese Platzanlage, später mit Tribüne, Klubhaus, Platzerweiterung, Saalanbau und Aschenbahn ausgestattet, nahm die Vereinsmitglieder auf und formte sie zu der großen, erfolgreichen Prussia-Samland-Familie.

 

Heute sehen wir vor unserem geistigen Auge nochmals alle diese Sportereignisse, die wir auf diesem Gelände an der Steffeckstraße in den ganzen Jahren in der Leichtathletik, im Fußball, bei Clubkämpfen, Werbeveranstaltungen miterleben durften. Wir sehen und erleben nochmals die Feierstunden, Feste im Kreise der Familienangehörigen, der Gäste und Gästemannschaften, wir erinnern uns aller Sportkameradinnen und Sportkameraden, besonders derer, mit denen wir heute nicht mehr Zusammensein können, wir denken an die letzte Weihnachtsfeier 1944, als Prussia-Samland fast allein nur noch aus Soldaten, Gastspielern und Jugendlichen überhaupt Mannschaften stellte, wie ein in vielen Teilen Deutschlands herumkommender Gastspieler mit Tränen in den Augen die vorbildliche Kameradschaft, wie er sie noch nirgendwo anders vorgefunden hatte, hervorhob, weiter an die treuen Kameraden von der Saar, die so oft und gern die weite Reise nach Königsberg unternahmen, und wir sehen nochmals die ganze große Vereinsplatz-Anlage, den Stolz jedes echten Prussia-Samländers.

 

Der Platz wurde bereits während der Verteidigung Königsberg sehr in Mitleidenschaft gezogen, die Tribüne und das Klubhaus wurden zerstört. Lediglich am Eingang stand noch das Ehrenmal, neben dem die letzte Ökonomin, Frau Tasch, begraben wurde, unversehrt. So nahmen die letzten Prussia-Samländer, der letzte wohl im Jahre 1948, tränenden Auges von ihrem geliebten Sportplatz, von Königsberg, von der Heimat, Abschied.

 

Bruno Romahn, der letzte Vereinsführer in der Heimat, hält auch heute wieder die Prussia-Samland-Familie mit ihrem Nachwuchs zusammen, und wir alle warten auf den Tag, an dem noch ein Großteil der alten treuen Mitglieder mit Hilfe des Nachwuchses in Königsberg und damit auch auf dem Prussia-Samland-Sportplatzgelände an der Steffeckstraße erneut seinen Einzug hält, und Prussia-Samland dann wieder auf heimischem Gelände nach dieser langen Zwangspause den Sport wieder aufbaut, und die alte stolze Tradition dieser ruhmreichen Sportvereinigung fortgesetzt werden kann. Möge dieser Tag nicht in allzu weiter Ferne liegen!

W. Ge.

  

 

 

Seite 15    Familienanzeigen

Gänzlich unerwartet verschied am 5. April 1954 in Hameln, im Alter von 54 Jahren, Turnbruder Stadtoberinspektor Albert Jagusch. In tiefstem Mitleid mit der so hart vom Schicksal geschlagenen Witwe, Turnschwester Irma Jagusch, geb. Martin, trauert die Elbinger Turngemeinde, mit der er früher  engstens verbunden war, und unsere ganze Turnerfamilie um diesen aufrechten und schlichten Mann, dem helfen und Dienen in der Gemeinschaft schönste und höchste Pflicht war. Auch dem Turnclub Hameln, dem er sich als Heimatvertriebene angeschlossen hatte, stellte er freudig sein Wissen und Können zur Verfügung. Als örtlicher Vertrauensmann bereitete er unser diesjähriges Wiedersehenstreffen in Hameln vor, bei dem wir ihn nunmehr schwerstens vermissen werden. Mit seinem Wesen und seinen Werken hat er sich ein unvergängliches Denkmal in den Turnerherzen gesetzt. Er wird unvergessen bleiben! Turnerfamilie Ostpreußen, Danzig, Westpreußen. Wilhelm Alm

 

Nach langem, schwerem Leiden entschlief heute meine liebe Frau, unsere gute Mutter, Schwiegermutter und Großmutter Agathe Popp, geb. Schulz, im 67. Lebensjahr. In tiefer Trauer: Richard Popp. Gerda Legien, geb. Popp. Edith Korsmeier, geb. Popp. Rudolf Korsmeier. Johanna und Detlev Korsmeier. Braunschweig, den 1. Mai 1954, Bismarckstraße 11. Früher: Königsberg, Preußen, Altstädt. Langgasse 69. Die Beerdigung fand am Mittwoch, dem 5. Mai, 11.15 Uhr, von der Kapelle des Hauptfriedhofes aus statt.

