Ostpreußen-Warte, Folge 04 vom April 1954

Ostpreußen-Warte

Folge 04 vom April 1954

 

Seite 1   Foto: Ein Ostergruß aus der Heimat

 

 

Seite 1:   Vabanque-Spiel um die Saar?

Seit dem geheimnisvollen Pariser Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Außenminister Bidault vor der Griechen- und Türkenreise Dr. Adenauers ist die Saar-Frage erneut zu einem Alpdruck in der westdeutschen Politik geworden. Die deutsche öffentliche Meinung wittert Unheil. Eine breite oppositionelle Front von der CDU über die FDP bis zur SPD ist gegen die geplante Europäisierung des Saargebietes im Bewusstsein, dass das gleichbedeutend mit der endgültigen Loslösung dieses rein deutschen Gebietes ist. Besonders schwer wiegt jedoch die Konsequenz einer deutschen Zustimmung zu einer Abtrennung der Saar im Hinblick auf die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie. Hier haben die Heimatvertriebenen unabweisbare Argumente ins Feld zu führen und einen Standpunkt zu verteidigen, den die Wahrung des Heimatrechtes gebietet.

 

Die Antwort auf die Frage, ob die deutschen Befürchtungen in der Saar-Frage zu Recht bestehen, liegt auf der Hand. Gegenwärtig ist nicht nur beim Quai d'Orsay, sondern auch im Europarat die Meinung vorherrschend, dass ein europäisiertes Saargebiet den einzigen modus vivendi für Deutschland und Frankreich darstellt. Der Unterausschuss „Saar“ des Europarates hat in London am vergangenen Wochenende einen Beschluss gefasst, der den Naters-Plan mildernd modifizieren soll, im Grunde jedoch lediglich beschönigt. Die Dänen machten in London einen Kompromissvorschlag, die Betätigungsfreiheit für politische Parteien ein Jahr vor dem vorgesehenen Plebiszit zu garantieren. Von dem deutschen Vertreter in diesem Ausschuss, Dr. Gerstenmaier (CDU) wurde dieser Beschluss mit dem Hinweis abgelehnt, dass man die politischen Freiheiten nicht von Terminen abhängig machen könne, weil das dem Grundgesetz der Rechtsstaatlichkeit widerspräche. Diese Erklärung Dr. Gerstenmaiers birgt den juristischen Kern des Saarproblems in sich. Sie enthält die Ablehnung der Okkupation des Saargebietes durch Frankreich im Jahre 1947. Es klingt weiterhin darin der Zweifel an, ob die deutschen demokratischen Parteien an der Saar sich bis zum Termin der Volksabstimmung soweit entfalten können, dass sie mit gleichen Chancen gegen die frankophilen Saarparteien in den Wahlkampf eintreten könnten. Bis jetzt sind die deutschen Parteien an der Saar, die CDU, die Deutsche Sozialdemokratische Partei und die Demokratische Partei Saar (DPS) von den Franzosen noch nicht zugelassen. Der Wahlkampf für eine Volksabstimmung an der Saar wäre somit ein Vorgaberennen zugunsten der frankophilen Parteien und damit im Sinne Frankreichs.

 

Dass man in Paris nicht geneigt ist, die Saarfrage auf dem Boden des Rechts im europäischen Sinne zu lösen, beweist überdies der französische Widerstand gegen eine gemeinsame wirtschaftliche Verwaltung an der Saar mit der Bundesrepublik. Nur so könnte sich der gute Wille Frankreichs dokumentieren, an dem Aufbau einer echten europäischen Gemeinschaft mitzuwirken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die französische Tendenz hinsichtlich einer günstigen Saarlösung für Frankreich wird evident in den Bemühungen des Quai d'Orsay, die Ratifikation der EVG-Verträge davon abhängig zu machen. Mit anderen Worten: Für 12 deutsche Divisionen soll die Saar als Preis gezahlt werden!

 

Damit würde Frankreich in gröbstem Maße Deutschland und Europa Schaden zufügen; denn eine solche Saarlösung wäre weiter nichts als ein Bärendienst für Moskau in der Frage der ostdeutschen Gebiete. Eine Anerkennung der Saarabtrennung von Deutschland durch die Bundesrepublik und durch die Westmächte präjudiziert die Verhandlungen über die Oder-Neiße-Gebiete auf einer späteren Friedenskonferenz und ist die Sanktion eines durch Gewalt geschaffenen Rechtes. Die Sowjets würden später sofort auf diese Entscheidung verweisen und der Westen moralisch ins Hintertreffen geraten. Oder wie die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ ausdrückt: Die deutsche Zustimmung zur Europäisierung des Saargebietes würde die Aussichten, „jemals einen Fetzen von Ostdeutschland wiederzubekommen, auf den Nullpunkt sinken lassen“. Es ist keine Übertreibung, wenn die Vertriebenen jetzt feststellen müssen, die Entscheidung über Ostdeutschland fällt an der Saar.

 

Das Präsidium des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen hat sich bereits im November vorigen Jahres unmissverständlich gegen die „Legalisierung des Unrechts“ durch eine Scheineuropäisierung an der Saar in der Verantwortung für Ostdeutschland ausgesprochen. Es ist wieder Zeit an diesen Beschluss zu erinnern. Es heißt dort: „Das Saargebiet ist ein Teil des Deutschen Reiches innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen ebenso wie die derzeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete. Eine politische Europäisierung des Saargebietes vor der europäischen Integration Westdeutschlands und vor den Beschlüssen des Friedensvertrages beeinflusst unmittelbar auch die künftige Lösung der Frage der Oder-Neiße-Gebiete.

 

Die Aufgabe eines Quadratmeters deutschen Bodens an der Saar bedeutet den moralischen Rückzug Europas aus dem deutschen und europäischen Osten, ein Verlust, der nicht nur für die deutschen Heimatvertriebenen und Deutschland materiell und ideell unzumutbar ist, sondern ein Eingeständnis europäischer Schwäche und Uneinigkeit wäre. In Paris und Bonn darf nicht vabanque um die Saar gespielt werden, wenn Europa bestehen soll. E. F. Breyer

 

 

 

Seite 1   Nur 375 Millionen DM für Hausratshilfe. Neue Lastenausgleichsanleihe auflegen!

Wie bekannt wird, sollen im Wirtschaftsplan des Bundesausgleichsamtes für das Rechnungsjahr 1954/1955 nur 375 Millionen DM für Zwecke der Hausratshilfe bereitgestellt worden sein. Die Enttäuschung bei den Vertriebenen wird groß sein, falls tatsächlich im beginnenden Wirtschaftsjahr nur 375 Millionen für diesen Zweck ausgegeben würden. Der Bundestag ging bei Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes davon aus, dass jährlich 500 Millionen DM für Hausratshilfe ausgeworfen werden sollen. Im vergangenen Wirtschaftsjahr vermochte das Bundesausgleichsamt in Anbetracht des Minderbedarfs bei anderen Ausgleichsleistungen (z. B. Entschädigungsrente, die im Rechnungsjahr 1953/1954 noch fast nicht zum Anlaufen gekommen war) sogar 600 Millionen DM für die Hausratshilfe zuzuteilen und darüber hinaus wegen der außerordentlichen Liquidität im Ausgleichsfonds weitere 300 Millionen DM für die Hausratshilfe zur Verfügung zu stellen.

 

Die Vertriebenen erwarten, dass mindestens die „planmäßigen“ 500 Millionen DM im Rechnungsjahr 1954/1955 für die Hausratshilfe ausgeschüttet werden. Auch wenn im Wirtschaftsplan des Bundesausgleichsamtes nur 375 Millionen DM für die Hausratshilfe ausgewiesen werden sollten, so dürfte wohl damit gerechnet werden können, dass die Auszahlungen während des neuen Rechnungsjahres auf 500 Millionen DM kommen können. Die Erfahrung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr und in den früheren Rechnungsjahren hat gezeigt, dass bei verschiedenen Ausgleichsleistungen nicht alle Mittel verbraucht werden, die für diese Zwecke zugeteilt worden sind. Es kann wohl als unbestritten gelten, dass mindestens 125 Millionen DM z. B. bei den Mitteln für die Landwirtschaft und an anderen Stellen am Ende des Rechnungsjahres 1954/1955 unverbraucht sein werden. Diese 125 Millionen DM könnten also gegen Ende des Rechnungsjahres noch zusätzlich zu den 375 Millionen DM in die Hausratshilfe geleitet werden. Bei dieser Betrachtung muss allerdings von einer Voraussetzung ausgegangen werden: Es muss auch das eingeplante Aufkommen des Lastenausgleichsfonds voll zur Verfügung stehen. In den Einnahmenplanungen der neuen Jahresbilanz stehen allein 400 Millionen DM aus Anleihen der Lastenausgleichsbank verzeichnet. Es muss ganz entschieden darauf gedrungen werden, dass diese Anleihen (Tranchen 1953 und 1954 mit je 200 Millionen DM!) schnellstmöglich aufgelegt werden. Man darf die Auflegung nicht davon abhängig machen, ob und inwieweit Mittel im Fonds benötigt werden.

 

Die Planung darf sich nicht nach der jeweiligen Liquidität des Fonds richten, sondern das vorgesehene Aufkommen muss rechtzeitig realisiert werden, damit genügend Spielraum für die elastische Abwicklung der Einzelpläne bleibt. Zur allgemeinen Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, dass irgendwelche „stillen Reserven“ mit Ausnahme der nicht verbrauchten Mittel (wohl etwas mehr als 125 Millionen D-Mark) nicht vorhanden sind. Wollte man also aus Mittel des Fonds z. B. die Unterhaltshilfe erhöhen, so kann dies nur durch Inanspruchnahme eben dieser 125 Millionen DM geschehen. Dann verbleiben aber für Hausratshilfe tatsächlich nur 375 Millionen DM.

 

 

 

Seite 1   Mikolajczyk für Austreibung verantwortlich

Das in Lens erscheinende Organ der exilpolnischen Mikolajczyk-Gruppe „Narodowiec“ wendet sich gegen Besprechungen, welche ein kürzlich über die polnische Emigration erschienenes Buch in der Warschauer Presse gefunden hat. Dieses Buch werde angegriffen, so heißt es im „Narodowiec“, weil die Kommunisten den Eindruck erwecken wollten, dass sie die einzigen Verteidiger der Oder-Neiße-„Grenze“ seien. Sie wollten damit ableugnen, dass es Mikolajczyk gewesen sei, der in Potsdam die „Aussiedlung“ der Deutschen durchgesetzt habe.

 

 

Seite 2   Deutsches Recht und die Entwicklung Polens

„Die Polen waren arm“, berichtet ein Mönch des schlesischen Klosters Leubus aus dem 13. Jahrhundert, „und wussten nicht anders, als mit Kühen vor den hölzernen Zacken ohne Pflugschar den Sand aufzufurchen. Keine Stadt war im ganzen Land, kein Salz, kein Eisen, keine metallene Münze, keine guten Kleider, nicht einmal Schuhe hatte das Volk und weidete nur seine Herden“. So fanden die deutschen Mönche und Bauern, Ritter und Handwerker das Land, in welches man sie rief, und an dessen Aufbau sie und ihre Nachkommen derart beteiligt waren, dass ein europäischer Staat Polen ohne sie kaum Form und Dauer erhalten hätte. Den Anschluss Polens an das Abendland vollzog nicht zuletzt das Recht, das die mittelalterlichen Kolonisatoren mit sich brachten, — das deutsche Recht —.

 

Auf dem Felde der Wahlstatt war 1241 der große Mongoleneinfall, der weite Strecken Osteuropas, vornehmlich auch Süd- und Westpolen, verödet hatte, zum Stehen gekommen. Die asiatischen Reiter fluteten nach Osten zurück. Was sie zurückließen, waren brachliegende Felder, verbrannte Dörfer und entvölkerte Städte. Die polnischen Fürsten — Polen war seit 1138 in mehrere Teilfürstentümer zerfallen und wurde erst 1320 wieder geeinigt — sahen keinen anderen Weg zu wirtschaftlicher Hebung des Landes, als die Heranziehung deutscher Siedler. Die deutsche Kolonisation im großen Stil nahm in Polen ihren Anfang; geistliche und weltliche Herren wetteiferten in der Gründung deutscher Städte und Dörfer. Dadurch vollzog sich auch eine bahnbrechende Umgestaltung der gesamten Wirtschaft: Das frühere polnische Recht mit seinem Frondienst und Abgaben in Naturalien geriet in Vergessenheit und unter Grundbesitzern und Landbevölkerung äußerte sich allgemein die Tendenz zur Schaffung des Pachtgrundzinses. Schon seit 1150 bemühten sich Polens Herrscher, aus der deutschen Kultur für ihr Land Nutzen zu ziehen. Das kam auch in den Zisterzienserklostergründungen zum Ausdruck, da gerade dieser Orden es zu seinen Pflichten zählte, aus Sumpf und Urwald nutzbares Land zu schaffen. Einzelne dieser Klöster nahmen nur Kölner Bürgersöhne auf und bis ins 16. Jahrhundert hinein ist der deutsche Charakter dieser Klöster, die auch nur deutsche Äbte hatten, völlig ausgeprägt. Die Urbarmachung des Posener Landes und eines Teiles von Pommerellen ist vor allem ihr Werk und das der deutschen Bauern, die sie nach sich zogen. Dieser Bauernzug setzt aber im großen Maße erst nach der Mongolenschlacht ein. Meist beauftragte ein polnischer Grundherr einen deutschen Bauern, den sog. Locator, Bauern für eine auf seinem Boden zu errichtende Ansiedlung anzuwerben und zu ihm zu führen. Dieser Locator wurde zum Erbschulzen des neugegründeten Dorfes ernannt. Überall, wo sich Bauern ansiedelten, erfolgten durch fürstliche Verordnung ihre Befreiung vom polnischen Recht und die Erlaubnis nach deutschem Recht zu leben. So konnten die Kolonisten nach heimischer Sitte ihre Schöffen wählen und von ihnen ihre Händel nach deutschem Rechtsbrauch entscheiden lassen. Es war eine völlige bäuerliche Selbstverwaltung, deren Träger sich nur ihrem obersten Landesherrn Untertan fühlten.

 

Von noch größerer Bedeutung für Polens Zukunft aber waren die damals erfolgten Städtegründungen. Am Beispiel Krakaus, der „heiligen“ polnischen Stadt, kann man den geschichtlichen Hergang fast aller anderen Ansiedlungen verfolgen:

 

Magdeburger Recht

Die Gründungsurkunde für die Stadt Krakau wurde vom polnischen Teilfürsten 1257 unterzeichnet. Kraft derselben gründeten die Vögte Getko, Jakob, ehemaliger Richter in Neiße, und Ditmar Volk eine Ansiedlung am Fuße des fürstlichen (später königlichen) Schlosses und erhielten zu diesem Zweck ausgiebige „Benefizien“, eigene selbständige Stadtverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit nach Magdeburger Recht — mit der Bestimmung, dass die letzte Berufung nach Magdeburg selbst zu richten sei — sowie das Recht eigener Gesetzgebung. Unter dem sog. Magdeburger Recht, dessen Geltungsbereich sich später bis Smolensk, Minsk, Troki, Nowogrodek, Wilna und Brest-Litowsk ausdehnte, verstand man die Summe der in Magdeburg geltenden Rechtssätze, wie sie sich aus niedersächsischen Gewohnheiten und verschiedenen Privilegien gebildet hatten. Gerade damals, als die große Wanderung der von den Polen gerufenen Deutschen nach Osten erfolgte, wurde das norddeutsche Recht schriftlich festgelegt. Nur nach zufälligen Gewohnheiten wurde später das Recht noch geändert, seine Grundsätze standen fest. Die im nördlichen Polen und Baltikum geltenden lübischen und kulmer Rechtssätze sind nur Abarten der magdeburgischen.

 

Die allen nach deutschem Recht angelegten Städten gemeinsamen Privatrechtssätze, die bis ins 16. Jahrhundert Handel, Gewerbe und Verkehr sowie das ganze öffentliche Leben des Ostens beherrschten, waren ein wichtiges Bindeglied der teils weit auseinander liegenden Städte. Kleine Orte, in denen eine ausgebreitete Rechtsentwicklung nicht möglich war, wandten sich an größere um Rechtsbelehrung. Große Städte wandten sich in strittigen Fragen an den Schöffenstuhl von Magdeburg, der auch bei Berufungen in Prozessen als letzte Instanz angesehen wurde und dessen Einfluss auf die ganze kulturelle Entwicklung Ostpreußens nicht hoch genug angeschlagen werden kann.

 

Schon bald aber empörte sich das nationale Polentum, weil man bei „gemeinen Leuten und Handwerkern“ in Magdeburg um Gesetzesauslegung nachsuche. Darum bestimmte König Kasimir der Große 1360, dass ein Oberhof, gebildet aus dem Vogt von Krakau und 7 Amtsherren aus um Krakau gelegenen Städten, mit dem Sitz in Krakau die letzte Instanz für die deutschrechtlichen Gemeinden sein sollte. Doch nach wie vor blieb bis ins 16. Jahrhundert Magdeburgs Stellung unangetastet. Erst nach dieser Zeit gewannen für Berufungen die Hofgerichte, welche vom König und seinen Rechtsgelehrten abgehalten wurden, mehr und mehr an Bedeutung.

 

Deutsche Städte in hohem Ansehen

Die Anlage der Städte ging fast nach einem einheitlichen Muster vor sich. Der viereckige Ring (polnisch Rynek = Markt) mit dem Rathaus bildete, von den Häusern der Händler und Handwerker umsäumt, den Kern der Stadt, der durch Straßen schachbrettartig in Viertel zerlegt wurde. Daran schlossen sich außen die Gehöfte der Ackerbürger. Alles war von Wall und Graben umgeben, bei größeren Ortschaften schützte eine Steinmauer die Einwohner. Die Verfassung der deutschen mittelalterlichen Städte sah an der Spitze des Gemeinwesens den Vogt als höchsten Träger der Gerichtsgewalt, zu der alle Zweige der Rechtspflege, insbesondere aber, die Kriminalgerichtsbarkeit gehörten. Zur Rechtsfindung stehen ihm Schöffen beiseite, während er selbst das Urteil spricht. Die Vogtei war ursprünglich erblich gewesen, aber im Laufe der Zeit gelang es den Gemeinden, dieselbe zu erwerben und so die ganze Gerichtsbarkeit in die Hand zu bekommen. Die Schöffen (wenigstens 2 und höchstens 23) wurden entweder von der Versammlung aller Grundbesitzer, dem „Burding“ (Bürgerding), gewählt oder vom Vogt, später dem Rat, ernannt. Dieser Rat wurde auch im Laufe der Zeit die maßgebende Gewalt; er wurde ursprünglich von allen vollberechtigten Bürgern gewählt, später kam der Brauch auf, dass jeder Ratsherr bei seinem Ausscheiden aus dem Amt seinen Nachfolger ernannte. Wie groß das Ansehen der deutschen Städte in Polen war, geht daraus hervor, dass die Ratsherren der größeren Gemeinden, wie Posen,Thorn, Krakau, Wilna reichsgesetzlich als Edelleute behandelt wurden, was später, als Polen zur unumschränkten Adelsrepublik geworden war, von besonderer Bedeutung wurde. So bildete sich im Laufe der Entwicklung in allen Orten ein Patriziat, das nur noch mit seinen Angehörigen die Stadtämter besetzte. Es blieb nicht aus, dass die anderen Bürger den Patriziern feindlich gegenübertraten, vornehmlich in den größeren Gemeinden. Doch konnte die „Communitas“, die Gemeinschaft aller Bürger, vielerorts besondere Vertreter aus Kaufmannschaft und Innungen wählen.

 

Die machtvolle Stellung, welche die deutschen Bürger und Bauern im Polen des 14. und 15. Jahrhunderts einnahm, konnte sich nicht halten. Ein Hauptgrund hierfür war ihre eigene Uneinigkeit. So ging zuerst das wertvolle deutsche Bauernblut verloren, indem sich die deutschen Siedler mit Polen vermischten, um schließlich in dem gänzlich entrechteten polnischen Bauernstand unterzugehen. Aber für Polen ist diese große deutsche Blutzufuhr von höchstem Wert gewesen. Die Städte, durch besondere Gesetze geschützt und vom Adel immer als wertvolle Staatsglieder betrachtet, verfielen nicht so schnell der Polonisierung. Noch im 16. Jahrhundert finden wir in Krakau fast nur deutsche Kaufherrennamen, wie Wirsing, deren einer Kaiser Karl IV. als Gast an seiner Tafel gesehen und ihm große Anleihen gewährt hatte, Moretin, Fogelwerder, Fugger, Turso, Pernus, Boner und Schönbek (Szembek), die später teilweise im polnischen Adel unter anderer Schreibweise noch zu finden sind. Der mangelnde Zusammenhalt der Stände trug die Schuld daran, dass jeder sich langsam dem Deutschtum entfremdete und im Polentum aufging. Jedoch blieben viele Städte Westpreußens und Posens bis zu den Teilungen Polens ihrem Deutschtum erhalten, wenngleich ihre Bedeutung im Staatsleben geringer geworden war.

 

Starke Reichsgewalt fehlte

Der wichtigste Grund für diese bedauerliche Entwicklung war das Fehlen einer starken Reichsgewalt in Deutschland, die es übersah, welch wertvolle Menschen und Langebiete verlorengingen. So musste auch der Zusammenhang der Städte untereinander leiden und tatsächlich verlor jeder den Blick für das allen Gemeinsamen und trieb eigensüchtige Politik, die keinem zum Vorteil gereichte. Ihre große Aufgabe, Bindeglieder der versprengten und außerhalb der Reichsgrenzen stehenden Deutschen zu sein und Neuland dem Reich — wie Schlesien — zu erobern, konnten sie nicht erfüllen. Der Zustrom deutschen Blutes nach Osten war aber nicht zeitbeschränkt, sondern dauerte seit dem 13. Jahrhundert unentwegt an und erreichte im 16. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt, als Flugzettel von Hand zu Hand gingen, worin polnische Grundherren wiederum „alle redlichen, guten Leute deutscher Nation“ ins Land riefen und sie in jeder Hinsicht zu schützen versprachen. Diese neue deutsche Masseneinwanderung hatte zur Folge, dass Westpolen bei der Staatsauflösung 1795 noch ausgeprägte, große deutsche Ansiedlungen und Städte besaß. Dass aber Polen seit dem 17. Jahrhundert in Anarchie zugrunde ging, war die Schuld seines Adels, der in seiner Enge des Denkens es nicht verstanden hatte, das Deutschtum als lebendiges Glied in den Staat einzubauen. Die Bedeutung der deutschen Kolonisation für das Land blieb aber dadurch unberührt. Wenn man die historische Entwicklung Polens zum Staat betrachtet, so zeigt es sich, dass es das von deutschen Kolonisten mitgebrachte Recht war, das Polen an den abendländischen Kulturkreis anschloss, indem die starke Verbindung zu den Städten im Reich, besonders Magdeburg, Polens Antlitz nach Westen drehte. Im Innern aber war es nicht nur die Neuordnung des Wirtschaftslebens, die das deutsche Recht mit sich brachte, sondern überhaupt die Gliederung des Staatsaufbaues, die ohne dieses gar nicht zu denken wäre. Wo wir von deutschem Recht lesen, von Städten und bäuerlichen Ansiedlungen, wissen wir meist, dass hier deutsche Menschen am Aufbau des polnischen Staates wirkten. Polens Könige und Adel verabsäumten, dass der Erfolg dieser Arbeit nicht noch bedeutender (d. h. nach außen mehr in Erscheinung tretender) wurde.

 

Und doch erklärte 1639 ein polnischer Magnat in seiner Gründungsurkunde für eine Stadt nach deutschem Recht: „Ich erkenne die gute Affektion der freien Deutschen Nation, von der Nutzen, Ehre und Zierde der Krone Polens von altersher zugewachsen, da sie mit ihrer Mühe Fleiß und Unkosten die Stadt Krakau gezieret, Lemberg und Posen erbauet und viele andere Dörfer und Städte aufgerichtet haben“.

 

Die Geschichte wird auch diese Worte nicht vergessen! Dr. von Unruh

 

 

 

Seite 2   Prof. Oberländer: Eingliederung - nicht Einschmelzung

Bundesminister Professor Theodor Oberländer sprach auf einer Veranstaltung der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft e. V. in Hamburg über das Thema „Die Überwindung der deutschen Not“. Bundesminister Oberländer machte u. a. folgende Ausführungen: „Von den Vertriebenen waren in der alten Heimat 40 Prozent selbständig. Jetzt sind es hochgerechnet nur 10 Prozent, die eine selbständige Existenz haben. Damit ist in der wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen die Gefahr der Vermassung gegeben, wie sie der Osten will. Aber in der sozialen Eingliederung ist diese Vermassung unmöglich. Keiner von all den Menschen, die materiell alles verloren haben, fühlt sich als Proletarier und Mitglied einer Masse. Aber es muss die geistige Eigenständigkeit unter allen Umständen erhalten bleiben. Wir müssen die Tradition und die Vielgestaltigkeit unserer Kultur bewahren. Wer heute in einer Landsmannschaft ist, der sollte Wert darauf legen, diese Tradition der Jugend weiterzugeben. Man kann nicht einerseits auf eine jahrhundertelange kulturelle und wirtschaftliche Leistung stolz sein und andererseits diese Tradition in wenigen Jahren verlieren und über Bord werfen. Vor kurzem hat ein Franzose erklärt, dass die Heimatvertriebenen in Deutschland die besten Europäer sind und zu den stabilsten Gruppen der europäischen Politik gehören. Das Gegenstück zur Eingliederung wäre die Einschmelzung, wie sie in der Sowjetzone zu beobachten wäre. Dort werden heute 4,4 Millionen Vertriebener bewusst zur Vermassung benutzt. Alle Traditionen werden vernichtet, vom Abreißen des Berliner Schlosses bis zum Abschaffen der Landschaftsnamen wie Thüringen und Brandenburg. Wer heute in der Sowjetzone wagen würde, echte landsmannschaftliche Tradition zu pflegen, der würde mit dem örtlichen System unweigerlich in Schwierigkeiten geraten. Angesichts der Zerstreuung der Vertriebenen bei uns über die ganze Bundesrepublik ist die Tradition gefährdet, weil das Land, das einst die Menschen verbunden hatte als Widerstandsfaktor weggefallen ist. Ich glaube, dass der kulturelle Reichtum der Vergangenheit das beste Mittel ist über eine gewisse materielle und vielleicht auch dadurch kulturelle Verarmung hinwegzukommen. Wir setzen den Kulturföderalismus gegen die Einheitszivilisation. Wir wollen nicht den meltingpot Amerikas, sondern wir wollen die Tradition. Auch die europäische Großraumbildung soll nicht auf Kosten von Volk, Volkstum und völkischer Eigenständigkeit gehen. So wie Deutschland heute gewissermaßen ein Landschaftsgarten ist, so soll auch Europa ein Völkergarten sein. Aus der Zwangsmassenbildung der Sowjetzone sehen wir, wie man es nicht machen soll. Eine echte Gliederung ist auch die beste Vorbereitung für jede Wiedervereinigung, und zwar von Deutschland aus gesehen wie ebenso von Westeuropa aus. Für die deutsche Eingliederungspolitik ergibt sich damit, dass sie gegen jeden Kollektivismus gerichtet ist und dass es ihr Ziel sein muss, neues Eigentum zu schaffen“.

