Ostpreußen-Warte, Folge 04 vom April 1958

Ostpreußen-Warte

Folge 04 vom April 1958

 

Seite 1   Foto: Weite Felder, das Typische ostpreußischer Landschaft. Die Aufnahme wurde im Kreis Bartenstein gemacht. Foto: Hallensleben

 

Seite 1   Wir müssen die Welt neu denken. Das materialistische Weltbild muss abgelöst werden – Ein neues schreibt uns das Handeln vor.

Mit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stehen wir in einem neuen Abschnitt der Geistesgeschichte. Sie wurde eingeleitet durch die Entdeckungen, die mit den Namen Planck, Einstein, Born, Schroedinger, Heisenberg, Hahn und anderen mehr unlösbar verbunden sind.

 

„Überholt ist heute die Untersuchung der „Aufklärung", der Versuch des Materialismus und des Positivismus, auch das Lebendig-Beseelte nach dem Modell zu erfassen, das für den Bereich des Unlebendigen gilt, also chemisch-physikalisch. „Was aber gilt denn nun heute?"

 

Es ist die Tatsache, dass sich hinter der Welt, die wir mit unseren Sinnen wahrzunehmen vermögen, noch eine „reale Welt" befindet, mit deren Dasein wir rechnen müssen und die von einer bestimmten Gesetzlichkeit beherrscht wird, die völlig unabhängig von dem Dasein einer denkenden Menschheit vorhanden ist. Es ist weiter die unser ganzes Denken umwälzende Tatsache, dass Stoff und Kraft, Materie und Energie, wesensgleich sind und die seit der Zeit der alten Griechen gültige Grundauffassung des Dualismus, der überall bestehenden Gegensätzlichkeit restlos umgestoßen ist. Die „Ganzheit" tritt an ihre Stelle und die ehemaligen Gegensätze werden nun als gegensätzliche Entsprechungen, als zwei Pole ein und derselben Einheit aufgefasst.

 

Die Atomzertrümmerung gelang und was bei der Abspaltung im Atomkern vor sich geht, das ist eine Zeitüberwindung, in welcher der natürliche Auflösungsvorgang des Urans von 5 Milliarden Jahren auf den Bruchteil einer Sekunde verkürzt wird.

 

Jedoch vermag man heute noch mehr. Man kann nicht nur Atome zertrümmern, sondern es ist auch möglich geworden, noch nicht dagewesene völlig neu aufzubauen. Damit ist es dem Menschen gelungen, Vorgänge auf der Erde auszulösen, die denen gleichen, die sich auf der Sonne vollziehen.

 

Alle diese Erkenntnisse haben nun unwiderruflich die Grundhaltung unseres europäischen Denkens verändert und sie werden in Zukunft zu heute noch unübersehbaren Folgen führen, wenn man erst dazu übergeht, sie auch von einem philosophischen Standpunkt aus zu betrachten.

 

Dann ist der Stoff nicht mehr das Unbedingte, das zu allen Zeiten da war und ist, sondern er ist geschaffen, ist vergänglich und hat also seine Zeit. Es besteht eine Einheitlichkeit im Ursprung des Stofflichen, die auch seine Herkunft von geistigen Kräften zu bestätigen scheint, denn die Strahlungen lassen sich als Wirkungen eines göttlich-geistigen Schöpferwillens deuten. Das Weltall fängt an, einem großen Gedanken zu gleichen.

 

Gedanken schaffen Wirklichkeit

Denken wir nun richtig und auch zu Ende — die wenigsten Menschen machen sich überhaupt diese Mühe —, so führen uns alle diese Entdeckungen, Findungen und Erkenntnisse zu einer raum- zeitfreien Weltwahrnehmung, die dem werdenden neuen Weltzeitalter ihren Stempel aufdrücken wird.

 

„Gedanken und Ideen von so umwälzender Beschaffenheit wirken", sagt der Kulturphilosoph Gebsef. „Sie werden fähig zu wirken in dem Augenblick, da sie klar formuliert werden. Von dem Zeitpunkt an liegen sie, wie man sagt, in der Luft. Denn Gedanken sind vielleicht die stärksten Wirklichkeiten, die es gibt“.

 

Aber Gedanken  sind nicht nur eine Wirklichkeit, sondern sie schaffen die Wirklichkeit. Immer entscheidend sind im Leben die großen Gedanken, die schon gewusst oder noch ungewusst, doch schon allen mehr oder minder gemeinsam sind. Da aber Werte nur dort bestehen, wo etwas zutiefst erlebt wird, gilt es, die Ergebnisse der neuesten wissenschaftlichen Forschungen und deren Einsichten, die heute sozusagen noch unter dem Bewusstsein der Zeitgenossen liegen, voll bewusst zu machen, sie also ins klare Bewusstsein zu heben.

 

Eine neue Lage ist eine Aufgabe in des Wortes doppelter Bedeutung. Einmal heißt es, etwas Gewohntes aufzugeben, sich freizumachen von überholten Vorstellungen, zum andern aber, zu einer neuen Wirklichkeit durchzustoßen, sie zu erarbeiten. Jede echte Haltung trägt das Ziel in sich selbst, weil sie auf Einsicht beruht und ihrem Besitzer unerschütterliche innere Sicherheit verbürgt. Wer das Ziel in sich birgt, dem müssen sich die Ereignisse zuwenden und die Dinge, denen seine Haltung auch Halt gibt.

 

Diese bewusst zu machende neue Haltung ist nun „ganzheitlich" und damit umfassender als alle bisherigen Lehren und Ideologien. Sie überwindet die Grenzen eines nur ideologischen Denkens und damit ist sie ein Kraftzuwachs, ist wesentliche Überlegenheit, wenn sie nicht zu Machtzwecken missbraucht wird.

 

Wenn wir von dieser neuen Haltung eines umfassenderen, tieferen, ganzheitlichen Bewusstseins aus die materialistische Lehre und ihr Gefüge untersuchen, so müssen wir feststellen, dass sie unfruchtbares Enderzeugnis einer Denkart ist, die besonders seit der französischen Revolution sich zu bloßer Diesseitigkeit im Liberalismus, Marxismus und Existenzialismus offenbart hat. Sie stützt sich auf etwas, was nicht Ding an sich ist, gibt ihm aber Unbedingtheitswert.

 

Die neue Haltung anerkennt die bloßen Gegensätzlichkeiten nicht mehr, die neue Haltung überhöht sie. Denn die Auflösung der Gegensätze bedeutet ja kein Auseinanderfallen, sondern eben die Geburt einer neuen Einheit der gegensätzlichen Entsprechungen. Sie zwingt aus einem rein statisch-mechanistisch-materialistischen Denken zu einem dynamisch-organisch-energetischen. Einstein hat den einstigen Gegensatz Stofflichkeit: Energie aufgehoben, wie die Psychosomatik den Gegensatz Körper : Seele überwunden hat. Die Quantenbiologie hat den Gegensatz anorganisch : organisch ausgelöscht, die moderne Musik den von Dur und Moll. Und nun stellen sogar Erkenntnisse aus der Beobachtung atomarer Kernvorgänge den Gegensatz Subjekt : Objekt in Frage.

 

Die Naturwissenschaft, die im vergangenen Jahrhundert auszog, um die Nichtexistenz Gottes zu beweisen, ist nun zu entgegengesetzter Erkenntnis gekommen. Planck gab ihr Ausdruck, als er das Walten einer „in allen Vorgängen der Natur ... umfassenden, uns bis zu einem gewissen Grade erkennbaren Gesetzlichkeit" feststellte, deren „sachgemäße Formulierung bei jedem Unbefangenen den Eindruck erweckt, als ob die Natur von einem vernünftigen, zweckbewussten Willen regiert würde". Und Einstein bekannte „das Wissen darum, dass das Unerforschliche wirklich existiert und dass es sich als höchste Wahrheit und strahlendste Schönheit offenbart, von denen wir nur eine dumpfe Ahnung haben können — dieses Wissen und diese Ahnung sind der Kern aller wahren Religiosität . . . Meine Religion besteht in der demütigen Anbetung eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur . . ."

 

Es geht um den Menschen

Der neue Standpunkt würde eine Überwindung des Vorranges des Verstandes sein, was aber weder ein Zurück zum Magischen oder Mystischen, noch auch ein Verharren im Philosophischen bedeutet; sind doch das die drei Begriffe, die den Inhalt der bisherigen geistigen Menschheitsgeschichte ausmachen. Jegliches Bewusstwerden neuer Einsichten bedeutet eine Erhellung und Vertiefung unserer Lebens- und Erlebnisfähigkeit. Mit dem Bewusstmachen des mächtig erweiterten Vermögens der heutigen Menschheit wird aber zugleich die Angst vor der Zukunft überwunden. Unser größter Reichtum ist unsere Wandlungsfähigkeit.

 

Wer um die neuen aufbauenden Kräfte weiß, die zur Darstellung drängen, wird nicht dem Irrtum erliegen, Wiederbelebungsversuche und Stützungen abgelebter und erschöpfter Formen zu unternehmen. Er wird vielmehr mithelfen, das Neue zu verwirklichen und sich um den Neubau zu mühen. Alles, was von entscheidendem Einfluss sein soll, muss durch den Einzelnen zur Wirklichkeit gestaltet werden. In dem Maß aber, in dem der Einzelne lernt, die Zusammenhänge zu erkennen und sich die neuen Einsichten zugänglich zu machen, nimmt auch das Maß seiner Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen und der Gemeinschaft zu. Es geht nicht um Gut oder Böse. Es geht um den ganzen Menschen. Nicht die Teile sind wichtig, sondern die Einheit. Es kommt darauf an, dass der Mensch wirklich erst einmal ein Ganzes werde, und darauf, was er für sich selbst und für die Mitmenschen erreicht. Hat Luther mit seiner Lehre von der Freiheit eines Christenmenschen den Einzelnen zur Selbstverantwortung seines „Ichs" vor Gott aufgerufen, so ergeht heute der Ruf an den zum „Ich" erwachten Einzelnen, sich von seinem „Ich" freizumachen, auf dass er Achtung habe vor dem Anderen als Menschen, als Gefährten der Schöpfung, und Verantwortung vor dem „Du" des Mitmenschen, ganz gleich, wo er zur Welt kam.

 

Während mehr und mehr Wissensgebiete diese neue dynamisch-energetische Anschauungsweise der Welt in ihre Forschung einbezogen haben und so schon weitgehend zu ganzheitlichen Betrachtungen gelangten, blieben die führenden Politiker und Wirtschaftler mit ihrem Denken in der heute überholten rein statisch-materialistischen Weltvorstellung stecken und handeln auf altgewohnte Art und Weise, statt nach den Erfordernissen der neuen Weltwahrnehmung.

 

Die Heraufkunft einer neuen, das bisherige Denken umstürzenden Weltwahrnehmung muss mit dem Abräumen überalteter Formen beginnen. Denn neues Leben kann sich nur entfalten, wo man zum Sterben bereit ist. Das ist das ewige, geheimnisvolle Ineins von Werden und Vergehen. „Und setzet Ihr nicht das Leben ein, nie wird Euch das Leben gewonnen sein“.

 

Aber Zukunftsträchtiges wird sich nur dann als wertvoll erweisen, wenn es sich im harten Ringen mit dem Bestehenden als überlegen erweist. Die Ruhelosigkeit und Reizbarkeit, die Angst und Unsicherheit der Menschen unserer Tage liegt darin, dass die alten Weltbilder und ihre überholten Prägungen in Politik, Wirtschaft, Verfassung, Recht, Gesellschaft und Kunst noch vordergründig in Geltung sind und ihre Verfechter auf diesen eben genannten Gebieten die Schlüsselstellungen mit allen ihren Machtmitteln zu halten versuchen, während doch jeder schon spürt, wie brüchig das alles im Grunde schon ist.

 

Noch immer jedoch gilt im Leben die alte Weisheit, dass Zeit und Stunde bestimmt ist, wie lange ein jegliches währen soll. Der Zwiespalt ist unübersehbar und so steht unerbittlich das „Muss" vor uns, ihn zu überwinden. Ein „Zurück" kann es nicht mehr geben. Nie ist das faustische: „Du musst und koste es Dein Leben" so gegenwartsnah gewesen wie gerade in unseren Tagen. Wir müssen mit allen unseren Kräften an dem kommenden Neuen mitwirken, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

 

Was sich in den Daseinsformen auf allen Lebensgebieten der westlichen Welt und der Bundesrepublik darstellt, gehört ebenso einem überholten Weltbild an, wie diejenigen der östlichen Welt und der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Bei näherem Zusehen enthüllen sich beide als die Schaubilder ein und derselben Münze, die geprägt sind vom Weltbild des Materialismus. Egoistischer Individualismus, parlamentarische Demokratie und Privatkapitalismus, mag er sich noch so fortschrittlich gebärden, entsprechen den Forderungen der neuen Weltwahrnehmung ebenso wenig wie persönlichkeitstötender Kollektivismus, zwangseinheitsparteiliche „Demokratie" und Staatskapitalismus. Und Sozialismus hat im Grunde nichts mit Wirtschaft zu tun, sondern ist eine sittliche Haltung. So kann auch aus den Ideologien, die sich so zahlreich auf dem Marxismus aufbauen und die durch die Forschungsergebnisse und die Geschichte längst widerlegt sind, kein Heil für die Zukunft erwachsen. Das alles ist gestrig und vorgestrig.

 

Darüber müssen wir uns klar sein, wenn wir uns mit der Frage der Wiedervereinigung der beiden Teile unseres zerrissenen Vaterlandes auseinandersetzen.

 

Eine neue Art zu denken, eine neue Weltwahrnehmung zwingt auch unausweichlich das tätige Leben der Menschen bis in ihren Alltag hinein in neue Bahnen. Immer von neuem muss der Mensch Ausdrucksmittel für die von ihm erkannte innere Wirklichkeit schaffen. Denn alle Ordnungsformen des öffentlichen Lebens sind ja stets nur Spiegelungen der jeweiligen Art, die Welt zu sehen Und hier erwächst gerade für die Wiedervereinigung uns Preußen eine Aufgabe, die noch nicht klar erkannt worden ist. Denn die Befreiung der sowjetisch vergewaltigten Zone ist nur über ein neues Preußentum im besten Sinne des Wortes möglich und ohne eine Auferstehung Preußens ist auch die Wiedervereinigung nicht durchführbar.

 

Schon einmal hat Preußen mit seinen Reformen dem Neuen in Deutschland die Bahn gebrochen. Schon einmal war es die bewegende Kraft für die Schaffung der Einheit. Einmal gewachsen ist der Gedanke Preußen unverwüstlich und so lange die preußischen Menschen und ihre Landschaft bestehen so lange wird sich die Gesetzlichkeit des Raumes immer wieder in die Wirklichkeit gestalten. Walther von Etzdorf

 

Seite 2   Weiterhin keine Einreise nach Königsberg. Vergebliche Bemühungen skandinavischer Reisegesellschaften.

Den wiederholten Bemühungen skandinavischer Reisegesellschaften, mit dem sowjetischen INTOURIST-Büro zu einer Absprache bezüglich der Einbeziehung von Nordostpreußen in ihr Touristen-Reiseprogramm zu kommen, blieb auch in diesem Jahr der Erfolg versagt. Im Gegensatz zu Reval, Riga bzw. Leningrad, wo ausländische Reisegruppen bereits seit Jahren an Land gehen und von wo aus in Zukunft auch Ausflüge ins Landinnere durchgeführt werden sollen, ist der Raum um Königsberg nach wie vor ein hermetisch abgeschlossenes Gebiet. Intourist begründete seine Ablehnung mit dem Hinweis auf angebliche Verhandlungen mit den Verwaltungsbehörden in Königsberg, die ihrerseits auf dem Standpunkt stünden, Nordostpreußen (der sogen. „Rayon Kaliningrad") sei „als Touristenland uninteressant".

 

Die Tatsache, dass das nördliche, sowjetisch verwaltete Ostpreußen im Gegensatz zu den baltischen Ländern immer noch als „Sperrzone" gilt, wird darauf zurückgeführt, dass im Raume Königsberg-Pillau-Tilsit nicht nur starke sowjetische Truppeneinheiten stationiert sind, sondern sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Abschussbasen für Atomraketen mittlerer Reichweite befinden, in deren Schussbereich ganz Westeuropa liegt.

 

Der „Pressedienst der Heimatvertriebenen" weist darauf hin, dass aus dem in die „Russische Rätepolitik" inkorporierten sowjetischen Verwaltungsgebiet Nord-Ostpreußen sämtliche

Deutsche abtransportiert wurden, während sich in dem gegenwärtig zur Sowjetrepublik Litauen gehörenden Memelgebiet noch Zehntausende von Deutschen befinden. Des Weiteren wird daran erinnert, dass die Sowjetregierung bereits im Frühjahr 1956 Anträge westlicher Pressekorrespondenten in Moskau, die Chruschtschow und Bulganin auf einer Reise nach Königsberg begleiten wollten, mit der Begründung ablehnte, Reisen von Ausländern nach „Kaliningrad" seien nicht zulässig. Es handelte sich damals um die Reise der Sowjetführer nach London die über Königsberg-Pillau und von dort auf einem Kriegsschiff über See nach England erfolgte.

 

Seite 2   Sperrgebiet Danziger Bucht

Das Sperrgebiet Nord-Ostpreußen ist durch Vorverlegung der sowjetischen Demarkationslinie in der Danziger Bucht erweitert worden. Diesbezügliche Verhandlungen zwischen einer sowjetischen und einer polnischen Regierungsdelegation wurden mit einer Übereinkunft „über die Grenzlinie der polnischen und sowjetischen Territorialgewässer" abgeschlossen. Aus polnischer Quelle verlautet hierzu, dass die Verhandlungen „in einer freundschaftlichen Atmosphäre gegenseitigen Verstehens" erfolgt seien. Die Übereinkunft gelte als Zusatzprotokoll zu dem „Vertrag über die Festlegung der bestehenden polnisch-sowjetischen Grenze" in Ostpreußen vom 5. März 1957.

 

Seite 2   Ostpreußische Kleinstädte verfallen weiter. „Warmia i Mazury" gesteht „fürchterliche Wirklichkeit“ ein.

Über den Verfall der Kleinstädte Ostpreußens berichtet die Allensteiner Zeitung „Warmia i Mazury" am Beispiel der Städte Saalfeld und Wartenburg. In der Stadt Saalfeld im Kreise Mohrungen ist zwar eine Gerberei-Arbeitsgenossenschaft ins Leben gerufen worden, doch ist Saalfeld immer noch eine Stadt, „wo der Mensch mit Schaudern auf die aus den Trümmern emporragenden nackten Schornsteine blickt, auf die Mauern verbrannter Häuser, die immer mehr mit dem Erdboden gleich werden und ein Trümmergebirge bilden".

 

Saalfeld aber, so berichtet „Warmia i Mazury" weiterhin, hebe sich noch günstig ab gegen die Stadt Wartenburg im Kreise Allenstein. „Wartenburg ist trotz dreizehnjähriger polnischer Herrschaft in einem solchen Zustand, dass es mit jedem Tag mehr aufhört, Stadt zu sein. Es verliert überhaupt jeden städtischen Charakter und nimmt die Gestalt eines mit keinem menschlichen Wort zu beschreibenden Gespenstes an". Während der vergangenen dreizehn Jahre sei Wartenburg von allen polnischen Verwaltungsstellen, die nur irgendeinen Einfluss auf die Stadt nehmen konnten, ausgeschlachtet worden, und zwar auf die mannigfachste Weise, wie z. B. durch Abbruch der Häuser, Abtransport der gewonnenen Ziegel usw. In Wartenburg fehle jede Spur städtischer Kultur. Die abscheuliche Schnapsdestille des Ortes sei der einzige Platz, an dem die Einwohner sich die Zeit vertreiben können.

 

„Warmia i Mazury" fasst zusammen: „Dies ist die fürchterliche, aber wahrheitsgemäß geschilderte Wirklichkeit von Wartenburg, eine Wirklichkeit, die schon dreizehn Jahre andauert.

Fürchterlich ist die Wirklichkeit von Wartenburg auch deswegen, weil diese Stadt, die wir zwar heute noch ‚Stadt' nennen, dabei ist, ihr Leben zu beschließen. Seit dreizehn Jahren wurde hier kein einziges Gebäude erbaut. Ja, man brachte es nicht einmal fertig, eine Baracke aufzurichten, um diejenigen Menschen unterzubringen, die wegen Einsturzgefahr aus ihren verfallenden Häusern entfernt werden mussten“.

 

Seite 2   Schärfste Überwachung der Küstengewässer.

Der polnischen Einwohner von Braunsberg (Ostpreußen) hat sich kürzlich große Erregung bemächtigt, als sich herausstellte, dass zwei seit November v. J. als vermisst gemeldete Fischkutter mit ihrer siebenköpfigen Besatzung seinerzeit von einem sowjetischen Schnellboot aufgebracht und nach Pillau gebracht worden sind. Den polnischen Fischern wurde vorgeworfen, sie hätten im „sowjetischen Hoheitsgebiet Spionage treiben" wollen. Man gab ihnen erst jetzt Gelegenheit, ihre Angehörigen zu verständigen. Aus dem Vorfall geht hervor, mit welcher Schärfe von sowjetischer Seite die Überwachung der Küstengewässer des nördlichen Ostpreußens gehandhabt wird.

 

Seite 2   Manteuffel wiedergewählt

Der Verband der Landsmannschaften hat in einer am Samstag, den 15. März, in Bonn stattgefundenen Tagung seinen bisherigen Vorsitzenden, Baron von Manteuffel-Szöge, in seinem Amt wieder bestätigt.

 

Seite 2   Pressespiegel.

Kein Zufall.

Es ist kein Zufall, dass heute das ‚heidnische' Japan der entschiedenste Gegner der atomaren Bewaffnung ist und die Räumung seines Bodens von fremder Besatzung durchgesetzt hat. Wäre jene Bombe auf Dresden oder Köln gefallen, dann bedürfte es keiner Diskussion im Bundestag über die Atombewaffnung und keiner Kundmachungen deutscher Theologen und Bischöfe. Die Sprecher der katholischen Kirche in Deutschland haben wiederholt nachdrücklich ihre Stimme erhoben in Fragen des Glaubens und Sittengesetzes, sogar der Tagespolitik. Es bedrückt ich weiß es, Millionen von Katholiken, dass zur atomaren Bewaffnung die Stimme der katholischen Kirche nicht zu hören ist“. DIE WELT, Hamburg

 

Rapacki-Plan ein Ausgangspunkt

„Eine Konferenz auf höchster Ebene wird nur Erfolgsmöglichkeiten besitzen, wenn sie sich auf begrenzte und konkrete Probleme beschränkt. Der Rapacki-Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa ist in seiner neuesten präzisierten Form durchaus geeignet, zwischen den Großmächten zu einer Verständigung zu führen. Dann aber könnte in Mitteleuropa eine Entwicklung eintreten, welche die Lösung weiterreichender und noch komplexerer Probleme möglich machen würde. Dazu gehört die kontrollierte Reduktion der konventionellen Rüstungen, der Abzug der Besatzungstruppen beiderseits des Eisernen Vorhangs und die Neutralisierung Mitteleuropas. Es gilt, überhaupt etwas zu unternehmen und vom Einfachen zum Komplizierten voranzuschreiten“. LIBERA STAMPA, Locarno

 

.. oder nur Deutschlands größter Oberbürgermeister?

„Das vernichtendste Urteil, ein Todesurteil, über den Rapacki-Plan hatte der Bundeskanzler gefällt, als er den Warschauer Vorschlag als einen angeblich sowjetrussischen, in Warschau nur neulackierten Exportartikel in den Papierkorb warf. Geschichtsschreiber werden sich daran besonders erinnern müssen, wenn sie einmal nachprüfen werden, ob Adenauer wirklich der größte deutsche Staatsmann seit Bismarck oder eben nur Deutschlands größter Oberbürgermeister war; denn hier verrät sich mehr noch als sonst eine lebensgefährliche Unkenntnis der Welt jenseits der Elbe, die sich eigentlich selbst ein Politiker der zweiten Garnitur nicht erlauben dürfte — wenn nicht überhaupt eine bestimmte Absicht hinter diesem Urteil Adenauers steckt. Ob die Polen auf eine mit Atomwaffen ausgerüstete Bundeswehr damit antworten werden oder antworten müssen, dass sie ihre eigene Armee entsprechend spicken, ist noch offen; es wäre auf jeden Fall das Ende der Versuche Gomulkas, der Wirtschaft seines Landes wieder auf die Beine zu helfen“. FRANKFURTER RUNDSCHAU

 

Die Vernichtung droht

„Wenn ein Weltkrieg ausbricht, dann werden wir vernichtet werden. So wie die Biene werden wir einmal stechen können, um dann zu sterben. Nur ein einziges Mal werden wir stechen können. Gleichgültig, wie lange wir fortfahren, Waffen aufzustapeln und, schlimmer noch, weiter die Furcht vermehren, die die Welt in ihren Krallen hält und jeden Handlungswillen lähmt. Daher sagen wir: eine unumwundene Erklärung Großbritanniens, dass es keinen Schritt weiter tun wird auf dem Weg zur Atomhölle, so lange auch noch ein Funken Hoffnung glimmt, wird die Elemente der Vernunft überall in der Welt stärker werden lassen“. DAILY HERALD, London

 

Echtes Übereinkommen notwendig

„Ob eine einseitige Aufgabe der Bombe der Abrüstung helfen würde, oder nicht, wird nach wie vor eifrig diskutiert. Aber es kann wohl keine geteilte Ansicht darüber geben, dass die Notwendigkeit immer größer wird, mit Russland zu einem echten Übereinkommen zu gelangen“. NEWS CHRONICLE, London

 

Die besten Waffen

„Verteidigungsminister Strauß beruhigte damals (vor der Bundestagswahl!) die Öffentlichkeit mit der Erklärung, dass die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen ‚gegenwärtig nicht zur Diskussion gestellt sei'. Unmittelbar nach den Bundestagswahlen lebte sie jedoch sofort wieder auf, denn noch im September erklärte der Bundeskanzler im Verlaufe eines Interviews, das er einer amerikanischen Fernsehgesellschaft gab: „Wir werden dafür sorgen, dass unsere Truppen immer die besten Waffen haben“. Adenauer beantwortete damit eine Frage nach der Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Das Argument von den ‚besten Waffen' — es reicht bis zur zynischen Verspottung der Gegner als ‚Pfeil- und Bogenstrategen' — war von da ab das Hauptargument der Befürworter einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr. Man hörte es auch im Bundestag während der eben zu Ende gegangenen Diskussion in allen Variationen“. DIE BRÜCKE, München

 

Seite 2   Atom, Atom, Atom. Was sagen die Wissenschaftler?

Die naturwissenschaftliche Fakultät der Frankfurter Universität hat sich in einer Entschließung gegen das Herstellen und Erproben von Atomwaffen ausgesprochen. Die an Bundespräsident Heuss übersandte Entschließung lautet:

 

„Das Bewusstsein der Verantwortung jedes einzelnen für die Zukunft drängt uns, von der Öffentlichkeit zu fordern, sich folgende Einsicht ganz eigen zu machen: Es ist ein Irrtum zu glauben, die sogenannten Atomwaffen seien nichts anderes als Waffen mit gigantisch gesteigerter Wirkung. Bei dem gegenwärtigen Stand der militärischen Rüstung der Welt würde ihre Anwendung zur Folge haben, dass nicht nur die beiden Gegner einander vernichten. Die radioaktive Verseuchung würde unausweichlich die gesamte Erdoberfläche erfassen und damit die Existenz der ganzen Menschheit tödlich gefährden. Das weitere Herstellen und Erproben von Atomwaffen in allen Lagern, sei es auch mit dem Ziel der Abschreckung, ist deshalb sinnlos. Wir wissen, dass diese Einsicht zur Abwendung der Katastrophe nicht ausreicht. Ob die Einsicht wirksam wird, hängt von der moralischen Festigung und dem steten Hinwirken jedes einzelnen, insbesondere der Verantwortlichen, ab. Wir beschwören alle, sich ihrer Verantwortung für die Zukunft der Menschheit bewusst zu sein“.

 

In Bonn haben am Montag, dem 11. März, 41 bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und kirchlichen Kreisen einen Aufruf zum Kampf gegen den Atomtod veröffentlicht und weitere Aktionen angekündigt. Die Unterzeichneten sind der Meinung, dass das deutsche Volk beiderseits der Zonengrenzen im Falle eines Krieges dem sicheren Atomtod ausgeliefert sein würde. Die Beteiligung am atomaren Wettrüsten und die Bereitstellung deutschen Gebietes für Raketenabschussrampen könnten diese Bedrohung nur erhöhen. Das Ziel der deutschen Politik müsse hingegen die Entspannung zwischen Ost und West sein.

 

Und der Bundesbürger?

Kurz vor Beginn der außenpolitischen Bundestagsdebatte, die überraschend zu einer Auseinandersetzung über die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen führte, veröffentlichte das Institut für Meinungsforschung in Bielefeld (Emnid) das Ergebnis einer Rundfrage an einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt. Die Frage lautete: „Wenn Sie einmal die gegenwärtige politische und militärische Gesamtsituation kurz bedenken: Sind Sie für oder gegen die Errichtung von Abschussstellen für Atomraketen im Gebiet der Bundesrepublik?"

 

Es zeigte sich, dass sich eine große Mehrheit, nämlich 81% der Bevölkerung, gegen die Errichtung von Raketenbasen wendet. Für die Errichtung entschieden sich bei dieser Befragung nur 15%. Nach Anhängern der Parteien aufgegliedert sprachen sich 90% der mit der SPD Sympathisierenden dagegen und nur 8% dafür aus. Von den CSU-Anhängern wandten sich 71% dagegen und 23% dafür, während die FDP-Anhänger zu 85% gegen und zu 15% für die Errichtung von Abschussbasen sind. Die Aufgliederung nach Berufsgruppen zeigt, dass sich der größte Anteil von Befürwortern der Raketenabschussbasen unter den Beamten und Behördenangestellten (25%) und der geringste unter den Rentnern (10%) befinden. Auch die einzelnen Altersgruppen reagieren verschieden. Den größten Anteil der Befürworter stellen mit 18% die 16 – 25-jährigen, während die Altersgruppe über 50 mit 13% den geringsten Anteil aufweist.

 

Aber es ist alles halb so schlimm!

Meinen Sie etwa, dass die Bundesregierung keine Schutzvorkehrungen für einen etwaigen Atomkrieg treffe? Man ist sogar sehr darum bemüht, wie Sie gleich sehen werden. Die Maßnahme, von der hier die Rede ist, ist ein „Atom-Merkblatt", das Sie über die Maßnahmen bei „überraschender Atomexplosion" belehrt. Dieses Merkblatt, das der Bundesgrenzschutz vor einiger Zeit bereits zugestellt erhielt, verzeichnet als erstes Gebot:

 

„Ohne Anlehnung an eine Deckung:

Augen schließen,

sofort platt auf den Boden werfen,

Gesicht zum Boden in die Arme vergraben,

Hände unter dem Körper,

bis 15 zählen und in der Lage verharren.

Dann sind die unmittelbaren Einwirkungen vorbei“.

 

Man steht also nachher auf, klopft sich den Atomstaub von der Kleidung, ordnet die wirren Haare und geht nach Hause — vorausgesetzt, dass man noch eines hat.

 

Es folgen noch weitere fünf Gebote, die sich mit dem Verhalten in der Deckung, im Auto bzw. im Haus befassen. Man sieht also, es gibt für jeden eine Möglichkeit zu überleben. Nur dürften es wenige können aber immerhin — niemand soll sagen, man sorgt sich nicht um das Volk …

 

Seite 3   Heute in Mohrungen. Die Stadt Herders völlig polonisiert / Deutsch beim Gottesdienst untersagt.

Foto: Zwischen Allenstein und Elbing liegt auf ostpreußischer Erde die kleine Stadt Mohrungen. Sie ist eine über 700 Jahre alte Gründung des Ritter-Ordens. In das Licht der Geschichte ist sie kaum je getreten. Mohrungen zählte fast 10 000 Einwohner, als nach 1945 die große Vertreibung begann. Menschen polnischen Volkstums hatte es dort nicht gegeben. Sie wanderten erst nach 1946 zu.

Dennoch haftet dem Stadtnamen ein dem Ohre vertrauter Klang an: Hier stand das Geburtshaus eines Schriftstellers und Denkers, der aus der deutschen Geistesgeschichte kaum wegzudenken ist. In Mohrungen wurde Johann Gottfried Herder am 25. August 1744 als Sohn eines Kantors, Glöckners und Lehrers geboren. Ein Jahr vor seinem Tode wurde dieser zunächst unbekannte Lehrerssohn geadelt. 51 Jahre nach seinem Ableben errichtete Mohrungen ihm ein Denkmal.

Unser Bild zeigt das gotische Rathaus. Das Herder-Denkmal befand sich gegenüber dem Herder-Haus in der Herder-Straße.

 

Zwischen Allenstein und Elbing liegt auf ostpreußischer Erde die kleine Stadt Mohrungen. Sie ist eine über 700 Jahre alte Gründung des Ritter-Ordens. In das Licht der Geschichte ist sie kaum je getreten. Mohrungen zählte fast 10 000 Einwohner, als nach 1945 die große Vertreibung begann. Menschen polnischen Volkstums hatte es dort nicht gegeben. Sie wanderten erst nach 1946 zu. Dennoch haftet dem Stadtnamen ein dem Ohre vertrauter Klang an: Hier stand das Geburtshaus eines Schriftstellers und Denkers, der aus der deutschen Geistesgeschichte kaum wegzudenken ist. In Mohrungen wurde Johann Gottfried Herder am 25. August 1744 als Sohn eines Kantors, Glöckners und Lehrers geboren. Ein Jahr vor seinem Tode wurde dieser zunächst unbekannte Lehrerssohn geadelt. 51 Jahre nach seinem Ableben errichtete Mohrungen ihm ein Denkmal. Unser Bild zeigt das gotische Rathaus. Das Herder-Denkmal befand sich gegenüber dem Herder-Haus in der Herder-Straße.

 

Schwedische Kaufleute, die früher einmal in Verbindung mit dem Mohrunger Getreidehandel standen und jetzt von den Polen zu einem Besuch Danzigs, Ostpreußens und Warschaus eingeladen waren, brachten die letzten aktuellen Informationen aus unserer Kreisstadt mit. Ihre nach dieser Reise getroffenen Feststellungen bezüglich Mohrungen gipfelten in dem Satz: „Die Stadt ist etwa zur Hälfte vernichtet. Neben dem anzuerkennenden Wiederaufbau, was die öffentlichen Bauten betrifft, scheint jedoch der Wohnungsbau nicht voranzukommen. Polen ist offenbar nicht wirtschaftlich stark genug, um in Städten dieser Größe die Kriegsschäden zu beseitigen“. Gehen wir nun zu Einzelheiten über.

 

In der Nachkriegszeit hieß es verschiedentlich, dass Zentrum Mohrungens sei erhalten geblieben. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das ein Irrtum war. In Wirklichkeit hat die Innenstadt ganz erheblich gelitten. Allerdings wird diese Tatsache dadurch gemildert, dass die Polen in Mohrungen anders als in anderen ostpreußischen Städten vorgingen. Sie gaben hier nämlich ihren ursprünglichen Plan auf, auf den Trümmervierteln des Zentrums Grünanlagen anzulegen. Dagegen setzten fachkundige Architekten im Aufbaukomitee durch, dass die Stadtmitte etappenweise wieder aufgebaut wird.

 

Hält das polnische Bauprogramm auch kaum einen Vergleich mit westdeutschen Maßstäben aus, so muss man andererseits jedoch sagen, dass zumindest im Mohrunger Zentrum langsam die Wunden des Krieges geheilt werden. Bei Beibehaltung des gegenwärtigen bzw. bisherigen Tempos und der Arbeitsweise werden die Kriegsschäden, um das Rathaus, etwa 1962 restlos beseitigt sein. In Mohrungen hält sich der Volksrat der Polen viel darauf zugute, dass er sich zu diesem langfristigen Bauprogramm entschlossen und darauf verzichtet hat, die sonst übliche phantasielose Anlage von Grünflächen auf den Ruinengrundstücken durchzuführen. Für die weitere Entwicklung dieser Stadt ist es von nicht geringer Bedeutung, dass die polnische Verwaltung wenigstens den guten Willen hat, hier nicht alles weiter verkommen zu lassen. Es besteht daher begründete Aussicht, dass Mohrungen das Schicksal mancher anderen ostpreußischen Stadt erspart bleibt, ganz öffentlich durch die Verwaltung zum Sterben verurteilt zu werden.

