Ostpreußen-Warte, Folge 05 vom Mai 1953

Ostpreußen-Warte
Folge 05 vom Mai 1953

 

Seite 1   Zurück nach Potsdam? Niemals!

Unsere Antwort auf sowjetische Verlautbarungen

In der Weltpresse wird der „Prawda"-Artikel, in dem der Kreml eine erste Antwort auf die kürzliche Rede des amerikanischen Präsidenten erteilte, deshalb gerühmt, weil er die bisher in sowjetischen Verlautbarungen üblichen Beschimpfungen des Westens nicht aufweist. Ja, es wurde sogar gesagt, dass dieser „Prawda"-Artikel „die Tür nicht zuschlage". Unserer Auffassung nach ist es von geringerer Bedeutung, wie etwas gesagt wird, als was gesagt ist. Und in dieser Hinsicht enthält jener Aufsatz des sowjetamtlichen Organs eine so deutliche Umschreibung der sowjetischen Ziele, dass von der Deutschen Seite eine klare Antwort möglich wird, nachdem bisher eine abwartende Haltung am Platze schien, da man zunächst prüfen musste, ob nicht vielleicht doch eine „neue Politik" konstruktive Aspekte eröffnen könnte. Nun aber hat der Kreml erneut die Parole „zurück nach Potsdam" ausgegeben, und darauf kann es nur eine Antwort geben: Niemals!

Um dies zu verdeutlichen, seien einmal kurz die Bestimmungen in Betracht gezogen, die das „Potsdamer Abkommen" bezüglich Deutschlands enthält:

1. Vollständige Entwaffnung und Entmilitarisierung.

2. Dezentralisierung der politischen Struktur.

3. Dezentralisierung der Wirtschaft.

4. Kontrolle der gesamten deutschen Industrie.

5. Kontrolle der Exporte und Importe.

6. Verbot der Herstellung von Flugzeugen und Seeschiffen jeder Art.

7. Kontrolle der deutschen öffentlichen und privaten wissenschaftlichen Einrichtungen, Forschungs- und Versuchsanstalten, Laboratorien etc.

8. Kontrolle des gesamten Erziehungswesens.

9. Durchführung von Reparationsleistungen ohne Begrenzung.

10. Durchführung von Demontagen.

Nimmt man hinzu, dass sowjetischerseits die wenigen für Deutschland positiveren Bestimmungen — wie z. B. die Zusicherung der freien Betätigung von demokratischen Parteien in allen Zonen — systematisch sabotiert oder verfälscht worden sind und zieht man in Betracht, dass die Frage der deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße — entgegen dem klaren Wortlaut des Potsdamer Abkommens in Artikel IX B — als „endgültig geregelt" bezeichnet wird, so kann also die deutsche Antwort nur sein: Unter diesen Bedingungen: Niemals!

Das bedeutet aber wiederum, dass selbst diejenigen Kreise in Deutschland, welche durchaus eine Wiedervereinigung in Freiheit selbst um den Preis eines Verzichts auf die Integration im Rahmen der EVG ins Auge zu fassen geneigt waren, nunmehr ihre Position überprüfen müssen und werden. Der „Prawda“-Artikel legt die Vermutung nahe, dass es dem Kreml nur darum geht, durch Kontroll-Instanzen seinen Einfluss auch auf Westdeutschland auszudehnen. Und vor allem ist auch in Betracht zu ziehen, dass selbst eine „garantierte Neutralisierung" eines unbewaffneten Deutschlands nur zu leicht die Korea-Indochina-Situation herbeiführen kann, d. h. eine Lage, in der die Gefahr nicht unmittelbar von Moskau droht, sondern vielmehr von den Satelliten.

Im Ganzen gesehen, ist also zu sagen, dass die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands durch den „Prawda"-Artikel uns geradezu von der Tagesordnung abgesetzt zu sein scheint. Umso mehr, als dieser selbst hinter dem „stalinistischen" Vorschlag des Vorjahres zurückgeht, in dem wenigstens noch davon die Rede war, dass ein Vier-Zonen-Deutschland das Recht haben sollte, bewaffnete Streitkräfte zu einer Verteidigung gegen irgendwelche Aggressionen zu unterhalten. Und zieht man schließlich in Betracht, dass in der Sowjetzone eine „genügende" Anzahl von kommunistischen Stoß-Kaders — an der Spitze die „Volkspolizei" — errichtet wurde, um ggf. einen Umsturz nach Prager Muster zu bewerkstelligen, während auf der anderen Seite praktisch nichts vorhanden wäre, was den Gesetzen und Anordnungen einer selbst in wahrhaft freien Wahlen zustande gekommenen gesamtdeutschen Regierung zur Durchführung verhelfen könnte, so ergibt sich auch aus diesem Gesichtspunkte nur die Feststellung, dass der „Prawda"-Artikel durchaus nicht als geeignete Grundlage für die Fortführung einer „Friedensoffensive" betrachtet werden kann, deren Hintergründe er vielmehr nur zu deutlich enthüllt.

Die Alternative, die sich aber innen- und außenpolitisch für die westdeutsche Bevölkerung daraus ergibt, liegt auf der Hand.

 

Seite 1   Stadt Bochum, grüßt die Ostpreußen

Alle Teilnehmer am Bundestreffen der Ostpreußen heiße ich im Herzen des Ruhrgebietes herzlich willkommen. Viele Brüder und Schwestern aus den ostdeutschen Landen haben seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in unserem Revier eine zweite Heimat gefunden. Sie gehören heute bereits zum festen Bestandteil unserer Bevölkerung. Die wirtschaftliche Stärke des Ruhrgebietes verdanken wir ihrer tatkräftigen Mitarbeit. Der kulturelle Zusammenschluss der Ostpreußen in Landsmannschaften ist dem Leben und Geist unseres Gebietes in jeder Weise förderlich gewesen.

Aus Gründen der Humanität, ohne die wir Deutschen In der Welt nichts gewinnen können, wird auch die Stadt Bochum über die eigenen Nöte des Tages hinaus ihre helfende Hand den Vertriebenen, Umsiedlern und Sowjetzonen-Flüchtlingen reichen. Wir müssen für die Freiheit aller Deutschen Opfer bringen und der Welt, bei der sich ein Solidaritätsgefühl für unsere Flüchtlinge in steigendem Maße zeigt, durch die Tat ein Beispiel geben.

Was wir im Augenblick als Deutsche  tun müssen, ist, dass wir die moralische Kraft des Zusammenstehens im Sinne des Bemühens um die Anerkennung der Menschenrechte der ganzen Welt durch unsere helfende Tat demonstrieren. Ich möchte daher wünschen, dass das Bundestreffen der Ostpreußen in Bochum diesen Geist der Humanität In ehrlichster Verbundenheit für alle unsere Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem niemals vergessenen ostdeutschen Landen in die Welt ausstrahlen möge. Heinemann Oberbürgermeister

Foto: Bochum – Schaufenster des Reviers

 

Seite 1   Der Rhein rückt nach Osten Von Professor Hans von Hentig

Ein Forscher hat festgestellt, dass der Rhein stetig von West nach Ost rückt. Emmerich und Wesel hätten im Mittelalter noch nicht am Rhein gelegen, Xanten und Cleve bauten sich jetzt an toten Rheinarmen auf. Der große deutsche Fluss wandert nach Osten und verrät damit — auch mit seiner behutsamen Stetigkeit — tiefen politischen Instinkt. Er folgt damit der stummen Mahnung von Ernst Moritz Arndt, der vom Bonner Alten Zoll aus sinnend zur Weser und zur Elbe, ja zur Oder blickt. Er war voll heiligen Zornes über die, die den Rhein zum Limes eines Westreiches machen wollten. Und die Nation jubelte ihm zu, als er das Wort vom Rheine sprach, der Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze sei.

Heute hat sich das Wort Bismarcks bewahrheitet, dass deutscher Patriotismus, um tätig und wirksam zu werden, des Mediums dynastischer Anhänglichkeit bedürfe. Wenn man den Zustand fingiere, dass alle deutschen Dynastien beseitigt seien, würde das deutsche Nationalgefühl schwerlich alle Deutschen zusammenhalten, sobald es schwierig würde, ein Patriot zu sein. Die Deutschen würden fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen. Andere Völker bedürften einer solchen Vermittlung für ihr Nationalgefühl nicht. Polen, Ungarn, Italiener, Spanier und Franzosen würden unter jeder Dynastie und auch ohne Dynastie ihren Zusammenhang als Nation bewahren.

Das Unglück hat den Deutschen zwei Dinge in den Schoß geworfen, aus denen ein neues, maßvolles und gerechtes Nationalgefühl entstehen könnte. Die unsinnige Zerreißung der Nation in fünf Teile (Westdeutschland, Ostdeutschland, Berlin, Saar und von Polen verwaltetes Gebiet) und die Erfahrungen der letzten 30 Jahre. Weit entfernt, Europa zu vereinigen, zersplitterten Versailles und Trianon den Kontinent. Aus dem Leib Russlands, Deutschlands und der Donaumonarchie wurden Stücke geschnitten, die, der westlichen Bindungen beraubt, bei der ersten Gelegenheit dem Osten anheimfallen mussten. Anstatt die natürlichen wirtschaftlichen Beziehungen systematisch wieder anzuknüpfen und Wien wieder auf den Platz zu setzen, den ihm die Gesetze der Geographie zugewiesen haben, spricht Präsident Eisenhower von der neuen „Unabhängigkeit" der Randstaaten, die er in eine europäische Gemeinschaft hineinführen will. Die Hoffnungen und Forderungen sind so weit gespannt, sie beginnen beim Hausbau mit dem Dachfirst, sie sind geschichtlich und geophysisch unrealistisch, dass sie keine Aussicht auf Erfolg haben. Denn sie gründen sich auf dem ganzen Wust politischer Fehler von 1919, als wären es nicht nur die Ergebnisse höchster Weisheit, sondern auch unabänderlicher Tatsachen. Aus verewigten Trümmern und dem Befehl an alle diese Missgebilde, sich „zusammenzuschließen", kann nichts Gutes kommen. Wieder einmal werden die schwierigsten Probleme der Massenpsychologie und der Weltpolitik geistig vereinfacht und praktisch dadurch kompliziert. Ländermassen und große Wirtschaftsgebiete sind Kräfte der Anziehung. Darin ist Russland dem Westen weit voraus. Das alte Deutschland konnte enge Beziehungen mit seinen Nachbarn pflegen denn keine schlimmen Erinnerungen standen zwischen ihnen von zugefügten und noch mehr erlittenem Unrecht. Das westliche Rumpfdeutschland drängt nach Aachen, Paris und Rom. Es hat nicht das Prestige eines souveränen Staates, es ist besetzt, die politischen Beziehungen mit der Welt des Ostens sind abgerissen. Eine Anlehnung ist nicht möglich, solange Bonn zu schwach und zu abhängig ist, auf eigenen Füßen zu stehen. Das gespaltene Deutschland kann mit dem fest geschlossenen Russland nicht konkurrieren. Eisenhower malt eine Utopie an die Wand, die sich von der Wirklichkeit ebenso entfernt wie das Reich Karls des Großen. Russland will tauschen. Wenn es hergibt, wird es nur das zugestehen, was es loswerden will oder was gleichzeitig einem anderen etwas nimmt.

Das ist die deutsche Situation. In den europäischen Garnisonen verludern die russischen Soldaten, wie es nun einmal in allen Zeiten und bei allen Völkern ist. Russland will die westlichen Flugplätze zurückschieben. Um dieses Ziel zu erreichen, muss es sich selbst zurückziehen. Russland fürchtet eines auf der Welt: das amerikanische Material und die deutschen Soldaten. Es wird diese Kombination durch Konzessionen verhindern, die vielleicht zur Wiedervereinigung Deutschlands führen, wobei immer offen bleibt, was darunter territorial verstanden wird. Außer militärischen Ergebnissen würde die veränderte innenpolitische Lage Deutschlands (die sich sofort außenpolitisch auswirken würde) ein beachtenswerter Faktor sein. Der russische Abmarsch wäre kein Opfer, sondern würde durch den westlichen Rückzug in „bessere" Stellungen mehr als ausgeglichen werden. Es könnte daher zu freien Wahlen und zur Rückgabe der Gefangenen kommen, die bereits in Japan eingesetzt hat.

Nach langer Nacht erhellt sich, ganz dünn und zart noch, der östliche Himmel. Es lässt sich nur eines mit Sicherheit sagen: das Problem des Ostens war so mit Unvernunft, Unmenschlichkeit und autokratischer Ungerechtigkeit geladen, dass es wie jedes ganz Schlimme und ganz Falsche den Keim der Umkehr in sich trug. Außer Korea ist Deutschland das einzige Gebiet geblieben, auf dem beide großen Gegner sich stärken können, indem sie das aufgeben, was sie nicht ewig halten können. Sie können gleichzeitig einen wichtigen Propagandaerfolg erzielen: sie können die Welt von ihrer Friedensliebe überzeugen, die sie bislang nur im Munde führten und vom anderen verlangten. Der Friede aber ist — wie jedes große Kulturvolk — unteilbar und soll wie ein Kauf des Alltags beide Parteien zufrieden stellen. Russland und die Vereinigten Staaten müssen entscheiden, ob diese Voraussetzungen gegeben sind. Sonst bleibt nicht nur alles beim Alten, sondern es wird sehr, sehr viel schlimmer.

 

Seite 2   Tagung des „Göttinger Arbeitskreises"

Göttingen. Die vierte Jahrestagung seines Beirates hielt der „Göttinger Arbeitskreis" am 21. und 24.04.1953 in der Kleinen Aula der Georg-August-Universität ab. Es waren Vertreter hoher Regierungsstellen sowie ost- und westdeutscher Universitäten erschienen. Nach der Eröffnung der Tagung durch den Vorsitzenden des „Göttinger Arbeitskreises", Prof. Dr. Herbert Kraus, wurde über die Tätigkeit im vergangenen Jahr berichtet. Es konnte auf eine große Reihe neuer Publikationen über Probleme der Vertriebenen und ihrer Heimatgebiete hingewiesen werden. Neben der publizistischen Arbeit ist es vor allem ein Anliegen des Arbeitskreises, durch ständige Prüfung der an den deutschen Schulen verwandten Schulbücher und durch die laufende Bereitstellung einschlägigen Arbeitsmaterials in der „Schriftenreihe" Erbe und Auftrag der deutschen Heimatvertriebenen und ihrer ostdeutschen Heimat im Interesse Gesamtdeutschlands im Schulunterricht nachdrücklich zu vertreten.

Der erste Sitzungstag wurde durch einen Vortrag von Dozent Dr. Gotthold Rhode über „Massenaustreibungen in der Geschichte" eröffnet, wobei vor allem auf die seit den Tartarenstürmen im ostmitteleuropäischen Raum immer wieder erfolgenden Zwangsverschleppungen von Bevölkerungsgruppen hingewiesen wurde. Im Anschluss an diese historische Übersicht behandelte Prof. Dr. H. Kraus in einem Vortrag über „Massenaustreibungen und Völkermord" unter besonderem Hinweis auf die inzwischen abgeschlossene Genfer Konvention die Bestrebungen internationaler Gremien, Menschenwürde und Menschenrecht unter allen Umständen zu sichern und Verbrechen gegen die Menschlichkeit — worunter insbesondere auch die Massenaustreibungen fallen — unter Strafe zu stellen.

Am zweiten Sitzungstag wurde der Bericht der Prüfungskommission für das zweite Preisausschreiben des „Göttinger Arbeitskreises" Ostdeutsche Grundlagen des preußischen und österreichischen Staatsbewusstseins" vorgelegt. Die Kommission zeichnete eine Arbeit von Dr. Helmut Stabnieka (Linz, Österreich) aus, die sich insbesondere mit dem Verhältnis von Staat und Volkstum bei den deutschen Volksgruppen in der ehemaligen Donaumonarchie befasst. Den Vortrag dieses Sitzungstages hielt Botschafter a.D. Dr. Herbert von Dirksen über die außenpolitische Lage. In der anschließenden Aussprache wurde insbesondere die Rolle und Bedeutung des Warburg-Planes erörtert.

 

 

Seite 2   C. von Lorck neuer „Bohnenkönig"

Göttingen. Am 22.04. 1953 trat die „Gesellschaft der Freunde Kants" zu ihrer alljährlichen Gedächtnissitzung am Geburtstage des großen Königsberger Philosophen zusammen. Die Festrede hielt der bisherige „Bohnenkönig", General a. D. Friedrich Hoßbach , über den Einfluss Kants auf den Geist des preußisch-deutschen Offizierkorps. Der Vortragende wies in seinen Ausführungen nach, dass Kant und seine Lehre sowohl unmittelbar als auch mittelbar erhebliche Wirkung auf die geistige Ausbildung des Offizierskorps gehabt haben. So erinnerte General Hoßbach, aus eigener Kenntnis schöpfend, daran, dass der frühere Chef des Generalstabes und einer der führenden Köpfe der deutschen Widerstandsbewegung, General Beck, auf den bekannten „Mittwochgesellschaften" in Berlin häufig in seinen Vorträgen auf den philosophischen und sittlichen Erkenntnissen Kants aufbaute. Getreu dem alten Brauch, ermittelte die früher in Königsberg und jetzt in Göttingen ihren neuen Vorsitzenden durch das sogenannte Bohnenessen, wobei alle Teilnehmer eine Torte essen, in der sich eine Bohne befindet. Wer die Bohne erhält, wird „Bohnenkönig“. „Bohnenkönig“ für 1953/1954 wurde der Kulturhistoriker Dr. Carl von Lorck, der soeben mit einer Schrift über den Baustil ostpreußischer Gutshäuser hervorgetreten ist.

 

Seite 2   Deutsche Ostarchive in Göttingen

In zahlreichen Lastkraftwagen-Transporten wurde das Archivmaterial der Deutschen Ostarchive von Goslar nach Göttingen gebracht, wo es binnen kurzem wieder in vollem Umfange der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stehen wird. Bei den Beständen, die insgesamt etwa 200 Tonnen ausmachen, handelt es sich um das Archivmaterial ostdeutscher Einrichtungen — insbesondere des Königsberger Staatsarchivs, in dem das Deutsch-Ordens-Archiv enthalten ist, das gegen Kriegsende noch rechtzeitig gerettet werden konnte und auf Veranlassung der Besatzungsmacht zunächst in Goslar untergebracht worden war. Für die Wahl Göttingens als neuen Standort der Ostarchive war insbesondere maßgebend, dass sich in dieser Universitätsstadt des Landes Niedersachsen eine ganze Anzahl von ostdeutschen wissenschaftlichen Einrichtungen befindet — z.B. der „Göttinger Arbeitskreis", die „Meldestelle der Ost-Universitäten", die „Gesellschaft der Freunde Kants" usw. — und dass die Universität Göttingen selbst als Traditionsträgerin der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. sich laufend in Forschung und auch Lehre mit ostdeutschen Fragen befasst.

 

Seite 2   Exilpolnische Spekulationen

Paris. Unter Bezugnahme auf die Hamburger Erklärung des Bundeskanzlers, dass über die Frage der deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße mit Polen erst gesprochen werden solle, wenn die ostmitteleuropäischen Völker frei sein würden, schreibt der ultrachauvinistische exilpolnische „Narodowiec", dies bedeute „offensichtlich eine Änderung des Tones" auf deutscher Seite. Das in Lens erscheinende Mikolajczyk-Blatt will sogar wissen, dass „Adenauer in Washington auf Schwierigkeiten gestoßen" sei, als er versucht habe, die Frage der Oder-Neiße-Linie zu behandeln. Diese Entwicklung habe sich sofort im polnischen Exil-Lager selbst ausgewirkt, meint das Blatt, und fügt hinzu, dass der bisherige Fehlschlag Sosnkowskis bei seinen Bemühungen um die Herstellung einer Einigung unter den polnischen Exilgruppen hierauf zurückzuführen sei.

Gleichzeitig wendet sich der „Naredowiec" dagegen, dass der Berliner Oberbürgermeister Reuter an seine amerikanischen Freunde und an alliierte Stellen Grußkarten versandt habe, auf denen Deutschland mit den Grenzen von 1937 verzeichnet gewesen sei. Das Blatt fordert die Alliierten auf, „derartiges zu unterbinden".

 

Seite 2   Gemeinsame ZVD/VDL-Sitzung

Die Präsidien des ZVD und VDL sind übereingekommen, am 31. Mai 1953 eine gemeinsame Sitzung abzuhalten. Beide Präsidien werden auf dieser Sitzung zum BVD-Organisationsaufbau Stellung nehmen.

 

Seite 2   Ostsparer-Antragstermin verlängert

Das vom Lastenausgleichsausschuss der BVD/ ZDV ausgearbeitete Gesetz zur Änderung des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener ist nunmehr auch vom Bundesrat gebilligt worden. - Der Antragstermin wird auf den 31.08.1953 verlängert. Für Kriegsgefangene, Internierte und Verschollene können der Reihe nach der Ehegatte, die Abkömmlinge und die Eltern den Antrag stellen. Bei Vorlage des Sparbuches kann der Erbe die Ostsparerentschädigung für alle anderen Miterben in Empfang nehmen.

 

Seite 2   Unterhaltshilfe noch bis 30.06.1953

Durch eine im Bundesgesetzblatt vom 30. März veröffentlichte und mit Wirkung vom 31. März in Kraft getretene Änderungsverordnung der Bundesregierung zur Ersten Verordnung über Ausgleichsleistungen wird die Frist, bis zu der Unterhaltshilfe nach dem Soforthilfegesetz weitergezahlt wird, bis 30. Juni 1953 verlängert. Die Unterhaltshilfe wird einschließlich des Teuerungszuschlags bis zu diesem Termin weitergezahlt, soweit sich nicht aus dem Soforthilfegesetz eine Einstellung oder Herabsetzung zu einem früheren Zeitpunkt ergibt. Liegen die als Kriegsschadenrente zuerkannten Bezüge unter denen der Unterhaltshilfe, so werden bis 30. Juni die bisherigen Leistungen gewährt.

 

Seite 2   Tito gegen Oder-Neiße-Linie

Frankfurt/Main. Marschall Tito nahm in einem in deutscher Sprache geführten Interview mit einem Vertreter der „Neuen Zeitung" auch zur Frage der Wiedervereinigung Deutschlands und seiner zukünftigen Grenzen Stellung. Tito betonte, dass die Wiedervereinigung Deutschlands eine „historische Notwendigkeit und die Teilung nur eine zeitweilige Angelegenheit" sei. Auf die Frage, ob er an ein wiedervereinigtes Deutschland in den Grenzen von 1937 oder von 1945 denke, antwortete der Marschall: „Nicht von 1945! Deutschland hat zum Beispiel ein historisches Anrecht auf die von Russland übernommenen ostpreußischen Gebiete, die seit Urzeiten deutsch waren".

 

Seite 2   Bochum - Schaufenster des Reviers

Bochum ist das Schaufenster des Reviers, denn in dieser Stadt lernt man alle wirtschaftlichen, kulturellen und landschaftlichen Merkwürdigkeiten des Ruhrgebietes kennen. Als größte und bedeutendste Kohle- und Industriegroßstadt vermittelt Bochum die vielfältigsten Einblicke in das wirtschaftliche und soziale Kräftespiel an der Ruhr. Bochum hat sich in den letzten hundert Jahren von einer kleinen Ackerbürgerstadt mit kaum 6000 Einwohnern zu einer Großstadt mit heute fast 320 000 Einwohnern entwickelt. Kohle und Eisen gaben der Stadt diesen beispiellosen Auftrieb. So ist es nicht verwunderlich, dass Technik und Wissenschaft, hochentwickelte Bergwerks- und Kohleverwertungsanlagen, kontinentale Eisen-, Stahl- und Maschinenfabriken, Forschungsinstitute der Westf. Berggewerkschaftskasse, das Geologische Museum des Ruhrbergbaues und das in der ganzen Welt einmalige Bergbau-Museum in dieser Ruhrmetropole heute eine fruchtbringende Gemeinschaft bildet. Mittelpunkt sozialer und gewerkschaftlicher Bergbaufragen sind die Ruhr-Knappschaft, die Bergbau-Berufsgenossenschaft, das Silikoseinstitut, das Bergmannsheil als größtes unfallchirurgisches Krankenhaus und die Industriegewerkschaft Bergbau. Von keiner Stadt gehen so viele Impulse zugunsten der Ruhrwirtschaft aus wie von Bochum.

Dank eines nimmermüden Wiederaufbauwillens seiner Bevölkerung stellt Bochum heute Musterbeispiele der Stadtplanung und Stadtgestaltung sowie ausdrucksstarke Zweckbauten und vorbildliche Wohnsiedlungen zur Schau. Dieser lebendige Gestaltungswille wird in innigen Wechselbeziehungen von Industrie, Handel und Verkehr, Wirtschafts- und Berufsorganisationen weiter beflügelt mit dem Erfolg, dass leistungsfähige Kaufhäuser und Unterhaltungsstätten dem Besucher eine großstädtische Atmosphäre vermitteln.

Im Wechsel zwischen der alten Ackerbürgerstadt und der jungen Industriegroßstadt ist in Bochum eine Stadtlandschaft entstanden, in der sich Technik und Natur heute gegenüberstehen. Bochum war die erste Stadt des Ruhrgebietes, die bereits 1875 einen stimmungsvollen Landschaftsgarten, den heutigen Stadtpark, anlegte. Noch heute ist der Bochumer Stadtpark der baumkundlich reichhaltigste im industriellen Westen. Außerdem beherbergt er den Bochumer Tierpark, der mit dem größten Aquarium Westfalens jährlich Anziehungspunkt für Tausende von Besuchern ist. Im Ruhrtal besitzt Bochum noch romantische Landschaften in geräumiger Waldeinsamkeit und mit alten Burgen, wo die schwerarbeitende Bevölkerung der Stadt Erholung findet. Auch im Stadtinnern selbst machen ausgedehnte Grünflächen und schmucke Park- und Sportanlagen sowie zahlreiche Kleingärten Bochum besonders anziehend.

Gestützt auf eine über dreißigjährige Epoche, ist Bochum durch seine berühmte Schauspielbühne mit Shakespeare-Tradition zum Kulturzentrum des Ruhrgebietes geworden. Bochums Ruf als Theaterstadt und Sitz der deutschen Shakespeare-Gesellschaft wird mit Beginn der Spielzeit 1953/54 in dem wiederaufgebauten Theatergebäude an der Königsallee weitere Festigung erfahren. Ein vorzügliches Sinfonieorchester, zahlreiche arteigene Fachschulen und viele wissenschaftliche und künstlerische Vereinigungen unterstreichen darüber hinaus Bochums kulturelle Bedeutung.

 

„Treffpunkt Bochum — Schaufenster des Reviers" ist der Werbespruch der Stadt. Was dieser Werbespruch zum Ausdruck bringt hält Bochum auch. Jeder Besucher, der länger in dieser Stadt verweilt, kann sich davon überzeugen.

 

Seite 2   Das Soldatentreffen in Göttingen

Am Samstag, dem 29. und Sonntag, dem 30 August 1953, findet im 1000-jährigen Göttingen ein großes niedersächsisch-ostpreußisches Soldatentreifen statt. An diesem nehmen die Angehörigen folgender früherer Wehrmachtseinheiten teil: Aus dem ehem. Wehrkreis I Königsberg Ostpreußen, die 1., 11., 21., 61., 121., 161., 217. und 291 Inf. –Div., 1. Kav.-Div., 24. Pz-Div. und Korps- und Versorgungstruppen, Einheiten des Luftgaukommandos I, 1. Minensuchflottille. V. Marine-Art -Abt., - aus Niedersachsen 31. Inf.-Div. (Braunschweig), Div.-Stab 31, IR. 12, I.R 17, I.R. 82, A.A. 31, A.R. 31, A.R. 67. B.A. 31, Pz.-Jg.- Abt. 31, Pi.-Btl. 31, N.A. 31, Feld-Ers.-Btl. 31, San.-Abt. 31, Vet.-Kp. 31, Nachschub-Kp 31 – Kav.-Rgt. 3 und Kriegsnachfolgeeinheiten. Es ist die Einweihung einer Gefallenen-Gedächtnisstätte der oben genannten Einheiten vorgesehen. Anmeldungen sind sofort an das Städt. Verkehrsamt Göttingen, Rathaus, erbeten.

 

Seite 3   Hermann Sudermann. Sein Leben und Wirken. Von Professor Dr. Götz von Selle

Foto: Aufnahme von Hermann Sudermann aus seinen letzten Jahren

Foto: Hermann Sudermann vor seinem Schloss in Blankensee

Statt einer Reihe von Einzelpersonen bringen wir nachstehend eine Gesamtschau und Würdigung der Lebensarbeit dieses großen ostpreußischen Dichters aus berufener Feder. Alle in dem Artikel erwähnten Romane und Bücher sind in wohlfeilen Ausgaben bei der I. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart, erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung des genannten Verlages veröffentlichen wir nachstehende Bilder aus einer Auswahl seltener Archivstücke.

 

Ja, er war ein Dichter von Gottes Gnaden, der Sudermann. Und er hat Ostpreußen in seinem Werk dargestellt, er war der Dichter ostpreußischen Geschicks.

Auf der Höhe seines Ruhmes, den er aber weniger den Ostpreußen gewidmeten Werken verdankt, hat er einmal gesagt (1916): “Man ist seine dreißig Jahre lang in Berlin gewesen, hat vielleicht dies und das von dem fremden Leben angenommen — „assimiliert" und „akklimatisiert" nennens die Leute - aber im Tiefinnersten, da lebt man doch noch immer in dem kleinen Heydekrug an der Grenze. Man kanns nie loswerden, und es ist gut, dass es so und nicht anders ist."