 

 

Erstes Landestreffen der Ostpreußen am 3./4. Juli 1954 in Hannover

Die Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Niedersachsen, führt am 3./4. Juli 1954 das „1. Landestreffen der Ostpreußen" durch, zu dem etwa 50 000 Besucher erwartet werden. Es handelt sich um die bisher größte Landsmannschaftliche Veranstaltung der Ostpreußen seit 1945. Das Programm sieht u.a. bisher vor:

 

Sonnabend, den 3. Juli:

Vormittags Landesdelegiertentagung, Nachmittags Empfang des Landesvorstandes durch die Landesregierung.

Abends offizieller Eröffnungsakt des Landestreffens und — davon getrennt — großer Heimatabend mit bekannten ostpreußischen Künstlern!

 

Sonntag, den 4. Juli:

9 Uhr Gottesdienste; 10.15 Uhr Jugendkundgebung auf dem Messegelände; 11 Uhr Großkundgebung auf dem Messegelände mit folgenden Rednern:

Ministerpräsident Kopf, Bundevertriebenenminister Prof. Oberländer, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Gille, Landesgruppenleiter der Landsmannschaft Ostpreußen.

Nachmittags Treffen der Heimatkreise im gesamten Stadtgebiet Hannovers.

 

Der Vorstand der Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft Ostpreußen ruft alle in Niedersachsen lebenden Ostpreußen auf, sich in größtmöglicher Zahl an dem „1. Landestreffen der Ostpreußen“ zu beteiligen und das Treffen vor allem angesichts der 550 km Zonengrenze des Landes Niedersachsen zu einem machtvollen Bekenntnis zur Heimat Ostpreußen und zu einer eindrucksvollen Forderung nach Wiedervereinigung des gesamten deutschen Vaterlandes werden zu lassen. Dem Landestreffen in Hannover, kommt umso wesentlicherer Bedeutung zu, als die Landsmannschaft Ostpreußen in diesem Jahre kein Bundestreffen durchführt. Die Organisationsleitung, die sich in der Landesgeschäftsstelle des „Bundes der Vertriebenen Deutschen“, Hannover, Anzeiger-Hochhaus, 6. Stock, Fernruf 23 530, befindet, gibt laufend weitere Mitteilungen über die Durchführung des Landestreffens bekannt. Auf einer Reihe zentraler Strecken der Bundesbahn werden Sonderzüge eingesetzt.

 

Wie die Geschäftsführung der Landsmannschaft Ostpreußen in Hannover uns mitteilt, hat der Niedersächsische Ministerpräsident Kopf die ihm angetragene Schirmherrschaft über das bisher größte landsmannschaftliche Treffen, der Ostpreußen, in Niedersachsen übernommen.

 

 

Seite 2   Wo liegt Ostdeutschland, Herr Blank?

Der Sicherheitsbeauftragte der Bundesregierung, Theodor Blank (MdB), schreibt in dem Londoner Abendblatt „Star“, dass in „Ostdeutschland“ ungefähr 30 Divisionen mit insgesamt 6000 Panzern und 700 Düsenjägern stehen. In Westdeutschland seien demgegenüber nur 10 Anglo-amerikanische Divisionen und einige nicht voll aufgefüllte französische Divisionen vorhanden. In der russischen Besatzungszone stehe überdies eine deutsche Armee in Stärke von 120 000 Mann, und es gebe dort bereits eine „ostdeutsche" Luftwaffe.

 

Herr Blank scheint die offizielle Sprachregelung des Bundesinnenministeriums nicht zu kennen, wonach Ostdeutschland und die sowjetische Besatzungszone Mitteldeutschland ist. Blank hatte seine Ausführungen in der englischen Presse gemacht, was umso schwerer wiegt, denn wie soll das Ausland an eine korrekte Sprache — und sie ist die Voraussetzung für eine korrekte Politik hinsichtlich der gesamtdeutschen Frage — gewöhnt werden, wenn sich die zuhöchst berufenen deutschen Stellen nicht daran gewöhnen? Wir möchten allerdings annehmen, dass es sich im Falle Blank lediglich um eine Unaufmerksamkeit handelte.

 

 

Seite 2   Lastenausgleichsvorschläge im Bundestag

Die Fraktion des GB/BHE hat die beiden ersten ZvD-Vorschläge zur Erhöhung des Einheitswertes bei der Bemessung der Entschädigung von landwirtschaftlichen Vermögen unverändert in den Bundestag eingebracht.

 

 

Seite 3   Das alte Lied von der Memel. Aus der Erinnerung geschöpft von Erminia von Olfers-Batocki.

Foto: Blick vom Rombinus auf Bettehnen an der Memel. Aufnahme: F. Wiemers

Foto: Vom Turm der Deutschen Kirche in Tilsit geht der Blick weit ins Memeltal.

Aus meiner frühesten Kinderzeit entsinne ich mich eines lieben Hausgastes. Das war die alte Tante, die wir nur mit ihres Vornamensbeginn „Tante J“ nannten. Sie war uns der Inbegriff einer Erzählerin, doch was sie aus der Erinnerung wiedergab, sprach sie mit schönsten Worten.

 

Von dem, was sie uns Kindern erzählte, habe ich weniges behalten, nur klingt mir zuweilen ein Lied aus alter Zeit durchs Gehör, ein Zwiegesang aus weiter Ferne. Hier und da lebt eine Strophe wieder auf, Silben fügen sich aneinander und leiten bis zum Schluss, dessen Wortlautes ich mich getreu entsinne. Ich habe die Töne durch Jahrzehnte meines Lebens oft vor mich hin gesummt, wenn der Nachtigallen Lieder mich entzückten oder wenn ich zu den Sternen unseres weiten Himmels aufblickte.

 

Die Geschichte, die „Tante“ erzählte, muss wohl zeitlos gewesen sein, niemand ahnte, wann das geschehen war, was sie sich — wer weiß wann — im Dorfe an der Memel hatte erzählen lassen. Nur wusste man mit Sicherheit, dass auf den Uferhohen zu beiden Seiten des Stromes einst zwei Schlösser standen. Einige Gemäuer waren, umgeben von Mauerresten, noch da, als „Tante J“ in ihrer Jugend schöne Sommertage an einem dieser Schlösser verlebte. Träumte sie sich damals immer tiefer in dies Land hinein, das vielleicht nur sie noch wusste, das vor grauen Zeiten für andere erklungen und verstummt war? Wann? — Es war wie fortgeweht in weitem Winde, im Spiel der Wellen, im Rauschen der Bäume und im Knistern der treibenden Eisschollen.

 

Auf dem südlichen Hange zu Seiten des Memelstromes standen die Fensterluken des aus Feldsteinen errichteten Hauses nach Norden. Aus Lehm und Moos geschichtet schimmerten die Mauerspalten in allerlei verfilztem Grün, als wolle das Haus vor Kälte geschützt werden. Seit ungezählten Jahren war es der Sitz eines harten Geschlechtes mutiger Wildnisbereiter vom Litauerstamme der Radaun. Hinter den mit Dornen und kriechenden Kiefern bewachsenen Schutzwällen begann der hohe Wald.

 

Auf dem anderen Ufer erhob sich, mit den Turmspitzen windzerfetzte Birken überragend, eines Pruzzen steingraue Burg. Aus dem Torbogen führte ein mehrfach gewundener Steg zwischen den kahlgewehten Wurzeln alter weißstämmiger Birken. Dann bogen sich tiefgefurchte Wege zur Rechten um grasige Hügel, die sich von der Wiesenfläche abhoben. Linker Hand mussten die Wagen, die des Weges kamen, sich durch den tiefen Sand des Uferstreifens mühen, um die Fähre zu erreichen, die, an einen klobigen Eichenklotz geseilt, neben des Fährmanns Schilfhütte im Wasser schwamm.

 

Dies war die Stelle, die Herren und Kätner benutzten, um zu beiden Seiten der Memel ihre Tauschhandel zu betreiben: Getreide gegen Holz, Heu gegen Torf, Vieh und Pferde gegen Wildbret. Darum verband die Fähre beide Ufer, bedient von einem alten Manne. Ungezählte Jahre hatte sich dies Geschäft von Vater auf Sohn, von Sohn auf Enkel vererbt. Alle glichen einander, was sowohl die nervige Gestalt als die hellblauen Augen betraf. Jeder hatte seinen langen schneeweißen Bart in zwei Strähnen geteilt und mittels eines Bandes aus Weidenbast im Nacken zusammengeknotet, damit der russische Wind nicht die Bärte in die Augen triebe. Denn es galt freier Aussicht stromauf und stromab, damit Segler, Fischerkähne und Traften nicht den Weg versperrten. Die Überfahrt brauchte klare Bahn. Alle diese Fährleute, die sich nachts in ihrer Schilfhütte verkrochen, wurden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt „Voder, hol räwer“ genannt, denn wer der Überfahrt begehrte, der rief vom Ufer aus hier oder dort mit lauter Stimme dem Alten zu: „Hol räwer“. Dann stellte der Fährmann seine Angelrute, deren er sich stets zu Zeitvertreib und Nutzbarkeit bediente, gegen das Geländer, warf sich die Schlinge des Seiles über Kopf und Schulter und zog, tief gebückt, mit festen Schritten gegen den Strom ankämpfend, seine Fähre von Ufer zu Ufer. Manchmal war es eine, leichte Überfahrt, dann kamen Frauen in kurzen, bunten Röcken, weiße Tücher über den langen Zöpfen, Bastkörbe über den Rücken. Sie gingen zum Walde, um Beeren oder Pilze zu suchen. Alte Männer schoben ihre leeren Karren hinüber, um nach kurzer Zeit wieder mit Reisig und Wurzeln beladen, zurückzukommen. Handelsleute ließen sich über den Strom setzen. Da kamen die Kupferschmiede aus Tilsit mit blanken Kesseln und von der anderen Seite nahten die Warschauer Schuster, die schwere Bündel silberbeschlagener Stiefel in ledernen Säcken mit sich trugen. Von drüben kamen auch die Schindeljuden, einspännige Wägelchen davor, unter dem buntbemalten Krummholz ein magerer Klepper. Sie brachten Dachbretter mit aus gespaltenem Fichtenholz und duftende Bündel kieniger Splitter zum Feueranmachen. Zur Herbstzeit war die gefiederte Ware des Gänsetreibers schon von weitem zu hören. Zur Sommerszeit polterten Vierspänner Wagen, hoch mit Heu beladen, über die hölzernen Bohlen der Fähre und wenn der Herbststurm seine gelben Blätter in den Fluss trieb, begannen die Jagden. Dann schallten Waldhörner von den Schutzwällen des Forsthauses Radauen, dann ahnte der Flößer, dass nun die Elchjagden anstünden in den dichten Gehegen und wilden Brüchen hinter dem Strom. Die Herbstfäden zogen weither über das Land, hingen an den grauen Weidenbüschen und roten Erlenstubben und verfingen sich in des greisen Flößers buschigem Bart, als gehörten sie dazu. „Die Göttin Laima spinnt, flüsterte er und fing einen langen Spinnenfaden mit der Angelrute auf. Da rief eine Knabenstimme: „Voder, hol räwer!“ Das war der Försterbursch von der Waldseite. Wenn der rief, verklärte sich des Fährmanns Antlitz. Was für klare starke Stimme das war! Rasch packte er nach der Treckschlinge. Nochmals rief die junge Stimme: „Voder, hol räwer“. Der Alte dachte: „Der ruft so laut wie der Wachtelkönig, wenn das Korn hoch steht“. Kaum war das Fahrzeug auf der Litauer Seite, als der Knabe leichtfüßig auf die Bretter sprang: „Voder Holräwer – der Elchhirsch soll aufs andere Ufer!“ Vom Walde her wurde „Elchtot“ geblasen das schallte übers Flusstal hinüber zum anderen Herrenhause. Und dort schimmerte hoch vom grünen Birkenzweige ein helles Gewand. Darüber flatterte ein weißes Tüchlein durch den Mauergang über dem Gemisch, gelber und noch jungen Aufwuchs roter Ebereschen, die den Abstieg umsäumten. Immer näher zog sich der Steg dem Ufer zu, immer rascher kam die Mädchengestalt dem, das Ufer umrandenden, Sandstreifen entgegen. Nun hob sich schon über blühende Goldrauten die Hand, und Schilfkolben neigten sich unter den eilenden Schritten. So wehte das Tüchlein dem auf der Fähre wartenden Knaben entgegen. Das Mädchen stand und schaute hinüber. Es sah, wie der Jungbursch den Fährmann mit Handschlag begrüßte, es sah die fünf starken Rosse des Waldbereiters, breit in zwei Reihen vorgespannt, von Peitschenhieben und lauten Rufen angetrieben. Sie sah die schwankenden Bretter, das hoch aufspritzende Wasser, es vernahm das Poltern der Hufe. Ein Sattelreiter sprang vom Gaul, denn die Fuhre war schwer, er packte nach dem Fährseil, um, ziehen zu helfen. Da bestieg der Nachbarsohn den Falben, hoch schwang er die Peitsche über den Pferdeköpfen. Er ritt der Spielgefährtin entgegen, die am anderen Ufer mit ihrem Tüchlein wehte. Das Tüchlein war sein Ziel, dort musste bald die Fähre landen. Und sie kamen! Die weit ausgreifenden Pferde, leicht ausgleitend, gestreckten Leibes sich anstrengend, dann stillhaltend und sich auf der Fähre weitergleiten lassend, sie scheuten angesichts des fließenden Wassers. Nun ein gewaltiger Ruck. Die Fähre glitt aufs Land. Die Gäule dampften im Schweiß und blieben in Erregung laut atmend stehen. Da war die riesige Jagdbeute, der Elchhirsch, der von Ketten gehalten, auf breiten Fichtenästen weitergeschleppt wurde. Und so ging es fort über Land. „Der Vater hat ihn erlegt“, erzählte voller Stolz der Förstersohn, „nun sitzen die Jäger alle beim guten Trunk und keiner ahnt, dass ich mitlief“. Er griff nach dem Tüchlein in des Mädchens Hand, das verband nun wie spielend die beiden jungen Hände. So folgten sie, miteinander laufend, der Fichtenschleppe mit der Jagdbeute, blieben eine Weile auf der Wiese stehen, schauten nach, wandten sich und, die Hände vereint durch das gemeinsam gehaltene Tuch, liefen sie nebeneinander zur Fähre zurück. Da blickte der alte Holräwer ihnen gütigen Auges entgegen. Er war eben fertig, mit seinem Schilfbesen die Bohlen zu fegen, lehnte sich gegen das Geländer, schlug die breiten Hände zusammen und sang sein Tanzlied alter Art, kurzen oder gedehnten Taktes, sich immer wiederholend und mit alter Stimme dazu summend:

 

(Zum Text sind hier Musiknoten abgebildet)

Wind und Welle danze und drelle,

wie der wie der Wind un wie de Welle

 

Das war die Aufmunterung zum Fischertanz, wie er von alters her in den Niederungen gebräuchlich war, in Krugstuben, auf gediehlten Brücken und in Sommernächten zur Sonnenwende auf den Uferhöhen.

 

Als die Takte immer rascher wurden, der Alte sein Händeklappen beschleunigte, summte die

Mädchenstimme mit. In heller Reinheit fanden die Worte beider Singenden jugendhell zusammen: „Wind un Welle danze un drelle wie der Wind un wie de Welle“. Das Liedlein festigte sich, erst langsam, dann schneller und wieder gemäßigter. Der weißbärtige Alte hielt das Gleichmaß. Der Takt lockte immer weiter zum Tanz. Die jungen Füße schritten über die Dielen. Nirgends war es glatter als auf diesem Tanzboden, nirgends war die Luft frischer als in der Feuchtigkeit, die aus dem Wasser stieg. Ganz wenig schaukelte die Fähre unter den leichten Schritten der Tanzenden. In der Bewegung drehte sich das Tüchlein fest zusammen und löste sich von neuem, blieb aber in den Händen fest verschlossen. Die Tanzenden schritten im Kreise und wandten sich wieder. Sie tänzelten umeinander, sie hoben und schwenkten das Tuch mit bewegenden Armen, sie verschränkten die Hände, sie schwenkten ihr Fähnlein hoch über ihren Köpfen. Dann fühlte das Mädchen sich um die Hüfte gehoben, starke junge Arme hoben es empor, über ihnen wehte das Tüchlein gleich einer Fahne. „Wie der Wind un wie de Welle“ erklang das Lied über die bewegte Fläche des Memelstromes. Herbstfäden flogen vorüber, blieben am wehenden Tüchlein hängen und zogen wie verbindend, zerrissenen Schleiern gleich, einen Faden von ihm zu ihr, von ihr zu ihm. Die beglückten Knabenaugen suchten,nach oben gerichtet die gesenkten Blicke des Mädchens, bis plötzlich, der Tanz sein Ende fand, das Mädchen aus des Jünglings Armen glitt. Es hatte, niederblickend, zwei späte Wasserrosen entdeckt, die es winkend grüßte. Rasch sprang er über den Wolm und ans Ufer hinab, tauchte seine Arme tief ins Wasser und zog die weißen Rosen nach oben. Von den langen nassen Stengeln sickerten die Tropfen wie Tränen. Da flogen die abgerissenen schlammigen Enden ins Wasser zurück. Siegesfroh hielt der Beglückte die Blütenrosetten seiner Gesellin entgegen. Noch stand der alte Mann ans kantige Geländer seiner Fähre gelehnt. Seine rissigen Arbeitshände lagen noch flach aufeinander, als seien sie erstarrt. Und starr wurden seine Augen, als er sah, dass der Bursch niederkniete, um dem Mädchen die lang herabhängenden Flechten zu schmücken. Viersträhnig waren die Haare geflochten, schmale gewebte Bänder hingen bis zu den feinen Knöcheln hinab. Da banden geschickte Jünglingshände zwei Wasserrosen hinein. Hei, wie würden die Blüten im Tanze an den Zöpfen fliegen! Würde der alte Holäwer jetzt wieder sein Tanzlied anstimmen? — Er schwieg. Seine Gesichtszüge zitterten in Erregung. Stotternd rief er: „Fort damit! In Grund damit! Das sind Totenblumen, die sagen das Ende voraus, dem, der sie trägt!“ — Aber schon glitten wieder die jungen Füße über die Bretter und zweistimmig erklang das Lied, während der Greis sich umwandte. Hinter sich hörte er singen: „Wind un Welle danze un drelle wie der wie der Wind un wie de Welle!“

 

Von den Blumen beschwert flogen die Zöpfe in weitem Bogen. Im Wirbel der Bewegung löste sich eine der Blüten und fiel zu Boden. Langsamer weitertanzend, hob der Knabe sie auf und steckte sie lächelnd zwischen seine Lippen. Weiter hielten sie in ihren Schritten gleiche Bahn und summten nur: „Danze un drelle“ — aber der alte Mann sah nur das Wasser, das unter der Fähre dahin floss, schaute in den grauen Strom hinab und zum Himmel hinauf. Der war nicht mehr so blau wie vordem, dunkle Wolken waren aufgezogen und es wetterleuchtete in der Ferne. Fliehend flog ein Schwarm schwarzgrauer Krähen über den Strom dem Walde zu. Da ließen die Hände einander los, die Augen hoben sich und sahen den Vögeln nach. Windgetrieben bewegten sich die Weidenruten am Kopf eines rotbärtigen Mannes. Der Hinkende bestieg, seinen Sack schleppend, die Fähre. Der alte Holräwer erkannte ihn sofort. Hatte der Lauschende aus seinem Versteck beobachtet, was auf der Fähre geschah, die Pferde, die den Elch weiterschleppten, den Tanz und das Singen? Ja, der Fährmann wusste, dass der Schmuggler sich verbergen musste, trug er doch wieder einen Sack voller Bernstein, aus der Ostsee erbeutet, oder den städtischen Schnitzern abgehandelt. Der Fremde kam lahmend näher, griff in seinen Sack, suchte etwas, brachte es auf flacher Hand dem jugendlichen Paare. Die Liebenden würden ihn ja nicht anzeigen! — Die sahen in geheimnisvoller stummer Freude in die dargebotene Hand. „Bernstein!“ bewunderte dann das Mädchen. „Was gelten die Ringlein?“, schloss sich die Knabenstimme an. „Nur eine Abendsuppe diesseits, eine Nachtherberge jenseits“, bat der Mann. „Seht, ein schweres Gewitter droht, ich bin auf der Wanderschaft“ — „Unserer Väter Behausungen nehmen Euch auf“, rief die Knabenstimme, „geht dort hinaus, und dann fahrt über den Fluss und sucht Obdach im Försterhaus, dort ist Raum genug“. Der Wanderer nahm sein Bündel auf, wandte sich eilig zurück, bahnte sich Weg durch die Binsen. Zwei Ringlein schimmerten an zwei Händen, ein Blitz fuhr nieder und ließ sie erglänzen. Da trat der Fährmann zwischen die Jungliebenden: „Der Bernstein trägt in sich der Gottheit Feuer!“ raunte er, „seht, Blitz auf Blitz fährt aus den Wolken. Unser Gott Perkunos hat sein Werk im Spiel?! Rasch, werft den Bernstein über Bord — fort mit den feurigen Ringen, werft sie in den Grund“. Sie warfen nicht die Ringlein in die Wellen. Der eine fand den Weg ins steinerne Haus nach oben, der andere fuhr an stärkerer Hand über die Fähre ins Vaterhaus im Walde. Regen rauschte hernieder, Donner folgte dem Blitz. War es der Gott Perkunos, der im Wetter grollte?

 

Die aufgehende Sonne umsäumte hell die letzten Wolkenschichten. Von weither hatten Gräben und Bäche dem Memelstrome frische Fluten zugetrieben. Die vom Regen durchnässten Knechte des Wildnisbereiters, als sie zurückkehrend ihre müden Pferde auf die Fähre lenkten, sagten zum Fährmann: „Wenn der Olwiwersomer fliegt, dann darf es nicht donnern, das bedeutet, dass die Hexe den Flachs beim Spinnen verzoddert und dann ärgern sich die Weibsleute“. Dazu lachten die Männer, der Fährmann aber antwortete nichts und winkte mit der Hand, die Gespanne sollten sich sputen, über die Fähre zu kommen. Das taten die Pferde lieber als die Männer, denn die einen wollten noch ihr Geschwätz verlängern, die anderen strebten dem warmen Feuer entgegen. Dort stand der Wildnisbereiter, umstöbert von wolfsblütigen Rüden, und erwartete seine Gespanne. Die Schleppe aus Fichtenholz, worauf der Elchhirsch gelegen, war nun mit zwei großen Fässern beladen, eingetauscht gegen die gewaltige Jagdbeute. Der Wildnisbereiter klopfte mit dem Stock gegen die Fässer und nickte freudig. „Reibt die Gäule mit Stroh ab“, rief er, „und rollt die Fässer in den Keller! Bärenfang für die nächste Jagd!“ — Dies befehlend patschte er in hohen Stiefeln den lehmigen Weg hinab zur Fähre. „Halt, Halunk!“ rief er dem Flößer zu, welcher eben die Fähre zurücktrecken wollte. Mit langem Satz war er neben dem Alten, um dessen Arm er seinen gekrümmten Stock hakte: „Du, Kopscheller!“ schrie er ihn an, „bist mit dem Bernsteinrabuscher im Bunde! Den nahm ich auf in der Gewitternacht, er tat, als danke er mir das Nachtquartier. Womit? Mit Worten — schändlichen Worten!“ Der Alte stand, den Hakenstock hart um den Arm fühlend, während die Hunde seine Bastschuhe umschnupperten. „Du Halunk!“ hörte er den Wildnisbereiter schreien. „Was hat der Bernsteinräuber verraten? Was? Mein Sohn — mein Artsohn — Fluch über Eure Fähre! Darauf hat mein Sohn getanzt, mit der da!“ Und die Hand drohte mit gerecktem Arm zum Schloss hinüber. „Des Gielgud Tochter kann fein tanzen und sie tanzt bei Euch — mit meinem einzigen Sohn! — Zwei Ringe kauften sie sich vom Bernsteinjuden! Ich will kein Mädchen aus pruzzischem Gezücht, ich will keine Gielgud! Ich bin Litauer und bin den Göttern treu. Er war Pruzz und hält zu den Christenleuten, die Ritter ziehen ihn in ihren Orden! Ich will meine Wolfshunde auf dich hetzen, nimm dich in Acht. Ins Wasser sollen sie dich schmeißen, wo der Strudel dich nie mehr aus der Tiefe lässt! Deine Fähre ist kein Tanzboden, nicht für einen Radauen und nicht für eine Gielgud!“ Den Hakenstock zerrend und schüttelnd ließ er ihn endlich los und pfiff den Hunden, doch wandte er sich nochmals zurück, stand am Ufer wie ein wütender Elchbulle und schrie: „Nie mehr soll die Fähre Tanzenden zur Lust sein — fortschwimmen soll sie — der Strick soll zerschnitten werden und du? Du! — Drohend stampfte der Gewaltige durch spritziges Wasser der Palwe zu. Erschöpft stand der Alte auf seiner Fähre. Mit Aufbieten all seiner Kräfte legte er das neue Seil um die Schulter und bog sich tief nieder, um seine schwere Last zu ziehen, deren er lebenslang gewohnt war. Sein Arm schmerzte ihn, er fühlte, wie kalt das Wasser war, das, durch den Gewitterregen gestiegen, über den Bohlen durch seine Bastschuhe zog. Er beugte seinen Kopf tief hinab, sah nichts als das graue Wasser, merkte nicht, dass jemand auf ihn zukam. Aus seiner Müdigkeit aufschreckend, fühlte der Alte, dass seine Fähre gegen die Rampe stieß. Da sprach ihn jemand an. Das war der Herr auf Gielgudisk, ein seltener Besucher. — „Alter“, rief er, „kommt einmal herüber, habe mit Euch zu reden“. — „Ach, Herr“, bat der Fährmann —, „straft mich nicht“. „Warum strafen?“ fragte der Herr gutmütig lächelnd. „Vergebt mir, Herr, weil Eure Tochter ein kindlich Spiel auf meiner Fähre trieb. Dürfen Kinder nicht spielen?“ — „Wir waren alle einmal jung, alter Mann“. — „Ja, Herr, Ihr im Schloss Gielgudisk, und dort überm Sttrom der Wildnisbereiter. Aber ich — ich! Die Memel fließt zwischen den Höfen“ — „und beiden Höfen habt Ihr treu gedient. Doch der mit Bernstein kam“ — „Ja, Herr, der mit Bernstein kam, als der bei Euch den Hirsebrei gegessen, hat er erzählt, was Ihr nicht wissen solltet. Herr, straft mich nicht und auch nicht Euer Kind“. — „Die Mädchen sollte stets die Mutter lehren, die Söhne stehen in Vaters strenger Zucht“. „So mag es sein, doch wer straft einen Greis, der hat nicht Eltern mehr, die ihn erziehen“. — „Ihr seid der Älteste und fühlt noch mit der Jugend. Schuld hat der Überläufer, der geschwätzige, der Eures Herzens Güte gehässig in die Nachbarhäuser trug“. — „Ach, Herr, wie dank ich Euch!“ — „Gehabt Euch wohl, getreuer alter Mann. Ich gehe hinauf, die Mutter möge richten und strafen, wenn sie will. Gehabt Euch wohl!“ (Fortsetzung folgt)

 

 

Seite 4   Veilchen

Veilchen,

Du bist so bescheiden

und klein

und doch muss um dich

etwas eigenes sein.