 

Gerade uns Vertriebene interessiert ja besonders das Gebiet des Wiederaufbaues, damit wir schon Schlüsse daraus ziehen können, welche Aufgaben uns eines Tages bei der Rückkehr in die Heimat erwarten. Wie in unseren bisherigen großen Stadtberichten wollen wir auch dieses Problem in Mohrungen eingehend untersuchen. Zu den ersten polnischen Wiederaufbau-Maßnahmen in Mohrungen gehörte die Rettung unseres schönen Rathauses, das mit seinen beiden turmartigen Außenwänden und der altertümlichen Kanone am Denkmal trutzig in der Stadt stand. Dieser spätgotische Ziegelbau wurde eingehend von einer Feuersbrunst zerstört. Zum Glück blieben jedoch die Mauern erhalten, auch der Turm stand im Wesentlichen noch. Die Polen legten ein neues Dach (auch Teile des alten waren noch verwendbar) und verschalten den Turm neu. Danach gingen sie an die Renovierung im Inneren, die jetzt als abgeschlossen gelten kann. Allerdings hat sich im Inneren gegenüber unserer Zeit doch manches verändert. Zusammenfassend ist aber zu sagen, dass durch alle diese polnischen Arbeiten der Stil des Rathauses beibehalten und nicht verändert wurde.

 

Wie sieht es nun in der Umgebung des rechteckig angelegten Marktplatzes aus? Wenden wir uns als erstes der rechten Seite zu (die dem Denkmal am Rathaus abgewandte Seite). Die dortigen Giebelhäuser und anderen Gebäude sind verschwunden. An dieser Stelle hat der Wiederaufbau erst begonnen. Die gegenüberliegende linke Seite (wo Denkmal und Kanonen standen) ist im Kriege ebenfalls verwüstet worden, konnte aber von den Polen inzwischen gänzlich wiedererstellt werden. Die neuen Häuser hier sind aber nicht im alten Stil wiederaufgebaut worden, sie sind ziemlich modern und zweigeschossig gehalten. Es handelt sich um einen durchgehenden Siedlungsblock. Auch an der oberen und unteren Marktseite haben der Krieg und brandschatzende Russen fast alle Gebäude in Trümmer verwandelt. Auch hier wird ständig gebaut, so dass die Marktseiten alle in einigen Jahren wieder geschlossen sein werden. Die wenigen unzerstört gebliebenen Gebäude erhalten zumeist Anbauten nach beiden Seiten.

 

Hand in Hand mit diesen Arbeiten geht auch — für polnische Verhältnisse überaus selten — die Wiederinstandsetzung der von allen Seiten auf den Marktplatz zulaufenden Straßen. Oft ist nur eine gründliche Säuberung vonnöten, um die alte Pflasterung wieder zum Vorschein kommen zu lassen. Die polnische Verwaltung in Mohrungen hat mehrfach erklärt, sie strebe den Wiederaufbau von einem wieder intakten Stadtkern an. Anhand der Gegebenheiten kann man diesem Plan nur zustimmen, da er durchaus folgerichtig ist und eine lähmende Verödung des Zentrums verhindert. Man bemüht sich weiter darum, die alten deutschen Baufluchtlinien usw. beizubehalten und keine einschneidenden Veränderungen vorzunehmen, um dadurch den Wiederaufbau nicht zu hemmen. So wird es hier auch nicht dazu kommen, dass einige Straßen ausgespart und mit den Trümmergrundstücken liegen gelassen werden. Ziel des Aufbaukomitees ist es, Mohrungen seiner vorgezeichneten Struktur gemäß wieder herzustellen. Dabei handelt es sich darum, die von den einstmals rund 1000 Häusern zerstörten 450 Gebäude neu zu bauen. Da allein der Wiederaufbau des Zentrums noch einige Jahre in Anspruch nimmt, wird der gesamte Wiederaufbau noch weit über ein Jahrzehnt dauern.

 

Was ist nun sonst noch zerstört in Mohrungen? Da ist vor allem das Viertel um den Bahnhof. Hier haben besonders die russischen Brandkommandos gewütet, denen viele Häuser zum Opfer fielen. In der Bahnhofstraße, auf dem Hinteranger, in der Zufuhrstraße usw. entdeckt man große Lücken. Der Wiederaufbau hat sich hier bisher erst in der Reparatur beschädigter Häuser bemerkbar gemacht. Andererseits konnte der Volksrat den Abbruch heiler oder wenig mitgenommener Gebäude weitgehend verhindern, so dass in diesen Vierteln ziemlich günstige Bedingungen für den Aufbau bestehen.

 

Wie steht es nun mit der „Peter- und Paul-Kirche" in unserer Heimatstadt? Diese im 14. Jahrhundert entstandene Pfarrkirche ist unversehrt geblieben und dient heute den polnischen Katholiken als Gotteshaus. Im Verein mit der Kunst-Kommission der Kirche haben polnische Wissenschaftler hier umfangreiche Renovierungen vorgenommen, die zur Entdeckung zahlreicher bisher nicht bekannter oder nur vermuteter Wandmalereien aus vorhergehenden Jahrhunderten führten. Das war vor allem im Chor, der sich durch Pfeiler und Ansätze scharf vom Kirchenschiff abhebt, der Fall. Hier stieß man bei Restaurierungsarbeiten auf Wand- bzw. Gewölbemalereien aus dem 15. Jahrhundert. Die Malereien wurden pfleglich behandelt und unter Glas gelegt, so dass sie jetzt von den Besuchern in Augenschein genommen werden können. Andere Arbeiten führten zu einer Restaurierung des dreieinhalb Jahrhunderte alten Seitenaltars. Dabei wurden verschiedene in späteren Zeitläufen angebrachte Teile fortgenommen. Um welche Dinge es sich handelt, ist nicht bekannt geworden. Der etwa zwei Jahrhunderte alte Hauptaltar und die ebenso alte Taufkammer sehen noch genauso wie früher aus. Erhalten geblieben ist auch das uralte hölzerne Kruzifix aus dem 14. Jahrhundert. Auch äußerlich zeigt die Pfarrkirche ihr gewohntes Bild. Ab und zu werden Touristen auf den von Zinnen umgebenden Turm geführt, von dem man einen weiten Blick ins Land hat. Vor dem Spitzbogen-Portal flattern oft polnische Kirchenfahnen. In der Umgebung des Gotteshauses sind das Haus des Organisten und das gegenüberliegende Gebäude erhalten.

 

Nun auch ein Wort über das Schloss derer von Dohna. Auch dieses Gebäude ist im Jahre 1945 ein Opfer der Flammen geworden. Es bietet heute den trostlosen Anblick einer langsam immer mehr verfallenden Brandruine. Die polnische Verwaltung hat kein Interesse an einem Wiederaufbau des Dohna'schen Schlosses. Hier sollen nur die beiden Torbauten noch unversehrt sein. Für diese Nachricht können wir uns aber nicht verbürgen.

 

Ganz wie früher sieht das Mohrunger Krankenhaus aus, das von den Polen schon bald in Betrieb genommen wurde. Dort hat es nur sehr wenige Veränderungen gegeben. Den polnischen Ärzten muss man bescheinigen, dass sie sich bei jedem Patienten gleich welcher Nationalität große Mühe geben. Das Mohrunger Krankenhaus hat in diesem Teil Ostpreußens einen guten Ruf.

 

Unzerstört blieben auch die Kasernenanlagen der Stadt. Die polnischen Streitkräfte haben nach Mohrungen eine kleine Garnison gelegt, die jedoch weiter nicht auffällt. Nur hin und wieder kommt es hier zur Rekrutenausbildung. Im Übrigen hat das Militär keinen bestimmenden Einfluss auf das Leben der Stadt. Auch in diesem Punkt also unterscheidet sich Mohrungen von anderen Städten.

 

In Mohrungen leben noch immer einige Familien. Zumeist aber handelt es sich dabei nicht um frühere Einwohner, sondern um Landsleute, die aus den verschiedensten Gründen nach hier kamen oder geschickt wurden. Diese aus wenigen Dutzend bestehende deutsche Volksgruppe will wie die schon Fortgezogenen ebenfalls nach Westen umsiedeln. Das Leben ist für sie schwer, da es keine deutsche Schule bzw. Klasse gibt und die Kinder systematisch entfremdet werden. Nur ein schwacher Trost ist die ihnen zugestandene Kirchengemeinde, die von der Evangelisch-Augsburgischen Kirche Polens betreut wird. Die in unregelmäßigen Abständen in der Totenhalle auf dem Friedhof abgehaltenen Gottesdienste werden streng überwacht. Unter Androhung des Verbotes weiterer Gottesdienste ist der Gebrauch der deutschen Sprache bei allen religiösen Zusammenkünften untersagt. Nicht einmal deutsche Bibeln oder Gesangbücher dürfen verwendet werden. Ein polnischer Geistlicher aus der Umgebung wurde darauf verpflichtet, die Benutzung des Deutschen nicht zu dulden und sofort anzuzeigen. Einzige Hoffnung für diese aus allen Gegenden der Heimat stammenden Landsleute sind daher die Briefe aus Westdeutschland, einige alte Bücher und der Zusammenhalt untereinander. Die Anlieferung deutscher Zeitungen aus der Sowjetzone ist schon seit Monaten ins Stocken geraten. Nur die Pankower Botschaft in Warschau entsandte einmal einen Redner nach Mohrungen, um die Deutschen dort zur Annahme des Sowjetzonenpasses zu überreden. Von einem Erfolg ist nichts bekannt geworden.

 

Traurig ist auch der Anblick des Friedhofes in Mohrungen. Er ist von den ersten Wellen polnischer Ansiedler ganz bewusst geschändet worden, um die Erinnerung an das deutsche Mohrungen auszulöschen. Nachdem die Grabanlagen zerschlagen waren, kamen später Diebe, die nach Eisen und Buntmetall suchten. Dann breitete sich Unkraut auf dem Gottesacker aus. Heute herrscht dort Wildnis.

 

Wovon leben die Polen in Mohrungen? Was den industriellen Sektor betrifft, so hat jetzt nur noch das Eisenbahnausbesserungswerk Bedeutung. Auf diesem Gelände bestehen aber längst nicht mehr alle der zu unserer Zeit vorhandenen Anlagen, so dass die Produktionsmöglichkeiten wesentlich geringer geworden sind. Gar nicht mehr in Betrieb ist die deutsche Fassfabrik. Traurig sieht es auch mit dem Handwerk aus. Etwa der zehnte Teil der früheren Betriebe existiert noch. Im Vordergrund steht, heute die Landwirtschaft, so dass viele Polen täglich in die Umgebung zur Arbeit fahren. Manche Stadtbewohner haben außerhalb Bauernwirtschaften übernommen bzw. nur deren Felder. Die Stadt dient etwa im selben Ausmaß wie früher als Umschlagplatz für Agrarerzeugnisse. Viele Polen in Mohrungen arbeiten in den verschiedenen Stadt- und Kreisbehörden. Außerdem beschäftigt die Bauwirtschaft eine größere Zahl von Arbeitern. Ziel der polnischen Verwaltung ist es, Mohrungen nach folgenden wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gestalten: Vergrößerung des Ausbesserungsbetriebes; Vergrößerung der Handwerksbetriebe; Heranziehen von Betrieben der Lebensmittelverarbeitung und Ausbau der Baufirmen.

 

Gegenüber 7000 Einwohnern in der Vorkriegszeit zählt die Kreisstadt heute nur noch halb so viel Menschen. Die polnischen Einwohnerangaben sind wie immer nicht genau, weil man Bewohner der weiteren Umgebung mitzählt. Über die jetzt bestehenden Geschäfte ist zu sagen, dass ihre Zahl ebenfalls gegenüber früher abgenommen hat. Es gibt zwei Schlachtereien, eine Bäckerei, ein Kleidungsgeschäft, vier Lebensmittelläden, einen Schuhladen und mehrere Kioske. Die Versorgung ist dementsprechend unzureichend, weil auch die Anlieferung von Waren nie richtig funktioniert. In der Krummestraße zählten Besucher kürzlich 120 Menschen, die nach einer kleinen Portion Fisch anstanden.

 

Was ist nun zu dem kulturellen Leben Mohrungens zu sagen, dessen größter Sohn der weltbekannte Dichter Johann Gottfried Herder ist? Erst einmal ist festzustellen, dass die Polen nicht das geringste Interesse an Herder haben. Obwohl das Herder'sche Geburtshaus unzerstört geblieben ist, erinnert heute nichts mehr dort an den großen Humanisten. Die Bücherei in diesem Gebäude ist verschwunden, und die außen angebrachte Erinnerungstafel wurde abmontiert. Genauso ist es auch mit den anderen Erinnerungsstücken an Herder geschehen. Natürlich steht auch sein Denkmal nicht mehr. Der polnische Kultur-Ausschuss in Allenstein hat lediglich vor längerer Zeit einmal erwogen, ob man nicht die Forschungen Herders über das slawische Volkstum zum Anlass nehmen könnte, ihn als „Autochthonen" auszugeben und ihn propagandistisch für die Polonisierung zu missbrauchen. In Warschau muss man jedoch nicht viel von diesen Plänen gehalten haben, weil sie bis jetzt nie wieder diskutiert wurden.

 

Das polnische Kulturleben in Mohrungen muss als unter dem Durchschnitt bezeichnet werden. Nie ist es bisher etwas mit den immer wieder angekündigten Gastspielen auswärtiger Theater geworden. So finden die Menschen lediglich Unterhaltung im Kino und dem Kulturhaus. In letzterem kommen Aufführungen verschiedener Art von Laienkräften zustande. Das alles hat jedoch einen stark politischen Einschlag und wird deshalb weitgehend gemieden. In der Georgenthaler Straße soll nun ein Fernsehzentrum eingerichtet werden, wo die Einwohner in naher Zukunft an einem überdimensionalen Gerät (wie es auch in der Sowjetzone schon üblich ist) am Fernsehprogramm teilnehmen können. Aber auch dieser Massenbetrieb ist nicht sehr beliebt. Die Polen in Mohrungen verbringen ihre freie Zeit vornehmlich in den Lokalen oder Schnapsausschankstellen. Allerdings verzeichnet die Miliz nach der Statistik hier weniger alkoholische Ausschreitungen als in anderen Städten. Der deutsche Geist der „Herder-Stadt" ist jedenfalls unter den Polen völlig verlorengegangen!

 

Seite 3   Nachrichten aus der Heimat

Landverkauf in Ostgebieten

Das polnische Landwirtschaftsministerium gab bekannt, dass über zweieinhalb Millionen Morgen brachliegendes Land, das sich gegenwärtig noch in Regierungsbesitz befindet, an Bauern verkauft werden sollen.

Vor allem betreffe dies Land in den „Woiwodschaften" Stettin und Köslin sowie in den „Woiwodschaften" Bialystock und Rzeszow. Käufer können in Stettin und Köslin bis zu 240 Morgen erwerben. In den anderen Gebieten ist der Landerwerb auf 120 Morgen beschränkt.

 

Mehr Polen nach Schlesien

In Schlesien sollen in diesem Jahr 120 000 Polen angesiedelt werden, die aus den von der Sowjetunion besetzten ehemaligen polnischen Gebieten stammen. Allein im Regierungsbezirk Oppeln sollen 46 000 polnische Aussiedler aufgenommen werden, wie von Deutschen berichtet wurde, die kürzlich mit einem Aussiedlertransport auf dem Zonengrenzbahnhof Büchen eintrafen.

 

Deutschvorlesungen in Allenstein

Im Allensteiner höheren katholischen Priesterseminar müssen die polnischen Theologiestudenten Deutschvorlesungen als Pflichtfach besuchen, damit eine gewisse Gewähr für eine befriedigende Seelsorge der im polnisch besetzten Ostpreußen bzw. übrigen Bereich der Oder-Neiße-Gebiete noch lebenden deutschen Bevölkerung gegeben ist.

 

Wieder deutsche Städtenamen

Der Auslandsdienst des Warschauer Rundfunks ist in seinen deutschen Sendungen jetzt dazu übergegangen, bei den Städten in den deutschen Ostgebieten nicht nur den polnischen, sondern auch den deutschen Namen zu nennen. Der Informationsdienst „Kirche und Rundfunk“ berichtete in Bielefeld, während bis vor kurzem nur von Gdansk und Szczecin die Rede war, heiße es jetzt „Gdansk – früher Danzig“, „Szczecin – früher Stettin“.

 

Seite 3   Barten verlor Stadtrecht

Die Vernachlässigung der Klein- und Landstädte in den Polnisch verwalteten deutschen Provinzen jenseits von Oder und Neiße hat ein neues Opfer gekostet: die ostpreußische Stadt Barten im Kreise Rastenburg hat, einer Meldung der in Allenstein erscheinenden polnischen Zeitschrift „Warmia i Mazury“ zufolge; ihr Stadtrecht verloren und ist Landgemeinde geworden, weil ein großer Teil der Gebäude vernichtet wurde. Dass des Weiteren die Bahnlinie Barten – Rastenburg nach dem Kriege demontiert worden ist, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass sich in der ehemaligen Stadt Barten nur wenige polnische Zuwanderer niederließen.

 

Seite 3   17 Prozent der Gesamtbevölkerung Ostpreußens sind Deutsche.

Nach volkspolnischen statistischen Angaben bilden die als „Autochthone" bezeichneten deutschen Bewohner des südlichen Ostpreußens immer noch einen erheblichen Teil der Gesamtbevölkerung der „Woiwodschaft" Allenstein. Insgesamt 17 Prozent der Bevölkerung in der „Woiwodschaft" Allenstein sind Ermländer und Masuren, deren Anteil in den Kreisen Allenstein und Sensburg sogar über 50 Prozent, im Kreise Ortelsburg 27 Prozent und im Kreise Johannisburg 21 Prozent beträgt. Polnischen Verlautbarungen zufolge ist es seit Kriegsende den volkspolnischen Behörden in Ermland und Masuren nicht gelungen, bei den Deutschen, die als „germanisierte Polen" bezeichnet werden, das Gefühl hervorzurufen, sie gehörten zur „polnischen Volksgemeinschaft". Aus den letzten Erklärungen von Funktionären der „Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei" des Bezirks Allenstein geht hervor, dass die sogenannte „Eingliederung der Autochthonen" auf starken Widerstand der deutschen Bevölkerung in Süd-Ostpreußen stößt. Diese Bevölkerung betone beständig, sie sei deutsch und lehne die Warschauer „Repolonisierungspolitik" ab.

 

Seite 4   Um die Eingliederung der Bauern. Bringt das neue Siedlungsgesetz Härten für den Ostlandwirt?

Bonn. Bei der Bundestagsdebatte über den Grünen Bericht der Bundesregierung stellte der Vertriebenenabgeordnete Rehs (SPD) an Minister Dr. h. c. Lübke folgende Fragen:

 

1. Werden die Siedlungsmittel für 1958 rechtzeitig und im erforderlichen Umfang den Ländern zur Verfügung gestellt werden?

2. Werden im Haushalt 1958 besondere Zuschüsse für die wirtschaftliche Festigung von landwirtschaftlichen Flüchtlingsbetrieben eingesetzt werden?

3. Wird die wirtschaftliche Lage der vertriebenen Landwirte in den künftigen Berichten gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes besonders dargestellt und mit der der Betriebe der einheimischen Landwirtschaft bezüglich ihrer Rentabilität und Produktivität verglichen werden? In diesem Punkte bestehen gerade angesichts der Auswirkungen der außer jedem Zweifel notwendigen Agrarstrukturverbesserungsmaßnahmen bei den vertriebenen Landwirten erhebliche Sorgen.

4. Wird die Eingliederung der vertriebenen Landwirte durch das beabsichtigte Siedlungsgesetz nachteilig beeinflusst werden, und wird, wenn diese Gefahr besteht, die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass dies verhindert wird?

Minister Dr. h. c. Lübke beantwortete die erste Frage dahingehend, dass die erforderlichen Mittel für 1958 in der Höhe des Vorjahres beschleunigt zur Verfügung gestellt werden.

Zur zweiten Frage stellte Dr. Lübke fest: „Wir haben eine ständige Wirtschaftsberatung draußen und es wird von den Ländern eine ständige Kontrolle dahin ausgeübt, wo Betriebe sind, die vielleicht nicht genügend gesund angesetzt sind, die Hilfe brauchen. Für die wird laufend gesorgt. Wir werden die Beratung auf dem Gebiet ausdehnen. Wir werden Ihnen im nächsten Jahr auch einen entsprechend eingehenden Bericht über die Lage der Siedler hier im Grünen Bericht vermitteln“.

 

Zu den anderen Fragen erfolgte bisher noch keine Stellungnahme; ob diese in Form einer kleinen Anfrage beantwortet werden sollen, ist noch nicht bekannt.

 

Seite 4   „Die Lastenausgleichsgesetze" als Taschenbuch.

Die Lastenausgleichsgesetze", herausgegeben von der Sudetendeutschen Landsmannschaft, bearbeitet vom Bundeswirtschaftsreferenten Dir. Emil Breuer, Preis 6,80 DM zuzüglich Versandspesen.

Diese handliche Taschenausgabe in schmiegsamem Einband enthält auf 368 Seiten nicht nur das Feststellungsgesetz, das Lastenausgleichsgesetz, das Währungsausgleichsgesetz, das Altsparergesetz und das Gesetz zu § 4 Abs. 4 des Altsparergesetzes in vollem Wortlaut, sondern auch Auszüge aus dem Kreditwesengesetz, dem Währungsumstellungsgesetz, dem Soforthilfegesetz und der zehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz. Außerdem gibt es Auskunft über die Punkttabelle für die Hausratentschädigung den Sitz der Heimatauskunftsstellen und der Vororte für die Feststellung des Betriebsvermögens. Viele Anmerkungen verweisen auf die allmähliche Wandlung einzelner Bestimmungen der genannten Gesetze und eingestreute Erläuterungen erklären die gesetzlichen Bestimmungen und oft auch die noch erstrebten Verbesserungen. In den beiden Abhandlungen, die den Gesetzestexten folgen wird das Lastenausgleichsgesetz ausführlich besprochen. Dabei wird auch auf die Rechtsmittel im Verfahren hingewiesen und wie sie zu ergreifen sind. In der Abhandlung über die Entschädigung der Sparguthaben der Vertriebenen wird besonders auf die MGAX(1)-Anmeldungen nach dem Militärregierungsgesetz Nr. 53 als Beweismittel aufmerksam gemacht und angeführt, welche darin verwendeten Bezeichnungen in deutscher oder englischer Sprache als Nachweis für die Rechtsnatur der Guthaben als Spareinlagen im Sinne des § 22 des Kreditwesengesetzes anerkannt worden sind.

Die Anschaffung dieser handlichen und preiswerten Gesetzesausgabe kann daher jedem, gleichgültig ob Vertriebener oder Bombengeschädigter, empfohlen werden. Bestellungen sind zu richten an die Sudetendeutsche Landsmannschaft, Wirtschaftsreferat, München 3, Postfach 113.

 

Seite 4   Neue Verordnungen zum Feststellungsgesetz.

Der Bundesrat hat kürzlich eine Reihe von Verordnungen und Änderungsverordnungen zur Durchführung des Feststellungsgesetzes gebilligt, die nunmehr in Kraft treten können:

 

Eine zehnte Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes, die bestimmt, wie die Ersatzeinheitswerte für forstwirtschaftlich genutzte Grundflächen zu ermitteln sind, wenn ein Nachweis über die früheren Einheitswerte nicht mehr geführt werden kann.

 

Eine vierte Verordnung zur Änderung und Ergänzung der dritten Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes, die die Ersatzeinheitsbewertung für das durch die Vertreibung verlorene Landwirtschaftsvermögen regelt.

 

Eine zweite Verordnung zur Änderung und Ergänzung der fünften Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes, die die Ermittlung des Ersatzeinheitswertes für Mietgrundstücke, gemischtgenutzte Grundstücke und Einfamilienhäuser regelt und festlegt, dass bei dieser Ermittlung für Gebiete mit durchgeführter Einheitsbewertung von dieser auszugehen ist, im Übrigen aber von der Gesamtgeschossfläche.

 

Eine zweite Verordnung zur Änderung und Ergänzung der sechsten Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes, die Richtlinien über die Ermittlung von Ersatzeinheitswerten für die Schadensberechnung bei Vertreibungsschäden an Betriebsvermögen bringt.

 

Eine Verordnung zur Änderung und Ergänzung der neunten Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes schließlich enthält Unterlagen zur Ermittlung von Ersatzeinheitswerten für Geschäftsgrundstücke, insbesondere für Warenhaus-, Hotel- und Fabrikgrundstücke usw.

 

Seite 4   Agrarfabriken oder Bauernhöfe? Das Bauerntum im Industriezeitalter — Zu einer Neuerscheinung von Günther Pacyna

Die Auseinandersetzungen um die Zweckmäßigkeit der westdeutschen Agrarverfassung werden nicht nur im Zusammenhange mit dem „Grünen Plan" im Bundestag geführt. Angesichts des mit marktschreierischer Reklame aufgezogenen Angebotes ausländischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse macht sich auch der Mann auf der Straße Gedanken über die, wie es ihm scheint, „mangelnde Konkurrenzfähigkeit" der heimischen Landwirtschaft. Man kann von ihm nicht erwarten, dass er sich seine Argumente aus der Bauernverbandspresse holt und es ihm auch nicht verübeln, dass er zu Analogieschlüssen neigt auf Grund seiner eigenen Erfahrungen in der Industriewirtschaft. Dass es mit den „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" in der Sowjetzone nicht das richtige ist, steht für ihn fest, aber die „Agrarfabriken" in USA, überhaupt die fortschrittlichen amerikanischen Methoden, über die ihn Presse, Rundfunk und Fernsehen unterrichten, die imponieren ihm schon und lassen ihn zur Erkenntnis kommen, wie rückständig die einheimische Landwirtschaft doch ist und wie ungerecht es ist, dass er die heimische Butter so teuer bezahlen muss und die Bundesregierung wiederum Milliarden Steuergelder zur Stützung der heimischen Landwirtschaft aufwendet. Gelegentlich merkt der Mann auf der Straße auch, dass er sich mit seinen aus der Froschperspektive gewonnenen Erkenntnissen mit Auffassungen anerkannter Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitiker in Übereinstimmung befindet, die „die bäuerliche Lebensform" als überholt und deshalb agrarpolitische Forderungen „als rückständige Prestigeansprüche" betrachten. Und da es heutzutage üblich ist, unangenehme Dinge des politischen Raumes einfach abzuschreiben, so schreibt er auch das deutsche Bauerntum ab.

 

Der bekannte Agrarjournalist Günther Pacyna bezieht in seinem Buche „Agrarfabriken oder Bauernhöfe? Das Landvolk im Zeitalter der industriellen Gesellschaft" (Holsten-Verlag Hamburg, 363 Seiten, Ganzleinen, DM 18,50) zu diesem Fragenkomplex Stellung, dass man wünschen möchte, dass es nicht nur die Agrarpolitiker, sondern alle lesen, die sich Gedanken um die deutsche Zukunft und besonders der des Ostens machen. Das Buch geht von der Überzeugung aus, dass „die Erhaltung der bäuerlichen Lebensform nicht nur eine Existenzfrage des deutschen Bauerntums ist, sondern auch eine Schicksalsfrage für das ganze deutsche Volk", und dass sich „die Notwendigkeiz der Erhaltung der Bauernwirtschaft nur aus dem Dreiklang der wirtschaftlichen, sozialen und biologischen Funktion, aus der unteilbaren Ganzheit des Bauerntums" ableiten lässt. Günther Pacyna, der seine journalistische Laufbahn als Pressechef des Reichslandbundes begonnen hat und sich seit Jahr und Tag mit den europäischen Bauernproblemen und besonders auch mit denen des Ostens beschäftigt hat, gibt in dem Buche ein Bild der agrarpolitischen Problematik der Gegenwart in ihrer historischen Bedingtheit und untersucht die Frage, ob die „bäuerliche Familienwirtschaft" die Wandlungsfähigkeit besitzt, die Eingliederung der Landwirtschaft in die moderne Industriegesellschaft zu ermöglichen. Mit packender Aktualität setzt er sich mit den amerikanischen „Vorbildern" auseinander, die uns heute eine leichtfertige, von kurzsichtiger Interessenpolitik bestimmte Propaganda als die Lösung aufzuzeigen bemüht ist. Dass sich der Verfasser auch mit den Fragen des deutschen Ostens und der Frage der Eingliederung des heimatvertriebenen Bauerntums beschäftigt, ist bei der umfassenden Schau des Buches verständlich. Franz Künzel.

 

Seite 4   Mangelhafte Betreuung der Kinder und Jugendlichen in den Lagern.

In den letzten Märztagen hat die SPD-Fraktion, vertreten durch die Bundestagsabgeordneten Rehs, Reitzner, Jaksch, Korspeter und Wehner, erneut eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um zu erfahren, welche Maßnahmen zur besseren Schulausbildung der Kinder in den Lagern eingeleitet werden. Die Bundesregierung hatte eine entsprechende Anfrage der SPD-Fraktion vom 11. Dezember 1957 dahingehend beantwortet, dass rund 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen in den Lagern nicht die notwendige Betreuung und Förderung erhalten, weil die entsprechenden Einrichtungen fehlen.

 

Der Bundestagsabgeordnete Reinhold Rehs fragte daraufhin vor einigen Wochen im Bundestagsausschuss für Vertriebene den Minister Oberländer, wie sich der Bund die finanzielle Sicherung der erforderlichen Maßnahmen denke. Da auf diese Frage bis heute keine befriedigende Antwort erteilt worden ist, wandte sich die SPD-Fraktion nun formell an die Bundesregierung. In der „kleinen Anfrage" wird Auskunft darüber verlangt, wie hoch die Zahl der betreffenden Kinder und der Jugendlichen ist, welche Maßnahmen die Bundesregierung zu ergreifen gedenkt, um allen die schulische und berufliche Förderung zu ermöglichen, und welche Mittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt würden.

 

Seite 4   Annemarie in der Au, unseren Lesern seit langem durch ihre Erzählungen bekannt, wurde in einem Wettbewerb für Laienspiele des BvD-Landesverbandes Hessen mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

 

Seite 4   Das aktuelle Buch

Franz Pehel: „Der Heimatvertriebene und die Rentenreform", 90 Seiten, DM 4,20, Verlag „Die Brücke", München 15, Kolpingstraße 9.

Dem vollständigen Katalog der Rentenleistungen folgen die Voraussetzungen des Rentenanspruchs, Beispiele über die Umstellung laufender Renten, eine Darstellung über die Erhöhung der Unfallrenten und eine Übersicht der knappschaftlichen Rentenleistungen. In den weiteren Abschnitten werden die freiwillige Weiterversicherung und besonders wichtige Neuerungen erläutert. Es ist nicht möglich, im Rahmen einer kurzen Besprechung die Fülle der Verwendungsmöglichkeiten und die Vorzüge dieser Schrift erschöpfend zu beschreiben.

 

Es mag der Hinweis genügen, dass mit Hilfe der darin enthaltenen Anleitung auch ungeschulten Lesern die Möglichkeit gegeben wird, sich ihre Rente auszurechnen. Bedenkt man, dass die Versicherungsanstalten grundsätzlich Renten ohne Antrag für unberechenbar erklären, wird die Bedeutung dieser Schrift für Heimatvertriebene und Flüchtlinge sofort klar. Ihre Vielseitigkeit geht auch daraus hervor, dass sie die oft genannten „Richtlinien über die Gewährung von Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge" im vollen Wortlaut bringt.

 

Die Schrift ist nicht zur Behandlung juristischer Zweifelsfragen gedacht, sie ist vielmehr ausschließlich auf die Bedürfnisse der betroffenen Personen abgestellt. Ihr Gebrauchswert ist umso höher einzuschätzen, als sie in klarer leicht verständlicher Sprache geschrieben ist. Inhalts- und Stichwortverzeichnis erleichtern die Handhabung. Mit diesem Buch wird dem Benutzer der Schlüssel in die Hand gegeben, sich selbst zu helfen.

 

Seite 4   Suchdienst

Gesucht werden: Frau Emma Mittwede, geb. Bolz, geb. 25.08.1894, zuletzt wohnhaft Königsberg/Pr., Dinterstraße 13, Personenstand: geschieden.

Familie Kurt u. Lotte Hagelweide, zuletzt wohnhaft Königsberg/Pr., Friedrichstraße 3.

Frl. Friedel Neufang, war als Stenotypistin beschäftigt bei der Arbeitsfront. Königsberg/Pr., Vorder-Roßgarten. Zweckdienliche Mitteilungen erbeten in Oskar Schacht, Hamburg-Wandsbek, Husarenweg, Parz. 196.

 

Seite 4   Korrektur zum päpstlichen Jahrbuch.

Der Vatikan hat ein Korrekturblatt zum päpstlichen Jahrbuch herausgebracht und dabei einige Änderungen bei den Namensnennungen der deutschen Ostbistümer vorgenommen. So erscheint der Name Breslau wieder, und auch die deutsche Bezeichnung Ermland wurde im Korrekturblatt aufgenommen. Die Weglassung der deutschen Bezeichnungen im päpstlichen Jahrbuch 1958 hatte in der Bundesrepublik zu einer teilweise heftigen Kritik geführt.

 

Seite 4   VdA konstituierte sich neu.

Der 1881 gegründete „Verein für das Deutschtum im Ausland" (VdA) konstituierte sich neu in München. Zum Bundesvorsitzenden wurde Reichskanzler a. D. Dr. Luther gewählt. Der neue Verein gilt als Rechtsnachfolger des alten VdA und will auf kulturellem und sozialem Gebiet seine Ziele, vor allem die Förderung des Deutschtums, verwirklichen.

 

Seite 4   Archiv für Grundbesitz

Das „Archiv für Grundbesitz e. V." in Bad Ems, das im Jahre 1950 begründet wurde und das unter der Aufsicht des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen steht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die noch vorhandenen Unterlagen über die Bodenbesitzverhältnisse in den Oder-Neiße-Gebieten und in der sowjetisch besetzten Zone nach dem Stande des Jahres 1939 zu sammeln und zu konservieren, um die Vertriebenen und Flüchtlinge in den Stand zu setzen, ihre Ansprüche auf rechtlicher Grundlage zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung geltend machen zu können und um die Grundbücher im Osten zum gleichen Zeitpunkt wiederherzustellen.

 

Im „Bulletin" der Bundesregierung forderte Ministerialrat Dr. Kunisch in einem Artikel zur regen Inanspruchnahme des „Archivs für Grundbesitz e, V." auf, zumal die Kosten für die Herstellung einwandfreier Unterlagen, von denen Kopien an verschiedenen Plätzen des In- und Auslandes deponiert werden, und deren Besitz auch für die Erben der heutigen Berechtigten von Wert sein kann, verhältnismäßig geringfügig sind. Der Antragsteller muss die für seinen Antrag erforderlichen Angaben an Hand eines einfachen Fragebogens machen. Das Archiv hat in der Zeit seines Bestehens etwa 40 000 Registrierungen vorgenommen.

 

Seite 4   Gemeinsames Passgebiet Norden.

Am 1. Mai 1958 werden im Reiseverkehr nach den nordischen Ländern wesentliche Erleichterungen eintreten. An diesem Tage wird nämlich der ganze europäische Norden ein gemeinsames Passgebiet. Das bedeutet, dass Reisende, welche die Grenze irgendeines der nordischen Länder (Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden) überschreiten, nur an den Außengrenzen dieser Ländergruppen ihren Pass vorweisen müssen. Reist also ein Deutscher oder ein Bürger der Niederlande über Flensburg-Padborg nach Dänemark, so kann er dann ohne weitere Formalitäten nach den anderen nordischen Ländern Weiterreisen. Das gleiche gilt für Reisende, die etwa über Norwegen und Finnland einreisen. Zwischen Schweden und Norwegen, Schweden und Dänemark, Finnland und Schweden wird also jegliche Passkontrolle abgeschafft sein.