Es ist wohl lange nicht von Sudermann die Rede gewesen. Wenn er heute wieder mehr in das Bewusstsein der Menschen gebracht wird, so hat sich die Bewertung seines Künstlertums unter dem Einfluss des welthistorischen Geschehens, in das unser Ostpreußen in so furchtbarer Weise hineingezogen wurde, stark verändert. Gewiss hat man in der Literaturwissenschaft auch schon früher gewusst, dass Sudermann in ostpreußischem Wesen wurzelt, aber man stellte diese Tatsache mehr am Rande fest. Die Zeitgenossen kannten ihn vor allem als den Verfasser einiger besonders zugkräftiger Theaterstücke die etwa wie „Die Ehre" von hunderttausenden um jubelt worden sind. Man hat damals viel über die literarische Abhängigkeit Sudermanns orakelt, man hat ihn freilich auch aufs schärfste angerufen. Maximilian Harden hat viele, viele Seiten seiner „Zukunft" damit angefüllt, um Vergleiche zwischen den neu aufkommenden Geistern der Zeit aus dem Auslande aufzustellen, um Sudermanns Kunst herabzusetzen. Es ist sicher, dass er kein Ibsen, kein Sardou war, was er mit den Großen gemeinsam hat, was ihm die Stimmen der Zeit einbrachten, das waren gewiss bei näherem Hinsehen Nebensächlichkeiten. Sudermann stellte sich von Anfang an als Meister der theatermäßigen Routine der Öffentlichkeit. Heute sind diese Dinge nicht mehr lebendig. Dabei kann man auch hier kaum von einer Abhängigkeit von der Kunst jener Meister sprechen.

Das Merkwürdige ist, dass Sudermann mit dem Augenblick seines literarischen Auftretens ein fertiger Mann ist. Er hat kaum fremde Einflüsse empfangen und hat sich im Wesentlichen in der Zeit seines langen Lebens nicht geändert. Immer stärker ist er sich der Wurzeln seiner künstlerischen Kraft bewusst geworden. Am reinsten strahlt diese aus den Werken, die der eigentlichen Heimat des Dichters erwachsen. Sie sind es aber auch, die heute vornehmlich den berechtigten Anspruch erheben können, wieder gelesen zu werden, denn sie sind ein Gruß aus der Heimat, unvergänglich, denn diese Bücher geben nicht nur Kenntnis von Land und Leuten, sondern sie sind in Wahrheit große Literatur der Deutschen. Man muss es dem Verlag J. C. Cotta, Stuttgart, aufrichtig danken, dass er sich entschloss, diese wichtigen Bücher wieder zugänglich zu machen. Wie die Herren Kröner es sicherlich niemals bedauert haben, dass sie im Jahre 1891 mit Hermann Sudermann einen Vertrag geschlossen haben, auf Grund dessen der Dichter ihnen sein gesamtes Schaffen anvertraute. Die Auflag, so manchen Werkes hat die Ziffer 100 000 weit überschritten. Darunter sind auch diejenigen Bücher, die der Heimat gewidmet sind und die der Verlag uns heute wieder gibt. Es sind dies: „Frau Sorge", „Der Katzensteg", die „Litauischen Geschichten" und „Das Bilderbuch meiner Jugend", das Sudermann selbst einen Roman nennt. Diese Bücher sind ihrer Entstehung nach über das Leben des Dichters verstreut. 1887 erscheint „Frau Sorge", 1922 das „Bilderbuch meiner Jugend". Es ist, als ob der Meister zu diesen Stoffen stets dann gegriffen hat, wenn er den Zwang verspürte, zu den tiefen Quellen seiner Künstlerschaft hinabzusteigen. 1926 ist er gestorben.

Im „Bilderbuch" hat Sudermann einmal gesagt: „Es ist keine leere Einbildung, wenn man sich etwas darauf zu gute tut, dem Bauerntum zu entstammen. Zum Größenwahn hat man freilich ebenso wenig das Recht, wie wenn man an den Stufen des Thrones geboren wurde, aber es ist ein Ding zu wissen, dass man irgendwo in mütterlicher Erde wurzelt, nicht anders als der Rebstock, über den dasselbe Strohdach sich schützend neigt, das schon vielen aufsprossenden Geschlechtern als Obhut und Zuflucht gegolten“. Das schreibt der Mann, den internationaler Ruhm von frühen Jahren an umbraust hat, allerdings hat es nicht an Misstönen gefehlt. Diese freilich hatten ihren Ursprung in rein formaler, wurzelloser Kritik. Aber kann es Wunder nehmen, dass im Leben dieses Mannes die eigene Mutter eine beherrschende Stellung eingenommen hat? Sudermann hatte das Glück, dass er die Mutter bis in ihr höchstes Alter am Leben wissen durfte. Immer wieder sucht er sie auf, gleichsam um neue Kraft in sich aufzunehmen. Gibt es Schöneres wie die Darstellung der Mutter im „Bilderbuch"? Und welch tiefe Rolle ist der Mutter in „Frau Sorge" gegeben!

Matziken hieß der Flecken, in dem Hermann Sudermann am 30. September 1857 geboren wurde. Der nächstgelegene größere Ort war Heydekrug. Der Vater hatte in Matziken eine Brauerei gepachtet. Die Familie leitete ihre Herkunft von holländischen Mennoniten ab, die einst Glaubensnot aus der Heimat vertrieben hatte. Sie waren am Weichseldelta angesiedelt worden und saßen dort auf kleinen Höfen. Sudermanns Mutter Dorothea Raabe entstammte einer alteingesessenen Familie, deren Mitglieder Seefahrer, Lehrer und Ärzte gewesen waren. Die Brauerei wurde in Hermanns früher Jugend nach Heydekrug verlegt. Auch hier aber war der Verdienst gering. Man trank dort nicht gern Bier. Die Verhältnisse der Familie Sudermann waren also keineswegs glänzend. Hermann besuchte in Heydekrug eine Privatschule, die von zwei Damen geleitet wurde. Als ein verbummelter Student aus Königsberg diese Schule übernahm, entschloss man sich, Hermann nach Elbing auf das Realgymnasium zu geben. Der Vater hätte aus eigenen Mitteln diesen Schulwechsel nicht bestreiten können. So nahm man die Hilfe einer Tante herzlich gern an. Vier Thaler im Monat sollte die Pension kosten, und diese wurden auch aufgebracht. Später ist Sudermann noch auf das Realgymnasium in Tilsit gekommen, wo er auch das Abiturientenexamen bestand. Alle diese Erlebnisse sind im „Bilderbuch" auf köstliche Weise dargestellt. Ein kleines Stückchen aus dieser Schilderung muss hier eingeschaltet werden, um einen Begriff von dieser unnachahmlichen Kunst zu vermitteln.

Das Abitur stand bevor, alles schien geklärt. „Nur eine Frage blieb noch zu regeln: Schnurrbart rasieren oder nicht rasieren?

Der Schulrat, der eigens zu diesem Examen Tilsit heimsuchte, galt nämlich als ein erbitterter Feind aller Bebärteten, und noch niemals, so ging das Gerücht, war einer durchgekommen, der die Dreistigkeit gehabt hatte, ihm im Flaum seiner sprießenden Jugend entgegenzutreten.

Bei mir war aber gar nicht einmal mehr von „Flaum" zu reden. Im Gegenteil. Ein ausgewachsenes, schöngeschwungenes Bärtchen, von zwei schmalen Zwillingsbürsten dauern betreut, zierte die Oberlippe. Es dem Schulrat vorzuführen, musste als eine Herausforderung gelten, die sich leicht mit einer Katastrophe rächen konnte. Latein war meine Schwäche geblieben, und die Jahreszahlen um die Salier und die französischen Heinriche herum hat noch keiner behalten.

Trotzdem, ich wagte es. Wer die Abschiedsrede — (für die Abiturienten) — als Bürgschaft in der Tasche trägt, darf sich über dergleichen Rücksichten erhaben fühlen.

„Wenn das nur gut ausgehen wird"! sagte erschrocken Gustav Schulz (der Freund), als er mich am Prüfungstage morgens in die Klasse treten sah, in der wir dem Schicksalsruf entgegenharrten, und ein anderer, der dicht neben der Schule zu Hause war, erbot sich sogar, rasch eine Schere herbeizuschaffen.

„Ach was, wir wollen es riskieren", sagte ich leichtsinnig.

Und dann klopfte auch schon der Schuldiener, der uns holte. Da saßen sie alle — unsere lieben Freunde und Quälgeister — und in ihrer Mitte ein Fremder, ein hagerer, bartloser — natürlich bartloser — Mann, der im Moment meines Eintritts mich mit den Augen zu packen bekam und nicht mehr loslassen wollte. Der Reihe nach wurden unsere Namen genannt, er achtete nicht darauf. Die Frageordnung wurde ihm unterbreitet — sie war ihm ganz egal. Er nickte nur immer geistesabwesend, und derweilen umwickelte er mich mit seinen Augen und knetete mich und speichelte mich ein wie die Natter den Spatz.

Der Direktor nahm ein Blatt und las geschäftsmäßig: „Von der mündlichen Prüfung werden dispensiert: Schulz, Engel —, dann kamen zwei Namen, die mir entfallen sind, und als letzter der meine.

„Im Namen des Herrn Schulrats und des Lehrerkollegiums gratuliere ich Ihnen. Sie können das Zimmer verlassen“.

Wir traten vor und verbeugten uns tief. Da merkte ich, dass ein schmerzhaftes Erstaunen über das Gesicht des Schulrats dahinlief, und als ich mich in der Tür noch einmal umwandte, sah ich seine Augen in liebender Sehnsucht noch immer an mich geklammert.

Diesem Shylock war ich glücklich entronnen, aber später, wenn ich mit dem berüchtigten „Sudermannbart" vor die Rampe getreten war, haben seine Kollegen, die Herren Recensenten, ihn pfundweise an meinem Leibe gerächt."

Diese kleine Kostbarkeit — fast ist man versucht, sie eine Miscelle zur Geschichte des „Sudermannbartes" zu nennen — enthält alle die hervortretenden Merkmale der Sudermannschen Stilkunst, unter denen die Ironie nicht das letzte ist. —

Sudermann hat dann in Königsberg und Berlin studiert. Obwohl er erst einen Versuch in der Apothekerlaufbahn gemacht hatte, widmete er sich nun dem philologischen Studium. Zu einem amtlichen Abschluss brachte er es nicht, Hauslehrerjahre folgten, schließlich die Tätigkeit als Journalist an verschiedenen Zeitungen. Der Führer der Liberalen im Berliner Abgeordnetenhaus verschaffte ihm die Arbeit an der Liberalen Korrespondenz, wo er als politischer Redakteur einige Zeit tätig war. Dann wurde er Leiter des „Deutschen Reichsblattes" und 1883 unpolitischer Mitarbeiter beim „Reichsfreund". Alle diese Organe standen im Dienst des Liberalismus. Während dieser Jahre war Sudermann ständig mit eigenen Arbeiten beschäftigt. Eine ganze Reihe von Erzählungen, die heute vergessen sind, erschienen im. Tageszeitungen. 1887 veröffentlichte er die „Zwielicht-Geschichten".

Im selben Jahr 1887 erschien sein erster selbständiger Roman „Frau Sorge". Dieses Buch ist eins, seiner meist gelesenster Werke geworden. Bis zum heutigen Tage wurden fast 400 000 Exemplare gedruckt. „Frau Sorge" ist ein Buch, dem man es anmerkt, dass sein Verfasser eine

starke Neigung zur dramatischen Kunst besitzt, die ihn ja schließlich auch zum Weltruhm geführt hat. Die Gliederung dieses Romans zeigt die Hand des Künstlers, der sich der Wirkung dramatischen Aufbaus voll bewusst ist. Das Buch stellt die Geschichte eines Mannes dar, der durch unendliche Hemmnisse zu seinem eigentlichen Leben kommt.

Die Krassheit des Geschehens trägt deutlich die Färbung ostpreußischen Wesens, die Verstrickung in die Schuld ermöglicht die Erlösung aus der Not, in die der Held durch natürliche Veranlagung und das Unvermögen, mit der Umwelt fertig zu werden, mit erbarmungsloser Härte gestoßen wird. Der Lebenskampf, den das Geschick der Hauptgestalt auferlegt, wird auf ostpreußischem Boden besonders verständlich. Gewiss wird das niemals ausgesprochen, aber gerade dadurch wirkt die Tatsache umso überzeugender. Sie wird noch unterstrichen durch die Gestalt des Vaters, dessen Wesen nur durch das Wort Maßlosigkeit zu kennzeichnen ist. Der Gegensatz zwischen Vater und Sohn bildet vielleicht den Kern der Erzählung, indem die Überwindung der zerstörerischen Kräfte in der Natur des Vaters den Sohn reifen lassen, eine Entwicklung jedoch, die den Sohn besonders durch die ihm aufgegebene und stets tief bewusste Sohnespflicht vor ungeheure Schwierigkeiten stellt, die nur durch das zarte Band, das Sohn und Mutter verbindet, eine Milderung erfahren.

Diese starke, elementare Kraft der Menschen Sudermanns ist das ausgezeichnete Merkmal in seiner Kunst der Menschendarstellung. Das gilt im positiven, wie im Negativen. Was er hier hinstellt, sind Menschen von Fleisch und Blut, es sind ostpreußische Menschen, die alles, was sie sind, ganz sind, Menschen, die sich zu keinem Zugeständnis bereitfinden, koste es auch das eigene Leben. Diese Unmittelbarkeit eines klaren Menschentums und die hohe Kunst Sudermanns, die Welt dieser Menschen darzustellen gibt, seinem Schrifttum den Charakter des Unvergänglichen. Gewiss, es liegt in diesen ostpreußischen Büchern — wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf — nichts von der Leidenschaft, die Sudermanns Dramen erfüllt, vor allem gilt dies nicht von seinem Drama „Die Ehre", das, heute fast ganz vergessen, damals eine sozial-kritische Anklage von unvorstellbarer Durchschlagskraft war. Aber jene Bücher, die für uns heute im Vordergrund des Sudermannschen Schaffens stehen, haben alle jenen dramatischen Hintergrund, der für ihn überhaupt charakteristisch ist. So auch die historische Novelle „Der Katzensteg", in der eine Episode aus den Befreiungskriegen berichtet wird, die aber zu ihrer eigentlichen Wirkung im angedeuteten Sinne erst durch die Gestalt der Tischlertochter Regine gelangt. Regine ist die Hauptfigur der Geschichte; ihr Geschick, ihr Opfer, ihre Schuld, ja, ihre Sünde, bestimmen das Geschehen dieser hinreißend erzählten Fabel und verleihen den dramatischen Adel.

Auch hier sei ein Wort aus diesem Buche angeführt, um die Tiefe dieser Kunst anzudeuten. Es sind die Gedanken des jungen Boleslav an der Leiche Regines:

„Heute, da es zu spät war, ward ihm ihr Wesen klar. Nein, kein Tier und kein Dämon war sie gewesen, sondern nichts wie ein ganzer und großer Mensch. — Eine jener Vollkreaturen wie sie geschaffen wurden, als der Herdenw??? mit seinen lähmenden Satzungen der Allmächtigen Natur noch nicht ins Handwerk gepfuscht hatte, als jedes junge Geschöpf sich ungehemmt zu blühender Kraft entwickeln konnte und eins blieb mit dem Naturleben im Bösen wie im Guten.

Und wie er dachte und sann, ward ihm zumute, als ob die Nebel sich lichteten, welche den Boden des menschlichen Seins vom menschlichen Bewusstsein trennen, und er sähe eine Strecke tiefer, als der Mensch sonst pflegt, in den Abgrund des Unbewussten hinein. Das, was man das Gute und das Böse nennt, wogte haltlos in den Nebeln der Oberfläche umher, drunten ruhte in träumender Kraft das — Natürliche.

Wen die Natur begnadet hat, sprach er zu sich, den lässt sie sicher in ihren dunklen Tiefen wurzeln und duldet, dass er dreist zum Lichte emporstrebe, ohne dass die Nebel der Weisheit und des Wahnes ihn hemmen und verwirren."

Es mag sein, dass der Katzensteg in mancher Hinsicht an die Tendenzen seiner Entstehungszeit gemahnt, den Realismus und Naturalismus, denen Sudermann zweifelsohne verhaftet ist, wie das auch andere seiner Werke aufweisen. Indes bricht doch überschattend die Kraft, unmittelbares Menschentum zu gestalten, ganz elementar hindurch. Diesen Eindruck vermitteln auch die berühmten „litauischen Geschichten", die ganz frei von allen literarischen Prinzipien gehabtes Leben in einem erschütternden dramatischen Geschehen völlig unreflektiert und doch in einer erstaunlichen Tiefe begriffen einfach erzählen. Mit Recht hat man diese Geschichten den Höhepunkt der Sudermannschen Erzählungskunst genannt. Hier lebt ostpreußischlitauisches Leben, alle Vor- und Nachteile dieser Art zu sein, sprechen aus diesen unvergesslichen Gestalten. Die stärkste dieser herrlichen Geschichten ist vielleicht die von „Miks Bumbullis", dessen Kindesliebe ihn über die Schuld zu erheben scheint, dabei der Unerbittlichkeit des Geschicks entgegensehend, als sei es urtümliches Gesetz. Bewundernswert sind die künstlerischen Mittel von Sudermann angewandt, um in die tiefsten Tiefen einer Natürlichkeit hinab zu loten, die nur ganz starken Naturen zugänglich ist. Diesen Zug trägt auch die Reise nach Tilsit, wenn auch das tragische Moment hier nicht so unmittelbar wirksam wird. Alle diese Geschichten sind Meisterwerke literarischer Porträtkunst, Menschen werden gezeichnet in der Fülle ihres Daseins, im Reichtum ihrer Seele, im Abgrund ihrer Leidenschaften. Das ist das formale Element dieser großen Kunst, das inhaltliche aber besteht darin, dass Sudermann Menschen der Heimat ein unvergängliches Leben schenkte.

 

Seite 4   Frühjarhsritt. Von Gertrud Papendick

Es fing damit an, dass das Wasser sich befreite und die Herrschaft gewann. Seine Zeit war gekommen.

Es wurde Gewalt und nahm seinen Laut. Es rieselte in hundert kleinen Rinnsalen von dem hochgelegene Gutshof nach dem Dorf und den Teichen hinab, auf denen das Eis geschwunden war; es schoss durch die Gräben talwärts den Wiesen zu, es rann und tropfte von Bäumen und Dächern und stand in Lachen auf allem, was Land war und Weg hieß. Es gab nirgend ein Durchkommen mehr, und es schien nicht geraten, das Haus zu Fuß zu verlassen. Denn es konnte geschehen, dass der zähe Lehm nicht losließ, was er hielt, oder dass man doch ein gutes Stück der heimatlichen Erde in schweren Klumpen an den Stiefeln mit sich forttrug.

Es gab nichts, was fest und sicher war als die Chaussee; sie zog als ein schmaler rettender Streifen durch eine Landschaft, die in Auflösung war.

Die weiten, weiten Wiesen, durch die der Fluss sich wand, verborgen, vom braunen Ufersaum seiner Büsche, waren eine einzige langgestreckte Blanke, und dem Gut, das dort unten lag, wuchs dieser See bis in den Park.

Kein grüner Schimmer an den frühen Sträuchern, kein sanfter Hauch in der Luft, auf der Wintersaat eine löcherige Decke von grauem Schnee. Nichts los da draußen. Hartes Land und hartes Wetter!

 

Aber das Wasser herrschte, und das war der Anfang ...

An einem Sonntagmorgen saßen und tafelten am festlichen Tisch die alten und die jungen Leute, die Großen und die Kleinen, — eine ganze Schar von Jungen, Jungen jeden Alters, eingeborene und geladene, Söhne und Vettern und Neffen. Es wuchs ein Geschlecht von Männern in diesem Hause heran, sie waren dem Boden entsprossen und alle miteinander zum Reiten geboren.

Dann gab es den großen Aufbruch.

Wir alle, die wir da waren, beritten und bereit. Es wurde nicht geduldet, dass einer nicht reiten konnte. Man musste es können.

Für jeden ein Pferd, das war das Gesetz des Hauses und die Ehre des Stalles, aus dem eine edle Zucht entsprang. Ein ganzes Aufgebot landeigenen Halbblutes wurde in der Auffahrt hin und her am Halfter geführt, bis es ans Aufsitzen ging.

Dann klapperten die vielen Hufe über das Pflaster des Hofes hinweg, und drüben ging es auf dem aufgeweichten Lindenweg, über die Bahngleise und auf das Vorwerk zu, in leichtem, fröhlichem Trabe davon. Es war in der Ordnung, dass Pferden und Reitern der Dreck um die Ohren flog und das Wasser an die Schenkel spritzte. Scharf und kalt war die Luft, an dem hohen Himmel jagten zerrissene Wolken ohne Ende dahin. Doch aus der braunen Scholle stiegen jubelnd die Lerchen hoch, und die Pferde hoben die Nasen witternd in den Wind.

Man spürte die vorwärtsdrängende Kraft durch die Zügelfaust bis ins Herz, die Stunde war da, nun kam die Befreiung. Noch ging es auf dem schmalen Rein zwischen den Äckern Pferd hinter Pferd im Schritt nach den Bauerweiden durch, die weit und frei wie unendliche Steppe, langsam ansteigend in die Ferne wuchsen.

Sacht trabten die Reiter auf dem offenen Gelände an, sie verhielten noch, eine demütig geschlossene Schar, vor dem großen Start.

Dann gab es den Kopf frei und stob hinan in den langen, heißen, herrlichen Galopp. Der brach los wie ein Sturm und fuhr dahin in den Frühling und in die Freiheit. Unter den schlagenden Hufen dröhnte die Erde, um die jagenden, fliegenden Leiber pfiff der Wind.

Im gelösten Feld, mit gestreckten Sprüngen ging der rasende Ritt dahin und fort in die Weite, es war der Ritt des neuen Lebens im Freien, ewig neuer Sieg des Lebens, wer konnte ihn halten?

Kein Glück, das ihm gleichkam, keine Lust, die ihn übertraf...

Wo die ungeheure Weidefläche ihre Höhe erreichte, war er am Ziel und zu Ende.

Die Schar der Reiter verhielt und hielt, ließ die dampfenden Pferde verschnaufen und hielt Umschau und kurze Rast.

Weit lag die Welt ringsum und klar gebreitet, man sah von hier oben voller Staunen, wie rund unter dem großen Himmel die Erdee war. Wiesen und Felder und die Höfe hineingelagert, Wasser und Wasser und hinten der Wald und drüben, aus einer Senke aufsteigend, die Türme der fernen Stadt.

Und das Ganze hieß Heimat und war Grundlage und Sicherheit des Lebens, unzerstörbar, was auch kam und kommen mochte, heiliger Besitz des Herzens, von neuem erobert mit den schnellen Hufen seiner Pferde.

 

Seite 4   Heuß empfing Göttinger Arbeitskreis

Bundespräsident Prof. Dr. Theodor He u ß empfing den Vorsitzenden des „Göttinger Arbeitskreises". Prof. Dr. Herbert Kraus, und dessen Stellvertreter, Landrat a. D. Dr. Freiherr von Wrangel, die ihm die bisher erschienenen drei Bände 1951 - 1953 des „Jahrbuchs der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr." überreichten. Durch das vom „Göttinger Arbeitskreis" herausgegebene Jahrbuch, an dem laufend die früheren Angehörigen des Lehrkörpers der Albertina mitwirken, wurde es der altehrwürdigen Universität Königsberg ermöglicht, sich weiterhin am internationalen Geistesgespräch der Gegenwart zu beteiligen. In einer 1 ½-stündigen Unterredung unterrichtete sich der Bundespräsident über die Arbeitsgebiete des von ostdeutschen Wissenschaftlern in Göttingen gebildeten Kreises und gab für dessen weitere Arbeit wertvollste Anregungen. Der Bundespräsident nahm auch lebhaftes Interesse an der Tätigkeit der „Gesellschaft der Freunde Kants", die einst aus der Tafelrunde des großen Königsberger Philosophen entstanden ist und die jetzt ebenfalls in Göttingen ihren Sitz hat.

 

Seite 4   Pfingsten. Von Gertrude Renate Nicolai

Der Frühling streut

mit liebender Hand

Blüten über

das bräutliche Land,

verschwenderisch,

wie ein Herz

nur gibt,

das ebenso

verschwenderisch liebt

 

Seite 4   Schmätt...

Schmidt sprach ein klassisches Ostpreußisch. Obwohl um Heiligenbeil herum geboren und lange an der munter rauschenden Alle wohnend — aus seinem Munde kamen die Laute des reinsten Volkstons aus Ostpreußen. Etwa so, wie man ihn in dem feuchten Dreieck Tilsit-Insterburg-Gumbinnen hörte.

So war es denn kein Wunder, dass er seinen schönen klaren Namen Schmidt bei gegenseitigem Sich-Vorstellen, am Fernsprecher und sonst wo „Schmätt" aussprach. Alle verstanden es so. Nur er war überzeugt, dass er soeben Schmidt gesagt hätte.

Da war er eines Abends wieder einmal nach langen Monaten im Kreise von Bekannten in der alten pregel-grauen Landeshauptstadt.

Behaglich saß er hinter seinem vollen Glas und plauderte. Erinnerungen wurden ausgetauscht, kluge Worte gesprochen und Schmidt war wieder jung im Kreise der Altersgenossen.

Da kam ein Nachzügler, der schon vor der Tür die herrlich breiten Laute hörte. Aha, dachte er, „Schmätt" ist wieder im Lande!

Er öffnete die Tür: richtig, da saß er. Warte, schmunzelte er, dich ziehe ich ein wenig auf. Und er trat auf ihn zu, reichte die Hand hin und sagte: „Tach, Schmätt — na, wie jeht?!"

Schmidt hielt mitten im Satz inne, haute das Glas mit Betonung auf die Tischplatte und erwiderte mit ruhigem Ernst, denn diese offensichtliche Verdrehung seines Namens ärgerte ihn nun doch: „Du — das jeht nich!  Erstens verbätt ich mir das und denn heiß ich nich so und drittens märk Dir das ein für alle Male: ich heiß nich Schmätt, sondern Schmätt!"

 

 

Seite 4   „Pingste“ / Von Wanda Wendlandt

„Jao, Du kannst metkaome, wenn wi Pingste oppe Ies schorre gaone" und „Warme Kielkes on koohle Nachtmötze" — diese beiden Redensarten meiner Heimat habe ich als Kind glühend gehasst, weil sie auf jeden Fall Ablehnung bedeuten, Ablehnung die erstere, wenn man gern von den „Großen" irgendwohin mitgenommen werden wollte und darum bat, und Ablehnung die zweite, wenn man etwas zu wissen wünschte, was für unsere Kinderohren angeblich noch nicht geeignet war. Am meisten aber hasste ich die erstere, weil diese Ablehnung die schmerzlichste war, weil die endgültigste — bei der andern blieb die vage Hoffnung, „später" die Wissbegierde befriedigt zu bekommen.

Aber nicht nur das schmerzliche Versagen eines heftigen Wunsches war mir so verhasst, sondern dass damit zugleich das mir liebste Fest in Misskredit gebracht wurde, denn Pfingsten „das liebliche Fest" bedeutete für unsere nördliche Heimat ja das eigentliche wahre Frühlingsfest! Nicht selten traf das „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche" endgültig erst für Pfingsten zu und wenn dieses Fest sehr früh im Jahr war, konnte es durchaus vorkommen, dass immer noch kleine Eisschollen im Haff umherschwammen, denn: „Önne Harwst wärmt de See aower önne Fröhjoahr köhlt se." Aber das waren denn höchstens kleine völlig morsche Eisschöllchen und auf gar keinen Fall solche, auf denen man „schorren" konnte — und darum nahm ich obige Redensart so sehr übel, denn in unsern nördlichen Breiten nach den langen kalten Wintern bedeutet der Frühling weitaus mehr als in den wärmeren Gegenden, und besonders wir Kinder harrten voll Sehnsucht seiner und „luurde wi e Kiekel op Schnodder" uf Pfingsten, denn Pfingsten war Frühling schlechthin! Pfingsten war frühes Geweckt werden durch rauschendes Vogelkonzert von einer Vielfalt und Klangfülle, wie man es nur dort auf der Nehrung, der Vogelzugstraße, erleben konnte; Pfingsten war Sonnenschein und Fliederwolken und üppige Beete von roten und gelben Tulpen und Narzissen, Pfingsten war schneeweiße wehende Tüllgardinen über weißgescheuerten Dielen mit Kalmus bestreut, war Duft und Wärme, war Maienbäume und Apfelblüte und weiße Kleider mit Wadenstrümpfen und rosa Zopfschleifen, war Glockenläuten und Dampfertuten. Ja, auch das war Pfingsten, — und es war recht eigentlich das, was unsere Pfingsten unverkennbar machte, unverwechselbar und gar nicht zu vergleichen mit Frühling und Pfingsten sonst in Dorf und Stadt: Acht lange Monate im Jahr lagen die wenigen Ortschaften der Nehrung in fast völliger Abgeschiedenheit, nur durch Pferdepost kümmerlich verbunden, die bei schlechten Wetter- und Wegeverhältnissen ganz ausfiel, konnten Reisen nur in tagelangen Wagenfahrten gemacht werden zu den meilenweit entfernten nächsten Orten — aber zu Pfingsten kam die Welt zu uns! Zu Pfingsten verkehrten auf jeden Fall mindestens 3 tägliche Tourendampfer und an den Sonntagen oder gar Pfingsten lagen oft ein volles Dutzend buntbewimpelter Dampfer an der „Brücke", wimmelnde Menschenmassen ergossen sich in endlosen Strömen in das sonst so stille Dorf und die „Gegend". Was Wunder, dass da regelmäßig an allen Sommersonntagen und erst recht zu Pfingsten auch unser Haus wimmelte von Besuchen aller Art, denn mein Vater war von unbegrenzter Gastfreundschaft und was kam, Bekannte oder Freunde oder auch ganz Fremde, wurde freundlichst aufgenommen und freigiebig bewirtet.