 

Es ist wohl,

weil du der Frühling bist,

Dein Duft

wie die erste Liebe ist:

So süß, so heimlich

und so hauchzart,

wie sie im Leben

nur einmal uns ward.

Gertrude Renate Nicolai aus Danzig

 

 

Seite 4   Jürgen / Eine kleine ostpreußische Geschichte. Von Günter Stetza

Jürgen war ein munterer kecker Junge eines kleinen ostpreußischen Dörfchens zwischen Tilsit und Ragnit. Klein Amerika hatte nur sehr wenig Bewohner und dazu recht ärmliche, mit Ausnahme des weit über das Land angesehenen Tierarztes, für den Jürgens Vater, der Schmied, hin und wieder eine kleine Arbeit leisten durfte. —

 

Jürgen war jetzt 11-jährig, aber er hatte im Dorf wenig Spielgefährten, und die übrige Jugend tollte sich meist einige Kilometer von Klein-Amerika entfernt mit Ragniter Schulrangen aus.

 

So war Jürgen also ziemlich einsam, aber er empfand das kaum mit einem trüben oder gar unzufriedenen Gefühl; er lebte seine Kindheit in den hellen Tag für sich und dachte niemals allzu viel über die Möglichkeiten des Spiels mit gleichaltrigen Kindern nach.

Er war nicht sonderlich klug und geistig aufgeweckt, doch körperlich recht stabil und derb. Aber Jürgen hatte doch einen ihm angenehmen Gesichtskreis. Bei seinem Vater in der Werkstatt war er nur selten zu finden, und der Alte begann seit einiger Zeit, sich Sorgen um das Interessengebiet seines Kindes zu machen, ohne dass er jedoch eine für den Jungen fühlbare Äußerung tat; es hatte sich auch hier jene geheime Uneinigkeit der Eltern über das Tun des heranwachsenden Sohnes herausgebildet, die im praktischen Sinn des Vaters und der fürsorglichen Behütung der Mutter ihre Extreme darstellte.

 

Umso mehr war Jürgen im Garten oder auf dem Acker des Tierarztes zu finden. Hier machte er sich sogar nützlich, was die Eltern schon oft missbilligt hatten, da er sich zu Hause selbst beim Anpacken einer leichten Arbeit dickköpfig und störrisch anstellte.

 

Aber mit der Beflissenheit, in der tierärztlichen Wirtschaft behilflich zu sein, hatte es nach Jürgens Standpunkt doch eine besondere Bewandtnis. Denn hier fühlte er sich seinerseits zu Dank verpflichtet, da der gute Herr Veterinär ihn so oft in seinem Wagen mit über Land nahm, und andererseits trieb er sich wiederum bei den Tierarzt-Leuten herum, weil er zu gern auf der Lauer war, gerufen zu werden mit den stets sehnsuchtsvoll erwarteten Worten

 

„Na, Jürgche, ei wollen wir wieder zusammen fahren?“

 

Dann wurde immer ein Pakt geschlossen, der Jürgen beseligte, und dann ging es mit dem Zweispänner auf und davon in die Stadt oder in die anderen Nester zur Kundschaft.

 

Wormeit hatte eine recht ausgedehnte Praxis, da er mit Ausnahme der beiden Nachbarstädte der einzige Tierarzt weit und breit war und sich ausgezeichnet auf Zucht- und Rindviehbehandlung verstand.

 

So war er dann fast jeden Nachmittag mit Jürgen unterwegs, und das wurde bald des Jungen schönster und unentbehrlicher Sport. Freilich, wenn die gnädige Frau oder des Arztes erwachsene Tochter einmal mitfuhren, zur Stadt oder auch nur als Begleitung, so musste Jürgen zurücktreten, und er pflegte dann dem Gespann lange nachzuwinken. In diesen Fällen entsagte er willig und gern, wusste er doch, dass es nur selten vorkam und dass doch der Platz neben dem Herrn Veterinär eigentlich ihm ganz allein gebührte.

 

Jürgen war nun aber nicht mehr so kindlich, Wormeit mit „Onkel“ zu duzen, und das hatten ihm wohl mehr die Eltern eingeprägt, als dass es ihm selbst in den Sinn gekommen wäre, denn das Verhältnis des Jungen zu dem alten biederen Tierarzt war so freundschaftlich als es der Junge überhaupt für möglich halten konnte.

 

In den Sommerferien war es ganz besonders schön; da stellte sich Jürgen völlig „zur Verfügung“ bei Tierarzts, denn zur übrigen Zeit des Jahres musste er ja an den Vormittagen nach Ragnit zur Schule, und nicht ohne Murren hatte er öfters festgestellt, dass ihm dadurch manches auf der Wormeitschen Wirtschaft verloren ging, denn gefahren wurde zu jeder Tageszeit einmal, das richtete sich ganz nach Einzelfällen, und ein guter Arzt muss schließlich stets seinem Patientenkreis zur Verfügung stehen.

 

Da ereignete es sich in Klein-Amerika — es war an einem unglaublich heißen Sonntage in Jürgens Sommerferien —, als der Tierarzt auf die Weide gerufen wurde, weil ein Ochse durch Hitzschlag umgefallen war. Jürgen erfuhr es am anderen Ende des kleinen Dorfes, denn des Sonntags war er nicht sehr darauf bedacht, in der nächsten Nähe des Wormeitschen Grundstückes zu sein. Aber das Ereignis des Hitzeunfalles hatte sich im Nu bis zu dem Jungen herumgesprochen und eine kleine Menschenschar bewegte sich in glühender Hitze zur Weide hin. Kaum hatte Wormeit das verendete Tier erreicht und flüchtig betrachtet, als Jürgen auch schon neben dem Herrn Veterinär stand und gespannt dessen Anweisungen lauschte. Ein paar Minuten später wusste der Junge, dass es am nächsten Morgen zum Abdecker ging. Das war etwas Besonderes und immerhin keine alltägliche Tour, denn Jürgen kannte die sonst zu befahrenden Strecken schon mit ungefährer Genauigkeit. Doch zur Abdeckerei zu fahren, war etwas Neues! Da musste man durch ganz Tilsit fahren und noch weit darüber hinaus über das Smaluppchen zum Stadtwald.

 

Die folgende Nacht brachte keine Abkühlung; die Leute hatten einen Gewitterregen erhofft, aber es war bis zum Morgen noch kein Tropfen gefallen. Schon frühmorgens herrschte eine bedrückend schwüle Luft, jene gespannte dicke Luft, die ein Gewitter anzukündigen pflegt, jedoch war dafür noch in keiner Richtung des Himmels ein Symptom wahrzunehmen. So fuhren Jürgen und der Herr Veterinär zur Abdeckerei. Der Hitze entsprechend ließ der Arzt die Zügel hängen, damit die Pferde nicht übermäßig unter der Schwüle zu leiden hatten und diese sich selbst ihren Schritt bestimmen konnten. In Tilsit wurde Station gemacht, und Jürgen durfte — wie stets — die Zügel halten und draußen stolz warten, als sei er schon ein richtiger Kutscher.

 

So schön es aber für den Jungen war, die Zügel in der Hand zu halten und sich dem beglückenden Gefühl hinzugeben, für diese Augenblicke, in denen der Veterinär einen Schoppen trank, Herr über das Gespann zu sein, so sehr verwünschte er manchmal auch diese Unterbrechungen der Touren, weil sie seiner Ansicht nach recht unnötig waren. Denn oft genug hatte Wormeit schon so lange „Station“ gemacht, bis er nicht mehr gerade stehen konnte und von dem jeweiligen Kneipwirt in den Wagen hineingeholfen werden musste, wo er dann infolge des eintönigen Wagengeklappers bald laut schnarchend einschlief und die Zügel dem Jungen überließ.

 

Doch das geschah in dem Maße nur auf dem Rückweg, denn Wormeit war trotz seiner Trinkfreudigkeit ein pflichtbewusster Mann, der erst seine Arbeit hinter sich wissen wollte, um dann umso mehr in den Gastwirtschaften seinen vorangegangenen schweren Dienst auszugleichen.

 

Für Jürgen war es jedes Mal ein erlösendes Gefühl, dass sich diese „Abwege“ seines väterlichen Freundes auf der Heimfahrt abspielten, denn dann fanden die Pferde allein den Weg nach Klein-Amerika; wie müsste es aber werden, wenn der Herr Veterinär einmal vor seiner Patientenfahrt zu tief in das Glas steigen würde — ? Obwohl das noch niemals vorgekommen war, dachte doch Jürgen wiederholt über solche Möglichkeiten nach, und so hatte der Junge schon seine Sorgen mit dem Herrn Veterinär.

 

Wenn noch nicht alle vorgesehenen Besuche abgestattet waren, dauerten die Aufenthalte vor den Wirtschaften nicht lange, was für das Pflichtbewusstsein Wormeits große Beweise sprach. — Auch heute ging es bis zur Abdeckerei gut, vorher hatten sie ein paar Patienten in Tilsit abgefertigt und Wormeit hatte sich einige Male leicht „gestärkt", so dass sie nun von der Abdeckerei direkt nach Hause, nach Klein-Amerika, zurückfahren konnten. Die Abdeckerei lag einsam im Walde, ein paar kleine Baracken und eine Weide bildeten das Gepräge des Betriebes. Wieder wartete Jürgen, die Lederzügel in der Hand, draußen auf dem Wagen. Die Verhandlung sollte nicht lange dauern, hatte der Herr Veterinär ihm noch gesagt, aber Jürgen begann wieder über die verschiedenen Zeitbegriffe des Arztes und seines eigenen nachzudenken, und mit leisem Fürchten nahm er den fernen Donner wahr. Den Himmel konnte er nur zur einen Seite sehen, zu der, woher sie gekommen, und da war er klar blau; zur anderen Seite versperrten ihm die hohen Fichten die Aussicht zum Firmament. Das Donnern wuchs rapide an, und das Rauschen der Baumkronen wurde wilder, unheimlicher, weil immer mal eine Totenstille dazwischen eintrat. Jetzt glaubte Jürgen schon eine kleine Verdunkelung am Himmel beobachten zu können, da, wo er aus den Tannenwipfeln hervortrat; im Walde, der in gerader Sicht vor ihm lag, wurde es jetzt noch merklich finsterer.

 

Die Pferde zogen ein paar Mal leicht an und Jürgen sah etwas verängstigt zum Hauseingang hin, in welchem der Veterinär vorhin verschwunden war. Jürgen wusste, dass ein Gewitter kommen musste. Ein paar Mal war der Himmel schon durch ferne Blitze erhellt worden, und es wurde immer rascher dunkel. Aber es war keine richtige Dunkelheit, vielmehr eine magische, aufreizende Beleuchtung, welche die Tiere vor dem Wagen ebenso unruhig machte wie den kleinen Kutscher, der im Augenblick eilig nachdachte, was er am besten tun könnte.

 

„Wenn er nur herauskäme“, dachte Jürgen etwas erregt und schaute intensiv nach der Tür hin, die Zügel mit seinen Knabenfingern ganz fest haltend, „sicher trinken sie drinnen“. Er dachte urplötzlich, schnell hinunterzuspringen und den Arzt zu holen oder ihn wenigstens auf das nahende Unwetter aufmerksam zu machen, da die Pferde unruhig wurden und es gleich zu regnen anfangen musste, aber als er gerade hochspringen und seinen Vorsatz ausführen wollte, begannen die Pferde aufzustoßen und ein wenig vorwärts zu gehen. Er musste also die Zügel straff in der Hand behalten. Da kam auch schon ein dicker Tropfen und die Tiere bäumten sich leicht und drängten, loszugehen.

 

Jürgen kauerte sich zusammen und hielt die Leine so fest, als sei sein Leben damit verbunden. Unverwandt starrte er nach der Tür. Mochten die da drinnen das Grollen, das Dunkeln, nicht bemerkt haben?

 

Im Nu prasselte es wie aus Schleusen vom Himmel herab, Blitze zuckten und Donner krachten. Unter die Wagendecke konnte sich der Junge nicht verkriechen; denn die Pferde waren fast nicht mehr zu halten und der Knabe musste seine ganze Kraft anwenden, die Tiere einigermaßen am Ort zu behalten. Der Regen war nur in der ersten Minute erlösend, dann aber war alles sogleich durchgeweicht, und der Wolkenbruch peitschte das Wasser unbarmherzig bis auf die Haut durch. Die Pferde stießen und sprangen hoch, doch Jürgen hielt in wahnsinniger Angst die Leine, leichenblass und wie ein Häuflein Unglück zusammengesunken. Nach dem Herrn Veterinär zu rufen, hatte nun keinen Zweck mehr; denn der Regen rauschte in ungeheurer Tonstärke nieder und ein einziges Donnerrollen zog sich immerfort durch die Luft.

 

Es war ein Glück, dachte Jürgen, dass die Blitze hinter dem Walde aufleuchten, dass die Pferde sie nicht sehen, aber kaum hatte er diesen Gedanken erfasst, als eine blendende Helle eintrat, ein höllisches Krachen, und gerade vor ihm ein Baumriese gespalten wurde, der mit unheimlichem Getöse zur Seite fiel — da gingen die Pferde los, und instinktiv schrie der Junge auf: „Herr Veterinär!“, mit einem letzten Blick auf die immer noch verschlossene Tür. Aber es half nichts mehr. Er saß atemlos im rasenden Gespann, seine Kraft reichte nicht mehr aus, den Pferden Einhalt zu gebieten, ja, je fester er anzog, um so wütender schienen die Tiere zu werden.

 

Jürgen saß nur da, die Zügel in der Hand, der Wagen hatte nun die holperige Landstraße erreicht, die Tiere drehten um, in die falsche Richtung, anstatt nach Tilsit zurückzulaufen. Hier musste es nach Heinrichswalde gehen, es goss und blitzte noch immer unaufhörlich, das Donnern ertrank in dem Krachen der Wagenräder auf dem ungleichen Straßenpflaster. Es war Jürgen, als müsste der Wagen bald in Trümmer gehen; denn es knackte in allen Fugen. — Und kein Mensch zeigte sich weit und breit, nur der rasende Wagen mit dem bleichen Jungen. Die Räder donnerten, Jürgen dachte an sie, würden sie aushalten? Die Räder, Räder, Räder….

 

Der Regen schien nachgelassen zu haben, oder das Entsetzen war zu groß, als dass er noch etwas ausmachen konnte. Dann kamen schon die ersten Häuser von Stadtheide-Vorort, und die Pferde schienen nicht mehr so wild wie anfangs zu sein, sie hatten sich ausgelaufen. Allmählich überzog sich der Himmel wieder mit hellem Blau und Jürgen konnte bald feststellen, dass er die Pferde wieder in die Gewalt bekommen hatte. Dann konnte er umdrehen und wieder den Weg zurück nehmen, den er im Schaudern hergejagt war.

 

Wie lange musste er jetzt zur Abdeckerei zurückfahren, da die Tiere wieder ruhig ausschritten! Es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne schien wieder und trocknete schon die ersten Pflastersteine. Ein erlösendes Lächeln huschte über das noch immer bleiche Gesicht des Jungen. Dann hielt Jürgen wieder an der gleichen Stelle, wo er vor einer Stunde die schrecklichen Minuten hatte ausstehen müssen.

 

Kurz darauf kam Wormeit heraus, begleitet von einem fremden Manne. „Na, Jürgche“, sagte der Veterinär, der nicht so betrunken war wie es der Junge gerade heute erwartet hatte, „'s hat doch ei Weilche länger jedauert, bist sehr nass jeworden?“ „Ei was“, sagte der Junge und zwang sich zu etwas Heiterkeit, „es trocknet schon wieder. Und warten hab' ich ja schon öfter müssen!“

 

Dann aber — nachher — als sie Tilsit schon wieder hinter sich hatten, sagte Wormeit: „Bist ei tapfres Jungche, Jürgche“, und es rann ihm eine dicke Träne über das Gesicht. „Ich wer draußen vorhin, warst wech, de Pferde waren‘s, ich weiß, ich hab' mein Lebtag noch nich so eine Angst ausjestanden wie verjangne Stunde. Ich will auch nich wieder trinken“.

 

Jürgen sagte nichts dazu, er verschrieb seine Antwort darauf der Zukunft.

 

 

Seite 4   Bundes-Vertriebenengesetz

Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge mit Nebengesetzen und Durchführungsbestimmungen, von Werber-Bode-Ehrenforth (Kohlhammer – Kommentare 1954) (288 Seiten – 15,80 D-Mark).

 

Ministerialdirigent Werber, Ministerialrat Dr. Bode (beide im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte) und Ministerialrat Dr. Ehrenforth (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) die bereits eine im Mai 1953 im W. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart und Köln, erschienene Textausgabe des Bundesvertriebenengesetzes – BVFG – vom 19. Mai 1953 mit Beiträgen erläutert haben, zeichnen jetzt als Bearbeiter für den Referenten-Kommentar zum Bundesvertriebenengesetz, der vom gleichen Verlag herausgegeben wird.

 

Die Verfasser haben sich, wie sie im Vorwort ausführen, zum Ziel gesetzt, mit dem Kommentar den Behörden und Gerichten ein Hilfsmittel für die Anwendung des Gesetzes zu bieten und den Vertriebenen und Flüchtlingen sowie deren Organisationen ein klares Bild über den Inhalt des Gesetzes zu verschaffen. Die Fachwelt wird den Verfassern bestätigen, dass ihnen das in souveräner Beherrschung der Materie gelungen ist. Zustatten kommt diesem Werk, dass die Verfasser als Referenten an den Vorbereitungen des Gesetzes und an den Beratungen in den Bundestagsausschüssen maßgeblich beteiligt waren.

 

Der Schwerpunkt der Kommentierung liegt in den Fragen zum Personenkreis und bei den Titeln „Landwirtschaft“ und „Schuldenregelung“, ohne dabei etwa die sonstigen Titel zu vernachlässigen. Die Verzahnungen mit anderen die Vertriebenen und Flüchtlinge betreffende Gesetzen (Lastenausgleichsgesetz mit Nebengesetzen, Notaufnahmegesetz, Umsiedlungsgesetz, steuerrechtliche Bestimmungen für Vertriebene und Flüchtlinge, Bundesevakuiertengesetz, Bundesentschädigungsgesetz, Heimkehrergesetz, Gesetz zu Art. 131 GG) werden eingehend behandelt.

 

Als besonderer Vorteil dieses Kommentars erweist sich, dass zahlreiche erst in der Praxis aufgetretene oder auch im Schrifttum angeschnittene Zweifelsfragen anhand von Beispielen gewürdigt oder geklärt werden konnten.

 

Wertvoll erweisen sich für die Benutzung des Kommentars die den einzelnen Titeln des Gesetzes vorangestellten Vorbemerkungen, die in den materiellen Inhalt einführen und die Motive der Vorschriften behandeln, die im Ende 1953 ergangenen Durchführungsbestimmungen sowie die Schaukarten der Hauptvertreibungsgebiete, der Oder-Neiße-Linie und der Verwaltungsbezirke von Berlin. Die klare Sprache des Kommentars verdient besonders hervorgehoben zu werden.

 

Wer sich mit Fragen des Vertriebenenrechts befasst, wird zu diesem Kommentar greifen. Dem Fachmann wird er unentbehrlich sein. L.

 

 

Seite 5   Wir gratulieren

Bestandene Prüfung!

Die Reifeprüfung an der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Hannover (Helene-Lampe-Schule) hat Hannelotte Behrend in Bad Nenndorf (früher Angerburg, Neuer Markt 16) bestanden.

 

Der Oberschüler Gerd Josuttis, Sohn des Justizinspektors Josuttis, früher in Kreuzingen, jetzt in Celle wohnhaft, machte sein Abitur. Wie wir erfahren, will er Medizin studieren, wozu wir ihm herzlich gratulieren.

 

80 Jahre alt wird am 04.04.1954, Altbauer Aloysius Heinrich, aus Braunsberg/Ostpreußen, jetzt Stierstadt i. Taunus. Pfaffenweg 6.

 

 

Ostpreußenfamilie Flensburg

70 Jahre und älter werden im Monat April 1954, die nachstehend aufgeführten Mitglieder der Ostpreußenfamilie in Flensburg:

 

Am 01.04.1954: Frau Dr. Helene Eichler, Falkenberg 6, früher Königsberg (Pr.), Dieffenbachstraße 11, 72 Jahre.

 

Am 01.04.1954: Frau Maria Horn, Klosterholzweg 18, früher Grenzheide, Kreis Schloßberg, 74 Jahre.

 

Am 03.04.1954: Karoline Hömke, Voigtstraße 36, früher Gaffken, Kreis Samland, 79 Jahre.

 

Am 03.04.1954: Johanna Neumann, Mathildenstraße 6, früher Königsberg (Pr.), Quitzow-Weg 16 oder 18, 87 Jahre.

 

Am 05.04.1954: Herr Artur Liebe, Angelburger Straße 58, früher Antonswiese, Kreis Elchniederung, 75 Jahre.

 

Am 07.04.1954: Herr Hans Beckmann, Große Straße 30, früher Gilge (Ostpreußen), 70 Jahre.

 

Am 07.04.1954: Peter Brockmann, Birkenweg 14, früher Braunsberg, Danziger Straße 6, 78 Jahre.

 

Am 07.04.1954: Wilhelm Schönfeld, Munketoft 3, früher Nassawen, Kreis Ebenrode, 70 Jahre.

 

Am 08.04.1954: Frau Helene Frost, Brixstraße 36, früher Königsberg-Rosenau. Jerusalemer Str. 24, 72 Jahre.

 

Am 09.04.1954: Martha Zmoydzin, Adolf-Menzel-Weg 26, früher Tapiau (Ostpr.), Tannenbengstr. 13, 73 Jahre.

 

Am 11.041954:. Anna Jablonski, Moltkestraße 2, früher Pillau, Schmiedestraße 5, 75 Jahre.

 

Arm 11.04.1954: Berta Müller, Altersheim des DRK, früher Pillau, 82 Jahre.

 

Am 11.04.1954: Marie Thiel, Osterallee 26, 74 Jahre.

 

Am 12.04.1954: Sophie Brunslow, Friesische Straße 63, früher Gerdauen, 78 Jahre.

 

Am 14.04.1954: Ella Fröhlich, Parkstraße 11, früher Memel, Mannheimstraße 19, 77 Jahre.

 

Am 15.04.1954: Herr Karl Thorun, Mühlenholz 66, früher Heilsberg (Ostpr.), Ferd.-Schulz-Straße 34, 71 Jahre.

 

Am 17.04.1954: Willy Fischer, Mürwiker Straße 186, früher Königsberg, Hochmeisterstr. 13, 74 Jahre.

 

Am 18.04.1954: Frau Elise Latt, Südergraben 30, früher: Cranz (Ostpr.), 80 Jahre.

 

Am 22.04.1954: Herr Franz Perrey, Fruerlundlücke 9, fr. Königsberg (Pr.), Batockistr. 10, 75 Jahre.

 

Am 23.04.1954: Frau Elisabeth Roddeck, Südergraben 30, früher Ostseebad Cranz, 77 Jahre.

 

Am 23.04.1954: Marie Sassor, Husumer Straße 87, 83 Jahre.

 

Am 28.04.1954: Amalie Ludwig, Friesische Straße 82, fr. Memel (Ostpr.), 73 Jahre.

 

Am 30.04.1954: Frau Luise Kuhnke, Ballastbrücke 22, fr. Insterburg, 77 Jahre.

 

Die Flensburger Ostpreußenfamilie, insbesondere der Vorstand gratuliert allen Geburtstagskindern aufs herzlichste und wünscht ihnen einen sonnigen und gesegneten Lebensabend. Armoneit

 

 

 

Seite 5   Österliche Heimaterinnerungen

Immer wieder ist von Schriftstellern und Poeten das Erblühen der Schneeglöckchen und das Kreiselspiel der Kinder als untrügliches Zeichen des Frühlings besungen worden. Für uns Ostpreußen waren dies keine sehr verlässlichen Merkmale für das endgültige Ende des Winters. Wohl gab es auch für uns Kinder Schneeglöckchen und Kreiselspiele, aber es konnte geschehen, dass die kleinen Frühjahrsblumen in den Vorgärten nicht nur ihre Köpfchen aus schneedurchsetzter Erde hervorsteckten, wie es ihrem Namen zukam, sondern dass sie noch einmal mit einem dicken weißen Teppich zugedeckt wurden, und dass unsere Peitschen und Kreisel sich noch nach „Frühlingsanfang“ im geheizten Zimmer gedulden mussten, während wir mit dicken Skistiefeln oder Überschuhen auf den hohen Schneewällen am Straßenrande entlangbalancierten oder auf dem Oberteich unsere Bögen schnitten. Erst wenn die gegossene Eisbahn wieder in die früheren Tennisplätze verwandelt wurde, wenn der Storch auf der alten Scheune „am Bach“ sein Nest bezogen hatte und die Gewächshäuser in der Gärtnerei auch des Nachts nicht mehr ihrer schützenden Matten bedurften, wagten wir unseren Schlittschuhschlüssel, der den ganzen Winter über an einem Band um den Hals „bommelte“, mit der Tiergartenkarte, dem Wahrzeichen des Sommers, zu vertauschen. Ja, wenn auch nicht gerade die besagten Wölfe bei uns über die Straße liefen, so war doch manches später, oder zum mindesten anders als in anderen Teilen unseres Vaterlandes, so auch die Vorboten des Osterfestes. Zwar füllten sich auch bei uns Wochen vor dem Fest die Schaufenster mit gelben Wollküken und Papiermache-Hasen, mit gefüllten Osternestern und nickenden Reklame-Hennen, zwar standen auch bei uns auf dem Tontisch des Kaufmanns die riesengroßen Gläser mit den bunten Bonboneichen, die man sich selbst erstehen konnte, wenn man durch eine gute Schulnote ein „Dittchen“ verdient hatte, und auch bei uns erschienen lose und in den feinsten Verpackungen die schokoladenbezogenen Marzipaneier in den vornehmen Konditoreien der Stadt. Wer sie aber kostete, und wer zwischen Schnee und Eis die weißen Kleidchen der „bibbernden“ Konfirmandinnen unter ihren Mänteln blitzen sah oder den stolzen Abiturienten mit ihren roten Stürmern und der Alberten besteckten Brust begegnete, der wusste, dass er nirgends anders sein konnte, als in der Stadt des weltberühmten Marzipans, in der Stadt der „Albertina“, wo so manches Mal die Wasser noch nicht „vom Eise befreit“ waren, wenn die Osterglocken läuteten. Aber wenn das Verslein

 

Osterhäschen im Schnee

tut Dir das Eierlegen nicht weh?