 

Seite 5   Die Kogge. Jugend- und Kinderbeilage der Ostpreußen-Warte. April 1958. Nummer 4

 

Foto: Ein Marterl zu Füßen des Rosengartens in Südtirol. Im Hintergrund der Karerpass (1763 m). Foto: Sachers

 

Seite 5   Alles Teil eines großen Ganzen.

Der Morgen ist so heiter, die Frühlingssonne scheint so allbelebend, die Luft ist so rein bei ihrer Kühle, dass man froh ist zu leben und dem verschiedenartigsten Leben Dasein und Genuss des Daseins gönnt. Friede sei mit allem, was da ist, Friede mit jedem Geiste, sein Wirken und Gebilde sei dem meinen so fremd, wie es wolle! Ich fühle mich verjüngt aus den Armen des Schlafs erstanden; alles in der Natur lacht mich an; alles ist unzertrennlich von allem; der blaue Bogen über mir, die hellleuchtende Sonne, und Berg und Flur, Fels und Wald, Pflanzen und Tiere, der Mensch und seine Kunst, alles ist Teil eines großen nicht zu umfassenden Ganzen!

 

Millionen Menschen empfingen den Funken der Vernunft, und fachten ihn an zur größeren oder kleineren Flamme; Millionen empfangen, dachten und wirkten, jeder auf seine ihm eigene Weise; die Früchte ihres Fleißes, ihres Nachdenkens, ihres bildenden Triebes erfüllen die Erde, und dennoch sind die Verhältnisse der Dinge untereinander nicht erschöpft, und keine Macht bestimmt ihnen Grenze oder Zahl. Wir stehen da und schöpfen aus dem unermesslichen Meere die mannigfaltigen Gestalten. Je mehr wir aufnehmen können, desto schwächer und reicher ordnet sich in uns, wie im Spiegel, das Bild des göttlichen All‘s. Von einem Lichte wird alles umflossen, alles schimmert meinem Aug entgegen, alles drängt mir sein Dasein auf, eine Welt von unendlichen kleinen Stäubchen sogar tanzt, sichtbarlich in diesem Sonnenstrahl, der zwischen den Vorhängen hindurch auf mein Papier gleitet, und behauptet ihren Platz in meinen Sehnerven wie in meinem Gedächtnis.

 

Willkommen, willkommen mir, heiliges Licht der Sonne, das allem, was da ist, gleiches Recht erteilt! Johann Georg Forster (geb.1754 Nassenhuben bei Danzig, gestorben 1794 Paris)

 

Seite 5   Deutsche in aller Welt.

Rote Schwerter und Kreuze in Riga. Die kühnste Gründung im Osten. Des Bischofs Kriegsschiffe in der Düna / Die Stadt der Schwertbrüder.

Als Riga 1207 das deutsche Lehensrecht beantragte und erhielt, war es erst sechs Jahre alt und bestand aus Holzhäusern, wie zuerst alle deutschen Kolonisationsorte im Osten. Doch es war sich seiner kommenden großen Bedeutung von der ersten Stunde an bewusst. Sieben Jahre vorher war eine Flotte von 23 bewaffneten Schiffen in der Dünamündung erschienen. Ihr Befehlshaber, Bischof Albert, ein niedersächsischer Adliger, bezeichnete einen noch unbebauten Ort als Standort einer deutschen Ansiedlung. Im Sommer darauf wurde hier die Erbauung Rigas begonnen. Der sichere Blick des Kolonisators hatte sofort einen Platz gefunden, der seither geschichtsträchtiger Schlüsselpunkt des baltischen Raumes geblieben ist.

 

Unter allen Gründungen der Deutschen im Osten war Riga die kühnste. Keine andere entstand auf einer von Menschen bis dahin unbewohnten Stelle. Und es war ein mehr als wagemutiger Entschluss der Niedersachsen, Westfalen und Lübecker, sich tausend Kilometer entfernt vom einzigen Ostseehafen des Reiches Lübeck anzusetzen, unter Überspringung ganz unerschlossener Gebiete wie Preußens und des kriegerischen Litauens. Erst eine Generation später begann der Deutsche Orden vom Hause Marien die Inbesitznahme des Preußenlandes. So war Riga noch kaum vier Jahre alt und eben befestigt, als es den ersten Ansturm der Litauer zu bestehen hatte und bestand.

 

Rote Schwerter und rote Kreuze auf den Mänteln trugen die Ritter des Schwertbrüderordens, den Bischof Albert sogleich nach der Gründung seiner Stadt zum Schutz der livländischen Erwerbungen ins Leben rief. Für ihn und die Ritter galt vom ersten Tage, dass die Annahme der christlichen Taufe, die sie in Livland betrieben, gleichbedeutend war mit der Anerkennung deutscher politischer Oberhoheit. In der damaligen Anschauung war diese Koppelung, die wir heute nicht mehr kennen, eine nicht nur von den Deutschen ausgeübte Selbstverständlichkeit. Die Ritterschaft ganz Europas ist im Heiligen Lande nicht anders verfahren.

 

Dem Recht nach hat der Schwertbrüderorden nur dreißig Jahre bestanden. Er erlitt 1236 in Schaulen eine lebensgefährliche Niederlage durch die Litauer. 1237 fertigte Papst Gregor zu Viterbo eine Urkunde aus — in der geschwungenen, eleganten Schrift damaliger Kanzleien italienischen Stiles — durch die er den Schwertbrüderorden mit dem Deutschen Ritterorden vereinigte. Wäre diese Verschmelzung glatt von statten gegangen, so könnte man heute die 720. Wiederkehr eines glücklichen Tages in der nordostdeutschen Geschichte feiern.

 

So aber wurde daraus eher ein Tag des Unheils. Zwischen den Deutschrittern, den Schwertbrüdern und dem Rigaer Erzbischof brannten Generationen lang Probleme, von denen der Norden widerhallte und die es nicht zu einem wirkungsvollen gemeinsamen Vorgehen der deutschen Gründungen kommen ließen. Als später das Rittertum in Preußen seinen Todeskampf gegen Polen und Litauen focht, blieben die Livländer beiseite. Dafür überlebte ihre Ritterschaft den Untergang des preußischen Ordensreiches ... und fiel im 17. Jahrhundert den Stürmen eines neuen Reiches allein zum Opfer, den Angriffen des Reiches Moskau.

 

Die Stadt Riga jedoch überstand alle Umwälzungen in unbeirrbarer Lebenskraft. Papst, Kaiser und später der Zar bestätigen immer wieder aufs Neue ihre Privilegien — und ihr Deutschtum. Hier hatte ein genialer Städtegründer einen Ort gefunden, der die Lebenslinien eines weiten Raumes ganz zwangsläufig an sich zog. Vom ersten Jahrzehnt ihres Bestehens an wurde die Stadt Riga zum Nadelöhr, durch das der Russlandhandel des ganzen Landes an Düna und oberem Dnjepr hindurchlief — und so ist es heute noch und wieder.

 

Ende 1915 verließ Wilhelm von Bulmerincq, das letzte deutsche Stadtoberhaupt von Riga, seine Stadt — ausgewiesen. In Sibirien, später in Finnland, zuletzt in Stettin hat er unermüdlich für seine Landsleute gewirkt. Aber Rigas deutsche Geschichte war und blieb ununterbrochen. Die Zeit der bis dahin kaum bekannten nationalen Verhetzungen hatte im ersten Weltkrieg begonnen. Das Dritte Reich, das gerade im Osten für die Geltung des Deutschtums zu streben vorgab, zog den vorläufigen Schlussstrich. Seither ertragen die Völker der baltischen Familie die bittere Erfahrung, dass die nationale Zersplitterung der kleinen Völker in unserem Jahrhundert gerade in die Tyrannis der Großen führt.

 

In Westdeutschland, in Amerika, zu Zehntausenden auch in Skandinavien warten die deutschen Balten darauf, was das weitere Schicksal ihrer Heimat, der Gründung ihrer Vorfahren, sein wird. (VDA)

 

Seite 5   Nidden / Kurort und Ostseebad

Den nachstehenden Text entnehmen wir einer Werbeanzeige der Gemeinde-Badeverwaltung Nidden aus dem Anfang der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts.

 

Der größte Ort (die Perle) der Kurischen Nehrung mit den höchsten Dünen Europas, Ostseebad, beliebte Sommerfrische, hohe sehenswerte Wanderdünen mit „Tal des Schweigens". Viel von Landschaftsmalern besucht. Gemütliches und zwangloses Badeleben. Erfreut sich dank seiner idyllischen Lage und seines gesunden Klimas immer mehr des Zustroms von Badegästen, Erholungsbedürftigen und Touristen.

 

Die klimatischen Verhältnisse Niddens sind infolge der fast insularen Lage zwischen zwei Gewässern besonders günstig. Die ist außerordentlich rein und frei von Nebel. Die herrlichen Waldungen des Ortes geben der Luft einen seltenen Reichtum an Ozon, so dass die Verbindung von würziger Wald- und reiner Seeluft Nidden zu einem klimatischen Kurort ersten Ranges macht. Die Heilwirkung der völlig gefahrlosen Seebäder wird durch eine besonders bei Westwind kräftige Brandung bedeutend erhöht.

 

Unterhaltungen: Abgesehen von einzelnen Reunions ist das Badeleben still, zwanglos und äußerst gemütlich, Bootsfahrten auf dem Haff, wie Wagenfahrten nach den toten Dünen, Pestkirchhof, Tal des Schweigens und ins Elchrevier.

 

Reisewege: Von Königsberg i. Pr. mit der Cranzer Eisenbahn bis Cranz (Cranzbeek) und von da mit den elegant eingerichteten Salondampfern täglich in etwa drei Stunden erreichbar. Von Königsberg i. Pr. — Insterburg — Tilsit — Memel und von da mit den oben genannten Dampfern in etwa 2 ½ Stunden zu erreichen.

Kurtaxe: sehr mäßig.

Besucherzahl 1931: 3844. Jugendherberge: 1702.

Privat Wohnungen sind je nach Wunsch in jeder Preislage zu haben.

 

Seite 5   Weißt Du …

. . . dass Königsberg die erste ostdeutsche Stadt war, die über ein festes Theater verfügte? Das erste feste Theater Gesamtdeutschlands wurde in Leipzig errichtet.

 

. . . dass sich in der Marienburg Ornamente finden, deren Art an normannische bzw. orientalische Ornamentik erinnert? Man führt diese Erscheinungen darauf zurück, dass die Baumeister der Marienburg offenbar in normannischen Kirchen gelernt haben, die dem Deutschen Ritterorden auf Sizilien, dem ehemaligen Schnittpunkt zwischen dem abendländischen und orientalischen Kulturkreis, angehört haben.

 

Seite 5   Schnittmuster für Trachtenpuppen

Die Pädagogische Arbeitsstelle für Ostlandkunde in Düsseldorf gibt seit Herbst vorigen Jahres Ausschneidebogen zum Selbstbasteln heraus. Bisher waren Ausschneidebogen erschienen, die je ein Bauwerk aus dem deutschen Osten zeigten. Die Reihe, die mit der Herausgabe des Krantores in Danzig eröffnet wurde, enthielt jeweils einen kurzen Abriss der Geschichte des betreffenden Bauwerks.

 

Eine jetzt neubegonnene Reihe zeigt Trachten aus dem deutschen Osten. Die Arbeitsstelle gibt dazu einen Schnittmusterbogen für die Tracht einer Puppe von 45 cm heraus. Dem Schnittmusterbogen liegen eine genaue Farbbeschreibung sowie die Angabe über den Materialverbrauch bei. Bisher sind in dieser Reihe eine Ermländer und eine Elbinger Tracht erschienen. In Kürze erscheint eine Tracht aus Pommern.

 

Seite 6   Marienwerder. Schicksalsburg des Ritterordens (mit Bild).

Am Unterlauf der über 1000 km langen Weichsel liegt eine Ordensburg, die kaum weniger bekannt ist als ihre „große Schwester", die 40 km nördlich gelegene Marienburg. Es ist die Ordensburg Marienwerder. So, wie unser Bild sie zeigt, blickt sie noch heute, von den Kriegswirren verschont geblieben, über die fruchtbaren Niederungen der Weichsel, über westpreußischen Boden hinweg. Etwa seit 1946 dient sie anderen Zwecken als ehedem. Die Ordensburg wurde einem polnischen geistlichen Orden als Stätte des Wirkens und jeder religiösen Meditation übergeben.

 

Man schrieb das Jahr 1223, als der Grundstein für das wuchtige Bauwerk gelegt wurde. Es war Festung und Kloster zugleich. Es beherbergte ferner ausgedehnte Wirtschaftsbetriebe, die glänzend funktionierten.

 

Dass in Marienwerder aber auch die ersten Impulse für den späteren Untergang des Ritterordens gelegt wurden, wird weniger bekannt sein. Als Bürgern, Kaufmannschaft und Landadel des Ordenslandes jeder Anteil an den enormen Handelsgewinnen des Ordens versagt wurde, traten ihre Delegierten am 14. März 1440 in Marienwerder zusammen. Ziel der Beratungen war, den seit 1410 schwer angeschlagenen Orden zu Zugeständnissen zu bewegen. Sie wurden verweigert. Am Ende stand, was man nach heutiger Anschauung eine förmliche Verschwörung nennen müsste. Sie bewirkte, dass der Ritterorden einem neuen Ansturm rascher unterlag als gedacht und im zweiten Thorner Frieden (1466) Westpreußen und das Ermland an Polen abtreten musste

 

Seite 6   Federzeidinung von R. von Hoerschelmann aus „Die Baltischen Provinzen, Band 5: Märchen und Sagen" (Berlin, 1916).

 

Seite 6   Wie ich dem Elch begegnete.

Es war zur Sommerzeit, als ich mit meinem Paddelboot auf einer der Inseln landete, die dicht an der litauischen Grenze im Kurischen Haff liegen. Am sandigen Strande hatte ich Trittsieges eines Elches ausgemacht.

 

Langsam folgte ich der Fährte. Es war gut, dass ich wasserdichte Stiefel trug; denn es gurgelte und schmatzte bei jedem Schritt, wenn ich behutsam einen Fuß nach dem anderen aus dem sumpfigen Boden zog. Mannshohe Brennnesseln schlugen mir ins Gesicht, und an manchen Stellen war der Bruchwald fast undurchdringlich. Unter dem dichten Laubdach war es wunderbar kühl. Als ich so in die grüne Waldesdämmerung hineinschaute, entdeckte ich einen niedrigen Baum, der viele schmale, weiße Streifen hatte.

 

Ich ging näher heran und stellte fest, dass die Rinde von unten nach oben abgezogen worden war. — Das konnten nur äsende Elche getan haben; denn die weiche Rinde junger Weiden ist für sie ja ein Leckerbissen.

 

An einer Espe verschnaufte ich ein wenig von dem anstrengenden Marsch durch den Sumpf und lehnte mich dabei an ihren Stamm. — Da! — Plötzlich ertönte in meiner Nähe ganz kurz ein tiefes abgehacktes „Och-och-och!" — Ich schrak heftig zusammen; denn gleich danach klatschte es dicht vor mir. Es hörte sich an, als stiege jemand aus einer vollen Badewanne heraus; doch bald war es wieder still auf der Insel! — Als ich weitergehen wollte und ein paar Blätter zur Seite schob, da entdeckte ich, keine dreißig Meter von mir entfernt, einen Elch im Morast.

 

Er stand regungslos im schwarzen Moorwasser. Seine Läufe schimmerten ganz hell, fast so hell wie die Birkenstämme ringsumher. Vor Freude schlug mir das Herz bis zum Halse hinauf — und auch vor Schreck! Ein solch riesiges Tier hatte ich nicht erwartet! Viel größer und gewaltiger als ein Rothirsch war dieser Schaufler. Schlammpatzen fielen ihm vom Leib und klatschten auf das Wasser. Klitschnass war sein Fell. Von dem niederen Hinterteil des Elchhirsches stieg ein hoher Widerrist zu einem Höcker auf, und ruhig wedelte das mächtige Tier mit dem kleinen Stummelschwanz.

 

Jetzt wendete der Riese den Kopf — er musste mich gewittert haben. Ruhig äugte er herüber zu dem Baum, hinter dem ich mich verbarg. Gewaltige, dunkelbraune Schaufeln trug er an den Stangen, und die weißblitzenden Sprossen an den Enden der Schaufeln spreizten sich wie die Finger einer Hand. Der schwere Kopf wirkte mächtig und stark, wuchtig der sehnige Nacken.

 

Da hob der Elch zuerst einen Vorderlauf aus dem Morast, dann einen der Hinterläufe, und nun patschte er langsam aus dem Moortümpel heraus, so stocksteif, als hätte er gar keine Gelenke. Am anderen Ufer des Tümpels aber verhoffte er, zog schnaubend die Luft in den Windfang und äugte wieder zu mir herüber. Von einem jungen Stamm, der vor ihm stand, riss er in langen Streifen die Rinde ab und äste dichte Blattbüschel von den unteren Zweigen. In diesem Augenblick passierte es! Ich wollte gerade behutsam den Fuß aus dem Morast ziehen, weil mir das Wasser in die Schuhe hineinlief, da glitt ich aus, rutschte an der Espe hinunter und schlug langhin auf den nassen Waldboden.

 

Ein eisiger Schreck durchfuhr mich, als drüben aus dem Tümpel auf einmal patschende Geräusche auf mich zukamen: pitsch — patsch — pitsch — patsch! Steifbeinig, wie auf Stelzen, stapfte der Recke mit der gewaltigen Krone auf mich zu, mitten durch das Moorloch, so dass das Wasser hoch aufspritzte. —

 

Entsetzt sprang ich auf, rannte, so schnell ich konnte, durch Brennnesseln, Dornen und Gestrüpp und stolperte über knorrige Wurzeln, als wäre ein Rudel hetzender Wölfe hinter mir her. Endlich erreichte ich die Uferböschung, schob hastig mein Boot in das Wasser und schwang mich hinein.

 

Hinter mir im Gebüsch aber krachte und knackte es. Zitternd bogen sich die schlanken Kronen der Pappeln, und jetzt brach es aus dem Gestrüpp hervor. Wie ein urweltliches Tier, so gewaltig und ungeheuer stand der Elch am Strand. Hochauf warf er seine mächtigen Schaufeln, stampfte zornig mit dem Vorderlauf gegen die anrollenden Wellen, dass ihn das Wasser umwirbelte — und schrie laut dröhnend sein „Och-och-och!" zu mir herüber.

 

Nie wieder habe ich diesen Ruf gehört. Es war meine erste, aber auch meine letzte Begegnung mit dem Elch! Erich Fischer

 

Seite 6   Die Brutvögel Ostpreußens.

Der Vogelreichtum Ostpreußens, im Besonderen der Kurischen Nehrung ist weltbekannt, und es ist nicht zufällig, dass gerade hier, in Rossitten, die größte Vogelwarte der Welt entstanden ist. Doch nicht alle der hier festgestellten Vögel sind heimische, das heißt Brutvögel. Viele hundert Arten sind reine Durchzügler.

 

Aber auch der Artenreichtum an Brutvögeln übertrifft bei weiten den aller anderen Gebiete Deutschlands, brütet hier doch so manche Art, die im übrigen Deutschland gänzlich fehlt (Zwergmöwe, Uralkauz, Schelladler, Birkenzeisig, Grüner Laubsänger, Rotdrossel, früher auch der Nachtreiher und das Moorschneehuhn), und andere sind hier weit häufiger und regelmäßiger anzutreffen als im Westen: wie Tannenhäher, Karmingimpel, Zwergfliegenschnäpper, Sperbergrasmücke, Rohrschwirl, Beutelmeise, Bartmeise, Uhu, Kranich, Schwarzstorch, Fischreiher, Schreiadler, Fischadler, Schwarzer Milan, Wanderfalke, Schwarzspecht, Blaurake, Höckerschwan, Schnatterente, Reiherente, Schellente, Gänsesäger und Schwarzhalstaucher.

 

Allerdings gibt es daneben auch andere Arten, die seltener als im Westen brütend vorkommen, wie Girlitz, Amsel, Haubenlerche, Heckenbraunelle, Hausbaumläufer, Augenstreif-Goldhähnchen, und ganz fehlen Schwarzkehliger Wiesenschmätzer und Nachtigall (letztere wird hier durch den Sprosser vertreten).

Insgesamt zählte man 194 ostpreußische Brutvogel-Arten.

 

Seite 6   Bote der Freude. Von Hans Bahrs.

Sei nur getrost, der Himmel

Wandelt sein dunkles Gesicht,

Und jauchzender, blühender Frühling

Hebt seine Flügel ins Licht.

 

Sieh nur, die Wolkenietzen

Jagt schon ein fröhlicher Sturm.

Es hisst seine Fahne der Frühling

Auf hohem Berge vom Turm.

 

Trotzige Bäume träumen

Von einer helleren Zeit,

Recken die Kronen wieder,

Uraltem Wechsel bereit.

 

Sonne, so zieh deines Weges,

Wie es schon immer geschah.

Heller, lachender Frühling,

Bote der Freude, ist da!

 

Seite 6   Bauernregeln.

Wenn der Hahn kräht auf’m Mist, ändert sich’s Wetter oder’s bleibt wie’s ist.

 

Zeigt sich im April die Blüte, wird die Frucht von mäßiger Güte.

 

Gras, das im April wächst, steht im Mai.

 

Je eher im April der Schlehdorn blüht, desto eher der Schnitter zur Ernte zieht.

 

Jetzt muss der Hollunder sprossen, sonst wird der Bauern Miene verdrossen.

 

Stellen Blätter an den Eichen schon vor Mai sich ein, gedeiht im Lande Korn und Wein.

 

Bauen im April schon die Schwalben, gibts Futter, Korn und Kalben.

 

Maikäfer, die im April schon schwirren, müssen dann im Mai erfrieren.

 

Nasser April und kühler Mai, füllt die Speicher und macht viel Heu.

 

Friert's zu St. Vital (28.), friert's noch 15 Mal.

 

Aprilregen ist Gottessegen.

 

Seite 6   Mein erster Adler / Erzählung von Ernst Wiechert.

Ich war dreizehn Jahre alt und aus der Stadt zu den Sommerferien nach Hause gekommen. Wir hatten einen neuen Forstaufseher bekommen und er empfing uns, meinen Bruder und mich mit den Worten: „Ich weiß einen Schreiadlerhorst, und einer von euch darf einen Adler schießen“.

 

Es gab genug Wunder in unseren Wäldern, aber es dauerte eine Weile, bis wir dieses Wunder begriffen. Wir sahen einander an, mein Bruder und ich, und in diesem Augenblick fühlten wir, dass Böses und Schmerzliches unter diesem Wunder lag: Einer von uns musste verzichten. Keiner würde es freiwillig tun; denn für einen Adler würden wir unsere Seligkeit verkauft haben. Wir sprachen nicht miteinander, aber mit jedem Blick wussten wir, was der andere dachte. Am zweiten Tag mussten wir losen. Mit Grashalmen, wie sich das im Walde gehörte. Und ich verlor. Ich starrte auf meinen Halm und dann auf den meines Bruders: Es war kein Zweifel, dass ich verloren hatte. Es war selbstverständlich dass ich weinte. Und heute, wenn ich fünfunddreißig Jahre zurückblicke, ist es mir auch selbstverständlich, dass ich mich gegen mein Schicksal auflehnte. Ich wusste damals nicht, dass jedes Schicksal gut ist.

 

Ich saß auf meinen Lieblingsplätzen in den Wäldern und grübelte. Drei Tage lang. Und am vierten nahm ich einen großen weißen Bogen aus dem Schreibtisch meines Vaters und schrieb: „Ich verspreche und gelobe bei meiner heiligen Ehre..." So fing es an. Und dann folgte die Liste aller Dinge, Besitztümer, Privilegien und Gerechtsame, die ich auf meinen Bruder übertrug, wenn er mir den Adler überließe.

 

Es waren vier Bogenseiten. So reich ist ein Kind. Von zwei Zauberringen, die ineinanderzuschieben und wieder zu lösen waren, bis zu dem unbeschränkten Recht auf die Führung meines gezogenen Teschings, sechs Millimeter Kaliber, belgisches Fabrikat, Fleckschuss auf hundert Meter mit der drei Zentimeter langen Winchesterpatrone, fehlte nichts. Ich war ein Bettler nach diesem Vertrag, ein waffenloser Krieger, ein Steinzeitparia. Aber ich würde eine Adlerfeder an der Mütze tragen!

 

Und mein Bruder verkaufte seine Erstgeburt. Um mehr als ein Linsengericht, aber er verkaufte sie. Ich glaube, dass er es mehr aus Güte tat als aus Lust an meinem Besitz, und ich schämte mich ein wenig.

 

Und dann gingen wir an einem Julimorgen los, der große Jäger und ich, um halb vier Uhr, und ich hatte nicht mehr als eine Stunde geschlafen. Es war weiter als eine Meile. Betaute Wälder, über denen die Sonne sich hob und in denen jede Spur und jede Stimme mir vertraut war. Ich trug meines Vaters Doppelflinte und seine Jagdtasche, und mein Herz schlug schon, als ich über die Schwelle unseres Hauses trat. Auch die Eroberung Amerikas kann nicht viel anders gewesen sein.

 

Ein Gang mit dem großen Jäger war nicht leicht. Vieles musste gewusst werden: Jeder Vogelruf, jeder Vogelflug; was es bedeutete, dass die Kiefernzapfen weit geöffnet auf dem Moos lagen und dass der Tau auf den Spinngeweben funkelte; Windrichtung und jede Fährte im Sand; das Alter der Bruchstelle an einem geknickten Zweig und das Alter der Schonung, durch die wir gingen.

 

Der Horst lag an unserem zweiten See, abseits der sumpfigen Ränder, in einer Verborgenheit, die ich niemals betreten hatte. Kraniche riefen von den Uferwiesen, Bäume waren übereinander gestürzt, Porstbüsche wucherten, und die Luft war schwer und fremd, die Dschungelluft eines anderen Erdteils.

 

Lautlos schleiche ich in der Spur des großen Jägers. Wir hören den Adler schreien und lauschen. Es ist ein anderer Schrei als der des Fischadlers, aber auch er ist klagend, traurig fallend und ergreifend. Der Wald steht wie ein finsteres Gewölbe und fängt den Schrei auf. Seltsam ist alles, wie ein verbotener Weg, ein Einbruch in ein gebanntes Heiligtum.

 

Aber der Jäger winkt und der Adlerschrei ist verstummt. Wir stehen unter dem Horst, gedeckt von einem Lindenbusch, unbeweglich, eine halbe Stunde lang. Noch einmal ruft in der Ferne der Adler, und über uns, aus dem riesigen Horst, antwortete die klagende Stimme des Jungen, hoch und ängstlich wie die Stimme eines Rehkitzes. Ein weißer Kopf schiebt sich über den Horstrand, fahl und hässlich wie der Kopf eines Morgengespenstes.

 

Mahnend hebt der Jäger die Hand. Und dann pflückt er ein junges Lindenblatt, hebt es an die Lippen, und nun ruft es von unten herauf wie ein junger Adler, klagender noch und wie in Not. Meine Augen fliegen durch den rötlich bestrahlten Wald. Mein Herz klopft, und ich sehe Adler überall. „Ruhig", sagt der Jäger leise. „Ganz... ruhig..."

 

Und dann ist er da. Lautlos. Zuerst ein Schatten, der dunkel und groß über die Wipfel jagt. Und dann er selbst. Die riesigen Schwingen, der herabschießende Leib. Etwas Dunkles fällt in den Horst, eine unverkennbare Beute. Sekundenlang das Bild des Vogels auf einem grauen Eichenast, sich öffnende Schwingen... der Ast, der hinter ihm erhebt... der Donner des verstörten Schusses... Widerhall ... Schweigen . .. vorbei... Was hilft es, dass der Jäger mich tröstet? Wir gehen zurück. Jeder Schritt ist ein Schritt durch ein Meer von Schande, Schmerz und Verstoßung. Vorbei. Der erste Adler vorbei. Mein Bruder lächelt nicht, aber in der Nacht, in unserer Oberstube, als er mich leise weinen hört, sagt er ruhig: „Wenn du willst, kannst du noch einmal gehen“.

 

Er hat seine Erstgeburt verkauft, aber nun verschenkt er sie. Ich weiß, dass er besser ist als ich, und ich liebe ihn sehr. Es ist dunkel, und er kann es ja nicht sehen, und so brauche ich mich nicht so sehr zu schämen.

 

Zwei Wochen später habe ich den Adler geschossen. Aber es hat mich nicht mehr gefreut. Er starb vor mir auf dem Moos, und die kleinen dreieckigen Federn in seinem Nacken bebten leise in seinem Tod. Es war die erste große Erfahrung meines Lebens: Dass die Sehnsucht besser ist als der Besitz.

 

Ich habe keine Adler mehr geschossen, und wenn ich heute den großen und traurigen Schrei noch einmal höre, dann stehe ich lange still und lausche, und aus dem dunklen Tal der Erinnerung steht eine zweite Stimme auf, eine tiefe und ernste Stimme, die sich mit der hellen des Vogels verflicht: „Wenn du willst, kannst du noch einmal gehen …“

 

Aber ich weiß nun, dass es nicht gut ist, noch einmal zu gehen.

Aus Ernst Wiechert  „Wälder und Menschen", Verlag Kurt Desch, München.

 

Seite 7   Der Vogelprofessor von Rossitten. Ein Gedenkblatt für den Ornithologen Johannes Thienemann / Von Lothar Mosler-Boehm.

Im höchsten Nordosten unserer Heimat liegt der gewaltigste Strandsee Deutschlands, das Kurische Haff. Es hat seinen Namen von dem Volke der Kuren erhalten und ist mit einer Fläche von 1620 Quadratkilometern das größte unter den deutschen Haffgebilden. Nach Norden wird das Kurische Haff durch die 97 Kilometer lange Kurische Nehrung von der Ostsee getrennt. Die Kurische Nehrung ½  bis 4 km breit, ist nicht nur die längste, sondern auch die charakteristischste und großartigste aller Nehrungsbildungen Europas. Auf ihr befindet sich die größte und gewaltigste Wanderdüne unseres Kontinents, die „Preußische Wüste", deren „Entdecker" der schon längst verstorbene Pastor Dr. Lindner war.

 

Im Jahre 1896 kam auf einer Wanderung durch Ostpreußen der Vogelforscher Johannes Thienemann zum ersten Male auf die Kurische Nehrung und in das Fischerdorf Rossitten (1939 = 691 Einwohner). Thienemann erkannte sofort die hier gebotene einmalige Beobachtungsmöglichkeit der Vogelwelt, die in unvorstellbarem Artenreichtum in kleinen und großen Schwärmen hier Rast auf ihren Zügen zum Süden und umgekehrt, machten.

 

Dieser Sandstreifen zwischen Meer und Haff und die Hunderttausende von Vögel, die in dieser abgelegenen Stille ungestört neue Kräfte für den Weiterflug sammeln konnten, ließen Thienemann nicht mehr los. So nahm er im Jahre 1901 seine vogelkundlichen Arbeiten in Rossitten auf und gründete jenes Forschungsinstitut, das als „Vogelwarte Rossitten" unter seiner Leitung Weltruhm erlangte.

 

Im Alter von 75 Jahren ist Professor Dr. Johannes Thienemann am 12. April 1938 in Rossitten gestorben.

 

Im Mittelpunkt aller wissenschaftlichen Arbeiten der Vogelwarte Rossitten stand die Erforschung der Wanderstraßen der Zugvögel. In vorbildlicher Pionierarbeit wurde in Rossitten zum ersten Male die heute in aller Welt anerkannte Kennzeichnung von Zugvögeln mit Aluminiumringen vorgenommen. Über 1 Million Vögel wurden von den Männern der Vogelwarte in Rossitten und ihren vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern in der ganzen Provinz Ostpreußen beringt. Unschätzbar sind heute die Erkenntnisse aus dieser Thienemann‘schen Methode für die gesamte wissenschaftliche Vogelforschung. Gelang doch hierdurch die Aufklärung der verschiedenen Zugstraßen mit den Raststätten und den endgültigen Winterquartieren der Zugvögel. Die Erkenntnisse über den Orientierungssinn der Vögel auf ihren oft über 1000 Kilometer langen Flugstrecken, sowie die Lebensgeschichte vieler Vogelarten sind die Krönung der Lebensarbeit des Rossittener „Vogelprofessors".

 

Wenn wir heute, hier in der „Ostpreußen-Warte" den Versuch unternehmen, in wenigen Zeilen die einzigartige Bedeutung der Vogelwarte Rossitten zu umreißen, so müssen die Erinnerungen in erster Linie dem Gründer, Johannes Thienemann gelten. Die Ornithologen und Vogelfreunde in aller Welt kennen den Namen „Vogelwarte Rossitten", viele, vor allem die Fachleute kennen auch den Namen des Gründers, aber nur sehr wenige kennen den Lebensweg dieses großen Forschers, der für uns Ostpreußen mehr bedeutete als nur ein Fachornithologe, der unser Ostpreußen zu seiner Wahlheimat auserkoren hatte.

 

Johannes Thienemann wurde am 12. November 1863 als Sohn eines Dorfpfarrers in Thüringen geboren. Schon sein Vater war ein anerkannter Ornithologe und sein Großvater, der mit dem älteren Brehm eng befreundet war, galt als ein berühmter Vogelforscher. Im Hause des Großvaters lernte der Enkel den Umgang mit Vögeln kennen. Der Großvater besaß eine Sammlung von ausgestopften Vogelbälgen, die der Enkel oft bewundert hat.

 

Nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung studierte er aus alter Familientradition Theologie, denn seine Vorväter waren schon in der fünften Generation Pfarrer. Doch nach bestandener Theologieprüfung sattelte er um und ging ganz zu den Naturwissenschaften über, um sich voll umfanglich dem großen Forschungsgebiet der Ornithologie zu widmen. Schon in früher Jugend hatte er im väterlichen Pfarrhaus erlebt, wie die Vogelforscher und Vogelkenner in ganz Deutschland gebeten wurden, alle Beobachtungen über die Lebensweise der einheimischen Vogelwelt sowie über den Durchzug fremder Vogelarten zu berichten. Dieses von seinem Vater und Großvater in den siebziger Jahren gesammelte Material, das von vielen Forschern und Laien in ganz Deutschland zusammengetragen worden war, nahm er 1901 auf die Kurische Nehrung mit, um es in der Rossittener Einsamkeit auszuwerten. 36 Jahre lang hat der Vogelprofessor in der weltabgeschiedenen Stille seines Nehrungsinstituts systematisch weitergeforscht. Unsere heutigen, umfassenden Erkenntnisse über die Zugstraßen, Zugrichtungen und Zugzeiten der Vogelwelt verdanken wir fast ausschließlich dem zielstrebigen Wirken Prof. Dr. Thienemanns in Rossitten.

 

Viele Ornithologen und Forscher sowie Vogelfreunde und -liebhaber aus dem In- und Ausland haben ihn in Ostpreußen besucht. Die Einwohner von Rossitten hatten oftmals Gelegenheit, berühmte Menschen aus aller Welt in ihrem kleinen Dorf zu sehen. Sie alle kamen zum „olln Thienemannchen", wie die Fischer ihren Freund und Berater nannten.

 

Es gab aber auch Menschen, die seine Arbeit nicht verstanden, die das Beringen der Vögel für Spielerei, ja sogar Dummheit hielten. Der Hannoversche Heidedichter Hermann Löns zum Beispiel, lässt in seinem 1911 erschienenen Euch „Mümmelmann" eine ostpreußische Nebelkrähe ironisch erzählen: „Bei uns da oben bei Känigsbarg ist es noch nicht so schlimm; aber weiter hinauf, auf der Nahrung, bei Rossitten, da assen die Manschen Krähenfleisch, und jetzt sitzt da ein Kärlsche, Thienemann heißt er, der fängt die Krähen und macht ihnen Ringe um die Beine mit dem Datum darauf und bittet, dass man überall Krähen totschieße und ihm die Füße einschicke, der Wissenschaft wagen. Nu bitt ich Sie, was hat die Wissenschaft mit unseren Beinen zu tun. Der Mensch kommt jeden Tag auf neue Dummheiten“.

 

Aber der Erfolg und seine Forschungsergebnisse hat sie alle verstummen lassen, die Zweifler, Nörgler und Besserwisser.