Uns Kindern lag dann ob, die Gäste umherzuführen und ihnen die Sehenswürdigkeiten der Gegend zu zeigen, die Vogelwarte, das Möwenbruch, Müllershöhe, die See — und als Krönung von allem wurde meist eine Fahrt ins Elchrevier unternommen. Solange wir Kinder waren, begeisterte uns jeder Besuch und mit Vergnügen machten wir die „Bärenführer", als wir aber anfingen, eigene Wege zu bevorzugen, sahen wir den Besucherströmen mit minderem Entzücken entgegen und drückten uns manchmal. Nur die Fahrten ins Elchrevier, sie waren und blieben unvergleichlich herrlich — für mich immer und unbedingt. Nicht aber immer und unbedingt für meinen älteren Bruder, der zum Experten auf diesem Gebiet geworden war und als „Elchrat" unbestrittenen Ruf gewonnen hatte und solche Fahrten allzu oft und unzählige Male machte, nicht nur mit unsern eigenen Gästen, sondern „Einer sagts dem Andern" auch von unzähligen Fremden darum angegangen wurde. Aus der ganzen Welt kamen sie, vom König von Sachsen bis zum Sohn des amerik. Präsidenten ist er wohl mit Prominenten aus aller Herren Länder ins Elchrevier gefahren, darunter auch an einem herrlichen Pfingstfrühmorgen mit Mr. M. aus Schottland.

„How do you do!" begrüßte er die Stütze Frl. Anna, die das als Vorstellung nahm und ihn mit der Meldung: „Herr Haujuju" zu meinem Bruder brachte — als „Mister Haujuju" ging er daraufhin in die Annalen der Familie ein. — „Fahren Sie mir in die Sump!" verlangte Mr. M. kategorisch von meinem Bruder, und es bereitete einige Schwierigkeiten bei seinem schottischen Dialekt und seinen geringen deutschen Sprachkenntnissen dem fürchterlichen Kauderwelsch zu entnehmen, dass er Elche zu fotografieren wünschte. Er hatte gelesen, dass Elche mooriges Dickicht bevorzugen und darum „Fahren Sie mir in die Sump!" Wir machten ihm verständlich, dass man auf Elchsuche entweder in aller Herrgottsfrühe oder am Spätnachmittag ausfahren müsse „Allright" nickte er befriedigt, „morgen 3h in the morning — ich sein allright zu fahren in die Sump!"

Man muss sie miterlebt haben, so eine Elchfahrt auf der Nehrung im Morgengrauen! Eine frische Brise voll herber Köstlichkeit, mit allen Düften des Frühlingswaldes und der reichen Nehrungsflora gesättigt, weht von der See uns entgegen und lässt trotz oder gerade einiger Unausgeschlafenheit alle Sinne hellwach werden. Angespannt späht man rechts und links in die Dämmerung, und diese Spannung schärft alle Sinne und vibriert in allen Nerven. Noch schlafen die Sänger des Waldes, aber der Wald ist trotzdem voller Leben: Immer wieder springt ein Reh uns über den Weg, hoppelt gemächlich oder rast erschreckt in tollen Haken ein Lampe davon und über die Waldschneise trottet Meister Grimbart von nächtlicher Jagd seinen heimatlichen Penaten zu. Durch die Geräusche unseres Wagens aufgestört, fährt hie und da ein kleiner Sänger aus dem Schlaf und probiert ein Morgenliedchen und von dort und da wird ihm, etwas verschlafen noch, Antwort. Die Pferde schnauben behaglich und „spielen" vor dem leichten Jagdwagen — aber einen Elch haben wir bisher trotz aller Aufmerksamkeit noch nicht gesichtet. „Mr. M. hat kein Glück" murmelt mein Bruder, „Wir müssen es noch an der „Tränke" versuchen. Er wendet den Wagen und in leichtem Trab geht es über die „Palwe" längst den hohen weißen Dunen. Noch ein Stück durch den Wald und der Wagen biegt auf die große Lichtung, in deren Mitte ein Wasserloch eine natürliche Tränke bildet. „Da stehen sie — aber Ruhe bitte!" flüstert mein Bruder. „Oh! - wonderful – wonderful! – Ich sein – ich sein very thrilled“ stammelt Mr. M. aufgeregt. Schon längst hat er seinen Kurbelkasten startbereit — es hat sich nämlich herausgestellt, dass er nicht nur knipsen, sondern Elche filmen will - das Stativ ausgezogen und über beide Wagensitze platziert. Jetzt klettert er auf den Rücksitz und fängt an zu kurbeln. Er hat wirklich Glück, der Mr. Haujuju, denn gleich 3 „Elchbolles", kapitale Burschen, stehen vor dem lichtgrünen Hintergrund und äugen ruhig zu uns herüber und die Sonne ist inzwischen so hoch, dass die ersten Strahlenspitzen das urige Bild erreichen. „Oh please, fahren nearer by" flüstert Mr. M. „Aber Ruhe bitte, Sie verscheuchen sonst die Elche", mahnt mein Bruder und schlängelt vorsichtig den Wagen näher heran. „Onkh — Onkh — Onkh —" mit den eigentümlichen Lauten beruhigt und lockt mein Bruder das Urwild. Noch verhalten sie ruhig, aber das kurbelnde Geräusch des Apparats ist ihnen offenbar verdächtig, zwei wenden ruhig und schreiten majestätisch in das Dickicht. „Oh — wonderful — wonderful!" stöhnt Mr. M. begeistert. Den Ersten und Stärksten aber reizt offensichtlich das Geräusch und der ungewöhnliche Anblick, den Mr. M. mit seinem gespreizten Stativ auf dem Rücksitz stehend bietet, und er macht in drohender Haltung ein paar Schritte auf den Wagen zu. „Vorsicht! Vorsicht!" mahnt mein Bruder dringlich — aber Mr. M. ist einfach futsch vor Entzücken und hört und, sieht nichts als seinen kurbelnden Apparat: „Wonderful — wonderful!" Der Elch senkt jetzt in offenem Zorn sein mächtiges Haupt — Mr. M. stöhnt: „Wonderful" und kurbelt wie rasend. Nun wird es aber selbst den Pferden unbehaglich — urplötzlich gibt es einen kurzen Ruck — und über den Rücksitz stangeln nur noch ein Paar großkarierte lange Beine im Gemenge mit den Stangen des Stativs. Der Elch steht verblüfft, als der Gegenstand seines Zornes so urplötzlich von der Bildfläche verschwunden ist, und mein Bruder bricht in eruptives Gelächter aus. Ich kann nicht umhin, einzustimmen, und bilde mir ein, dass auch über die urigen „Züge" des Graufells ein amüsiertes Schmunzeln huscht. Wie zum Beweis sotaner menschlicher Regungen hebt er hoch einen Vorderlauf und patsch! klatscht ein heftiger Schlag auf die Hinterhand unseres Rotschimmels, der erschrocken ins Geschirr springt — und mit ein paar Galoppsprüngen ist der Wagen raus aus „die Sump“. — „Ohne Perspektiv und Hut steigt er ruhig aus der Flut“, zittert mein Bruder Wilhelm Busch, als er die Pferde zum Halten gebracht hat und Mr. Haujujus langes Gesicht ungerührt über dem Wagensitz wieder aufgetaucht. –

„Nö, wörklich? – He hadd de Klompschoh oppjesätt?“ högte sich unser alte Michel beim Ausspannen und schlug sich vor Vergnügen auf die blankgewetzten Manchesterhosen. „Fräulein Anna“ ruft er über den Hof, „de Herr Jaujuju hadd de Klompschoh oppjesett!“

 

Seite 5   Suchanzeigen

Suche meine drei Brüder Gustav, Johann und Ferdinand Burblies, früher Sekenburg, Kr. Elchniederung. Adolf Burblies, jetzt Halchter 37 über Wolfenbüttel.

 

Frau Ulrika Geddack, nebst Ehemann Karl, ehem. Wohnort: Insterburg, Eckartshof; Frau Herta Krebstekies, geb. Schumacher, geb. 26.05.1905 und Ehemann Kurt, beide zuletzt wohnhaft Königsberg (Ostpreußen, Unterhaberberg 8a; Elisabeth Nagel, geb. Drozinski, geb. 08.01.1913 oder 1914 und Ehemann Walter, beide zuletzt wohnh. Danzig, Langfuhr a. d. Abtsmühle, werden gesucht von Frau Maria Jankowski. ehem. Trojahn, früher Insterburg (Ostpr.), Hindenburgstraße 44, jetzt 20b) Salzg.-Heerbe-Lager 37.

 

Pörschke, Herbert, Obergefreiter, Feldpostnummer: 12405c, geb. 14.09.1924, aus Königsberg, zuletzt Einsatz bei Treuburg, Ostpreußen. Wer weiß etwas von ihm? Nachr. erb. Lisbeth Kolberg, 17b Kandern in Baden.

 

Stefan Korell, geb. 31.03.1910 in Braunsberg/Ostpr., Hindenburgstraße 32, Friseurmeister i. Braunsberg, wird gesucht von Gertrud Hintzmann, geb. Korell, 21a Salzkotten i. W.. Am Stadtgraben 7.

 

Achtung, Heimkehrer! Suche meinen Mann, Obergefreiter Josef Kambach, Stamm-Komp. San Ers. u. Ausb.-Abt. I Görnau 6 bei Litzmannstadt. Heimatanschrift: Bischofsburg. Krs. Rößel, Walter-Flex-Straße 8. Nachr. erb. an Frau Maria Kammbach, Volkersheim, Haus 45, Krs. Ehingen/Donau 14b.

 

Thilo von Bila, Fahnenjunker-Reiter Bromberg. Letzter Einsatz 100 km von Blomberg, Bahndamm b. Friedingen am 28.01.1945, wird gesucht v. Elli von Bila, Bad Pyrmont. Bathildisstraße 2.

 

Fritz Brose, Elbing, Schriftleiter bei der Elbinger Zeitung und Familie Gerber, Amtsvorsteher, Poggenpfuhl bei Königsberg, werden gesucht von Franz Buchholz, früher Schönau b. Braunsberg, jetzt Waltrop i. W., Dortmunder Str. 2b bei Kuhn.

 

Suche Fam. Leo Netsch, früher Viehkaufmann in Jonkendorf, Krs. Allenstein. Familie soll sich in der Gegend von Hannover aufhalten. Nachricht an Albert Bergmann. Vechta, Ginsterweg 13.

 

Irmgard Ziegler, geb. 01.04.1915 (?), wohnte bis Juni 1947 in Königsbg. Letzte Nachr. Jan. 1948 aus Berlin-Lichtenberg, Krankenhaus Herzberge, wird gesucht von Hedwig Stahnke, Kiel, Hasseldieksdamm, Mettenhofer Weg 25.

 

Suche dringend folgende Familien aus Böttchersdorf, Kreis Bartenstein: Frau Anna Bartsch, Frau Johanna Dreßler, Herrn Hugo Eschmann, Frau Elfriede Godau, Herrn Hans Helbig, Frau Hedwig Krause, Herrn Otto Lindenau, Frau Martha Panter und Sohn, Herrn Fritz Pörschke oder Frau Gerda Herrn Franz Pählke oder Frau Auguste, Herrn Franz Scheffler, Frau Minna Schreiber, Herrn Franz Schröder, Herrn Karl Thulke oder Frau Minna, Herrn Gottlieb Trummer, Herrn Paul Wölk. Erbitte Nachr. oder Hinweise über möglichen Verbleib der Genannten. E. Mischke, 23 Bremen 11, Einbecker Straße 33.

 

Martha Roski, geb. Thiel, geb. 17.01.1880, Heimatort Heilsberg, Bartensteiner Str. 3, geflüchtet b. Ostseebad Horst (Pommern), Kreis Greifenberg. Letzte Nachr. Ende Februar 1945 an mich i. Wehrdienst, seitdem vermisst. Bereits seit 6 Jahren ohne Erfolg gesucht. Wer war mit ihr auf der Flucht zusammen? Wo ist sie vielleicht verstorben? Ist jemand im Besitz wichtiger Papiere? Nachr. erb. Sohn Paul Roski in 20b) Northeim (Hann.), Neustadt 6.

 

Suche meinen Sohn Gerhard Wolff, geb. 17.02.1929 in Eschenau, Kreis Heilsberg (Ostpr.). Er wurde am 13.02.1945 von den Russen aus Eschenau verschleppt. Nachricht erb. an Paul Wolff. Warendorf/W., Kanonenburg 2. Unkosten werden erstattet.

 

Kaufmann Albert Platz aus Königsberg, Mozartstraße 46, wurde als San. am 08.04.1945 v. d. Russen gefangen. Wer war mit ihm zusammen? Wer kann berichten? Oberstabsrichter Ulrich Platz, 100. Geb. J. Div., FP Nr. 24944. Wer kennt ihn oder weiß etwas über sein Schicksal? Richard Stollmeister, aus Weddendorf. FP Nr. 36586 B 1. Sturmgesch.-Abt. 245. Wer kann berichten? Porto wird in allen Fällen erstattet. Nachr. erb. Frau Helena Platz. 17a Karlsruhe-Süd, Luisenstraße 54 I.

 

Frl. Kläre Smaka, Königsberg. Luisenallee 78, zuletzt Lehrerin in Pobethen, wird gesucht von Anna Samlowski. 20b Göttingen, Lange Geismarstraße 13 I.

 

Suche meinen Mann, Steuerinsp. Bruno Breyer , geb. 24.03.1892 in Wehlau, zuletzt wohnhaft in Königsberg, Samitter Allee 55a. Er wurde zuletzt am 18.04.1945 im Lager Rauschen gesehen. Nachr. erboten an Frau Charlotte Breyer, 16 Wolfshagen, Bez. Kassel, Dellbrückenstraße 13.

 

Ich suche meine drei Söhne: 1. Anton Janowski, geb. 14.06.1909 In Wartenburg/Ostpreußen, 2. Leo Janowski, geb. 11.04.1911 in Wartenburg und 3. Otto Janowski, geb. 17.11.1912 in Wartenburg, Kreis Allenstein. Anton und Otto wohnten 1945 im Kreise Rössel, Leo im Kreise Wartenburg selbst. Letzte Nachricht von Sohn Otto aus dem Krankenhaus in Neustadt vom Januar 1945. Von Anton und Leo keine Nachricht. Wer weiß etwas über die Vermissten und kann Auskunft geben? Nachricht erbittet Frau Mathilde Janowski, Schirnau bei Rendsburg, Kreis Eckernförde (Altersheim).

 

Wer kennt das Schicksal der Eheleute Walter Bombolowski, Königsberg (Pr.), Laptauerstraße 20. B, sind im Mai 1945 von Wittenberge mit einem Transport angeblich nach Ostpreußen zurückgekehrt, aber seitdem verschollen. Nachricht erb. an Gertrud Kirsch, Köln, Weißenburgstraße 43.

 

Friedrich Neumann, geb. 28.03.1866, wohnhaft Gumbinnen, Herm.-Göringstraße 8, nach der Evakuierung Januar 1945 in Hohenstein, Bismarckstraße 3, bei E. Tiewald. E. Tiewald, Hohenstein (Ostpr.), Bismarckstr. 3. Otto Mekelburg, geb. 18.11.1907, wohnhaft Königsberg (Pr.), Nachtigallensteig 14, war Anfang 1945 in Danzig-Langfuhr bei Engler, Magdeburger Str. 102. Nachr. erb. an Friedrich Neumann, 13b Landshut, Niedermayerstraße 21b.

 

Ostpreußenkämpfer! Wer kann Auskunft geben über Küchenuffz. Hans Arndt, zuletzt im Einsatz a. d. Grenze Trakehnen, Gumbinnen-Goldap 1945, Feldp.-Nr. 19438 A. Nachricht erb. an Eduard Arndt, Altheim 2 bei Landshut, Niederbayern. Unkosten werden erstattet.

 

Ebenroder (Stallupöner)! Wer kennt meinen Stiefbruder Schneidermeister Otto Radtke aus Ebenrode, H.-M.-Jungstraße 8. und seine Angehörigen? Nachr. erb. an Eduard Arndt, Altheim 2 b. Landshut, Niederbayern. Unkosten werden erstattet.

 

Kaufmann Friedrich Marx, Königsberg, General-Litzmann-Str. 59, nebst Frau Lina und Tochter Fritzi; Alter des Gesuchten etwa 65 Jahre. — Frau Anna Thiel, verwitwete Sturgies. (Alter ungefähr 62 Jahre) nebst Söhnen Bruno und Herbert Strugies (Alter ungefähr 36 und 40 Jahre), früher wohnhaft Königsberg, Preylerweg 9. Nachr. erb. an Frau Herbert Günther, 22b) Braubach/Rh., Sonnengasse 1.

 

Frau Maria Bauchrowitz, geb. Mollenhauer, Kr. Allenstein. Diwitten, über 60 Jahre alt. Der Gatte (August) war Schmied. Die Eltern Mollenhauer hatten in Diwitten eine Fleischerei. Nachr. erb. an Elisabeth Pohl, Kreiskrankenhaus Sandhorst bei 23 Aurich/Ostfriesland. Desgl. wird gesucht Frau Ida Witt, geb. Hinz. Witt war Briefträger in Jommendorf, Kr. Allenstein. Vater Witt, ebenfalls ges., war Fleischermeister.

 

Frau Gertrude Hering, geb. Krakov, geboren 28.04.1869. Soll auf einem Transport nach der Ausweisung im Oktober 1946 verstorben sein. Wer weiß etwas von ihr? — Paul Hering und Frau, Pächter v. Rösseler Bär b. Rössel-Lengienen. Wer kann Auskunft geben über das Schicksal der Gesuchten? Nachricht erb. an Frau Maria Romahn, geb. Hering aus Wartenburg, zul. wohnh. Allenstein, H.-Göring-Str. Nr. 14, Jetzt 13a) Neumarkt/Obpf., Weinbergerstraße 19.

 

Wo mag unser Bruder sein? Fritz Gerhardt, geb. 27.05.1904, zul. wohnh. in Königsberg, beschäftigt zuletzt bei Schichau, und seine Braut, Marta Pech, geb. Klein, zuletzt wohnhaft in Königsberg, beschäftigt: Telegrafenamt, geb. 05.10.1902? Zuschriften erb. an Fam. Gerhardt, Schenefeld bei Hamburg, Blankeneser Chausee Nr. 53.

 

Über Haupt, Louis, Oberpostsekretär aus Memel, bzw. Ehefrau Grete und Kinder erbittet Nachricht: H. Mittelstaedt, 21b Niedermarsberg Westf., Karlstraße 2.

 

Russlandheimkehrer! Wer kann Auskunft geben über Uffz. Gerhard Bobeth, geb. 19.01.1906, zuletzt an der Kurlandfront; letzte Nachricht Januar 1945, Feldpostnr. unbekannt. Zivilberuf: Studienrat, zuletzt Marienburg/ Westpr. Nachr. erb. Hans Bobeth, Drogist, 23 Hüttenbusch 23, Bez. Bremen, fr. Marienburg/Westpreußen.

 

Marienstift in Königsberg! Wer kann Auskunft geben über den Verbleib der Insassen des Marienstiftes in Königsberg? Wer kennt Frl. Marie Scheuermann, die im Marienstift wohnte, und wer kann über ihren Tod oder ihr Schicksal nähere Auskunft geben? Nachricht erbeten an Frl. Elly Gehr, Oppenau im Renchtal/Baden/Schwarzwald. Vincentiushaus.

 

Hary Ulkan aus Rhein/Ostpr., wird gesucht von Frau Maria Romahn, 13a) Neumarkt/Obpf., Weinbergerstraße 19.

 

Wer kann Auskunft geben über Neumann, Herbert, geb. 28.04.1928 in Königsberg, Friedemannstr. 42. Entlassen aus dem Wehrertüchtigungslager Divenow (Pomm.). Im Lager Neuhof-Ragnit mit 50 anderen Jungen — darunter 7 bis 8 aus der Friedemannstr., zusammen gewesen. Dann am 21.04.1945 ins Lager Tauroggen (Litauen) gekommen. Weiter keine Nachricht. Wer weiß etwas über den Genannten? Auskunft erbittet Joseph Riediger, München 13, Hohenzollernstraße 114 II.

 

Siegfried Klafki, geb. 22.09.1928. aus Braunsberg/Ostpr., Zietherstraße 18. Wurde am 07.01.1946 zum RAD nach Königsberg eingezogen. Von da aus keine Nachricht mehr. Wer kann über meinen Sohn Auskunft geben? Nachr. erbittet Paul Klafki, Thönse 50 über Hannover.

 

Pokarr (oder Pokahr), Rudi, geb. etwa 1932, a. Königsbg., Pr., ehem. Straße der SA 62 oder 67, im Herbst 1944 zuletzt wohnhaft Karlsberg b. Rauschen. Rudi P. war Schüler des Friedrichskollegiums in Königsberg, Pr. Nachricht erbittet Peter-Jürgen Schierk, Bad Godesberg, Bismarckstraße 17 - 19.

 

Gesucht wird: Leutnant Erich Sperber, 25. Panzer-Div., 147. Panzer-Grenadier-Regt., 6. Komp, Garnison Züllichau v. Sept. - Nov. 1944. Am 16.01.1945 vermisst beim russ. Angriff a. d. Brückenkopf Warka/ Weichsel, nördl. Radom. Nachricht erb. Frau Jaeger, Happurg über Hersbruck.

 

Günter Baumann, geb. 1931, aus Königsberg, Pr., Am Wirrgraben 29, Günter B. wohnte zuletzt in Hamburg-Wandsbeck, FriedrichEbert-Damm 177 und ist von dort vor kurzem unbekannt verzogen. Nachricht erbittet Peter-Jürgen Schierk, Bad Godesberg, Bismarckstraße 17 - 19.

 

Georg Busse, Inspektor od. Oberinspektor d. Arbeitsamtes Königsberg, ferner die Sachbearbeiterinnen f. kfm. Angest. beim Königsb. Arbeitsamt, Frl. Borreck und Frl. Wendt werden gesucht von Frau Ruth Roepke, geb. Steinert. früher Georgenswalde, jetzt Harpenfeld, Post Bad Essen, Bez. Osnabrück.

 

Wer kann Auskunft geben über folgende Vermisste: Konrad Rohwerder aus Komeinen (zuletzt am Weichselbogen) und Familie Meller aus Mohrungen, Markt 5, Johann Meller und Frau Hildegard Meller (gew. Thiedig a. Migehnen) sowie Kinder Alfred, Waltraut, Irmgard und Horst, sämtlich aus Mohrungen, Markt 5. Nachr. erb. Frau Dora Rohwerder, Hirrlingen, Rottenburgerstr. 18, Kr. Tübingen (14b)

 

Fischhausen und Wehlau! Wer kann Auskunft geben, ob die Kataster- und Grundbuchämter von Wehlau und Fischhausen bzw. deren Akten verlagert worden sind. Wer kennt die jetzige Anschrift? Nachr. erb. an Ostpreußen-Warte, Göttingen.

 

Achtung! Heimkehrer aus Karaganda! Wer kann über m. beiden Töchter, Lotte und Christel Rhode, geb. in Gr.-Pentlack/ Ostpr., Auskunft geben? Nach Auskünften waren sie 1945 im Gefängnis in Königsberg, Krugstraße, von dort nach Spandienen b. Kbg. ins Gefangenenlager. Letzte Nachricht kam aus Karaganda, Telegramm aufgegeben am 19.12.1952, eingegangen am 22.12.1952. Meine Frau und 3. Tochter Irmgard starben 1946 in Königsberg den Hungertod. — Wer kennt meinen Sohn Rudolf Rohde, war in Ebenrode zuletzt Soldat, dann als vermisst gemeldet. Feldpost-Nr. L 61355. Vermutlich in russ. Gefangenschaft gekommen. Nachricht  erbet. an Rudolf Rohde, Straßenmeisterei in Drochtersen über Stade (Hann.).

 

Achtung, Bartensteiner! Suche meinen Onkel, Gustav Kunz, geb. 29.01.1892, wohnhaft in Bartenstein, Königsberger Straße, bei Bäckermeister Hempel. Kunz wurde am 10.02.1945 in Beißleiden, Krs. Bartenstein von den Russen verhaftet, Ende März 1945 im Gefängnis Bartenstein von Bekannten gesehen und im April 1945 mit vielen anderen Leidensgenossen auf Lastwagen fortgeschafft. Wer weiß etwas über seinen Verbleib? Nachricht erb. Ella Woyschezik, Göttingen, Birkenweg 28.

 

Familie Deumann aus Königsberg, Bismarckstraße 12, Vater war Eisenbahn-Zugführer, Sohn Bruno Stabsfeldwebel, verheiratet in Königsberg, und Tochter Minna werden gesucht von Frau Eugenie Krüger, 16 Eschborn i. T., Paulsgasse 15.

 

Frau Frieda Albrecht geb. Klimowitz, geb. 22.04.1917 in Bialla (Gehlenburg), Krs. Johannisburg, Pr., Löbenichtsche Langgasse 33, wird gesucht von Peter-Jürgen Schierk, Bad Godesberg, Bismarckstraße 17 - 19.

 

Seite 6   Zinten – 600 Jahre Stadt. Von Konrektor i. R. Heinrich Lenz

Zu unseren Bildern:

Die zum Stadtjubiläum 1913 festlich geschmückte Stadt Zinten und der Festzug.

Bild unten: Hauptpromenade im Zintener Stadtpark, am Gemeindehaus vorbei zum Wilhelmsplatz. Im Hintergrund Schule und Schlachthaus. Links Friedrichstraße und Wasserturm.

Aufnahmen: Archiv

 

Wer noch eine Chronik der Stadt Zinten besitzt, der erblickt auf der Vorderseite des Deckels die eingerahmte Zahl 600 und darunter den Titel des Buches: „Geschichte der Stadt Zinten" und das Stadtwappen. Diese Zahl 600 hat für uns Zintner eine doppelte Bedeutung. Damals, als das Buch zum Stadtjubiläum geschrieben wurde, bedeutete sie das Gründungsjahr (1313) und heute ihre Stadterhebung (1352). Das ist auseinanderzuhalten. Nur wenige von den 64 ostpreußischen, im Ambrassat geschilderten Städten, können, wenn sie nicht gerade einer Burg ihre Entstehung verdanken, das Gleiche von sich sagen. Aus der Kolonisation und Besiedlung Natangens ergibt sich, dass Zinten zu den ältesten Städten Ostpreußens gehört und 1313 gegründet worden ist, ehe der Hauptstrom der deutschen Einwanderung (1315 - 1335) einsetzte. Die beiden ältesten Urkunden von 1325 und 1341 beweisen das. Professor Berndt, Strehlen (Schlesien) behauptet sogar in seiner „Geschichte der Kolonisation Natangens", dass Zinten bereits 1313 ein Kirchdorf gewesen sei, weil 1341 schon der erste plebanus (Stadtpfr.) „Mathias" mit Namen genannt ist. Darum konnte Zinten am 23. und 24. August 1913 das Jahr seiner Gründung festlich begehen, und die heute in der Fremde lebenden älteren Zintner Geschlechter werden sich noch gerne mit Stolz und Freude jener sonnigen Augusttage erinnern, als sie im Glücksgefühl eines ungetrübten Friedens, der auf der Machtstellung unseres deutschen Vaterlandes beruhte, die 600-jährige Gründungsfeier ihrer Heimatstadt begehen durften. Wie ein Wunder erschien es uns, als nach langen, bangen Regentagen am vorletzten Tage das Wetter plötzlich aufklarte, und an den beiden Festtagen die Sonne über der festlich geschmückten Stadt erstrahlte. Diese Feier war das letzte und erhebendste, große historische Ereignis unserer Stadt, bei dem sich alle Bürger, ohne Unterschied, einmütig in Liebe und Treue zu ihrer Heimat und ihrem angestammten Herrscherhause zusammenfanden.

Durch die Zeitumstände ist aber das Jahr der Verleihung der Handfeste durch den Hochmeister Winrich von Keizerode am St. Elisabethstage (19. Nov.) des Jahres 1352 bedeutsamer für uns geworden als das Gründungsjahr, denn die vier Jahrzehnte, die seit dieser Feier vergangen sind, sind in ihrem Geschehen für uns und unsere Stadt schwerwiegender gewesen, als ihre geschichtliche Vergangenheit. Das hat jeder an seinem eigenen Leibe erfahren. Wir wissen, dass unserer Stadt zerstört und unsere schöne, ostpreußische Heimat, dieses weite, ertragreiche Land unter hohem Himmel, geschändet, misshandelt, aus tausend Wunden blutend, zu einem Land „unter dem Fluch" geworden ist. Uns aber möge das Bild, das wir von unserer geliebten Heimatstadt im Herzen tragen und nun in der Erinnerung vor uns erstehen lassen wollen, zum Segen gereichen.