 

vielleicht auch nirgends besser hinpasst, als in meine Heimat, so gab es doch, besonders an spät liegenden Osterfesten, Feiertage von strahlender Frühlingsschönheit, an dem wir auf Rädern hinaus fuhren, um uns Palmkätzchen und Frühlingsgrün zu holen. Letzteres hatte am Ostermorgen nach alter Sitte noch eine besondere Mission zu erfüllen. Wer am frühsten aufwachte, griff nach den grünen Zweigen und ließ sie gleich einer Rute über die Beine der noch schlafenden Hausgenossen gleiten, während er die raue Handlung mit den Worten „Schmackoster — Schmackoster“ begleitete. Natürlich waren immer wir Kinder diejenigen, die im Morgengrauen unsere jedes Mal empörten Eltern aus dem Feiertagsschlaf prügelten. Aber sie vergalten uns nicht Böses mit Bösem, sondern ließen uns wenige Stunden später bei lauter und leiser werdenden Klavierklängen unsere Ostereier unter Sofakissen und Anrichten, auf dem Lampenschirm und im Grammophon suchen, wobei die versteckte Wurst für unseren Schäferhund das Hauptvergnügen bildete. Für ihn war Ostern überhaupt ein großer Tag, denn er vereinte uns zu seiner tobenden und bellenden Freude alljährlich zu dem sonst nie zu erreichenden Familienspaziergang, der am Landgraben entlang führte und für uns dadurch charakteristisch wurde, dass mein Vater ausnahmslos die „Pastorale“ von Beethoven pfiff. Immer wenn ich seither diese Klänge höre, tritt das heimatliche Bächlein zwischen erstem zartem Frühlingsgrün vor mein inneres Auge und lässt's in meinem Herzen Ostern werden. Ganz leise reiht sich dann Bild an Bild im Buche der Erinnerung:

 

Das Gedicht von dem Osterhasen, der zu unserem Schrecken nur den Kindern bunte Eier brachte, die sich nicht zankten — — der Stoffhase mit den langen Ohren und den großen Holzrädern, der, o Wunder, in der Osterzeit jeden Morgen ein Marzipanei gelegt hatte, die lila Körbchen mit den bunten Blümchen drauf, die uns einmal die Großmutter geschenkt hatte, als wir zum Osteressen geladen waren, und die seitdem jedes Jahr aufs Neue mit unserer österlichen Beute gefüllt wurden. Dann das „russische Ei“ bei den Elbinger Großeltern, das viele farbige, immer kleiner werdende Holzeier in sich barg, so wie die essbaren Eier, die der „richtige“ Osterhase im Vogelsanger Wald hinter den Bäumen versteckt hatte; Jahre später dann das große mit Konfekt gefüllte Schokoladenei mit der bunten Schleife, das nach bestandener Prüfung die frischgebackene Sextanerin belohnte. Wohl gab es nun keinen wirklichen Osterhasen mehr, und doch mussten die jungen Füße noch tausendmal den Weg zum roten Schulgebäude in der Hindenburgstraße tippeln, ehe der tiefe, eigentliche Sinn des Osterfestes zur köstlichen Frucht des Lebens herangereift war.

 

Nichts aber hatte mehr Anteil an dieser Reife, als die kleine graue „Steindammer Kirche“, in der ich andächtig meinen ersten Konfirmandenunterricht empfing, und deren Glockenruf zu Passions-Andachten und vorösterlichen Gottesdiensten ich mit erwartungsvollem Herzen folgte, um zum ersten Mal mit ganzem Ernst den Weg nach Golgatha zu gehen. Und wo immer im späteren Leben die ergreifenden Klänge des „O Haupt voll Blut und Wunden“ das Osterfest ankündeten, im Gesang einer Gemeinde oder im gewaltigen Chor der Matthäus-Fassion, da versanken für mich die Pfeiler und Emporen fremder Gotteshäuser und prächtiger Dome vor dem Bild der kleinen unscheinbaren Heimatkirche, wo im geweihten Dämmerlicht die ersten und tiefsten Gründe meines Glaubens gelegt wurden.

 

Wieder läuten die Osterglocken von Turm zu Turm. Es sind nicht mehr die Glocken der Heimat, nicht für mich und nicht für tausend andere, aber es ist derselbe Ruf, der durch die Jahrzehnte ertönt und durch die Jahrhunderte. Ihm zu folgen heißt die Mission erfüllen, die einst die heimatliche Orgel in junge heiße Herzen pflanzte, als sie leise mahnend ihr „Sei getreu bis an den Tod“ erklingen ließ, heißt:

dennoch eine Heimat haben. Carla Christine Wyneken.

 

 

Seite 4   KVD-Wirtschaftshilfe für vertriebene Künstler und Wissenschaftler

Bonn. Eine Wirtschaftshilfe für vertriebene Künstler und Wissenschaftler und Erzieher führt ab 1. April das „Kulturwerk der vertriebenen Deutschen e. V.“, Sitz Schloss Burg an der Wupper, durch. Die Mitglieder des KVD, dem u.a. der ZvD, Wangener Kreis, Heimstättenwerk, West- und Überseevertriebene angehören, erhalten in allen mit der Vertreibung und der Eingliederung zusammenhängenden Fragen kostenlose Auskunft durch die Sektion Wirtschafts- und Sozialbetreuung. In besonderen Fällen übernimmt die Sektion auch die Durchführung entsprechender Verfahren für den Antragsteller.

 

 

Seite 4   Memelland-Kalender 1954

Auch in diesem Jahr kann man dem Memelland-Kalender, den der Zeitungs- und Buchverlag F.W. Siebert in Oldenburg i. O. herausgebracht hat, höchste Anerkennung zollen. Die 88 Seiten dieses hervorragenden Kalenders sind diesmal der Wunderlandschaft der Kurischen Nehrung gewidmet, und jeder Freund dieser einmaligen Landschaft wird sich glücklich schätzen, wenn er diesen Kalender zur Hand nimmt. Bekannte ostpreußische Schriftsteller haben glänzende Beiträge geschrieben, die von dem einsamen Landstreifen zwischen Haff und Meer, von der Heimat des Elches, der Bernsteinküste, und den Wanderdünen der Sahara des Nordens Zeugnis ablegen. Wir nennen u. a. Paul Fechter, Fritz Kudnig, Rudolf Naujok. Außerdem enthält der Kalender eine vierseitige Kunstbeilage, die nach einem Original des Elchmalers Hans Kallmeyer angefertigt wurde.

 

Es ist wirklich nicht zu viel gesagt, wenn das Vorhaben des Verlages, der „Wüste am Meer“ ein Denkmal zu setzen, mit diesem Kalender in glücklichster Form gelungen ist. Es ist übrigens der fünfte Kalender, den der Verlag des „Memeler Dampfbootes“ herausgebracht hat. Auch er kostet nur 1,65 DM. Es sollten sich möglichst viele Ostpreußen diesen glänzenden Kalender anschaffen. Sie werden ihre Freude daran haben.

 

 

 

Seite 5   Jetzt

Wenn weiße Wolken ostwärts wandern

Zu meiner Heimat Seen und Höh'n,

Dann werden dort die Andern

Den Frühling kommen sehn!

 

Jetzt wird das Eis dort krachen,

Wenn Föhn und Frost sich streiten

Und in der Sonne Lachen

Der Schnee schmilzt in den Weiten! —

 

 

Jetzt werden dort die Schwäne

Mit ihren weißen Schwingen,

Die alten Stätten suchend,

Das erste Lied des Frühlings singen!

 

Jetzt wird der Pflug in Feldern

Der Erde Scholle brechen,

Die Schnepfe in den Wäldern

Nach ihrer Nahrung stechen.

 

Jetzt wird die Erde duften

Im Mittagssonnenschein

Und in den weichen Lüften

Wird Lerchenjubel sein!

 

Jetzt werden wir vertrieben

Der Heimat still gedenken.

Wenn wir die Heimat lieben,

Muss Gott sie wieder schenken!

A. v. L.

 

 

Seite 5   Seesen a. H.

Im Rahmen einer Agnes Miegel - Feier der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen am 3. April veranstaltet die Buchhandlung Lippold-Seesen im Verein mit Evgen Diederichs Verlag-Düsseldorf im Ratskeller eine Buchausstellung der Gesamtwerke der großen Dichterin aus Anlass ihres 75. Geburtstages.

 

 

9. Panzer-Division

Die 9. Panzer-Division, zu der auch die ostpreußische 10/S.R. 10 gehörte, führt am 10. und 11. April in Bad Honnef am Rhein ein Treffen durch. Alle Kameraden und ehemaligen Angehörigen der 9. Panzer-Division werden zu diesem Treffen aufgerufen. Anmeldungen und Anfragen sind zu richten an Herrn Friedrich Thon (Organisationsstelle) in Oberpleis/Siegkreis, Asbacher Straße 20.

 

 

Seite 5   Unsere Leser schreiben: „Die Flucht aus Wehlau“  Eine Richtigstellung

Die Zuschrift des ehemals Wehlauer Reg.Oberinspektors Herrn K, Schoen in Nr. 3/ März 1954 der Ostpreußen-Warte zu dem Erlebnisbericht über „Die Flucht aus Wehlau“ bedarf einer Richtigstellung.

 

Dem Einsender ist zuzustimmen, wenn er sagt, er habe nicht die Absicht, diesen Bericht zu zerpflücken. Man kann kein fremdes Erlebnis korrigieren wie ein Schulheft; niemand kann nachträglich Handlungen oder Unterlassungen richtig beurteilen, der nicht selbst unter demselben Druck stand und handeln musste.

 

Der Einsender glaubt den Bemerkungen über Landrat v. Einsiedel widersprechen zu müssen. Dazu ist kein Anlass gegeben, denn es wird nur dessen Äußerung angeführt, „der Kreis Wehlau dürfe sich nicht auch noch auf die Landstraße begeben“ und die „Anordnung zur Treckbereitschaft“ vom gleichen Abend. In beiden Feststellungen liegt in keiner Weise eine Herabsetzung des Landrats v. E., der bis zum letzten Augenblick gehandelt hat, wie das Gesetz es befahl.

 

Leider hat der Einsender dem auf der Flucht mit seiner Frau ertrunkenen Herrn v. Weiß gegenüber nicht, dasselbe Feingefühl. Er bezeichnet ihn zunächst als Restgutsbesitzer, was doch nur den Zweck haben kann, ihn vor den Lesern herabzusetzen. Dabei ist diese Bezeichnung nicht einmal zutreffend. Als in der landwirtschaftlichen Krise auch Groß-Plauen saniert wurde, geschah es unter Abverkäufen an die im Erlebnisbericht erwähnten Siedler und unter Eintragung des einzigen Kindes als Besitzer; Herr v. W. war also, wenn man ganz genau sein will, Treuhänder bzw. Gutsverwalter seiner Tochter.

 

Ein schwerer und ehrenkrankender Vorwurf liegt besonders in der Unterstellung des Einsenders, Herr v. W. habe sich seiner Dienstpflicht im Volkssturm entzogen, was gleichaltrigen Männern, die aber nicht den Dienstgrad bekleideten wie Herr v. W., nicht möglich gewesen sei. Dazu ist zu sagen, dass

Herr v. W. gemäß seiner Mob.-Bestimmung als alter Generalstabsoffizier vom ersten Tage des Krieges an beim Wehrkreiskdo. I Dienst getan hat. Mit Erreichen der Altersgrenze, welche von Offz. z. V. auch freiwillig nicht überschritten werden konnte, wurde Herr v. W. unter Neufestsetzung der Pension endgültig aus dem Wehrdienst entlassen. — Es scheint fast, dass der Einsender mit den Maßnahmen der Koch, Knuth und Konsorten hinsichtlich Aufstellung des völlig ungenügend bewaffneten und ausgerüsteten Volkssturms, der nur ein Verkehrshindernis für die kämpfende Truppe war und sinnlos hingeopfert wurde, ganz einverstanden ist und jedem ostpreußischen Landsmann ein solches Ende gönnte. Es ist nicht recht verständlich, was in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den Einsatz des Einsenders in Nordfinnland und zum Schluss in den Kämpfen um Berlin soll. Es war als Soldat seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, nicht etwa freiwillige Heldentat.

 

Schließlich bemängelt der Einsender noch die Überschrift des Erlebnisberichtes „Flucht aus Wehlau“. Die Leser der Dokumentation in Deutschland und darüber hinaus, für welche dieses Werk ja auch — und nicht zuletzt — bestimmt ist, interessiert es wohl kaum und ist auch nicht wichtig, wie weit Groß-Plauen von Wehlau entfernt ist. Die vom Einsender angegebenen 13 km fallen nur ins Gewicht, wenn man vom Wehlauer Kirchturm aus Umschau hält.

Graf E. zu Eulenburg

 

Die Verfasserin antwortet „Zu dem Eingesandt“ des Herrn Kurt Schön aus Wehlau in Ihrer Nr. 3/54 Seite 14 muss ich als Verfasserin des in ihrer Nr. 2/54 abgedruckten Erlebnisberichtes wie folgt Stellung nehmen:

 

Im Jahre 1952 wurde ich von dem „Beauftragten der Landsmannschaft Ostpreußen“, Herrn v. Flottwell aufgefordert, für die beabsichtigte Dokumentensammlung über die Vertreibung aus der Heimat meine Fluchterlebnisse zu schildern. Ich betitelte diese: „Meine Flucht aus Ostpreußen“.

 

Was Herr Schön über den Landrat v. E. schreibt, ist, wie ich erst jetzt in Erfahrung brachte, richtig. Da Herr v. E. noch ein paar Tage vor dem großen Treck als Landrat in Wehlau tätig war und 7 Jahre nach der Vertreibung vergangen waren, als ich den Bericht schrieb, war mir kein anderer als Landrat von Wehlau in Erinnerung. Ich bedauere aufrichtig, dass ich mit meinem sachlich berechtigten Vorwurf, der demnach den Nachfolger des Herrn v. E. trifft — einem Toten Unrecht getan habe. Erst durch das „Eingesandt“ des Herrn Sch. erfuhr ich von dem Tode des Landrats v. E. Dieses auszusprechen ist mir eine selbstverständliche Ehrenpflicht!

 

Umso entschiedener muss ich aber den völlig unbegründeten Vorwurf gegen den verstorbenen Oberst v. Weiß zurückweisen, er hätte sich „als Zivilist nicht aus Ostpreußen absetzen“ dürfen, sondern hätte in den „Volkssturm“ gehört“.

 

Da Herr Schön, wie er schreibt, bis Mai 1945 Soldat war und in Nordfinnland stand, kennt er anscheinend nicht die Verhältnisse, die damals in unserer Heimatprovinz herrschten. Der Oberpräsident, Gauleiter und — wie er sich damals wohl nannte — Verteidigungskommissar Erich Koch hatte es im Jahre 1944 fertig gebracht, die Fortziehung der damals in Ostpreußen neu aufgestellten Truppen aus der Provinz vorzuschlagen oder zu dulden. Stattdessen verpflichtet er sich „seinem Führer“ gegenüber, er werde die Provinz Ostpreußen mit „seinem Volkssturm“ verteidigen. — Das waren ein Wahnsinn und ein Verbrechen an den alten Männern und Kindern von 14 Jahren. — Kein Mensch, der nicht irgendwie dazu gezwungen wurde, hatte die Verpflichtung, diesen Wahnsinn mitzumachen!

 

Außerdem war, wie ich aus eigenem Augenschein weiß und wie mir sein Bruder ausdrücklich bestätigt, Herr v. Weiß mit einem schweren Gallenleiden sterbenskrank auf seinen Wunsch aus dem Krankenhaus entlassen, da er es auch als schwerkranker Mann als seine Pflicht ansah, als Bürgermeister die Plauer Gemeinde selbst bei der Zusammenstellung und Durchführung des Trecks zu leiten. Ohne sein wiederholtes tatkräftiges Eingreifen (vgl. m. Bericht!) wären wir alle bei dem entsetzlichen Wirrwarr schon unterwegs liegengeblieben und verkommen! War diese Tat nicht unendlich viel mehr wert, als wenn Herr v. Weiß als totkranker Mann in kürzester Zeit beim Volkssturm zusammengebrochen wäre? Was der verstorbene Oberst v. W. in jahrzehntelanger Tätigkeit für die Provinz Ostpreußen geleistet hat, ist allgemein bekannt und ist im vergangenen Jahr in der Vertriebenen-Presse gebührend gewürdigt worden. Wer ihn gekannt hat, weiß, dass ihm Pflichterfüllung bis zum Letzten selbstverständlich war. Unverständlich bleibt daher mir und allen, die ihn gekannt haben, der unberechtigte Vorwurf gegen diesen so verdienstvollen Toten!“

Eva Kuckuck

 

 

 

Seite 6   Wie einmal Elbings Markttor abgebrochen werden sollte.

Elbing besaß bis zum Jahre 1772 drei Markttore, eigentlich vier. Das älteste davon war unser heutiges „Markttor“. Es wurde im Jahre 1319 erbaut, als man daran ging, die hölzerne Schutzwehr der Stadt durch feste Mauern zu ersetzen. Da, wo sich die Schichaustraße mit der Altstädtischen Wallstraße schneidet, jenseits eines in einigem Abstand an ihm vorbeifließenden Grabens, lag das „äußere Markttor“, flankiert von zwei Seitentürmen. Seinen mittleren Giebel zierte eine Steinfigur, einen geharnischten Mann darstellend, der, zum Wurf ausholend, eine große Steinkugel in den Händen hielt. Als dieser geharnischte Krieger aus irgendeiner Ursache plötzlich den Kopf verlor, soll das zu allerlei abenteuerlichen Gerüchten Anlass gegeben haben. Schade, dass sie uns nicht erhalten geblieben sind; denn man hört ja gern so etwas aus fernen Tagen. Auf dem Gelände des jetzigen Oberlyceums stand einmal das „neue äußere Markttor“, zu dem noch ein nach Osten hinausgeschobener Vorbau gehörte, den man das „neue äußere Markttor“ genannt haben soll.

 

Von alledem — wie überhaupt von den ehemals 25 Türmen der Stadt — war uns nur das Markttor erhalten geblieben. Durch die Großzügigkeit des Teichen holländischen Kaufmanns Isaak Spiering von Güldenkron war es im Jahre 1639 mit der Uhr versehen worden, deren große, schwarzen Zifferblätter mit den goldenen Speeren an der Nord- und Südseite des Turmes uns noch erfreuten und getreulich sagten, „watt de Pink' jeschoawe“, d.h. was die Glocke geschlagen. Der Turmaufsatz ist unserm Markttor erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aufgesetzt worden.

 

Das Bild unserer Stadt ohne Markttor ist keinem Elbinger denkbar. Sehen wir heute sein Bild, so ist es, als spräche die Mutter zu uns. Wohl auch lieb und vertraut, kommt dennoch ihm kein anderes Wahrzeichen gleich. Darüber braucht kein Wort mehr verloren zu werden. Gewiss, es sperrte ein bisschen sehr den Zugang zum Alten Markt, dass es deshalb aber abgebrochen werden sollte --- welcher Unglücksrabe ersann einmal diese Ungeheuerlichkeit? Wollte er gesteinigt werden?

 

Zur eigenen wie auch zur Beruhigung aller, die das einmal anging, sei hier aber ausdrücklichst erklärt, dass kein Amt, keine behördliche Person, selbst nicht einmal der besessenste Neuerungsfanatiker je im Ernst daran gedacht hat, das Markttor niederzulegen, es wäre denn kein Elbinger gewesen. Wir lesen gern die Historie unserer geliebten Heimatstadt, wir sind stolz auf ihre Vergangenheit und dürfen es auch sein, doch fanden und finden unsere Liebe zu ihr nicht das Wort des heimatseligen Überschwangs ohne Boden unter den Füßen. Wie hitzköpfig aber auch ein waschechter, robuster Elbinger werden kann, wenn Leichtfertigkeit und Unfühlsamkeit an irgendetwas rühren, was ihm lieb und wert und teuer ist, ans Herz gewachsen von Kindheit auf, das habe ich einmal mit heiligem Schreck erlebt.

Es war in den Tagen der Inflationszeit und zwar — ich weiß das zufällig noch genau — an jenem Tage, an dem die Flasche Englisch-Brunner Pilsener dreißigtausend Mark kostete. Beim Uhlenhorster Fährhaus am Elbingfluss hinter Englisch-Brunnen unterhielt der Stinnes-Konzern einen riesigen Stapel Papierholz. Aus irgendeinem Grunde war eine amtliche Baugelände-Kommission dort gewesen und fiel nun, hungrig und durstig, wie so etwas macht, beim Gastwirt Julius N. an der Ecke Ziesestraße-Brauereistraße ein „wie 'ne Schob' Spreeh önne Körschegoarte“. Im Nu war das drei Stufen „treppchehöcher“ zum Schankraum gelegene Honoratiorenstübchen voll besetzt und man ging ans „Verbeißen“ mit Zweitfrühstück und Bier. Allerdings musste man bei jeder Flasche, bevor man sie bestellte, fragen, ob sich inzwischen nicht der Dollarstand verändert hätte, wollte man nicht erleben, die zweite Flasche zweimal so teuer bezahlen zu müssen als die erste.

 

Ich saß schon vorher in meiner gewohnten Ecke und der allbekannte Steinsetzmeister Fritz L. kam, begrüßte mich und setzte sich zu mir. Er gehörte der Kommission an, sagte aber:

 

„Oa Mensch, das öß je dort foorts e Jeschabber, dass eener nich 's eegne Wort verstehen kann!“

 

Und wir unterhielten uns dann nach eigener, intimerer Manier in bewährt verständlicher Weise, die da kurz und bündig lautete: „Prost!“ Mit einmal stutzte mein Freund Fritz, fuhr auf, drehte den Kopf rückwärts über die Schulter und wurde merkwürdig erregt.

 

„Was öß los, Fritz?“ begehrte ich zu wissen. „Na nur heer' dä doch bloß emoal das Jebrassel dott an!“

 

 „Ja, meine Herren“, hörte ich nun auch einen in der rückwärtigen Runde reden:

 

„Sie können mir sagen, was Sie wollen, das Markttor ist sozusagen zum Stein des Anstoßes geworden, es wird über kurz oder lang fallen müssen. Die Zeit geht unaufhaltsam im Tempo voran, Verkehr und Technik — wir vermögen sie nicht aufzuhalten in ihrer Weiterentwicklung, und die ist rapide! Da mögen wir noch so viel Sinn haben für alte, romantische Postkutschenherrlichkeit mit Trari und Trara, hilft uns alles nichts; „das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten!“ Gewiss, ich weiß, heute steht das Markttor noch unter Denkmalschutz, heute noch, meine Herren, heute, aber wird man morgen auch noch so denken? Und ----!“

 

Da stand mein Freund Fritz auch schon vor dem Tisch des Schwadroneurs und fiel ihm gluupsch mit gefährlich funkelnden Augen ins Wort:

 

„Sind Se fertig“.

 

Der angezischte Redner stutzte und wurde ein bisschen blass; denn dass ihm Fritz L. nicht gerade Gutes bringen wollte, wurde ihm wohl doch inne, und er hätte ja auch ganz und gar von Gott verlassen sein müssen, hätte er's nicht gemerkt.

 

„Kacken Se sich man reen aus“, ermunterte ihn Fritze L., ohne im geringsten Haltung und Miene zu verändern, im Gegenteil!

 

„Lieber, verehrter Meister!“ verbarg jener nun seine Unsicherheit unter die Maske liebenswürdiger Förmlichkeit, „ich verstehe natürlich sehr gut die schmerzlichen Gefühle, die den eingeborenen Bürger bewegen, wenn er allein schon den Gedanken aussprechen hört, aber — sehn Sie, verehrter Meister, meine Herren — aber — nun ja, ich sage ja auch nicht, dass mit dem Abbruch des Markttore ---

 

„Soagen Se das Wort noch emoal!“ braschte ihn Fritze L. an, und ich dachte bei mir: Na, nu scheierter ihm eens! und wollte mich dazwischen mengen.

 

„Khe-him! Ja. Ich sagte — wollte nur sagen, dass damit nicht auch gleich ganz und gar das werte Andenken aus dem Gedächtnis gestrichen werden soll. Verstehn Sie doch, lieber Meister, ich meine, dass vorher natürlich eine haargenaue, maßgerechte Nachbildung geschaffen werden müsste, die dann im Stadtmuseum ihren gebührenden Platz zu finden hätte ---!“

 

Das war sein letztes Wort; denn nun war es aus und alle mit Fritzchens Geduld.

 

„Onn dicht bei dem Modell muss e Galje stehe, 's Holz doarzu liefer öch gratis onn franko, verstehn Se, onn an dem Galje häng' öch Ihn' mött disse, meine eegne Händ' off, verstande? Doarmött dass onnse Noahkomme sehe könne, wie so e Stadtverräter ausjesehe hott, wie Sie eener sind! --- Fee Deiwel!“

 

Und mit grimmig spöttischem „Off Wiedersehe, die Herre!“ machte er eine steife Verbeugung nach der verlegenen Korona hin und wandte sich. Zwar versuchte noch dieser und jener, ihn zu besänftigen, aber er ließ sich auf nichts mehr ein; dass man jenem „Drähbartel“ nicht besser und deutlicher Kontra geboten hatte, ärgerte ihn nicht weniger als dessen „Jebabbel“. Im Nu war die Stube leer und der Wirt räumte schweigend die Tische ab. Aber er glaubte damals schon etwas von Heimatliebe zu wissen und ich von Heimattreue einiges zu verstehen, in einer solchen hingerissenen Leidenschaft aber hatte er sie genauso zum ersten Mal erlebt wie ich auch.

 

Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, aber sie geht weiter, ganz so, wie sie damals noch ein Nachspiel hatte, das in helleres Gelände stieg, nämlich in das der Heiterkeit mit einem guten Schuss ausbündiger Schalkerei.

 

Zufällig war gerade „Trebertag“. Nämlich wenn in der Brauerei Englisch-Brunnen Treber ausgestoßen wurde, kamen die Bauern von weit und breit herbei, um sich von dem freundlich duftenden — ich rieche ihn immer noch! — und beliebten Streckfutter fürs Vieh und vor allem für die Schweine ein „Woagche“ voll zu holen. Damit nun keiner zu kurz kommen sollte, hatte die Brauerei für die einzelnen Ortschaften bestimmte Trebertage eingerichtet, diesmal waren die Königshägener, Behrendshägener und Damerauer dran, „am dranste“, wie man auch sagte.

 

Das Treberholen aber bedeutete dem Bauer jedes Mal eine kleine Tagesreise und bei N's. war an diesen Tagen die Schankstube meist immer voll; denn „eener mott sick doch e bätke verbiete“, na, und „plachandre woll uck“. Es gab dabei doch mancherlei Neues zu hören, und darin waren unsere Bauern ja bekanntlich „niepohrig“ genug.

 

Wem ging es in der Inflationszeit besser als dem Bauer! Jedem Kind sein Klavierchen, lieber noch einen Flügel, den Kühen Teppiche unter den Bauch statt der bisherigen Krummstrohstreu, und sonst — na ja, da fehlte nur noch dem Bauer selbst die elektrische Skatkartenmischmaschine; sonst war ja alles schon elektrifiziert zur Genüge.