 

Prof. Thienemann war durch sein Werk nicht nur einer der volkstümlichsten Männer Ostpreußens, sondern zum bekanntesten wissenschaftlichen Vogelforscher Deutschlands und der Welt geworden.

 

Sein Tod im Jahre 1938 hat ihm vieles erspart. Er hat die Zerstörung und Vernichtung seiner Vogelwarte in Rossitten und den Untergang seiner geliebten Wahlheimat Ostpreußen nicht mehr erleben brauchen. Sein Name und sein Werk aber leben weiter. Auf Schloss Möggingen in Radolfzell am Bodensee wird die alte Tradition der „Vogelwarte Rossitten" fortgesetzt.

 

Seite 7   Des Frühlings Zeichen. Von Franz Erdmann.

Milde Sonne, Himmelsbläue,

Frühlingswiese, grün und bunt,

Haar und Wange und der scheue,

wartend warme Mädchenmund.

 

Wasservögel, Frosch und Lurche,

gelber Krokus, Löwenzahn,

braune Erde, Ackerfurche,

auf dem See ein stiller Schwan.

 

Schafe, Lämmer, weißgeflockte,

Hirt mit Flöte, Stab und Hut

und der Kiebitze verlockte,

flatterfrohe junge Brut.

 

Kuckucksruf aus Tann und Eichen,

Taubengurren leis im Schlag.

Schöne frühlingshafte Zeichen.

Leben, Liebe — welch ein Tag!

 

Seite 7   Vom Wandern.

Man hat ein Auto, ein Moped, ein Fahrrad. Darüber versäumt man, sich seiner Beine zu bedienen. Niemand ist glücklicher dran als einer, der, sei es freiwillig oder aus Not, bei jedem Wetter und Anlass „seine Beine in die Hand nimmt". Laufen macht unabhängig und tüchtig. Der Autobus kommt nicht? Macht nichts, ich laufe. Es regnet Bindfäden, Sie werden doch nicht ...! Ich werde! Wissen Sie denn nicht, wenn alle Welt um Sie her flüchtet und Sie marschieren unangetastet daher, wie froh das macht! Trockenes und festes Schuhwerk vorausgesetzt. Sehen Sie, und mit dieser Voraussetzung beginnen wir schon, den fröhlichen Wanderer zu klassifizieren. Menschen, denen das Laufen Freude macht, pflegen nach den Regeln der Vernunft und den Gesetzen der Natur zu leben. Sie kennen sich aus in der Vielfalt der Erscheinungen, und sie haben es noch nicht verlernt, sich den Gegebenheiten anzupassen.

 

Der kleine Gelegenheits-Läufer: voll entfaltet er sich erst „auf großer Fahrt". Wie lange ist es her, dass Sie zehn Tage lang von Ort zu Ort sich eine Gegend erwanderten? Ja, war ich denn blind, werden Sie sich fragen, wenn Sie frei wie ein Vogel durch die Wälder und Felder pirschen. Hier werden Sie wieder sehend. Und was die Hetze Ihnen nahm, hier finden Sie es wieder: Glück und Zufriedenheit.

 

Seite 7   Bismarck wetterte über unleserliche Unterschriften.

Der alte Bismarck hatte sich schon lange darüber erbost, wenn ihm seine Minister und andere hohe Beamte Akten und Schriftstücke vorlegten. Diese waren zwar von Kanzlistenhand schön säuberlich in Schönschrift abgefasst; aber die Unterschriften, die Unterschriften ... Er sah nur unverständliche Schnörkel, Kritzeleien und da sah Fürst Bismarck am 2. Dezember 1881 rot. Er selbst liebte Klarheit in allen Dingen, seine Schreibschrift war deutlich, und seine Unterschrift konnte das kleinste Schulkind in Deutschland lesen. Ein Erlass, der sich gewaschen hatte, verließ an dem Tage Schreibtisch und Kanzlei, und wie man hört, soll der Rüffel gut gewirkt haben. Aber heute ist er natürlich schon längst vergessen . . .

 

Also stand es geschrieben:

Berlin, den 2. Dezember 1881

 

Mehrere Herren, welche Aktenstücke an mich einreichen, schreiben ihren Namen so, dass die Unterschrift zwar ihnen selbst als Ausdruck desselben gelten kann, für Andre indessen unverständlich bleibt. Es ist dieß absolut unzulässig und eine deutliche Unterschrift nicht allein aus Pflichten des Amtes, sondern schon aus denen der Höflichkeit nothwendig. Auch abgesehn von meiner Person hat Jedermann, welcher eine amtliche Zuschrift erhält, das Recht, den darunter befindlichen Namen mühelos und ohne Zuhülfenahme des Staatshandbuches außer Zweifel zu stellen. Es wird mir unerwünscht sein, wenn ich genöthigt werde, einzelne Herren besonders und persönlich auf diese Verpflichtung aufmerksam zu machen; ich werde aber dazu schreiten, sobald mir wieder Veranlassung geboten werden sollte.

 

Ich stelle die dienstliche Forderung, dass jeder Beamte seinen Namen so schreibt, dass er nicht allein entziffert, sondern auf den ersten Blick geläufig gelesen werden kann. v. Bismarck.

 

Seite 7   Foto: Das Kaufhaus in Lüneburg, die künftige Heimat des Ostpreußischen Jagdmuseums

 

Seite 7   Ostpreußisches Jagdmuseum in Lüneburg. Erinnerungsstätte an das ostpreußische Jagdparadies dank der Initiative des Forstmeisters Loeffke.

Seit im Jahre 1951 das Nordostdeutsche Kulturwerk in Lüneburg die Ostdeutsche Akademie schuf und gleichzeitig die deutsch-baltische „Carl-Schirren-Gesellschaft“ als repräsentative kulturelle Vereinigung des deutschen Baltentums ihren Sitz nach Lüneburg verlegte, entstand in dieser Stadt so etwas wie ein Zentrum ostdeutschen Geisteslebens und ostdeutscher Wissenschaft. Nun schickt man sich in Lüneburg an, ein weiteres ostdeutsches Zentrum zu schaffen, das einmalig ist und darum besondere Bedeutung besitzt: das „Ostpreußische Jagdmuseum – Wald, Wild und Pferde Ostpreußens“.

War der Deutsch-Balte Professor Max Hildebert Boehm als erster Vorsitzender der Carl-Schirren-Gesellschaft und Präsident des Nordostdeutschen Kulturwerks Initiator jener Bemühungen, welche die Schaffung der Ostdeutschen Akademie zum Ziele hatten, so geht die Initiative zur Einrichtung des Ostpreußischen Jagdmuseums — wie könnte es auch anders sein! — von einem Ostpreußen aus, einem Manne vom Fach.

 

Forstmeister z. Wv. Ludwig Loeffke aus Allenstein, stellvertretender Landrat, Ehrenvorsitzender der Landsmannschaft Ostpreußen in Lüneburg, erster Vorsitzender des BVD-Kreisverbandes Lüneburg-Land und seit kurzem auch das BVD-Kreisverbandes Lüneburg-Stadt e. V., hat schon seit mehreren Jahren die Vorarbeiten zur Schaffung dieses Museums geleistet. Nun ist es so weit, und im Rahmen der Lüneburger Festwoche soll am 31. August diese einzigartige Erinnerungsstätte an ein Jagdparadies, das uns zur Zeit nicht zugänglich ist und das auch in Zukunft nie wieder das sein wird und sein kann, was es einst gewesen, der Öffentlichkeit übergeben werden.

 

Einen ausführlichen Bericht über das, was das Ostpreußische Jagdmuseum seinen Besuchern bietet, werden wir natürlich erst im Zusammenhang mit seiner Eröffnung zu bringen in der Lage sein. Immerhin seien schon jetzt einige Hinweise auf das Museum gebracht, das zweifellos einzig in seiner Art sein wird und für die Heidehauptstadt einen neuen Anziehungspunkt darstellen dürfte.

 

Wer vom Bahnhof kommt und dem Lauf der Ilmenau folgt, befindet sich nach wenigen Minuten bereits an einer der reizvollsten Stellen der an Sehenswürdigkeiten so unerhört reichen, im Kriege unversehrten alten Salz- und Hansestadt. Hier erhebt sich am Ufer der Ilmenau die malerische Silhouette des „Alten Krans", der bereits im Jahre 1346 erstmalig urkundlich erwähnt wird und ein Meisterwerk mittelalterlicher Ingenieurbaukunst darstellt. Neben dem Kran, unmittelbar an der Brücke, die hier über die Ilmenau führt, steht das alte Kaufhaus mit seinem prächtigen barocken Giebel. Die erste Erwähnung auch dieses Kaufhauses fällt in die Zeit um 1300. Es führte längere Zeit hindurch auch den Namen eines „Heringshauses" und stammt in seiner heutigen Gestalt aus der Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Schon heute beherbergt das Kaufhaus Ateliers und Malschule eines Kunstmalers und die Werkstatt eines Goldschmiedes, der den Professortitel führt und dessen Arbeiten auf verschiedenen Ausstellungen viel Anerkennung gefunden haben. Nun wird durch die Einrichtung des Jagdmuseums dem stattlichen Gebäude, das lange Zeit hindurch zu solch profanen Zwecken, wie der Lagerung von Holz und Möbeln, man möchte sagen: missbraucht worden ist, ein neuer wertvoller Inhalt gegeben.

 

Es war ein weiter Weg, der mit der ersten Jagdausstellung begann, die Forstmeister Loeffke in Bochum im Jahre 1953 organisierte, bis zur Eintragung des Vereins „Ostpreußisches Jagdmuseum", dessen Vorstand die Herren Dr. Wallard (Uelzen) und Oberstadtdirektor Dr. Bötcher (Lüneburg) angehören, während Forstmeister Loeffke, die Seele des Unternehmens, den Geschäftsführenden Vorsitz übernahm. Ein weiter Weg war es, bis ein Verein entstand, in dem die Patenschaft nicht nur Peter Gravenhorst, Oberbürgermeister von Lüneburg, und Landrat Hahn übernommen haben, sondern auch prominente Persönlichkeiten wie Bundestagspräsident D. Dr. Eugen Gerstenmaier, Bundesminister Lübke, Dr. von Opel, Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft, und Oberstjägermeister a. D. Scherping.

 

Dass Forstmeister Loeffke sich darüber hinaus bemüht hat, alles nur irgend Erreichbare, sei es

als Leihgabe, sei es als Schenkung, für das Jagdmuseum in Lüneburg zu sichern, versteht sich am Rande. Die Liste der Stifter ist lang, vieles ist schon vorhanden, vieles zugesagt worden und bereits unterwegs nach Lüneburg, wie jene Sammlung kapitaler Hirschgeweihe, die vor einiger Zeit, als „gebrauchte Knochen" deklariert, aus dem Osten kommend, den Eisernen Vorhang passierte. Auch sie werden bald das Jagdmuseum in Lüneburg zieren und viel Bewunderung finden, wie jene Trophäen, die auf der Internationalen Jagdausstellung in Düsseldorf im Jahre 1954 die Bewunderung der zahllosen Besucher erregten und mit einem Medaillenregen überschüttet wurden. Auch jene Sonderschau „Deutscher Osten" in Düsseldorf war von Forstmeister Loeffke aufgebaut worden, der somit große Erfahrungen gesammelt hat, ehe er an die Verwirklichung des Lüneburger Projektes ging, für das die Bestandsaufnahme noch in vollem Gange ist. Was wir hier sehen werden, beschränkt sich nur auf eine einzigartige Schau der kapitalen Geweihe stärkster Hirsche, die oft unter größten Opfern und Mühen von den vor den Russen Fliehenden nach dem Westen gebracht wurden. Wir werden hier genauso das berühmte Trakehner Pferd in Dokument, Bild und Plastik bewundern können. Auch die Vogelwarte Rossitten und der Falkenhof Ortelsburg, um nur einiges zu nennen, werden hier vertreten sein. Vor allem aber die unerhörte Vielzahl von Geweihen, Gehörnern und Jagdtrophäen verschiedenster Art.

 

Waren es nicht weniger als 5000 passionierte Jäger und Freunde des Trakehner Pferdes, die im Jahre 1950 sich in Hamburg zum ersten Wiedersehenstreffen der ostpreußischen Jäger versammelten, so dürfte der Strom derer, die, beginnend mit dem 31. August dieses Jahres, nach Lüneburg pilgern werden, um hier in einer großartigen Gesamtschau alles heute Erreichbaren sich dessen zu erinnern oder dessen bewusst zu werden, was einst Jagd in Ostpreußen war, nicht abreißen. Erik Thomson.

 

Seite 8   Polnische Invaliden pflegen deutsche Gräber. Menschliche Brücken sind möglich — Einzelne handelten an Stelle der Bundesregierung.

Das Auswärtige Amt in Bonn hatte nichts dagegen, Lucian Kozminski, Exportkaufmann in München, wollte sich vergewissern, ob seine Kontakte mit polnischen Regierungsstellen nicht etwa die diplomatischen Grundsätze der Bundesregierung störten. Nach langwierigen Verhandlungen hatte er aus Warschau einen Vertrag mitgebracht, der ein kleines Stück jener vielbesprochenen, aber noch kaum praktizierten „deutsch-polnischen Annäherung" vorwegnimmt, freilich nicht auf politischem, sondern auf einem sehr menschlichen Gebiet. Nach diesem Vertrag wird es künftig möglich sein, die vielen hunderttausend deutschen Gräber jenseits der Oder-Neiße-Linie instand zu setzen und zu pflegen.

 

Die Idee war dem Schlesier Walter Haarkötter gekommen, als er auf einem Münchener Friedhof das Grab eines Angehörigen besuchte. Wenn nur die Gräber seiner Eltern in Breslau mit ebensolcher fürsorglichen Liebe gepflegt und geschmückt würden, dachte er dabei. Auf der Münchener Handwerksmesse im Mai vorigen Jahres sprach er einfach ein paar polnische Regierungs- und Industrievertreter auf das Problem der deutschen Gräber im Osten an. Die Herren zeigten viel Verständnis und boten ihre Vermittlung an; sie betonten jedoch: „Lassen Sie dabei alle politischen Momente aus dem Spiel.

 

Tatsächlich kam nach einigen Monaten positiver Bescheid aus Warschau. Die staatliche Arbeitsgemeinschaft „Universum", eine karitative Vereinigung polnischer Kriegsinvaliden, erklärte sich bereit, die Pflege deutscher Gräber — auf kommerzieller Basis natürlich — zu übernehmen. Man wolle sich dabei an die deutschen Richtpreise halten die Haarkötter mit einem Gartenbaufachmann inzwischen abgesprochen hatte. Eine Besichtigungsreise durch Schlesien, an der auch ein Vertreter der polnischen Friedhofsverwaltungen teilnahm, überzeugte Haarkötter und Kozminski von den Schwierigkeiten. Die Friedhöfe boten einen erschütternden Anblick. Kreuze und Grabsteine waren von Gebüsch umgeben, die Gräber selbst von Unkraut verschlungen, die schmalen Wege überwachsen.

 

Nachdem eine schriftliche Vereinbarung getroffen war, verschickte die in München neugegründete Gesellschaft „Gräberfürsorge für las In- und Ausland" mit Unterstützung der Landsmannschaft der Oberschlesier an interessierte Heimatvertriebene Fragebogen, worin zunächst die Lage des jeweiligen Grabes anheben werden sollte. Die meisten Auftraggeber übermittelten genaue Skizzen, um die Identifizierung zu erleichtern. Eine Schlesierin in Lübeck bat, man möge ihr Erde vom Grab ihres Vaters senden.

 

In vielen Fällen aber, so meldeten die Polen, müsse erst das Friedhofsgelände gerodet werden, um überhaupt an die Gräber heranzukommen. Wenn dies geschehen ist, wird „Universum" genaue Beschreibungen des gegenwärtigen Zustandes schicken, unter Angabe der Kosten für die anfallenden Arbeiten, die sich zwischen elf Mark (für die Aufschüttung des Grabes) und 84 Mark (für die Bepflanzung mit Immergrün) belaufen. Schließlich soll der deutsche Auftraggeber ein Foto von ?????????? Grabstätte erhalten.

 

Inzwischen haben die Münchener Vermittler auch Verbindung mit den staatlichen Friedhofsbehörden in Prag aufgenommen. Verhandlungen mit Ungarn und Jugoslawien sollen folgen. Kozminski, der sich im Sommer selbst von dem Fortgang der Arbeiten auf den Friedhöfen zwischen Oberschlesien und Danzig überzeugen will, hofft auf ein gleiches Entgegenkommen der anderen östlichen Länder.

 

Die Gräberfürsorgestelle befindet sich in München 13, Farinellistraße 25. Die Identifizierung eines Grabes kostet 25 DM.

 

Verbilligte Bahnfahrten für Kriegsgräberfahrten

Die Bundesbahn gewährt den nächsten Angehörigen von gefallenen Soldaten für jährlich eine Fahrt zum Besuch der Grabstätte auch nach der Fahrpreiserhöhung weiterhin eine Ermäßigung von 50 Prozent. Falls sich der Soldatenfriedhof im Ausland befindet, wird die Fahrpreisermäßigung bis zur deutschen Grenze gewährt. Wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kassel weiter mitteilt, erhalten auch die Angehörigen von deutschen Gefallenen, die in Italien bestattet sind, vom 1. März dieses Jahres an auf allen Strecken der Italienischen Staatsbahn einmal im Jahr eine Fahrpreisermäßigung von 40 Prozent. Nur in den Hauptreisemonaten Juli und August wird die Fahrpreisermäßigung in Italien nicht gewährt.

 

Gefallenenbuch der Universität Königsberg

Die Universität Göttingen hat damit begonnen, für die Universität Königsberg ein Ehrenbuch der Gefallenen anzulegen. Die Göttinger Universität nahm bereits in den ersten Jahren nach dem letzten Kriege die Patenschaft für die ostpreußische Universität an. Die Herstellung der Gefallenenlisten gestaltet sich ungemein schwierig, da nur die Namen der Dozentenschaft und der Universitätsbeamten und -angestellten auszumachen waren. In dem Ehrenbuch der Universität Königsberg sollen ihre im Felde gefallenen Angehörigen (Professoren, Assistenten, Dozenten, Beamte, Angestellte und Studenten) namentlich aufgeführt werden. Ferner sollen auch die Namen der Opfer des Bombenkrieges und die Opfer der Aktion vom 20. Juli 1944 vermerkt werden. — Die Universität Göttingen bittet die Angehörigen der Gefallenen und Vermissten der Universität Königsberg, ihr die notwendigen Angaben zuzusenden. (Anschrift: Universität Göttingen - Gefallenenbuch der Universität Königsberg).

 

Seite 8   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamurg, Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939. Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Aus Almenhausen, Kreis Pr. Eylau, wird Erwin Hoffmann, geboren am 4. März 1937 in Abschwangen, gesucht von seiner Schwester Hildegard Viesenberg, geborene Neumann, geb. am 20. August 1926. Die Schwester Christa Hoffmann, geboren am 2. November 1935, wird ebenfalls noch gesucht. Die letzte Nachricht war vom 23. März 1945 aus Danzig.

 

Aus Angerhöh, Kreis Gumbinnen, wird Hermann Stritzke, geboren am 8. September 1942, gesucht. Die beiden Brüder Hans-Georg Stritzke, geboren 19. Mai 1938, und Hermann Stritzke, geboren am 8. September 1942, wurden kurz hinter Mohrungen/ Ostpr. von Bekannten auf einem Wagen mitgenommen. Sie fuhren auf ein Gehöft. Die Bekannten gingen in ein Haus und ließen die Brüder allein auf dem Wagen. Der ältere der Brüder, Hans-Georg, ging den Weg, den sie mit dem Wagen gekommen waren, zurück, um die Mutter zu suchen. Dadurch wurden die Brüder getrennt.

 

Aus Bonslack, Kreis Wehlau, wird Herbert Hermann Damin, geboren am 8. Februar 1937, gesucht von seiner Großmutter Auguste Klein geborene Damin, geboren am 23. Juli 1896.

 

Aus Dellgienen, Kreis Königsberg, wird Werner Hegner, geboren am 3. März 1939, gesucht von seiner Mutter Anna Hegner.

 

Aus Friedland, Kreis Bartenstein, Tribunalstraße 137, bei Gustav Zigaun, wird Alfred Buchmann, geboren am 31. Mai 1940 in Bartenstein, gesucht von seiner Mutter Lotte Buchmann, geborene Krause, geboren am 12. November 1914 in Mertensdorf.

 

Aus Gerdauen, Siedlung Neuendorfer Straße, werden die Geschwister Renate Markewitz, geboren am 4. Juli 1940, Brigitte Markewitz, geboren am 28. Januar 1939, und Helmut Markewitz, geboren am 6. Februar 1937, gesucht von ihrer Mutter Erna Markewitz, geborene Gröning, geboren am 12. Februar 1914 in Motehnen, Kreis Gerdauen.

 

Aus Groß-Heinrichsdorf, Kreis Elchniederung, wird Albert Drinkmann, geboren am 1. Mai 1940/1941, gesucht von seiner Tante Frieda Kristahl. Der Junge soll 1948 noch in Königsberg/Ostpr. gesehen worden sein.

 

Aus Groß-Lüdtkenfürst, Kr. Heiligenbeil, werden Willi Blumenthal, geboren am 30. März 1938, und Fritz Blumenthal, geboren am 28. November 1937, gesucht von ihrem Onkel Albert Blumenthal, geboren am 19. Oktober 1901, und von Gertrud Blumenthal, geborene Schönfeld, geboren am 2. Mai 1910.

 

Aus Heiligenbeil wird Manfred Pitschellis, geboren am 22. Februar 1938, gesucht von seinem Bruder, geboren am 6. April 1934 in Heiligenbeil. Manfred Pitschellis war zuletzt im Waisenhaus in Braunsberg und soll von dort nach Trautenau-Tschechoslowakei gekommen sein.

 

Aus Heydekrug, Fischstraße 5, wird Grete Gurgdies, geboren am 15. April 1939, gesucht von ihrem Onkel Otto Gurgdies, geboren am 18. September 1905.

 

Aus Klein-Polleiken, Kreis Gerdauen, wird Adelheid Czepluch, geboren am 2. Mai 1940 in Karpaunen, gesucht von ihrem Vater Otto Czepluch, geboren am 22. Mai 1897, und ihrem Bruder Alfred Czepluch, geboren am 4. April 1923. Die Mutter Martha Czepluch geborene Nikolaus, geboren am 8. September 1900, und die älteren Geschwister Eleonore Czepluch, Mirjam Czepluch, Lothar Czepluch und Gisela Czepluch, werden ebenfalls noch gesucht. Die Gesuchten sollen nach Litauen gegangen sein.

 

Aus Königsberg, Briesener Straße 42, wird Hans-Joachim Stößer, geboren am 4. März 1940, gesucht von seiner Tante Elfriede Krämer. Der Junge soll mit seiner Mutter Frida Stößer, geborene Hüge, geboren 1909, zeitweilig aus Königsberg evakuiert worden sein. Zuletzt aber sollen sie nach dort zurückgegangen sein.

 

Aus Königsberg, Steindammer Wall 13, werden Gert Tiedtke, geboren 1941 in Königsberg und Klaus Tiedtke, geboren 1938 in Königsberg, gesucht von ihrer Tante Frieda Tiedtke geborene Fürstenberger, geboren am 10. Mai 1907 in Königsberg. Bei den Kindern befand sich die Mutter Auguste Tiedtke, geboren am 24. Januar 1904, die ebenfalls noch gesucht wird.

 

Aus Königsberg-Prappeln wird Andreas Hofer, geboren am 11. März 1935 in Königsberg, gesucht von seinem Vater Ernst Hofer, geboten am 31. Oktober 1902 in Weidenfließ. Die letzte Nachricht von Andreas Hofer war vom November 1947 aus dem Lager Speichersdorf bei Königsberg/Ostpreußen.

 

Aus Lötzen, Richthofenstr. 12, wird Hans-Dieter Sperling, geboren am 9. Oktober 1937 in Lötzen, gesucht von seinem Vater Franz Sperling.

 

Aus Lobitten, Kreis Samland, werden die Geschwister Ingrid Hinz, geboren am 21. Juli 1941, Sieglinde Hinz, geboren am 6. Oktober 1939, Kurt Hinz, geboren am 19. März 1937, Christel Hinz, geboren am 23. Dezember 1934, und Ulrich Hinz, geboren am 6. November 1933, gesucht von ihrer Mutter Maria Hinz, geborene Weidemann, geboren am 15. November 1904 in Augstagirren, Ostpreußen.

 

Aus Mehlsack, Kreis Braunsberg, Wormditter Straße 20, wird Maria Wichert, geboren am 13. Januar 1940, gesucht von Josef Wichert, geboren am 8. April 1909 in Rosengart, und von Josef Seeberger, geboren am 20. September 1904 in Mehlsack.

 

Aus Königsberg-Ponarth, Ponarther Bergstraße 10, werden Hannelore Christoff, geboren am 27. September 1944 in Königsberg, und Sieglinde Christoff, geboren am 9. April 1942 in Königsberg, gesucht von Kurt Christhoff, geboren am 17. Mai 1914 in Wickbold, Kreis Samland.

 

Seite 8   Schmackoster. Von Wanda Wendlandt

Schmackoster, jrön Oster,

jöw Eier un Speck,

sonst goh eck, sonst goh eck

sonst goh eck nich weg.

 

Schmackoster, jrön Oster,

barft Feetkes önne Däl

de hasple öm Diestre

un spode söck väl —

 

Un nu flögt de Där op,

un nu önne Höcht

— Herrjemeersch! mien Todeck!! —

mien Todeck nu flögt,

 

Un nu — oh Erbarmßöck! —

nu riete se noch

dem Hemd vonne Beene

un hinde mi hoch —

Nu flötscht da un pitscht dat

— Au au! dat weer grow!! —

möt barkene Rieser,

daobie singt de Schow:

 

Schmackoster, jrön Oster,

jöw Eier un Speck,

sonst goh eck, sonst goh eck

sonst goh eck nich weg.

 

Jöw Eier un Flaode,

e Dittke öm Topp,

sonst pitsch eck, sonst pitsch eck

un heer noch nich op!

 

Seite 8   August Schukat: Wie öck öt Osterlamm sach

De Mutter had ons Kinder vartälld, Ostere Eerscht-Fierdach, wenn de Sonnke opjeit, ös doa drön dat Osterlamm to sehne. Et hopsd un danzd doa lostij rom. So had se et als Kind jesehne, un hiete noa väle Joahre denkt se noch jeern doadran, wie se et doamoals sach.

 

Am Heilij-Oawend vorr Ostre säd öck to dem Mutter: „Mutter, morje weck mie doch ganz free, öck micht dat Osterlamm sehne“.

 

Eerscht-Fierdach morjens, wie öck opwoakd, sprung öck fix ön miene Kleder, jing leiske vunne Lucht run; obber, wie öck önne Köch keem, wör de Mutter all op un hanteerd doa rom.

 

„Mutter, du hast mie joa doch nich jeweckt“. „Na, kick doch moal rut, wie hiete dat Wetter ös!" säd de Mutter.

De Himmel wör ganz grau, vunnt Sonnke nuscht to sehne.

„Bie son Wetter kömmt de Sonnke nich vär, doa kröchst du dat Osterlamm doch nich to sehne, drom hebb öck die nich jeweckt“.

 

Nu had öck mie so drop jefreit! Alle Freid wör nu hin, un so diester un grau wie et bute wör, so diester un grau wör et nu önwendij ön mie.

De Mutter vartreesd mie oppet andre Joahr. Wie wedder Ostere rankeem, dochd öck, ob ditmoal de Himmel wart wedder betoage sön un öt Sonnke nich värloate wart?

 

Am Eerscht-Fierdach morjens ganz freh stund öck all bie Jonats anne Aeck. Doa kickd öck no döm Brook hen, vun wo de Sonnke hochkoame mussd.

Oent Därp wör noch alles stöll. Kein Mönsch wör op. Alle Fönstersch tojetoage. De Lüüd schlepe noch. De Földer leje grau un stöll doa, et wör joa noch freh.

 

Oeck had mie e Holzbock dicht ant Hus jestelld, wör doa ropjeklatterd, dat öck goot sehne kund. Oeck kickd ömmer noa durt hen, wo de Sonnke opgoahne mussd. De Himmel wör kloar, bloß een klenet, grauet Wolkke stund doa äwrem Brook. Wenn dat bloß varschwinde micht!

Doa jing eene Husedär op. De Vehfuttrer keem ön siene grote Klompe anjeklappert.

„Wat steist du all hier? Du kunnst doch noch önt warme Bädd ligge“.

„Oeck wöll öt Osterlamm sehne“.

„Na, denn seh du man öt Osterlamm", säd he un jing noam Hoff.

Gott sei dank! De Wolke had sich vardeelt. Aewre Spötz Beem wurd de Himmel all e bößke rot.

Mie wör koolt, öck trood vun een Foot oppem andre.

War öck hiete öt Osterlamm to sehne kriee odder nich?

 

Oemmer höcher keem dat Rot.

Doa een Spötzke vunne Sonnke!

O Gott, se kömmt, se kömmt!

Langsam stöcht de runde Sonnke äwre Beem rut. Mie kloppd öt Herz. Doa önne Sonnke, ganz önne Sonnke, wat ös denn doa? ... Doa hopst un danzt — öck seh et ganz dietlich — so wie de Mutter et vartälld hat ... dat Osterlamm.

 

Ach, wenn nu de Mutter, de Marie, de Emmke, se aller doa were un et sehne michte!

Oeck weet nich, wie lang öck et so sach. Doa keme de Wolkes wedder dichter annet Sonnke ran, un dat Ostrelamm wör furt, öck sach et nich mehr.

Oeck rennd noa Hus. De Mutter hanteerd all önne Koch rom. „Mutter, hiete hebb öck et Osterlamm jesehne. Et hopsd un danzd önne Sonnke, so wie du et ons vartällt hast“.

 

Oeck hebb et noaher nich mehr wedder jesehne. Obber dat öck et als Kind jesehne hebb, wie öck dat hier vartäll, doafär kunn öck miene Hand önt Fier legge.

 

Seite 9   Künstlerische Darstellungen des Osterkreises in Ostpreußen. Ein betrachtender Rückblick von Hermann Bink.

Das gewaltige Drama, welches sich vom Einzug des Heilands in Jerusalem bis zum Auferstehungstage vollzog, hat die darstellende Kunst in allen nur erdenklichen Motiven als Vorlage genommen. Auch unsere verlorene Heimat Ostpreußen war nicht arm an künstlerischen Ausdrucksmitteln.

 

Zu den ältesten Holzbildwerken Ostpreußens gehörte wohl der Kreuzheiland in der evangelischen Kirche zu Mohrungen, eine Arbeit, die nach Ansicht der Kunstsachverständigen als Schnitzwerk etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts angehörte.

 

Von erschütternder Wirkung war die Kreuzigungsgruppe in der Sakristei der Kirche in Pr. Eylau, die dem Anfange des 16. Jahrhunderts vermutlich angehörte. Hierzu urteilt ein Kenner: „Das schwere Sterben, der abgezehrte knochige Körper des Heilands, die schreckliche Lanzenwunde, das tiefe Mitgefühl von Maria und Johannes, alles das sind Merkmale einer tief innerlichen, einer starken Seelenkunst“.

 

Etwa aus derselben Zeitperiode sind zu nennen die Kreuzigungsgruppen mit Maria und Johannes in der Kirche zu Cremitten, Christus am Kreuze mit den beiden Schachern in der Jerusalemskapelle zu Allenstein und ein Kreuzigungsmotiv in der Kirche zu Waltersdorf. Ferner die Kreuzheilande im Dome zu Frauenburg, über dem Altaraufsatze im Dom zu Königsberg und der Juditter - Kirche, alle derselben Zeit entstammend.

 

Als Hauptbild mit der gestaltenden Gruppe der Kreuzigung hatten die Kirchen zu Powunden, Thierenberg und die Heiligengeistkirche zu Bartenstein aufzuweisen.

 

An der Nordseite des Chores vom Königsberger Dom aus dem 14. Jahrhundert waren u. a. Motive des Osterkreises: das Abendmahl und das Passah-Lamm sowie die Grablegung.


 


 

Die Wehlauer Pfarrkirche hatte sehr ausdrucksvolle Wandmalereien: der Heiland in Gethsemane, kniend, über ihm in den Wolken segnend Gott Vater, unter dem Heilande Judas, in der rechten Ecke zwei Hauptleute, Priester und Älteste, links die Kriegsknechte. Leider ist der Maler nicht bekannt geworden.

 

Ein bedeutsames Werk der Tafelmalerei in Form einer dreiteiligen Altartafel hing im bischöflichen Schlosse zu Frauenburg. Auf dem Mittelfelde als Hauptbild war die Kreuzigung Christi dargestellt. Die Golgatha-Szene ist packend: die zusammenbrechende Mutter auf der einen Seite, die Reitergruppe mit mannigfachen Pferdebewegungen auf der anderen Seite.

 

Mit hervorragenden Malereien waren die Flügel des Schreinaltars der Königsberger Löbenichtschen Hospitalkirche ausgestattet, die sich im Besitze der Kunstsammlungen Königsbergs befanden, darunter die Dornenkrönung, die Geißelung und Kreuzabnahme. Bei der Geißelung scheinen die Schergen nicht von der Dämonie hasserfüllten Zerstörungswillens ergriffen zu sein, sondern muten weit eher wie die befohlenen Vollstrecker eines höheren Willens an. Dieser Wille konnte sich nur im letzten Leidensweg des Herrn vollziehen, der mit Stricken gefesselt und einem ganz nach innen gewandten Gesicht mit Gott Zwiesprache hält.

 

Außerordentlich gute Malereien mit starker Ausdrucksfähigkeit boten Bilder auf den Flügeln eines Altars in der katholischen Kirche zu Santoppen, darunter acht Darstellungen aus der Leidensgeschichte Christi, davon besonders ansprechend: die Dornenkrönung und die Kreuzabnahme.

 

Dem 17. Jahrhundert angehörend und mit prächtigen Ausstattungen versehen war der Altaraufsatz der Altstädtischen Kirche zu Königsberg. Von den Schnitzereien fielen dem Betrachter besonders ins Auge: das Abendmahl, die Kreuzigungsgruppe mit den beiden Schachern, beide Motive mit reicher und ausdrucksvoller Bewegung.

 

Die kleine Abendmahlsdarstellung im Sockel des Altaraufsatzes der samländischen Kirche St. Lorenz war von besonderem Reiz mit der Gruppierung der Abendmahlsbeteiligten: Christus hat alles abgetan, was Menschen an Ort und Zeit bindet. Vergangenheit und Zukunft sind in ewige Gegenwart vereint. Des Heilands Jünger sind in gleichem Schicksal vereint und dennoch vor der Welt Einsame.

 

Ein Schüler Lukus Cranachs (d. J.) war der um 1530 in Königsberg geborene Heinrich Königswieser, der sich auch mit der Leidensgeschichte stark beschäftigt hat. Auf dem Wandgrabmal des Hans Nimpsch im Königsberger Dome mit der Bezeichnung HK 1557 sah man auf dem Hauptbilde den Gekreuzigten, am Kreuze den knienden Verstorbenen, eine Landschaft und die Stadt Königsberg. Ähnlich ist ein Bild in der Kirche zu Friedland: der Kreuzheiland als Hauptbild, zu den Füßen des Kreuzes die Familie des Stifters, im Mittelgrunde Landschaft mit Gesträuchgruppen und hohen Bäumen, rechts im Hintergründe eine Stadt, wahrscheinlich Friedland damaliger Zeit (1562). In der Domkirche zu Königsberg mit der Bezeichnung HK 1571 hing an einem Pfeiler eine weitere Arbeit des Genannten: der kniende Jesus auf dem Ölberge mit den schlafenden Jüngern.

 

Ehemals hatte die Schlosskirche zu Königsberg unter den vielen Bildern Motive der Kreuzigung und der Auferstehung.

 

Auf vielen Grabmälern befanden sich verschiedene Szenen der Passionszeit, so in Pörschken die Auferstehung, in Arnau ebenfalls im Hauptbilde die Auferstehung, auf dem Wandgrabmal des Bartell Büttner, gestorben 1613 im Königsberger Dome die Kreuzigung mit den Schachern, Menschen auf Golgatha und die Stadt Jerusalem im Hintergrunde.