 

Ihre Verlobung geben bekannt: Sabine Bezzenberger. Carl-Otto Schütte, Architekt. Düsseldorf, Moorenstraße 5. Früher: Königsberg in Preußen. Düsseldorf, Gerresheimerstraße 12

 

Am Morgen des 3. April 1954 entschlief sanft im 83. Lebensjahr meine innigst geliebte Mutter, Frau Margaretha Minuth, geb. Schmidt. Witwe des früheren Gymnasialprofessors und Studienrats Fritz Minuth, Allenstein, Ostpreußen. In tiefer Trauer: Margaretha Minuth, Göttingen, Rohnsweg 80

 

Fern der heimatlichen Erde starben:

 

Amalie Gromball, geb. Schumann, aus Königsberg, Hindenburgstraße 27, 79 Jahre alt, am 5. April 1954 in Hannover

 

Emilie Westphal, geb. Runge aus Tilsit, 83 Jahre alt, am 31. März 1954 in Lüneburg.

 

Bruno Krakies, Bundesbahn-Obersekretär, aus Lyck, Hindenburgstraße 29, im Alter von 65 Jahren in Gevelsberg.

 

Karl Augustin, Oberlokführer i. R. aus Lyck, 67 Jahre alt, am 4. April 1954 in Hamburg-Harburg

 

Margarete Rettkowski, geb. Plater, aus Labiau, 76 Jahre alt, am 7. März 1954 in Eßlingen.

 

Karl Niederlehner, aus Königsberg, 75 Jahre alt, am 25. März 1954 in Obergebisbach, Kreis Säckingen.

 

Carl Strehl, Oberamtmann, aus Mühle Neuendorf, Kreis Lyck, 83 Jahre alt, am 31. März 1954 in Maschen/Winsen

 

Bernhard Liedtke, aus Königsberg, Alter Graben, 79 Jahre alt, am 31. März 1954 in Wietzen, Kreis Nienburg

 

Hermann Lehmann-Linkau, Gutsbesitzer, im Alter von 80 Jahren, am 26. März 1954 in Burg/Dithm.

 

Therese Perband, geb. Heß aus Langendorf-Zinten, im 74. Lebensjahre, am 20. März 1954 in Offenbach

 

Martha Mikoleit, geb. Kreutzer, aus Alt-Kattenau, 61 Jahre alt, am 1. April 1954 in Bremen-Lesum.

 

Richard Tolkemitt, aus Kampenhöfen, Kreis Labiau, 78 Jahre alt, am 31. März 1954 in Meißendorf bei Celle

 

Anna Hoff, geb. Jucknath aus Wehlau, 78 Jahre alt, am 21. März 1954 in Salzgitter-Gebhardshagen.

 

Margarete Reich, geb. Spruth, aus Seefeld bei Drugehnen, 59 Jahre alt, in Hasloh/Holstein

 

Johann Paura, aus Pangessen bei Prökuls (geschrieben wurde Prökuis), Landwirt, in Sibirien

 

Elina Stark, Sprach- und Handelsschullehrerin, aus Memel, 73 Jahre alt, am 8. März 1954, in Lünen-Horstmar.

 

Karl Maschewski, aus Reinkenthal, Kreis Treuburg, 76 Jahre alt, in Lüneburg

 

Martin Jurgeit, aus Memel, 75 Jahre alt, im März 1954, in Düsseldorf.

 

 

Seite 15   Suchanzeigen

Achtung! Wer kennt meinen Bruder Fritz Wildauer, geb. 29.12.1916 in Königsberg, früher wohnhaft Königsberg, Aweider Allee 2. War Obergefreiter bei der Artillerie. Zuletzt in Kurland zur Erholung gewesen. Letzte Nachricht vom Februar 1945. Feldpostnummer 27 136. Welcher Heimkehrer kann über seinen Verbleib Auskunft geben? Nachrichten erb. an Frl. Else Wildauer bei Rudat, Jeversen (Kreis Celle), Behelfsheim.