 

So ging damals das Gerede der Menschen, die bei aller ungeheuerlichen Papiergeldfülle fasten mussten. „Möttem Einkoofskorb voll Geld gehst einkoofe, onn was Du koofst, das bringst ömm Portmannee noahaus'!“ Hüben wie drüben wurden die Menschen einander nicht mehr gerecht.

 

Dass es den Bauern gut ging, störte mich nicht. Wozu auch. Fritz L. aber konnte die Bauern beim besten Willen nicht „verknuse“.

 

Ausgerechnet jetzt, zu dieser Stunde, da sich Groll und Grimm im guten, braven Fritz noch nicht beruhigt hatten — er tat in seinem ganzen Leben nicht einer Fliege was zuleide —, musste ein unglückseliger Bauer vor ihm aufkreuzen, und zu allem Unglück noch in „Sachen Markttor“!

 

Sie waren ihm samt und sonders zu „dreibastig“ und zu habgierig.

 

Dieser Bauer hatte nämlich in der Schankstube unten erst bei dem Krach etwas von Abbruch des Markttores und dergleichen vernommen, und da ihm der Stall fast schon zusammenfiel, brauchte er dringend Ziegelsteine. Was kümmerte es ihn, dass sie vom Markttor kämen!

 

Er hatte sich den Wirt herbeigenickt und ihn auszufragen versucht, aber es müsste der Wirt ja nicht Hänschen N. gewesen sein! Mit wichtiger Nase bedeutete er dem Bäuerlein, dass das, was und worüber in seinem Lokal gesprochen werde, fremden Ohren tabu, ihm aber sozusagen Beichtgeheimnis zu sein hätte. Er möge sich an die beiden Herren dort oben wenden; die könnten ihm sicherlich sagen, was an der Sache dran sei.

 

„Na, off den hoab' öch groats noch so jelauert!“ knurrte Fritz mir zu, als der Bauer an unsern Tisch getollostert kam, nahm sich aber wunderbar zusammen.

 

Hm. Natürlich werde das Markttor abgebrochen; es sei ja man bloß so'n alter Krempel. Aber — zum Gottskreizchelichtingsdonnrewetternochmoal! — woher er das wisse? — Maul halten, Mann! — Selbstverständlich kriegen Se 'ne Fuhre Ziegel. — Was — gleich zwei? Na, mal seh'n. — Prost! —

 

Es wurde nun erst einmal gefrühstückt! Und wie! Immer so herzhaft nach der angenehmen Melodie: „I, ömm Brotche öß je man bloß Mehl drin, nömm man Worscht!“ und die Hunderttausender langten nachher gerade so aus, unsere Stammtischecke treppchehöcher im Honoratiorenstübchen zu tapezieren! An dem Abbruch des Makttors wollte auch unser wackerer Krugwirt nichts verdienen! Pfui nein! Das sei schandbares Sündengeld! Also: rauf auf die Wand mit den Papierlappen!

 

Fritz L. aber versäumte nicht, am nächsten Montag früh, pünktlich um sieben Uhr vom Küchenfenster eines in der Nähe des Markttors wohnenden Freundes sich den Bauer anzusehn, der mit zwei Fuhrwerken nach den Ziegeln herbeigefahren kam.

 

Und er kam! Pünktlich wie ein Maurer beim Feierabend! Jawoll! Und Fritz L. amüsierte sich königlich. So recht von Herzen froh aber konnte er auch bei diesem gelungenen Streich nicht werden:

 

„Herrschaft, Herrschaft, kannes soveel Ruchlosigkeit gebe önner Welt? ‘s Markttor abbreche, dass so'n verschöss'ner Ploaser Ziggel väre Schweinestall kriggt — na, soweit kömmt's noch!“

 

Über so viel Abgebrühtheit kam er nicht hinweg! Am liebsten hätte er dem Bauer noch „de Kodderei volljewasche' ! Jawohl! Unser Fritz L.

(Aus Walter Braun: „Zwischen Hommel und Hoppenbeck“, Verlag Elbinger Nachrichten)

 

 

 

Seite 6   Turnerfamilie Ost- und Westpreußen

Anschrift: Wilhelm Alm (23) Oldenburg (Oldb.) Gotenstraße 33.

Zeitplan für das 8. Wiedersehenstreffen von Donnerstag, den 19. Bis Montag, den 23. August 1954 einschließlich der wichtigsten Veranstaltungen des 4. Alterstreffens des Deutschen Turnerbundes in Hameln.

Donnerstag: 20:00 Begrüßungsabend

Freitag:

10:00 Führung durch die Stadt und Umgebung

21:00 Eröffnungsfeier des Alterstreffens

Sonnabend:

7:30 Dampferfahrt auf der Weser

12:00 Das Rattenfängerspiel

16:30 Festliche Heimatstunde mit Gästen

20:00 Jahnkantate und das Grauerholz-Tanzspiel „Die silberne Flöte“

Sonntag:

10:00 Morgenfeier und Max-Schwarze-Gedenken

15:00 Sternfestzug, anschließend Festnachmittag

20:00 Fröhlicher Heimatschnack und Ausklang.

Montag:

Mehrere halb- und ganztägige Turnfahrten.

 

Im Rahmen des Alterstreffens werden am Freitagnachmittag Turnierspiele im Faustball und Prellball und am Sonnabendvormittag turnerische Wettkämpfe durchgeführt. Wer sich hieran beteiligen will, muss sich für Hameln durch seinen jetzigen Turnverein anmelden. Im Übrigen ist die Meldung durch den jetzigen Turnverein oder die Turnerfamilie Ost- und Westpreußen (Wilhelm Alm in Oldenburg (Oldb), Gotenstraße 33) freigestellt.

 

Der Festbeitrag beträgt 5,— DM. Für Bürgerquartier ist je Nacht 2,75 DM unmittelbar an die Quartiergeber zu zahlen. Massenquartiere sind nicht vorgesehen. Aufforderung zur endgültigen Anmeldung ergeht durch besonderes Rundschreiben an diejenigen, die ihre Teilnahmeabsicht mitgeteilt haben.

 

Recht herzliche Geburtstagsglückwüsche allen Aprilgeborenen, ganz besonders aber

 

zum 50. Geburtstage

 

am 03.04.1954: Turnbruder Kurt Remuss, TuF Danzig, jetzt in Lübeck,  Bunker am Dom und

 

am 10.04.1954: Turnschwester Margarete Schacknies, geb. Sinz, MTV Gumbinnen, jetzt Bremen-Vegesack, Gartenstraße 24 sowie

 

zum 76. Geburtstage

 

am 29.04.1954: Turnschwester Martha Baumgarth, geb. Büttner, TuF Danzig, jetzt Garmisch-Partenkirchen, Frühlingstraße 16/I, Witwe unseres Kreisfechtwarts George Baumgarth, und schließlich

 

zum 77. Geburtstage

 

am 06.04. 1954:Turnbruder Gustav Bentien, MTV Darkehmen (Angerapp), dem langjährigen Gaufrauenturnwart im ostpr. Grenz- und Memelgau — jetzt in Bordesholm (Holst.) über Neumünster Altersheim.

 

 

Seite 6   Foto: Elbing. Hermann-Balk-Ufer

 

 

Seite 6   Verein heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover

Am 14.03.1954 fand die diesjährige Jahreshauptversammlung des Vereins statt. Der Vorsitzende und seine Mitarbeiter gaben eingehende Rechenschaftsberichte über das Vereinsjahr 1953 ab. In der sich anschließenden Vorstandswahl schenkten die Vereinsmitglieder dem alten Vorstande durch Wiederwahl für die Dauer von 2 Jahren erneut ihr vollstes Vertrauen. Der Vorstand setzt sich wie folgt zusammen:

1. Vorsitzender: Ldm. Wilhelm Hellwig, Bödekerstr. 96,

2. Vors.: Ldm. Horst Frädrich, Herrenhäuserstraße 126,

1. Schriftführer: Ldm. Max Zube, Plinkestraße 1,

2. Schriftf.: Frl. Ingrid Krüger, Kopernikusstraße 12,

1. Kassenverwalter: Ldm. Franz Binger, Holbeinstraße 2,

2. Kassenverwalter: Ldm. Alfred Rainer, Jahnplatz 1,

1. Beisitzer: Ldm. Auguste Strauß, Kleestraße 6,

2. Beisitzer: Ldm. Günter Weßlowski, Eppersstraße 10,

Veranstaltungsleiter: Ldm. Eugen Wittkowski, Hegebläch 20,

Kassenprüfer: Ldm. Hans-Werner Pohl, Podbielskistraße 284a,

Ldm. Werner Steuck, Vahrenwalderstraße 59,

Alterspräsident: Ldm. Willy Frädrich, Herrenhäuserstraße 126.

 

Hinweis: Zur angekündigten „Fahrt an die Weser“ am Sonntag, dem 16. Mai 1954 werden Teilnehmerkarten an Mitglieder (2,50 DM), Gäste (7,50 DM) und Kinder (4,25 DM) bei den Vorstandsmitgliedern Hellwig, H. Frädrich, Binger und Rainer nur bis zum 30. April 1954 vorrätig gehalten. Nach Ablauf dieses Termins besteht kein Anspruch auf Berücksichtigung. Es wird daher gebeten, für einen rechtzeitigen Erwerb der Teilnehmerkarten bemüht zu sein.

 

Wie wir hierzu weiter erfahren, beabsichtigt die Weser-Dampfschifffahrt-Gesellschaft ihre Dampferfahrten am 16.05.1954 auf der Weser aufzunehmen. Es wird damit Interessenten Gelegenheit geboten, die von uns befahrene Strecke Bodenwerder — Polle — Holzminden auch auf dem Wasserwege zurückzulegen.

 

 

 

Seite 6   Unsere Buchbesprechung

Schwanengesang

Ottfried Graf Finckenstein: Schwanengesang, Roman einer versunkenen Heimat. — München 19, Nymphenburger Verlagshandlung; 600 S. Ln. DM 11,80.

Mit dem vorliegenden Werk, das 1950 in der Nymphenburger Verlagshandlung erschien und jetzt bereits im 14. bis 18. Tsd. vorliegt, führt uns Ottfried Graf Finckenstein in den Kreis einiger ostpreußischer Adelsfamilien um die Zeit des ersten Weltkrieges. Eine bunte Vielfalt an Ereignissen und Gestalten lässt er in diesem Buche an uns vorüberziehen. Wir begleiten die Wege junger und alter, liebende- und verzweifelnder, tapferer, verlorener und getriebener Menschen, die Ottfried Graf Finckenstein mit meisterhafter Imprägnanz zu zeichnen versteht. So klar er das Positive und Schöne aufzeichnet, so unbestechlich hält er uns das Negative vor Augen. – Als Landschaftsdichtung enthüllt uns dies Buch unvergessliche Bilder aus Ostpreußen und führt uns voller Anschaulichkeit in die Sitten und das Brauchtum dieses Landes. – Nicht nur die Gesetzte der Dramatik beherrscht Ottfried Graf Finckenstein er erweist sich in diesem Buche auch als ein Meister der Lyrik, der mit wenigen schlichten Worten eine einzigartige bildhafte Stimmung vor uns erstehen zu lassen vermag. Erwähnt sei hierfür als Beispiel nur das Kapitel „Brunft“, in dem sich sein sprachliches Können besonders stark offenbart.

 

 

 

Seite 8   Am Fluss

Foto: Alte Windmühle im Pregeltal

Foto: Am Rande der überschwemmten Pregelwiesen bei Insterburg. Aufn.: Archiv

„-- Fließe, fließe, lieber Fluss!

Nimmer werd' ich froh —

So verrauschte Scherz und Kuß . . .“

 

An welchen Fluss Goethe hierbei auch gedacht haben mag — uns fällt dabei stets nur derselbe ein -, der ein Teil unserer Wirtschaft, unserer Erholung, unserer Freude war — der unserer heimatlichen Landschaft das Gepräge gab — der Pregel!

 

Bei der Erschließung des Landes durch die Deutschordensritter im 12. Jahrhundert war er deren wichtigster Verbindungsweg nach Osten in das Land der Prussen hinein, ehe sie ihre festen Straßen gebaut hatten. Auch bei der Entwicklung der drei Städte an seiner Mündung, die das spätere Königsberg bildeten, war er für diese wichtigste Zufuhrmöglichkeit aller Erzeugnisse des reichen Landes — Getreide, Holz, Felle, Wachs — mit denen die Hanse Handel trieb.

 

Schiffbar blieb der Pregel auch in unseren Tagen der Schienen und Lastzüge. Für mancherlei Ladungen war er sogar die billigere Versandmöglichkeit über Deime und Kurisches Haff nach Tilsit oder Memel.

 

Das Pregeltal ist ein Urstromtal, daher seine endlos scheinende Breite. Die hügeligen, ansteigenden Nordufer, die sich bis zur Chaussee Königsberg — Tapiau— Insterburg — Eydtkuhnen hinaufziehen, sind Endmoränen. Wirtschaftlich ist dies unregelmäßige Gelände sehr schwierig — für das Auge aber von seltener Schönheit.

 

Wer einmal von der Höhe dieser Hügel mit ihren bewaldeten Kuppen über die welligen grünen Senken, die langen Alleen, die Dörfer und Höfe verbinden, und die Bruchstreifen hinter den Uferwiesen dem gewundenen Lauf des Flusses nachgeblickt hat, der vergisst diese weiträumige und großartige Landschaft nie. Und wer das tiefe Glück erfuhr, auf diesen Höhen zu Hause zu sein, und diesen Anblick aus den Fenstern seines Hauses tags und nachts, in allen Beleuchtungen, allen Jahreszeiten grüßen zu können — ach, von dem wollen wir schweigen!!

 

Wann es am Pregel am schönsten ist — wie schwer ist das zu sagen!

 

Wer ihn kannte und liebte, befuhr ihn gelegentlich mitten im Sommer von Königsberg bis zur Deime — und endete erst auf der Nehrung im Kurischen Haff. Wie gut nahm man dabei den Zauber der heimatlichen Landschaft in sich auf!

 

Da stampfen die treuen Schlepper aus unserer lieben Stadt zwischen bebauten Ufern hindurch, an der Zellulosefabrik vorbei, an Palmburg vorbei auf die alte Ordenskirche Arnau zu. Weit leuchtet die goldene Kugel auf der Spitze ihres Turmes aus den Friedhofslinden ins Tal hinein. Die Gasthäuser — Joseph im Park und Neumann mit seinen bunten Schirmchen im gelben Ufersand — sind das Ausflugsziel vieler Königsberger mit Paddelboot und Dampfer. Ein Stückchen weiter liegt dicht am Wasser der schöne Barockbau des Pfarrhauses, mit dem verschnittenen Lindengang um den Garten, wie man ihn in Ostpreußen so viel sieht.

 

Dann folgt das Kogger Bruch mit den Wiesen der Deichverbände, auf denen das schwarzbunte Herdbuchvieh und Jahrgänge edler Fohlen weiden— sowie Scharen von Gänsen und Herden des Geflügelzuchtbuches. Weiterhin — am Fuchshöfer und Friedrichswalder Bruch vorbei, wissen wir einen Hof — Cranzberg —, der sich in schwerer Zeit durch seine Geflügelzucht-Brüterei und Verkauf von Eiern und Jungtieren — saniert hat.

 

An uns vorbei schießt ein Motorboot der Wasserpolizei — Kinder schwimmen am flachen Ufer einer Furt und springen in hohen Bögen vom Geländer der Fähre. Wer schwamm nicht einmal selig in der glasgrünen Flut — nur der Himmel mit ziehenden Wolken, streichenden Schwalben und Fischreihern über sich — zwischen dem Schilf mit den braunen Kolben die grauen Umrisse einer Feldscheune — bei dem Gequarr der Enten auf den Wiesen und der Frösche im Bruch? Wie fallen dann die täglichen Sorgen ab, und erfrischt an Leib und Seele steigt man wieder ans Ufer — vielleicht gerade am Ziegeldamm, wo die krummen Weiden würdevoll Wache halten — und früher Ziegel für die Bauten der Pregelhöfe angeschifft wurden.

 

Vereinzelt liegen Fischergehöfte am Ufer. Die kurze Böschung ist mit Eichenpfählen und Steinschüttung befestigt, sonst wäre sie längst fortgespült. Darüber hinweg schlagen bei Stauwind die Wellen durch das grüne Zäunchen des winzigen Vorgartens mit seinen Astern und Gilken bis an die Hauswand und rings um das kleine Anwesen, Es ist dadurch zeitweise ganz von der Welt abgeschnitten, denn für Boote ist das Hochwasser auf den Bruchwiesen zu flach, zum Durchwaten aber nicht flach genug.

 

Neben manchen Fischergehöften stehen die Pumpenhäuschen der Deichverbände mit ihren Brückchen über den mächtigen Schleusentoren, die von den Fischern bewacht und bedient werden. Überall ragen Reusen aus dem Wasser — der Ruderschlag von Fischerkähnen oder flinken kleinen Booten und das Glucksen der Wellchen um ihre Kiele begleitet uns. Bläulich-grün treten die Friedrichsteiner Forsten ganz nah an die Schilfstreifen der Ufer heran. In Langendorf macht der Pregel unterhalb des steil ins Wasser abfallenden Gutsparkes eine scharfe Biegung und bildet eine Art kleinen Hafens, in dem ein Floß mit einem Badehäuschen angekettet schwimmt. Hier ist Hochbetrieb — Alt und Jung vergnügt sich im Wasser und auf den in die Erde gerammten Bänken unter den Uferbirken. Auch von den Dorfhäusern links und von dem behaglichen Gutshaus auf der Höhe kann man all den Frohsinn beobachten.

 

An Podollen und der alten Kirche Cremitten vorbei — sowie der Feste Friedrichsburg, vom Großen Kurfürsten zur Bändigung der Stadt Königsberg gebaut — wo das Tal breiter wird, und wir über unendliche Weideflächen bis zum Himmelsrand sehen, gleitet unser Dampfer auf Tapiau zu. Die kleine Stadt wogt und wirbelt vor Marktgetriebe — Fuhrwerk über Fuhrwerk hält am Quai — ein Bild der Geschäftstätigkeit und des Friedens. Nun liegt schon die glückliche Erwartung der Fahrt über das Haff in uns allen — wo die schneeweißen Streifen der Nehrung über dem blauen Wasser von ferne auftauchen und immer größer und leuchtender näher kommen... Hier ist das Tor offen in den weiten Osten — nach Libau, Riga, Reval, Helsinki — und auch — — — nach Russland.. . Denn dies letzte Wort hatte früher einen andern Sinn für uns als heute...

 

Liegt über diesen Bildern des Pregeltals der Glanz eines strahlend heißen, östlichen Sommers, so ist nicht minder reizvoll der Herbst, wenn sich der Himmel zarter färbt und durchsichtiger scheint — wenn aus den Flussnebeln rötlich die Feuer leuchten, mit denen die Deiche „abgebrannt“, d. h. durch Anzünden von totem Gras und Unkraut befreit werden. Langsam, mit opal-farbigem Rauch, der schräg über die Wiesen zieht, kriechen die Flammen weiter. Dahinter gehen auf den hügeligen Äckern die Kartoffelroder; das Laub der „Hüscher“ auf den Kuppen und im Bruch zwischen den dunklen Fichten färbt sich goldrot...

 

Die Jagd auf Enten ist zu. Sicher vor den Jägern und ihren Booten sitzen die bunten Erpel aller Gattungen mit ihren grauen Gefährtinnen auf alten Torflöchern im Bruch, das jetzt nur auf sorgfältig befestigten Pürschsteigen begehbar ist. Auf wippendem Moorboden wandert man unter tief hängenden, tropfenden Fichtenzweigen wie im Kreuzgang einer alten Kapelle — bis ein Erlenkahlschlag kommt, und der Pregel durch die Überhälter schimmert … Das Netz sorgfältig geräumter Gräben, beherrscht von breiteren Vorflutern, zieht sich durch das ganze Deichgebiet von Bruch und Wiesen hindurch bis zu den Feldwegen, die bei Stauwind eben noch befahrbar sind. Nun werden die Fähren überall ans Ufer gezogen. „Alles blank!“ heißt es auf den Höfen.

 

In den Novemberstürmen wälzen sich die Wogen unseres lieben Flusses grau und drohend über die Sommerdeiche und bringen Fruchtbarkeit und Wachstum. Die niedriger gelegenen Höfe im Pregeltal sitzen dann wie Inseln in seiner riesigen glitzernden Fläche, in der sich nachts der Mond mit mildem Lichte spiegelt. Dann friert sie zu — und dann beginnt die Winterarbeit.

 

Keineswegs liegt dann der Fluss still und tot da — oh nein. Statt der Dampfer gleiten nun die Wirtschaftsschlitten zur Schilfwerbung über seine dicke Eisdecke, die durch lange Sprünge die dunkle Tiefe sehen lässt und unheimlich knackt. Bei Wechsel von Tauwetter und Frost bricht sie, und die Eisschollen schieben sich übereinander, so dass regelrechte „Humpels“ auffrieren, zwischen denen sich die Schlittengespanne ihren Weg suchen müssen. Aber die Pferde traben sicher, die Hufe sind sorgfältig „scharf gemacht“. Weiß bereift sind ihre langen Mähnen und Schwänze, dampfend steigt ihr Atem in die klare Luft, wenn sie die Uferböschung hochschnaufen Auch die „Manns“ haben weiße Schnauzbarte und Augenbrauen, aber sie sind dick bezogen und mit getranten Schäften gegen den tiefen Schnee gesichert.

 

An andern Tagen, wenn es überhält, hört man aus dem Bruch die Treiberklappern und Schüsse der Hasenjagden; ein Fuchs schnürt über die Pregel und entkommt ans jenseitige Ufer — Fasanen streichen über die Wipfel ab. Oder es ertönt das „Haitsch“ und „Zek“, mit dem die Gespannführer beim Holzfahren ihre Ochsen lenken, die Kloben und Strauch aus dem Bestand rücken, wo edle Pferde sich leicht die Beine brächen.

 

Ein Pregelarm ist bei der Eindeichung vom Hauptlauf abgetrennt und seit der Deichbauung „tot“, oder ein See geworden. Nach längerem Frost wird hier Eis geschnitten — auch dies liefert uns der liebe Fluss. Wie würde sonst während des Sommers die Milch der großen Herden gekühlt und alles Essbare erhalten? Blitzblank wird die Eisfläche gefegt, und die surrende Eissäge schneidet dicke, grünlichblaue Quader aus der Tiefe des schwärzlichen Wassers, das sorgfältig mit Strohwischen umsteckt ist. Die Eisklötze werden mit Misthaken herausgezogen und auf Schlitten gepackt. Manchmal rutscht den Manns einer weg — saust die Eisfläche entlang und mit einem Plauksch zurück ins Wasser. Manchmal verliert auch eins der Gespanne einen auf dem steilen Anberg zum Eiskeller oben unter den schattigen Parkbäumen. Das ist dann ein herrlicher Fund für die Dorfkinder, die mit ihren kleinen Schlitten den Hohlweg herunterflitzen, immer um die Ecke den Gespannen entgegen — ein Wunder, dass nicht mehr passiert, bis Asche gestreut wird! Der liebe Gottchen schützt eben Arbeit sowohl wie Freude ….

 

Und dann kommt wieder ein Frühling. „Wenn es in der Luft donnert, geht es auf Tau“, sagen die Alten. Das Eis des Flusses knackt stärker, graugelbliches Wasser sprudelt hervor, Eisschollen lösen sich und treiben in wirbelnden Fluten nach Königsberg, der Mündung, zu. Dort krachen sie an die Brückenpfeiler und Kaimauern, ernst und gewaltig überragt von den jahrhundertealten Speichern. Schreiende Möwen umjagen sie wie Blitze — setzen sich auf die Brückengeländer oder fahren ein bisschen auf den treibenden Schollen mit.

 

Nun kommt die Zeit der Eisbrecher, die in der sorgfältig gebaggerten Flussmitte eine Fahrrinne schaffen. Wie herrlich ist nach den langen, scharfen, östlichen Wintern jedes Mal der Anbruch des Frühlings am Pregel! Vom „Luisenberg“ im Park, wo Königin Luise 1807 auf der Flucht vor Napoleon rastete, oder vom „Mühlenberg“, wo mitten im Witterungsschlag ein bemooster Mahlstein unter Lärchen schlummert — haben wir einen weiten Blick ins Tal —über gepflügte Äcker, in deren Lägen noch bräunlicher Schnee sitzt. Unten leuchten die Dächer des Dorfes, schimmert rötlich der Bruch, glitzern die Blänken, auf denen Scharen weißer Gänse und bunter Hausenten plätschern und schnattern. Im Fliederbusch am Hohlweg singen alle Sorten Meisen — Kohlmeisen — Blaumeisen — Spechtmeisen — oben in den Wolken segelt ein Habicht.

 

Und jetzt — da zieht stromaufwärts der erste Dampfer! Es ist unsere alte „Germania“ — drei schwer beladene, tief im Wasser liegende Kähne im Schlepp. Welch ein Fest ist dieser Anblick! Ein Hundchen rast aufgeregt bellend an Bord hin und her — Kälber blöken — Wäsche flattert lustig im Frühlingswind. Freundlich winkt die Besatzung allen zu, die sie am Ufer erspähen kann — und wenn niemand zu sehen ist, winkt sie den Häusern des Dorfes jenseits der Wiese.

 

Wieviel wäre noch über Dich zu sagen, lieber Fluss, und über alles, was Du uns an Nutzen und Freuden schenktest!

 

Du bist in Feindeshand. Unsere Heimstätten sind vernichtet.

 

Dich aber schuf nicht der Mensch, Dich schuf Gott, und keines Menschen Hand kann Dich vernichten. Es ist für uns eine segensreiche Gewissheit, Dich lebendig zu wissen, wenn auch in weiter Ferne. Wie Deine Hochwasser unser Land befruchteten, so stärkt uns der Gedanke an Dich bei unserem jetzigen Tagewerk, weil in Dir Heimat ist …

 

„Rausche, Fluss, das Tal entlang,

Ohne Rast und Ruh ---

Rausche, flüstre meinem Sang

Melodien zu …“

Carla von Bassewitz

 

 

 

Seite 8   Friedrich der Große über Ostpreußen

In einem französischen Briefe an Voltaire schreibt er am 27. Juli 1739 (als Kronprinz) aus Insterburg:

 

„Endlich sind wir hier angekommen, lieber Freund. Wir waren drei Wochen unterwegs, und zwar in einem Lande, das ich für das non plus ultra der zivilisierten Welt halte. Es ist eine in Europa wenig bekannte Provinz, die freilich bekannter zu sein verdiente, da sie als eine Schöpfung des Königs, meines Vaters, gelten kann. Preußisch-Litauen ist ein Herzogtum von stark 30 deutschen Meilen in der Länge und 20 in der Breite, obwohl es nach Samogitien hin spitz zuläuft. Die Provinz wurde zu Anfang des Jahrhunderts von der Pest verheert; über 300 000 Einwohner rafften die Seuche und das Elend hin. Der Hof, der von dem Unglück wenig wusste, unterließ es, der reichen und fruchtbaren Provinz, die an Einwohnern und an jeder Art von Erzeugnissen Überfluss hatte, wieder aufzuhelfen. Die Krankheit raffte das Volk hin; die Felder lagen brach und bedeckten sich mit Gestrüpp. Auch das Vieh ging in dem allgemeinen Elend zugrunde; kurz, unsere blühendste Provinz verwandelte sich in die schrecklichste Einöde.