 

In der Vorstufe der Barockkunst bildet für die evangelischen Kirchen der Altarschmuck in der Hauptsache der Opfertod des Heilands, sein Leiden, Sterben und Auferstehen.

 

Peter Kolberg, einst Ratsherr und Maler in Guttstadt, malte im Jahre 1703 für den linken Seitenaltar in der Kirche zu Piauten das Abendmahl.

 

Aus der Zeit um 1760 entstammte das große Bild der Kreuzigung mit Maria und Johannes vom Altar der Haberberger Kirche zu Königsberg, welches später über der Empore der Nordwand hing. Das Bild fiel durch vorzügliche Farbengestaltung besonders auf.

 

Für den Altar in der Kirche zu Schönbruch wurde das Hauptbild „Kreuzigung mit den beiden Marien und Johannes" im Jahre 1854 von Bolte gemalt.

 

Man könnte diese angeführten Beispiele natürlich noch um einige Dutzend vermehren, es würde doch im Rahmen einer Betrachtung viel zu weit führen.

 

Bei diesem Rückblick fällt mir noch ein starkes Erlebnis aus der Zeit des ersten Weltkrieges ein. In der Schlacht an den Masurischen Seen durchkämmten wir einige Ortschaften bei Johannisburg. Ich kam als erster in eine Dorfkirche, in der nur ein Bild der Kreuzigung erhalten geblieben war, worunter die Worte standen: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben!"

 

Seite 9   Bilder: Bild links: Dornenkrönung auf dem Flügel des Schreinaltars aus der Löbenichtschen Hospitalkirche (um 1515), später in den Kunstsammlungen der Stadt Königsberg. Bild rechts: Kreuzheiland von Mohrungen (14. Jahrh.)

 

Seite 9   Die Stadt Tilsit Ostpreußische Geschichte am Beispiel einer Stadt. (2. Fortsetzung)

1545. Herzog Albrecht antwortet den Tilsitern auf ihre erneuten Klagen um Land (sie scheinen schier unersättlich gewesen zu sein), dass sich der Burghauptmann nach geeigneten Äckern umsehen soll, der für ihre Schiffe n Labiau erhobene Zoll bleibt bestehen und niemand soll sich den Ämtern entziehen, zu denen er berufen wird; allen Bürgern soll ohne Unterschied Recht und Gerechtigkeit widerfahren. Man soll für die kommende Stadt schon jetzt daran denken, dass „burgermeyster, rathleut vnd scheppen gekoren, die eyns erbar guts aufrichtigen gemüts vnd Verstands seyn". — Es muss damals eine Art Landflucht geherrscht haben, da in den unruhigen Zeiten jeder lieber an einem sicheren Ort leben wollte; denn der Herzog ordnet an, „so pauren (Bauern) in das stetlein ziehn", darf solches nur mit Wissen des Burghauptmanns geschehen. Innerhalb einer Meile im Umkreise dürfen keine Handwerker wohnen; man soll sie von dort wegschaffen oder sie sollen nach Tilsit ziehen.

 

1546. Die Tilsiter waren sehr besorgt um ihren Handel — am Golde hängt, nach Golde drängt ... —, denn sie beklagen sich beim Landesfürsten, dass „Iwan, der alten könniginne (der polnischen Königin) amtmann und zollner sperre alle Straßen" von und nach Litauen, so dass der Handel sehr zum Nachteil des Tilsiter Marktes nach „Jorgenburgk" (Georgenburg) gezogen werde. Der Herzog solle bei seiner Anwesenheit in Wilna dagegen energisch protestieren, weil solches von den „könnigischen also erdacht und geschafft ist", während die alten litauischen Herren sich an ihre Verträge gehalten hätten. — „Fischkuppler" kaufen am Haff allen Fisch weg, auch im Winter, legen und salzen ihn gleich ein und handeln damit in Cauen (Kowno), wodurch kein Fisch auf den Tilsiter Markt kommt, zumal diese Händler mit Meth und Branntwein zahlen. Ebenso werden in der Umgegend von Tilsit Honig, Wachs und Felle heimlich aufgekauft und woanders verkauft. Es sollen ihnen diese Aufkäufe verboten werden; denn die „Fischkuppler" kommen erst nach Tilsit, wenn sie alles verkauft haben, kaufen dann im Flecken Getreide und Hanf und zahlen mit litauischen Gelde, welches von der preußischen Obrigkeit nicht angenommen wird, während die guten preußischen Groschen über die Grenze abwandern. Dadurch ist im Marktflecken Tilsit schon Teuerung entstanden. — Ferner bitten die Bürger wiederum, ihnen Äcker, Wiesen, Weiden. Fischereien und Holz zuzuweisen.

 

1547. Nachdem eine Kommission den Marktflecken persönlich „visitiret" hatte, schreibt der Herzog am 6. Oktober an den Burghauptmann: „Erbar über Getreuer! Es haben Uns unsere verordneten commissarii zur Visitation zu ihrer Widerkunft neben andren Gebrechen, so in Deynen verwalten Ampt fürgefallen, der Stadt Tils übergebene Supplikation, darauf sie ihnen wiederumb eynen Abschied zugestellet, vorgetragen, welchs alles wir seyns Inhalt lesend angemerkt“. Er kündet seinen baldigen Besuch an, „um daselbst eyn Zeitlangk mit dem lager zu verharren und diese und andre Gebrechen selbst zu besehen. Sintemal aber zu Erhaltungk guter Polizey hoch notwendig, das unser stetleyn Tils mit Recht und Gerechtigkeyt on längeren verzug versen werde, so ist Unser gnädgs Begern nebst auferlegtem Befehlsch, Du wollst nach Deyner Bescheydenheit und gutem rath und willen eynen Scheppenmeyster und andre \ Gerichtspersonen dero itziger zeyt, bis das stetleyn weiter zunimt“. Gleichzeitig gewährt er Tilsit den „III. fennig" von den Gerichtseinnahmen, die Buden auf dem Markt, die Waage und das Scheffelgeld zur Erbauung eines Gerichtshauses. (Wird fortgesetzt)

 

Seite 9   Vor 150 Jahren in Königeberg (III.)

Wir lesen im Jahrgang 1808 der „Kgl. Preußischen Staats-, Krieges- und Friedenszeitungen" in Nro. 31 vom 18. April 1808:

„Dass ich an dem vor dem Nassengart'schen Thor belegenen Niederkrug ¹), auch Dubois-Ruh genannt, von Ostern ab eine Gastwirtschaft etabliret, zeige E. resp. Publikum ergebenst an, und bemerke, dass außer dem Billard, auch der auf dem Berge, mit Schatten versehene, seiner angenehmen Aussicht wegen befindliche Garten denen Besuchenden geöffnet werde. Remiesen für Equipagen und Reitpferde sind hinreichend da ... und bitte um gütigen Besuch. Friedrich Baumgarth“.

 

„Das immer höher steigende Damno der Düttchen ²), welches ein richtiges Calcul ohne wechselseitigen Nachtheil unmöglich macht, veranlasst uns, unseren resp. Kunden hiermit anzuzeigen: dass wir von heute an auf alle Zahlungen, welche in Düttchen gemacht werden und wenn das Damno nicht unter 4 p. Ct. stehet, nach dem bestehenden Course bey jedesmaliger Einzahlung in Abzug zu bringen uns nothgedrungen sehen.

Kgb. d. 1. April 1808.

Societät der Bruinvischen Tobacks Fabricke

Prin. Pauly. Schnell“. ³)

Darunter eine ähnliche Bekanntmachung der Trutenauschen Papier- und Pressspänefabrik.

H. M. Mühlpfordt

¹) später Park red Brauerei Schönbusch.

²) Düttchen, später „Dittchen" = 10 Pfg. Hier allgemein = Scheidemünze.

³) Wohl die spätere Schimmelpfennigsche Tabakfabrik, in deren Räume noch später das Kgb. Polizeipräsidium einzog, in der Junkerstraße 8 („Nummer Sicher").

 

Seite 9   Vereinigung ehem. Sackheimer Mittelschüler Königsberg/Pr.

Das Jahreshaupttreffen 1958 der Vereinigung findet am 25. und 26. Mai 1958 (Pfingsten) in Köln statt.

Alle ehemaligen Schülerinnen, Schüler, wie die Damen und Herren des ehem. Kollegiums werden hiermit dazu herzlichst eingeladen. Mit diesem Treffen ist eine Generalversammlung der Vereinigung verbunden.

Das Tagungslokal: Gaststätte „Zum Stadtgarten", Venloerstraße 40, ist am ersten Feiertag ab 10 Uhr geöffnet.

Eröffnung des Treffens: Am ersten Feiertag um 15 Uhr. Für den zweiten Feiertag ist ein gemeinsamer Ausflug vorgesehen.

Um eine ungefähre Teilnehmerzahl des Treffens zu ermitteln, erbitten wir eine Anmeldung per Postkarte bis 15. Mai an Schulkam. Herb. Minuth, Düsseldorf, Suitbertusstraße 34.

Quartierbestellungen sind zu richten an Schulkamerad Ehepaar H. Rieck, Köln-Zollstock. Vorgebirgstraße 101, ebenfalls bis zum 15. Mai.

Teilnehmer aus dem Bezirk Hamburg, von wo aus bei genügender Beteiligung eine verbilligte Busfahrt geplant ist, erhalten Auskunft bei Schulk. Adalbert Böttcher, Hamburg-Bramfeld, Trittauer Amtsweg 49. Der Vorstand.

 

Seite 10   Emil Merker. Der Garten.

Du hast keinen? Ich auch nicht. Eben darum wollen wir uns ausmalen, wie er sein müsste.

 

Eine Mauer müsste darum sein, aus vielerlei Gründen. Einmal, damit keine neugierig-gleichgültigen Blicke Fremder die Dinge betasten, die hier umhegt werden. Man weiß, wie fremde Menschen auf die Dauer unseren Stuben nicht gut bekommen. Wie nachher alles darin eine gute Weile zu tun hat, sich wieder zu erholen. Und beim Garten ist es nicht anders. Aber auch denen draußen zuliebe soll eine Mauer da sein. Dem Wanderer und seinen Träumen zuliebe, denn kein Garten kann je in Wirklichkeit so schön sein, wie man ihn erträumt, wenn man an seinen Mauern entlang geht, über die verknorrter schwarzer Efeu hängt, schwere Wipfel ihre Äste breiten. Den Dorfkindern zuliebe, die hinter ihr spielen, herangewachsen sich hinter ihr küssen, wieder Kinder in die Welt senden, die wieder an ihr spielen. Dem Strolch und Haderlump zuliebe, der in ihren Kletterwinkeln Siesta hält, eine der heißen Sommerstunden verdöst, sich laust.

 

Das ist draußen. Drinnen braucht es die Mauer, damit wilder Wein und Rosen und Efeu an ihr ranken können, darin Vogelzeug nistet, freches Spatzengesindel, das mit erregt schimpfendem Gezwitscher aufsteigt, wenn man daran klopft. Innen braucht es die Mauer für Goldball und Malven und Sonnenblumen, damit sie windgeborgen, stolz und steil, dastehen können. Denn nichts sieht trauriger, verkommener aus, als wenn sie vogelscheuchenschief hängen. Ach, ihre Namen! Malven: ist das Wort nicht zart und glühend zugleich wie die Farben ihrer Blütensäfte?

 

Auch innen sind Mauerwinkel, in denen es immer ein wenig unordentlich und unheimlich aussieht; in denen es ein wenig moderig,  ein wenig feuchtkühl riecht. Schleimige Algen überziehen den Mörtel, an dem gelblicher Salpeter ausblüht. Spinnen und Asseln treiben ihr lichtscheues Wesen, schlüpfriges Getier hält sich hier auf, schwabbige Kröten, vielleicht eine Natter. Nein, unser Garten, deiner und meiner, hat keine Umzäunung aus zierlich zwischen Betonsäulen ausgespanntem Drahtgeflecht, er hat auch keinen weißlackierten Holzzaun in neuzeitlichem Geschmack, auch keinen Lattenzaun in neckisch dörfischem Stil, grün gestrichen und mit weißen Köpfchen. Unser Garten hat eine graue Mauer.

 

Er ist vielleicht ein bisschen verwildert. Er wird im ersten Frühjahr sorgsam hergerichtet, alles lässt sich um diese Zeit sehr ordentlich an, es steht zu erwarten, dass diesmal Kraut und Unkraut Maß halten werde mit Grünen und Wachsen und Blühen. Aber nachher ist es immer das gleiche. Kommt der Sommer, dann überschäumt er immer wieder alles. Und so soll es auch sein. Er muss mir über den Kopf wachsen, mein Garten, er soll ein wenig bedrängen mit seinem dringenden Wuchern. Dass man sich durch die Sträucher und Stauden durchzwängen muss, dass es einem überall aus Atemnähe feuchtkühl und sonnenwarm entgegenhaucht, das strotzende Fleisch der Rhabarberstöcke, die ungeheuren Blattteller des Pfeifenstrauches, der freche dunkelgrüne Kren, das üppige rauhaarige Geranke der Gurken, die unheimliche von Tag zu Tag maßloser anschwellenden Kürbisse. Es soll ein bisschen ein Durcheinander sein in meinem Garten. Sind die Wege etwas vergrast, steht da und dort ein unverschämter Löwenzahn mitten im Blumenbeet, in Gottes Namen! Mein Garten soll weder stramm ausgerichteter Kasernenhof noch schulmeisterliche Musterklasse sein. Ich will nicht allzu ängstlich an Stab und Stängelchen gebundene Vorzugsschüler und Renommierknaben, die für jedes Blättchen, das sie ansetzen, belobt werden wollen, denen jedes Blümlein, das sie tragen, zensiert werden soll. Ich bin ohne Schrebergärtnerehrgeiz. Ich will mich auch nicht sechs Tage lang in meinem Garten plagen und jedem Würzelchen Anweisung geben, wie es zu wachsen habe, um am siebenten händereibend zwischen den Beeten zu wandeln und zu finden, dass alles gut sei. Ich will ein wenig ertrinken in meinem Garten, er soll über mir zusammenschlagen, über mich hinwegfluten. Es wird auch mein Stilgefühl nicht verletzen, wenn da Kohlköpfe und Lewkojen in guter Nachbarschaft stehen: exklusive Gesellschaftsordnung finde ich albern. Salat und Georginen und Dille und Pfefferkraut und weiße Lilien, von mir aus mögen sie durcheinanderwachsen nach Herzenslust, und wer es besser kann, soll Sieger sein.

 

Ach, ich will vielleicht überhaupt gar keinen Garten, sondern nur eine zuchtlose Räuberbande von Gras und Kraut, in der alle brutalen Instinkte wuchernden Lebens sich auswirken? Ich will vielleicht keinen Garten, sondern eine kleine fröhliche Wildnis? Ich bin ein wenig verwirrt und beschämt ob dieser Erkenntnis. Vielleicht meine ich, dämmert mir auf, mein Leben lang nirgends den schöngezirkelten Garten, immer nur die kleine, von Daseinslust strotzende Wildnis.

 

Ach, ich will dem lieber nicht auf den Grund gehen. Ich habe meinen Garten nicht erdacht, dass er mich in Probleme stürzt, sondern dass ich mich hineinsetze oder -lege, seine hunderterlei Gerüche atme, den Faltern zusehe, dem Summen der Bienen zuhöre, in Blattwerk und blauen Himmel starre, träg und träger werdend, vielleicht sogar ein bisschen in Schlaf und Traum hinübergleitend. Ich habe zwar auch ein Buch mit herausgenommen, es liegt mir zur Hand in Reichweite. Ich habe es unbesehen zu mir gesteckt und weiß nicht, ob es Schopenhauers Aphorismen oder die Logarithmentafeln sind. Es ist auch gleich, ich mache es ja doch nicht auf. In meinem, über die Augen gelegten Händen, schimmert rot das Blut, es kreist und arbeitet unablässig für mich, auch wenn ich daliege und faulenze. Für mich? Wer ist dieses Ich? Das Träubchen Johannisbeeren, das mein ausgestreckter Arm erreicht, ist rot, sein Saft wie Blut. Vielleicht wird es zu Blut, wenn es jetzt zwischen meinen Lippen in meinen Körper rinnt. Als jungem Menschen war mir oft, man könne, wenn man es recht bedenke, wenn man es ganz bis zum Grund ausdenke, keine Stunde mehr leben vor lauter Geheimnis. Damals war ich ruhelos und meinte, es müsse alles bezwungen werden, was uns in den Weg tritt. Jetzt ist es nimmer so, jetzt liege ich einfach da, hingegeben dem Erdenglück und der Erdenschwermut, und lausche dem Niederbrausen einer Gießkanne auf Bleichwäsche, die so unsagbar gut duftet, auf die sommerfrohen Frauenstimmen, die den Tag loben, an dem die vergilbteste Winterwäsche wieder weiß werde, und ich lobe mit.

 

Seite 10   Heimat und Welt lebt in seinem Werk. Dem Dichter Emil Merker zum 70. Geburtstag am 7. April 1958.

Emil Merker war Professor an einer nordböhmischen Forstakademie und lehrte dort die Naturwissenschaften; der Dichter Merker ist zugleich ein genauer Kenner und Betrachter der großen Literatur — seine Bücher über Adalbert Stifter und Flaubert deuten die Spannweite an. Bäuerliche Elemente verbinden sich bei ihm mit einem lebendigen Sinn für das Schöne, das zugleich wahr sein möchte, oft wahr bis zur Unerbittlichkeit. Eine starke Persönlichkeit fügt scheinbar Gegensätzliches zur Einheit, in die auch das Gute und das Gütige gehören, wobei eines des anderen Ergänzung wird, auch die Untiefen und Abgründe der menschlichen Existenz und deren Sehnsucht nach dem Befreienden und Frohen.

 

Das Herzstück seines Werkes ist, wie immer beim wahren Dichter, das Gedicht. Es ist von der Herbheit, aber auch von der zauberhaften Entrückung farbiger Holzschnitte. Der Merkers Gedichte sammelnde Band trägt den Titel „Die große Trunkenheit". Rausch des Daseins erfüllt sie, zugleich schwermütige Ernüchterung, das Feuer jäher Leidenschaften brennt in ihnen. Trauer umkreist sie wie Schatten, die von den Flammen gerufen wurden. Hieran ist das Land, dem Merker entstammt und dem er sich verpflichtet fühlt, beteiligt: die heidnisch fruchtbare Saazer Ebene, keine bukolische Landschaft, dazu ist sie zu ungestüm; keine penatische Landschaft, Lemuren geistern durch die kochenden Mittage und erschöpften Herbste.

 

Sommerliche Verzauberung, aber auch Verwirrung erfüllen die Erzählungen, die um den panischen Schauder, um schreckliche Geheimnisse und das Labyrinthische der Seele wissen („Der Abgrund", „Die wilden Geheimnisse"). „Verwilderung im August" ist eine der schönsten Erzählungen. „Herbst" einer der schönsten Romane Merkers. Das schmerzliche Verglühen der großen Trunkenheit in den welkenden Alltag, den Merker an Menschen, die an den Rand des Lebens gestoßen wurden, schmerzvoll und todumweht zu gestalten weiß („Das alte Fräulein"). Immer, wo Merker, der Bauer und Künstler in einem ist, bürgerliche Verhältnisse zu schildern unternimmt, stellt sich die todestraurige Müdigkeit und das leise Hinwelken ein. Aber er kennt das stille Heldentum der mit Mühsal überladenen Menschen aus dem Volke, jener Namenlosen, die dennoch das Leben tragen und ausmachen. Der Roman, ja das Heldenepos der Näherin („Der Weg der Anna Illing") macht ihn seiner großen Landsmännin, der Marie von Ebner-Eschenbach verwandt, die einmal der Plutarch der Geringen genannt wurde. Die Gestalt der Anna Illing, ihre Art zu leben und das Leben zu meistern, die Schilderung der alltäglichen Umwelt — in alledem wird dieser Roman zum Sinnbild des Sudetendeutschtums und seines innig-herben Wesens. So auch der Bericht des eigenen Lebens, „Unterwegs": vom Heimatdorf bis zum bitteren Ende der Austreibung. An diesem Buche lassen sich die Stationen des Leides und der Freude, des Lebens der Sudetendeutschen so deutlich wie nirgend woanders ablesen.

 

Viel Endstimmung findet sich in Merkers Werk kraft dessen Wahrheit, auch Versagen, ja Verfall, oft ist es ein Duft von Verwesung, der durch Verzückungen und Verzauberungen geistert; aber immer wieder findet sich in alledem ein Anfang, ein Dennoch, das Ja zum Leben, indem er an den kleinen Dingen Halt sucht und findet und sich an der Natur aufrichtet, die rätselhaft und schön. Frühling und Herbst ist wie das menschliche Dasein. Der bäuerliche Mensch, der in die hohen Bereiche des Geistes gelangte — diese Spannung wird bei Merker in einer vielschichtigen und vielfarbigen Art fruchtbar. Und wie sich Heimat und Welt in seinem Werk ohne Widerstreit finden, das macht es zum wohl gültigsten Zeugnis innerhalb der sudetendeutschen Literatur des verflossenen halben Jahrhunderts. Dr. Josef Mühlberger.

 

Seite 10   Von Emil Merker

DEN WILLEN GOTTES in der Natur zu erkennen, in seinem Sinne weiterzuarbeiten, dies ist unsere Pflicht. Sehend fortzuführen, was die blinde Mutter Natur mühsam ertastete, dies ist unsere Aufgabe. Sie heißt Kultur. Oberster Leitsatz also das sanfte Gesetz: Natur darf nicht vergewaltigt werden. Nur behutsam auf ihrem eigenen Wege weitergeführt, kann sie Kultur werden. Kultur ist also nicht Gegensatz, sondern Steigerung der Natur.

 

UND IN DER trunkenen Hingabe an die Natur vollzieht sich auch heute noch für einige Auserwählte, Dichter und junge Menschen, die Erlösung von sich selbst. Aufgehen in der Natur, in ihr unter gehen, die Grenzen zwischen sich und ihr vergessen, dies ist dionysisches Naturerlebnis.

 

 

Seite 10   Kulturelle Nachrichten

Das Leid überwunden. Zum Tode von Frieda Strauss am 27. März 1958.

Wenn es auch still geworden war um Frieda Strauß in den Jahren nach der Flucht, so ist sie darum den Lesern der Ostpreußen-Warte doch keine Unbekannte. Immer wieder begegnete man ihren zarten, von großer Naturliebe zeugenden Versen, und ihre Prosaarbeiten, in denen sie so anschaulich aus vergangenen, schönen Tagen zu erzählen wusste, haben gewiss manchen dankbaren Leser gefunden, ohne dass dieser Dank die Dichterin immer erreichte. Ihr Leben, durch ein jahrelanges schweres Leiden nach außen hin begrenzt, war doch nach innen hin nicht arm und leer. Alles Lebendige blieb ihr nah: sie liebte die Vögel, die vor ihrem Fenster ein sicheres Futterplätzchen fanden, sie zeichnete die Blumen, die gute Freunde ihr brachten, und sie malte lustige bunte Bilder zu den Märchen, die sie für ihre Kinder- und Enkelkinder ersann. Aus der Anzeige sieht man, wie weit ihre Angehörigen nach dem Krieg in alle Welt verstreut wurden,— auch das ein ostdeutsches Schicksal, dem nachzusinnen sich lohnen würde. In Australien, in Brasilien, in Canada. überall sind ostpreußische Menschen, die ihrer in Liebe und Wehmut gedenken, in Dankbarkeit und wohl auch in großer Verehrung und Bewunderung. Denn es gibt kaum etwas Größeres im Bereich des Menschlichen, als wenn ein von Krankheit geplagtes Menschenkind durch die Kraft seines Geistes und seiner künstlerischen Gaben, durch die Kraft der Liebe und durch die Kraft des unerschütterlichen Vertrauens an die göttlichen Schöpfermächte alles Leid in sich überwindet und andern zum Segen werden lässt! Fritz Kudnig.

 

Seite 10   Universitäts-Bibliothek Breslau

20 Millionen Zloty (3,57 Millionen Mark) hat der sich jetzt seiner Vollendung nähernde Wiederaufbau des während des Krieges zerstörten historischen Gebäudes der Breslauer Universitäts-Bibliothek gekostet. Demnächst soll auch ein ausführlicher Katalog der noch vorhandenen Werke veröffentlicht werden. Die Handschriftenabteilung mit über 11 000 Bänden und die Altdrucke mit fast 25 000 Exemplaren, darunter auch 3000 Wiegendrucke und die Weltruf besitzende Musikaliensammlung konnten glücklicherweise gerettet werden. Ebenso die bekannte Bibliothek des Fürsten Georg Rudolf aus Liegnitz, die Rudolfina, die jetzt zusammen mit der gleichfalls aus Liegnitz stammenden Bibliothek der dortigen Peter- und Paulskirche ebenfalls von der Breslauer Universitätsbibliothek betreut wird.

 

Seite 10   400 Jahre Universität Jena

Die Friedrich-Schiller-Universität in Jena kann in diesem Jahr auf ihr 400-jähriges Bestehen zurückblicken. An ihrer Gründung waren vom Herzog von Sachsen-Weimar beauftragte fortschrittliche Theologen beteiligt. Auch hat die burschenschaftliche Bewegung dort ihren Anfang genommen. An der 400-Jahrfeier, die vom 31. August bis zum 5. September stattfindet, nehmen Vertreter aus beiden Teilen Deutschlands und vieler Universitäten aus den westlichen und östlichen Ländern teil. Bis dahin sollen auch die letzten Reste der Kriegszerstörungen an den Instituten der Universität beseitigt werden.

 

Seite 10   Ostdeutsche Musikgeschichte

Die vor einigen Monaten in Freiburg gegründete Forschungsstelle für ostdeutsche Musikgeschichte hat auf ihrer ersten Fachtagung über ihre künftige Arbeit berichtet. Prof. Dr. Walter Wiora, der Gründer und Leiter des neuen Instituts, setzte sich dabei für eine stärkere Forschungsarbeit auf dem Gebiet der ostdeutschen und osteuropäischen Musikgeschichte ein, die in den letzten Jahren stark vernachlässigt worden sei. Es gehe bei dieser Arbeit um die Erforschung der reichen gegenseitigen Anregungen und Beziehungen der Musik des deutschen Ostens und seiner Nachbarvölker. Die Forschungsstelle in Freiburg werde die Arbeiten auf diesem Gebiet weitgehend fördern und koordinieren.

 

Zurzeit wird nach den Ausführungen Prof. Wioras ein umfassender Katalog aller Musiker und Komponisten aus Ostdeutschland zusammengestellt. Außerdem ist die Herausgabe von Werken ostdeutscher Meister, von Schallplattenaufnahmen, einem Jahrbuch und einer wissenschaftlichen Schriftenreihe geplant.

 

 

Seite 10   Wer am meisten verloren hat, kann am meisten geben. Ein Bericht von der Tagung der Exilschriftsteller in Darmstadt.

Auf Anregung der Künstlergilde, in der namhafte deutsche vertriebene Autoren neben bildenden Künstlern und Kulturschaffenden anderer Sparten vereinigt sind, fand im Ernst-Ludwig-Haus in Darmstadt erstmalig ein Treffen von Exilschriftstellern aus den osteuropäischen Ländern mit deutschen Autoren, Übersetzern, Publizisten und Verlagsvertretern statt. Trotz der sehr verschiedenartigen Herkunft, der Unterschiedlichkeit des nationalen Temperaments und der Generationen, führte das gemeinsame Schicksal und die allen gemeinsame Entschlossenheit, über die Last der Vergangenheit hinweg, im Miteinander die Zukunft zu gestalten, zu freundschaftlichem Gedankenaustausch und zu konkreten Arbeitsentschlüssen.

 

So soll neben den PEN-Zentren im Exil, die außer der Hauptstelle in London die exilierten Autoren bisher in Zweigstellen in New York und Paris zusammenfassen, eine weitere in Deutschland, voraussichtlich in München entstehen, die eng mit der Künstlergilde und den deutschen Autoren zusammenwirken will. Bereits auf der Tagung entstanden neue Gruppen, die die gegenseitige Übersetzung und die Publikation in gemeinsamen Anthologien fördern werden. Vor allem haben sich die deutschen Autoren und Publizisten angeboten, dafür zu sorgen, dass wesentliche Dichtungen des Exils aus den weniger verbreiteten Sprachen durch das Medium der deutschen Sprache bekannt werden.

 

In einer Reihe aufeinander abgestimmter Referate bekundeten prominente Vertreter von elf Nationen (Esten, Letten, Litauer, Russen, Ukrainer, Polen, Tschechen, Rumänen, Ungarn, Jugoslawen, Deutsche — einige weitere konnten wegen der zu großen Entfernungen aus Übersee nicht teilnehmen, versicherten aber brieflich ihre Verbundenheit); die Entschlossenheit, nicht nur zu ihren Landsleuten zu sprechen und ihre „Akzente zu wahren", sondern auch zum stärkeren Zusammenschluss Europas beizutragen. Der Präsident des PEN-Center in Exile, der Lette Peteris Aigars aus London, sagte: „Wer am meisten verloren hat, kann am meisten geben“. Sein Vorgänger, der ständige Internationale Delegierte des Exil-PEN, der in vielen Emigrationen und Sprachen bewährte Ungar Paul Tabori, gleichfalls London, wie die meisten Teilnehmer die deutsche Sprache vollendet beherrschend, betonte, Europa sei kein richtiges Exil, solange die verfolgten und emigrierten Autoren Menschen anträfen, die in vielen Sprachen ein und dieselbe Sprache sprächen. Seine aus abendländischem Geist getragene Rede war eine Absage an den Kulturpessimismus. Freilich wies er auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Dummheit hin. „Unseren Freunden in der freien Welt gruselt es manchmal vor uns. Sie möchten vergessen, was hinter dem Eisernen Vorhang vor sich geht. Wir dürfen es nicht erlauben. Es geht für den exilierten Schriftsteller nicht um die Wahl zwischen relativer Freiheit und absoluter Unfreiheit. Man kann so wenig relativ frei wie relativ tot sein. Es geht immer um die ganze Freiheit“.

 

Dr. Josef Mühlberger, der Vorsitzende der Künstlergilde, der die Teilnehmer als Freunde und Kameraden in deutscher, französischer und tschechischer Sprache begrüßte, unterstrich, dass dieses Treffen im Geiste des Friedens und der Versöhnung, als Beginn neuen Zusammenwirkens, im Zeichen humaner Friedfertigkeit stehe. Von deutscher Seite sprachen der Vizepräsident des Deutschen PEN-Zentrums Bundesrepublik und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Kasimir Edschmid, der zugleich den Fonds zur Förderung von Publikationen der exilierten Autoren für Deutschland verwaltet, und für die Gastgeber, die neben der Bundesregierung die Tagung ermöglicht hatten, der Hessische Minister für Erziehung und Volksbildung Dr. h. c. Arno Hennig, der davor warnte, aus der Isolierung heraus in einer „Antihaltung" zu verharren, sowie für die Stadt Darmstadt der selbst auch mit dem Osten auf das engste verbundene Bürgermeister Schröder.

 

Der durch sein Dschinghis-Khan-Buch bekannte russische Autor Michael Prawdin (London) sprach über das Thema „Haben wir eine kulturelle Aufgabe" und wies dem exilierten Autor die wesentliche Verpflichtung zu, aus seiner Erfahrung dazu beizutragen, dass der Weg zu einer neuen positiven Kulturentwicklung freigeräumt würde. An seinem Referat entzündete sich die Diskussion ebenso wie an dem französischen Vortrag des tschechischen Dichters Jan Cep (Paris): „Muss der Schriftsteller sich notwendigerweise in seiner Muttersprache ausdrücken", der mit zahlreichen frappanten Beispielen belegt war.

 

Nachhaltigen Eindruck hinterließ der Vortrag, des von seinem Kameraden Tibor Tollas vorgetragenen Bericht von Gabor Kocsis (beide Wien), über die Bedeutung des Gedichts in den ungarischen Kerkern und Straflagern und in der ungarischen Revolution von 1956, an der beide, Autoren des Bändchens „Im Frührot", aktiv teilgenommen haben. In einer gesprochenen Anthologie „Stimmen aus dem Schatten", gestaltet von Mila Kopp, Württembergisches Staatstheater, Vorträgen von Lyrik durch die anwesenden Autoren in ihrer Originalsprache, mit Zwischentexten von Dr. Ernst Schremmer, der auch die Tagung vorbereitet hatte, wurden Querschnitte durch das gegenwärtige Schaffen der Exilschriftsteller gegeben, über deren außerordentlich fruchtbare Tätigkeit der Selbsthilfe in der Verstreuung auch eine Reihe von Berichten ermutigenden Aufschluss gab. Verschiedene, von der Stadt Darmstadt großzügig gebotene Möglichkelten der Unterrichtung über die geistige und künstlerische Situation in Darmstadt vereinigten die Teilnehmer, die bei einem abschließenden Besuch in Frankfurt vor allem das Goethehaus besuchten, wo sie Professor Beutler für das Freie Hochstift begrüßte, zu regen Gedankenaustausch. Man war sich einig, dass mit dieser ersten Tagung in Darmstadt erst der Anfang zu intensivem Gedanken- und Arbeitsaustausch gemacht sei.

 

Seite 10   Neuwahl bei der Künstlereinung

Die Nordostdeutsche Künstlereinung e. V. hat auf ihrer Jahresversammlung im März d. J. in Marburg/Lahn einstimmig Dr. Ernst Melzner zum 1. Vorsitzenden gewählt. Der bisherige 1. Vorsitzende, Prof. Fritz Pfuhle/Hamburg, wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Geschäftsführende Vorsitzende ist nach wie vor die Kunstmalerin Frau Ida Wolfermann/Marburg (Ostpreußen). Die Künstlereinung ist in den letzten Jahren durch vielbeachtete Ausstellungen der Werke ihrer Mitglieder an die Öffentlichkeit getreten. Ihre nächste Ausstellung soll in Berlin vom 2. bis 11. November 1958 stattfinden; es ist u. a. ein Lichtbildervortrag von Dr. Melzner über „Nidden und seine Künstlerkolonie vorgesehen.

 

Seite 11   Die stille Stunde. Unterhaltungsbeilage der Ostpreußen-Warte.

 

Foto: Masurendorf. Holzschnitt von Robert Budzinski (Aus Robert Budzinski „Entdeckung Ostpreußens", Gräfe und Unzer Verlag, München.)

 

Seite 11   Heimkehr / Von Edith Mikeleitis

Zwölf Jahre Gefangenschaft sind zwölf gelebte Jahre — keine ausgesparten, wie die meisten meinen. Das weiß er erst jetzt, da er Mutter und Schwester gegenübersitzt. Wo sollte man zu erzählen anfangen, da doch weder die eine noch die andere Sibirien kennen? Ihnen ist dieses Land nur Schrecken und Eiswüste. Für ihn ist es mehr: unübersehbare Weite und Prüffeld für die Widerstandskraft des Menschen. Manchmal ist es das Paradies selbst — dann, wenn die Sonne verschwenderisch Blüten und Früchte hervorlockt, und wenn der warme Wind Duftwolken über die Ebene treibt.

 

Das jedoch wollen sie hier nicht wissen. Sondern das andere, das Quälende und Gnadenlose, das überstanden ist. Aus diesem allen ist man der geworden, der mit dem früheren Menschen nur noch den Namen gemeinsam zu haben scheint. Man kann keine großen Worte darüber machen. Die überstandenen Schmerzen sind Stufen geworden. Sie haben sich verwandelt. Sie haben ihn hinaufgetragen.

 

„Du hast gehungert", sagt die Mutter, und ihr warmes Gesicht ist kummervoll. Georg nickt. Was diese beiden Frauen Hunger nennen, ist mild ausgedrückt, gegenüber dem reißenden Wolf im Leib, den Wassersuppen und schlechtes Brot kaum beschwichtigen können. Der Wolf hat sich dennoch ducken müssen.

„Warum musstest Du solange in Sibirien bleiben?" fragt die Schwester. Was soll man darauf antworten?

„Weil ich „Politisch war“.

„Du politisch?" „Man verstand es so", sagt er.

Die Frauen nicken. Es wird gestraft. Überall in der Welt wird gerichtet und gestraft. Jeder Mensch ist zum Richter geworden. Es gibt nur noch Richter und Gerichtete — und jeder ist Richter und Gerichteter zugleich. „Ihr wohnt schlecht hier", sagt Georg und sieht sich um. Das traurige Flüchtlingszimmer steht in krassem Gegensatz zur Erinnerung an das behagliche Elternhaus in Schlesien. „Ich werde Euch ein Haus bauen", fügt er hinzu.