 

Bruno Skerra, aus Wormditt, der sich z. Zt. noch in Gefangenschaft in der UdSSR befindet, sucht seine Ehefrau Berta Skerra und seine 9 Kinder. Diese waren 1945 nach Pillau geflüchtet, um von dort aus nach Mittel- oder Westdeutschland zu fahren. Bruno Skerra ist am 13.03.1910 in Wormditt geboren. Er sucht außerdem noch seine beiden Schwestern und seine Mutter. Wer kann etwas über den Verbleib der Angehörigen des Landsmanns Skerra aussagen? Nachrichten sind zu richten an J. Harder, Bielefeld, Wallenbrückerstraße 27.

 

Gesucht wird Fr. Helene Paltinat, zuletzt wohnhaft in Königsberg, Bülowstraße 46, später evakuiert nach Fischhausen; ferner wird gesucht Helene Heske, zuletzt wohnhaft in Königsberg, Große Sandgasse 29, von ihrem Neffen Karlheinz Schlewinsky, Alsfeld (Oberhessen), Bürgermeister-Haas-Str. 41

 

Wer weiß etwas über den Verbleib meiner Geschwister: Franz Krieger, geb. 17.05.1925, Paul Krieger,  

geb. 23.04.1926, Gertrud Krieger, geb. 17.03.1928, Georg Krieger, geb. 13.04.1924, aus Heilsberg, Vorkstraße 8. Nachr. erb. Bruno Krieger, Heber 6, Kr. Soltau/ Hann.

 

 

 

Seite 16   Gott. Von Siegfried von der Trenck

Lieber allen Völkern, über allen Sternen

Hinter allen Zeiten, hinter allen Fernen

Bist Du, Gott allen –

Alle sind sie Dein.

 

Alle werdend und geworden,

im Verbluten und im Morden,

im Triumph und in der Pein,

im erzitternden Entstehen

im Zersplittern und Vergehen Dein.

 

Überall, wo sie auch weilen,

welches Schicksal sie auch teilen,

im Erblinden und im Schauen,

im Beseligen und im Schauen Dein.

 

 

Seite 16   Ostpreußen in Frankreich

Lediglich einem Zufall habe ich meine erste Zusammenkunft mit einem in Frankreich lebenden Ostpreußen zu verdanken. Ihm begegnete ich nicht in der Seine-Metropole, die Menschen aller Nationen und Landschaften zu einer Drehscheibe der Welt gemacht haben, sondern in einem kleinen Badeort an der Cote d'Argent zwischen Bordeaux und der spanischen Grenze.

 

Vor einem der zahlreichen „bistrots“, den kleinen freundlichen Restaurants, lasse ich mich in einem der auf dem Trottoir aufgestellten rotlackierten Stühlchen zu einem Aperitif nieder. Der „garcon“ (zu Deutsch: Kellner), ein blonder hochaufgeschossener Mann, der gar nicht in die Landschaft zu passen scheint, versucht in fließendem Französisch mit mir in ein Gespräch zu kommen. Allzu deutlich hört man aber bei ihm "das unverkennbare rollende ostpreußische „R“ heraus. Nur wenige Augenblicke dauert es, bis wir beide festgestellt haben, dass unsere gemeinsame Heimat über 2000 Kilometer weiter nordöstlich — in Königsberg liegt und wir die Unterhaltung in unserer Muttersprache fortsetzen.