 

Inzwischen starb Friedrich I. und wurde mit seiner falschen Größe begraben. Ihm lagen nur an eitlem Prunk und an der pomphaften Zurschaustellung wichtiger Zeremonien. Mein Vater, der ihm nachfolgte, wurde durch das öffentliche Unglück gerührt … Seitdem hat der König keine Ausgabe gescheut, um seine heilsamen Absichten zu verwirklichen. Er erließ zunächst weise Reglements, baute alles, was die Pest zerstört hatte, wieder auf und ließ Tausende von Familien aus allen Ecken Europas kommen.

 

Die Äcker wurden wieder bestellt, das Land bevölkerte sich, der Handel blühte wieder auf, und gegenwärtig herrscht in dieser fruchtbaren Gegend mehr Überfluss denn je. Litauen besitzt aber eine halbe Million Einwohner Es zählt mehr Städte und Herden als früher, hat mehr Wohlstand und Fruchtbarkeit als irgendeine Gegend Deutschlands. Und all das ist lediglich dem König zu danken, der die Ausführung persönlich angeordnet und auch selbst geleitet hat. Er hat die Pläne entworfen und sie allein ausgeführt; er hat weder Mühe noch Sorge, noch ungeheure Schätze, noch Versprechungen gespart um einer halben Million denkender Wesen Glück und Leben zu sichern. Ihm allein verdanken sie ihr Wohlergehen und ihre Versorgung …“

 

 

 

Seite 9 und Seite 10 fehlt

 

Seite 11   Sommer im Bernsteinland. Von Alexis. 11. Fortsetzung

Foto: Die bekannte Zahnradbahn an der Samlandküste in Rauschen

Foto: An der Strecke Königsberg-Pillau bei Elendskrug

Die Sympathie, die man einer Landschaft entgegenbringt, ist stark von Zufälligkeiten abhängig. Hat man sie erstmalig in einer günstigen Stimmung gesehn, sucht man sie auch gern wieder auf. Allmählich gewinnt man dann zu ihr ein bestimmtes Verhältnis. Im groben gilt dies schon für den Stadtteil, in dem wir wohnen. Erweist sich eine Übersiedlung von den Hufen nach Maraunenhof als notwendig, ist das sehr unangenehm. Die Leute vom Oberteich finden die Hufen langweilig, die Hufenbewohner pfeifen auf Maraunenhof. Zudem spricht die Mode mit Menschen, die keine rechte Einstellung zur Landschaft besitzen, lassen sich gern beraten, selbst, wenn sie die „Naturliebhaber“ ein wenig mitleidig betrachten, weil die meist wenig von Geschäften verstehen. Einst ging man nach Ragaz, dann nach Zermatt, heut vielleicht nach Pontresina. Goethe soll die Alpen „entdeckt“ haben, die von da ab immer häufiger als Reiseziel aufgesucht wurden. Der Begriff der Entdeckung wird hierbei fast so wichtig genommen, wie seine Auffindung des Zwischenkiefers beim Menschen. Hochgebirge und Meer werden aber immer als Vermittler starker Eindrücke anerkannt sein. Wenn man früher die Alpen nicht liebte, so lag es daran, dass es an Bequemlichkeiten für die Reisenden fehlte und die Gefahren größer waren. Die abfälligen Urteile stammen nicht von Einheimischen.

 

Als erste haben die Niederländer die Landschaft um ihrer selbst willen dargestellt. Das Meer kommt dabei gar nicht so gut weg, wie man es annehmen sollte. Bei ihren Marinen ist die Staffage die Hauptsache. Wohl ragt die See überall in das Land hinein, aber die Scholle, auf der sie wurzeln, ihre Bäume, Kirchtürme, Windmühlen und der breitgelagerte Horizont sind es, die ihnen Auftrieb zum künstlerischen Schaffen verleihen. Solche Bilder sind in allen Museen der Welt anzutreffen, wo uns ihre Fülle fast überwältigt. An die Handzeichnungen, die noch unmittelbar zu uns sprechen, ist schon schwerer heranzukommen. Zum Glück haben große Sammlungen, wie die Albertina in Wien ihre Bestände vorbildlich reproduziert.

 

Während des Barocks tritt die Architektur in den Vordergrund. Man weidete sich an den Fluchtlinien von Palästen, Schlössern und Kirchen, Bauten zu entwerfen, die niemals zur Ausführung gelangten, war damals gang und gäbe. Auf den Guckkastenbildern ist daher die Perspektive die Hauptsache und die Vernachlässigung der Farbe nicht allein darauf zurückzuführen, dass die Illuminierung der Kupfer am laufenden Band geschah.

 

Im Rokoko steht die Darstellung des Menschen im Brennpunkt des Interesses, aber mit seinem Zurückfinden zur Natur wird auch deren Erscheinungen viel Sorgfalt zugewendet. Man zeichnete mit Behagen Bäume, Sträucher, Blumen und Lämmlein neben gut angezogenen jungen Leuten. Soweit die Elterngeneration in diesen Bildern herangezogen wird, die gern als überraschendes Element in galanten Szenen auftritt, trägt sie einen naturalistischen Anstrich, um das sex appeal der Jugend gebührend zu unterstreichen.

 

Weiteren Kreisen wurde das Bild der Landschaft erst im 19. Jahrhundert zugänglich gemacht. Man inventarisierte sozusagen in allen Ländern Europas die Punkte, die einen Stern im Baedeker verdienen.

 

Die durch die Romantik bedingte geistige Situation der Zeit ermöglichte freilich nicht, sich unbekümmert auf die Natur allein einzustellen. Burgen, Schlösser, Kirchen und Städte sind daher auf diesen Arbeiten immer zu finden. Aber die Art, wie diese Bauten in die Landschaft hineingestellt sind, beweist, dass man ihrem Wesen nah gekommen war. Freilich gab es zu allen Zeiten Künstler, die nicht nach der Natur, sondern schablonenhaft an Hand unzuverlässiger Vorlagen arbeiteten und sich dadurch kaum von früheren Stechern unterschieden, die ganze Topographien zusammenstellten, ohne auch nur den geringsten Teil der abkonterfeiten Städte mit eigenen Augen gesehen zu haben. Nicht nur Hartknochs preußische Chronik verwechselt Städtebilder, sondern selbst Merian zeichnet Braunsberg, beschriftet es aber mit „Brandenburga“ und stellt die türmereiche Silhouette unmittelbar ans Haff mit dem Fernblick auf Königsberg.

 

Damals eroberte Lithographie und Stahlstich das Feld. Stahlstiche werden heute zu Unrecht nur wenig beachtet. Sie zu sammeln, wird erst noch begonnen werden. Mit der Lithographie wurde anfänglich viel experimentiert. Das Material, der Stein, war noch fremd. Künstler wie Quaglio, die die neue Technik gleich von Anbeginn mit größter Virtuosität handhabten, sind selten.

 

Leider gibt es nur bestimmte Gebiete, in denen fleißig gearbeitet wurde. Ostpreußische Landschaften haben nur selten ihre Interpreten gefunden — die „romantische“ Ausbeute war zu gering. Allein die Gräfin Dohna bringt in ihrem Lithographiewerk „Darstellungen alter preußischer Schlösser in schönen Ansichten" einen trefflichen Querschnitt.

 

Am reinsten hat uns der schon erwähnte Quaglio Romantik in einem Bild geschenkt, das zu den schönsten Landschaften unserer städtischen Kunstsammlungen zählt. Es zeigt den Dom in Frauenburg und ist so sauber gemalt, dass wir gar nicht anders konnten, als das Motiv an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen. Unsere Erwartungen wurden noch übertroffen, als wir auf dem Weg von Braunsberg die unirdischen Konturen des Bauwerks in einer unvergesslichen Vision vor uns emporwachsen sahen.

 

In den letzten Jahren hat man das Gesicht der Landschaft in hunderten von Sammelwerken festzulegen gesucht. Alle diese Bücher kranken daran, dass sie immer wieder konventionelle Motive unterschieben, so als habe man Furcht, der Geduld des Beschauers durch einen selbständigen Denkprozess zu viel zuzumuten. Noch fehlt der fleißige Maler, der das Typische der verschiedenen deutschen Landschaften in einem Oeuvre zusammenfast, wie es beispielsweise Hans Thoma für den Schwarzwald zusammenbrachte. Dabei wäre es an der Zeit, das heute noch Gegebene festzuhalten. Denn wer weiß, welcher Art die Prägung sein wird, die unser Land in abermals hundert Jahren empfangen hat?

 

Dass die Aufgabe möglich ist, sah ich an einem Bilderwerk über Afrika. Es wurde von Jakowlew auf der französischen Expedition Citroen kurz nach dem Krieg zusammengestellt. Die vermittelten Eindrücke waren so stark, dass ich beim Betrachten der Bilder den schwarzen Erdteil erstmalig erlebte, wiewohl es mir an Reisebeschreibungen mit guten Abbildungen wirklich nicht gefehlt hatte.

 

Am Rand der Stadt kämpft das Land gegen die neuen Straßenzüge an, die sich immer weiter in sein Bereich herausdrängen. Wir lieben diese Zone, deren größte Schönheit es ist, dass sie das Wissen um ihre Vergänglichkeit, gleich der Wehmut besonnter Herbsttage, in sich trägt. Man sieht, dass der Kampf für das Land schon verloren ist.

 

Hier laufen die Bordsteine einer Straße unvermittelt in ein Kartoffelfeld. Dort haben sie inmitten junger Halme einen Platz abgesteckt, den noch vor der Reife ein Neubau einnehmen wird. Am Abstich der Sandgrube sind die Wurzeln der Kiefer schon bloßgelegt. Nicht lange wird es dauern, bis sie herunterstürzt. Die Gräben, die die Wiese bewässerten, sind mit Unrat ausgefüllt und die Büsche sind verdorrt, in denen noch im vorigen Frühling die Nachtigall schlug. Alles, was die Natur kunstvoll gestaltete, ist dem Untergang geweiht.

 

Bei Nacht sammelt das Land noch einmal eile Energien, mit denen es sich gegen die Überlistung durch den Menschen wehrt. Wohl fällt der Lichtkegel einer Straßenlaterne hinaus auf den dunklen Acker und der Lärm aus der geöffneten Tür einer Schänke dringt in seine Stille. Legt man das Ohr an den Boden, kann man wie eine dauernde Beunruhigung den Pulsschlag der Stadt vernehmen. Es ist ein leises, fernes Tosen; Schüttern von Motoren und Straßenbahnen.

 

Dennoch atmet das Land zu dieser Stunde erleichtert auf. Ein Windhauch, der über die

Erde streift, kündet sein Erwachen. Stärker duften die Blumen, die Gräser flüstern. Zertretene Hahne stehen wieder auf, Wunden, die der Mensch geschlagen hat, beginnen zu vernarben. Die robusteren Gesellen unter den Pflanzen marschieren den Weg zur Stadt: Wegerich und Löwenzahn, Kamille und Schafgarbe, voran das Gras, das unüberwindliche Gras. Bis zwischen die Pflastersteine sind sie schon vorgerückt und wenn Tausende fallen, werden Tausende an ihren Platz treten. Geduldig und ausdauernd werden sie nicht ablassen, dem Menschen zu zeigen, dass auch sie am Werk der Schöpfung Anteil hatten, ihn zu warnen, nichts anderes als Gewinn, aus der Natur zu ziehn, ihn, der sie bekämpft und vernichtet, zu trösten, wenn er sich nach langen Wintern plötzlich auf sie besinnt und sich freut, weil unter der zerschmelzenden Schneedecke ein erstes grünes Hähnchen zum Vorschein kommt.

 

Vor ein paar Jahren kamen wir auf einer Wanderung zum Galtgarben erstmals an die Stelle, wo heute die Landgrabenhalle steht. Bei der Linde gingen wir über die Brücke und verfolgten den Birkenweg, um nach Gut Trenk herüber zu gelangen. Überall waren inmitten der aufkeimenden Saat Ziegel abgeladen, eine Siedlung war im Entstehen.

 

Nach vier Wochen war die Verwüstung des Landes vollständig. Man hatte auszuschachten begonnen, Grundmauern wuchsen empor, Zulagen wurden im Getreide gezimmert und Wagenspuren führten hindurch. Uns jammerte die geschändete Erde.

 

Ein neuer Frühling war gekommen, als wir dort abermals vorübergingen, Die Häuschen waren fertig; blankgeputzt standen sie in einer Reihe. Innerhalb der Zaungrenzen waren kleine Beete angelegt und Bäumchen mühten sich, in dieses Neuland hineingestellt, Wurzel zu schlagen. Kläffende Köter und das Geschnatter von Gänsen verriet uns, dass die Siedlung bewohnt war.

 

Inzwischen ist die Auflockerung der Städte weiter vor sich gegangen. Dennoch haben wir uns mit den Siedlungen ausgesöhnt. Heute erweckt Trankwitz schon fast den Eindruck eines Dörfchens; das lächerlich Neue hat Patina bekommen. Die Bäumchen sind herangewachsen und tragen die ersten Früchte.

 

Niemand kann der Entwicklung Einhalt gebieten. Stadt und Land werden immer mehr ineinander übergehen, ja vielleicht wird der Begriff der Städte einmal historisch werden. Wenn dann uralte Grenzen umgestoßen sind und streng genutzte Kulturflächen zwischen großen Autostraßen und neuartigen Bauten der Technik behütet liegen, muss ein neues Schönheitsideal über den Verlust all dessen hinwegtrösten, der uns, vorausschauend, schmerzt. Aber soweit überhaupt Kunde davon zu unseren Nachfahren dringt, werden sie unser Bangen um die künftige Gestaltung ebenso sentimental finden, wie wir die Romane und Reisebeschreibungen vor hundert Jahren.

 

Da wir nicht in Maraunenhof wohnen, wo man in der gedankenvollen Stille die Flöhe niesen hört, war es unser Bestreben, an den Lärm der Stadt möglichst wenig erinnert zu werden. Dennoch übte der Dorfrummel immer große Anziehungskraft. auf uns aus. Die Andacht, mit der man sich hier draußen den Vergnügen hingibt, teilte sich uns mit. Im Bewusstsein, es grad noch verantworten zu können, mischten wir uns unter das junge Gemüse, naschten vom türkischen Honig, kauften uns ein Los in der Nietenlotterie und wurden jedes Mal damit getröstet, dass wir auch ohne einen Gewinn zu ziehen, glücklich seien, wobei wir nicht widersprachen.

 

Beim Wahrsagen las uns die Pythia alles von der Nasenspitze ab und prophezeite uns langes Leben und viel Geld. Als Vorschuss auf die in Aussicht gestellten Mittel bestiegen wir einen Schwan auf dem Karussell und fielen dadurch auf, dass wir den Fahrpreis gleich für drei Runden im Voraus entrichten. Im Dahinschweben schien uns nicht die prosaische Kraft starker Männerarme vorwärts zu bewegen. Vielmehr fühlten wir uns durch den Klang der Drehorgel selbst getragen, die „Hallo, du kleine Klingelfee“ spielte. Die bunten Lampen, die an uns vorüberbrausten und das Kreischen der Dorfjugend versetzten uns in jenen angenehmen Rausch, dessen man bedarf, um an der Schießbude erfolgreich zu sein.

 

Als guter Engel musstest Du Dich jedes Mal hinter mich stellen. Es war nämlich mein Wunsch, Dir einen Teddybären aus lila Plüsch zu erschießen, um ihn Dir in die Anne zu legen. Leider erfüllte ich die Bedingung von 36 Ringen nicht, wiewohl ich mir Mühe gab und die dargereichten Büchsen erst auf ihre ballistischen Absonderheiten hin untersuchte. Dafür reichte es mal zu einem Teebrett, auf dem ein Tiger mit menschenähnlichem Gesicht spazieren ging, mal zu einem noch praktischeren Haushaltungsgegenstand: einer Schüssel mit der Aufschrift „Warme Würstchen“ und deren täuschend ähnlichen Nachbildung auf dem Deckel.

 

Auch an dem Zelt, in dem „Lebender Marmor“ zu sehen war, mochten wir nicht vorbeigehen. Gespannt warteten wir zwischen kichernden Dorfschönen auf das Niedersteigen der olympischen Götter, die von Künstlerhand draußen hingezaubert worden waren. Da wurde der Vorhang bei Seite geschoben und ein — beim Zeus — sehr spärlich bekleidetes Mädchen trat auf die Bretter. Gleichzeitig kam der Direktor, ein Mann im Gehrock und mit einem Ziegenbärtchen hinter der Kulisse hervor. Mit einem Stöckchen zeigte er auf ein Pappschild, auf dem „1. Tableau, — An der Quelle“ zu lesen war. Dabei kauerte sich das Mädchen nieder und ahmte mit einem Tonkrug das Wasserschöpfen nach. Beim zweiten Tableau, das „Träumerei“ hieß, brauchte der stumme Mime nichts weiter zu tun, als sich gedankenvoll auf einen Gartenstuhl niederzulassen. In rascher Reihenfolge erlebten wir Stellungen, die „Erwartung“, „Liebesschmerz“ „Raserei“ und ähnliche Dinge vorstellen sollten, und unsere ostpreußischen Freunde ganz ungerührt ließen, bis ein Gongschlag das Ende der Vorstellung ankündigte. Alles drängte zur Kasse und wollte sein Dittchen wiederhaben. Aber schon warteten andere Neugierige, die auch ihre Erfahrung machen wollten.

 

Anschließend zogen wir in den Krug, dessen Saal mit bunten Fähnchen behängt war. Wir erstanden ein Tanzbändchen und bestellten ein Tulpchen Bier. Die Musik spielte das Lied von der Lore; alles sang den Text mit. Die beziehungsreichen Worte: „Der Förster schoss die Hirschelein, die Tochter schoss die Bürschelein“ wurden am andächtigsten gesungen.

 

Manchmal, am frühen Morgen, genossen wir den jungen Tag zu einer Stunde, wo man sich sonst nochmal von einem Ohr auf das andere legt. Dann sahen wir die Sonne aufgehn und konnten, am Wegrain sitzend, wortlos das Erwachen der Natur bestaunen. So blickten wir einst vor eines Siedlers Haus über den Zaun, als gerade der Hahn seine Hennen aus dem Ställchen trieb.

 

Ganz verschlafen hockten die dummen Tiere auf der Stiege, bis sie von ihrem strengen Herrn mit einem Flügelschlag auf den Sandplatz hinuntergetrieben wurden, wo sie gedankenlos zu scharren begannen. Davon wachte der Hofhund auf. Ohne von uns Notiz zu nehmen, reckte er sich, gähnte und kratzte sein struppiges Fell. Nach dieser beneidenswert kurzen Wäsche begann er seinen Rundgang um das Haus, wobei er mit Frau Mieze zusammenstieß. Mit süßsaurem Gesicht erkletterte er darauf die Treppe und legte sich vor die Haustür, um auf sein Herrchen zu warten, das noch im schönsten Schlummer lag. Mittlerweile kamen die ersten Radfahrer vorüber. Die Geräusche verdichteten sich, aus den Schornsteinen stieg der Rauch, das Tagewerk hatte begonnen.

 

An Sommerabenden, wenn es lang hell bleibt, lohnt es sich, die nähere Umgebung der Stadt zu entdecken. Dabei bleiben wir am liebsten diesseits des Pregels, weil uns das Samland immer am stärksten berührt.

 

Quednau, das auch heute noch dörfliche Dorf kann man mit Bahn und Autobus in einem Katzensprung erreichen. Wie schön ist hier der Blick von der Höhe auf das tiefer Hegende Gelände mit den zerstreuten roten Gebäuden von Ziegelau und Absinthkein oder nordwärts über Stigehnen bis zur Fritzenschen Forst. Man ist mitten auf dem Land.

 

Einmal kamen wir dort nachts vorüber. Der Wind hatte sich zur Ruhe gelegt, stark duftete das Gras auf den Koppeln. Zutraulich geleitete das Vieh die späten Wanderer, bis es, von Zäunen getrennt, wieder zum Fressen in die saftige Narbe einfiel. Plötzlich standen wir vor dem Quednauer Berg, aus dem die niedrigen Betonmauern eines Forts herauswuchsen. Im Dämmerlicht gewahrten wir das Raupenband eines Tanks in vielen Krümmungen auf dem sandigen Boden. Unser Fuß verfing sich in Stacheldraht, eine Patronenhülse klirrte auf.

Fortsetzung folgt

 

 

 

Seite 12   Erziehungsbeihilfen nach dem Bundesversorgungsgesetzt

Zu einem der wichtigsten Zweige der Fürsorge im Bundesversorgungsgesetz gehört die Bestimmung über die Gewährung von Erziehungsbeihilfen an versorgungsberechtigte Waisen sowie an Kinder von Beschädigten. Durch die Gewährung von Erziehungsbeihilfen soll sichergestellt werden, dass Waisen und ebenso auch Kinder von Beschädigten eine ihren Anlagen und Fähigkeiten entsprechende allgemeine berufliche Ausbildung sowie eine allgemeine körperliche, geistige und sittliche Erziehung erhalten. Der Gesetzgeber ging hierbei von der Überlegung aus, dass der Staat verpflichtet sei, vor allem den Waisen, aber auch den Kindern Beschädigter eine Schul- und Berufsausbildung zu ermöglichen, die ohne den Verlust des Ernährers oder die Schädigung des Beschädigten ohne weiteres möglich gewesen wäre.

 

Für die Gewährung von Erziehungsbeihilfen kommen in Betracht:

 

1. Waisen, die nach dem Bundesversorgungsgesetz Waisenrente erhalten.

 

2. unterhaltsberechtigte Kinder von Beschädigten, sofern die Beschädigten eine Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten. Es muss jedoch der Nachweis erbracht werden, dass die Versorgungsberechtigten wegen der auf der Schädigung beruhenden Minderung des Einkommens nicht in der Lage sind, ihren Kindern die Schul- und Berufsausbildung zuteilwerden zu lassen, die sie ohne die Schädigung hätten durchführen können.

 

Unter welchen Voraussetzungen werden nun Erziehungsbeihilfen gewährt? Zunächst müssen sich die Waisen bzw. Kinder der Beschädigten für die begonnene oder erstrebte Ausbildung eignen. Hierzu werden die vom Landesarbeitsamt bestimmten Berufsberater gehört, die unter anderem prüfen, ob die Berufswahl zweckmäßig ist und die begonnene oder erstrebte Berufsausbildung Aussichten für eine Existenzgrundlage bietet. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse ist folgendes zu sagen: Die Erziehungsbeihilfe wird nur gewährt, wenn der Jugendliche oder seine unterhaltspflichtigen Angehörigen keine ausreichenden eigenen Mittel besitzen, aus denen sie die Ausbildungskosten bestreiten können. Selbstverständlich muss die Mittellosigkeit auf dem Verlust des Ernährers oder der Schädigung des Beschädigten beruhen.

 

Für folgende Ausbildungsarten kommen Erziehungsbeihilfen nach dem Bundesversorgungsgesetz in Betracht:

 

1. zum Besuch allgemeinbildender Schulen oder sonstiger Ausbildungsstätten; dabei sollen Beihilfen im volksschulpflichtigen Alter nur gewährt werden, wenn eine Bewilligung aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt erscheint, wie es beispielsweise bei den in sehr schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen lebenden Heimatvertriebenen häufig der Fall sein wird, weil dieser Personenkreis jegliche Substanz verloren hat.

 

2. für eine praktische Ausbildung in Berufen, für die ein bestimmter Ausbildungsgang vorgeschrieben ist und

 

3. zum Besuch staatlicher oder staatlich anerkannter Ausbildungsanstalten sowie Hochschulen.

 

Die Erziehungsbeihilfen sind so bemessen, dass sie unter Hinzuziehung des sonstigen Einkommens die Durchführung der Ausbildung sicherstellen. Sie umfassen:

 

1. die notwendigen Ausbildungskosten, wie Schulgeld, Lernmittel, Arbeitsausrüstung und Fahrtkosten zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte,

 

2. die Kosten für die Ernährung, für Wohnung und Bekleidung und gegebenenfalls für eine auswärtige Unterbringung, beispielsweise in Lehrlingsheimen.

 

Erziehungsbeihilfen sollen für die Dauer der für die angestrebte Schul- und Berufsausbildung vorgesehenen Mindestausbildungszeit gewährt werden und sind zunächst auf den jeweiligen Ausbildungsabschnitt, längstens auf die Dauer eines Jahres, wenn der Nachweis erbracht ist, dass die bisherige Ausbildung erfolgversprechend war und der Empfänger auf die Weiterbildung der Erziehungsbeihilfe angewiesen ist.

 

Der Antrag auf Gewährung einer Erziehungsbeihilfe wird bei dem für den Wohnort zuständige Stadt.- bzw. Kreissozialamt gestellt. Zur Beschleunigung des Verfahrens wird empfohlen, dem Antrag zugleich Unterlagen und Zeugnisse über die bisherigen Leistungen beizufügen. Ferner muss der Antrag enthalten:

 

1. die Art und Dauer der Ausbildung,

 

2. die Ausbildungsstelle

 

3. Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Erziehungsberechtigten und des Jugendlichen.

 

Über Anträge auf Gewährung von Erziehungsbeihilfen zur Ermöglichung eines Hochschulstudiums entscheidet die Hauptfürsorgestelle.

Helmut Wegner

 

Hausratshilfe ab 55 Punkten vorgesehen

Der Präsident des Bundesausgleichsamtes wird dem am 5. April in Bonn zusammentretenden Kontrollausschuss unter anderem auch vorschlagen, die Freigabe der zweiten Rate der Unterhaltshilfe für alle über 75 Jahre alten Lastenausgleichsberechtigten zu bewilligen und darüber hinaus auch zu ermöglichen, dass die erste Rate nunmehr für alle Antragsteller ausgezahlt wird, die Punktzahlen von 55 - 60 erreichen. Bisher konnten nur Anträge mit mehr als 60 Schadenspunkten bearbeitet werden.