Durch die Handfeste wurde Zinten zur Stadt erhoben, was selbst Brandenburg, der größten und volkreichsten Landgemeinde unseres Kreises Heiligenbeil, mit seinen 1600 Einwohnern nie gelungen ist, obwohl es um 1700 verfrüht als „Stättlein und Städtgen" bezeichnet worden ist. Durch die Handfeste erhielt Zinten Stadtrechte, Privilegien und vor allem das Marktrecht, außerdem ist sie sehr aufschlussreich für die ältere Vergangenheit, denn bei der damaligen sogenannten Stadtwirtschaftsform waren die Städte vom deutschen Ritterorden „bewusst als Mittelpunkt eines räumlich verhältnismäßig engbegrenzten Dorfsiedlungsgebietes angelegt und durchaus als Stätten des inneren Marktverkehrs und des kleingewerblichen Lebens, und vielleicht auch als Zufluchtsstätte für die Landbevölkerung bei Feindesnot gedacht“. So wurde auch unsere Stadt zum wirtschaftlichen Mittelpunkt für ihre Umgegend, und der Verkauf fand, da es keine Läden gab, in den Fleisch-, Brot- und Schuhbänken Öffentlich statt, wobei die Stadt zwei Drittel der Einnahmen bekam. Da in der Handfeste wohl die acht freien Schulzenhufen nicht aber der Name des Schultheißen genannt wird, wissen wir, dass Zinten nicht durch einen Lokator (Unternehmer) gegründet worden ist. In einer Urkunde vom Jahre 1554 erfahren wir den Grund davon. Der Bürgermeister Marcus Rolken berichtet, dass die Zintner mehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen seien und die Schulzenhufen zu sich loserten", d.h. durch das Los unter sich auf die Erbe in der Stadt verteilten, weshalb Herzog Albrecht auf Wunsch der Bürgerschaft im Jahre 1554 eine Neueinteilung des Stadtfeldes und der Hausmorgen vornahm. Da die Einkünfte des Schulzenamtes so stark geschmälert waren, zudem die Scholtisieverfassung im 14. Jahrh. abgeschafft wurde, so haben Zintner Schultheißen nie eine Rolle gespielt, obwohl sich noch 1551 Franz Jockel und 1561 Hans Thieme, alias Neuburger, als Schulzen ermitteln lassen, denn bereits 1399 erscheint in der 3. Urkunde der Geschichte Zintens der erste Bürgermeister (consul) neben den Ratsmannen und Schöffen, welche die Stadt verwalten. Zu Anfang des 17. Jahrh. übernimmt der Stadtrichter an Stelle des Schulzen den Vorsitz im Gericht. Das ist aus den Akten der Oberratsstube 1606 durch folgende Nachricht urkundlich belegt: „Jakob Hendtschel, ein Schuhknecht aus Schlesien, wird, wie .Richter und Schoppen der Stadt Zinten erkennen", mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden, nach gehaltener Inquisition (Folter). Ebenso hat Zinten auch eine Hexenverbrennung kennengelernt, denn in einer Amtsrechnung des Amtes Balge lesen wir: „1676/77 Vor der Tortur, Item vor die Exekution und Holzgerüstung bei Verbrennung der inhaftierten Zauberin aus Zinten am 31. Januar hat der Scharfrichter außer den sonstigen Gebühren 22 Gr. für Pulver erhalten."

1723 ging das Amt des Schöppenmeisters ein. Nicht zu unterschätzen war für die Zintner Bürger der Ertrag der Badestube und der Fischereigerechtigkeit in den „Stradickflüssern“. Durch den Krebsreichtum muss Zinten einen gewissen Ruf gehabt haben, denn als König Friedrich Wilhelm III. 1803 zu einer großen Revue nach Königsberg kam, erhielt der Magistrat die Aufforderung, sofort 20 Schck. Krebse an die Kgl. Küche zu liefern, wofür drei Soldaten mit einem Torpassierschein versehen, sie gegen Bezahlung von 7 Tlr. 82 Gr. 9 Pf. abzuliefern.

Zinten war überreich mit Wald dotiert. Der Waldreichtum betrug bis in die herzogliche Zeit nachweislich 48 Hufen. Der 1341 verliehene Barthlangen wurde durch das neue Eingemeindungsgesetz (01.10.1928) von Zinten abgetrennt und parzellenweise an die Stolzenberger Bauern verkauft. Geblieben ist nur unser naher Stadtwald Damerau, der den größten Reichtum unserer Stadt darstellte und immer herhalten musste, den städtischen Haushaltsetat auszugleichen.

Aufsehen erregte 1938 das beim Bau der Eisenbahnstrecke nach Heiligenbeil am Otter Wald freigelegte Gräberfeld aus heidnischer Zeit (3.-6. Jahrh. n. Chr.), das in 58 Grabstellen reiche Funde zu Tage förderte. Unwillkürlich bringt man es mit dem ganz nahegelegenen Heiligen Berg in Verbindung (119 m), und der Heimatforscher glaubt in diesem seines Namens wegen, eine altpreußische Kultstätte gefunden zu haben, weil der Pflug auf der Kuppe des Berges als Beigabe einen 18 cbm fassenden, vielleicht früher als Opferstein dienenden Steinblock freigab. Dadurch erweist sich die sagenhafte Erklärung des Berges mit den Schwedenglocken (Gesch. Zintens, 65) als sinnlos und gesucht.

Da wir es bei unserer diesmaligen Stadtfeier nicht wie 1913 mit etwas Werdendem, Entstehendem zu tun haben, sondern mit etwas schon geschichtlich Gewordenem, können wir diesen Teil unserer Betrachtung nicht besser schließen, als wenn wir allem zuvor unserer Kirche gedenken. Einmal, weil sie in der Geschichte Zintens den breitesten Raum einnimmt, zum andern, weil sie in der damaligen Zeit des Mittelalters auf die Gemüter eine gewaltige Macht ausübte und mehr als heute den Mittelpunkt des geistigen und bürgerlichen Lebens bildete. Die Kirche, auf dem höchst gelegenen Punkt der Stadt, dem Kirchenberg, erbaut, war ebenso wie St. Georg in Rastenburg eine ausgesprochene Wehrkirche. Vom Kirchenberg aus schossen die Bürger ihre brennenden Feuerpfeile in das feindliche Lager in der Vorstadt. Unsere Kirche trotzte bis 1716 allen Stürmen der Zeit, und selbst nach dem großen Brande blieben ihre festen Mauern stehen, und sie hinterließ uns als Heiligtum und Hauptsehenswürdigkeit unserer Stadt die Vorhalle im N. In ihr erblickt man zwei nebeneinander liegende, achtteilige Sterngewölbe, mit elegant gezeichneten Stabrippen ohne Konsolen. So ist auch der ursprüngliche Baustil gewesen, ähnlich der schönen Bartensteiner Kirche. Die Vorhalle ist in den dreißiger Jahren mit großen Kosten erneuert und kirchlichen Zwecken dienstbar gemacht worden. Bedeutungsvoller war aber die vollständige Renovation unserer Kirche an der Schwelle unseres Jahrhunderts (1908), deren Gesamtkosten sich auf 19 000 Mark beliefen. Dann versteht man erst die Opferfreudigkeit unserer Gemeinde zu schätzen, wenn man sich dankbar in Erinnerung ruft, dass sie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen 1927 für das Gemeindehaus 77 000 Mark und bereits drei Jahre später 1930 für die neue Glocke 5003 Mark und für den neuen Turmbau im Ordensstift 19 466 Mark aufbrachte. Eine erhebendere und eindrucksvollere Feier als am 9. November 1930 ist wohl nie im neuen Saal des Gemeindehauses gehalten worden, bei der ich den Festvortrag halten durfte, auf besonderen Wunsch des anwesenden Generalsuperintendenten D. Genrich.

Es geziemt sich, an dieser Stelle sich dankbar der Kreiswaisenhausschwester Marie Neumann, der langjährigen Gemeindeschwester Auguste Müller und der Leiterin des Kindergartens Frl. Wessel zu erinnern, die alle vorbildlich jahrelang in ihrem Beruf aufgingen und oft unter schwersten Mühen segensreich für Kreis und Stadt wirkten.

Zinten lag zur Ordenszeit in einem Kranz von vier festen Burgen (Balza, Brandenburg, Creuzburg, Eylau). Es war damals der Typ einer wehrhaften deutschen Ordensstadt mit Mauern und Stadtgraben, Türmen und Toren, mit seinem Markt in der Mitte und der Mühle. Es hatte nicht umsonst den jedem Zintner Bürger wohlbekannten Ochsenkopf zwischen den beiden gekreuzten Türmen in seinem Stadtwappen, welche die Wehrhaftigkeit und Arbeitsamkeit symbolisieren. Nur bei der großen Popularität dieses Ochsenkopfes konnte es sich begeben, dass die Arbeiter, als sie beim Bau der Badeanstalt in vier Meter Tiefe den wohlerhaltenen Schädel eines Auerochsen fanden, diesen triumphierend ins Rathaus zum Bürgermeister Dr. Ruprecht trugen und riefen: „Herr Bürgermeisters, wir bringen ihnen das Zintner Stadtwappen!" Das Schicksal hat es gefügt, dass die Verleihung der Handfeste 1352 in den Anfanq der dreißigjährigen Regierungszeit des bedeutendsten Hochmeisters Winrich von Kniprode (1351 bis 1382) fällt und vielleicht gehörte die Verleihung dieser bedeutsamsten Urkunde unserer Stadt zu seinen ersten Amtshandlungen. Mit dem ganzen Lande erblühte in dem neuangebrochenen „goldenen Zeitalter“ auch die junge Stadt Zinten. Wenn man die Geschichte des Zintner Ordonnanzkruges (Bild in der Gesch. Z's S. 106) liest, muss zur damaligen Ordenszeit ein lebhafter Verkehr geherrscht haben, denn hier trafen die Wege der beiden Burgen Balga und Brandenburg zusammen, von wo sie weiter in das Innere der langgestreckten Kanturei Balga, vom Kammeramt Zinten über die Landschaft Woria (Landsberg) bis über die Kammerämter Rastenburg, Rhein und Seesten im S. hinabführten.

Wie mögen unsere Vorfahren gestaunt haben, wenn der Großkomtur gar mit Gefolge in den weißen Mänteln und dem schwarzen Kreuz darauf bei dem Zintner Kammer- und Mühlmeister Rast machte und dabei 21 ß Schilling verzehrte. Allem unseren Vorfahren erging es dann, wie uns Heutigen. Auf der Höhe militärischer Machtentfaltung und kultureller Blüte brach der Ordensstaat nach der Entscheidungsschlacht bei Tannenberg 1410 zusammen, und nach genau 100-jährigem Bestehen wurde Zinten 1414 von unserem polnischen Erbfeind mit „viehischer Grausamkeit zerstört". Frauen und Jungfrauen wurden in der Kirche „geschmäht", das Kruzifix mit Füßen getreten, 24 Bürger „erschlagen" und 10 Jungen weggetrieben, der Gesamtschaden mit 10 303 M angegeben. (Es ist dabei der 30-fache Kurs anzusetzen.)

So erlebte die Stadt zum ersten Male das traurige Schicksal, das sie in späteren Jahren noch oft getroffen hat, denn die Zintner Brandchronik stellt in der Gesamtheit 21 Brände fest. In 53-jährigem Kampfe ward das Preußenland der deutschen Kultur erschlossen, in dem nun folgenden Bürgerkriege (1454 - 1466) wurde es durch die Unbotmäßigkeit der Konvente und dem feindlich gesinnten Städtebund (1440) zu Grunde gerichtet. Dabei berührt uns die Treue unserer Stadt umso angenehmer.

Aus einer vergilbten Urkunde das Ordensbr. Arch. ersehen wir, in welcher Bedrängnis sich unsere Stadt schon nach siebenjähriger Kriegsdauer befand. Für die böhmischen Söldner hatte sie die unverhältnismäßig hohe Summe von 400 M zu zahlen; denn i. J. 1454 rangierte Zinten unter 48 ostpr. Städten in der steuerlichen Rangfolge mit 400 M an 11. Stelle, während Heiligenbeil nur 200, Gerdauen gar nur 50 M aufzubringen vermochten. Nach dem Thorner Frieden (1466) nahm die Finanznot so zu, dass im Jahre 1480 unsere Stadt nebst 31 umhegenden Dörfern an die Söldnerführer Anselm und Hans v. Tettau für 1600 ungarische Gulden verpfändet u. verschrieben werde" mussten. Erst im Jahre 1496 löste der Bischof Johannes von Pomesanien aus Dankbarkeit gegen den Orden die Gebiete Zinten und Kreuzburg für insgesamt 6583 M aus, und so brachte der Hochmeister 1501 beim Tode des Bischofs die Stadt Zinten wieder in seinen Besitz. Im Reiterkriege (1520) bekundeten die Zintener Bürger einen bewundernswerten Mut. Der ausführliche Bericht der Anführer an den Hochmeister enthält eine anschauliche Schilderung in der Geschichte Zintens, S. 45. Trotzdem musste am 5. Juli der letzte Rest der Stadt den Flammen geopfert werden. Ein tiefes Mitgefühl ergreift uns, dass die Stadt am 5. September 1593 auf Kirche und Widdem zum 3. Mal abbrannte Es vergeht kein Jhrh. ohne Brände. Im Schwedisch Polnischen Krieg bekamen unsere Bürger die schwersten Einquartierungslasten zu tragen, und es wurden ihnen an barem Gelde 5271 M ausgepresst. Auch die Franzosenzeit im Unglücklichen Krieg 1806/7, von der noch meine Großmutter Selbsterlebtes erzählt hat, blieb bei dem Volke in bösem Andenken. Bei dem großen Sterben (1809) blieb unsere Stadt wie durch ein Wunder verschont. Am 16. April 1716 brach durch einen Totalbrand, dem auch die Kirche zum Opfer fiel, das größte Unglück herein, das die Existenz der Stadt damals in Frage stellte, und die Stadt Jahrzehnte lang die Tendenz des Sinkens der Einwohnerschaft beibehielt. Das steuerliche Verhältnis zwischen Heiligenbeil und Zinten beweist das wieder am deutlichsten. H. war an die 9te, Zinten an die 20. Stelle gerückt. (Ostpr. Foliamt 737). Die Seelenzahl betrug 1818, Gebäude 263 und 180 Scheunen, die ganz besonders den ländlichen Charakter der Kleinstadt betonen. Auch 1800 war Zinten noch kaum über seine Mauern hinausgewachsen. Sie bot das Bild, welches ich von meiner Vaterstadt in einem Relief (1,10 m im Quadrat) mit meinem Freunde Adolf Gronan (bekannter Samlandforscher) für die Stadt fertigte, und welches auf seinem Rahmen in silbernen Buchstaben die bezeichnende Umschrift trug: „Du wirst leben Land, wir vergehen". Herr Mittelschullehrer Born, Z. verlieh dem Relief sachgemäß die wirkungsvollen Farben. 1818 wurden die 3 Torschreiber an andere Orte versetzt, und Zinten zum offenen Ort erklärt. Das Töpfertor wurde 1847 als letztes pietätlos als Verkehrshindernis abgebrochen. Wenige Jahre vorher hatte Zinten aufgehört Garnisonstadt zu sein. Bereits 1655 tauchen in den Kirchenbüchern die ersten Truppen auf. Von 1663 - 1670 haben Teile des Surrinischen Regts. in Zinten gestanden, von denen sich noch 10 Namen in den Kirchenbüchern nachweisen lassen. Die Geschichte der Garnison (27 S.) wurde von mir vollständig bearbeitet für die Festschrift, anlässlich des Einzuges der 1. Abt. des Panzer-Rgts.10 in die neuen Kasernen am 26. März 1938. Nach 1800 stand hier zuletzt nur noch eine Invalidenkompanie, deren Chefs alle in Zinten gestorben und begraben sind. Ihr Ende ist ein trauriges Kapitel des damaligen Soldatenstandes.

Die Separation 1828 - 1842 bedeutete den großen Wendepunkt in der gesamten Wirtschaftsführung der Stadt. Sie war ein „Gemeinteilungsverfahren“ bei der die Aufteilung der Ländereien, die Bonitierung und die Anlegung neuer Kommunikationswege große Schwierigkeiten bereiteten. Damals wurde die Zintner Flur zum ersten Male durch das Heiligenbeiler Katasteramt kartographisch aufgenommen. Danach beträgt der städtische Flächenraum 1443 Hektar. Davon sind privates Eigentum 1161 und städtisches 282 Hektar. Von letzterem 231 Hektar Wald und 54 Hektar Ackerland und Wiesen. Das gesamte Land wurde von 166 Eigentümern bewirtschaftet. Vor dem Kriege zählte die Stadt 3300 Einwohner, 1925 3554, 1930 stieg diese Zahl auf 4032 – weitere Entwicklung am Schluss -).

Nach der Konsignation von 1716 zählte man 334 Handwerker, darunter waren die Tuchmacher mit 57 Meistern, die bei weitem größte Zunft, weshalb Zinten den Ruf einer Tuchmacherstadt hatte, wozu sich noch die beiden andern Attribute als „Ausland" und „Luftkurort" gesellen. Bis zum Jahre 1900 war Zinten eine ausgesprochene Ackerbürger- und Handwerkerstadt, darum nehmen in der Geschichte Zintens nach der Kirche die Gewerke und das Innungsleben mit 40 S. den größten Raum ein, weil damals das handwerkliche Erwerbsleben eine ganz andere Rolle spielte als in heutiger Zeit. In Zinten haben zeitweise 20 Innungen bestanden, darunter solche, deren Namen längst verklungen sind. In meinen Knabenjahren gab es noch einen „Blottner" Casemir, in der Meierei einen „Schwertfeger". Schirrmacher und Bechler.

Jahrhundertelange Gewohnheit ließ unsere Vorfahren gar nicht das Unwirtschaftliche ihrer Arbeit empfinden. Die Zeit kalkulierten sie überhaupt bei ihrer Arbeit so wie heute nicht. Die Ackerbürger gewöhnten sich aber daran, auch ohne Scheunen ihre Landwirtschaft rentabler zu betreiben, und die Fortschritte der Zeit trugen das Ihre dazu bei, den ländlichen Charakter zu verwischen, wenn man dabei auch nicht vergessen darf, dass bereits im 17. und 18. Jahrhundert im Stradicktal in unserem Kirchspiel ein beachtenswertes Industriezentrum entstand. 1634 entstand bereits die erste Papiermühle in der Ecker, der andere folgten. Damals, als das Handwerk der Nagelschmiede noch einen goldenen Boden hatte, entstanden neben den Papiermühlen nacheinander mehrere Eisenhämmer, deren letzter der zur Stadt Zinten gehörige Rudolfshammer (1837) war, aus welchem die hochmodern eingerichtete Mühle Rudolfshammer hervorging, die so eingerichtet war, dass ein Hebelgriff genügte, die Mühle bei zu schwacher Wasserkraft auf elektrische Akkumulatorenkraft umzuschalten. Seitdem Zinten 1885 Bahn erhielt (Königsberg—Allenstein), ging es mit der Stadt aufwärts, und es entstanden nach und nach wirtschaftliche Industrieanlagen, deren Bedeutung über die Grenzen der Provinz hinausgingen. Die älteste Industrieanlage ist die Mühle, deren Anlage schon in der Handfeste eine Hauptsorge des Ordens war. Er behielt sie als Einnahmequelle zunächst in seiner Hand. Georg von Pohlentz verpachtete sie, bis sie infolge der Geldbedürfnisse des Staates durch ein Kgl. Rescript für 620 Taler an Joachim Heuer verkauft wurde. Sie ist dann noch durch zehn weitere Hände gegangen, bis sie sich unter den letzten Besitzern (Pauly, Lehmann, Frommhagen) zu einem Großunternehmen entwickelte. Die Jahresleistung betrug 120 000 Zentner, der Silo fasste 10000 Zentner. Ein sechsteiliger Plansichter schüttelte das Getreide durch 13 Siebe. Zwei Turbinen leisteten je 60 PS. Zu den ältesten Müllern gehörte Blasius Thiel (Schwarzes Hausbuch Belge), der Urahn des bekannten Kirchenliederdichters Valentin Thilo (präkisierte Form, * 1603), der Jüngere genannt.

Wir können den industriellen Betrieben Zintens leider nicht den Raum gewähren, den sie ihrer Bedeutung nach verdienen. Zinten als Tuchmacherstadt war aber auf Gedeih und Verderb mit der Wassermühle verbunden. Die Geschichte der Walkmühle lässt mit besonderer Deutlichkeit erkennen, wie früh schon die Mühle eine einschneidende Bedeutung im Leben unserer Bürger gewann, in neuerer Zeit besonders, als sie unsere Stadt mit elektrischem Licht versorgte. Die Tuchmacher hatten ewig Streit mit dem Mühlenbesitzer des Wasserverbrauchs wegen, und ihre Walkmühle blieb neben der Wassermühle 300 Jahre lang immer ein Stiefkind des Stradicks. Unter dem Soldatenkönig und Friedrich dem Großen war die Glanzzeit der Tuchmacher. Als 1854 die Armeelieferungen aufhörten, erlagen die Tuchmacher der Konkurrenz mit Maschinenbetrieb. Es erfüllt mich jedes Mal mit Wehmut, wenn ich lese, dass 1891 die Benutzung der Walkmühle als lebensgefährlich polizeilich verboten wurde, trotzdem aber dem einzigen noch lebenden Tuchmacher Fritz Kriegsmann, dessen Schellengeläute in seinen guten Tagen bei Schlittenpartien alle anderen überbot, nun in seinem kümmerlichen Dasein nicht gestattete, die Innung aufzuheben, weil das Allgemeine Landrecht besagte, dass eine Innung nicht als erloschen gelte, solange noch ein Meister lebte. Außerdem war noch eine Domänenamortisationsrente von 72 Mark aufzubringen. So musste K., der nun alt geworden war, in den letzten Jahren alle Ausgaben aus seinen privaten Mitteln bestreiten. Erst als die Stadt die Walkmühle abbrechen ließ und für ganze 90 Mark an einen hiesigen Kaufmann verkaufte, wurde die alte Tuchmacherinnung aufgehoben. Ein wohl einzig dastehendes Handwerkerschicksal!

Zinten hat neben der Wassermühle einen der größten und modernst eingerichteten Molkereibetriebe. 1876 als Genossenschaftsmeierei gegründet, war sie zuletzt Privatbesitz von Sepp Haßlinger. Jährlich wurden etwa 5 Millionen Liter Milch zu Butter und Käse verarbeitet. Die Lagerräume boten Platz für 20000 Käse, und in den weiträumigen Stallungen zählte man zeitweise bis 1000 Schweine. Ihre Milchprodukte haben den guten Ruf unserer Stadt bis weit ins Reich hinausgetragen und zur Ernährung im Reich wesentlich beigesteuert. Erwähnenswert wären noch die Sägewerke von Stolz (Inn. E. Maecklenburg) und Matzkuhn, die Zement- und Grabsteinfabrik Kolitz und die Seifenfabrik von Worm, die namentlich wegen der Gewinnung des Glyzerins im Kriege eine solche Ausdehnung gewann, dass in der Nähe der Bahn neue hochmoderne Fabrikanlagen entstanden. Dem neuen prächtigen Wohn- und Geschäftshaus der Firma musste das älteste Haus Zintens weichen. Mit ihm schwand Altzinten dahin.

Fortsetzung folgt

 

Seite 7   „Ostpreußische Gutshäuser“ erschienen

Carl von Lorck, Ostpreußische Gutshäuser. Bauform und Kulturgehalt, mit einem beschreibenden Verzeichnis der Gutshäuser, 138 Bildern und 20 Textskizzen, Holzner Verlag, Kitzingen/Main 1953 (Deutsche Baukunst im Osten,. Herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis, Band 3, Veröffentlichung des Arbeitskreises Nr. 68), Preis 12,80 DM.

Es ist ein bedeutendes kunstwissenschaftliches Werk, dieses Buch von C. v. Lorck. Aber es ist auch ein Heimatbuch, ein preußisches Buch im edelsten Sinne. Wie der Verfasser es für sich in Anspruch nehmen kann, dass er vor 20 Jahren (als dieses Buch seine erste Auflage erlebte), in ein kunstgeschichtliches Neuland vorgestoßen war, und dass seitdem ein ganzer Forschungszweig sich an seine Arbeit anfügt, der sich keineswegs auf deutsches Gebiet beschränkte, so hat v. L. auch insofern etwas Neues geschaffen, in dem er über den Rahmen der kunstgeschichtlichen Forschung in der Neufassung seines Buches hinausging. Er ist — und das ist von großer Bedeutung — von einer rein stilgeschichtlichen Untersuchung vorgeschritten zu der Erörterung der Struktur, die dem Gegenstand seines Buches zugrunde liegt. So kommt er zu der Frage, von wem das ostpreußische Gutshaus Kunde gibt, wer sind die Bauherren, welche diese Form der Bauart entwickelten im Laufe der Jahrhunderte, einen Grundtypus früh herausbildend, durch die Zeitstille fast unwesentlich gewandelt. L. ist das Gutshaus Sinnbild einer gehobenen Kultur, die erdgebunden, aber deutlich auch in Beziehung zu politischem und geistigen Leben des Landes steht. Man muss über die großartige Versenkungsmöglichkeit in den Gegenstand verfügen, wie der Verfasser, sie besitzt, die Andacht zu kleinen und kleinsten Zeichen der Überlieferung jeglicher Art.

Gewiss: „Im Gebäude die Spur des Menschen zu finden, der es schuf, und seinen Charakter zu erkennen, Ist schwierig." v. L. macht aus der Architekturforschung Menschenkunde. So entsteht ein Stück Heimatkunde, die auf den höchstmöglichen Boden erhoben ist. Es handelt sich um die Deutung einer „Geschichtsschreibung in Stein". In neun Epochen ist das gewaltige Material aufgegliedert, durch bewundernswerte Aufnahmen unterstützt, die z. T. aus fast zufälligem Bestand in kümmerlichster Form ihrer Errettung gewonnen sind. Eine Fülle geistvoller Bemerkungen ist in diese Darstellung eingestreut, sie zeugen von der souveränen Beherrschung dieses Stoffes durch den Verfasser, der ihn ja erst entdeckte. Man denke hier nur an die meisterhafte Schilderung des Landschaftsbildes, die in ihrer klaren Gedrängtheit in der ostpreußischen Literatur kaum ihresgleichen finden dürfte. Alles aber drängt in dieser Darstellung auf die Erfassung des Menschen, der in diesem Lande lebt und durch seine formende Hand ihm das Gepräge gibt, indem er hier seine Wohnstätte errichtet. Von der Ordenszeit bis in die Gegenwart weist L. einen einheitlichen Zug auf, er findet eine „exemplarische Schlichtheit", die „zu einer faszinierenden Reinheit der Form hindrängt."

„Ostpreußen hat im Vergleich zu Anderen Entwicklung eine ruhige abgemessene und schlichte Grundform der Gutshäuser aus einem abgewandelten Barock entwickelt. Maß und Zucht als moralische Gesetze sind hier wie im Leben so im Bauwerk verwirklicht worden.'' So findet

v. L. letzten Endes eine ewige Klassizität als Grundzug der Entwicklung heraus, es ist kein Zufall, dass er an Winkelmanns bedeutsames Wort von der edlen Einfalt und der stillen Größe denkt, mit der der Schöpfer der antiken Kunstgeschichte das Wesen der großen Kunst der Griechen bezeichnet. „Preußische Struktur ist reine Klarheit und Disziplin der Haltung, Zuordnung aller Teile zu einem zusammenfassenden Ganzen, unaufdringliche Herrschaft eines zentralen Mittelpunktes." So wird das ostpreußische Gutshaus zu einer Erkenntnisform ostpreußischen Lebens, eines Leben, dessen Boden heute verloren ist, aber dieser Schatz, den Lorck in seinem Werk gehoben hat, wird ewig unverlierbar sein. Es ist sein großes Verdienst, einen fast zauberhaften Zugang zu dem ewig unvergänglichen Sinn des Preußentums ein für alle Mal erschlossen zu haben. Götz von Seile.

 

Seite 7   Ein neues Sandenbuch

Walter von Sanden-Guja, Der große Binsensee. Ein Jahreslauf, Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde. Franckhsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 11,80 DM.

Wiederum hat uns Walter von Sanden mit einem herrlichen Werk beschenkt. Das Buch vom großen Binsensee ist entstanden aus seiner Begegnung mit der neuen Heimat. Man könnte es als ein Flüchtlingsbuch bezeichnen, aber wenn man dies tut, so steht fest, es ist eins der edelsten seiner Art. Alle Vorzüge dieser großen Kunst der Naturbeschreibung, die wir an dem Verfasser so lieben und bewundern, sie erscheinen noch klarer und vergeistigter. Er erforscht die neue Heimat, aber es geschieht nun doch gleichsam vom eigenen Grund und Boden aus, von einem Masurenboot, das der Verfasser sich nach eignen Angaben bauen ließ. Das Leben an und auf diesem Binsensee ist nach den Ereignissen in der Tierwelt beschrieben, wie sich diese im Jahreslauf abspielen. Fast wie ein Roman rollt dieses Leben vor den Augen des Lesers ab. „Jede Landschaft hat in den verschiedenen Jahreszeiten ihre Tiere, die dann besonders ins Auge fallen und durch ihre Lebensäußerungen die charakteristische Stimmung geben. Das geht durch alle Monate, auch durch die stillsten." Das ganze Buch ist — man möchte sagen — naturgesättigt. Da ist kein Wort in die Natur hineingetragen, dieser Mensch drängt sich dem natürlichen Geschehen nicht auf, sondern alles ist in einem fast frommen Gefühl aufgenommen, was die Natur in so reichem Maß gnadenvoll an Geheimnisvollen aber Begreifbaren, Sichtbaren und wieder Unbegreiflichen beschert, dem, der sich dieser Natur ohne Forderung hingibt, dem, der in den Tieren Brüder des Menschen erkennt. Ganz deutlich wird diese andachtsvolle Haltung in den prachtvollen Bildern, die der Verfasser seinem Buche mitgibt, sie sind nicht eine einfache Illustration des Textes, sondern sie schaffen eine höhere Einheit, geben eine besondere Art durchgeistigter Naturbeobachtung. Und alles, alles was in übervollem Reichtum neu erkannt und begriffen wird, das wird gemessen an den Erscheinungen und Lebensverhältnissen der alten, verlorenen Heimat, die neue verliert nicht, sie gewinnt. Welches Glück, in diesem großen Binsensee lebt auch die Karausche! Götz von Selle

 

Seite 7   Kunstausstellung in Coburg

Nach stillen Wintermonaten organisierte Ida Wolfermann-Lindenau in dem Coburger Kunstverein März/April die erste Ausstellung, von Werken der Mitglieder der „Nordostdeutschen Künstlervereinigung e. V.", die mit rund 100 Arbeiten dem Besucher einen überragenden Eindruck vielseitigen Schaffens dieser Künstler gaben.