 

Die Frauen sehen sich erschrocken an, weiß er, wie arm sie geworden sind? Die Schwester arbeitet im Büro, die Mutter näht und flickt für die Nachbarn.

„Ja", sagt er, „ich baue Euch ein Haus". Und er tut es. Es geschehen immer Wunder für den, der sich durch Widerstände nicht abschrecken lässt. Georg hat Geld bekommen, wie es den Heimkehrern zusteht. Er hat das Diplom als Lehrer schon vor dem Kriege erhalten. Er bekommt eine Klasse in der Oberschule und steht vor den Primanern mit einem Gesicht, wie diese jungen Menschen es noch nie erlebt haben. Es ist so viel Freude und Zuversicht in seinen Augen, dass sie zum ersten Mal empfinden: es ist gut, einen Lehrer zu haben. Es ist gut, lernen zu dürfen. Es ist gut, Mensch zu sein.

 

Georg muss seine Zeit klug einteilen. Aber hat er nicht übergenug an Zeit aufgespart, übergenug! Das könnte man? Man würde es ihm nicht glauben, wenn er es zu erklären versuchte. Man würde darüber lächeln. Doch er weiß es besser. Man reichert in zwölf Jahren Gefangenschaft Millionen Jahre in sich an. Was ist denn Zeit? Sie ist Geduld, Erfahrung, Schmerz, Freude, Erlebnis, Überwindung, Wissen, Weisheit — und noch viel mehr. Er hat Millionen Jahre aufgespart. Das ist sein Kapital. Das will er gut anlegen, jetzt, da man ihm freie Hand lässt.

 

Es ist befriedigend, dass die Nachbarn staunen. Wenn Georg am Nachmittag mit den Maurern arbeitet, Stein auf Stein legt, Zement anrührt und bis zum Abend ausharrt, wenn die Arbeiter längst gegangen sind, hat er es gern, wenn Mutter und Schwester ihn abholen und sich über die Fortschritte wundern. Früher, so sagen sie ihm, wollte er keine Hand rühren. Über den Büchern zu hocken hielt er für das Leben.

 

„Woher kannst Du das alles"? fragt die Schwester und macht runde Augen. „Im Lager gab es immer etwas zu bauen", sagt er und macht eine weite Bewegung mit der Hand. Damit ist Unendliches erzählt. Die ganze Geschichte vom anfänglichen Widerstreben bis zur Freude an körperlicher Arbeit, die zugleich müde macht und stärkt und die Seele vor der Verzweiflung bewahrt.

Das alles ahnen die Frauen, denn manchmal erfahren sie durch ein Wort, was er durch lange Erzählungen erklären könnte . . .

 

Als das Haus fertig ist, gleicht es keinem anderen in der Stadt. Es wirkt breit und geduckt— ein Haus der unendlichen Ebene, nicht eins von hier, wo die Täler eng sind. Die Nachbarn wundern sich darüber, finden die Fenster zu niedrig und den Kachelofen zu groß, doch Georg lächelt dazu. Sein schmales Gesicht ist braun und faltig, und seine Augen haben die Erinnerung an die Steppe behalten.

 

Seine Schüler stellen sich gern in seinen Blick. Es ist, als ob er sie mitten hinein nähme in einen unbegrenzten Raum und sie darin festhielte, damit sie sich nicht verlören.

 

Seine Primaner bewundern das Haus als zu ihm gehörig und machen gern einen Umweg, um ihn am Fenster zu sehen, wo sein Schreibtisch steht. Mutter und Schwester aber gehen in den Räumen hin und her — her und hin — und können es nicht fassen, dass alles zu ihnen gehört und sie jetzt ein Heim haben.

 

Nur Georg selbst scheint nicht eigentlich davon Besitz zu ergreifen. Äußerlich merkt man ihm nichts an. Er lebt in Schule und Haus wie die anderen, umschlossen von der „Tarnkappe", hinter der alle sich voreinander verstecken, ob sie es auch nicht wissen. Er hat die „Tarnkappe" als den Schutz erkannt, der in der Welt nötig ist, damit dahinter das ‚Eigentliche' nicht verletzt werde. Niemand kennt die Gedanken des anderen. Er hat im Lager erlebt, dass sein Freund neben sich nachts die Pulsadern öffnete, nachdem sie beide sich nach einem guten Gespräch Gute Nacht gesagt hatten. Am Morgen war die Tarnkappe ganz eng um den Toten gezogen. Er hatte sein Geheimnis mit nach drüben genommen. Ebenso hatte Sylvestra ihr Geheimnis mitgenommen, nachdem sie sich während der Ruhrepidemie im Lager begegnet waren. Zwar nicht nach ‚drüben', sondern sie war eines Tages mit dem Lazarettzug verschwunden, mit dem sie gekommen war. Als Studentin der Medizin hatte sie den deutschen und den russischen Ärzten geholfen. Er hatte als Träger mit ihr zusammengearbeitet. Ihnen beiden konnte die Krankheit nichts anhaben. Gab es Wunder? Sie lächelte ihn an, als er es so nannte, und schüttelte den Kopf. „Kein Wunder — nur Furchtlosigkeit. Ich habe keine Zeit, Angst um mich zu haben. Ich will helfen“.

 

Das war Sylvestra. Was für ein seltener, beinahe schwerfälliger Name: Ihre Eltern mussten besondere Vorstellungen gehabt haben, was ein Name für ein Mädchen bedeutet — oder war sie am letzten Tage des Jahres geboren? Danach hatte er sie nicht gefragt. So vertraut waren sie nicht miteinander gewesen, auch hatten sie kaum Zeit für einige Sätze gehabt, die ihnen allein gehörten. Doch die Augen hatten eine Sprache zueinander gesprochen, die weit über menschliche Worte hinausging. Manchmal hatten ihre Hände sich gestreift, und der Strom des Lebens ging beglückend durch ihr Herz. In dem fremden Land unter dem eisigen Himmel und inmitten der Gnadenverlassenheit — gab es das Wunder der Liebe.

 

Nachdem sie ebenso plötzlich verschwunden wie erschienen war, konnte Georg nicht erfahren, wo er Sylvestra suchen sollte. Der Lazarettzug war eines Morgens abgefahren . . . Georg stand am Fenster seines Zimmers und dachte an Sylvestra. Es gab im Hintergrund seines Bewusstseins einen Raum, darin sie lebte. Sie war die einzige Frau“, deren Wesen er immer noch spürte, obwohl Jahre darüber vergangen waren. Ihr festes klares Gesicht, von dunklem Haar umrahmt, die hellen Augen, die kräftigen Hände und den schlanken, sicher gefügten Wuchs sah er manchmal deutlich im Traum, doch wollte er sie bewusst ins Gedächtnis rufen, erfasste er nur ein Schemen.

 

Das breite, in sich ruhende Haus mochte die Augen der Fremden oft auf sich lenken, wenn sie im Sommer und im Herbst in die kleine Stadt strömten, deren bergige Gärten den besten Wein der Welt in der Sonne reiften. Sonst beachtete Georg die neugierigen Blicke der Zaungäste kaum. Doch heute geriet er in seltsame Unruhe, sobald er jemanden am Zaun stehen bleiben sah. Er hatte gelernt, Unruhe der Seele nicht als Zufälligkeit hinzunehmen. Was wollte sie von ihm? Mutter und Schwester hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen. Sie glaubten ihn im Frieden. Was wussten sie von ihm? Es wäre zu mühsam gewesen, ihnen zu erklären, dass alles ganz anders war, als sie es sich vorstellten. Das Leben war gut und groß und unendlich in jeder Form, nicht nur im behüteten Dasein. Sie hätten es nicht geglaubt.

 

Draußen begann es dunkel zu werden. Die Tage waren kurz, die Nächte lang, das Herz derbte. Es hatte in Georgs Leben viele Frauen gegeben, doch hatte er mit der Liebe niemals gespielt. Das lag nicht in seiner Art. Noch ehe er sich endgültig gebunden hatte, war er nach Sibirien entrückt worden. Entrückt? Was für ein großes und fremdes Wort für die harte Grausamkeit dieser Gefangenschaft! Doch er wiederholte es: „Ich war entrückt — ich war entrückt ... In die Hölle, aber in der Hölle erschien Sylvestra!"

 

Wo war sie jetzt? Hatte sie aus der Hölle herausgefunden? Ihre Liebe hatte in der Hölle geblüht. Wo Leben ist, kann Hölle nicht sein, dachte er. Hölle ist Tod . . .

 

Im unsicheren Licht der Dämmerung sah er eine Frau vorübergehen, die stehen blieb und in sein Fenster blickte. Er vermochte ihre Züge nicht zu unterscheiden, doch durchzuckte ihn ihr Anblick mit einem unerklärlichen Schrecken. Nichts Auffälliges war an ihr. Eher wirkte sie unscheinbar. Dennoch blieb diese seltsame Erregung, als habe sein Herz eine Strahlung aufgenommen, die bis in den Lebenskern drang.

 

Warum ging die Fremde nicht weiter? Georgs Hände stützten sich schwer auf das Fensterbrett. Was wollte sie hier? Zögernd ging sie auf die Pforte zu und drückte die Klinke nieder. Sie schritt langsam den Kiesweg entlang. Gleich würde sie an der Haustür stehen und den Klingelknopf suchen. Nein. Das durfte nicht geschehen. Er raffte sich auf. Er wollte ihr zuvorkommen, damit nicht Mutter oder Schwester ihr öffneten.

 

Er warf die Erstarrung von sich ab und lief ihr entgegen, öffnete die schwere Eichentür und erschreckte sie damit, denn sie hatte soeben klingeln wollen . . .

 

Sie sahen sich ins Gesicht. Es war Sylvestra. Er machte kein Licht. Er sprach auch nicht. Stumm führte er sie in sein Zimmer. Dann stand sie vor ihm wie jemand, der nach langer Irrfahrt angekommen ist. Mit einem ruhigen Lächeln sah sie ihn an, blickte sich um und setzte sich in den Sessel am Fenster. Es geschah alles selbstverständlich. Sie war da. Es gab nichts zum Verwundern. Der letzte Tagesschein erhellte ihr Gesicht. Sie war voller geworden. Selbstverständlich. Der Hunger fiel weg, der die Züge scharf und kantig gemacht hatte. Dadurch sah sie jünger aus als vor Jahren.

 

„Ich habe Dich gesucht", sagte sie. Er erkannte ihre Stimme wieder. Unter dem Stöhnen der kranken Kameraden hatte er sie immer herausgefunden, als sei sie allein an ihn gerichtet gewesen.

 

„Es war jetzt nicht mehr schwer, Dich zu finden. Jahrelang hatte ich vergeblich geforscht. Es hieß, Du seiest gestorben. Niemand hatte Nachricht von Dir. Beinahe bin ich müde geworden daran. Da sprach ein Patient von Dir . . . Wir nennen es Zufall. Es war kein Zufall. Nun bin ich hier“.

Er vermochte noch immer nicht, aus dem Panzer auszubrechen, den er um sich gebaut hatte. „Warum hast Du mich nicht gesucht?" fragte sie.

„Ich habe nur Deinen Vornamen gewusst", gab er stockend zu. „Du wurdest Schwester Sylvestra genannt. Dann warst Du plötzlich weg . . . Mir war keine Möglichkeit gelassen, Dich zu suchen. Und ich wollte es auch nicht... Das Leben dort war nur zu ertragen, wenn jeder Tag ohne Frage hingenommen wurde . . . ohne Frage. Ein schwerer Traum. Schwer genug, um die letzten Tiefen auszuloten. Es zeigte sich, dass viele ohne Tiefe waren. Manchen drückte die Last den Lebenskern ab. Nur wenigen gelang es . . ."

 

Er unterbrach sich verwirrt. Die lange festgehaltenen Gedanken begannen heraufzusteigen, und er fasste die Erlösung noch nicht.

Sylvestra nickte, doch schien es, als sei ihr dieses alles nicht mehr so wichtig. Da beugte er sich über sie und fragte: „Warum hast Du mir damals nicht gesagt, dass — Du mich suchen würdest, Sylvestra?"

„Damals wusste ich es noch nicht", sagte sie einfach. „Damals wusste ich nicht, dass es unmöglich war, Dich zu vergessen. Es gab so viel, was wichtig schien. Die Heimkehr, das Studium, die Praxis . . . Doch bald erkannte ich, dass nur das eine wichtig war — Dich zu finden!"

 

„Sylvestra, Sylvestra — es ist mehr, als ein Menschenleben gewähren kann!" Erschüttert sank er vor ihr nieder und barg seinen Kopf in ihren Schoß. Die Millionen Jahre aufgesparter Zeit — alles dieses Aufgeladene, Aufgehäufte, Unerlöste quoll über und drängte über die künstlichen Dämme hinweg zu ihr, zu der längst vertrauten Seele der Frau, die ihn liebte ...

 

Sie hatte ihre Hände auf seinen Kopf gelegt. Zum ersten Mal fühlten sie die Wärme ihrer Körper beglückend und blieben so ineinander versunken — wie am Anfang der Schöpfung ein einiges Paar, das noch nicht zu einsamer Weltwanderung auseinandergerissen worden war. Ungekanntes Heimatgefühl durchflutete sie.

 

„Sagtest Du nicht einmal, jeder müsse seine ihm entsprechende Menschenhälfte durch alle Ewigkeiten suchen, bis er reif genug sei, die vollkommene Ehe zu finden? Nur wenigen Paaren gelänge es schon hier ..."

Sylvestra sprach langsam, als horche sie diesen oft in ihrem Herzen bewegten Worten nach — nun — da sie Wirklichkeit geworden. Es war dunkel im Raum. Georg hörte die Schritte der Mutter im Flur. Wahrscheinlicht wollte sie ihn zum Abendessen holen.

 

Noch einmal presste er seinen Kopf mit der unbeschreiblichen Wonne endlicher Heimkehr in Sylvestras Schoß. Dann stand er auf und zog sie mit sich empor, legte seinen Arm um ihre Schultern und ging so der Mutter entgegen .,,

 

Seite 11   Cicero, ad Atticum 7, 14,3

Ich selber mahne unablässig

zum Frieden; denn der ist,

selbst wenn er ungerecht wäre,

immer noch nützlicher

als der gerechteste Krieg.

 

Seite 11   Ernst Wiechert. Die Dämonen besiegen

Einige halten inmitten ihrer Arbeit an und sehen sich um. Nachdem sie den Hebel an drei oder vier der Götterbilder gelegt haben, erkennen sie, dass es verlorene Mühe ist, es mit allen zu versuchen. Alle werden schwanken, und nur Kinder brechen tausend Blumen, um zu erfahren, was eine Blume ist. Und nachdem sie erkannt haben, dass man eine schwankende Welt vor ihnen aufgerichtet hat, beginnen sie damit, ihre eigene so fest zu machen, dass sie nicht vor jedem Sturm der Zeiten erbebt. Sie beginnen es auf verschiedene Weise, aber sie enden alle damit, dass sie nicht mehr in das Unsichtbare hinausblicken. Sie wissen wohl, dass es da ist, aber sie wissen auch, dass es dem Menschen nicht gegeben ist, es zu wissen. Sie setzen ihre Grenzsteine zurück und innerhalb dieser neuen Grenzen beginnen sie nun zu arbeiten. Sie erkennen, dass die Hand so viel wert ist wie der Geist und oft mehr als der Geist. Dass ein ordentlicher Acker mehr wert ist als eine unordentliche Philosophie und dass der Mensch dazu da ist, die Dämonen zu besiegen, die jahrtausendelang um seine Wiege gestanden haben. Noch ist die Luft erfüllt mit ihnen, mit denen des Hasses, der Gewalt, der Lüge, der Opferung, der Angst, der Rache. Und nicht nur mit denen der Hölle, sondern auch mit denen des Himmels. Der Kampf gegen sie bringt keine Belohnung, weder im Diesseits noch in einem erträumten Jenseits. Er bringt Einsamkeit und Feindschaft, Leid und Verzicht. Aber er ist alles, was der Mensch aus seinem Leben machen kann. Er ist der Anfang zu einem Tor in eine bessere Zeit. Wer ihn auskämpft, ist wie Moses, nur dass er nicht auf einem Berge steht, sondern am Fuße eines der tausend Hügel. Wer ihn auskämpft, ist kein Soldat Gottes, sondern ein Soldat der Menschheit, des Kreises also, in den er hineingeboren ist. Es ist nicht danach gefragt, ob er sie hasst oder liebt oder verachtet. Er hat sie so wenig gewählt wie seine Eltern, aber er spricht ihre Sprache, er sitzt an ihrem Herd, er hat zu ihnen zu stehen. Wenn er bitter wird dabei, ist er nicht der rechte Soldat, und auch nicht, wenn er glaubt, dass seine Taten nun in einem Buche verzeichnet werden, über das der Erzengel einen goldenen Griffel hält. Nichts wird verzeichnet, nichts wird aufgeschrieben. Am Abend des Lebens nimmt er den Spaten auf die Schulter und geht davon, ein kleiner Handlanger, namenlos und unbekannt, indes hinter ihm die Mauern aufzuragen beginnen, an denen ihm vergönnt war, seine kleine Pflicht zu tun.

 

Seite 12   Die verhängnisvolle Jagd / Eine Kindheitserinnerung von Josef Wenter.

Der Namenstag der Großmutter fiel in die Zeit der Baumblüte. Wenn wir in jenen Wochen mit dem Fräulein auf das Gut hinausgingen, erschien der Kapellenweg wie beschneit, und das Gesumme der Bienen erfüllte die silbernen Schatten unter dem schneeigen Gezweige. Krone bei Krone wölbte das schimmernde Prangen unabsehlich sich hin. Zarteste Düfte gingen mit dem sanften Winde über das Land.

 

In der Karwoche umstanden Betende zu jeder Stunde die Kapellen. Das Gemurmel der dunkel gekleideten Menschen, ihre ernsthaften Gesichter stand in einem großen Gegensatz, zu der vollkommenen Freundlichkeit des Himmels und der Erde. Es war Gebot der Mutter, das auch der Bruder und ich während der Karwoche einmal die Kreuzwegandacht vor den vierzehn Kapellen verrichten sollten. Wir lasen abwechselnd die vierteiligen Verse, deren gewaltsame Reime uns von Mal zu Mal komischer dünkten und den Bruder zu lächerlichen rhythmischen Gebärden reizten. Das Gemüt geriet in Zwiespalt ob der Forderung, die Welt als sündhaft zu erkennen, durch Buße und Leiden die Seele zu retten vor dem ewigen Tode. Die Welt allein, so rätselhaft es mir immer noch war, erzürnte mich gegen den Schreiber der armseligen Verse und seinen Stand, vor dem ich eine tiefe Scheu hatte. Schon die schwarzen Gewänder machten mich furchtsam, als endete an ihnen etwas, dass mir teuer war. Was dies wäre, wusste ich nicht, aber es schien seinen Sinn zu erhalten in den Versen von Buße, Leiden und ewigem Tode. Die lebensgroßen Bilder der Passion konnten mein Herz nie in jene Erschütterung bringen, die sie zum Zwecke haben, nie aber auch in eine Erhebung. Was in mir sich erhob, war scheue Neugier über die Einzelheiten der Marter, eine sich windende körperliche Scham und die Furcht vor den grausamen Gesichtern der Henker.

 

Am Ende dieses betrüblich andächtigen Ganges durch die frühlingblitzende Welt war endlich die vierzehnte Station erreicht, eine größere Kapelle, die umbuscht und überschneit war von Apfelblüten. Zwei Fenster verbreiteten aus rötlichen und gelblichen Butzenscheiben eine bunte Dämmerung, in welcher die schlanken Flammen der Kerzen flackerten, Blütendolden schwankten vor den Fenstern und hatten die unwirklichen Farben der gemalten Scheiben angenommen. Die mächtige Trauerweide schaukelte hellgrünes Gezweig über dem alten Ziegeldach und weit hinein in den strahlenden Tag. Unter der Altarplatte schien der Leichnam des Herrn friedlich zu schlafen. Ich schaute immer die Hände an, die nicht über der Brust gefaltet, sondern mit nach oben gewendeten offenen Handflächen an der Hüfte lagen, in einer Gebärde innigsten Ruhens. Von diesem Anblick ward ich gerührt. Es war der erste tastende Schritt des Herzens zu den Wirklichkeiten des Evangeliums; gleich wie jenes Te Deum laudamus die erste Erhebung zum Göttlichen war, als es in der Muttersprache, einem feierlichen Hornstoß ähnlich, in die Seele des Knaben drang.

 

Durch ein rundbogiges Tor trat man in das Haus der Großmutter ein. Der weite ebenerdige Raum war mit Ziegelsteinen bepflastert, und man gelangte rechts und links in viele Kammern. Gewöhnlich stand die kleinere Türe am gegenüberliegenden Ende offen. In ihrem Rahmen zeigten sich dann über das halbe Dunkel hinweg die blühenden Obstwiesen wie ein gemaltes Bild. Es roch nach säuerlichem Bauernbrot, nach Weinfässern und Mehltruhen, nach Äpfeln, Knechten und Mägden. Blaue Steingutkrüge, wie sie die Mäher aufs Feld mitnehmen, haben, wenn sie leer sind, solchen Geruch.

 

Der Bruder und ich wären stets gerne durch jene Türe wieder hinaus, zum Stall, zum Heustadl, in die Wagenremise oder zum Wasserwal. Aber zuerst musste die Großmutter begrüßt werden. Steinerne Stiegen führten zu den Stockwerken. Im ersten Stock hausten die Onkel, darüber wohnte die Großmutter mit der Tante Anna und der Tante Luise.

 

Die Großmutter saß gewöhnlich in einem bequemen Armstuhl am Fenster vor ihrem Handarbeitstisch und nähte. Ihre kurze herrische Art zu sprechen, ihre Augen, die das Verborgenste zu sehen schienen, erweckten ein Gefühl schlechten Gewissens. Wir waren froh, nach der Jause entlassen zu werden, bei der es Schokolade und Butterbrote, Äpfel, Birnen und Nüsse gab. Davon stopften wir uns die Taschen voll und stürmten hinaus ins Freie. Der Großknecht war unser Freund, der Leonberger Bary unser Reitpferd.

 

An jenem Kartage hatte ich mein Schmetterlingsnetz bei mir, obgleich das Fräulein widerraten hatte, denn es flöge gewiss noch nichts. Aber ich wusste es besser, aus früheren Osterzeiten her. Von der Stadelbrücke aus sah ich einen Zitronenfalter über die Wiese gaukeln. Mit einem Jubelgeschrei lief ich die Brücke hinunter, am Stall vorbei und mitten hinein in das helle Gras. Ein paarmal verfehlte ich den Falter. Durch die Lufthiebe mit dem Netz gescheucht, flog er eiliger und in schwankenden Flügen. Ich stürmte hinter ihm her, ohne auf den Boden zu achten, der plötzlich unter mir schwand. Ich war in eine Jauchegrube gestürzt. Der Bruder, der mir gefolgt war, erhob angesichts meines Sturzes ein lautes Geschrei. Knechte liefen herzu. Die Großmutter riss droben das Fenster auf und rief erregte Befehle herunter. Aber der Großknecht hatte mich bereits am Arm ergriffen, zog mich heraus und übergab mich der Tante Anna und dem Fräulein, die aus dem Hause gelaufen kamen.

 

Ich wusste kaum, was vorgefallen war. Mein Kopf war nicht recht munter, und Übelkeit befiel mich. Ich fürchtete mich vor strenger Strafe, denn ich hatte zum Besuch bei der Großmutter einen neuen Anzug an, den ich, an mir herabblickend, so gut als verdorben ansehen musste. Ich verbreitete einen entsetzlichen Geruch, und der Umstand, dass sich mir alle nur mit vorsichtiger Scheu näherten, ließ meine Lage trostlos erscheinen. Ich begann zu weinen, indes der Bruder, der erkannt hatte, dass alle Gefahr vorüber war, lachte. Auch die Tante Anna lachte, und endlich lächelte auch das Fräulein. Obgleich ich fühlte, dass sie mehr aus Höflichkeit der Tante zulächelte, war ich doch davon ein wenig beruhigt und trat den Weg ins Haus an, geleitet von den zwei Frauen, eine braune übelriechende Spur hinter mir zurücklassend. Der Bruder lief der Großmutter entgegen, die an der Stiege oben den tragikomischen Aufzug erwartete. Als sie mich wohlbehalten die Stiege emporsteigen sah, lachte sie gleichfalls. Dies war so ungewohnt, dass ich darüber zu weinen aufhörte.

 

Man brachte mich in ein eilig gewärmtes Bad und hernach ins Bett. Ein Wagen wurde eingespannt, der das Fräulein in die Stadt brachte, um einen anderen Anzug für mich zu holen. Inzwischen bekam ich heißen Kamillentee. Die Großmutter setzte sich zu mir. Sie fragte mich, ob ich denn immer ein Hans-Guckindieluft bleiben wolle. Ich verteidigte mich und erzählte von der Jagd auf den Zitronenfalter. Sie lächelte mir freundlich zu und legte ihre Hand auf meine Stirne. Alle Erwachsenen taten dies, wenn sie glaubten, man wäre krank. Ich kannte die Hände genau und hätte mit geschlossenen Augen sagen können, wer meine Stirne befühlte. Es drängte mich dann stets, unter die Decke zu entschlüpfen. Die Hand des Fräuleins war fremd und konnte mein Wesen in eine unerklärliche Unruhe bringen. Jener Abend fiel mir dann ein, als ich mich in ihr Gesicht gekrallt hatte, und ich bereute von Herzen, ohne freilich solche Gefühle zu äußern. Die Hand der Mutter war kühl und fest, die des Vaters warm und herzlich besorgt, das fühlte ich bis in die Fußspitzen hinab. Die Großmutter legte mir die Hand auf, weil es wohl so Gepflogenheit war. Sie schaute dabei zum Fenster hinaus, und ich glaubte, dass ihre Gedanken nicht bei mir waren. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich immer ein Guck-in-die-Luft sein möchte, weil dies schön sei. Aber ich wagte es nicht.

 

Dann hörte ich den Wagen vorfahren und die Stimmen der Eltern. Ich hatte das nicht erwartet und erschrak heftig. Die Stimmen näherten sich dem Zimmer, in dem ich zu Bette lag. Die Mutter lachte mit der Tante Anna, und der Bruder schwatzte laut dazwischen. Es würde also gut ausgehen, hoffte ich. Als der Vater eintrat, las ich aus seinem Gesicht, dass er besorgt war. “Er hat kein bisschen Fieber", sagte die Großmutter. Ihre Gedanken waren also doch bei mir gewesen. Das machte mich stolz. Dann standen alle lachend um mich herum, bis ich selber zu lachen anfing. Aber ich lachte, weil ich mich schämte, und ich wäre gerne unter die Decke entschlüpft.

 

Dieses Kapitel, etwas gekürzt, entnahmen wir den Kindheitserinnerungen „Leise, leise! liebe Quelle“ (280 S., Ln., DM 10,80) des aus Südtirol stammenden Dichters Josef Wenter, die anlässlich seines zehnten Todestages vom Pilgram-Verlag, Salzburg, in einer schönen Ausstattung neu herausgebracht wurden. Reich an Wundern und Geheimnissen ist das Leben der Kinder in dem weitläufigen Meraner Elternhaus mit dem schönen Garten, erste Freuden und frühe Erfahrungen formen die erwachende Seele, und die Fahrten durch die gesegnete Landschaft Südtirols geben dem Knaben ein lebhaftes Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit. Wie er aus der Geborgenheit eines wohlbehüteten Lebenskreises hineinwächst in das äußere Leben, ist mit großer Meisterschaft dargestellt. So entstand ein Prosakunstwerk von stiller Schönheit, das den bedeutendsten unserer Zeit zuzuzählen ist. Kaum in einem anderen Werk ist die Psyche des Kindes reiner erfasst als in diesem Kindheitsbuch des Dichters.

 

Seite 12   Wir blättern in neuen Büchern.

Siegfried Lenz: DER MANN IM STROM. Roman. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg, 236 Seiten, Ganzl., DM 12,80.

Der junge Autor, ein Ostpreuße, der uns bereits einmal mit seinem so köstlichen Masurenbuch „So zärtlich war Suleyken" überrascht hat, verlegt die Handlung seines neuen Romans in eine nördliche Hafenstadt. Mit sicherer Hand fängt er die Atmosphäre des Hafens und des Stroms ein. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Taucher, der in seinem Beruf alt geworden ist und nun Gefahr läuft, „ausgebootet“ zu werden. Es ist ein Stoff, der mitten in die Problematik unserer Zeit greift, scharf und zeitkritisch geschrieben, von einer suggestiven Einfachheit und Spannung, wie man sie selten findet. Man wird gepackt und mitgerissen. Man wünschte sich mehr Bücher dieser Art.

 

Gerhart Hauptmann: MIGNON. Novelle. Zeichnungen von Gerhard Ulrich. 144 Seiten. Leinen. DM 7,50. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh.

Der C. Bertelsmann-Verlag setzt mit der Herausgabe dieser Novelle seine Arbeit am Gesamtwerk Gerhart Hauptmanns fort. Er hat dabei einen besonders glücklichen Griff getan, denn seine „Mignon'' war dem Dichter, der Goethe allezeit verehrte und dem das Problem der Wiedergeburt ein inständiges Anliegen war, sehr ans Herz gewachsen. Nur mit mühsam verhaltener Leidenschaft erzählt er von seiner Begegnung mit dem Mädchen Aga, das jener Mignon aus dem „Wilhelm Meister" so bestürzend ähnelt, dass er an eine Wiederkehr, an eine Fleischwerdung der dichterischen Gestalt glauben muss. In der südlichen Landschaft des Lago Maggiore, wo sich dies ereignet, trifft der Dichter zudem bei geheimnisvollen Anlässen einen Mann, der ihn unablässig an den „wundervollen Weimaraner" erinnert, bis er ihn schließlich als Goethe akzeptiert. Denn wo Mignon weilt, davon ist er überzeugt, kann Goethe nicht ferne sein. — In den acht ganzseitigen Zeichnungen von Gerhard Ulrich wird das Thema des Werkes aufgenommen und selbständig variiert.

 

C. F. W. Behl / Felix A. Voigt: CHRONIK VON GERHART HAUPTMANNS LEBEN UND SCHAFFEN. Bergstadtverlag Wilh. Gottl. Korn, München. 140 S., Ln., DM 7,80.

Eine dankenswerte Arbeit, die die beiden Herausgeber nach jahrzehntelangen Studien nun vorlegen. Grundlage für dieses Werk bildete das bereits 1942 anlässlich des 80. Geburtstages von Gerhart Hauptmann von ihnen herausgegebene Buch „Gerhart Hauptmanns Leben, Chronik und Bild", das aber um wertvolle Erkenntnisse und Forschungsergebnisse bereichert werden konnte. Die rein chronistischen Tatsachen und Daten werden aufgelockert mit Werkzitaten sowie charakteristischen Äußerungen von und über Hauptmann, so dass auch für den Nichtfachmann eine leicht lesbare und anschauliche Biographie entstanden ist.

16 Kunstdrucktafeln zeigen Hauptmann in den verschiedenen Altersstufen. Zeichnungen, Gemälde, Fotos, abschließend mit der von Ernst Rülke abgenommenen Totenmaske.

Ein in gleicherweise notwendiges wie begrüßenswertes Werk.

 

Hans Watzlik: DER VERWUNSCHENE. Roman. Bogen-Verlag, München-Stuttgart. 265 S., Ln., DM 9,80.

Jetzt erst, zehn Jahre nach dem Tode des Dichters Hans Watzlik, ein Sohn des Böhmerwaldes wie Adalbert Stifter, wird uns sein letztes Werk zugänglich gemacht. Es ist noch einmal ein großer Gesang auf seine Waidheimat zu Füßen des majestätischen Ossers, die den Hintergrund fast aller seiner Werke bildet, denken wir nur an die Romane „Aus wilder Wurzel", „Der Pfarrer von Dornloh", „Die Leturner Hütte", „Der Teufel wildert" und „O Böhmen", um nur einige aus seinem reichen Schaffen zu nennen. Im Mittelpunkt dieses letzten Werkes steht der Knabe Ottokar, der in dieser ursprünglichen und wildromantischen Landschaft im Hause des Försters heranreift und hier eine beneidenswerte Kindheit und Jugendzeit inmitten der Waldeinsamkeit erleben darf. Bedenken wir noch, dass Watzlik diesen Roman 1948, kurz vor seinem Tode und fern seiner geliebten Böhmerwaldheimat, nach den Schrecken tschechischer Kerkerhaft und dem harten Schicksal des Heimatverlustes, beendet hat, so haben wir den Schlüssel dafür, warum er noch einmal die ganze abseitige Schönheit dieses Landes mit behutsamer Feder, den oft unscheinbarsten Details nachspürend, zu einem Gemälde von dieser Dichte, reif und unnachahmlich schön, zusammenfügen konnte. Dem Verlag muss gedankt werden, dass er sich diesem Nachlasswerk des Dichters in so liebevoller Weise angenommen hat und ihm eine so schöne Ausstattung zuteilwerden ließ.

 

Josefa Berens-Totenohl: DIE LEUTE VOM FEMHOF. Roman. (275. Tsd.) Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf. 480 S., Ln., DM 11,80.

Der Verlag hat hier in einer ungekürzten Sonderausgabe die beiden Romane „Der Femhof" und „Frau Magdlene" zu einem geschlossenen Werk zusammengefasst. Man hat es nicht zu Unrecht ein hohes Lied auf die Tätigkeit des Menschen genannt, auf die Echtheit seiner Gefühle und seine nimmermüde Kraft, die Not des Lebens zu zwingen. Einfach großartig, mit welcher Folgerichtigkeit und dramatischen Spannung sich das vielfältige Geschehen entwickelt, das wie eine Saga aus alten Zeiten anmutet und doch höchst gegenwärtig in unsere Zeit hineinragt. Hier wird geliebt und gehasst, gekämpft und gelitten, eine schwere Bluttat wetterleuchtet wie ein Unwetter über dem Land zwischen Rhein und Weser, und doch liegt ein Hauch der Ewigkeit über allem was die Menschen bewegt und innerlich aufwühlt. Das gilt besonders von Magdlene, der Hauptgestalt des Romans. Leidenschaftlich und selbstbewusst tritt sie uns als junges Mädchen entgegen, im Unglück zu bestehen. Sie hat es schwer mit ihrem harten und herrischen Vater, dem Wulfsbauern, und auch mit ihrer Liebe zu dem fremden Manne der ein schweres Schicksal trägt und ihr Glück und Leid in einem bringt. Gestalten wie diese Frau sind unvergesslich, hier wird Leid geläutert und in innere Kraft verwandelt, ganz ohne große Worte.

Wie beglückend, wenn jemand lebensnah zu erzählen weiß und obendrein etwas von der inneren Ordnung alles Lebendigen ahnen lässt.

 

Karl Bjarnhof: FRÜHE DÄMMERUNG. Aus dem Dänischen übertragen von Albrecht Leonhardt. 318 Seiten. Leinen DM 11,50. C. Bertelsmann Verlag Gütersloh.

Aus Dänemark kommt dieses mit den höchsten literarischen Auszeichnungen bedachte Buch zu uns Hunderttausende Dänen haben den erschütternden autobiographischen Roman des „sehenden Blinden" Karl Bjarnhof gelesen, gleichzeitig erscheinen Übersetzungen in vielen europäischen Sprachen. Der Autor erzählt darin die Geschichte einer Kindheit seines allmählichen Erblindens. Er schildert das ärmliche Elternhaus in einer kleinen dänischen Provinzstadt, seine qualvollen Erlebnisse in der Schule wo er als Eigenbrötler gilt, seine Krankheit, die erst zu spät von den Ärzten erkannt wird, und schließlich den Gang in die Blindenanstalt von Kopenhagen, wo er nur ungern aufgenommen wird, weil er noch zu gut sieht, um als Blinder zu gelten, und zu wenig, um unter den Sehenden bleiben zu können.