 

 

 

Seite 12   Väre Önsejnung. Von Wanda Wendlandt

„Wat — ganz hibsch nenn Ju dat? — Jao, „enfach aower niedlich" säd de Diewel un maold sock sienem Zaogel arwtejrön an!“ Frau Loneit kommt langsam wieder auf Hochtouren, wie immer, wenn sie sich ungehemmt der Erinnerung an die unvergessliche Heimat hingeben darf. „Wenn eck nich jenau wussd, dat Ju jao ook von dot herstamme, denn michs eck manches Maol dat rein bezweifle, wenn eck e so rede heer! — Nä, mi aower kann keiner e Hundsgrompel färe Knachworscht verkeepe, seh doch möt aopenbaore Ooge, dat dat hier nich bloß „Sitten un Jebräuche“, sondern e ganz luusije Pracherie ös von Anfang bet to End! — Denn towat staohne hier noch äwerall die so malerische alte Fachwerkhäuschens' — doch bloßig weil de Lied kein Jöld nich hadde, söck nije to bue un de Pracherie grot weer! Bi ons to Land wurd kein Zijehner un Wenktiener mehr ön so e ohl Praoßel jewaohnt häwe! — Dat ös mien Meening äwer dat! —

 

Un ewenso ös dat hier motte Bekränzing! Dao hänge se denn anne Huusedär so e kleen rund Kranzke op — vleicht ös dat sogaor noch de Adventskranz, wo se winteräwer buute kold jelejt hadde — un denn ös dat de ganze Putzuut färe Önsegning. — Nä, Kinder, eck si doch meindag ömma färet Vollkaomene jewese un färet Kumplette u dao kann dieses mich nich imponiere! Wenn eck dao an onse Jirlande denk un anne Ehreporte — nä, dao hadd eener denn doch ook wat davon, dat he önjesejnet wurd! Dao wurd denn doch all e ganz Week värher Danne jehaolt un Rose jewöckelt, denn to Palmsinndag jeew et doch buute noch keine Blomes tom Uutputze un mussde erscht welke jemaokt ware. Dao wurde denn grote Baoges Siedepapeer jekofft un runde „Bläder“ jeschnäde, rode un jäle, blaue un lila, alle Caleere, un disse Bläder wurde oppe Strecknaodel fein opjewöckelt un denn tohopejeschaowe, jedem eenzelne Blad extra, dat he krunzlich wurd wie Kreppapeer. Na, un denn wurde se möt Blomedraht tohopejewöckelt un noch möt jröne Bläder versehne, denn eine Rose ohne Blatt jibt man der wo keine Ehr nicht hat! Eck kunn jao dat nu so ganz uterjewehnlich good — eck kann Ju segge, Ju hadde miene Papeerrose nich von läwige underscheede kunnt, wenn Ju se nich beraoke hadde! — Na un denn wurde alle Wäschlienes tohop jehaolt un alle Bohnestanges, denn an jede Huusedär, wo e Jebetsgaohner weer, „keem e Jirland un anne Poort noch e Ehrepoort. Na un denn erscht ohne Körsch: Jirlandes rundöm un kriez und quer un an jedem Bänk e Ehrepoort — jao, dao wurd eenem dat doch oddentlich to Jemiet jeföhrt, wat fär e hoge heilje Dag doch de Önsejning ön Jedems sienem Läwe ös, Eck weet noch hiede op mien ohle Daog jenau, wi mi dat tom Iriene weer!

 

Nä, nä, Kinder, eck mott ämma wedder segge, dat dat Beste an alle Feste de Värröchtunge un de Värfreid ös un de meist Onjlöck bloßig daovon kömmt, dat nuscht oddentlich värbereit ward un alles ön Hast geiht, denn alle Hast ist des Teufels! Eck kann mi gaonich denke, dat eener, wems Önsejning so möt Leew un trautste Wörd uutjeröcht ward, denn naohdem e schlecht Mönsch wäre kann! — — Wat weer dat all fär ons Marjelles färe groot Begäwenheit, dat wi e nij eegen Kleed kreege, denn meist weer dat doch fär ons so, dat wi awjedraogene vonne Mutterke torechtjeschusterke kreeje odder uutjewassene vonne Schwestersch odder Cousines arwde. Aower nu reist de Mutterke extra önne Stadt un kofft Baowertieg un Underfutter un Föschbeen un Samt un Sied tom Besatz. Na, un wat sonst noch aller dato jeheerd. Na, un denn kunn eener gaonisch mehr schlaope fär Oprejung, wat dat voll färe Prachtjebled wäre sull! Denn dat weer nich so wi hiedjendaogs, dat e Marjell von ehr Mutter Jöld verlangt un denn hengeiht un haolt söck dao e Plingerploss ute Fönster, wat ehr am meiste önne Ooges stöckt, un rennt denn daomöt önne Körch un demsölwtje Aowend denn oppe Danz. An denn danzt se daomöt noch e paormaol un denn ös de Keddel all riep to e Wöschkodder! —

 

Herrjemensch nä, wat ös dat doch färe loddrije Läwe hiedjendaogs un denn jammre de

Mönsche ömma, dat se motte Jöld nich röke! - Un kein Ehrfurcht mehr un Wordijkeit! - To mien Tied dao weer de Önsejningskleed e wördije Kleed un wurd bloß anjetaoge onne Körch un to alle iernste Bejäwenheite, wi Bejräwnisse, Aowendmaohl un sowat alles! - Aower wat weer dat ook fär e Jebied, wat weer dao ook för Aorbeit dran! De Schniederche keem möt twee Neejmarjelles önne Huus un hadd denn 4 Daog voll Aorbeit dran. Dao wurd denn erscht e Futtertailj jeschniedert un möt Föschbeen awjestött un Haokes un Öses ömma vasett anjeneejt. Un denn keem de Baovertailj ut veele Deeles un wurd denn möt Samt un Sied un Sutasch un Posmentes besätt, dat dat e Pracht weer un eener söck gaonisch satt sehne kunn un ömma wedder vonne Awwasche wegrennt un kickd, bet de Mutterke denn mötte Schlorrßenem hoole keem! — Un denn keem de Rock, ganz wied un to mindestens uut säwe Baohne un lang bet oppe Hakkes un alle Dehle wurde ook underfuttert unde röm keem noch e Streife Wollalpakka als Stoß un daran noch e Stoßboard uut Plüsch. Jao, dao föllt mi wat ön! — Kinder, eck mott meinem Bröll rein baowe hebbe ligge laote, sied doch so good un sökt mi dem, denn wenn eck naohdem de Zeitung lese wöll, ös dat ohne Bröll, als wenn de Oss önne Kalender kickt! — So, sön se aller buute?

 

Mi ös nemlich dao e Jeschichtke önjefalle. Dao weer eck doch vär lange Jaohre maol ön so e Ponsemente-Laode. Dao keem e Wiepke, ook vonne Land, ook rön, möt e Butzerke anne Hand, un verlangt: „Herrke, gäwe Se mi doch e Stoß undre Rock!“ — De jeschniejelt Commie lacht so jälbunt: „Aber Frauchen, ist das denn Ihr Ernst?“ — „Ach nä“ säd de jung Wiew, „dät ös mien Karl, de Ernst ös noch tohuus!“ — Na, ös Ju dat amend ook to ruuch? — Dao säd doch ehrjistre de Pfarrer to mi, wi eck em ook so e lostje Wöppke vertällt: „Aber Frau Loneiten, schenieren Se sich denn garnich?“ „Nä ganz un gaonich, Herr Pfarr“ sä eck, „denn sehne Se, eck hebb man, nich lang, önne Zeitung jelese, dat se ön England, glow eck, e nie Appaoraot erfunde hebbe, tom Waoter sterelisiere, dat nu aower keiner dem keimfreie Waoter drinke wöll, weil dat rein naoh gaonuscht schmeckt. Un denn hebb eck, all vär lang Jaohre, maol önne „Jeorjine“ jelese, dat een jelehrt Perfeeser — wenn eck mi recht besönn, heet he Hansen — uutjeföhrt had, dat de Melk, wo mötte Maschien jemolke ös un also ook sterilisiert ös, ook rein naoh nuscht schmeckt un dem spezifische Milchjeschmack verlaore häwt — worut söck eener entnehme kann, dat e böske Schiet ewend Aroma ös!! — Na, un Sehne Se, de Aroma ön uns plattdietsch Spraok ös, dat eener söck nich e Blatt väre Muul nömmt! Un wenn wi nu dat böske Schiet rutkastreere wölle, denn ös ons Platt ook sterelisiert un schmeckt rein naoh nuscht. (Hier fehlen einige Wörter)  wenn wi denn aller bloßig noch sterelisiert Waoter drinke un daomöt ons wasche wölle un sterelisiert Melk suupe un e fienstreifige sterelisiert Spraok föhre wölle, denn — amend ware we denn fortzig Aller sterelisiert — na un denn ös dat man doch bloßig noch dat halwe Läwe un de best Deel davon weg — meene Se dat nich ook, Herr Pfarr?“

 

 Häw Ju mien Bröll jefunde? — Scheen Dank ook, mien Schaopke! Un nu wöll eck Ju aller noch e Spoaske vatelle:

 

Sien erscht Verröchting

Dao hucke se nu stöll:

Maijellkes motte stiewe Zepp,

de Junges möt jeduckte Kepp

de kicke nach de Bröll

 

dem Pfarrer, wo se verheerd

öm Konfermande-Underröcht —

dat se em kaohme ute Söcht,

denn se häw nuscht jelehrt.

 

De Pfarr geiht op un daol

und redt, wi Jeder needich hädd

dat he dat Bäde nich verjätt —

dat Bäde noch emaol —

 

un ook all morjens: „Ja,

wenn man so schön geschlafen hat,

— denkt nach! was tut man da? —

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Was tust Du, Korl Wittrien?“

„Eck — eck“ — wat doh eck denn doch man?

„eck teh mi mien kleen Pölzke an

und go den hindre Schien -----

 

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt (9)

Liebe ostpreissische Landsleite!

Wenn einem im März der Friehlingswind anseiselt, denn wird einem ganz schwummrig untre West. Es ziept und zuckt in alle Glieder und Gelenke, einer wird unruhig und schläft schlecht, und es treibt einem diräkt raus inne weite Welt. Das war all immer so, und das wird vorleifig auch immer so bleiben. Meistens geht es ja auch gut, aber menchsmal sind de Folgen ganz schrecklich. Wenn Se mir nu sehen könnten, wie ich hier so lieg, das linke Bein mit Gips verkleistert und mittein Strick anne Deck angebunden, de linke Hand inne Bind, wo umme Gurgel rumgewurgelt is, de linke Back blau und grien — denn mechden Se erst wissen, wie gut ich es mein, wenn ich Ihnen vor die Friehlingskrankheit warnen tu. Und in dem Zustand muss ich nu fier Ihnen e freehlichem Brief schreiben! Aufes rechte Knie liegt e altes Tablett, das wiggelt und waggelt immer hin und her, und das Gipsbein tut ganz aasig weh, und de Emma steht annes Bett und murmelt immer demselben Vers: „Siehst, was bist nich zu Haus geblieben!“ Aber nu bleiben Se mal zu Haus, noch dazu im Friehling, wenn Ihnen e hibsche, junge Frau von noch nich ganz fuffzig zu Hilfe ruft! Aber was Se nu wieder denken, das is nich. Sie denken natierlich, die hat mir mitte Ofentier gestreichelt, weil ich emmend wo anzieglich wurd. Nei, nei, e heeherer Postbeamter wie ich weiß ganz genau, was sich geheert, auch im gefährlichen Monat März. Das kam einfach so: Die junge Frau wohnt hier inne Gegend, aber es is noch e Stick mitte Kleinbahn zu fahren und denn noch vier Kilometer zu Fuß. Aber das macht mir als Landbriefträger ja nuscht aus, einer is ja noch immer gut aufe Fieße. Die hat mir nu e scheenem lila Brief geschrieben, ich solld kommen und ihr gegnem Bauer helfen, wo se wohnt. Der schikaniert ihr auf jede Art, und nu wolld se ihm gerichtlich belangen, und dabei solld ich nu Schriftgelehrter sein und de Klag aufsätzen. Ihr Mann lebt nich mehr, sonst hädd der ihr geholfen. De Emma wurd gleich falsch, wie se dem Brief las, und meind: „Du wirst Dir doch nich womeeglich fier fremde Weiber zerrebbeln. Das Beste is, Du schreibst gleich ab!“ Aber das war gar nich nach meine Nas, denn erstens bin ich sehr hilfsbereit, zweitens hab ich Iebung in behördliche Sachen, drittens is es wirklich e nette Frau, und viertens is ja Friehling! Drei Tag ging das hin und her zwischen mir und meine Altsche, denn packd ich meinem Pungel und haud ab. Wenn de Emma das ganze Leben Recht gekriegt hat, einmal muss ich ja auch tun können was ich will. Deshalb hab ich mir durch — und de Emma sich nebnem Stuhl gesetzt. Se war einfach platt, wie ich zuletzt sagd: „Und wenn Du Dir aufem Kopp stellst und mitte Beine Fliegen fängst, ich fahr!!“ Und ich fuhr auch und es gang auch zuerst alles ganz gut, und es war neetig, dass ich die hibsche junge Frau von noch nich ganz fufzig beispringen tat. Wissen Se, das is ja e gräßlicher Kerdel. Wenn Se dem von weitems sehen, dann kriegen Se all Angst, denn er sieht aus, als wenn er außem Zuchthaus rausgehoppst ist, wo er wegen Körperverletzung mit Todesfolge zehn Jahr eingespundt war. Nehmen Se man nich iebel, wenn ich hier mit juristische Fachausdricke rumschmeiß, aber schließlich is einer ja nich gerad Ortsdummer gewesen. Was soll ich Ihnen nu die ganze Leidensgeschichte von die junge Frau ausenanderverposementieren. Vieles is dabei, was ieberall passiert, und Se wissen ja selbst, was e reibeisiger Hauswirt einem zusetzen kann, besonders wenn einer e hilflose Frau is. Das Dollste aber war, dass er ihr nun vonne ganz andre Seite kam, nämlich mit liebenswirdige Anjebote. Und einem Abend hat er ihr anne Hauseck bedrickt und einem Butsch gegeben. Sehn Se, und dieser Butsch schlug de Buddel dem Hals ab, so dass se sich foorts hinhuckd und mir dem lila Brief schrieb. Na, ich ließ mir nu alles ganz genau erzählen, und denn hab ich ihm e Schriftsatz hingehauen, wo er sich bestimmt nich hintrem Spiegel steckt. Da is aber auch alles dran. Wenn das im Dorf bekannt wird, denn hebt kein Hundche nich mehr an seinem Zaun e Bein, weil er nuscht nich mehr mit ihm zu tun haben will. Dem Schiedsmann hab ich auch gleich geschrieben, er soll uns das Attest geben, denn wir wollen sich nich vertragen, sondern dem Lustgreis e gerichtlichen Denkzettel verpassen, dass er das Luftholen vergisst. Soweit hab ich alles geregelt, und denn bin ich wieder abgefahren mit das herrliche Gefiehl innem Busen, fier e hibsche Frau von noch nich ganz fuffzig e gutes Werk getan zu haben. Doch das Unglück schreitet schnell, sagt unser großer Dichter Goethe. Diesmal fuhr es schnell. Es war nämlich e scheener grauer Volkswagen, und ich war geradzig auße Kleinbahn ausgestiegen und wolld langsam und gemietlich zu Haus zockeln. Das Auto kam hinter mir. Ich ging nu all ganz dicht anne Seit, aber der Krät, wo da drinhuckd, war besoffen wie e Kuigel und kriegd mir mittes hinterste Schutzblech noch zu fassen. Natierlich riss es mir rum, drickd mir genem Baum, brach mir das linke Wadenbein, renkd mir dem linken Ellbogen aus und bescheierd mir ganz geherig de linke Seit vonnes Gesicht. Dabei kann ich noch von Glick sagen, denn es hädd auch noch schlimmer kommen könnd. Nu haben se mir aufe Schossee zusammengelesen, de Polizei geholt, dem Fahrer aufgeschrieben, dem Auto beschlagnahmt, dass er zu Fuß gehen missd. Dafier bin ich mittes Auto gefahren, aber mittes Krankenauto. Drei Tage behielden se mir inne Lazarett, flickden mir zurecht und brachden mir denn wieder zu Haus. „Siehst“, sagd de Emma, wie se mir in dem demolierten Zustand zu sehen kriegd, „ich hab Dir gleich gesagt, Du sollst abschreiben. Was bist nich zu Haus geblieben!“ Und dem Vers betet se nu all virzehn Tag, er kommt mir all oben raus. Und wer weiß, ob es nich zu Haus genau so passiert wär, denn jeder Mensch hat sein Schicksal, und was einem treffen soll, das trifft einem auch. Wie oft bin ich mitte Kleinbahn gefahren, und se is nich entgleist, aber wie de Emma einmal drinhuckt, da war se bald vonne Luxenburger Brick innem Abgrund gestirzt. Aber de Emma ärgert sich ja bloß ieber die hibsche junge Frau, das passd ihr ebend nich. Se sehen auch an mein Beispiel wieder, was der Friehling so fier Unheil anrichten kann. Im März war es ja meist noch ziemlich kiehl, aber wenn es dann wärmer und wärmer wird, denn wird es jedem Tag gefährlicher. Ich frei mir denn bloß, dass ich Holz und Kohlen sparen kann. De Feierung is ja garnich mehr zu bezahlen. Es is bloß gut, dass einer immer noch e bißche innem Wald gehen und sich was holen kann. - Hat Ihnen auch keiner im April geschickt? Ach, da fällt mir ein, was se mal bei uns zu Haus mit mir am 1. April aufgestellt haben. Am liebsten mechd ich Ihnen das noch schnell erzählen. Bloß mein linkes Bein meldt sich ebend wieder, und geradzig kommt de Emma von draußen rein. Gleich wird se wieder sagen: „Siehst, was bist nich zu Haus geblieben“. Da fällt einem de Bleifeder diräkt auße Hand. Außerdem seh ich, dass der Brief all ziemlich lang geraten is. Darum muss ich Ihnen mit die Aprilgeschichte bis aufes nächste Mal vertreesten. Nu bleiben Se man scheen gesund und kneifen Se dem Daumen, dass mein linkes Wadenbein wieder orndlich zusammenheilt, sonst macht das Leben und das Schreiben bald keinem Spaß nich mehr. Womit ich Ihnen von mein Schmerzenslager herzlich grießen tu!

Ihr alter Ernst Trostmann, Landbriefträger u. A.

 

 

 

Seite 13   Suchdienst – Gefallene und gestorbene Wehrmachtsangehörige

Anfragen und Mitteilung zu dieser Liste sind unter Angabe des Namens und Vornamens des Gemeldeten (zweiter Name in der Suchmeldung) an den Suchdienst München, Rundfunkauskunft München 13, Infanteriestraße 7a zu richten.

 

Anton Lingnau, aus Allenstein, Thorner Straße 61, für Johannes Lingnau, geb. 06.03.1910 in Borken.

 

Anna Tryonnek, aus Brennen, Kreis Johannisburg, für Max Tryonnek, geb. 30.11.1907 in Oblewen.

 

Karl Urban, aus Burgfelde, Kreis Goldap, für Arnold Urban, geb. 11.02.1915 in Watlingen.

 

Maria Endt, aus Buschin Nr. 8, Kreis Hohenstadt, für Rudolf Ulrich, geb. 16.10.1926 in Buschin.

 

Familie Ullrich, aus Ebenrode, Bahnunterführung, für Albert Ullrich, geb. 02.11.1902 in Peterslauken.

 

Franz Vogel, aus Falkenreut, Kreis Insterburg, für Max Vogel, geb. 08.08.1906 in Sprakten.

 

Jakob Wannogs, aus Feilenhof, Kreis Heydekrug, für Erich Wannogs, geb. 07.03.1925 in Blasyan.

 

August Weichert, aus Freudenberg, Kreis Rössel, für Erich Weichert, geb. 01.05.1921 in Freudenberg.

 

Anna Waldhauer, aus Fünflinden, Kreis Königsberg, für Erich Waldhauer, geb. 06.03.1912 in Steinfeld, Kreis Labiau

 

Henriette Trumpe, aus Garbassen, Kreis Treuburg, für Max Trumpe, geb. 17.01.1911 in Tilsit.

 

Emilie Wachholz, aus Geisecke, für Ernst Wachholz, geb. 18.07.1907 in Geiseke

 

Karla Vogel, aus Groß-Blumenau, Obert-Sponel-Straße, Kreis Fischhausen, für Erich Vogel, geb. 26.05.1901 in Königsberg.

 

Maria Waschkau, aus Groß-Mönsdorf, Kreis Rössel, Siedlung, für Josef Waschkau, geb. 10.12.1907 in Komienen.

 

Lydia Wannags, aus Grünau bei Kreuzingen, für Franz Wannags, geb. 17.04.1903 in Paassen.

 

Karlo Weber, aus Gumbinnen, Kirchenstraße 8, für Karl-Heinz Weber, geb. 04.02.1922 in Königsberg.

 

Fritz Warstat, aus Gumbinnen, Schulstraße 1, für Reinhold Warstat, geb. 09.01.1923 in Tulpingen

 

Else Uhlossat, aus Heydekrug, Am Kreiswald, für Emil Uhlossat, geb. 26.04.1905 in Masgellen.

 

Familie Warmter, aus Hindenburg, für August Warmter, geb. 21.03.1892 in Hindenburg.

 

Emilie Weber, aus Insterburg (Sprint), Birkenweg 1, für Heinrich Weber, geb. 09.03.1902 in Kanthausen.

 

Anna Wauschkun, aus Insterburg, Fiegerhorst, Heizwerk II, für Fritz Wauschkun, geb. 05.08.1893 in Insterburg

 

Otto Uredat, aus Insterburg, Siehrstraße 8, für Claus Uredat, geb. 20.12.1925 in Insterburg.

 

Margarete Waschkun, aus Insterburg, Wilhelmstraße 7, für Max Waschkun, geb. 05.03.1908 in Insterburg.

 

Marie Trojan, aus Johannisburg, Fischergasse 50, für Max Trojan, geb. 08.03.1916 in Lesken.

 

Hedwig Volkmann, aus Kattbach, Kreis Preußisch-Eylau, für Fritz Volkmann, geb. 31.03.1906 in Papperten

 

Minna Bialas, aus Kipitten, Friedland, Kreis Bartenstein, für Gerhard Bialas, geb. 18.05.1926 in Lupken.

 

Friedrich Waschull, aus Klein-Meitz, Kreis Sensburg, für Horst Waschull, geb. 10.01.1926.

 

Josef Warmbier, aus Klondorf Nr. 9, Kreis Tüchel, für Werner Warmbier, geb. 06.10.1925 in Klinowo.

 

Gerda Unger, aus Königsberg, Barbarastraße 29, für Albert Unger, geb. 26.07.1912 in Sensburg

 

Max Wagner, aus Königsberg, Methgethen-Siedlung, für Helmut Wagner, geb. 20.07.1923 in Königsberg

 

Otto Wascher, aus Königsberg, Sackheim 128, für Karl Wascher, geb. 12.02.1922 in Dermin.

 

Frieda Wegner, aus Königsberg, Stagemannstraße 52, für Fritz Wegner, geb. 30.03.1901.

 

Anna Vogt, aus Langenweiher, für Fritz Vogt, geb. 17.05.1900 in Langenweiher.

 

Berta Wechsenlechner, aus Lilienfeldl, Dörfl 72, für Josef Wechsenlechner, geb. 30.11.1902.

 

Ida Ulrich, aus Lötzen, Bahnhofstraße 1, bei Rytzy, für Eduard Ulrich, geb. 19.03.1922 in Fuchsmühl.

 

Friedrich-Wilhelm Wackermann, aus Lyck, für Klaus Wackermann, geb. 17.10.1925 in Rosenberg.

 

Zezilia Vetter, aus Marienburg, Hinteraldstrau 1, für Eugen Vetter, geb. 27.04.1912 in Georgental.

 

Michael Veidt, aus Memel-Schmelz, Haffstraße 5a, für Max Veidt, geb. 29.03.1920 in Memel-Schmelz

 

Max Wagner, aus Metgethen, Königsberg, Siedlung, für Gerhard Wagner, geb. 15.07.1925 in Moditten.

 

Johanna Tschagran, aus Negau, Post Hansdorf, für Josef Tschagran, geb. 14.02.1914 in Pfefferberg.

 

Franz Waschelewski, aus Przellenk, Kreis Neidenburg, für Franz Waschelewski, geb. 15.03.1926 in Grodtken.

 

Familie Wegner, aus Ragnit, Yorkstraße 3, für Reinhold Wegner, geb. 11.02.1920 in Ragnit.

 

Wilhelm Prochnow, aus Reetz, Kreis Arenswalde, für Walter Ufke, geb. 06.01.1912 in Reetz.

 

August Warda, aus Rhein, Schmidtstraße 11, Kreis Lötzen, für Heinz Warda, geb. 29.09.1924 in Gemst.

 

Paul Weichert, aus Schippenbiel, Eugen-Koch-Platz 6, für Karl Weichert, geb. 05.04.1926.

 

Ida Hoffmann, aus Schnittken, Kreis Heydekrug, für Gerhard Wiegratz, geb. 18.05.1924 in Werschenhof, Kreis Gumbinnen

 

Martha Tschorreck, aus Spechtsboden, Kreis Goldap, für Otto Tschorreck, geb. 08.05.1906.

 

August Potschadlowski, aus Ublig, Kreis Johannisburg, für Gustav Puddschadlowski, geb. 16.09.1928 in Kohel.

 

Johanna Unger, aus Wonsen, Kreis Johannisburg, für Adolf Unger, geb.29.11.1909 in Alexandrie

 

Martha Weichhaus, aus Wormen, Kreis Korschen, für Friedrich Weichhaus, geb. 29.03.1917 in Goldstein.

 

Gustav Wasgind, aus Zinten, Maraunerstraße 1, Kreis Heiligenbeil, für Willi Wasgind, geb. 12.04.1926 in Zinten, Kreis Heiligenbeil.

 

Hermann Rogalla, aus Buschwalde, Kreis Neidenburg, für Fritz Ragalla, (Schreibfehler?) geb. 30.11.1913 in Buschwalde, Kreis Neidenburg

 

Familie Siebert, aus Bussen, Kreis Sensburg, für Willi Siebert, geb. 27.11.1919 in Bussen.

 

Heinrich Siedler, aus Colbiehnen, Kreis Rastenburg, für Friedrich Siedler, geb. 03.08.1916 in Colbiehnen

 

Charlotte Templin, aus Deutsch-Thierau, Kreis Heiligenbeil, für Edmund Templin, geb. 14.05.1919 in Mrogowo

 

Heinrich Rauter, aus Dietrichswalde, Kreis Kulm, für Heinz Rauter, geb. 27.11.1921 in Welburg

 

Ernst Röttscher, aus Fischhausen, Stadtrandsiedlung 4, für Günter Röttscher, geb. 19.11.1922 in Fischhausen.

 

Berta Thiel, aus Groß-Schellenberg, Post Arnsdorf, Kreis Gerdauen, für Hermann Thiel, geb. 28.01.1916 in Löwenstein.

 

August Riediger, aus Groß-Tromp, Post Tiedmannsdorf, Kreis Braunsberg, für Johann Riediger, geb. 15.03.1920 in Groß-Tromp.

 

Gustav Rohleder, aus Hagenau bei Goldberg, Goldberger Straße 5, für Heinz Rohleder, geb. 15.12.1926 in Goldberg

 

Karl Sahm, aus Heinrichsdorf, Kreis Bartenstein, für Karl Sahm, geb. 22.02.1911 in Heinrichsdorf.

 

Emilie Ringst, aus Holm bei Tiegenort, Kreis Groß-Werder, für Paul Ringst, geb. 25.10.1911 in Tiegenort.