In wuchtiger, leuchtender Farbgebung und starker Profilierung erfreuen besonders die Temperas von Erich Kaatz, so „Kampen auf Sylt" und „Montmartre". Auch seine Schwarzweiß-Zeichnungen sind markante Stellen In dieser Ausstellung. Ihm nahe steht Fritz Heidingsfeld, doch seine Kompositionen überzeugen nicht immer, wenn auch seine gedämpften, schönen Farben wohltuend sind. Neben seinen Arbeiten hängen Karl-Kunz-Arbeiten in ihrem hingehauchten Farbengleichklang. Die Nachbarkoje leuchtet wieder auf mit den gekonnten Aquarellen von Heinrich Bromm, bei dem jeder Pinselstrich sitzt. Von den Älteren sieht man Professor Karl Storch in seiner klaren Arbeitsweise mit Arbeiten aus dem letzten Jahr, die seine spielerische Technik in seinem hohen Alter bewundern lassen. Ebenso überrascht Professor Fritz Pfuhle immer wieder mit seinen gut gesehenen und bewegungsmäßig trefflich erfassten Pferdemotiven. Eduard Bischoff, der studienhalber seit einem halben Jahr in Zentralafrika weilt, zeigt einige Aquarelle, von denen „Auf dem Acker" besonders hervorzuheben ist. Paul Grunau und Walter Troike stellen in der Künstlervereinigung zum ersten Male aus, fügen ihre Arbeiten gut in das von gutem Niveau getragene Gesamtbild ein.

Unter den „Abstrakten" hebt sich Alfred Arndt mit „Zwei Paaren" und „Ahnung am Wasser" besonders hervor. Sie atmen das wunderbare Ineinander gleiten der Farben, eine ins Traumhatte reichende Ausdruckskraft. Mit Norbert Dolnzich erleben wir eine neue Darstellungsform seines inneren Erlebens. War er uns in seinen satten, flüssigen Farben doch näher! Die Graphik ist gut vertreten mit Holzschnitten von Lieselotte Popp, Federzeichnungen von Prof. Marten und trefflichen Holzschnitten von Herbert Belau. Die Plastik hält sich etwas zurück, wenn sie auch durch Joachim Utech, Karl Holschuh, Herbert Belau und Edith von Sanden gut vertreten ist.

Dank der unermüdlichen Schaffenskraft und Einsatzbereitschaft der geschäftsführenden Vorsitzenden Ida Wolfermann kann der westdeutsche Raum immer wieder erleben, dass sich die verstreut lebenden Künstler aus dem Nordosten aus ihrem stammesmäßigen Schaffen heraus zeigen und ihren Beitrag zu deutscher Kultur und den allgemein schwebenden Kunstfragen leisten. Gerade in dieser Ausstellung erleben die Besucher das Gesamtbild von ungewöhnlicher Einheitlichkeit, die durch die seelische Verhaltenheit der Künstler und ihren gedämpften Farben bedingt ist.

Ida Wolfermann wurde gebeten, im April bis 10. Mai eine umfassende Schau von Werken nur ostpreußischer Künstler in Bochum zu organisieren. Diese Ausstellung wurde am 19. April, 11 Uhr, in den Ausstellungshallen, Haus Metropol, feierlich eröffnet. J. W.

 

Seite 7   Miegel, Gesammelte Gedichte

Agnes Miegel, Gesammelte Gedichte, Neue Gesamtausgabe, Eugen Diedrichs Verlag (1952). Preis 9,80 DM.

Es ist uns allen große Freude wiederfahren, indem der Verlag Eugen Diederichs die Gedichte unserer allverehrten Frau Dr. h. c. Agnes Miegel in einer neuen Gesamtausgabe herausgegeben hat. Es ist ein Band von nahezu zweihundert Seiten, den er uns in die Hand gibt. Er enthält das gesamte lyrische Schaffen der Dichterin. Bis in die letzte Zeit hinein ist das Werk geführt, so dass wir nun auch schon die Dichtung der Nachkriegszeit im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk besitzen dürfen. Ein zweiter Band soll die Balladen bringen. Im Anblick dieses schönen ersten Bandes ist es einem zumute, als ob das Lebenswerk von Agnes Miegel in eine neue erhöhte Ebene gehoben wird. Hier zeigt sich die imponierende Ausbreitung dieses meisterhalten Könnens und die immer wieder erschütternde Fähigkeit dieser Meisterin des Wortes, in die Tiefen menschlicher Seele zu loten. Diese Kunst, das ist ja längst erwiesen, gehört zu dem Großen, das der deutsche Osten schuf. Und dieser Band gleicht einer kostbaren Schale, in die eine reife, gütige und weise Hand die edelsten Früchte legte. Götz von Selle

 

Seite 7  Hans Peter Kosack, „Geographie Ostpreußens", Holzner-Verlag Kitzingen/Main, 1,50 DM.

Auch dieses Heft (Nr. 32) des Göttinger Arbeitskreises erweist sich wiederum als wertvolles Nachschlageschriftchen, das in gedrängter Kürze einen recht guten Überblick über Lage, Grenzen, Größe, Oberflächengestaltung, Landschaften, Bevölkerung und Siedlung, Tier- und Pflanzenwelt und Wirtschaft und Verkehr in Ostpreußen gibt. Klare und übersichtliche Karten ergänzen den Inhalt bestens und es gibt keine bessere Anerkennung für diese Arbeit, als die sachliche Feststellung, dass diese kleine, unscheinbare Broschüre zu einem unentbehrlichen Helfer wird.

                                                                                                               

Seite 8   Königsberg: „Die Stadt mit dem schönsten Luftbild Europas“. Von Gartenbaudirektor Ernst Schneider

Foto: Kaskaden am Schlossteich

Foto: Rosengarten bei Maraunenhof. Aufn.: Foto: Pohle

Wenn wir heute Vergleiche ziehen zwischen Ostpreußen und unserem neuen Zufluchtsort, dann entdecken wir häufig zu unserer Überraschung, in wie vielen Dingen unsere verlorene Heimat dem vielgepriesenen Westen nachweislich überlegen war, denken wir nur an die herrliche und einzigartige Landschaft Ostpreußens, an die Höchstleistungen seiner Landwirtschaft, an viele, viele berühmte Namen in Kunst und Wissenschaft, an das ortsgebundene Gewerbe, an Ostpreußens Industrien. Und so können wir gar nicht laut genug betonen, was Ostpreußen leistete, auf welchen Gebieten es als Vorbild für andere dienen konnte.

Ich will heute aber nur an ein Kulturgebiet erinnern, das mir besonders nahe liegt, wo ich Vergleiche ziehen konnte und mir auffällt, welche Vorsprünge wir da doch den meisten anderen Orten gegenüber hatten: die Stadtverwaltung, die Stadtkultur, der Städtebau. Königsberg war von jeher als besonders klug und geschickt verwaltete Stadt bekannt. Die Ära Körte begründete diesen Ruf und was unter Oberbürgermeister Dr. Dr. Lohmeyer geleistet worden ist, das müsste einmal von einer berufenen Feder festgehalten werden. Finanzwirtschaftlich galt Königsberg als Musterstadt. Eine weitblickende Grundstückspolitik schuf die Möglichkeiten, die kühnsten städtebaulichen Aufgaben zu verwirklichen. So entstand jenes eindrucksvolle Stadtbild: die altehrwürdige Innenstadt mit ihren Wasserläufen, Brücken, Häfen, Speichern, und all den historischen Bauten, und die neuen Stadtteile mit großartigen Bauschöpfungen und Ausdrucksformen neuzeitlicher Baugesinnung. In den letzten 30 Jahren entwickelte sich die weit aufgelockerte Stadt, die „Stadt im Grünen“.

Außer Köln, das unter Adenauer als Oberbürgermeister seinen berühmten inneren und äußeren Grüngürtel geschaffen hatte, ist mir keine deutsche Großstadt bekannt, die so zielstrebig die Bedeutung öffentlicher Grünanlagen erkannt und verwirklicht hätte wie Königsberg. Glückliche Umstände schufen die Voraussetzung für die Arbeiten des Gartenamts. Der innere Festungsgürtel wurde schon 1910 aufgehoben. Damit fiel die Baubeschränkung außerhalb der Umwallung. Die Stadt konnte über das Festungsgelände verfügen und umfassende Bebauungspläne aufstellen. Die gesamte Grundstückspolitik der Stadt erlaubte eine großräumige Planung. Das Bebauungsamt hatte nicht nötig, ängstliche Bodenausschlachtung zu betreiben. Alle landschaftlich wertvollen Flächen, die zur Ausweisung als Grünanlagen geradezu herausforderten, konnten für diesen Zweck überlassen werden. Das Planungsamt unter Magistratsoberbaurat Schäff arbeitete im engsten Einvernehmen mit dem Gartenamt. Oberbürgermeister, Stadtkämmerer und die Dezernenten förderten mit größtem Eifer diese Pläne. Besonders sei hier des Herrn Oberbürgermeister Dr. Dr. Lohmeyer gedacht, der immer wieder auf die günstige Zeit zur Ausführung von Grünflächen hinwies. Er hatte die große Bedeutung der Grünanlagen für die Stadt erkannt und wusste, dass nur zur Zeit der produktiven Erwerbslosenfürsorge der Stadt die Mittel für solche Arbeiten zuflossen. Bei den Arbeiten des Gartenamts konnten verhältnismäßig viele ungelernte Erwerbslose beschäftigt werden, für deren Löhne der Staat gerne Beitrag leistete, um Arbeit zu beschaffen. Zudem waren die zusätzlichen Nebenkosten geringer als für andere Bauaufgaben.

Manche Städte glaubten schon viel für Verschönerung getan zu haben, wenn sie die Hausbesitzer zwangen, zwischen Haus und Straße einen Vorgarten zu legen, wenn Alleen auf vielen Bürgersteigen gepflanzt wurden. Wo der Landmesser bei der Straßenführung ein Verlegenheitsdreieck übrig gelassen hatte, wurde dies stolz zum gärtnerischen Schmuckplatz erklärt. Manchmal wurde sogar ein Baublock ausgespart und als Glanzstück darauf ein „Stadtpark" geschaffen. Der Stadtpark wurde womöglich noch umzäunt, die Parkwächter angewiesen, streng darauf zu achten, dass ja kein Kind den Rasen betrat. Mit solchen Grünanlagen war der Gesamtmasse der Bürger nicht gedient, damit wurden noch keine gesunderen Wohnverhältnisse geschaffen, damit wurde die Stadt ihren sozialen Verpflichtungen nicht gerecht, damit wurden die landschaftlichen Eigenarten der Stadt nicht gewahrt.

In Königsberg wusste man, dass die Stadt für die gesündeste und wohnlichste gilt, deren Grünflächen im besten Gleichgewicht zur bebauten Fläche liegen. Die Grünflächen sollten in die Bebauung übergreifen, sich zwischen die Wohngebiete schieben, ganze Stadtteile als Grüngürtel umschließen. Sie sollten die landschaftlichen Werte des Stadtgebiets hervorheben, ohne unechtes Pathos dem Städter unverfälschte Natur nahe bringen. Wir wollten zugleich Anlagen, die den Bedürfnissen der Masse direkt nutzbar gemacht wurden, die die fehlenden Wohngärten ersetzten und Gelegenheit zum vollen Ausleben im Freien gaben. So schufen wir viele geschützte Kinderspielplätze, Sport- und Übungsplätze, Lager- und Tummelwiesen, Freibäder und Planschbecken, Reit- und Radfahrwege, Kleingärten, Wintersportanlagen, Wanderwege, farbenfröhliche Blumengärten und weite naturverbundene Landschaften. Diese Richtlinien waren maßgebend für den Ausbau der Königsberger Grünanlagen. Durch Anpassen jedes Anlagenteils an die gegebene Örtlichkeit erhielten sie ihre mannigfaltige Eigenart.

Den inneren Grüngürtel verbanden breite Grünkeile mit den äußeren Grüngürteln und großen landschaftlichen Anlagen zu einem systematisch ausgebildeten Grünflächennetz. Bei dem Ausbau des großen Grüngürtels um die Innenstadt war es wiederum der Verdienst des Oberbürgermeisters Dr. Lohmeyer, dass er schon bei seinem Amtsantritt 1919 verhinderte, dass die Festungswälle weiter einfach abgebrochen, die Gräben verfüllt wurden, ehe im Plan festlag, wie weit solche Umwallungen verwendet werden konnten. Dadurch blieben die interessantesten Strecken der ehemaligen Befestigung erhalten, die als einzigartige Ausdrucksmittel die Gartengestaltung bereicherten. Der innere Grüngürtel umschloss die Innenstadt von Pregel bis Pregel in sechs Kilometer Länge bis zu 600 Meter Breite. Wir beschränkten uns nicht auf eine langweilige Ringpromenade, sondern schufen durch Hinzunahme jeder greifbaren Fläche einen richtigen ausdrucksvollen Park. Im Westen folgte der Grüngürtel vom Bahnhof Holländerbaum dem Deutschordensring bis zum Nordbahnhof. Erweitert wurde er durch Reste des früheren Volksgartens und verschiedene aufgelassene Friedhöfe, die Glacis-Wallgräben. Zwischen den Mauerresten an der Bastion Sternwarte konnte ein intimer Staudengarten eingebaut werden, an anderer Stelle eine Rodelbahn, geschützt im Talgrund ein Planschbecken. Ein besonders eingefriedigter Ehrenfriedhof mit Gräbern berühmter Dozenten der Universität lag in friedlicher Abgeschiedenheit. Vom Nordbahnhof bis zum Wrangelturm gaben die alten Bäume der Glacisanlagen, der langgestreckte Wallgraben und die Messebauten dem Grüngürtel sein Gepräge. Auf der Strecke zwischen Wrangelturm und Roßgärtertor öffnete sich dem weitschweifenden Blick die Sicht über den schillernden Oberteich mit seinen umgrünten Ufern. Wo fände sich ein ähnliches großartiges Landschaftsbild mitten in der Stadt?

Der Teil zwischen Roßgärter- und Königstor war wohl der reizvollste, weil hier die Umwallung vollständig gerettet war, ein Bild interessanter Gartenarchitektur und zugleich ein kulturhistorisches Denkmal alter Befestigungskunst. Die Anlage musste diesem Charakter untergeordnet, diese große Linie gewahrt bleiben. Trotzdem ließen sich manche intimen Plätze einfügen, wie das Rosengärtlein zwischen alten Mauerresten, von Baumhecken umsäumte Lagerwiesen, Brücken, Treppen und Walldurchgänge, Liegeplätze für alte Leute, Spielecken für die Kleinsten. Vom Königstor bis zum Pregel fehlten die Wälle, dafür verbreiterte sich der Grüngürtel zur offenen Landschaft. Die früher versumpften Kupferteiche gaben Raum für einen Sportplatz mit anschließender Spielwiese, das Schwimmstadion mit Badeanstalt, einen großen Kinderspielplatz mit Sandberg und Planschbrunnen, einem Planschbecken für die Kleinsten, Liegeplätze für Alte, sogar für Nischen mit Tischen und Stühlen, welche die invaliden Skatbrüder ständig belegt hatten.

In der etwa 1200 Meter langen Südfront vom Friedländer Tor bis zum Hauptbahnhof wurden das frühere Sumpfgelände von „Klein-Rauschen", Wälle, Bastionen und Exerzierplätze in einen echten Volkspark umgestaltet mit großen Seen, Wasserläufen, Spielwiesen, Badeanstalten, dem Stadion mit fünf Übungsplätzen, Rodelbahn, Planschstrand. Baumbestandene Wälle folgten der breiten Umgehungsstraße mit dem Überblick über diese volkstümlichen Parkflächen.

Der längste und schönste Grünkeil begann am Münzplatz im Herzen der Stadt, führte sechs Kilometer lang über die Schlossteichpromenaden zum Oberteich, das Beydritter Fließ bis zum Max-Aschmann-Park. Der Höhenunterschied zwischen dem Spiegel des Ober- und Schlossteiches wurde durch Kaskaden ausgenutzt. Am östlichen Oberteichufer lockten verschiedene Badeanstalten und Lagerwiesen zum Verweilen. Man konnte aber auch dem westlichen Oberteichufer folgen, wo das frühere Erdwerk E den bekannten Rosengarten umschloss und man entweder am nördlichen Oberteichufer entlang wandern oder vom kleinen Oberteiche, an der Stadtgärtnerei vorbei bis zur Max-Aschmann-Allee mit dem großen Sportplatzgelände ebenfalls zum Max-Aschmann-Park gelangen konnte. Mit allein etwa 200 Morgen Größe stellte er eine weite Auenlandschaft dar mit kleinem Waldbestand als Kernstück, Badeteich, Rodelberg, Reitwegen, Gedächtnishain, schattigen Wegen durch Gehölzdickicht und sonnigen Lichtungen. Tausende fanden darin Erholung oder das Ziel ihrer Sonntagsausflüge.

Ein anderer Grünzug führte vom Sakheimer Tor aus durch das Tal des Kupfergrabens zum Kalthöfer Park. Im Westen bildeten verschiedene Grüngürtel die Verbindung nach den Hufen und Juditten. Ich erinnere an den Grünzug am Veilchenberg, zum Park Luisenwahl, durch das Julchenthal zum Tiergarten in den Hufenfreigraben oder vom Nordbahnhof am Gerichtsgebäude vorbei zum neuen Schauspielhaus, wo im Straßenschnittpunkt die Leuchtfontäne ihre Strahlen hochwarf inmitten eines farbensprühenden Staudengartens gegenüber dem Eingang zum früheren Walter-Simonplatz oder am Finanzamt vorbei bis zum Grüngürtel am Bahnhof Holländerbaum. Ja, der grüne Ring griff noch weiter vom Veilchenberg über Ratshof zum Hammerteich mit Badeanstalt und Sportplätzen, durch die malerische Fürstenschlucht zum Landgraben, an dem entlang man schließlich bis zum Galtgarten pilgern konnte.

Vom Stadtinnern aus gelangte man also nach allen Richtungen ins Grüne ohne durch Verkehrslärm oder Straßenstaub belästigt zu werden. Die äußeren Grünstreifen wurden schlicht bodenständig bepflanzt. Der Städter sollte das Gefühl haben, möglichst bald draußen im Freien, in der ungekünstelten Natur zu sein

Die meisten Rasenflächen waren der Bevölkerung zur schrankenlosen Benutzung freigegeben. Beschädigungen kamen nicht vor. Von ihrer Ausdehnung kann man sich einen Begriff machen, wenn ich erzähle, dass innerhalb der Grünflächen zehn große Sportplätze, elf Badeanstalten, viele Freibadeplätze, viele Lagerwiesen, eigens angelegte Rodelbahnen, sogar zwei Sprungschanzen und eine Freilichtbühne eingebaut waren.

Königsberg gehörte zu den ersten Städten, welche die Bedeutung des Kleingartenbaus erkannt hatten, die als Daueranlagen im Stadtbebauungsplan fest verankert wurden, so dass dem Kleingärtner sein mühevoll gepflegtes Gartenland nicht durch spätere Bebauung entzogen werden kennte. 32 solcher Dauerkleingartenanlagen mit je 200 bis 300 Stellen von 200 bis 500 Quadratmeter Größe waren rings um die Stadt in Kinderwagenentfernung verteilt. Sie bildeten entweder Teile der Grünanlagen oder lagen im Innern weiträumiger Baublocks. Die gepflegten Königsberger Kleingärten wurden aber auch vom Reichsverband der Kleingärtner besonders gelobt.

Auch der städtische Gemeindefriedhof mit dem Krematorium war nach gartenarchitektonischen Grundsätzen angelegt und wurde in Sinne neuzeitlicher Friedhofkultur unterhalten. Pläne für eine wesentliche Erweiterung und zwei neue Parkfriedhöfe im Westen und Süden der Stadt lagen fertig vor.

Es würde zu weit führen, wenn ich noch all die vielen einzeln über die Stadt verteilten Grünplätze beschreiben wollte. Aber eine Anlage darf ich nicht vergessen, die vielen Königsbergern als Sehenswürdigkeit bekannt war — die Stadtgärtnerei. Sie versorgte nicht nur die zahlreichen Schmuckplätze mit dem notwendigen Blumenflor, sondern auch sämtliche Schulen mit Pflanzenmaterial für den Unterricht in Botanik, Natur- und Wirtschaftskunde. Sie war ein sehr vielseitiger Schulgarten und ein richtiges Freilichtmuseum für Gartenbau. Alles, was den Garten- und Pflanzenfreund anregen konnte, wurde dort an angewandten Beispielen gezeigt, aber auch alle Kulturen wurden ausprobiert, die fördernd für den ostpreußischen Gartenbau sein konnten. Umfangreiche Pflanzensammlungen, wie die dendrologische Abteilung, Stauden- und Blumengärten, Rosen- und Dahliengärten, Schauhäuser, natürliche Vegetationsbilder, Drogen- und Giftpflanzen, Mustergarten für den Anbau von Gemüse, Heil- und Gewürzkräutern. So ziemlich alle noch unter ostpreußischem Himmel gedeihenden Gartenpflanzen waren vertreten. Vor einigen Tagen erhielt ich den Brief eines städtischen Reviergärtners, der noch drei Jahre in Königsberg unter russischer Herrschaft ausgehalten hatte und für diese in der Stadtgärtnerei Gemüse ziehen musste. Er beschrieb, was alles zerstört war. Aber eines Tages seien der Direktor des Botanischen Gartens und eine Garteninspektorin aus Moskau erschienen. Sie hatten den Auftrag, die Kosten zu veranschlagen, die entstehen würden, um die Stadtgärtnerei wieder in ihren alten Friedenszustand zu versetzen. Dies  wäre ein Hoffnungsstrahl. Uns bleibt ja sowieso nichts wie die Erinnerung, die Erinnerung an eine unvergleichlich erhebende arbeitsfröhliche Zeit. In dieser Erinnerung möchte ich, zum Trost für viele mit Goethe sagen: „Ihr goldenen Augen, was je ihr geseh’n, es sei wie es wolle, es war doch so schön!"

 

Seite 9   E. Wernicke - Oberstudiendirektor a. D. Ein Hausgeist erzählt von Marienwerder

Foto: Blick auf die Weichsel. Aufn.: H. Schumacher

Foto: Laubenhäuser am Markt in Marienwerder. Aufn.: Wernicke

„Mein Freund, der Baurat, pflegte beim Anblick eines alten Hauses zu sagen: „Diese Häuser führen ein eigenes Leben, mögen sie aus Felsen, gebranntem Ton oder Holz erbaut sein. Sie können sprechen nicht mit unserer, aber mit ihrer Sprache, nur hören wir sie nicht, weil wir Menschen unsere Sinne mit den Äußerlichkeiten des Lebens abstumpfen." Dass er durch solches Reden in den Ruf kommen könnte, er glaube noch an Hausgeister, an Wichtelmännchen mit der roten Kappe, schierte ihn wenig. Mit einem feinen Lächeln des Wissens hätte er eine solche Anzüglichkeit abgewiesen.

In einer Dämmerstunde, am Kamin meiner Arbeitsstube, unterhielten wir uns, wie so oft schon, über die alten Häuser unseres westpreußischen Städtchens.

Sprechen Deine pergamentnen und papiernen Urkunden etwa nicht?" fragte der Freund. „Wenn Du sie liest, hörst Du etwa nicht, was sie Dir geheimnisvoll sagen wollen? Vernimmst Du nicht das Hadern, das Streiten, das Lachen, das Fluchen, das Feilschen und Heucheln, das starke Vertrauen auf eigene Kraft, das Gottvertrauen und die anständige Gesinnung aller derer, deren Namen vor Dir stehen?"

Wenn Dir nachgesagt werden sollte, Du glaubtest an einen Handfesten- oder sonstigen Urkundengeist? Ich hörte Dein schallendes Gelächter. Und doch!

Ist nicht die Verkörperung alles dessen, was um, in und mit dem alten Hause geschah, der Geist des Hauses? Er erzählt uns von dem Arbeiten und Ausruhen, von dem Vergnügen und dem Leiden, von Kindergeschrei und Sterbegestöhn, von Zank und Liebe, von Plänen und Verrichtungen, ja auch von Gedanken über Zeitgeschehnisse und menschliche Unvollkommenheiten."

Nach einem solchen Gespräch begannen die Hausgeister der 72 alten Großbürgerhäuser in vielen nächtlichen Stunden eine gern gesehene, liebe und anregende Gesellschaft mir zu werden. Sie überboten sich darin, von vergnüglichen und ergötzlichen, leidvollen und erschütternd traurigen, von unbedeutenden und verhängnisvollen Geschicken in ihren Häusern zu berichten.

Was einer von den Hausgeistern mir zu erzählen wusste, mögen meine Landsleute in Erinnerung an die alte Heimat, die unvergessbare, hören.

„Ich möchte meinen", begann er seine Erzählung, „jedes Marienwerdersche Kind und viele Besucher seiner 700. Jahre alten Heimatstadt kennen mein Haus. Seine Laube schaut zum Markte, die freie Seitenwand zum Dome. In den Stadtordnungen der Altvorderen trug das Eckhaus die Nummer 33, jetzt hat der neue Stadtplan es mit Markt 6 bezeichnet, und der letzte deutsche Inhaber schrieb an seine Stirnseite über den beiden Rundbögen: Konditorei Utasch.

Wer die noch unberührten Grundmauern aus granitnen Findlingen und die Kellergewölbe

aus großen Backsteinen zog, ist meinem Gedächtnis entschwunden. Nur weiß ich noch aus der Frühzeit — 500 Jahre sind seitdem vergangen —, dass mein Hausherr Gothardt einen Brandpfeil vom Wehrgang über dem Dome in mein Strohdach schoss, damit sich die Polen nicht darunter einnisteten, als Herr Schareike, der Oberste im Schlosse, mit unseren Bürgern den Turm verteidigte.

Als Lohn für seine uneigennützige Tat gab ihm Bischof Johannes eine große Hypothek zum Wiederaufbau, aber die Gothardtinne, die Witwe, ließ die Hofreite wüst liegen. Für mich eine böse Zeit! Unter Schutt und verkohlten Balken, geduckt in ein feuchtes Mauerloch, wartete ich auf ein Versiechen durch Schwäche.

Neues Kriegsgeschrei umlärmte mich, der Reiterkrieg. Zu meinem Entsetzen wieder Polen in der Stadt. Sie verschwanden, weil nichts mehr zu rauben war, schnell. Ein neues Rüsten und Werken flößte mir Hoffnung ein. Aufgeräumt wurde, Gerüste wuchsen auf, der Schulze von Tiefenau baute mein Haus auf. Er gab mir einen prächtigen Hausgiebel, nicht den steifen, heutigen, sondern einen, der das obere Stockwerk in geschweiftem Bogen zur Giebelkrönung führte und mit kleinen Türmchen bestockt war. Mochten auch die Laubenständer noch dicke eichene Säulen und das Haus in Fachwerk aufgeführt sein, so bot doch das Ganze einen soliden Eindruck, zumal das mit Mönch und Nonne gedeckte, lange Dach.

Zweimal haben nachfolgende Besitzer meinen Giebel verändert, das eine Mal die Laubensäulen in Stein gesetzt, das andere Mal den schönen Giebel abgerissen und einen Mauerklotz auf die Säulen getürmt, dass eine steife, viereckige Wand mich verschimpfierte.

Trotzdem das Erbe meines Hauses ein Vollhof und daher seine Ausstattung mit Land recht groß war, kam der Schulze wegen der vielen Ausbrüche der Weichsel nicht auf den grünen Zweig. Auch sein Handel mit Korn und Holz, mit Pech und Pottasche, mit Malz und Bier wollte nicht aufblühen. Ihm drohte schon der Schuldturm, da er dem Rate die Erbgelder nicht zahlen konnte, als ihm Paulus Speratus das Erbe abkaufte. Die Amtsräume Im Schlosse wurden dem kränkelnden Manne zu kalt und zu feucht und das Bürgerhaus, das er selbst zehn Jahre zuvor erbaute, viel zu groß, da seine drei Töchter und der einzige Sohn außer Hauses gingen.

Paulus Speratus war als evangelischer Bischof von Pomesanien nach Marienwerder berufen, von unseren Bürgern mit Stolz empfangen. Seine Berühmtheit in der Welt war ihm vorausgeeilt. Der Empfehlungsbrief, den die Stadt Iglau an unseren Rat sandte, lag als kostbare Botschaft treuer Freunde auf dem Tische seiner Studierstube neben den vielen Büchern und Schriften, über die er oft des Nachts grübelte.

Wenn die Dienstgeschäfte, die Bücher und die Besucher dem Bischof Muße ließen und er im großen Zimmer im Kreise lieber Freunde vertraulich plauderte oder über Neuordnungen im kirchlichen Leben und über die Wirtschaftsführung seiner Güter und Kirchen beratschlagte, schlüpfte ich ungesehen hinein, um jedes Wort zu erlauschen.

Mäuschenstille herrschte im Saale, wenn er mit leiser, träumerischer Stimme seine Lebensschicksale vor den Zuhörern ausbreitete. Was wir hörten? Von dem Dörflein Rötlen bei Ellwangen, von seinen Studien in Freiburg, Paris und Italien, von seinem Priestertum in Dinkelsbühl und seinen ersten dichterischen Versuchen, vom Übertritt zum Luthertum.