Karl Bjarnhof schreibt schlicht und ohne Sentimentalität oder Selbstbemitleidung, hellwach registriert er die einzelnen Stationen seines Leidensweges. Früh schon begann er, Menschen und Dinge mit unbestechlichem Blick aufzunehmen als unverfänglichen Schatz der Erinnerung. Das macht aus dem tief ergreifenden menschlichen Dokument zugleich ein Werk von hohem literarischem Wert. Dabei ist seine Diktion einfach und ungekünstelt, ganz aus der Perspektive des frühreifen Knaben her betrachtet. Nur ein Dichter kann die Landschaft und die Menschen in ihr so beschreiben, dass man sie leibhaftig vor sich sieht: das in seiner Kargheit doch idyllische Provinznest, den grüblerischen Vater, die ewig mit dem Schicksal ringende Mutter, die vor Zärtlichkeit wortlose Schwester und die Jungen und Mädchen, die ihn wegen seines scheuen Wesens verspotten, ohne zu ahnen, was sich in ihm vorbereitet und ereignet.

 

Die Kritik stellt dieses Buch mit Recht direkt neben den Lebensbericht eines anderen vom Schicksal heimgesuchten Menschen, der taubblinden Helen Keller. Wie diese tapfere amerikanische Frau wurde auch Karl Bjarnhof ein erfolgreicher Schriftsteller, der heute zu den bekanntesten Mitarbeitern des dänischen Rundfunks zählt.

 

Herbert Backe: KAPITALISMUS UND NAHRUNGSFREIHEIT. Verlag des Instituts für Geosoziologie und Politik, Bad Godesberg. 168 S., Ln., DM 12,80.

Das Buch ist eine veränderte Neuauflage des 1942 erschienenen Werkes „Um die Nahrungsfreiheit Europas". Sein Verfasser ist der langjährige Staatssekretär und spätere Reichsernährungsminister Herbert Backe, der 1947 freiwillig aus dem Leben schied. Die Neuherausgabe des Buches hat keine persönlichen Hintergründe. Sie ist auch nicht etwa dadurch bestimmt, dass im Streit um den Nationalsozialismus Partei ergriffen werden sollte. Der Verlag hat sich vielmehr zur Herausgabe dieses Buches entschlossen, weil er der Überzeugung ist, dass mit diesem Buch ein Schlüssel zum Verständnis der Weltagrarstruktur und der Zusammenhänge und Folgen des liberalistisch-kapitalistischen Weltwirtschaftssystems geschaffen wurde. Ausgehend von den Untersuchungen von Erich Obst über „England, Europa und die Welt" und von eigenen Arbeiten über die russische Getreidewirtschaft schildert der Verfasser Aufbau und Entwicklung der sogenannten weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung und ihre Folgen für die Landwirtschaft. Dabei nehmen Frankreich, Holland, Dänemark und Russland im Spiegel ihrer Agrargeschichte plastische Gestalt an. Monokulturen und Hungerzonen der Erde werden in ihrer Entstehungsgeschichte offenbar. Der Leser gewinnt ein tieferes Verständnis für die russische Revolution und ihren Zusammenhang mit der britischen Wirtschaftspolitik. Was bisher als scheinbar nicht zusammengehörig im Bewusstsein getrennt wurde, findet in dieser Untersuchung seine Zuordnung im weltwirtschaftlichen Geschehen der letzten 500 Jahre. Das britische Weltreich wird verfolgt bis zum Rückzug aus der von England ausgelösten weltweiten Arbeitsteilung auf die Autorisierung des Empire durch die Verträge von Ottawa. — Wer sich mit den Fragen der Welternährung, der Agrar- und Wirtschaftspolitik beschäftigt, kann an diesem Werk nicht vorübergehen, weil es die Hintergründe der internationalen Wirtschaftsverflechtung, wie sie durch den Kapitalismus zustande gekommen ist, aufdeckt und als die Voraussetzung darstellt, unter der heute jede Nahrungsfreiheit aller Völker bedachte Politik beginnen muss. Die Ergebnisse der Untersuchung sind gründlich unterbaut, nicht zuletzt durch statistisches Material. Das Ganze wird dem Leser anschaulich gemacht durch eine reiche Ausstattung des Textes mit graphischen Darstellungen, Schaubildern und Übersichten. Das Buch ist besonders aktuell zu einem Zeitpunkt, da „unsere Getreidevorräte in der Bundesrepublik beginnen, US-amerikanische Ausmaße anzunehmen", und wir zugleich in den Anfängen einer weltwirtschaftlichen Krisensituation stecken.

 

Seite 12   Dr. Pockrandt 70 Jahre

Am 25. März 1958 vollendete Dr. Paul Pockrandt in Heddesen über Detmold (Lippe) sein 70. Lebensjahr. Er stammt aus einem altpreußischen Bauerngeschlecht.

 

Gleich nach der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten begann im Herbst 1945 Dr. Pockrandt mit der Sammlung der Heimatvertriebenen. Im Mai 1948 wurde Dr. Pockrandt Gründer der Kreisvereinigung der „Interessengemeinschaft der Ostvertriebenen" in Detmold, deren erster Vorsitzender er bis 1952 war und deren zweiter Vorsitzender er noch heute ist.

 

Die Landsmannschaften Ostpreußen und Westpreußen verdanken ihm ihre Mitbegründung. Heimatkreisvertreter des Kreises Rosenberg ist Dr. Pockrandt seit der Gründung bis heute, auch der Begründer der Patenschaft Halle (Westfalen) für diesen Heimatkreis. In der ersten Wahlperiode war der Jubilar Kreistagsabgeordneter des Kreises Detmold und Gemeinderatsmitglied in Hiddesen. Seit 1949 betätigte er sich als Mitglied der Beiräte für Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen im Lande Nordrhein-Westfalen, ferner als Vorsitzender des Kreisbeirates Detmold sowie als Mitglied des Wohnungsausschusses und des Landwirtschaftsausschusses des Landesbeirates.

 

Seit Februar 1952 wirkt Dr. Pockrandt als einstimmig gewählter Landesobmann der Landsmannschaft Westpreußen — Landesgruppe Nordrhein-Westfalen — und seit 1954 als Mitglied des Bundesvorstandes der Landsmannschaft Westpreußen in Lübeck.

 

Der Verband der Landsmannschaften hat dem Jubilar die besten Glückwünsche übermittelt.

 

Seite 12   Pater Reichenberger 70 Jahre alt

Am 5. April 1958 beging der bekannte Vorkämpfer um Recht und Freiheit, Dr. h. c. Emanuel Reichenberger, den man den Vater der Heimatvertriebenen nennt, seinen 70. Geburtstag. Der Jubilar wurde am 5. April 1888 in Vilseck (Opf.) geboren und am 14. Juli 1912 in Leitmeritz (Sudetenland) zum Priester geweiht. Er hat sich nach dem Krieg und der Vertreibung seiner Landsleute als mannhafter Streiter in Wort und Schrift um Recht und Freiheit nicht nur für seine sudetendeutsche Wahlheimat, sondern für alle Völker eingesetzt, die in Unfreiheit leben müssen. Als Anwalt der Heimatvertriebenen bekannt geworden, gehört Pater Reichenberger, dem die Universität Graz das Ehrendoktorat der Theologie verlieh, mit zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der ostdeutschen Heimat der neueren Zeit. „Ostdeutsche Passion" war seine erste Anklage an die Welt. Ihr folgten in rascher Folge weitere Publikationen, wie „Europa in Trümmern", „Fahrt durch besiegtes Land" und „Wider Willkür und Machtrausch".

 

Seite 12   In lärmender Stadt. Von Fritz Kudnig.

Das Leben lärmt. Doch kann es mich nicht stören?

Ich weiß, dass wir zwei Welten angehören —

meist einer lauten, doch auch einer stillen,

wenn wir sie bauten uns mit wachem Willen.

 

Nun leb ich, voll bewusst, im Bann der beiden,

Und wenn die laute übervoll von Leiden,

sie führten heimlich mich auch in die Tiefen,

in denen meine reinsten Kräfte schliefen.

 

So kann ich in der lauten Welt nun leben,

so sehr ich jener stillen bin ergeben.

Froh wuchs mir aus der Wunderwelt des Stillen

Kraft, mich auch in der lauten zu erfüllen!

 

Seite 13   Das Lied - Kraftquell der Heimat. 4. Gemeinschaftskonzert der Ostdeutschen Chöre in Düsseldorf

Das 4. Gemeinschaftskonzert 1957/1958 des Verbandes der Ostdeutschen Chöre, Bezirksverband Düsseldorf, das im Altenhof in Mühlheim-Ruhr veranstaltet wurde, zeigte wiederum, wie ein natürliches Kulturbedürfnis und vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl die Sänger und Sängerinnen anregt, den Heimatgedanken im Lied zu pflegen.

Beteiligt an den Darbietungen waren der von Elis. Walter geleitete Schlesierchor Essen-Werden, der Frauenchor der Siebenbürger-Sachsen Oberhausen mit seinem Dirigenten Edgar Lieb, der Schlesierchor Mühlheim-Ruhr unter Leitung von Dr. Karl Pifke, der Ostlandchor Krefeld und der BvD-Chor Oppum mit Theo Flecken im Dirigat und der Chor der vereinigten Landsmannschaften Mülheim-Ruhr, ebenfalls von Edgar Lieb geführt.

Das Streichquartett Mülheim Ruhr (K. Koch, H. Matäus, H. Kolkmann, A. Pikave) eröffnete die Vortragsfolge. Der Landesverbandsvorsitzende des Verbandes der Ostdeutschen Chöre sprach die Begrüßungsworte. Er gab außerdem einen kleinen Überblick über die Arbeit und Aufgaben des Verbandes. In Anerkennung seiner Verdienste um die Pflege des ostdeutschen Volkstums wurde Dr. Schnabel während des Konzertes die silberne Ehrennadel der Landsmannschaft Schlesien verliehen.

 

Es versteht sich, dass die Chöre hauptsächlich Sätze von ostdeutschen Komponisten sangen. Im Vordergrund standen dabei Kompositionen von Gerhard Strecke, die sich immer mehr im rheinischen Raum durchsetzen und mittlerweile auch im Rundfunk ihren festen Platz erhalten haben, und von Walter Hensel, der sich wirkliche Verdienste um die Erforschung des deutschen Volksliedes erworben hat. Zieht man die Grenzen nicht zu eng, so gehört auch Walter Rein (Erfurt) noch zu den ostdeutschen Musikern, die zusammen mit Felix Oberborbeck, Lothar von Knorr u. a. dem Volkslied wieder eine Bedeutung gegeben haben.

 

Die Leistungen der beteiligten Chöre verdienen größte Anerkennung. Die anspruchsvollste Musik hörte man von dem Schlesierchor Essen-Werden, der sich eingehend mit den Werken Gerhard Streckes befasste. Unter der Leitung von Elisabeth Walter deklamierte er ungewöhnlich gut und kraftvoll seine Dynamik und war bis ins Feinste nuanciert und spannungsvoll.

 

Erwähnenswert ist die „Bühnendekoration", die diesmal einmal ganz anders als gewohnt gestaltet war: Ein ungewöhnlich freundliches Bild boten zu beiden Seiten der Bühne schmucke ostdeutsche Trachtengruppen, die den Chorgemeinschaften einen lebendigen, heimatlichen Rahmen gaben. M. J.-F.


 

 

Seite 13   Ausstellung des ostpreußischen, Malers Hans Wolfgang Schulz

Im Institut Francais de Berlin, Kurfürstendamm 211, wurde vom 26. Februar bis 16. März die erste größere Berliner Ausstellung von Bildern und Lithographien des Künstlers Hans Wolfgang Schulz veranstaltet. Dieser wurde am 29. November 1910 in Insterburg in Ostpreußen geboren und stammt von einer ursprünglich in Pommern ansässigen Familie ab. Er studierte an der Berliner Hochschule für bildende Künste bei Rudolf Großmann und Heinrich Kamps und wurde Schüler bei Adolf Strübe. Wertvolle Anregungen erhielt er als Künstler auf Reisen, die er in den dreißiger Jahren nach Italien und Finnland und nach 1949 nach Frankreich, Holland, der Schweiz, England und Skandinavien unternahm. Er hatte als Soldat am zweiten Weltkriege teilgenommen und konnte erst 1949 aus russischer Gefangenschaft nach Berlin zurückkehren. Hier wurde ihm eine Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule übertragen, die ihm noch Zeit genug ließ, sich weiter der eigenen Malerei zu widmen. Für die ihm inzwischen unerreichbar gewordenen, liebgewonnenen Gegenden am Ostseestrand fand er einen Ersatz auf der in ihrer Ursprünglichkeit erhaltenen Insel Bornholm, die er seit 1955 alljährlich besucht und in ihrer Größe und Sprödigkeit, zum Beispiel als „Blaue Stubben" oder „Einsamer Strand" malte. Er übte seine Kunst vorwiegend im Freien aus und stellte die von ihm mit dem Auge erlebten Naturerscheinungen entsprechend seiner persönlichen Eigenart dar. Seine Kompositionen streifen dabei das Abstrakte, zum Beispiel im „Mondfels" aus dem Jahre 1956, ohne dass dadurch die Wirklichkeit aufgegeben wird. Die Formengebung ist kräftig, ebenfalls ganz persönlich und wahrt die verschiedenen Valeurs. Eine große Wirkung übt seine „Gedächtniskirche vor rotem Himmel" aus dem Jahre 1953 aus, und sein etwas früher gemaltes Bild „Notre Dame Paris" wurde vom Berliner Senat für die Galerie des 20. Jahrhunderts erworben.

 

In Paris wandte sich der Künstler in den Werkstätten von Mourlot auch der farbigen Lithographie zu, durch die er, wie es die Blätter „Möwen blau" in drei Farben und „Kind mit Ziege" in vier Farben zeigen, durch zarte Töne pulsierendes Leben erzielt.

 

Mehrfach erhielt das Schaffen von Hans Wolfgang Schulz auch eine äußere Anerkennung. Im Jahre 1953 wurde ihm ein Preis im Graphik Wettbewerb „Berlin" und 1954 der Cornelius Förderpreis der Stadt Düsseldorf verliehen. Charlotte Steinbrucker.

 

Seite 13   Erzähler-Wettbewerb des Bertelmann Verlages

Drei Preise in Höhe von 3000 DM, 2000 DM und 1000 DM sind in einem Erzähler-Wettbewerb für deutschsprachige Autoren ausgesetzt, der soeben vom C. Bertelsmann Verlag ausgeschrieben wurde. Über die Verteilung der Preise entscheidet eine fünf köpfige Jury, der Günter Blöcker, Hans Weigel, Joachim Günther, Dr. Rudolf Hartung und Dr. Wolfgang Strauß angehören. Die von ihnen ausgezeichneten Erzählungen und Novellen sollen 1959 in der Reihe „Das Kleine Buch" veröffentlicht werden. Einsendeschluss ist der 30. September 1958; die Verkündung der Ergebnisse erfolgt am 1. Februar 1959. Die näheren Bedingungen des Preisausschreibens sind beim C. Bertelsmann-Verlag, Gütersloh, anzufordern.

 

Seite 13   Eichendorff-Museum geöffnet

Das Deutsche Eichendorff-Museum in Wangen im Allgäu ist seit dem 10. März wieder für das Publikum geöffnet. Als wertvolle Leihgabe hat es eine erst kürzlich aufgefundene Abhandlung des Dichters über das Thema „Der Adel und die Revolution" erhalten.

 

Seite 13   Anlässlich des 100. Geburtstages von Lovis Corinth wurde in der Bremer Kunsthalle eine große Gedächtnisausstellung eröffnet, die einen Querschnitt durch das Lebenswerk des Künstlers vermitteln soll.

 

Seite 14   Herbert M. Mühlpfordt. Der Saturgus‘sche Garten. In Memoriam Walter Pirsch. 2. Folge.

In den Park der Gegenwart zurückgekehrt, findet unser suchendes Auge, fast versteckt unter Buschwerk und Bäumen, eine kleine Gartenlaube, an deren Wänden Alt-Königsberger Stiche hängen. Von hier zieht durch die ganze Breite des Grundstückes ein hochgewölbter dichter Lindenlaubengang, durch den nur spärliche Sonnenkringel fallen und auf den in ihm stehenden weißen Gartenbänken spielen. Herrlicher Vogelsang erfüllt die sommerliche Stille des Gartens; denn in diesem Laubengang nisten unzählige Singvögel, nur gelegentlich durch eine Katze erschreckt.

 

Wandern wir diesen paradiesischen Gang entlang, so liegt rechts der Platz des Heckenirrgartens, der in unserem Jahrhundert verfallen, dafür aber von zahllosen blauen Glockenblumen übersät ist, die an das blaue Wunder des Warnicker Parks im Juli erinnern. In seiner Mitte steht ein aus Felssteinen erbauter Turm mit einer, ihn in Schraubenlinie umkreisenden steinernen Rinne, in der das aus dem Turm spritzende Wasser wie eine silberne Schlange unten in ein Becken gleitet.

 

Natürlich durfte hier auch der den Dreizack schwingende Neptun nicht fehlen. Ihn stellte die dritte Wasserkunst dar; seine linke Hand hielt eine Amphora, aus der in breitem Strom das Wasser in ein Becken floss; zwei Nymphen belebten die Gruppe. Sie stand einst in dem 1803 abgebrannten Gartenteile und hatte die Feuersbrunst als einziges Stück überlebt. Wie wir aus dem Gedicht des Wasserpoeten wissen, enthielt er sonst noch einen hohen Aussichtsturm, einen Teich mit exotischen Fischen und Grotten mit Zwergen und allerlei Getier.

 

Am Ende des langen Laubenganges steht ein halboffenes tempelartiges Gartenhäuschen mit tiefblau gefärbter gewölbter Hinterwand und Kuppel. Von diesem azurnen Hintergrund heben sich die Büsten Goethes und Schillers ab, an ihren Geburtstagen mit Blumensträußen unbekannter Hand geschmückt.

 

Nicht weit davon lag der große, von Obstbäumen umgebene Rasenplatz. Gegenüber stand eine fünfeckige Gartenlaube, mit bunten, bleiverglasten Fenstern. Auf zwei Konsolen thronten in ihr die Büsten Kants und Herders und an den Wänden hingen kleine Bilder, London und Antwerpen zurzeit der Saturgus darstellend.

 

Hier war dar Schauplatz gelegentlicher intimer Konzerte; in der Laube saßen die Künstler, während sich die Zuhörer auf dem Platze niederließen. Diese Konzerte wurden so eingerichtet, dass sie kurz vor 9 Uhr beendet waren, damit der Choral vom Schlossturm „Nun ruhen alle Wälder" in dem still gewordenen Garten sein Amen sprach. Die letzte derartige Abendmusik wurde zu Johanni 1944 veranstaltet. Eine Lautensängerin sang alte Minnelieder so schön, dass die schlafenden Vögelchen erwachten und mitflöteten. Damals ahnte noch niemand, dass zwei Monate später die ganze Rokokoherrlichkeit mit all ihrer liebevollen Gepflegtheit von zwei Jahrhunderten ein Opfer englischer Phosphorbomben werden sollte.

 

Nicht weit von hier lag vor Blumenbeeten ein Gartenplatz mit Rondell und den Statuen der vier Jahreszeiten, kraftstrotzenden Knabengestalten, die zwischen 1749 und 1754 geschaffen wurden.

 

Von hier führte ein kleiner Weg zu einem rohen Holzbau mit Satteldach und einem kleinen Dachreiter darauf. Nur an der Vorderseite hatte es eine Tür und zwei gemalte Fensterchen. Öffnete man diese Tür mit dem großen Schlüssel und riss sie rasch auf, so erschraken die Besucher gewöhnlich tief, denn sie sahen im plötzlich einfallenden Licht einen alten in eine härene Kutte gehüllten Mönch mit langem weißen Bart vor einem Tische sitzen, der in einer aufgeschlagenen Bibel eifrig las, während die linke Hand die Schnur des Glöckchens im Dachreiter hielt, die nun zu läuten begann.

 

Erst nach Abklingen des Schreckens sah man, dass der ganze Spuk kunstvoll aus Werg und Wachs geschaffen war.

 

Vor dem Klausner auf dem Tische stand ein Rabe, ein Pinienzapfen — als altchristliches Symbol des Lebensbaumes — und ein Totenschädel, auch eine Spendenbüchse fehlte nicht. Der ganze Raum war mit Moos ausgeschlagen, an der Längswand befand sich das Lager, an der gegenüberliegenden Wand ein Altar, vor dessen Kreuz reichliche Liebesgaben lagerten: Brot, Früchte, Rüben u. a. Eine lange Inschrift hinter dem Altar besagte, dass dieses Häuschen dem Justitiarius Kuhnke am 11. Januar 1810 von seinen Freunden zum 80-jährigen Geburtstage als Geschenk und Menetekel errichtet worden sei. An den Wänden ringsum hingen kleine schwarze Tafeln, auf denen jeder der spendenden Freunde einen frommen Spruch beigesteuert hatte. Gegenüber der Tür hing das Bild eines Eremiten mit Totenkopf.

 

Uns mutet ein sonderbares Geburtstagsgeschenk reichlich romantisch an, aber es war eben die Zeit der Romantik, und man liebte es, an Orten der Freude und Lust an Tod und Vergänglichkeit zu gemahnen. Man nahm das damals sehr ernst. Es gab in Königsberg in einer Reihe von Gärten auf den Hufen und anderswo mehrere solcher „Eremitagen", noch am Ende des 19. Jahrhunderts sollen vor dem Königstor zwei solcher Eremiten „gehaust" haben.

 

Hinter dem Klausnerhäuschen trennte eine hohe Hecke den Park von dem anstoßenden, dem Gärtner zur Nutznießung überlassenen Küchengarten. Über dessen Zaun grüßten die hohen Fachwerkspeicher mit ihren Gewindeerkern und spitzen Dächern malerisch herüber.

 

Von ihnen gehörte der „Kleine Schäferspeicher" zum Besitz des Zschockschen Stiftes. Er hatte seinen Namen von dem einst hier stehenden Schäferkruge und war mit seinem zierlichen Fachwerk der hübscheste aller Altstädtischen Speicher, auch ein Kind des Rokoko. Er war bereits von den Brüdern Saturgus erbaut.

 

In den parkartigen Gartenteil zurückgekehrt, gehen wir an einem Blumenbeet vorbei, in dessen Mitte eine alte Sonnenuhr prangt, die geduldig ihre Pflicht tut. Zwei große in Sandstein ausgeführte Blumenvasen nahebei zeigen auf ihren Sockeln das Saturgus'sche Wappen: Drei Sterne auf einem heraldisch umrahmten Felde. Auch diese Sterne gingen unter, wie der ganze Garten, und heute schwebt über allem das melancholische „Es war einmal".

 

Der heutige Mensch in seiner phantasielosen, unidealen Einstellung ist nur zu sehr geneigt, diese Rokokoscherze, besonders auch die Wasserkünste, mit überlegenen oder verächtlichen Lächeln des Epigonen als Kindereien abzutun, ohne zu ahnen, wieviel Geld, Mühe und Ärger diese damals hoch im Ansehen stehenden Spielereien die Gartenfreunde kostete.

 

Saturgus musste, um seine Wasserkünste springen zu lassen, auf dem Neuroßgärter Kirchenberge ein Stück Land erwerben, auf dem eine kleine Quelle hervorsickerte. Er ließ sie weiter erbohren und durch große Holzröhren nach seinem etwa 40 Meter tiefer gelegenen Grundstück führen. Auf diesem fast einen Kilometer langen Wege musste die Leitung öffentliche Wege und viele fremde Grundstücke durchschneiden; von jedem derselben musste sich Saturgus die Gerechtigkeit erwerben, ein Rohr durchzuführen, was schon erhebliche Kosten veranlasst haben dürfte. Nach der Inflation 1923 fanden sich bei der Bereinigung dieser Grundbücher noch zahlreiche solcher Gerechtigkeiten vor.

 

Das Vergnügen, ein vorzügliches eigenes Quellwasser auf seinem Grundstück zu besitzen und mit ihm seine Wasserkünste zu speisen, war Saturgus also keineswegs vom Himmel geschneit.

 

Unter Kuhnke verfiel die Wasserleitung, aber Carl Friedrich Zschock stellte sie mit ebenfalls hohen Kosten und reichlichem Ärger wieder her. Es war darüber im verbrannten Archiv des Stiftes eine umfangreiche Akte erhalten, aus der hervorging, dass er damals einschließlich aller Prozesse 32 000 Mark in diese Liebhaberei gesteckt hatte.

 

Nach dem 1. Weltkriege waren alle Spielereien wieder verfallen. Die berufenen Hüter der Zschockschen Stiftung, die seltsamerweise bis 1810 „Assessoren" hießen und alle fünf Jahre von dem Vorsteheramt der Kaufmannschaft, später von der Industrie- und Handelskammer, bestätigt oder neu ernannt wurden, fanden sich durch die Inflation und die Entwertung der Hypotheken und sonstigen Geldanlagen nicht mehr hindurch. Deshalb übertrug das Vorsteheramt das dornenvolle Amt der Stiftsvorsteher jüngeren Kräften: dem Getreideexporteur Carl Neumann, dem Getreideimporteur Walter Pirsch und dem reichen Getreidekommissär Curt Laubmeyer.

 

Der Tatkraft und dem Weltblick dieser drei Männer gelang es, aus der Inflation ein Kapital von 200 000 RM zu retten. Die beiden unbelasteten Speicher „Kleiner Schäfer“ und „Die große Hoffnung" brachten wieder stabiles Geld ein. Damit wurden im Laufe der Jahre der verwilderte Garten, die Bänke, Tische und Lusthäuschen im alten Stile wieder hergestellt. Der Eremit erhielt durch den Königsberger Maler Carl Bublitz ein neues Gesicht, die Saturgusschen Wappen wurden neu gemeißelt, der Bildhauer Threyne fertigte die zerbröckelnden Sandsteinfiguren neu an, während die Originale ins Stadtgeschichtliche Museum wanderten. Die Muschelgrotte wurde von Schülern der Kunstakademie erneuert, die Tempelchen mit schönen alten Radierungen geschmückt.

 

Es fehlte im Sommer 1944 nur noch der Anschluss der Wasserkünste an die Städtische Wasserleitung und die Erneuerung des Heckenirrgartens. Dies war für 1945 geplant. Damit wäre gemäß dem Testament der drei Schwestern Zschock der alte poesievolle Zustand wiederhergestellt worden. Das Schicksal hatte es anders beschlossen.

 

Seite 14   Krokus. Von Josef Schneider.

Kelchgefäß der ersten Frühlingsfrühe

Aus der Erde kaum erwachtem Schoß,

Zartes Flämmchen über aller Mühe,

Lockung, dass das Leben wieder blühe

Nach des Winters Nacht ins bessre Los...

 

Strahltest Reinheit, schön und farbenprächtig,

Dunkelblau und gelb und weiß wie Schnee.

Kündest, dass die Welt, noch winternächtig,

Tilgte alle Schuld. Dass jung und mächtig

Alles Totgeglaubte aufersteh'.

 

Kelchgefäß der ersten Frühlingsfrühe

Aus der Erde kaum erwachtem Schoß,

Zartes Flämmchen über aller Mühe,

Lockung, dass das Leben wieder blühe

Und das Herz sich öffne makellos.

 

Seite 14   Käthe-Kollwitz-Ausstellung in New York

In der New Art Center Gallery in New York fand im März dieses Jahres eine Ausstellung von Graphiken und Handzeichnungen von Käthe Kollwitz statt. Darüber schreibt Dore Ashton in der „New York Times":

„Als ihr Zorn und ihre Verzweiflung den Höhepunkt erreicht hatten, fand Käthe Kollwitz in ihren Zeichnungen den weiten prophetischen Ausdruck, der ihren Namen unsterblich macht. Für das Grauen des Krieges, für das Elend, die Leiden und ihre furchtbaren Folgen fand ihr Zeichenstift einfachste Linien — wenige weiche Striche, ein paar fliehende Schatten. Und doch waren die hungernden Mütter, die Gespenster des Todes, die ihre Hand zu bannen verstand, von einer grausigen und unvergesslichen Realität.

Die Ausstellung in der New Art Center Gallery bringt eine große Anzahl Drucke und einige Zeichnungen, angefangen von den frühen Illustrationen der Bauernunterdrückungen, die einen mehr traditionellen Stil beweisen, bis zu den letzten erschütternden Bilddokumenten des menschlichen Daseins“.

 

Seite 14   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (55)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Was is dies Jahr bloß mittem Friehling? Er will und will nich kommen. Mir hubbert wie all lang nich mehr, und de Emma, was meine Frau is, klappert mittes Gebiss. Dabei is nu all Ausgang März, und dem Osterhas verklamt der Dups beim Eierlegen. Zustände sind das, sag ich Ihnen, Zustände --! De Kohlen und de Briketts sind all bald aller, und im Rundfunk sagen se jedem Tag: „Hoch! Hoch!" Rein wie zu Haus aufe große Bauernhochzeit. Bloß dem Maitrank muss einer selbst bezahlen, und zu mehr als ein Tulpche de Woch haut es bei die Rentendittchens leider nich aus.

 

Wenn ich anne Kohlen denk, denn denk ich immer auch gleich annem alten Aschmoneit. Wissen Se, der hädd in Königsberg, wo wir zuletzt wohnden — de Emma war das ganze Leben e bissche ieberkandidelt und hädd dem Drang nach die Großstadt —, e Pferdche und e klabastrigen Wagen. Mit die fuhr er Kohlen aus, und wir geheerden e paar Jahre zu seine Stammkundschaft. Er kam regelmäßig und brilld: „Ko — Ko Kohlen!" Er stotterd nämlich sehr, aber das war die Kohlen eingal. Mit eins gab es keine Kohlen nich mehr, sondern bloß noch Briketts. Und da lauerden wir aufen alten Aschmoneit wie e Kiekel opp Schnodder, aber er kam und kam nich. Wir kickden uns de Augen außem Kopp, wir heizden bloß noch mit Grus, es war wirklich hechste Zeit, dass wir frisches Brennwerk kriegden; aber von Aschmoneit war nuscht nich zu sehn.

 

Da traf ich ihm inne Luisenallee, aber ohne Pferdche und Wagen. „Aschmoneit", sagd ich, „was bringst uns keine Briketts nich?" „Ich ka — kann nich", meind er, „ich ha — ha — hab dem Wagen verschei — schei — ert, und dem Pfe - pferdche haben se durche Wu — Wu — Wurstmaschien gedreht. Es war nich me — mehr meeglich. Wenn ich beim Brillen A — A — Anlauf nahm mit Br — Br — Br ---, denn blieb immer das krä — krä — krätsche Pferd stehn“. Ja, so kam der Aschmoneit um seinen Nebbenverdienst.

 

Und wenn Friehjahr is, wo de Kinder inne Schul versetzt werden oder hucken bleiben, denn fällt mir jedes Mal unser alter Lehrer Butkat ein. Wissen Se, der hädd fuffzig Jahre in unser Dorf de Jungens de Bixen stramm gezogen und ihnen das Schreiben und Rechnen beigebracht. De Mergellens kriegden mittes Lienjal aufe Hand, wenn neetig war. Daher wollden se ihm bei die Pängsjonierung dem Roten Adlerorden vierter Klasse umme Gurgel bammeln. Aber er nahm ihm nich, er sagd, er hädd immer pinktlich seinem Gehalt gekriegt, und das geniegt. Alle Männer innes Dorf zogen vor ihm de Mitz, und de Frauens sagden: „Guten Tag, Herr Lehrer", denn se kannden ihm ja aller von kleinauf und waren aller bei ihm inne Schul gegangen.

 

Aber er war nich bloß der Herr Lehrer, sondern er war wie e guter Vater fieres ganze Dorf. Was hädd er nich alles fier Pflichten iebernommenl Er war Standesbeamter und hädd die neie Erdenbirger innes große, schwarze Buch eingetragen, er hädd die junge Paare getraut, und wenn einer de Klumpen aufgesetzt hädd, denn hädd er ihm besungen. Er war Schiedsmann, und wenn de Leite sich beschimpfden, denn lächeld er bloß und ließ ihnen orndlich austoben. Und denn zuletzt wurd er grob und hadd se besackt, dass kein Hundche nich mehr e Stickche Brot von sie nehmen wolld. Dabei sagd er Du, das war wirksamer. Und er ließ se nich frieher auße Stub raus, bis se sich wieder vertragen hädden.

 

An seinem kleine Haus'che, wo er sich zusammengespart hädd, hing e blau angestrichener Briefkasten, denn er war auch Leiter von die Posthilfsstelle und auf die Art sozusagen mein Kollege. Aber mehr wie Briefmarken und Postkarten verkaufen konnd er nich, mit Einschreiben und Postanweisungen war ich ihm ieber. Wenn einer einem Kuiegel geschlacht hädd, ging er mittem hellgelben Holzkasten hin. Da war e Mikrofon drin, und mit dem suchd er Trichienen. Dafier brachden se ihm denn e bisschen Leberwurst und Gritzwurst zum Schmecken. Natierlich war er auch Rendant von die Gemeinde- und die Schulkasse, wo er de Dittchens zusammenhield. Und de Annahmestelle von die Kreissparkasse hädd er auch. Er nahm das sehr genau wie alles in seinem Leben. Wenn der Parplies drei Monate nuscht eingezahlt hädd, ging er einfach hin und hielt ihm seinem Buch und seinem leichtsinnigen Lebenswandel vore Augen. So kamen se mitte Zeit aller e bissche zu Geld und waren ihm dankbar.

 

De Kerdels mißden aller im Gesangverein rein, und da hat er ihnen mitte Stimmgabel diregiert. Wenn e falscher Ton zwischenkam, sagd er: „Das is nich so wichtig. Hauptsach, Ihr sperrt das Maul groß auf, dass Ihr zu heeren seid“.

 

„Ach Gottche, was war er nich noch alles, unser guter alter Herr Lehrer! Wahlversteher und Schöffe beies Gericht, Berichterstatter fiere Zeitung, Hauslehrer beim Oberförster seine beiden Bälger. Er missd zu freien gehn und Festreden halten, er machd fier alle Leite schriftliche Eingaben bei die Beheerden. Wenn e Kind krank wurd, missd er Fieber messen und wussd e Haufen Hausmittel gegen Kolik und Reismatismus. Von die Apotheker-Gifte hield er gar nuscht, das war fier ihm rausgeschmissnes Geld. Er nahm aber gern einem gegne Wirmer, denn er war kein Spielverderber, bloß rauchen tat er nich. „Rauchen is schädlich", sagd er, „nehmt lieber e Schriefke oder steckt Eich e bissche Schiemannsgarn inne Back, wenn Ihr all ohne Tabak nich leben könnt. Rauchen verpestet die Lungen“. Und wie e Bauer ihm sagd: „Herr Lehrer, ich hab das ganze Leben geraucht und bin heite all achtzig Jahre alt", da meind er: „Du Dammlack, häddst nich geraucht, wärst vleicht all fimfundachtzig!"

 

Ganz unentbehrlich war er fiere Landwirtschaft. Wenn e Kuh vom frischen Klee aufgebläht war, dass einer Angst haben missd, se könnd aufplatzen, denn stach er mittes Messer rein und ließ de Luft ab. Und wenn e Kalb sich verschluckt hädd und an e Stick Bruk wirgen tat, dass ihm de Augen außem Kopp quollen, denn griff er rein im Schlung bis an Ellbogen! Aber wenn es zu glitschig war, dass er es nich fassen konnd, stoppd er dem Kalbche dem Daumen und dem Zeigefinger inne Nas und e umgekehrten Strohwisch im Rachen. Denn missd es schlucken, weil es keine Luft kriegd, und denn

rutschd meistens das Stick Bruk runter im Magen.

 

Er war ja selbst e guter Bauer und tat seine zwölf Morgen Schulland mustergiltig bewirtschaften. Sein Getreide stand immer, dass es e reiner Staat war. Und im Winter hat er fieres ganze Dorf und fiere Nachbardörfer Bruken- und Riebensamen außem Katalog verschrieben und in Achtel- und Sechzehntelpfundchens ausgewogen, wie jeder es gerad brauchd.

 

Ja, im Dorf ging nuscht ohne unserm alten Herr Lehrer, bloß, wie er mal Hebamm spielen solld, hat er entsetzt abgewunken. Mit die Zeit war er all sehr alt geworden, aber immer noch gut aufe Brust und aufe Fieße, bloß aufes Feld ging er nich mehr, weil er das Schulland an seinem Nachfolger abgegeben hädd.