 

Meine Frage, ob Frankreich ihm zu einer neuen Heimat geworden sei, kann unser ostpreußischer Landsmann weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Er teilt heute das Schicksal mit Tausenden von Deutschen in Frankreich: Seine erste unfreiwillige Zusammenkunft mit den Franzosen erlebte er 1944 bei der Gefangennahme durch französische Einheiten in Nordafrika. Ein Jahr später landet er in einem Gefangenenlager bei Bordeaux. Nach 15 Monaten wird er vor die Wahl gestellt, entweder in Frankreich als freier Arbeiter zu bleiben oder ein weiteres Jahr hinter dem Stacheldraht zu verbringen und danach über Westdeutschland zu seinen in der Sowjetzone lebenden Eltern zurückzukehren. Von der Schulbank zur Wehrmacht eingezogen, hat er während des Krieges keine Möglichkeit gehabt, sich beruflich fortzubilden. Schweren Herzens entschließt er sich, vorerst in Frankreich zu bleiben, auch wenn dies die Trennung von den nächsten Angehörigen bedeutet.

 

Er brauche diesen Beschluss nicht zu bereuen, sagt mir heute unser Landsmann. Von seinem Arbeitgeber wird er fast wie ein eigenes Kind behandelt, das überall frei schalten und walten kann. Neben freier Kost und Unterkunft erhält er monatlich 16 000 francs (= 193 DM). Gewiss sind die Lebenshaltungskosten in Frankreich höher als in Westdeutschland, von der Sowjetzone ganz zu schweigen; aber der Lohn reicht für ihn doch aus, um sich Jährlich einen Anzug, Schuhe und das zu kaufen, was am notwendigsten ist.

 

Ähnlich geht es auch einem anderen ostpreußischen Landsmann, dem ich wenig später in dem gleichen Restaurant begegne. In einem der über die Küste verstreuten Kinderheime ist er als „Mädchen für alles“ eine Vertrauensperson seines „Patron“ geworden. Auch er hat freie Unterkunft und Verpflegung und erhält 12 000 frs. im Monat. Mit den übrigen im Ort wohnenden vier deutschen freien Arbeiter halten unsere beiden ostpreußischen Landsleute gute Kameradschaft. Begierig greifen die Landsleute nach den von mir mitgebrachten deutschen Zeitungen. Jede Zeile, so versicherten sie mir, wird von ihnen in der Freizeit buchstäblich verschlungen, selbst wenn es sich um alte vergilbte Blätter und Annoncen handelt. Eine große Freude lösen die Heimatblätter aus.

 

Sicherlich darf man diese wie alle anderen Fälle auch, in denen es die Deutschen in Frankreich erträglich angetroffen haben, nicht verallgemeinern. Wenn sich aber die Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen während der beiden letzten Jahre allgemein gebessert haben, so ist dies nicht zuletzt auf die untadelige Haltung der dort tätigen deutschen Arbeiter zurückzuführen. Zwar kann der deutsche Arbeiter keineswegs sagen, dass er „wie der liebe Herrgott in Frankreich“ lebt und dass die von der französischen Regierung eingeräumten Vergünstigungen ihm eines Tages zu einem reichen Mann machen werden. Aber er vergisst nicht zu unterstreichen, dass die ihm von Frankreich gemachten Versprechen tatsächlich gehalten worden sind.

 

Gegenwärtig leben in Frankreich rund 120 000 Deutsche, von denen 78 000 unter Arbeitskontrakten stehen. Der Rest sind die Familienangehörigen. Nach dem Kriege sind es 35 000 Deutsche gewesen, die in Frankreich Arbeit suchten. Bei den anderen 48 000 handelt es sich ehemalige Kriegsgefangene.

 