Deutlich klangen von den Wänden die tiefen Seufzer der Gattin Anna zurück, als der Bischof seine dem Domherrn in Würzburg verdächtige Verehelichung, seine Predigt im Stephansdom zu Wien und seine Flucht nach Iglau schilderte. Von Mitleid ergriffen sah ich Tränen über Annas Antlitz rollen, als ihr Gatte, zum Feuertode verurteilt, in den Kerker seines grimmigsten Feindes geworfen wurde. Befriedigt atmete ich wie alle Zuhörer auf, als die braven Iglauer ihn zu Luther nach Wittenberg brachten, Herzog Albrecht ihn dort kennenlernte und noch Königsberg rief. Wenn er dann mit seiner Familie und seinen Freunden sein im Kerker gedichtetes Lied „Es ist das Heil uns kommen her" anstimmte, dann schwangen meine Wände mit und verstärkten unsere Stimmen, dass die Horcher unter der Laube mitsingen konnten.

Auch Leid und Sorge des Bischofspaares erfüllte meine Räume. Die Magdalena verlor ihren Gatten und wurde bald darauf selbst von einer schleichenden Krankheit dahingerafft. Seufzer und laute Klage über materielle Sorgen und dankbare Lobesworte über den gütigen Herzog hörten die Wände des Schlafzimmers, aber auch das stille Weinen der Mutter über den Sohn, der in schlechte Gesellschaft geraten, keinen Mahnbrief des Vaters beantwortete.

Doch auch große Freude erfüllte das Haus, als es dem Bischof gelang, eine große Schar von Böhmischen Brüdern, die um ihres Glaubens willen die Heimat verlassen mussten, in seine Residenz aufnehmen zu können und mit ihnen die 15 noch wüsten Bürgererben zu besetzen. Am 12. August 1551 schallte lautes Wehklagen durch unser Haus. Unser guter Vater war auf ewig von uns geschieden.

Unerträgliche Stille im Hause folgte dem letzten Gang des Bischofs zum Dome. Staub hüllte die Möbel ein, Spinnenwebe spannten sich von Wand zu Wand. Die Luft in den Zimmern roch dumpf. Die Witwe war ihrem Eheliebsten bald nachgefolgt. Eines Tages lärmte der schwere Türklopfer, das Schloss kreischte und quietschte, so dass ich wachwerdend auffuhr. Ein fester Männerschritt, lautes Sporenklirren rief mich neugierigen Hausgeist vom Firstbalken. Mein neuer Hausherr stampfte wuchtig auf der Treppe zum Oberstock, riss die verquollenen Fenster auf. Ein scharfer Wind zog durch die stickigen Räume. Absalon Reimann, der neue Amtshauptmann, ergriff Besitz von seinem Erwerb. Mit seinen scharfen Augen unter den buschigen Brauen musterte er das Haus von innen und außen, entdeckte alle Mängel und berief die Handwerker der Stadt. Ein neues Kleid wurde meinem Hause angezogen, das grünweiße Wappen der Sprettens durch das Reimanns ersetzt.

Standesgenossen des kriegerischen Hauptmanns lärmten oft bei Schmaus und Trank im Saale, dass mir die Ohren gellten, und festlich geputzte Frauen kicherten über die anrüchigen Reden ihrer Männer. Die Lebenslust erreichte ihren Höhepunkt, wenn vor der maiengeschmückten Laube die Schützenbrüderschaft aufmarschierte, um nach einem Schießen im Amtsgarten dem Stifter der Königskette den Dank darzubringen.

Auch Herzog Albrecht war unser Gast. Ich hörte ihn die Grenzen der Stadt ordnen, vielen Bürgern auf Altschlösschen Landstücke verleihen, meinen Hausherrn nicht ausgenommen, die neuen Besetzungen der Dörfer, bestätigen, die widerspenstigen Adeligen besänftigen. Der Türklopfer schwieg drei Tage nicht. Bittsteller über Bittsteller meldeten sich. Der Saal schallte wieder von Ungerechtigkeiten und Willkür, von Eigenmächtigkeiten und Untreue, seltener von Rechtschaffenheit, immer von tiefer Not.

Aber Kinder ihrer Zeit blieben Herzog und Hauptmann, Adelige und Bürger, Bauern und Gärtner, ein raues Volk mit rauen Sitten. Wenn um materielle Güter Streit aufkam, zückten sie gleich die Schwerter, die Gänsekiele und die Zungen. Viel Streit wurde mit den Danziger Schiffsleuten in unserer Diele ausgefochten. Um einer dieser Schiffshändel willen reiste Herr Reimann selbst nach Danzig. Als Leiche wurde er uns zurückgebracht.

An einen Gewürzkrämer verschacherten die Vormünder der Kinder mein Haus und Erbe. Georg hieß er mit Vornamen, das Volk aber rief ihn mit Spottnamen Coriander. Von der Diele bis zum Dachfirst stank unser Haus nach seinem Lieblingsgewürz, dem Wanzendill. Unerträglich war mir dieser Geruch. Entfliehen konnte ich ihm nicht, aber den Wirt ärgern, das konnte ich. In der Diele lagerte er Kisten mit überzuckerten Mandeln, mit Morsellen, Korinthen, Ingwer, Muskat und Nägelein. An ihrem süßen Geschmack hielt ich mich für den schrecklichen Geruch schadlos. Coriander schimpfte über die naschhaften Mäuslein, und ich lugte hinter einem prallen Pfeffersack vergnügt und schadenfroh auf den erbosten Krämer.

Dass aber Gewürzkrämer über 100 Jahre mir das Leben sauer machen sollten, ahnte ich damals nicht. Einer folgte dem anderen, denn jeder zugereiste Kaufgeselle hielt sich bereit, das Erbe und die Kaufhandlung zu ergattern, indem er die trauernde Witwe tröstete, so alt sie auch war, und war sie jung, holte sie den jungen umso lieber in ihr vereinsamtes Ehebett. Zeiten kamen, die mich in das Gerumpel der finstersten Ecke des Dachbodens jagten. König Gustav Adolf, der Schwede, legte Finnen, Norrländer und deutsche Reiter zu uns ins Quartier. Unsere Scheune vor dem Marienburger Tor ging in Flammen auf, das Haus blieb unbeschädigt, nur das Wappen Reimanns wurde heruntergerissen. Aber danach rückten Polen und Wallensteinsche Kürassiere ein. Die Offiziere prassten, die einfachen Soldaten plünderten, und wir wurden arm.

Die letzte Gewürzkrämerin, ein Weib in reifen Jahren, wählte einen aus Franken zugewanderten Badergesellen zum Ehegenossen. Ihre Zeit war erfüllt, als die große Pest über uns hereinbrach. Die junge Nachfolgerin wollte nach kurzer Ehe nichts mehr von einem Bader und Wundarzt wissen. Dem Stadtrichter, dessen Haus in der Breitenstraße mit 31 anderen am 2. Mai 1719 dem großen Brande zum Opfer fiel, trug sie ihr junges Blut an. Christian Tägen war auch kein Einheimischer, bewährte sich bald im Rate als regierender Bürgermeister und für das Heer als Kriegskommissar.

Mein altes Haus wurde ausgebessert, der Laubengiebel mit Malereien ausgeschmückt, das Hinterhaus neu aufgeführt und die Stallungen beseitigt. Mir machten die Neuerungen das Haus unbehaglich. Glänzende Gesellschaften folgten einander. Die preußischen Dragoneroffiziere vom gelben Reiterregiment verkehrten emsig in der Familie, bis endlich die Stieftochter des Bürgermeisters unter ihnen den Gatten gefunden hatte. Im Hause wurde es wieder einmal recht still. Nur der älteste Sohn, der Christian, hielt mich und den gestrengen Bürgermeister in dauerndem Atem. Trotz der Bubenstreiche, der er verübte, hatte ich den Jungen gern und half ihm sich zu verstecken, wenn er der Rute des Vaters entgehen wollte. Das er, der unruhige Geist, die Gottesgelahrtheit zum Studium wählte, erschien mir als Kuriosum der menschlichen Seele.

Die Hofmeisterei in einer adligen Familie, wie sie für junge Theologen üblich geworden war, gefiel ihm ganz und gar nicht. Feldprediger beim Preußenkönig zu sein, hielt er für passender.

General v. Lehwald verließ mit allen preußischen Truppen das Weichselland, Preußen war der Willkür der östlichen Feinde verfallen.

Die Mutter Christians saß, oft still vor sich hin weinend am Fenster über der Laube und dachte des fernen Sohnes, von dem keine Nachricht eintraf. Doch bevor noch die letzten Soldaten des Königs die Weichselfähre verließen, kurz vor Weihnachten, brachte die Post unsern Christian selber ins Haus. Die Schlacht bei Leuthen am 05.12.1757 hatte er persönlich miterlebt und war, als seine Truppe ins Winterquartier zog, hierher geeilt, voller Besorgnis um das Schicksal seiner Eltern. Das wurde, ein herrliches Weihnacht. Mir wurde zu Mute, als ob die Gewürzkrämerei wieder im Hause aufgetan sei, so duftete das Haus nach weihnachtlichen Gerüchen.

Nicht lange die ungetrübte Freude! Die Russen rückten heran. Von dem Uhlenloch im Giebel sah ich den General Fermor in unsere Stadt einziehen, musste voller Entsetzen den Treueschwur des Bürgermeisters und der Ratsherren auf die Kaiserin Elisabeth mitanhören und konnte unsern Christian nicht warnen, als der Erzpriester ihn dem General vorstellte. Schlimme Ahnungen schüttelten mich.

Christian ließ sich bereden, in das russische Heer als Feldprediger einzutreten, wurde im August 1758 bei Zorndorf von den Preußen gefangen, kam aber glücklich aus der Patsche heraus, da er aus der „russischen Provinz Preußen" stammend als russischer Untertan ausgetauscht wurde.

Kaum nach Marienwerder zurückgekehrt, beschuldigten die Russen ihn der Spionage für den Preußenkönig und warfen ihn in die Peter-Paulsfeste.

Zweieinhalb Jahre schmachtete er dort in schmählichen Umständen. Ohne Begründung ließ man ihn eines Tages laufen. Die Hausgenossen sagten: Fermors Einfluss! War es auch des Generals Einfluss, dass ihn die Kaiserin Elisabeth zum Pfarrer von Pobethen bei Königsberg berief?

Bei uns im Hause sah es recht trübe aus. Der Bürgermeister und die Ratsherren berieten aller Heimlichkeit und nur in der Stille der Nacht über die Sorgen der Bürger und ihre eigenen. Ein dreiviertel Jahr Russenbesatzung hatte genügt, um den Wohlstand der Bürger zu vernichten. Allein schon die Krankheiten, die unsere Feinde einschleppten! Der Bürgermeister nannte einmal die Zahl der in diesem einen Jahr in unserem Kirchspiel Gestorbenen zu 547.

Auch die Bürgermeisterin war krank geworden, mehr aus der quälenden Sorge um den ins Elend geschleppten Sohn als aus leiblichen Gebresten. Ihr Krankenzimmer wurde des Bürgermeisters Zufluchtsort und auch der meinige vor den im Hause randalierenden Soldaten. Hier entwarf in nächtlicher Arbeit unser Bürgermeister ein langes Bittgesuch um die Abstellung der Missstände an den Gouverneur. Antwort kam, man würde gegen alle Willkür einschreiten. Aber nichts geschah.

Unsere liebe Hausfrau verschied und ihr Hausherr wurde trübsinnig. Er verkaufte das Haus an den Postmeister Carl Reinold Nicolai, den Schwager des berühmten Forster, der die Südsee erforscht haben soll. Nicolai war ein reicher Mann durch Erbschaft, Kriegslieferungen und seine Postfuhren geworden. Als die Russen nach fünf Jahren abzogen, ließ er seine Postillione in neuen Uniformen ein Tedeum vor unserem Hause blasen, dass mir vor Freude das Herz im Leibe hüpfte. Gevatter Tod holte ihn zu meinem Schmerze, kaum dass er 34 Jahre alt geworden war. Sein lebensgroßes Bild in der Postratsuniform hing lange Jahre im Saale und jedes Mal, wenn ich vorüberstrich, machte ich ihm meine Reverenz. Mir ist es jetzt manchmal ein Schmerz, dass ich das Haus nicht verlassen und mich an seinem Bilde erfreuen kann. Es hängt nur einige Häuser weiter in der Stube seines Ururenkels.

Die noch junge Witwe Justina, mit zwei Töchtern, aber im Besitze von zweieinhalb Vollhöfen, blieb nicht ledig. Der Proviantmeister Ernst Wilhelm Flesche befreite sie knapp ein Jahr später aus ihrem Witwentum.

Unsere ältere Tochter, ein lebenslustiges Mädchen, zog die Kinderkleider aus, gerade als der König die Kammer und die Regierung von Westpreußen in unserm Städtchen einrichtete. Umschwärmt von den jungen, unverheirateten Beamten lebte sie ganz der Geselligkeit, bis der Sekretär Würtz, der spätere Vizepräsident der Kammer, sie heimführte. Ihren Urenkel, der mehr als 30 Jahre als Bürgermeister die Stadt regierte, sah sie oft auf dem Flottwettplatz unter den Ulmen stehen.

Die jüngere Schwester machte die ersten Gehversuche beim Tode des Vaters. Sie wuchs recht unter meinen Augen auf, ein kluges Kind, das seine besondere Lust im Spielen auf dem großen Hausboden fand, manchmal für sich allein, dann wieder mit Koldums Gustchen, die zur Mutter unseres westpreußischen Dichters Bogumil Goltz bestimmt war.

Als sie die Kinderkleider und Kindergewohnheiten abstreifte und sich in dem Stübchen über dem Saale ein Jungmädchenstübchen einrichtete, weilte ich ungesehen sehr oft in Hannas Reich. Wundersam war es für mich in einem grüneingebundenen Buche zu lesen, wenn sie es einmal offen liegen ließ. Alles, was ihr im Laufe jedes Tages in Haus, Küche, Stadt und auf dem Lande begegnet war, erfuhr ich, auch wie die Hochzeit des jungen Momber verlief an dem Tage, da die Nachricht eintraf, dass der große Preußenkönig, den sie und ich liebten, verschieden sei. Tränenspuren verwischten die Schriftzüge.

Ich blätterte neugierig zurück. Eine Stelle vom März fiel mir ins Auge. Mehrfach las ich die Worte, weil sich in ihnen der Charakter meines lieben Mädchens spiegelte. „Sanden war ein sehr guter geschickter Mann. Vom 5. bis 15. Jahre ging ich in seine Schule. Er war immer sehr gelassen und, wer was lernen wollte, den zwang er nicht dazu. Ich habe alles, was ich gelernt habe, lediglich ihm zu danken, und ich hätte noch mehr lernen können. Aber in den Jahren sieht man es noch nicht ein was zu unserm Besten dient. Jetzt habe ich es schon oft bereut, dass ich damals nicht fleißiger gewesen bin."

Unser Haus, das Haus des Kriegsrates Flesche, belebten viele Gäste, Die großartige Bücherei, die wöchentlichen Leseabende und die geistreichen Unterhaltungen zogen Männer Scheffner und Hippel ins Haus, auch die große Schauspielerin Madam Schuch aus Danzig beehrte uns. Der lebhafteste Plauderer war Gottlieb Bock, ein entfernter Verwandter der Hausfrau. Bald las er uns — natürlich war ich immer dabei — seine eigenen Gedichte vor, ein andermal Briefe Scheffners oder anderer Berühmtheiten an ihn oder Gedichte Bürgers und Wielands. Am schönsten fand ich es, wenn der stets witzige Bock Gespensterhistörchen und Mordgeschichten erzählte. Allen Zuhörern, auch mir, ging ein Schauer über den Leib, bis plötzlich ein amüsanter Witz die Gespensterstimmung in lauter Heiterkeit auflöste. Ja, ja, Hanna hatte recht, wenn sie einmal schreibt: „Ich empfehle mich immer in seine Gnade, aber nicht in sein Maul."

Als Hanna unser Haus als Gattin eines Landwirts verlassen hatte, wurde es schnell still bei uns, dass ich in meinem Schlupfwinkel auf dem Firstbalken ein kleines Nickerchen mir erlaubte.

Ein schrecklicher Lärm scheuchte mich auf: Einquartierung. Mein Gott, die Kerle, von deren Sorte ich noch keinen gesehen hatte, alles vom Boden bis zum Keller, nach Waffen durchstöberten, wie alles trinkbare verschwand, wie sie erregt miteinander kauderwelschten, wie wild sie vive l'empereur schrien, als ihr Gebietiger über den Markt ritt! Das Unglücksjahr Preußens!

Die Hausleute ballten die Fäuste, wenn sie allein waren, aber die alte Frau Flesche hielt sie im Zaume, damit kein Unglück geschah. Eine ganz neue Zeit kündigte sich an! Unser Großbürgerhaus verlor alle seine Vorrechte.

Nach Jahren zogen wieder die Truppen des Kaisers an unserm Hause vorüber In fast unabsehbare Folge, ein halbes Jahr später kehrten sie übel zugerichtet zurück. Denn der weiße Tod war über sie hergefallen, und die Russen zogen hinter ihnen drein. Zu unserer Hausfrau hörte ich die Frau unseres Landmannes in Mareese sagen: „Lieber zehn von der Sorte als einen Russen!" Ich hatte denselben Geschmack.

Unsere Hausfrau, nunmehr steinalt geworden, vermietete mein Haus an das Gymnasium. Jungenlärm tobte in allen Zimmern. Ich war sehr froh, als verkündet wurde, dass das neue Gymnasialgebäude endlich fertiggestellt sei. Die Jungen stopften alle Geräte die sie ergatterten, in große Kisten, und da ich mich zufällig in einer verkrochen hatte, wurde ich mitverladen und konnte erst auf dem Boden des neuen Hauses herausschlüpfen.

Seitdem hause ich zufrieden und einsam unter altertümlichen Schriften und Büchern in einem Neubau, der dem berühmten Baumeister Schinkel seine Gestaltung verdankt.

 

Seite 10   Der ruhige Gustav

Gustav saß hinter seinen beiden Braunen auf dem Leiterwagen. Er hatte Zementröhren geladen. Plötzlich, machte sich das eine Rad selbständig, der Wagen neigte sich zur Seite, versperrte fast die ganze Straße und stand. Eisern. Mit Zementröhren beschwert.

Gustav stopfte erst die Pfeife neu, zündete sie an, spuckte kräftig aus und stieg dann langsam ab. Gesagt hatte er noch nichts. Er ging einmal rechts um den Wagen herum. Er ging einmal links um den Wagen herum. Der stand. Eisern.

Gustav schüttelte den Kopf, kratzte ihn. Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und gähnte.

Es war ein sonnenherrlicher Tag, das ganze ostpreußische Land ein Jauchzen! Inzwischen aber hatte sich die Szenerie von Grund auf verändert — wo eben noch Leere und Sommereinsamkeit war, hatten sich Getümmel und Lärm genähert.

Und zwar deshalb, weil eine motorisierte Kolonne ausgerechnet an diesem friedlichen Tage ihre große Prüfungsaufgabe im Gelände gelöst hatte und nun die Straße heimwärts gerollt kam. Und um das Unglück voll zu machen, hatte sich der Mann der Kolonne, der das meiste Geld bekam, noch eine Vorbeifahrt mit allen Schikanen und dem Fuß ganz tief auf dem Gashebel ausgedacht. Er wollte mal seine schwere Brocken, so schnell wie möglich dahinrauschen sehen. Es kostete ja nicht sein Geld.

Befehle hatten die Ungetüme schon in Bewegung gesetzt und vorn löste sich der schnelle Wagen des Chefs, der vorfuhr, um einen geeigneten Platz einzunehmen, von dem er sich an dem von ihm so trefflich ausgelösten Schauspiel weiden wollte.

Da erst, als er um die sanfte Kurve herum war, sah er Gustav. Vielmehr zuerst den Wagen, der fast quer zur Straße lag. Er sah das Rad und den in Sinnen versunkenen Gustav. Er sah das alles und es wurde ihm schwarz vor Augen.

Da aber war er auch schon heran und brüllte: „Platz gemacht! Nehmen Sie Ihren Karren beiseite!" Gustav hatte im Gebrumm des herannahenden Pulks, unter dem Quietschen des abgebremsten Wagens und bei dem wachsenden Motorenlärm, aus dem ihm, so wollte ihm scheinen, eine aufgeregte Stimme etwas zugerufen hatte, nichts Genaues vernommen. Er sah nur auf und sah ein Gesicht, das krebsrot angeschwollen war, er sah zwei fuchtelnde Arme und hatte schließlich den ungefähren Eindruck, dass man etwas von ihm wollte. Deshalb fragte er:

„Wie?"

„Mann! Es geschieht ein Unglück! Zurück mit dem Karren!!" überschlug sich die Stimmtrompete des Mannes da oben im Auto.

„Den, da?" deutete Gustav auf sein gestrandetes Fahrzeug, „dat jeiht nich!" und nahm einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife.

„Herrrr! Ich mache Sie verantwortlich! Machen Sie die Straße frei!!!" Der Mann da oben platzte aus dem Kragen. Er konnte einfach keine Luft mehr bekommen.

Es war aber auch schon zu spät. Das erste Ungetüm war heran. Ein schneidiger Junge saß am Steuer, Eine leichte Drehung und mit zischendem Gebrumm sauste das Gefährt haarscharf zwischen Wagenkante und Chausseebaum hindurch. Das zweite war heran — dasselbe Spiel ...!

Der Staub flog auf, die Straße zitterte, es donnerte von rollendem Stahl und Eisen und

immer noch brüllte und gestikulierte der hohe Herr in seinem Auto. Kein Wort war zu verstehen. Es war ein höllisches Getöse!

Gustav stand still an seinem alten Platz Donnerwetter, war das ein Spaß, wie der erste Wagen es geschafft hatte! Und da der zweite: ebenso geschickt hatte der die schmale freie Fahrbahn getroffen. Schon war der dritte vorüber ... ! Gustav strahlte. Wie das alles klappte! Er hörte nichts mehr von der zeternden Stimme, er starrte nur wie gebannt auf Wagenkante und Baum. ...

Sssst — kam der Wagen, ruck: war er durch, ssst: kam der nächste. Klapp! er war vorbei! — Das war ein Spaß! Alle Achtung ... da konnte er zu Hause was erzählen ---

Und so ging es zehnmal, fünfzehnmal, zwanzigmal — ach, Gustav hatte nicht gezählt, dazu war er viel zu begeistert von dem fabelhaften Ssssst-zack-durch-weg — der nächste: ssst-klapp-durch-weg! Um Messers Schneide ging es jedes Mal am Zusammenprall vorbei — aber; es ging.

Endlich verschwand das letzte Gefährt in seiner Staubwolke. Sie gab auch den einzelnen Mann auf dem Auto frei. Der war auf Gustav zugestürzt, schöpfte gerade Luft und holte Atem — aber da fasste Gustav den Eindruck von diesem Schauspiel für sich noch einmal abschließend zusammen:

Er guckte auf die schmale Spalte, durch die sich das rasende und donnernde vielrädrige Ungetüm mit seinen einzelnen Gliedern hindurchgezischt hatte und nickte anerkennend:

„Aaaaaaber jenau!" Hans Lippold.

 

Seite 10   Diakonissen verloren 260 Schwestern

Das Diakonissen-Mutterhaus der Barmherzigkeit Königsberg/Ostpreußen verlor in der Zeit von 1945 bis zur Ausweisung insgesamt 260 Schwestern. Nach der Besetzung Königsbergs durch die Russen und einer vorübergehenden Ausweisung aus dem Mutterhaus dienten die überlebenden Schwestern sowie Ärzte mit gleicher Hingabe in Königsberg den Russen, Franzosen, Litauern und Polen, wie ihren deutschen Brüdern und Schwestern. Unter härtesten eigenen Entbehrungen suchten sie die Kranken zu pflegen und die Hungernden zu speisen. Gegenwärtig lebt nur noch eine Schwester in Ostpreußen, je eine weitere m Litauen und in Russland. 407 Schwestern sind in West-Berlin und im Bundesgebiet und 175 Schwestern in der Sowjetzone und in Ostberlin ansässig geworden. Das Mutterhaus ist augenblicklich in Berlin-Nikolassee untergebracht, jedoch fehlt es noch an einer ausreichenden Unterbringung. Geplant ist der Aufbau eines neuen Hauses in dem abgebrannten Kloster Altenberg bei Wetzlar, die dafür nötige Bausumme von etwa 620 000 DM soll durch Spenden aufgebracht werden.

 

Seite 10   „Kantisches Staatsdenken und der Preußische Staat"

Zu einer Arbeit über die „Kantisches Staatsdenken und der Preußische Staat" ruft das 3. Preisausschreiben des „Göttinger Arbeitskreises" auf, das auf dessen diesjähriger Beiratssitzung verkündet wurde. Das Thema wurde insbesondere im Hinblick auf die 150. Wiederkehr des Todestages Imanuel Kants am 12.02.1954 gewählt. Die Arbeit soll eine kurze Darstellung der Gedanken Kants über den Staat enthalten sowie untersuchen, ob und welche Spuren Kantischen Denkens sich in der späteren Entwicklung des preußischen Staatswesens nachweisen lassen, so bei Persönlichkeiten wie Schön, Boysen und Clausewitz. Es wurden drei Preise – von 1200,--, 600 DM und 300 DM – ausgesetzt – gelten die bei wissenschaftlichen Preisausschreiben üblichen Bedingungen (Kennwort usw.).

 

Seite 10

Wer vielerlei weiß, ist biegsam,

wer einerlei weiß, ist stolz.

Jener sieht ein, wie viel ihm fehlt,

dieser ist ein Hahn auf dem Mist.

Th. G. Hippel, gestorben 1796

 

Seite 10   Kleine Geschichte des Königsberger Theaters. Immanuel Kant als Verfechter der komischen Operette

In Königsbergs „Herbergen der Brüderschaften" wurde bereits im 16. Jahrhundert das Laienspiel gepflegt. Mit Fastnachtsspielen und Schulkomödien wurde das Volk nicht immer in gerade allzu temperierter Form ausgesprochen und so waren die Schauspieler nicht geachtet, ja sie wurden den Quacksalbern gleichgestellt. Aber im Jahre 1605 kommen aus England regelrechte Schauspielergruppen in die Pregelstadt und finden dort starken Anklang. Um 1718 wird das Schauspiel mehrfach verboten und immer wieder erlaubt. Der Alte Fritz vergab Schauspielerkonzessionen, auch an einen gewissen Hilferding, der dann den „Hofkomödianten" und „Dr. Faustus" aufführte. 1755 bringt das erste Theaterereignis, nämlich die Aufführung der „Miß Sara Sampson", doch Kriegsgefahr überschattet diese vielversprechenden Anfänge, und es dauert nicht lange, da beherrscht ein Taschenspieler die Bühne, ein Mann, der Zahnarzt und Seiltänzer zugleich war. Schönemann inszeniert dann wieder eine Reihe moralischer Stücke, wendet sich jedoch von Gottsched ab und versucht es mit Singspielen, vor allem aber mit „Haupt- und Staatsaktionen". Eine gewisse Zeit beherrschen Franz Schug und Sohn das Theaterwesen und anno 1764 beginnt eine sehr bedeutsame Entwicklung: Hippel wirkt als Theaterkritiker und Lustspieldichter. Die Professoren der Universität setzen sich ein, der theaterbesessene Magister Lauson, Professor Kypke und kein geringerer als Immanuel Kant, der seltsamerweise besonders für die komische Operette eintrat. Kants Schüler und Freund, der Professor der Philosophie, Pörschke hält sogar eigene Vorlesungen über die dramatische Kunst und wird damit zu einem sehr frühen Vorläufer eines Professors Kutscher in München, der in unserer Zeit als Theaterwissenschaftler einen bedeutenden Ruf genießt.

Mehr als in irgendeiner anderen Gegend Deutschlands blüht nun auch das „Dilettanten-Theater" in der alten Hafenstadt, möglicherweise haben hier auch die Verbindungen mit Petersburg einen gewissen Einfluss gehabt. Neue, bedeutende Namen klingen auf: Döbbelin und Caroline Schuch. Letztere spielt mit einer eigenen Truppe von 40 Personen in Königsberg und die Freundschaft mit von Hippel beweist zugleich, welche Bedeutung ihr Wirken für das Kulturleben der damaligen Zeit hatte. Der getreue Chronist vergisst natürlich auch nicht den Namen Carl Steinberg und er verzeichnet säuberlichst die neuerlichen Theaterverbote.

Diese Verbote aber werden immer wieder aufgehoben, dieweil „Königsberg als Fremdenstadt und winterlicher Adelssitz" angesehen wurde. 1797 brennt der Theaterbau ab, doch schon im Jahre 1800 steht der Theaterneubau von Gilly. Das 19. Jahrhundert stand völlig im Zeichen der „Klassiker". Der Spielplan weist u.a. auf: „Wallensteins Tod", „Macbeth" (1805), „Nathan der Weise", „Die Braut von Messina", „Egmont", „Clavigo", „Tell", Werke von Kotzebue und unter den Darstellern sind hervorzuheben: Devrient und Madame Crelinger.

Auch die Theaterkritik kann einen Vergleich mit Rezensionen im Reich durchaus aushalten, beginnt doch von Hippel bereits im Jahre 1783 („Medea") damit, Regieanweisungen in der Kanterschen Zeitung zu besprechen und zu deuten, womit er anderen Blättern in Deutschland neue Wege weist.

In späteren Jahrzehnten hat sich die Hartungsche Zeitung ganz besonders um das Feuilleton verdient gemacht und nahm das Theater im großen Kranz der deutschen Bühnen einen sehr ehrenvollen Platz ein. Man denke nur an viele Kräfte, wie Koch, Wegener oder an Jeßner u. a. Doch darüber soll noch später ausführlich berichtet werden.

 

Seite 10   Nach 10 Jahren wiedergefunden

In diesen Wochen erreichte uns nachstehender Brief, den wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen: Ostpreußen-Warte, Göttingen Jeinsen, den 31.03.1953.