 

Und ein Jahr im August, es war richtiges Austwetter und das ganze Dorf war draußen bei die Ernte, schlich er sich noch einmal inne Schulklass, wo er fuffzig Jahre Unterricht hädd. Er war ganz allein, aber im Geiste sah er noch einmal de Bänke voll kleine Bonskes und blonde Mergellchens. Deshalb wischd er mittem Schwamm de Tafel ab, wie er es so oft gemacht hädd und schrieb mit Kreide das Einmaleins mit vier auf. Scheen gerad stand eine Zahl nebne andre. Sieben mal vier gleich achtundzwanzig, acht mal vier gleich zweiunddreißig … Und denn hing er de Landkart iebre Tafel, nahm dem Zeigestock und erklärd de Kinder Siedamerika. Er ieberheerd ihnen, wie er es so oft gemacht hädd, und schimpfd laut, wenn einer nich de Antwort wussd. Denn wurd er mied, streicheld noch einmal de Tafel und huckd sich annes Pult. Und da is er denn eingeschlafen.

 

Wie se abends vonnes Feld kamen, fanden se ihm, dem Kopp aufem linken Arm gelegt, und er lächeld zufrieden und glicklich. Er war noch einmal Lehrer gewesen! Wir haben ihm aufem neien Kirchhof neben seine Frau begraben, und das ganze Dorf gab ihm das letzte Geleit, obwohl es in Ströme goss. Alle weinden, denn mit dem guten alten Herr Lehrer hädden se ihrem Vater verloren, und nu waren se verwaist.

 

Nehmen Se man nich iebel, liebe Landsleite, wenn mein Briefche heite traurig geraten is, aber es ieberkam mir so, und da mussd ich mir das einfach vonnes Herz und von die Seele schreiben. Das nächste Mal komm ich Ihnen wieder vergniegt und freehlich. Herzliche Grüße, und lassen sich nich im April schicken! Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger z. A.

 

Seite 15   Traditionelles Abiturienten-Treffen in Itzehoe. Wie feierte man „Abi" vor 50 Jahren — Erinnerungen an Königsberg.

Die Abiturienten von heute sollen die geistigen Vertreter des deutschen Volkes von morgen sein!" Mit diesen Worten begrüßte Schulrat i. R. Richard Grohnert, der Vorsitzende der Landsmannschaft Ost- und Westpreußens, die aus seiner Heimat stammenden Abiturienten der beiden Itzehoer Gymnasien bei einer Kaffeetafel in „Baumanns Gesellschaftshaus", die alljährlich von der Landsmannschaft veranstaltet wird und sich großer Beliebtheit erfreut.

 

Nach ernsten und mahnenden Worten wünschte der Vorsitzende den fast vollzählig erschienenen Abiturienten zu dem bestandenen Examen herzlich Glück und überreichte jedem von ihnen das heimatliche Zeichen der Abiturientenwürde, den „Albertus". Während der nun folgenden gemeinsamen Kaffeetafel schilderte Richard Grohnert in launigen Worten aus seiner Schulzeit vor dem ersten Weltkrieg, also vor ungefähr 50 Jahren, den Ablauf einer damaligen Reifeprüfung in Königsberg (Pr.).

 

„Schon beide Primen wurden damals von dem kommenden studentischen Leben beherrscht. Die Verbindungen ‚keilten' schon tüchtig bei den Primanern und luden sie zu kleinen Kneipabenden in die Verbindungshäuser ein. Dass natürlich auch von den beiden Primen zusammen zünftige Kommerse mit ‚Salamanderreiben', „in die Kanne steigen“ und sonstigen studentischen Bräuchen gefeiert wurden, war eine Sitte, die auch schon in den Sekunden und noch früher geübt werden ‚musste‘.

 

Mein erster Kommers stieg z. B. auf Obertertia. Jeder Oberprimaner hatte einen Unterprimaner als Leibfuchs. Die Leibfüchse verkehrten schon das ganze Jahr über in den Familien der Leibburschen. Am Tage der mündlichen Reifeprüfung standen die Leibfüchse mit den Eltern und sonstigen Bekannten vor der Schule und erwarteten ihre Abiturienten. Alle waren bewaffnet mit Alberten und Abiturientenmützen (entweder Stürmer oder Cerevis, roter Samt mit den Initialen und Eichenlaub in Goldstickerei).

 

Jeder Abiturient musste damals im Gehrock zur Prüfung erscheinen. Die Seidenklappen des Gehrocks, auch ‚Bratenrock' genannt, boten dann ausreichend Platz für die Alberten. Je nach der Zahl der Bekannten waren die Klappen voll oder weniger mit Alberten besetzt. War das „Abi“ früh zu Ende, ging es dann mit dem alten Herrn und dem Leibfuchs zum Frühschoppen in das „Blutgericht“, das damals seine Pforten schon um drei Uhr nachmittags schloss. Das Mittagessen wurde dann meistens in der Familie des Abiturienten eingenommen. Daraufhin Erholungspause bis zum Abend. Der nun steigende Abiturientenbummel durch Königsberg endete in den Morgenstunden im Café Bauer auf dem Paradeplatz.

 

Für den Heimweg wurden dann Pferdedroschken bestellt. Der jüngste Abiturient mit dem ihm von der Klasse gestifteten roten Zylinder musste zu dem ersten Kutscher auf den Bock. Mit großem Hallo setzte sich die Karawane in Bewegung, und nach vorher festgelegtem Plan wurde jeder den heimischen Pennaten wieder zugeführt. In jener Zeit hatten die Bewohner der Stadt noch Verständnis für solchen ruhestörenden Lärm. So mancher alte Herr, der darüber aufwachte, zog sich schmunzelnd in Erinnerung an sein eigenes Abi die Bettdecke wieder über die Ohren. In den nächsten Tagen stiegen dann der große Abiturientenkommers mit den Lehrkräften zusammen und der Abiturientenball“. Schulrat i. R. Richard Grohnert

 

Seite 15   Ost- und westpreußische Abiturienten an den Itzehoer Gymnasien.

Kaiser-Karl-Schule:

Hartmut Euringer, Sohn des Landwirtschaftsrates Dr. Euringer aus Liebenfels, Kreis Labiau, jetzt Itzehoe, Ölixdorfer Straße 106;

 

Jürgen Gruschel, Sohn des Croupiers Gruschel aus Zoppot, jetzt Hamburg 26. Carl-Petersen-Straße 24a.

 

Rainer Gentz, Sohn des Steuerberaters Dr. Gentz aus Marienburg, jetzt Itzehoe, Ochsenmarktskamp 27;

 

Hartmut Gerlach, Sohn des Reg.-Oberinspektors Gerlach aus Insterburg, jetzt Itzehoe, Ochsenmarkkamp 26;

 

Dietmar Kallweit, Sohn des Reg.-Oberinspektors Kallweit aus Rastenburg, jetzt Itzehoe, Langer Peter;

 

Manfred Peschties, Sohn des Bankinspektors Peschties aus Königsberg (Pr.). jetzt Itzehoe, Lornsenplatz 14;

 

Martin Reusch, geb. in Korschen, Kr. Rastenburg, jetzt St. Margarethen, Kreis Steinburg (Schleswig-Holstein).

 

Auguste-Viktoria- Schule:

Gisela Behrendt, Tochter des Mittelschulkonrektors Anton Behrendt, aus Kalkstein, Ostpreußen, jetzt Itzehoe, Buschkamp 5;

 

Helga Steinweg, Tochter des Lehrers Walter Steinweg aus Lötzen, jetzt Itzehoe. Timm-Kröger-Straße 6;

 

Sieglinde Geneé, Tochter des Mühlenbesitzers Geneé aus Darkehnen, jetzt Itzehoe, Adolf-Rohde-Straße 44;

 

Irene Josuttis, Tochter des Pol.-Meisters Josuttis aus Memel, jetzt Ottenbüttel über Itzehoe;

 

Christel Knop, Tochter des Müllermeisters Knop aus Osterode/Ostpr., jetzt Itzehoe, Dorfstraße 18;

 

Bärbel Pickert, Tochter des Rechtsanwalts Pickert aus Angerburg, jetzt Itzehoe, Königsberger Allee 60a;

 

Grit Schalkowski, Tochter des Mittelschulrektors Schalkowski aus Tilsit, jetzt Krempe-Grevenkop;

 

Christel Zelwis, Tochter des Kaufmanns Zelwis aus Königsberg, jetzt Itzehoe, Gr. Paaschburg.

 

Abitur bestanden

Hans Jürgen Probsthain, Sohn des Schotterwerksbesitzers Hans Probsthain aus Goldap/ Ostpr., bestand am 27. Februar 1958 an der Peter-Petersen-Schule in Hamburg die Reifeprüfung.

 

Seite 15   Aus den Landsmannschaften.

Flensburg

Bei der letzten Versammlung der Königsberger, verbunden mit einem Heimatabend, wurde Lm. Bocian wieder einstimmig zum Vorsitzenden gewählt, als Beisitzer Lm. Drengk und die Lmn. Dzeick und Buttler. Gesangliche Darbietungen und Rezitationen lockerten das Programm auf.

Die traditionelle Maifeier findet am 30. April statt. Gleichzeitig wies Lm. Bocian auf das große Heimattreffen der Königsberger am 1. Juni in Hamburg hin. Anmeldungen hierfür bis 15. Mai im Büro des Kreisverbandes der vertr. Deutschen, Flensburg, Große Straße 12.

 

Wilhelmshaven

Der letzte Abend der LO stand im Zeichen des Geburtstages von Agnes Miegel, die am 9. März 1958 ihr 79. Lebensjahr vollendete. Der Vorsitzende, Obermedizinalrat Dr. Zürcher, schöpfte seinen Vortrag aus tiefer Verehrung zu Agnes Miegel, der ‚Mutter Ostpreußen', und ihrem Werk, und eine sorgsame Auswahl aus ihren Gedichten und Balladen mit Proben aus ihrem Prosawerk vermittelten einen schönen Einblick über die Spannweite ihres dichterischen Schaffens.

Von den zahlreich erschienenen Teilnehmern der Gedenkstunde wurde eine künstlerisch gestaltete Glückwunschadresse unterzeichnet. Dr. Zürcher gab der Hoffnung Ausdruck, dass Wilhelmshaven recht bald dem Beispiel anderer Städte folgen und eine Straße nach Agnes Miegel benennen würde. Diese besinnliche Stunde wurde ergänzt durch die Vorführung einiger Kurztonfilme über die ostpreußischen Wälder, über die Stadt Königsberg, und ein Alpenfilm zeigte die Schönheiten dieser so ganz anders gearteten Landschaft.

Die nächste Zusammenkunft der LO findet am 21. April zu gewohnter Zeit statt.

 

Seesen a. H.

Vorschau auf die nächsten Veranstaltungen:

Am 19. April findet um 20 Uhr im Schützenhaus eine Kundgebung zum 10-jährigen Bestehen der Vertriebenenverbände statt. Als Redner konnte der Nds. Vertriebenenminister Höft gewonnen werden.

Am 3. Mai, 20 Uhr, im Ratskeller: Heimat-Quiz mit wertvollen Preisen für 15 Preisrätsel-Turniere. Sechs der Heimatquiz-Gruppen werden sich speziell an Jugend und Kinder vom zehnten Jahr ab, wenden. Es winken viele schöne Gewinne, wie Bücher und Karten der Heimat, Bernsteinschmuck u. a.

Am 15. Juni findet ein Ausflug zum Hermannsdenkmal (Teutoburger Wald), den Externsteinen, Detmold und Bad Pyrmont statt. Die Fahrkosten betragen 10 DM. Anmeldungen beim Heimatabend am 3. Mai erbeten, spätere Anmeldungen bei Elektro-Röder, Jacobsonstraße 13, Meldeschluss 31. Mai!

 

Lübbecke i. Westf.

Die Jugendgruppe der LO hatte den Vorsitzenden Lm. Hardt zu einer Vorlesung aus seinem neuen Novellenbande „Im Wandel der Tage" eingeladen. Der Abend stieß auf ein lebhaftes Interesse bei der Jugend.

Die letzte Veranstaltung der Ortsgruppe der LO brachte einen Filmabend. Neben zwei Heimatfilmen, der eine über Kopernikus, ein weiterer über die Kurische Nehrung, wurde ein Film über den jungen Staat Israel und dessen wirtschaftliches Aufstreben gezeigt.

 

Hof/Saale

Bei der letzten Monatsversammlung der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen berichtete der 1. Vorsitzende, Studienrat Bergner, nach der Begrüßung über die kürzlich stattgefundene Delegiertentagung des Landesverbandes Bayern. Besonders eindrucksvoll sei ein Referat des Sprechers der Siebenbürger Sachsen, Dr. Zillich, gewesen, in dem er u. a. die Frage stellte: „Was muss denn noch alles in Deutschland passieren, damit der Binnendeutsche merkt, dass sich der Wall von Reval nach Odessa um 1000 Kilometer nach Westen verschoben hat“. Der Vorsitzende wies noch auf das höchst aktuelle Buch „Das verlorene Gewissen" von Kurt Ziesel hin. Es bringt eine interessante Übersicht über heutige prominente Pressegrößen in den verschiedenen Abschnitten ihres Wirkens vor und nach 1945. Ein Farblichtbildervortrag über die Schönheiten der Hofer Umgebung beschloss den Abend.

 

Seite 15   Herkules – Hurra! Rößeler Patengymnasium in Meppen setzt ostpreußische Tradition fort.

Nun ist es wieder soweit. Die Oberprimaner der höheren Schulen haben es glücklich geschafft. Nach schweren, arbeitsreichen neun Schuljahren wurde die letzte große Geistesschlacht geschlagen. Tausende haben in den letzten Wochen und Monaten die Reifeprüfung bestanden und damit die Berechtigung zum Studium an den deutschen Hochschulen erworben. Gut gerüstet für den kommenden Lebensweg, haben sie Abschied genommen von der Schulbank, von der alten Schulgemeinschaft, um jetzt in eine größere Gemeinschaft einzutreten, in deren Dienst sie sich stellen wollen.

 

An dem Rößeler Patengymnasium in Meppen haben alle 32 Primaner die Reifeprüfung bestanden. Vier Primaner, darunter Hans-Joachim Losch aus Rößel, waren wegen guter Leistungen von der mündlichen Prüfung befreit worden. Am 8. März wurden die Abiturienten in einer Feierstunde von der Schule verabschiedet. Neben den Eltern der Abiturienten sah man zahlreiche Ehrengäste und Freunde der Schule. Mit dem Satz „Immer strebe zum Ganzen" eröffnete der Schülerchor unter Leitung von Studienrat Kolbe den Festakt. Oberstudiendirektor Dr. Knapstein (Meppen) umriss in seiner Ansprache die Aufgaben des heutigen Staatsbürgers und stellte die politische Bildung als wesentliches Merkmal staatsbürgerlicher Erziehung heraus. Oberkreisdirektor Dr. Stecker überbrachte die Glück- und Segenswünsche namens des Kreistages und der Beamtenschaft des Kreises Meppen und forderte die Abiturienten auf, den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zu bejahen und mitzugestalten und die Nöte der Zeit vom Geistigen her zu überwinden. Hans-Joachim Loch (Rößel) sprach als Sprecher seines Jahrgangs den Dank an Elternschaft und Schule aus und gab einen zusammenfassenden Überblick über die im Unterricht erarbeiteten Lebens- und Bildungs-Werte. Der sichere Weg der Schule sei beendet, ein jeder müsse jetzt seinen eigenen Weg gehen, der ihm eine größere Verantwortung aufbürde.

 

Eine besonders festliche Note erhielt die Feierstunde durch die Anwesenheit der Rößeler Schulvertretung. Studienrat Engelberg (Rößel) beglückwünschte im Namen des Rößeler Gymnasiums die Abiturienten und überbrachte dem jungen Rößeler Hans-Joachim Losch die besonderen Grüße der heimatvertriebenen Rößeler und der ostdeutschen Heimat. Er würdigte den Gedanken der Schulpatenschaft, durch den sich die Meppener Abiturientia geistig in die Gemeinschaft der Rößeler traditionsreichen Schule einordne und damit die Überlieferung des deutschen Ostens fortsetze. Voller Vertrauen und Zuversicht schauen die Rößeler auf diese junge Mannschaft, die sie voller Stolz auch als ihre Abiturienten betrachte.

 

Als Ausdruck der Verbundenheit mit dem deutschen Osten überreichte Studienrat Engelberg nach heimatlichem Brauch allen Abiturienten den Albertus. Zuvor verlas er eine von Oberlehrer Schmidt (Rößel) in künstlerischer Form angefertigte Urkunde, in der die erstmalige Verleihung des ostpreußischen Albertus für spätere Zeiten festgehalten wird. Oberstudiendirektor Dr. Knapstein, der als erster mit einer Alberte geschmückt wurde, erklärte freudig bewegt, dass diese Urkunde einen würdigen Platz im neuen Schulgebäude finden werde. Die Überreichung der Alberten wurde von den Geehrten und der ganzen Festversammlung mit großer Freude und im Geiste schicksalsbestimmter Zusammengehörigkeit aufgenommen.

 

Die Rößeler Abordnung, Fräulein Woytowicz (höhere Mädchenschule) und die Herren Raffel (Vertrauensmann zwischen dem Kreis Rößel und dem Patenkreis Meppen), Klafki und Engelberg (Gymnasium) verließen Meppen in der festen Überzeugung, dass diese Feierstunde die Bande zwischen dem Patengymnasium und den ehemaligen des Rößeler Gymnasiums enger und fester geknüpft habe. Dieses bedeutsame Ereignis wurde in der Meppener Presse und im Heimatfunk von Radio Bremen gewürdigt.

 

Seite 15   Das Ordensland deutscher Volksboden. Dr. Gaerte vor der Akademischen Vereinigung Ordensland in Hamburg.

Am 25. Februar hielt der Direktor des Königsberger Prussia-Museums, Dr. Gaerte, auf Einladung der Akademischen Vereinigung Ordensland in Hamburg einen Lichtbildervortrag vor Mitgliedern und Freunden dieses Vertriebenenkreises.

 

Dr. Gaerte führte aus, dass es zwar das Schwert der Ordensritter gewesen sei, das Ost-und Westpreußen dem Einfluss des Christentums und des Deutschtums geöffnet habe, dass aber erst die Besiedlung mit deutschen Bauern, Handwerkern und Kaufleuten das Ordensland zum deutschen Volksboden gemacht habe.

 

Es gibt viele Belege, dass die Siedler, geworben von den Lokatoren des Ordens, aus allen Gegenden Nord-, Mittel- und Süddeutschlands nach dem Osten strömten. Besonders eindrucksvolle Zeugnisse für die deutsche Besiedlung des Ordenslandes bietet die Volkskunde. Der Vortragende zeigte an Hand von zahlreichen Karten und Lichtbildern die Übereinstimmung von Mundart, Haus- und Siedlungsformen, Flurverteilung und Volksbräuchen zwischen Heimat- und Siedlungsgebiet.

 

Die preußische Urbevölkerung ist nicht, wie vielfach, insbesondere von polnischer Seite behauptet worden ist, mit dem Schwert ausgerottet worden. Zahlreiche Preußen sind unter der Ordensherrschaft im Lande geblieben und Christen geworden. Mehrere Ortsnamen mit dem Wortteil: Preußisch (Pr. Eylau, Pr. Holland, Pr. Stargard), manchmal zu den gleichen Ortsnamen mit „Deutsch" im Gegensatz stehend (Deutsch Eylau), lassen auf geschlossene preußische Siedlungen zur Ordenszeit schließen. Die überlegene deutsche Kultur, die nicht zuletzt ihren Ausdruck in der Verbreitung deutschen Stadtrechts bis weit in den polnischen und russischen Raum hinein findet, hat schließlich im Verein mit der harten kolonisatorischen Arbeit der Siedler dem Ordensland den Stempel eines deutschen Landes aufgeprägt, den es über sieben Jahrhunderte getragen hat. Erst in späterer Zeit haben Landesherren vereinzelt im Norden und Süden des Landes litauische und slawische Siedler aufgenommen, um die durch Krieg und Seuchen dezimierte Bevölkerung zu ergänzen. Diese Siedlungstätigkeit hat aber auf den deutschen Charakter des Ordenslandes keinen Einfluss mehr gehabt.

 

Reicher Beifall dankte dem Vortragenden für seine interessanten und überzeugenden Ausführungen, die überwiegend auf eigenen Forschungen beruhen. Die Zuhörer nahmen zahlreiche neue Beweise mit nach Hause, dass das Ordensland nach Besiedelung, Sprache und Kultur deutscher Volksboden ist.

 

Seite 16   Familienanzeigen

„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen“.

Heute jährt sich der Tag, an dem Gott, der Herr, meine innig geliebte Mutter Frau Witwe Hertha Willutzki, geborene Totzek, nach langem und schwerem, in Geduld ertragenem Leiden vor der Vollendung ihres 74. Lebensjahres zu sich in seine ewige Herrlichkeit nahm. In stillem Gedenken Rupprecht Willhardt-Willutzki, Pfarrer. Leichingen/Rheinland, den 11. April 1958 Bechlenberg 4a. (Früher: Königsberg v. Nikolaiken/Ostpreußen)

 

Am 26. Februar 1958 verstarb in Hamburg im 81. Lebensjahr Turnbruder Paul Kadereit. In seiner Geburtsstadt Insterburg begann er 1894 seine turnerische Laufbahn. Von 1899 bis 1910 wirkte er in Marienwerder und seit 1910 war er im Turn- und Fechtverein Danzig eines der eifrigsten Mitglieder, stets für die Gemeinschaft einsatzbereit, in den verschiedensten Ämtern, zuletzt als Vereinsführer bewährt. Seine Turnertreue wird als Vorbild weiterwirken. In herzlicher Anteilnahme an dem Schmerz seiner Familie geloben wir ihm ein ehrendes Andenken in der nordostdeutschen Turngeschichte. Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen. Wilhelm Alm

 

Seite 16   Turnerfamilie Ostpreußen – Danzig – Westpreußen.

Danzig

Anschrift: Wilhelm Alm, (23) Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33.

Herzlichste Glückwünsche zum Geburtstage allen Aprilgeborenen unserer Gemeinschaft! Namentlich seien besonders genannt:

 

am 27.04.1958: Eva Neubert-Benkmann (Zoppot), 30 Jahre;

am 01.04.1958: Anneliese Brack-Gollan (Tgm. Danzig), 40 Jahre;

am 05.04.1958: Martin Tomscheit (Allenstein), 50 Jahre;

am 09.04.1958: Erna Naumann-Werner (MTV Königsberg), 50 Jahre;

am 10.04.1958: Grete Tomuscheit-Grap (Memel), 50 Jahre;

am 12.04.1958: Manfred Weiß (KTC Königsberg), 50 Jahre;

am 26.04.1958: Paul Störmer (Bartenstein), 50 Jahre;

am 29.04.1958: Kurt Lompe (Lyck), 70 Jahre);

am 05.04.1958: Dr. Ernst Kätelhön (KMTV Königsberg), 75 Jahre;

am 08.04.1958: Rudolf Klug (Lyck), 80 Jahre;

am 24.04.1958: Hilde Tribukait (KMTV Königsberg), 80 Jahre.

 

Zur Eheschließung herzlichste Glückwünsche unserer Turnschwester Erika Moritz (Zoppot), jetzt Frau Erika Pelz, die am 18.03.1958 mit ihrem Gatten, Herrn Manfred Pelz, in Oldenburg (Oldb.) vor dem Traualtar stand.

 

Das X. Wiedersehenstreffen beim Deutschen Turnfest 1958 in München wird nach dem jetzt vorliegenden Hauptmeldeergebnis weit über 300 Turnerinnen und Turner aus unserer Heimat zusammenführen. Hoffentlich erhalten die 65 Schwestern und Brüder aus der Sowjetzone, die auch teilnehmen wollen, alle die Reisegenehmigung. Zu ihrer Unterstützung durch freies Quartier, freie Verpflegung, Bezahlung der Rückreise Turnfahrteinladung und ein bescheidenes Taschengeld rufe ich auch hierdurch nochmals zu einer freiwilligen Spende auf. Einzahlung auf mein Postscheckkonto Wilhelm Alm in Oldenburg (Oldb.) beim Postscheckamt Hannover Nr. 116 075. Neben den Münchenfahrern bitte ich vor allem auch diejenigen um Beteiligung hierbei, denen irgendwelche Gründe die Fahrt nach München unmöglich machen. Viele Wenige machen ein Viel! Jede einzelne Marke ist ein dankenswerter Zuwachs; sie bringt ein 65-faches Echo der Freude in das eigene Herz zurück.

Der IRO-Stadtplan von München mit den Außenbezirken, das hervorragende als dauernder

Reiseführer geeignete Turnfahrtenbuch (192 S. mit vielen Bildern). Turnfestpostkarten mit vorzüglichen farbigen Münchener Ansichten und ein Sonderfestabzeichen der Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen können bei mir bestellt werden, soweit die Beschaffung beim örtlichen Turnverein nicht möglich ist, Stadtplan 2,50 DM, Turnfahrtenbuch 2,-- DM (einschl. 50 Pf. Porto), 1 Mappe Postkarten (mit Umschlagkarte 6 Stück) 0,50 DM, das Sonderfestabzeichen 1,-- DM. Bestellung am einfachsten auf Zahlkartenabschnitt.

 

Sonderzugbenutzung nach München und zurück. Berichtigung der Mitteilung in der Märznummer der „Ostpreußen-Warte": Wer auf der Rückreise keinen Sonderzug benutzt, sondern nach dem Turnfest eine Turnfahrt mitmacht und dann auf Sonderzugkarte mit Ergänzungszuschlag die Heimreise in beliebigen planmäßigen Zügen ausführt, darf diese Rückreise entgegen meiner Ankündigung nicht unterbrechen. Umwegkarten kommen daher hierbei auch nicht in Frage. Bei weitem Reiseweg mit Besuchsaufenthalten auf Hin- oder Rückreise empfiehlt sich daher eine Rückfahrkarte mit der nach der Entfernung gestaffelten Ermäßigung (Reisebüro erfragen!). Bei Anfragen über Sonderzüge bitte Antwortkarte. Onkel Wilhelm

 

Heimatgemeinschaft Rößel (Förderring).

In Renten- bzw. Nachlassangelegenheiten werden gesucht Angehörige von:

1. Frau Erna, Liesbeth Radtke, geb. 15.12.1918 in Merseburg, letzter Wohnort Bischdorf, Kreis Rößel;

 

2. Franz Czichowski, geb. 28.05.1916 in Bansen, Kr. Rößel. Seine Mutter wohnte in Rößel, Fischerstraße 8;

 

3. Hermann Zuwachs, beschäftigt bei der Firma Lindemann in Rößel;

 

4. Paul Hering, Gastwirt und Pächter des Kurhauses „Rößeler Bär" am Legiener See.

 

Angaben und Hinweise an Lehrer E. Poschmann, Kisdorf über Ulzburg (Holstein).

 

Seite 16   Aus den Traditionsverbänden

Kameradschaft Luftgau I

Schriftführer: Kam. Wilhelm Gramsch, (20a) Celle Waldweg 83.

Veranstaltungen: Am Sonntag, 1. Juni 1958, veranstalten wir ein Sondertreffen in Hamburg, wo wir in der Ernst-Merk-Halle an der Feierstunde der Landsmannschaft Ostpreußen, Stadt Königsberg Pr., teilnehmen, und uns anschließend zusammenfinden. Das Trefflokal wird noch bekanntgegeben. Es ist beabsichtigt, ein weiteres Treffen im September in Göttingen abzuhalten.

 

Suchdienst:

Es werden in Versorgungsfragen gesucht:

Ehem. Angehörige der Bauleitung Dno bei Pleskau, ferner die Bauräte Heinle und Müller, die Baustellenleiter Sakrautzki von Jürgenfelde und Kurt Ossa von Schippenbeil, ferner der Angestellte Herbert Ossa von der Bauleitg, Gerdauen, von Arno Rehfeld, Ellwagen/Jagst, Priestergasse 19.

 

Vom Lohnbüro des Lgk. I die Angestellten Grollwitz, Hübner, Ing. Heinze sowie der Kraftfahrer Christeleit von Frau Elfriede Friedrich, Ulm/Donau, Römerstraße 169.

 

Ehem. Angehörige der Unterkunftsverwaltung Fl. H. Gutenfeld, u. a. Hans Gnosa, Ernst Klingebeil und Edeltraut Rohrmoser von Erna Fritzsche geb. Hinz, Dillingen/Saar, Heiligenbergstraße 59.

 

Ehem. Angehörige der IL Luftschutz-Instandsetzungsbereitschaft Königsberg/Pr., Luftschutz- Polizeikaserne Oberhaberberg 5, von Emil Idell, ehem. Polizei-Wachtmeister, Kiel-Pries, Friedrichsorter Straße 16.

 

Ehem. Angehörige der Stuka-Schule Wertheim, des Stuka-Geschwaders 101 und des Schlachtgeschwaders 103 von Eduard Schmidt, ehem. Stammflugzeugführer, Baden-Baden, Gasthaus .“Zum Fremersberg".

 

Kameraden! Die Kameradschaft des ehem. Luftgaues 8 ist auch eine Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb geworden und trifft sich in jedem Jahre in Rheinland-Westfalen. Wir wollen beweisen, dass wir es auch können. Daher erwarte ich euch alle am 1. Juni in Hamburg!

Wer auf Anfrage eine Antwort wünscht, der lege bitte das Rückporto bei!

 

Suchdienst des 5. AR 222

Gesucht werden folgende Angehörige der Einheit Fp.-Nr. 24 610c — 5. AR. 222, Norwegen-Balkan, aus den Orten Allenstein, Ortelsburg, Wittenberg, Gerdauen, Kl.-Genie, Grammen, Insterburg und Umgebung sowie Neidenburg, und zwar:

Walter Berkau,

Fritz Dublaski,

Emil Fidorra,

Fritz Frassa,

Fritz Gallonska,

Paul Guski,

Erich Karnowski,

Fritz Klonska,

Gustav Klonska,

Erich Kotowski,

Hans Kowatzki,

Paul Lumma.

Max Pallasch,

Emil Slomma,

Walter Sosnowski,

Erich Schlömp,

Emil Schulz,

Erich Treppner.

Gustav Wiwianka,

Otto Wiwianka,

Walter Ziep.

 

Traditionsverband der ehem. 291. Inf.-Div.

Unser 5. Divisionstreffen findet am 30. und 31. August in Bingen/Rhein statt. Über den Ablauf und die Gestaltung des Treffens wird in späteren Folgen dieses Blattes zeitgerecht berichtet werden. Meldungen werden schon jetzt erbeten an den 1. Vorsitzenden des Traditions-Verbandes, Oberst a. D. Kurt Illas, Oldenburg i. O., Bremer Straße 64.

 

Bund ehem. Prinz-Albrecht-Dragoner 1

Am 14. und 15. Juni findet in Minden i. W. unser 5. traditionelles Dragoner-1-Treffen statt. Kameraden mit ihren Angehörigen und Freunde werden dazu herzlichst eingeladen. Anmeldungen sind zu richten an Bruno Masurath, Hofgeismar bei Kassel, Marktstraße 13.

 

Seite 16   Wir gratulieren!

Zur goldenen Hochzeit

Eheleute Hugo Pietzker, Bankvorstand, und Frau Hedwig Pietzker, geborene Dreher, aus Marienburg/ Westpr., am 21. April 1958 in Seesen a. H., Dehnestraße 31.

 

Zum 85. Geburtstag

Hans Fiedler, Lehrer i. R., aus Königsberg/Pr., Luisenallee 50, am 28. März 1958 in Landkirchen, Insel Fehmarn.

 

Zum 81. Geburtstag

Therese Müller, aus Allenstein am 16. April 1958 in Berlin-Waidmannslust, Zehntwerderweg 17.

 

Zum 80. Geburtstag

Johanna May, ehemalige Oberpflegerin in der Heil- und Pflegeanstalt Kontau bei Allenstein, am 28. April 1958 in Hohen-Neuendorf bei Berlin, Kirchstraße 5. Die Jubilarin, die in Allenstein Haus und Garten besaß, ist noch sehr rüstig und besucht im Sommer regelmäßig die Allensteiner Treffen. Trotz ihres Alters hofft sie, noch einmal in ihre geliebte Heimat zurückkehren zu können.

 

Martha Wulff, aus Allenstein, Bismarckstr. 14, am 3. April 1958 in Berlin-Hermsdorff. Werderstr. 3.

 

Zum 75. Geburtstag

Witwe Wilhelmine Wölk, geborene Hardt, aus Kernsdorf, Kreis Osterode/Ostpr., am 8. April 1958 in Bornhausen 118 über Seesen a. H.

 

Elise Muschlien, geb. Eggert, aus dem Ostseebad Rauschen am 26. April 1958 in Stuttgart-N. Vordernbergstraße 9.

 

April 1858-Geburtstagskinder in Flensburg

Johanna Neumann, aus Königsberg am 3. April 1958, 91 Jahre, jetzt wohnhaft Mathildenstraße 6;

 

Karoline Hömke, aus Kafken, Kreis Samland am 3. April 1958, 93 Jahre, jetzt wohnhaft Voigtstraße 36

 

Dr. Helene Eichler, aus Königsberg am 1. April 1958, 76 Jahre, jetzt wohnhaft Falkenberg 28

 

Artur Liebe, aus Antonswiese/Elchniederung am 5. April 1958, 79 Jahre, jetzt wohnhaft Friesische Straße 79

 

Otto Voß, aus Gilge am 7. April 1958, 78 Jahre. Jetzt wohnhaft Friedheim, Am Bauernhof.

 

Marta Zmogdzin, aus Tapiau am 9. April 1958, 77 Jahre, jetzt wohnhaft Adolf-Menzeh-Weg 6;

 

Berta Müller, aus Pillau am 11. April 1958, 86 Jahre, jetzt wohnhaft DRK-Heim;

 

Max Beek, aus Tilsit am 11. April 1958, 84 Jahre, jetzt wohnhaft Osterallee 27;

 

Sophie Brunslow, aus Gerdauen am 12. April 1958, 82 Jahre, jetzt wohnhaft Luester Schubstraße 7;

 

Ella Fröhlich, aus Memel am 14. April 1958, 81 Jahre, jetzt wohnhaft Adolf-Menzel-Weg 6;

 

Berta (Zuname fehlt) aus Königsberg am 17. April 1958, 70 Jahre, jetzt wohnhaft Ostseebadweg 3;

 

Elise Latt, aus Cranz am 18. April 1958, 84 Jahre, jetzt wohnhaft DRK-Heim.

 

Marie Kalweit, aus Insterburg am 18. April 1958, 70 Jahre, jetzt wohnhaft Egerstieg 2;

 

Marie Sassor, aus Johannisburg am 23. April 1958, 87 Jahre, jetzt wohnhaft Husumer Straße 87;

 

Elisabeth Roddeck, aus Cranz am 23. April 1958, 81 Jahre, jetzt wohnhaft DRK-Heim;

 

Marie Samaritter, aus Pillau am 24. April 1958, 70 Jahre, jetzt wohnhaft Friesische Straße 103;

 

Heinrich Fröhlich, aus Memel am 24. April 1958, 70 Jahre, jetzt wohnhaft Tilsiter Straße 25;

 

Luise Kuhnke, aus Insterburg am 30. April 1958, 81 Jahre, jetzt wohnhaft Ballastbrücke 22.

 

Das Heimatblatt der Ost- und Westpreußen, die „Ostpreußen-Warte", gratuliert allen Jubilaren von Herzen und wünscht recht viel Glück und auch weiterhin beste Gesundheit!

 

Seite 16   Hameln verteilt Agnes Miegel-Bücher

Hameln. Den 45 besten der abgehenden Schüler der Volks-, Höheren und Berufsschule werden in diesen Tagen bei den Abschlussfeiern Buchprämien überreicht. Es handelt sich dabei ausschließlich um Bücher der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel, die von der Stadt Hameln erworben und von der 79 Jahre alten Dichterin handsigniert wurden. Diese Bücherspende soll jährlich überreicht werden. Nach dem Kriege wohnte die Dichterin eine Reihe von Jahren in Hameln und hat sich in dieser Zeit um die Förderung der kulturellen Belange der Rattenfängerstadt sehr verdient gemacht.

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