Die Zahl, der in Frankreich lebenden Ostpreußen, kann weder von französischen noch von deutschen Stellen wenigstens ungefähr angegeben werden. Die französischen Stellen sind daran nicht interessiert, und bei der deutschen diplomatischen Vertretung in Paris haben bisher längst nicht alle Deutschen in Frankreich um Ausstellung eines Passes nachgesucht. Nach sehr vagen Schätzungen dürfte aber in Frankreich gegenwärtig etwa 2000 Ostpreußen leben. Auf meiner mehrwöchigen Reise durch unser westliches Nachbarland traf ich unsere Landsleute überall an: in der Landwirtschaft fast aller Departements, in der Industrie von Paris und den anderen Teilen des Landes. Nur wenige haben den Wunsch geäußert, nach Deutschland zurückzukehren, fast alle wollen sie aber in die Heimat, aus der sie vertrieben wurden, wenn diese sie einmal rufen sollte. Von ihrem Recht, nach fünfjährigem Aufenthalt die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben, haben die Deutschen kaum Gebrauch gemacht, weil sie wissen – und dies ist mir von sehr vielen immer wieder wörtlich gesagt worden -, dass man die Staatsangehörigkeit nicht wie ein Hemd wechselt. Zahlreiche Deutsche haben ihre Familienangehörigen nach Frankreich nachkommen lassen, andere haben sich auch mit Französinnen verheiratet, jedoch nicht in der Absicht, selbst einmal Franzosen zu werden. Die Deutschen in Frankreich – und dabei müssen die Heimatvertriebenen besonders erwähnt werden – denken heute vielfach kosmopolitischer und europäischer als ihre Landsleute in der Heimat. Wenn sie ihre Kinder in französischen Schulen schicken, empfinden sie dies nicht als die Befolgung eines französischen Gesetzes schlechthin, zumal in ihren Familien selbstverständlich Deutsch gesprochen wird. Auch in den Haushalten, in  denen der deutsche Ehemann neben seiner französischen Ehefrau steht, herrscht der Gebrauch der deutschen Sprache vor.

 

Ist die Bezahlung in verschiedenen Berufszweigen gering, so bietet doch die „Assurance sociale“ (Sozialversicherung) den Familien mit Kindern einen Ausgleich. Das Kindergeld, mit dem in Deutschland nicht zu vergleichen, ist. als zweites Gehalt zu werten, das vielfach den eigentlichen Lohn übersteigt. Ein landwirtschaftlicher Arbeiter erhält heute monatlich 8 bis 10 000 frs., bei einem Haushalt mit einem Kind zusätzlich 3000 frs., mit zwei Kindern 10 000 frs. und bei drei Kindern sogar weitere 19 000 frs.

 

Hervorzuheben ist, dass die deutschen Arbeiter in Frankreich ihren französischen Berufskollegen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und der Entlohnung völlig gleichgestellt sind. Wohl können dort unsere Landsleute das Departement und den Arbeitgeber wechseln, nicht aber ohne weiteren ihren bisher ausgeübten Beruf. Abgesehen von einer geringen Zahl deutscher Ingenieure beschränkt sich das berufliche Betätigungsfeld der Deutschen hauptsächlich auf die Landwirtschaft, die Industrie und die Bergwerke. Viele deutsche Frauen und Mädchen sind als Hausangestellte beschäftigt.

 

Der Erwerb von Grundbesitz ist allen Deutschen verboten. Dies ist umso mehr zu bedauern, als damit die Ansiedlung von Heimatvertriebenen praktisch unmöglich gemacht, zumindest aber bedeutend erschwert wird; bedauerlich aber auch deshalb, weil es heute in Frankreich durch die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgte Landflucht rund 80 000 verlassene Bauernhöfe gibt. Allein in drei südwestfranzösischen Departements (Frankreich besitzt insgesamt 90) sind mir zehn ostpreußische heimatvertriebene Bauernfamilien begegnet, die als landwirtschaftliche Arbeiter leben. Mit Hilfe des Lutherischen Weltbundes konnte jedoch einigen heimatvertriebenen Bauern zu einer kleineren eigenen Siedlung verholfen werden. Dieser Versuch einer Ansiedlungsaktion beschränkt sich vorerst nur auf die „Landes“, ein Departement zwischen Bordeaux und Biarritz. Die dort überall erkennbaren großen unbestellten Landflächen finden wir aber auch im Übrigen südlichen Frankreich.

Martin Captuller

 

 

Seite 16   Foto: Kopr Schirmherr des Landestreffens in Niedersachsen.

Der Niedersächsische Ministerpräsident Kopf empfing den Landesvorsitzenden des BvD und Landesgruppenleiter der Landsmannschaft Ostpreußen, Gossing, und den Landesgeschäftsführer der Landsmannschaft Ostpreußen, Bednarski und übernahm die Schirmherrschaft über das am 3./4. Juli in Hannover stattfindende „1. Landestreffen der Ostpreußen“. Leitwort des Landestreffens ist:

Ostpreußen - Dennoch Deutsch und allzeit unser!

Aufn.: Otto Hassenberg

Inhaltspezifische Aktionen