Möchte Ihnen die freudige Mitteilung machen, dass wir unseren Sohn Ernst-August Feister, geboren 16.03.1911, gefunden haben. Selbiger war 1944 von Partisanen überfallen und von Griechen gefangen genommen worden. Durch viele Strapazen und oft den Tod vor Augen ist er doch schon 1947 nach dem Rheinland entlassen worden. Durch unser Suchen haben wir unseren Sohn — nach zehn langen Jahren - wiedergefunden.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Hilfe. Wünsche von Herzen, dass noch viele Suchende ihre Lieben auch wiederfinden mögen.

Otto Feister und Frau geb. Hofmeister. Jeinsen 33, Kr. Springe/Hann.

Auch wir freuen uns mit der Familie Feister, dass endlich ihr Suchen von Erfolg gekrönt worden ist. An diesem Beispiel und an sehr vielen anderen erweist sich aufs Neue, dass man nichts unversucht lassen sollte, um bei den Nachforschungen nach den Angehörigen doch noch zum Ziele zu kommen. Die „Ostpreußen-Warte" nimmt bekanntlich Suchanzeigen von allen Landsleuten kostenlos auf.

 

Vertrauenssache ist der Einkauf von Bettfedern und fertigen Betten wie ansonsten bei keiner anderen Anschaffung. Die seit Generationen weltbekannte Firma Rudolf Blahut (früher Deschenitz und Neuern im Böhmerwald), besonders allen Heimatvertriebenen zu einem Begriff geworden, jetzt in Furth i. Wald und Krumbach (Schwaben), rechtfertigt stets durch beste und preiswerte Lieferung dieses Vertrauen. Lesen Sie das Angebot im Anzeigenteil,

 

Seite 11   Sommer im Bernsteinland

Foto: Blick vom Galtgarben über das Alkgebirge

Foto: Der Wargener Mühlenteich

Foto: Am Pilzenteich im Samland

Zwar erscheint der Titel „Sommer im Bernsteinland" noch etwas verfrüht zu einer Jahreszeit, da noch die Baumblüte im vollen Gange ist und die Eisheiligen, nicht zuletzt die „kalte Sophie verschmitzt auf ihre überlieferten Kalendertage warten, bereit sind einen etwas verspäteten Wintergruß zu bringen. Andererseits wollen wir bereits jetzt mit dem Abdruck dieser bisher noch unveröffentlichten Arbeit beginnen, die so lebendig und zugleich fröhlich ist, dass unsere Leser ihre helle Freude an ihr haben dürften.

Der Autor zeichnet mit „Alexis“, und unter diesem Pseudonym verbirgt sich ein Königsberger Landsmann, der wohl das Samland in seiner letzten Gründlichkeit erwandert und erforscht hat. Die lebendig geschriebenen Erinnerungen sind in ihrer Art so ausgezeichnet und noch dazu reich an Quellenmaterial, dass wir bei Ihrem Umfange bereits heute mit dem Abdruck der ersten Abschnitte beginnen, denn wir wissen, dass unsere Leser sicherlich ebenso begeistert über diesen Erlebnisbericht sein werden, wie wir, als uns ein glücklicher Umstand gerade diese Arbeit auf den Tisch legte.

„Prussia, Sarmatiae Europae nobilissima pars“ (Hennenberger)

Wahrlich, es ist wie die Erinnerung an einen schweren Traum, wenn wir an Ostpreußen zurückdenken. Besinnst Du Dich noch, wie wir nach Königsberg kamen? Damals war uns die Stadt und das Samland noch fremd. Wenn ich morgens durch das Getümmel des Kneiphofs schritt, empfand ich nichts anderes, als den Kampf ums tägliche Brot, dem alle die unterworfen waren, die gleich mir zur Arbeit gingen.

Für immer hat sich mir aus dieser Zeit der Geruch des Fischmarkts eingeprägt, der selbst nachts durch das geöffnete Fenster in mein Zimmer heraufstieg; immer noch höre ich das Stoßen der Straßenbahnzüge, wie sie vorsichtig über die Grüne Brücke fuhren, die stets dann aufgezogen wurde, wenn man eilig war.

Die engen Straßen, eingezwängt in einen Ring von Befestigungswerken altmodischer Backsteinarchitektur, das überragende Schloss, an dem so viel Generationen gebaut hatten, der gleichsam in die Erde hineinwachsende Dom auf der Pregelinsel — all das vermittelte den Eindruck einer traditionsreichen Stadt, der trotz des steten Hinweises auf ihre Vergangenheit und trotz der Geschäftigkeit ihrer Bewohner etwas Provinzielles anhaftete.

Nichts, was den Namen Königsbergs mit seiner Geschichte in Verbindung bringt, war eigentlich vorherrschend: die Strenge des Ordens, der Glanz preußischer Könige und ihrer Soldaten, der Schatten Kants, der Pietismus oder gar jene herbe Kritik an der bestehenden Ordnung, die hier einmal die Regierung so viel Sorgen bereitet hat. Vielleicht konnte man es am ehesten als praktische Vernunft bezeichnen, was die Königsberger vorwärts trieb, eine Vernunft, die so weit ging, dass von einem Kastengeist nirgends etwas zu spüren war.

So schienen die Voraussetzungen, sich einzugewöhnen, nicht schwer. Aber erst, als alle guten Gedanken, die je hier gedacht worden waren, von uns Besitz ergriffen hatten, wurden wir heimisch und wir empfanden jene Liebe, die es ermöglicht, zu sagen: hier gehöre ich hin, hier will ich auch begraben werden. Doch da mussten wir die Stadt auf immer verlassen.

Und wie wir nur langsam in dieses Gemeinleben hineinwuchsen, bis es uns gelang, darin Wurzel zu schlagen, so begannen wir uns auch nur zögernd mit der Landschaft vertraut zu machen,, in die uns dieses Schicksal hineingestellt hatte.

Dann aber kam als Auftakt der Tag. an dem wir beschlossen, dem Ursprung des „Landgrabens" nachzuspüren, mit der gleichen Entdeckerfreude, mit der wir als Kinder dem Lauf des eines Bächleins folgten, bis wir seine Quelle gefunden hatten. Schon seine Kopfstation. der Fürstenteich mit dem Kaffeegarten im Tälchen, hatte uns stark berührt. Anfangs scheint ihn noch die Nähe der Stadt mit ihren vielen Siedlungen einzuengen. Aber bereits hinter Juditten kann er sich freier entfalten: seine Bestimmung, Königsberg über eine gute Strecke Wegs das Wasser zuzuführen, wird offenbar.

Manchmal hat man geradezu die Vorstellung im Wald zu wandern. Immer wieder ist der Pfad von Bäumen und Hecken umstellt, die zu liebenswürdigen Betrachtungen reizen: das Kommende in Gedanken ein wenig vorwegzunehmen.

Bisweilen eröffnen sich prachtvolle Ausblicke über das flache Land zu beiden Seiten. Dann lohnt es sich, einen Abstecher in den Bereich der Äcker zu unternehmen. Bis Prowehren können wir hier durch die Felder ziehn und am Wegrain blaue Lupinen rupfen, die wie Unkraut wuchern, in der Vase sehr schmuck wirken und nach einigen Tagen plötzlich blass werden, weil sie in der Zimmerluft die Farbe verliefen, oft ahnen wir in nächster Nähe Wild vorüberwechseln und die Hasen hatten vor uns kaum noch Scheu.

Immer wieder können wir an unserem Weg neue Reize entdecken. Selbst, wenn es regnete und die Weite verhängt war, freuten wir uns an der Welt im Kleinen, die sich vor uns auftat: Blumen, Gräsern, Schnecken und Käfern. Sein Pflanzenwuchs ist für uns sozusagen Uhrzeiger der Jahreszeiten. Hier sehen wir, wenn es Frühling wird, denn die voreiligen Stachelbeersträucher in den Gärten auf den Hufen täuschten uns geradeso, wie die Straßenbäume mit ihren schon im August kränkelnden Laub, die den Herbst anzuzeigen scheinen. Den alten Eichen gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Wenn sie ihre verkrüppelten Äste unter jungem Laub verbergen, dass sie einer Vierzigerin gleichen, die sich in eine Jungmädchenrobe gesteckt hat, ist der Sommer nicht mehr fern.

Wenn wir früh auf den Beinen sind, sehen wir wohl auch einen Angler am Ufer sitzen. Während wir, von Lust an Wandern und Schauen ergriffen, nur darauf aus sind, eine Unzahl wechselnder Bilder in uns aufzunehmen, um sie bis zum nächsten Sonntag als Erinnerungsschatz kaleidoskopartig vor unserem Auge vorüberziehn zu lassen, bewegt er sich nicht vom Fleck und scheint dennoch zufrieden. Wir möchten es ihm nicht gleichtun und können ihn nur bewundern. Es gibt große Geister, die seine Tätigkeit heftig ablehnen. In einem der großen Romane von Tolstoi las ich kürzlich die köstliche Stelle: „Ssergej Iwanowitsch angelte gern — ja, er schien sogar stolz darauf zu sein, dass er diese alberne Beschäftigung liebte."

Bis zum Philippsteich begegnen wir vielen Spaziergängern. Hier aber wird es still. Verträumt liegt der kleine Waldsee in der Morgensonne und ein leichter Wind spielt in der reichen Vegetation, die ihn umgibt. Da könnte man ganze Herbarien anfüllen, um die Pflanzen sauber zu beschriften, nachdem man sich zu ihrer Bestimmung durch Begriffe wie „gipfelständig", „lineal", „lanzettlich" und „dreifach-fiederschnittig" mühsam hindurchgequält hätte.

Als letzten der drei Stauseen, die vom Orden durch den Bau des Landgrabens geschaffen wurden, treffen wir den Trankwitzer Teich. Von hier besorgen wir uns immer, die fettesten Sumpfvergissmeinnicht. Wagt man es, durch das Unterholz zu strolchen, fangen sich unzählige Kletten an den Kleidern und Dornen werden einem die Strümpfe zerreißen. Am Abend haben Störche ihre Schlafplätze in den Bäumen. Von nun ab wird der Weg neben dem Wasserlauf zum Deich. Hier standen am Waldrand vor Jahren ein paar Fichten, die man umgehauen hat. Das tut mir heute noch leid; nicht nur, weil sie prächtig aussahen, sondern auch, weil ich einmal, während Du verreist warst, ein Herz in die Borke schnitt, das unsere Anfangsbuchstaben vereinigte. Du hast es mir verziehn, nicht aber mein Taschenmesser, das, sich gegen Barbarei wehrend, bei dieser Beschäftigung zerbrach.

In Ostpreußen soll es in alter Zeit eine Eiche gegeben haben, die dem menschlichen Spieltrieb, ein Andenken seiner selbst zu hinterlassen, zum Opfer gefallen ist. Sie stand unweit von Wehlau und war so gewaltig, dass sich ein Reiter in ihrem hohlen Stamm tummeln konnte. Der Chronist erzählt, dass jedermann, der dahin kam, seines Namens ersten Buchstaben oder Zeichen hineinschnitt, wovon sie verdorren und verderben musste.

Insthäuser aus roten Ziegeln erbaut, finde ich nur im Frühling schön, wenn sie von dem Grün, der Äcker farbenfroh abstechen. Bei uns hat man saubere Fachwerkhäuschen. Du hast Recht — Ostpreußen hat auch seine Reize, aber nur mit Dir konnte ich sie entdecken. Ich will Dir zu erklären suchen, was mir fehlt: das Gefühl, auf einem sehr alten Kulturboden zu wandern. Immer wieder kam mir das zum Bewusstsein, sooft ich aus der Hintertür des Reichs von Firchau kommend, bei Marienburg in seine Dependance Ostpreußen hereinfiel. Manches erscheint mir hierzulande doch allzu unfertig.

Du lächelst, die Du mich liebst und kennst weil Du weißt, dass ich mir widersprochen habe. Grade das Urtümliche zieht mich an. Es ist nicht immer ein Vorzug, wenn Leute, die unser Land zum ersten Mal sehen, ihre Empfindungen in die Worte fassen: Deutschland ist ein Garten. Nur dort, wo der Garten gewachsen ist, wirkt er schön. Man muss es verstehen, ihn anzulegen, ohne die Natur dabei all zu sehr umzubilden.

Das Wasser des Landsgrabens treibt mit unendlicher Trägheit an uns vorüber. Wie es heißt, braucht es drei Tage, um von Wargen bis nach Königsberg herunterzufließen. Wir sehen es an Grashalmen, die darin schwimmen.

Immer wieder haben die weit ausladenden Mäander das Ziel in die Ferne gerückt. Drunten blaut die Kobbelbuder Forst, in der das Stück bis Bärwalde am lohnendsten ist. Ein Sachse, mit dem ich da einst spazieren ging, hatte sofort heraus, dass der Name unmöglich von Bären herrühren könne, von denen wir gar keine sahen, sondern von den vielen Pärchen, die uns begegneten. Seitdem hieß das Dorf bei uns Bärchenwalde und wir machten diesen Weg häufiger, weil sich gleich zu gleich gern gesellt.

Einmal, als ich dort unten, von Nautzwinkel kommend, durch das moorige, mit Kusseln bedeckte Gelände schritt, kam ich an einen Graben, in dem zahlreiche Ringelnattern durch das Wasser glitten. Noch nie hatte ich so viele Schlangen beieinander gesehen. Es war fast, als habe sich die Natur an dieser Stelle ein Freilicht-Terrarium errichtet. Gleich darauf blieb ich wie angewurzelt vor einer Kreuzotter stehen, die quer über den Weg lag. Vollkommen schwarz, züngelte sie mir entgegen wie die Verkörperung des Bösen, von der die Schöpfungsgeschichte so anschaulich zu erzählen weiß. Als ich mit einem Knüppel wiederkehrte, sie zu töten, war sie fortgekrochen.

Manche Leute behaupten, der Biss einer Kreuzotter sei nicht giftiger, als ein Insektenstich. Bei den alten Preußen war sie sozusagen Haustier. Ich verabscheue sie und lasse es gern gelten, wenn man mitleidig sagt, meine Abneigung sei durch religiöse Anschauungen bedingt.

Da war es doch schöner, als wir im Vorfrühling durch den Wald bei Mednicken gingen! Besinnst Du Dich, wie wir plötzlich ein Zischen vernahmen und der Kopf der Schlange aus der Wagenspur, in der sie sich sonnte, emporfuhr und der schlanke Leib mit der auffallenden Zickzackzeichnung dahinfloh, bis ihn das Stöckchen zwei, dreimal traf, wovon das feine Rückgrat zerbrach? Der schnelle Tod der Kreatur, die gleich uns an diesem ersten warmen Tag nach der Sonne gestrebt hatte, stimmte Dich nachdenklich, aber Du warst meinen Einflüsterungen zugänglich, die Dir von der Möglichkeit sprach, dass Dich die Schlange in den Fuß gebissen hätte und Du liebtest mich zärtlicher, als zuvor.

Hat man die Straße kurz vor Schloß Preyl überquert, gewahrt man über den Teich hinweg die Kirche von Wargen mit der Pfarre und dem bekannten Gasthof unter alten Bäumen. Liebe ist mir der Anblick des Kirchleins von Katzenblick (blick, Katze, blick!) Hier glaubt man, einen zünftigen alten Niederländer vor sich zu sehen. Da aber Wargen, wie viele andere Plätze, schon seinen Malerwinkel hat. wollen wir unsere Ansicht niemand aufdrängen. Wir verhalten an der betreffenden Stelle viel lieber, ohne dass eine Staffelei in der Nähe steht.

Bevor wir unsere Wanderung fortsetzen, besuchen wir schnell noch Friedhof und Kirche. Wir lieben diese Landkirchen, den einzigen Ruhepunkt im Werden von Geschlecht zu Geschlecht, Saat und Ernte überdauernd. So verweilen wir still im Halbdunkel des Raums, in dem schon Generationen vor uns Sammlung zur Andacht gefunden haben.

Wargen ist eine große Gemeinde. An fünfzig Namen von Ortschaften und Höfen sind auf die Bänke gemalt. Selbst vom Haff kommen die Leute hierher zum Gottesdienst. Über den reichen Schmuck in den ostpreußischen Kirchen habe ich mich immer gewundert. Es scheint, als habe sich die Reformation hier leidenschaftsloser durchgesetzt. Man findet viele Bildwerke aus katholischer Zeit. Hier ist es ein heiliger Michael, dem ein faunisches Teufelchen grinsend zu Füßen liegt.

Die hohe Bedeutung der Inventarisationswerke, in denen selbst das scheinbar Nebensächliche zusammengetragen ist, lernten wir bei unseren Kirchenbesuchen erst recht zu schätzen. Zu schnell arbeitet die Zeit und lässt Dinge der Vergangenheit anheimfallen, die für mannigfache Zweige der Wissenschaft von Wert sein können. Es gibt Grabsteine, die in den Boden eingelassen wurden und deren Text jede Berührung unserer Sohlen stärker verwischt. Alte Leute erzählen uns, in ihrer Jugend sei die Arbeit des Meißels noch lesbar gewesen. Jetzt lassen nur noch wenige Striche einen ehemals zusammenhängenden Schriftsatz erkennen. Sieh hier die Inschrift auf dem Grabstein des Pfarrers Neubeck. Sie lautet:

Ein Lehrer ruht allhier, der sich zu Tod gelehrt. Den jedermann mit Lust, da er gelebt, gehört. Nun ruhet er in Gott. Wer aber sein Gebein Hier stören wird, der soll verflucht auf Erden sein.

Wäre der Spruch noch leserlich gewesen, hätten ihn die Maurer beim Abputzen der Kirche vielleicht etwas vorsichtiger behandelt. Nun ist eine Ecke abgebrochen und lohnt sich kaum ihn neu aufzustellen.

Ähnlich wie diese Grabschrift beeindruckte uns die des Kantors Guttendorf von der Tragheimer Kirche Königsberg. Auch hier ist die Erlösung durch den Tod von der übergroßen Mühe des Lehrens der Kleinen ergreifend zum Ausdruck gebracht. Rührende Zeugnisse von Eltern- und Gattenliebe, Gottvertrauen und der Hoffnung auf ein besseres Jenseits finden wir in vollklingende barocke Verse gekleidet. Sooft wir sie lesen, sehen wir, dass in ihnen schon alle Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache erschöpft sind und wir wundern uns, dass man es vor noch nicht allzu langer Zeit wagte, Gedichte zu machen, in denen der Himmel ja auch nicht anders als blau und die Bäume nichts weiter als grün sein konnten.

Aus der gleichen Frömmigkeit heraus erwachsen sind Allegorie und Symbolik in Bildern und Plastik — Dinge, die in unserer Zeit keinen Raum zu haben scheinen. Es fehlt ihre geistige Voraussetzung, Ehrfurcht vor dem Unerkannten und Vertiefung in Bibel und Altertumswissenschaft, die unseren Vätern ein anderes Weltbild verlieh. (Fortsetzung folgt)

 

Seite 11   Suchdienst der Heimatortskartei für Ostpreußen.

Wenn Ihnen über den Verbleib der Gesuchten etwas bekannt ist, geben Sie bitte, direkt Nachricht an die Heimatortskartei für Ostpreußen – (24b) Neumünster, Postfach 178.

Es werden gesucht:

691. Kahlheim, Kreis Gumbinnen. Eschment, Franz, geb. 25.05.1890, Landwirt , ges. von Eschment, Gerda

692. Kahlheim, Kreis Gumbinnen. Kalb, Erna, geb. 01.11.1919, ges. von Kalb, Johanna

693. Kahlheim, Kreis Gumbinnen, Ludwig, August, geb. 30.08.1890, Bauer, ges. von Ludwig, Charlotte

694. Kahlheim, Kreis Gumbinnen. Ritzkowski, geb. 02.09.1878, ges. von Buchholz, Martha

695. Kahlheim, Kreis Gumbinnen. Ritzkowski, Franz, geb. 19.12.1874, Landwirt, ges. von Buchholz, Martha

696. Kahlheim, Kreis Gumbinnen. Schelski, Minna, geb. Müller, geb. 20.10.1885, ges. von Peterschun, Minna

697. Kailen, Kreis Gumbinnen. Eder, Günter, geb. 15.11.1928, Lehrling, ges. von Eder, Emil

698. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Brauer, geb. Weber, geb. 14.07.1912, ges. von Weber, Otto

699. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Brigitte, geb. Juli 1941, ges. von Heisel, Max

700. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Emma, geb. 12.04.1878, Bäuerin, ges. von Heisel, Max

701. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Gertrud, geb. 17.09.1920, ges. von Heisel, Max

702. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Hans, geb. Dezember 1942, ges. von Heisel, Max

703. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Mattes, geb. 22.09.1870, Bauer, ges. von Heisel, Max

704. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Monika, geb. Februar 1944, ges. von Heisel, Max

705. Kaimelau, Kreis Gumbinnen. Heisel, Rudolf, geb. 27.02.1902, Bauer, ges. von Heisel, Max

706. Kaimelskrug, Kreis Gumbinnen. Hoffmeister, Fritz, geb. 26.08.1890, Landwirt, ges. von Hoffmeister, Willy

707. Kaimelskrug, Kreis Gumbinnen. Peiszan, Kurt, geb. 27.01.1929, ges. von Peiszan, Albert

708. Kaimelswerder, Kreis Gumbinnen. Roggenfeld, Frieda, geb. 13.05.1910, ges. von Kruse, Johanna

709. Kaimelswerder, Kreis Gumbinnen. Zarm, August, geb. 25.07.1877, Landarbeiter, ges. von Lasch, Ida

710. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Hübner, Margarete, geb. Kammer, geb. 27.06.1915, ges. von Eschmann, Martha

711. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Mursell, Karl, geb. 20.12.1898, ges. von Mursell, Minna

712. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Radtke, Gustav, geb. 02.07.1875, Landwirt, ges. von Schönfeld, Frieda

713. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Rothaupt, Johanna, geb. 30.06.1889, ges. von Rothaupt, Fritz

714. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Thiel, Albert, geb. 1933, ges. von Klages, Berta

715. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Thiel, Hannelore, geb. (?), ges. von Klages, Berta

716. Kanthausen, Kreis Gumbinnen. Thiel, Inge, geb. (?), ges. von Klages, Berta

717. Karlswalde, Kreis Gumbinnen. Flötenmeyer, Elisabeth, geb. 20.12.1884, ges. von Flötenmeyer, Otto

718. Karlswalde, Kreis Gumbinnen. Rädszus, Franz, geb. 05.05.1895, Landarbeiter, ges. von Rädszus, August

719. Karmohnen, Kreis Gumbinnen. Buth, Friedrich, geb. 12.01.1883, ges. von Buth, Emma

720. Karmohnen, Kreis Gumbinnen. Wiemer, Berta, geb. Czurgel, geb. 01.09.1884, ges. von Wiemer, Karl

721. Karmohnen, Kreis Gumbinnen. Wiemer, Charlotte, geb. 24.08.1926, ges. von Wiemer, Karl

722. Kieselkeim, Kreis Gumbinnen. Dannert, Herta, geb. 29.11.1932, ges. von Dannert, Anna

723. Kieselkeim, Kreis Gumbinnen. Dydzbalis, Gustav, geb. 16.10.1907, ges. von Dydzbalis, Ursula

724. Kieselkeim, Kreis Gumbinnen. Dydzbalis, Walter, geb. 26.07.1936, ges. von Dydsbalis, Ursula

725. Kleehagen, Kreis Gumbinnen. Britt, Fritz, geb. 22.05.1936, ges. von Britt, Charlotte

726. Kleehagen, Kreis Gumbinnen. Britt, Fritz, geb. 12.12.1898, Stellmacher, ges. von Britt, Charlotte

727. Kleehagen, Kreis Gumbinnen. Klein, Hildegard, geb. 25.06.1941, ges. von Klein, Fritz

728. Kleehagen, Kreis Gumbinnen. Stubel, Fritz, geb. 13.08.1927, ges. von Stubel, Ida

729. Baitschen, Kreis Gumbinnen. Maukel, Fritz, geb. 09.01.1930, ges. von Scheiba, Hedwig

730. Baitschen, Kreis Gumbinnen. Meitsch, Fritz, geb. 09.08.1877, Landwirt, ges. von Meitsch, Helene

731. Kl. Blecken, Kreis Gumbinnen. Arndt, Gustav, geb. 29.03.1890, ges. von Arndt, Justine

732. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Bäumer, Fritz, geb. 16.03.1885, ges. von Bäumer, Emma

733. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Koch, Franz, geb. 06.12.1888, ges. von Koch, Hans

734. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Leitner, Maria, geb. 09.06.1866, ges. von Theweleit, Bruno

735. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Maschowitz, Elisabeth, geb. 05.04.1903, ges. von Maschowitz, Emil

736. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Rudat, Waltraut, geb. 17.06.1925, Krankenschwester, ges. von Rudat, Anneliese

737. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Schinz, Erna, geb. Radtke, geb. 22.03.1898, ges. von Meiser, Gertrud

738. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Ehmer, Berta, geb. 10.04.1900, Landwirt, ges. von Weichert, Helene

740. Kl. Preußenbruch, Kreis Gumbinnen. Ehmer, Emma, geb. 19.12.1891, Schneidermeisterin, ges. von Weichert, Helene

 

Seite 12   Kameraden, meldet Euch! 21. Inf.-Div.

Zu Pfingsten (24./25. Mai) findet das erste Divisionstreffen in Herford/Westf. Statt. Pfingst-Sonnabend: Sammeln im Tagungslokal: Schützenhof ab 18.30 Uhr. Eröffnung des Kameradschafts-abend um 19.30 Uhr abends. Großer Zapfenstreich des Musikkorps um Mitternacht. Polizeistunde 3 Uhr. Pfingst-Sonntag: Vorm. Lichtbildervortrag „Soldatengräber“, anschl. Gefallenen-Gedächtnisstunde Sonntag: Vorm. „Lichtbildervortrag ", anschl. Gefallenen – Gedächtnisstunde am Ehrenmal; dann Arbeitstagung des Traditionsverbandes, gemeinsames Mittagessen (Erbsen mit Speck) und gr. Gartenkonzert. An beiden Tagen Vermisstenaufklärungsdienst in Zusammenarbeit mit dem DRK. Pfings-Montag: Pfingstfahrten ins Lipper Land. Anmeldungen zum Treffen an Kamerad Willy Rademann, Bünde in Westf., Holtkampstraße 39. Auskünfte über den Traditionsverband usw. durch Kamerad Dr. Brechtel, Frankfurt am Main, Reuterweg 88. (Rückporto erbeten!)

 

Seite 12   Luftgau Kdo I

Alle ehem. Angehörigen der Prüfgruppen im Luftgau I werden gebeten, sich unter Angabe ihrer letzten Dienststelle, jetzigen Tätigkeit und Wohnung zu melden bei: Wilhelm Gramsch, Celle/Hann., Waldweg 83.

 

Seite 12   Geschichte der 291. Inf.-Div.

Im Verlag Hans-Henning Podzun, Bad Nauheim erschien jetzt die Geschichte der 291. Infanterie-Division von Prof. Werner Conze. Die Broschüre behandelt den abwechslungsvollen Schicksalsweg der Division von ihrer 1940 in Arys erfolgten Gründung über die siegreichen Kämpfe in Frankreich und Russland bis zu ihrer dramatischen Vernichtung im Januar und Februar 1945. Die Schrift ist mit 21 Skizzen versehen.

 

Seite 12   Das „Hungernäpfchen" von Lindenau

Dem aufmerksamen Besucher der aus dem Jahre 1367 stammenden Ordenskirche der ostpreußischen Gemeinde Lindenau fielen an der Außenfront der Kirche in ein Meter Höhe eigentümliche kreisrunde, etwa ein Zentimeter tiefe Löcher auf. Man nahm an, dass diese Vertiefungen von Menschenhand stammten. Der Volksmund nannte die Zeichen „Büßermale" oder „Hungernäpfchen". Man erzählte, dass die zu Kirchenstrafen verurteilten Büßer — damals besaßen die Kirchen noch das Recht, mit Halseisen, Prangerstein und Schandpfahl zu drohen — diese kreisrunden Löcher mit den bloßen Händen gebohrt haben.

Nach einer anderen Version sollen die „Hungernäpfchen" dadurch entstanden sein, dass Mütter in der Notzeit mit scharfen Gegenständen etwas Ziegelstaub aus der Wand der Kirche gekratzt haben, um den Staub später dem Brot beizumengen. Man versprach sich dadurch eine Erhöhung der Nahrungswirkung. — Eine dritte Lesart behauptet, es handelte sich dabei um den Heilmittelglauben. Bei allen ansteckenden Krankheiten — Pest, Cholera, Aussatz — soll das Ziegelmehl, ausgehöhlt aus der heiligen Kirchenmauer, als Schutz- und Arzneimittel in die Suppe geschüttet worden sein. Der Glaube an die Wirkung dieses roten Pulverstaubs soll so stark gewesen sein, dass sogar Krieger, bevor sie ins Feld zogen, vor die Mauer traten, mit dem Messer etwas Ziegelstaub kratzten, das gewonnene Mehl in ein Lederbeutelchen taten und dieses dann um den Hals hängten. Es sollte als Schutz aus da- (hier hört der Satz leider auf).

Von weniger romantischer Seite aus dagegen wurde behauptet, dass diese Löcher nichts mit „Büßermalen" oder „Hungernäpfchen zu tun gehabt haben, da sie lediglich heilige Symbole darstellten, welche die Ziegelmeister selbst bereits während des Anstreichens eingedrückt haben sollen. Welche von den vielen Deutungen die richtige war, lässt sich schwer feststellen, da außer den mündlichen „sagenhaften" Überlieferungen jede authentische Unterlage fehlt.

 

Seite 12   Ostvertriebene Betriebe werben

Als Nachfolgefirma der früher in Michelsdorf Eulengeb. ansässigen Thielschen Wollspinnerei und Weberei, wurde in Sterbfritz in der Rhön eine Kleiderfabrik errichtet, die neben guten Lodenmarken, Herren-, Damen- und Kindermäntel sowie Anzüge und Hosen herstellt. Es ist gelungen, alle Arten leichter Sommer-Sakkos, Mäntel und Anzugstoffe, ohne dass dies äußerlich sichtbar ist, wasserabstoßend auszurüsten, um somit die Kleidung wetterfest wie Loden zu machen. Bei Regen formbeständige Kleidung zu tragen, ist gewiss ein großer Vorteil. Dabei sind die Preise durch Eigenherstellung nicht höher als diese, die sonst für nicht wetterfeste Kleidung gezahlt werden. Allen Flüchtlingen insbesondere den Empfängern von Hausratshilfe, wird eine Preisvergünstigung (siehe Inserat) gewährt, die Ergänzung der verlorenen und so dringend gebrauchten Mäntel, Anzüge usw. erleichtern soll. Diese Beträge werden zum Teil von Mitarbeitern durch Überstunden ausgeglichen, um ihren Landsleuten ihre Verbundenheit aufzudrücken. Auch werden Ansichtsstücke an Bekannte versandt.

 

Seite 12   Wiedersehenstreffen der Lötzener Rasensportler

Der Sportverein Lötzen hatte bereits Anfang Februar zur Teilnahme an seinem diesjährigen Wiedersehenstreffen am 31. Juli und 1. August in Steinhude am Meer (in der Nähe von Hannover) aufgefordert. Eine stattliche Anzahl der ehemaligen Sportvereinsmitglieder mit ihren Angehörigen, an der Spitze wie immer der Ehrenvorsitzende Fritz Suehs, hat bereits eine Zusage gegeben. Da nur auf rechtzeitige Anmeldung die notwendigen Nachtquartiere während der Hauptsaison durch den Fremden-Verkehrs-Verein mit Sicherheit bereitgestellt werden können, ist es erforderlich, dass nach Möglichkeit bis Mitte Mai die restlichen Anmeldungen erfolgen. Nochmals sei auch darauf hingewiesen, dass auch die Angehörigen unserer toten und vermissten Kameraden sowie die ehemaligen Angehörigen der Sportvereinigung Hindenburg-Lötzen zu diesem Treffen herzlich willkommen sind. — Die ostdeutschen Anhänger der Leichtathletik treffen sich außerdem anlässlich der Deutschen Leichtathletikmeisterschaften 1953 am 25./26. Juli unter Führung von Dr. chmidtke-Asco-Königsberg in Augsburg. Hier ist auch in erster Linie unser Ehrenmitglied, der Exweltrekordmann im Hammerwerfen Erwin Blask, der noch immer zu den besten Deutschen Hammerwerfern gehört, vertreten. Alle Anfrage und Meldungen sind zu richten an: W. Geelhaar, 24a Hamburg-Volksdorf, Ahrensburger Weg 25. Wer außer in Steinhude am Meer in Bochum (10.05.), in Augsburg (25./26.07.) oder in Hamburg (02.08.) dabei sein kann, wird gebeten, dieses ebenfalls uns wissen zu lassen.

 

Seite 14    Sondertreffen in Bochum. Schornsteinferger   

Angehörige des ostpr. Schornsteinfegerhandwerks treffen sich beim Ostpreußen-Treffen in Bochum zwanglos in der Gaststätte Hannibal, Dorstnerstr., Straßenbahn 6, Haltestelle Riemkerstraße. W. Huenerbein, Gevelsberg, Bahnhofstr. 5

 

Sattler und Polsterer

Die ostpreußischen Sattler und Polsterer treffen sich am 9. Mai um 19 Uhr im Ratskeller in Bochum. Alle Kollegen werden im Übrigen gebeten, ihre Anschrift mitzuteilen an: Otto Behrend, Hannover, Vahrenwalder Straße 52 oder an R. Sachowski, Bochum, Wittener Str. 69.

 

Kreis Treuburg

Landsleute aus dem Kreise Treuburg treffen sich am Sonntag, dem 10. Mai, ab 13 Uhr im „Rosenkabarett". Bochum. Laerstr. 38.

 

 ASCO-Familie

Im Rahmen des Bundestreffens der Landsmannschaft findet in Bochum auch ein Sondertreffen der Mitglieder der ASCO-Familie und der ostpreußischen Sportler statt. Die ostpreußischen Sportler treffen sich am Sonnabend, den 9. Mai, um 20 Uhr und am Sonntag, den 10. Mai, nachmittags nach dem Ablauf des Bundestreffens in der Gaststätte Imberg, Bochum, Bergstraße 61 an der Autobushaltestelle „Alter Stadtpark" (8 Minuten vom Bahnhof Bochum).

 

Rößel. Gymnasium

Unser Treffen in Bochum am 10. Mai findet im Lokal „Park-Kaffee" in Wattenscheid, Voedestr. 63, statt Zu erreichen von der Kundgebungshalle mit der Straßenbahn bis Haltestelle Postamt Wattenscheid, von dort 3 Min. Fußweg. Anmeldungen an Leo Klafki. Herne/W., Poststraße 15.

 

 

Seesen am Harz Unter dem Motto „Ostpreußische Getränke und Leibgerichte" veranstaltete die Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen nach dem Entwurf ihres Obmannes Rependick eine stark besuchte und eindrucksvoll verlaufene Kulturstunde. — Frau Donnermann gab einen Bericht über die „Bruderhilfe Ostpreußen" und die hier eingetroffenen ersten Dankschreiben aus Südostpreußen. Bei der 2. Paketaktion Masuren konnten von Seesen wieder 3 ½ Ztr. Bekleidungsstücke nach Ostpreußen weitergeleitet werden. — Die heimatpolitische Kundgebung am 2. Mai wird unter dem Thema „In der Heimat ohne Heimat" die Lage der Deutschen im heutigen Ostpreußen schildern.

 

Heimattreuer Ost- und Westpreußen

Hannover Bei der gut besuchten Jahreshauptversammlung des Vereins heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover wurde der bisherige Vereinsvorstand mit dem Vorsitzenden Wilhelm Hellwig, dem Schriftführer Horst Frädrich und dem Kassenverwalter Franz Binger einstimmig wiedergewählt. Die Leistungen des Vorstandes im vergangenen Geschäftsjahr haben herzlichen Beifall gefunden. Auch für das laufende Geschäftsjahr sind Autobusfahrten, Heimatabende und ein Lichtbildervortrag vorgesehen. Die erste Ausflugsfahrt findet als „Fahrt in den M a i" am Sonntag, dem 10. Mai 1953 statt. Hierzu sind Teilnehmerkarten nur noch in geringer Anzahl bei dem Vorsitzenden, Landsmann Wilhelm Hellwig, Hannover, Bödekerstraße 96 vorrätig.

 

Frankfurt/M.

In einer außerordentlichen Versammlung der L. M. der Ost- und Westpreußen Frankfurt/M. wurde nach der Jahreshauptversammlung des Vereins, in welcher der 1. Vorsitzende, Martin Wegener, sein Amt niederlegte und eine Wiederwahl nicht annahm, Landgerichtsdirektor a. D. Dr. Wiedenhöff aus Königsberg Pr. zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt.

 

Seite 14   Wir gratulieren

Zum 85. Geburtstag, am 25. April 1953, Frau Martha Wotschak aus Gumbinnen, Friedrichstraße 35, jetzt wohnhaft auf Hoheneichen, Holst, über Preetz.

 

Die Witwe Wilhelmine Wölk aus Kersdorf, Kreis Osterode wurde am 8. April 1953, 70 Jahre alt. Sie verbringt ihren Lebensabend bei ihrem Sohn Wilhelm in Bornhausen 118 über Seesen a/Harz.

 

Der Pfarrer i. R. Franz Schibalski, ehemals Neuhausen/Ostpreußen, jetzt Bornhausen 2 über Seesen a/H., vollendet am 6. Mai 1953, in vorzüglicher geistiger und körperlicher Frische sein 81. Lebensjahr.

 

Friseurmeister Franz Korell beging am 16.04.1953 seinen 77. Geburtstag. Er ist erfreulich rüstig und ein eifriger Leser unserer Zeitung. Wir schließen uns gerne den Wünschen der Angehörigen und Freunde an.

 

Frau Auguste Gand (aus Mehlsack, Heilsbergerstr. 6) feiert am 3. Mai 1953, ihren 86. Geburtstag in Bad Kissingen. St.-Elisabeth-Altersheim. Cyrill Kistlerweg 4.

 

. . . zur Silberhochzeit Revierförster Hans Dorn und Frau feierten am 9. April 1953 ihre Silberhochzeit. Herr Dorn ist gebürtiger Ostpreuße. Er kehrte 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück und lebte seit 01.07.1947 bis 1949 in Clausthal-Zellerfeld. Ab 1949 zog das Paar in die Försterei Eichelnberg im Forstamt Riefensbeek über Osterode/Harz.

 

Der 19-jährige Oberprimaner Hans Joachim Karrasch aus Rössel, jetzt in Herringen bei Hamm wohnhaft, bestand die Reifeprüfung. Kurz vor der mündlichen Prüfung brach er sich das Bein und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Abiturkommission des Neusprachlichen Gymnasiums begab sich an sein Krankenbett und hier im Krankenhaus legte Karrasch seine Prüfung ab.

 

Die Kantherkinder im NWDR

Am 12. Mai bringt der Nordwestdeutsche Rundfunk Hamburg in einer Sendung eine größere Vorlesung aus dem Roman „Die Kantherkinder'' von der ostpreußischen Schriftstellerin Gertrud Papendick,

 

Seite 14   Deggendorf/Donau

Der Bund heimattreuer Ost- und Westpreußen konnte mit seiner Winterarbeit zufrieden sein. Der Lichtbildervortrag des 2. Vorsitzenden Winkel, Weihnachtsfest und die Faschingsveranstaltung zeigten guten Besuch, auch aus den Kreisen der einheimischen Bevölkerung. — Als besonderer Erfolg kann wohl die „Masuren-Aktion" gebucht werden, für die Landsmann Winkel einen Aufruf erlassen hatte. Der Deggendorfer Katholische Frauenbund spendete eine solche Menge erstklassiger, zum Teil ganz neuer Kleidungsstücke, dass Landsmann Winkel alles in allem 6 große Kisten nach Hamburg abgehen lassen konnte.

Als einmalig im ganzen Bundesgebiet ist die „Ostdeutsche Vortragsreihe" anzusehen, die im Laufe des Wintersemesters von der Deggendorf er Volkshochschule in Verbindung mit den 4 ostdeutschen Landsmannschaften durchgeführt wurde. Die vier Vortragenden sprachen jedes Mal vor dem überfüllten festlich geschmückten Rathaussaal, den der Oberbürgermeister Dipl.-Ing. Krämer, der die Schirmherrschaft über diese Vortragsreihe übernommen hatte, kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Die einheimische Bevölkerung zeigte großes Interesse, denn gerade der Bayerische Wald ist ja ebenfalls Grenzland, so wie es der verlorene Deutsche Osten war. Prof. Cysar, Universität Prag sprach über das Thema: „Böhmen und Mähren gestern, heute, morgen". Prof. Bolko Frhr. v. Richthofen-Breslau hielt einen Vortrag über: „Der deutsche Osten im Spiegel des Auslandes". Am 3. Abend sprach unser Landsmann Dr. Walter Schlusnus über: „Der Rechtsanspruch Deutschlands auf das Ordensland Ost- und Westpreußen". Zum Schluss zeigte Landsm. Schlusnus noch sehr interessante Lichtbilder. — Beschlossen wurde die Vortragsreihe von dem Siebenbürger-Schriftsteller Dr. Dr. h. c. Heinrich Zillich mit dem Thema: „Das Ost-Deutschtum als Schutzwall des Abendlandes".

Durch den Erfolg dieser Vortragsreihe ermutigt, beginnen bereits jetzt schon die Vorbereitungen für das Wintersemester 1953/54 zu der neuen Vortragsreihe „Der Deutsche Osten". — Der Göttinger Arbeitskreis sowie die Nordostdeutsche Akademie Lüneburg nehmen an dieser Deggendorfer Vortragsreihe lebhaften Anteil, wie verlautet wird. Der April-Heimatabend fällt aus. Für die nächsten Monate ist ein „Quiz"-Abend über Ostpreußen geplant mit wertvollen Gewinnen. Auch ein Ausflug in den Bayer. Wald soll steigen. Eva Hurtig-Christeleit

 

Peine

Bei der Jahreshauptversammlung unserer Ostgruppe verbunden mit Neuwahl des Vorstandes gab nach Erstattung des Kassen- und Jahresberichts durch die Vorstandsmitglieder Saemann und Sperber der Vorsitzende, Dr. Maluck, bekannt, dass der Vorstand bei seiner letzten Sitzung beschlossen hat, aus dem Bestand der Kasse den Betrag von 110,-- DM der Bruderhilfe Ostpreußen zur Verfügung zu stellen. Die Versammelten gaben durch Händeklatschen hierzu ihre Zustimmung. Dr. Maluck bat nunmehr die Versammlungsteilnehmer, von der Wahl seiner Person zum 1. Vorsitzenden abzusehen, da er aus gesundheitlichen Gründen und wegen Arbeitsüberlastung im Beruf diese nicht mehr annehmen könne. Der älteste Anwesende; Landsmann Louis Westphal, dankte alsdann den bisherigen Vorstandsmitgliedern für ihre Mühe, insbesondere Dr. Maluck, der die Ortsgruppe 3 Jahre geführt hatte, und schritt sogleich zur Neuwahl. Gewählt wurden: Kurt Hinterleitner zum 1. Vorsitzenden, Wilhelm Cuhls zum 2. Vorsitzenden, Erich Sperber zum Schriftführer und Walloch zum Kassierer. Zwei dreistimmig vorgetragene Lieder der Damen Krüger, Kopitz, Leyck beschlossen den zum Teil recht lebhaft verlaufenen Abend.

Wir beabsichtigen, erneut eine Kleidersammlung für unsere in Masuren befindlichen Landsleute durchzuführen und bitten schon jetzt, zurückgelegte Kleider für diesen Zweck bereitzuhalten. Anmeldungen zu unserer neu gebildeten Jugendgruppe nimmt Jugendwart Heinrich Cuhls entgegen.

 

Berchtesgaden

Mit Liedern und Gedichten sowie einem kleinen Laienspiel gedachte die Jugendgruppe in der Mai-Versammlung der Berchtesgadener Vereinigung der Ost- und Westpreußen der Mütter und des eben begonnenen Maienmonats. Einstudiert, durch den Leiter der Jugendgruppe Heinz Banasch und Fräulein Elsa Neiß, wurde eine Ansprache des 1. Vorsitzenden zum Thema „Heimatvertriebene Mutter" abgeschlossen wurde. Den Ältesten, unter den Müttern der Mitglieder wurden von der Jugend Herzen aus Königsberger Marzipan und Blumen überreicht: Frau Kühne, Frau Leppert, Frau Guttzeit, Frau Olstowski, Frau Schalwade, Frau Sturmhöfel, Frau Tiedje, Frau von Gusovius und Frau Katzfuß.

 

— Glückwünsche wurden außerdem zum 30-jährigen Ehejubiläum dem Ehepaar Leppert übermittelt.

 

— In Ehren gedacht wurde des kürzlich verstorbenen Mitgliedes Frau Johanna Mrotzek.

 

Der Vorsitzende konnte so dann zwei Briefe aus Masuren verlesen, in denen sich die Empfänger von Kleiderspenden für die übersandten Pakete herzlich bedankten. Er verwies dabei darauf, dass die Vereinigung die Sammlung fortsetzt. Die von der Landsmannschaft zur Deckung der Transportunkosten für die Paketaktion geschaffene Brosche „Bruderhilfe Ostpreußen" wurde von zahlreichen Mitgliedern bestellt. Herr Schadau berichtete über die Ostsparkonten und der Vorsitzende über den Stand der Lastenausgleichs-Aktion. Zum Schluss wurde mitgeteilt, dass sich die Frauen der Vereinigung am Mittwoch, den 6. Mai um 14.30 Uhr treffen, um Vorhänge für die Ostpreußen-Hütte auf dem Tennengebirge zu nähen.

 

Celle

Die Bezirke Neustadt und Neuenhäuser der Kreisgruppe Celle-Stadt veranstalteten am 18. April, in der Stadt. Union einen „Heimatabend im Frühling", der großen Zuspruch fand. Bezirksleiter Krieger begrüßte Landsleute und Gäste und fand Worte des Dankes und der Anerkennung für seine Mitarbeiter; als sichtbares Zeichen hierfür wurde Frau Erna Wesolowski mit einem heimatlichen Buch ausgezeichnet. Bezirksleiter Gramsch erörterte alle mit der Fahrt nach Bochum im Zusammenhang stehenden Fragen. Der 1. Vorsitzende, Assessor Novak, machte Ausführungen zu allgemeinen Tagesfragen. Ein gemeinsames Lied unter Begleitung des Hausorchesters leitete dann zum gemütlichen Teil über. Die Konzertsängerin Margarete Bourry (die Celler Nachtigall!) erfreute ein dankbares Publikum mit ihrer angenehmen Stimme und war für manche Zugabe bereit. Ihr Partner, Max König, gefiel ebenfalls, sodass im Debüt als auch im Solo beide die Herzen der Zuhörer für sich hatten. Eingeflochten in das Programm war ein Wunschkonzert, das unter Mitwirkung beider Künstler viel Freude machte. Dann spielte das Orchester zum Tanz auf und viel zu schnell vergingen die schönen Stunden.

 

Seite 14   In unseren Gewässer gefangen!

2 Fotos: Landsmann Hans Klann fing in den Gewässern um Dt. Eylau einen Wels von 148 Pfund und Schuppenkarpfen von 43 Pfund Gewicht. Aufn.: Privat

Landsmann Hans Klann iing in den Gewässern um Dt. Eylau einen Wels von 148 Pfund und Schuppenkarpfen von 43 Ptund Gewicht Aufn.: privat

Wen lacht nicht das Herz beim Anblick dieser kapitalen Karpfen, die wir heute hier im Bilde zeigen. Die Ostpreußen hatten es wirklich nicht nötig, derartige Bilder zu „stellen" und viele Sportangler aus dem Reich sind heute noch Zeugen für den Fischreichtum unserer Gewässer, die sie aus eigenem Augenschein und nicht erst über das ausgezeichnete Buch Skowronneks kennen lernten.

Und doch kann mancher Vortragende erleben, dass am Ende eines Lichtbildervortrages ein Einheimischer zu ihm herantritt und dann sagt: „Ihre Bilder und Ausführungen haben mir viel Neues gegeben, aber einmal, da haben Sie sich versprochen — nämlich an der Stelle, an der Sie sagten, dass in Ostpreußen bis zu 250 000 Pfund in einem einzigen Netz bei einem Zug gefangen wurden!" . . Umso größer war dann die Verwunderung, wenn die Antwort lautete: „Im Gegenteil — ich habe diese Zahl ganz bewusst so am Rande einfließen lassen, denn am 2. Februar 1938 wurden tatsächlich 2500 Zentner Brassen in einem einzigen Netz herausgeholt.“ Und dann kamen noch weitere Daten und Angaben und wurde dem staunenden Frager von den herrlichen Maränen erzählt, von fetten Aalen, die ein Durchschnittsgewicht von drei Pfund hatten und nach Dresden, Berlin oder sogar nach Hamburg und Schweden gingen, von Hechten, die gerade in Frankreich besondere Liebhaber Abnehmer fanden. Ostpreußen lieferte Fische in alle Teile des Reiches weit über den Eigenbedarf der Provinz hinaus. Die Fischerei wurde laufend gefördert und die Fänge ständig gesteigert. See- und Haff-Fischerei wurde ergänzt durch die Binnenfischerei, die sich in erster Linie auf das Oberland, Masuren und das Ermland mit 134 397 ha Fläche stützte, davon 1 101 610 ha stehender Gewässer, auf weitere 30 020 ha andere Gewässer und 2634 ha Fischteiche. Aber auch die Zahlen bei See- und Haff-Fischerei können sich sehen lassen: 1936 brachte die Seefischerei 9 653 800 Pfund und die Haff-Fischerei 30 918 600 Pfund.

 

Seite 14   Siegfried Tittmann aus Goldap ... einst Ostpreußens schnellster Mann, mit Foto.

Der jetzt beim Bergamt-Süd in Goslar tätige Siegfried Tittmann war in den letzten Jahren vor dem Kriege einer der bekanntesten Sportler Ostpreußens. Für den MTV Goldap gewann er mehrfach die ostpreußische Meisterschaft über 100 m und 200 m, wobei er Zeiten von 10,8 und 21,9 Sekunden lief.

Nach dem Kriege verschlug es Tittmann nach Goslar am Harz. Obwohl er schon 37 Jahre zählte, zog er noch einmal die Rennschuhe an. Eisernes Training brachte den langen Siegfried wieder in ausgezeichnete Form. Als Mitglied des TSV Goslar und später der Braunschweiger Eintracht gewann er noch drei Niedersachsen-Meisterschaften im 100- und 200-m Lauf, wobei er die 100 m unter 11 Sekunden lief. Mit der 4 mal 100 m-Staffel von Eintracht Braunschweig, die in Tittmann einen vorzüglichen Schlussmann besaß, kam er 1950 bei den Deutschen Leichtathletik - Meisterschaften in Stuttgart zu einem fünften Platz.

Inzwischen hat Siegfried Tittmann die „40" überschritten und sich vom Wettkampfsport zurückgezogen. Aber noch immer steht er in der Leichtathletikabteilung des TSV Goslar vor allem der Jugend mit seinen reichen Erfahrungen als Trainer und Betreuer zur Verfügung.

 

Seite 14   Turnerfamilie Ost- und Westpreußen

Familienwart: Wilhelm Alm, Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

Immer wieder und nochmals: Hamburg ruft! Nur einige wenige hegen heute noch Zweifel, ob das 7. Wiedersehenstreffen — eingebaut in das große Deutsche Turnfest — dasselbe Erlebnis heimatlicher Verbundenheit in turnerischer Brüderlichkeit wie seine Vorgänger wird bieten können. Ihnen sei versichert, dass die Verbindung mit dem nur alle fünf Jahre stattfindenden Hochfest des Deutschen Turnerbundes noch eine Steigerung des Glücksgefühls und der Freude aus der beseeligenden Wechselwirkung von Geben und Nehmen bringen wird. Die heimatvertriebenen Turner und Turnerinnen geben sich selbst in treuer Liebe mit vollem Herzen in froher Einsatzbereitschaft dem Deutschen Turnerbunde hin und empfangen dafür durch seine Vereine in der Ost und West wie Nord und Süd untrennbar verbindenden turnbrüderlichen Kameradschaft eine Heimstatt, in der sie gleichberechtigt und gleichverpflichtet mit allen anderen zusammenstehen. Nicht zuletzt wird dadurch der Glaube an die Wiedergewinnung der unveräußerlichen Heimat auf friedlichem Wege in Einheit und Freiheit für ganz Deutschland gestärkt werden. Der Deutsche Turnerbund versinnbildlicht gewissermaßen in sich diese deutsche Einheit, denn durch ihn ist eine seit 60 Jahren bestehende Trennung deutschen Turnwesens überwunden worden. Wer wollte heute noch der Deutschen Turnerschaft oder dem Arbeiter-Turn- und Sportbund, den einstigen Fackelträgern unserer Ideale nachtrauern. Beglückt stehen wir alle gemeinsam hinter dem Deutschen Turnerbund.

Darum: Folgt dem Ruf nach Hamburg zum Tor der Welt!

 

Seite 14   Der Königsberger Männer-Turn-Verein von 1842 beklagt den Tod zweier lieber Mitglieder.

Margarethe Gruhnwald geb. Krohn, ist am 23.03.1953, fast 79 Jahre alt in Cuxhaven einem Schlaganfall erlegen. Sie folgte ihrem, auf den Tag genau vor 9 Jahren in Königsberg verstorbenen Gatten Wilhelm Gruhnwald, mit dem sie gemeinsam jahrzehntelang im Verein besonders für die Jugend gewirkt und geschafft hat.

 

Unfassbar ist die Nachricht, dass auch Turnbruder Kurt Dambrowski im Alter von 51 Jahren in Erlangen dahingeschieden ist. Er gehörte der Faustballmeistermannschaft an. Echte Kameradschaft, stets Hilfsbereitschaft und Einsatzfreudigkeit zeichneten ihn aus.

Beiden Entschlafenen wird der Verein ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Aber auch eines Freudentages kann die Turnerfamilie Ost- und Westpreußen gedenken. Das Mitglied des Danziger Turn- und Fechtvereins von 1862 Robert Sander feiert am 4. Mai 1953 im Städt. Altersheim Cumbach bei Rudolstadt (Thür.) das 75. Wiegenfest. Er ist ein Jugendfreund von Carl Diem und hat bereits das Deutsche Turnfest Hamburg 1898 — als Ruderer im Achter — mitgemacht, umso mehr bedauert er, wegen der Zonengrenze diesmal nicht dabei sein zu können. Seine Hauptverdienste erwarb er sich neben vielen turnerischen Ämtern als Leiter des Stadtamts für Leibesübungen in Danzig. Mit ihm hoffen wir, dass menschliche Vernunft und göttliche Gerechtigkeit recht bald wieder ohne Blutvergießen ein einheitliches und freies Deutschland bringen werden. Herzliche Glückwünsche! Onkel Wilhelm

 

Die Kirchenverfolgung in der Sowjetzone hält weiter unvermindert an. Während der vergangenen 4 Wochen wurden schwere Zuchthausstrafen über 4 evangelische Geistliche aus angeblich politischen Gründen verhängt. Der evangelische Pfarrer von Annaberg, Buchholz, erhielt 10 Jahre Zuchthaus, weil er sich u. a. gegen die Oder-Neiße-Linie ausgesprochen hatte.

 

Seite 15   Nachruf

Am 27. April 1953 erlag in Hamburg einer schweren Krankheit, Herr Hans Zerrath, Jägertaktau, Ostpreußen. Als Vertreter des besonderen Vertrauens der Vereinigten Deutschen Landsmannschaften wurde er am 9. Februar d. Js. durch eine außerordentliche Hauptversammlung in den Aufsichtsrat unserer Gesellschaft gewählt und laut Beschluss des Aufsichtsrats vom 3. März d. Js. zum Mitglied unseres Kreditausschusses I ernannt. Wir durften von diesem erfahrenen Vertreter berufsständischer Interessen und nimmermüden Vorkämpfer der Belange seiner heimatvertriebenen Schicksalsgefährten eine in jeder Hinsicht nutzbringende und erfolgversprechende Mitarbeit erwarten. Tief erschüttert betrauern wir heute das plötzliche Ableben eines viel zu früh vollendeten Mannes. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Aufsichtsrat und Vorstand der Bank für Vertriebene und Geschädigte. (Lastenausgleichsbank Aktiengesellschaft)

 

Seite 16   Ostpreußen-Warte. Bildkarte.

Die wirtschaftliche Bedeutung Ostpreußens

Viele Generationen vor der Entdeckung Amerikas war Ostpreußen bereits deutsches Land. Alle Stämme des Reiches, aber auch Niederländer, Engländer, Hugenotten, haben Anteil an der Siedlungsarbeit im Osten und so war die Grenzmark nicht nur ein deutsches Bollwerk, sondern sie leistete zugleich Arbeit für Europa. Ostpreußens Grenze blieb in vielen Teilen durch Jahrhunderte hindurch unverändert und hatte damit echte Friedensgrenzen. Erst der Versailler Vertrag brachte einschneidende Änderungen und machte Ostpreußen zur „Insel".

Zweieinhalb Millionen Menschen arbeiteten in unserer Heimat zäh und unermüdlich. Kulturell lieferten sie einen nicht wegzudenkenden Beitrag. Eine 700-jährige Geschichte zusammen mit der Eigenart der Landschaft haben den ostpreußischen Menschenschlag geprägt. Wirtschaftlich aber war und bleibt die deutsche Grenzmark für das Reich und für Europa lebenswichtig, denn Ostpreußen lieferte über seinen Eigenbedarf hinaus u. a.:

Brotgetreide für 5 Millionen Menschen,

Kartoffeln für 2.7 Millionen Menschen

Butter und Fett für 8,6 Millionen Menschen,

Fleisch für über 4 Millionen Menschen.

 

Wie groß das Überschussgebiet Ostpreußen war, verdeutlichen die genauen Zahlen:

1938 lieferte Ostpreußen nicht weniger als

200 000 to Mehl

30 000 000 Eier

24 000 to Butter

750 000 Schlachtschweine

700 000 to Getreide

1 000 000 to Milch

35 000 to Käse  

über 70 000 Schafe

über 200 000 Stück Rinder und Kälber

 

In Jedem Jahr gingen durchschnittlich 32 800 Pferde in alle Teile der Welt. Das in Ostpreußen zurückgelassene Volksvermögen betrug mindestens 16 Milliarden DM. Wem aber diese Zahlen noch nicht genügen, der möge nur folgende Vergleichszahl beachten. Ostpreußen stellte 11 Prozent des Welthandels mit Butter, und im Jahre 1935 hatte seine Milcherzeugung den Wert von 12 436 000 Tonnen Ruhrkohle.

Was an wirtschaftlichen Werten geschaffen wurde, entstand durch den Fleiß und die Tüchtigkeit seiner deutschen Bewohner. In friedlichem Austausch seiner Werte und Leistungen diente das Land als Mittler zwischen Ost und West der Befriedigung Mitteleuropas besser als auf diese Weise, zu der es heute verurteilt worden ist. In der Mittlerstellung hat Ostpreußen eine europäische und damit internationale Bedeutung, während ihm als Ernährungsgrundlage eine auf das Mutterland beschränkte Bedeutung zukam.

Inhaltspezifische Aktionen