 

Familie Rimkus, aus Insterburg, für Franz Rimkus, geb. 31.01.1907 in Insterburg

 

Max Rossacher, aus Julienhofen, Kreis Sensburg, für Helmut Rossacher, geb. 23.11.1908 in Wosnitzen

 

Hildegard Ridzek, aus Königsberg, Schulzstraße 3, für Otto Ridzek, geb. 04.03.1913 in Eydtkau.

 

Familie Reimann, aus Korschen, Poststraße 5b, für Hugo Reimann, geb. 18.09.1919 in Krausen.

 

Julius Salditt, aus Landwalde bei Braunsberg, für Josef Salditt, geb. 17.03.1907 in Langwalde.

 

Anneliese Seye, aus Lembeck, Kreis Sensburg, für Hans Seye, geb. 11.03.1920 in Lembeck.

 

Auguste Rosenberg, aus Liebwalde, Kreis Mohrungen, für Kurt Rosenberg, geb. 27.06.1921 in Heiligenwalde

 

August Ruhnau, aus Lilienthal, Kreis Braunsberg, für August Ruhnau, geb. 05.05.1920 in Lilienthal

 

Herr G. Roßbach, aus Lötzen, früherer Adolf-Hitler-Platz 3, für Gerhard Roßbach, geb. 24.08.1920 in Lötzen.

 

Johann Rusch, aus Marienhof, Kreis Meßnitz, für Albert Rusch, geb. 13.05.1905.

 

August Rordek, aus Markshöfen, Kreis Ortelsburg, für Paul Rordek, geb. 12.11.1907 in Markshöfen.

 

Emma Rudat, aus Memel, Feldstraße 21, für Ernst Rudat, geb. 28.06.1899 in Märdewald.

 

Charlotte Sauter, aus Memel, Fleischbänkenstraße 3, für Richard Sauter, geb. 02.04.1911 in Memel.

 

Marie Sarafin, aus Memel, Sattlerstraße 7, für Martin Sarafin.

 

Familie Rieck, aus Myrtenhof, Norkitten, Kreis Insterburg, für Gustav Rieck, geb. 31.07.1910 in Myrthenhof.

 

Michael Rogowski, aus Neuwiesen, Kreis Ortelsburg, für Hans Rogowski, geb. 20.02.1922 in Neuwiesen.

 

Hedwig Rimkus, aus Ossaquell, Kreis Insterburg, für Otto Rimkus, geb. 15.03.1910 in Ragnit.

 

Theodor Rogge, aus Pillau, Gorch-Fock-Straße 9, für Walter Rogge, geb. 9.11.1925 in Watzum

 

Irmgard Rieder, aus Preußisch-Eylau, Scharnhorststraße 1, für Josef Rieder, geb. 22.11.1920 in Daun.

 

Frau Janowitz, aus Ramsau, Kreis Allenstein, für August Janowitz, geb. 16.07.1927 in Ramsau

 

Wilhelm Roßlau, aus Kannwiesen, Kreis Ortelsburg, für Wilhelm Roßlau, geb. 21.12.1912 in Kannwiesen.

 

Ida Tautar, aus Rautersdorf in Elchniederung, für Richard Tautar, geb. 13.10.1891 in Neundf.

 

Georg Tiefensee, aus Rösen bei Heiligenteich, Kreis Zinten, für Fritz Tiefensee, geb. 08.08.1926 in Hauswalde.

 

Wilhelmine Seidenberg, aus Roßtal, Kreis Insterburg, für Werner Seidenberg, geb. 10.11.1924 in Roßtal

 

Christa Seemund, aus Schaaksvitte, Kreis Samland, für Karl Seemund, geb. 03.10.1915 in Schaaksvitte

 

Fritz Sadowski, aus Schakenau, Kreis Insterburg, für Eberhard Sadowski, geb. 16.02.1923 in Bokirren

 

Max Riemann, aus Schmoditten, Kreis Preußisch-Eylau, für Helmut Riemann, geb. 16.06.1921 in Schmoditten

 

Julius Teyke, aus Seubersdorf, Kreis Osterode, für Emil Teyke, geb. 29.05.1906 in Leip

 

Auguste Rogge, aus Tilsit, Hohestraße 92, für Hans Rogge, geb. 09.04.1925 in Tilsit

 

Martha Radtke, aus Vorwerk bei Mohrungen, Post Preußisch-Mark, für Otto Radtke, geb. 05.09.1902 in Beduaren.

 

Anna Seifert, aus Wirbeln über Insterburg-Land II, für Franz Seifert, geb. 05.05.1912 in Hohenradl

 

Erna Roß, aus Zitzewitz, Kreis Stolp, für Paul Roß, geb. 16.03.1909 in Zitzewitz

 

Anne Rimkat, aus Allenstein, Hindenburgstraße 19, für Paul Rimkat, geb. 21.11.1913 in Akmannischken

 

Viktor Bludau, aus Altwartenburg, Kreis Allenstein, für Herbert Roth, geb. 06.06.1925 in Blankenberg.

 

Rosa Riemann, aus Barthmen, Kreis Samland, für Gustav Riemann, geb. 01.01.1908 in Corben.

 

Frieda Sarge, aus Biethen, Kreis Wehlau, für Gustav Sarge, geb. 13.01.1915 in Rabitten

 

Anna Riedel, aus Birkenhain, Kreis Tilsit-Ragnit, für Franz Riedel, geb. 07.04.1911 in Birkenhain.

 

Katharina Riediger, aus Braunsberg, Tannenbergstraße 40, für Otto Riediger, geb. 03.08.1905 in Pattelkau

 

Hermann Riedl, aus Breitenhausen, für Hermann Riedl, geb. 18.10.1913 in Haberswöhr.

 

 

Seite 13   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg-Osdorf, Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihrer Heimatanschrift von 1939, Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären!

 

Gesucht werden aus:

 

Arnstein, Kreis Heiligenbeil: Elisabeth Pohling, geb. 29.09.1934, und Irmgard Pohling, geb. 16.04.1937, von ihrem Vater: Otto Pohling, ge. 17.02.1884

 

Eydtkau, Kreis Ebenrode: Erich-Wademar Räder, geb. 26.08.1935 in Insterburg, von seiner Mutter: Charlotte Schulz, geborene Räder, geb. 02.05.1914. Erich Waldemar Räder war bis Mai 1944 bei Fritz Scheffler in Klein-Haldenau in Pflege und wurde dann vom Führsorgeamt Ebenrode nach Eydtkau, Kreis Ebenrode, gegeben. Der Name der Pflegeeltern ist unbekannt.

 

Grumbeln, Kreis Memel: Werner Lukat, geb. 25.02.1943, von seinen Eltern: Werner Lukat, geb. 12.09.1909, und Marie Lukat. Das Kind lag während der Evakuierung Memels, im Oktober 1944, im Städtischen Krankenhaus – Kinderabteilung – Memel und wurde dort wegen Diphterie am Hals operiert. Es wurde dann mit den Insassen des Krankenhauses vorerst nach Königsberg, Ostpreußen, evakuiert. Im Winter 1944/1945 soll es mit anderen Kindern von Königsberg nach Greifswald verlegt worden sein.

 

Königsberg, Altgroßgärtner Kirchenstraße 10/11: Sabine Krause, geb. 24.09.1941 in Königsberg, von ihrem Vater: Franz Krause. Sabine ist, nachdem sie von ihrer Mutter getrennt wurde, von einer Frau Trusch aufgenommen worden.

 

Königsberg, ehemalige Horst-Wessel-Straße 23: die Geschwister Günter Fehr, geb. 23.03.1933 in Königsberg, Ruth Fehr, geboren im Dezember 1937 in Königsberg, Gisela Fehr, geboren 1942, und Lothar Fehr, geboren 1944, von ihrem Vater: Richard Fehr, geboren 22.09.1905

 

Königsberg, Roonstraße 14: die Geschwister Erwin Floth, geb. im August 1937, Dora Floth, geboren 27.06.1941, und Günther-Wolfgang, geboren 16.08.1943 in Königsberg, von ihrem Vater: Bruno Floth, geboren 22.06.1914

 

Lindental, Kreis Elchniederung: die Geschwister Dieter Wolfgang Sakautzki, geb. 19.04.1936, Alfred Klaus Sakautzki, geb. 30.07.1939, und Renate Irene, geb. 24.07.1943, von ihrer Tante: Auguste Rochna, geborene Sakautzki, geb. 02.04.1898

 

Memel, Baderstraße: Hertha Gerteit, geb. 22.07.1940 in Memel, von Ruth Götze

 

Sensburg, Karwer-Weg: Herbert Banasch, geb. etwa 1938, und Lottchen Banasch, geb. etwa 1940, von Margarethe Rüdiger, geborene Scheer, geb. 31.01.1903

 

Siegenau, Kreis Johannisburg: Hellgard Garstka, geb. 10.12.1940 in Siegenau, und Reni Garstka, geb. 24.01.1942, von ihrer Tante: Anna Bogun, geborene Papies, geb. 04.10.1913

 

Schröttersburg, Krankenhaus: Helga Schütz, geb. 22.09.1941 in Warschau, von ihrer Mutter: Magdalena Schütz, geborene Gede, 12.05.1905.

 

Steegen, Kreis Preußisch-Holland: Boto Groß, geb. 23.07.1937 in Groß-Tippeln, von seiner Mutter: Elise Groß, geborene Runge, geb. 15.07.1913

 

Tapiau, Kreis Wehlau: Frank-Peter Czupat, geb. 30.01.1940, von seinem Vater: Fritz Czupat. Der Knabe kam nach dem Tode der Mutter in das York-Krankenhaus in Königsberg und soll von dort aus in ein anderes Krankenhaus verlegt worden sein. Später soll Frank-Peter Czupat mit einem Kindertransport nach Deutschland gekommen sein. Er hat graublaue Augen und schwarzes Haar. Seine Augen lagen etwas tief in den Augenhöhlen. Vielleicht hat er sich anfangs entsinnen können, dass sein Vater in Tapiau die Gaststätte „Kleine Schleuse“ gehabt hat und dass ein Hund zu ihnen gehört hat.

 

Tappelkeim, Kreis Bartenstein: Gerda Schwarz, geb. 05.03.1934 in Meludwiesen, von ihrem Bruder Gerhard Schwarz. Außerdem wird Horst Schwarz gesucht. Gerda Schwarz und Horst Schwarz befanden sich Mitte 1947 in Friedland, Kreis Bartenstein.

 

 

Seite 13   Heimkehrer-Aussagen über Vermisste. Wer kennt die Angehörigen?

Heimkehrer haben beim Suchdienst Aussagen über Vermisste gemacht. Die Angehörigen dieser Vermissten konnten bisher nicht ermittelt werden. Erkennen Sie aus den nachstehend aufgeführten Personalangaben einen der Vermissten und können Sie Auskunft über dessen Angehörige geben? Helfen auch Sie, die Angehörigen ausfindig zu machen Jede zutreffende Meldung bedeutet ein geklärtes Vermisstenschicksal! Geben Sie Ihren Hinweis zur Auffindung der Angehörigen bitte unverzüglich unter Angabe der Befragungsnummer der Liste (jeweils am Ende der Suchanzeige) an das Deutsche Rote Kreuz, Suchdienst München, Abt. Nachforschungsstelle für Wehrmachtsvermisste München 13, Infanteriestraße 7a

 

Gesucht werden aus:

 

vermutlich aus Allenstein: die Angehörigen von Katanneck, Vorname unbekannt, geb. etwa 1927/1928, zuletzt bei der 3. Marschkompanie Panzer-Ersatz-Abteilung 10 Zinten (Ostpreußen) — A/ 5878

 

der Gegend von Allenstein: die Angehörigen von Schurkes, Vorname unbekannt, geb. 1926,  Landwirt, Gefreiter bei der Feldpostnummer 22 062 C — B/3621  

 

Eisenmühle, Kreis Lötzen: die Angehörigen von Erich Rock, geb. 01.08.1927 in Reichenstein, zuletzt beim Grenadier-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 12 Halberstadt — B 3533

 

Guttstadt, Alleesiedlung 4: die Angehörigen von Alois Gronenberg, geb. 17.01.1927 in Guttstadt, ledig, Kaufmann, Flieger bei einem Fallschirmjäger-Regiment — A/386

 

Heilsberg (Ostpreußen): die Angehörigen von Georg Reddig, geb. etwa 1926. ledig Abiturient, Gefreiter oder Obergefreiter bei der 2. Batt. Fallschirm-Artill.-Regiment 6 - A/2731

 

Königsberg: die Angehörigen von Helmuth Frischrnuth, geb. etwa 1919 in Königsberg, ledig. Beruf: Bäcker, Unteroffizier bei der 14. Kompanie Grenadier-Regiment 695, Feldpostnummer 04 975 – A/1659

 

vermutlich aus Königsberg: die Angehörigen von Hildebrandt, Vorname unbekannt. Hilfswachtmeister — B/3186

 

vermutlich aus Königsberg: die Angehörigen von Friedrich Kühn, geb. in Königsberg, verh., zuletzt bei der Sanitätskompanie der Feldpostnummer 37 702 — B/3306

 

vermutlich aus Königsberg: die Angehörigen von Puppe, Vorname unbekannt. Stabsgefreiter bei der 1. Kompanie Pionier-Bataillon 21. Feldpostnummer 29 671 — B/6614

 

Königsberg: die Angehörigen von Otto Schulz, geb etwa 1907/1909 in Königsberg, Unteroffizier, Feldpostnummer 24 934 A — 3/6188

 

Königsberg: die Angehörigen von Ernst Wißler, geb. 1912. Obergefreiter — B/3740

 

Korschen (Ostpreußen): die Angehörigen von Alfred Palke, ledig, Feldwebel bei der 13. Kompanie Volks-Grenadier-Division 349 — B/1084

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Prinz Heins, — B/3140

 

Ostpreußen, vermutlich Masuren: die Angehörigen von Georg Koplin,  geb.  06.12.1917 in Schönbruch, ledig, Unteroffizier bei der 1. Abteilung Nachrichten-Regiment 501. Feldpostnummer 22 454 — A/2481

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Wilhelm Krause, geb. etwa 1910 in Ostpreußen. Beruf: Sattler, Obergefreiter, Feldpostnummer 19 667 D — C/212

 

Ost- oder Westpreußen: die Angehörigen von Fritz Pußt, geb. etwa 1913/1914. Stabsgefreiter, Feldpostnummer 06 542 — A/2048

 

 

Seite 13   Heimkehrer-Aussagen über Zivilgefangene

Wir veröffentlichen nachfolgend Namen von in die UdSSR Verschleppten, die dort noch zurückgehalten werden, bzw. dort verstorben sind. Der Suchdienst Hamburg ist bemüht, die Anschriften der Angehörigen zu ermitteln, um sie benachrichtigen zu können. Sollten Sie die Namen und Anschriften von Angehörigen kennen, schreiben Sie an den Suchdienst Hamburg, Abteilung II (Zivilvermisste), Hamburg-Altona, Allee 131.

 

Gesucht werden aus:

 

Elbing, Komnickstraße: die Angehörigen des Fritz Kirschnik, geb. etwa 1900, Schiffer.

 

Elbing: die Angehörigen der Frau Lewald. Weitere Personalangaben liegen nicht vor.

 

Elbing, Ritterstraße: die Angehörigen der Ingeborg Richter, geb. etwa 1925.

 

Elbing, Äußerer Mühlendamm 76 oder 80: die Angehörigen des Fräulein Senkbeil, geb. etwa 1893, Direktrice. Ihr Bruder war vermutlich der Leiter der Ortskrankenkasse Elbing.

 

Elbing: die Angehörigen des Paul Wölm, geb. etwa 1900, Imker.

 

Trunz, Kr. Elbing: Die Angehörigen der Marianne Jepp, geb. etwa 1924.

 

Elbing, ehemal. Horst-Wessel-Str. 133: die Angehörigen des Herrn Pawlowski, geb. etwa 1900. verh., zwei Kinder, Schlosser.

 

Elbing, Ziegelscheunstraße: die Angehörigen der Minna Weiß, geborene Abraham, geb. etwa 1903. Der Ehemann war Former bei der Schichau-Werft, ein Sohn war Soldat.

 

Umgebung von Elbing: die Angehörigen der Klara Wilms, geb. etwa 1926, ledig.

 

Glottau, Kr. Heilsberg: die Angehörigen des Joseph Hippel, geb. etwa 1885, Landwirt.

 

Kreis Insterburg: die Angehörigen der Hannelore Seeger, geb. etwa 1928, Studentin.

 

Marienwerder: die Angehörigen der Martha, oder Gertrud Falk, geb. etwa 1905, vier Kinder, ein Sohn soll 1944 gefallen sein. Drei Kinder nahmen sie mit auf die Flucht.

 

Marienwerder: die Angehörigen des Hans Fenske, Automechanikermeister, verheiratet, seine Familie soll nach Mecklenburg geflüchtet sein.

 

Marienburg, vermutlich Junkerstraße: die Angehörigen der Frau Bergmann, geb. etwa 1910.

 

Königsberg: die Angehörigen des Otto Kallweit, geb. etwa 1904, Fischer. Seine Ehefrau soll bei einer Tochter in Aachen wohnen.

 

Königsberg-Ponarth: die Angehörigen der Charlotte Klaube, geborene Neumann, geb. 23.10.1923. Ihr Ehemann hieß Hermann und ihre Schwester, Marta Ambrosius, soll in Insterburg wohnhaft gewesen sein.

 

Königsberg: die Angehörigen der Frau Rummler, geboren etwa 1875.

 

Königsberg: die Angehörigen des Herrn Schmidt, geb. etwa 1890, Reichsbahn-Werkmstr.

 

Königsberg: die Angehörigen der Frau (hier stehen keine Angaben)

 

Königsberg, Maraunenhof: die Angehörigen der Frau Dr. Koslowski, geb. etwa 1886. Ärztin. Eine Tochter soll in Westdeutschland wohnhaft sein. In Königsberg war sie als Zahntechnikerin bei einer Wehrmachts-Zahnersatzabteilung tätig.

 

Königsberg: die Angehörigen des Otto Marquardt, geb. etwa 1887, Angestellter bei der Krankenkasse.

 

Königsberg: die Angehörigen des Klaus Siebert, geb. etwa 1929.

 

Königsberg: die Angehörigen der Hella (oder ähnlich) Rockowski, geb. etwa 1919.

 

Königsberg: die Angehörigen der Wanda Schwarz, geb. etwa 1920.

 

Pr.-Holland, Bergstraße, bei Korinth: die Angehörigen des Willy Cziczinski, geb. etwa 1930, und seines Halbbruders Karl-Heinz Klein, geb. etwa 1929.

 

Kreis Heilsberg, Gegend zwischen Mehlsack und Heilsberg: die Angehörigen der Helga Gronig, geb. etwa 1925; besaß eine kleine Landwirtschaft.

 

Kreis Mohrungen: die Angehörigen der Edeltraut Fuchs, geb. etwa 1926, Haustochter.

 

Tilsit: die Angehörigen des Fritz Petereit, geb. etwa 1900. Waldarbeiter.

 

Kreis Tilsit-Ragnit (Memelgebiet): die Angehörigen der Irmgard Grigoleit, , geb. etwa 1924. Ihr Bruder Horst Grigoleit, geb. 10.09.1928, wurde ebenfalls verschleppt und soll 1949 im Flüchtlingslager Uelzen gewesen sein.

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Benno Hippler, geb. etwa 1924.

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Reinhard oder Reinhold Niesswand, geb. etwa 1930.

 

Ostpreußen, vermutlich Königsberg: die Angehörigen der Lina Bach, vermutlich geb. Willutzki, geb. etwa 1909, Hausfrau.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Anni Herder, geb. etwa 1925.

 

Neu-Kuhren, Kreis Samland: die Angehörigen der Waltraud Diehring, war Mamsell in Pillau.

 

Seeburg: die Angehörigen des Bruno Siegmund, geb. etwa 1920. Der Vater besaß einen Bauernhof.

 

Tapiau: die Angehörigen des Paul Braun, geb. etwa 1925.

 

Keine Angabe des Kreises. Schmidtke, verh., sie hatte drei Kinder bei sich.

 

Kreis Samland: die Angehörigen der Frau Suhr, geb. etwa 1910, der Ehemann war Melker, sie hatten mehrere Kinder.

 

Tolleinen bei Hohenstein, Kreis Osterode: die Angehörigen der Käthe Tadey, geb. etwa 1921. Drei Schwestern von ihr wurden ebenfalls verschleppt.

 

 

Seite 14   Landstallmeister a. D. Graf Siegfried Lehndorff 85 Jahre alt.

Foto: Graf Siegfried Lehndorf (1. G. U1.) auf Herrn von Tepper-Laskis 4-jähr. Fuchshengst Bastard – Sieger der zweiten Berliner Internationalen Steeplechase in Karlshorst am 8. Oktober 1895.

Foto: Landstallmeister a. D. Graf Siegfried Lehndorff im Alter von 84 Jahren.

Am Palmsonntag, dem 11. April 1954 vollendet Graf Siegfried Lehndorff das 85. Lebensjahr. Im Hauptgestüt Graditz, dessen Leitung sein Vater, der bekannte spätere preußische Oberstallmeister Graf Georg Lehndorff, im Jahre 1866 übernommen hatte, wurde Graf Siegfried 1869 geboren. Unter Pferden aufgewachsen, wurde seine Passion für das edle Pferd schon in frühester Kindheit geweckt und hat ihn sein Leben lang begleitet und zu schönen Erfolgen geführt.

 

Nach Besuch des staatl. Gymnasium zu Leipzig trat Graf Lehndorff als Avantageur beim 1. Garde-Ulanenregt. in Podsdam ein und wurde im April 1891 Offizier in der Schwadron, des bekannten Herrenreiters Major v. Schmidt-Pauli. Unter seiner Anleitung errang Graf Lehndorff die ersten Erfolge im Sattel; schon das erste Rennen wurde ein Sieg: am 4. Oktober 1891 in Insterburg auf einem Pferde des Herrn v. Simpson-Georgenburg; am selben Tage folgte noch ein Sieg in einem für ostpr. Landgestütshengste ausgeschriebenen Rennen. Im Juni 1894 wurde er Rgts.-Adjutant und konnte sich noch mehr als im Frontdienst dem Rennsport widmen. Das größte Rennen, das er gewann, war am 8. Oktober 1895 die Berliner Internationale Steeplechase in Karlshorst, welche dem Sieger, Herrn v. Tepper-Laskis „Bastard“, 21 000 Mark eintrug. Im Frühjahr 1896 wurde Graf Siegfried Lehndorff zum zweiten Mal zur preußischen Gestütsverwaltung kommandiert, übernahm als 27-jähriger Leutnant die Leitung des Kgl. Friedrich-Wilhelm-Gestüts in Neustadt/Dosse und ging nun zur Gestütslaufbahn über, worauf er mit dem 01.10.1897 zum Gestütsdirektor ernannt wurde. In diesem Jahre ritt er das schwerste Rennen seiner Laufbahn, die Große Pardubitzer Steeplechase, wobei er infolge Behinderung nur Dritter wurde auf Leutn. Graf Wuthenaus „Crackshof“. 1898 errang er das Championat der Herrenreiter mit 36 Siegen. Am 10. November dieses Jahres erreichte er die größte Kilometerzahl mit 18 700 m in 4 Rennen, wobei er zweimal Sieger, einmal Zweiter und einmal Dritter wurde. Der 1./2. Juli 1899 waren seine erfolgreichsten Renntage: in 7 Rennen fünfmal Sieger und einmal Zweiter. Acht Tage später stürzte Graf Lehndorff in Breslau schwer, wobei er sich den rechten Ellbogen und Unterarm brach; infolgedessen konnte er fortan hart gehende Pferde und Puller nicht mehr reiten. Im Ganzen ritt Graf Siegfried Lehndorff in 541 öffentlichen und 23 internen Rennen und gewann davon 158 bzw. 8, also jedes dritte bis vierte Rennen.

 

1905 wurde das Friedrich-Wilhelms-Gestüt wieder Zucht- und Hauptgestüt; seitdem führt Graf Lehndorff den Titel eines Landstallmeisters. Am 1. April 1906 übernahm er Graditz mit der Vollblutzucht und dem Rennstall. Sein Vater hatte Graditz 40 Jahre geleitet und war seit 1887 auch preußischer Oberlandstallmeister; er zog jetzt nach Potsdam und blieb noch bis Januar 1912, seinem 79. Lebensjahr, im Amt. Jedes Jahr machten Vater und Sohn Reisen nach England zum Ankauf von Zuchtstuten und auch von einzelnen ausgesuchten Hengsten. 1889 war Graf Siegfried zum ersten Mal als Abiturient dort gewesen, seit 1896 regelmäßig und seit 1909 selbständig; nach dem 1. Weltkrieg nur noch vereinzelt. Sechzehn Jahre hat Graf Siegfried Lehndorff in Graditz gewirkt und in dieser Zeit reiche Erfolge seiner züchterischen Kunst geerntet die besonders in den zahlreichen Siegen des Rennstalls der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Nur der Fachmann kann beurteilen, welche Arbeit und wie viel züchterisches Verständnis die Grundlage dafür sind. Auch in der Halbblutzucht hat Graf Lehndorff segensreich gewirkt und einen einheitlichen Typ der Stutenherde durchzuzüchten begonnen sowie zahlreiche gute Hengste der Landespferdezucht zur Verfügung gestellt.

 

Am 1. April 1922 wurde Graf Siegfried Lehndorff nach Trakehnen versetzt, wo er im gleichen Sinne sein großes Können in den Dienst der ostpreußischen Landespferdezucht stellte. Dies Gestüt war 1732 von König Friedrich Wilhelm I. gegründet und dem Kronprinzen geschenkt worden. Da Friedrich der Große in seinem Testament nicht darüber verfügt hatte, ging es 1787 in Staatsbesitz über und damals wurde auch die Elchschaufel als Trakehner Brand eingeführt. Als Graf Siegfried Lehndorff das Hauptgestüt übernahm, umfasste es 24 000 Morgen mit 15 Vorwerken, davon rund 10 000 Morgen Wiesen und Weiden; 350 Mutterstuten wurden in 5 nach Farben getrennten Herden gehalten. 1929 wurde im Zuge der allgemeinen Verminderung der Gestüte Beberbeck und Gudwallen sowie die Graditzer Halbblutzucht aufgelöst und die Zahl der Trakehner Stuten auf 250 herabgesetzt. Bei Graf Lehndorffs Abgang von Trakehnen 1931 standen dort 3 Vollbluthengste, 2 Graditzer und 9 Trakehner als Hauptbeschäler. 1924 wurden von ihm die Trakehner Rennen, die seit 1911 mit Unterbrechungen stattgefunden hatten, in veränderter Form wieder eingeführt. Ursprünglich gab es nur das Goltz-Querfeldein-Rennen; bald fand ein ganzer Renntag statt mit 6 Rennen, davon 2 für Trakehner Jagdpferde. Die beste Vorbereitung für diese Rennen waren die weithin berühmten Trakehner Reitjagden, welche Graf Lehndorff als Master mitzureiten pflegte. Aus der ganzen Provinz und darüber hinaus fanden sich passionierte Teilnehmer zusammen und die höchste Ehre war es, am Schluss der Saison aus der Hand des Grafen die Trakehner Knöpfe mit der Elchschaufel zu erhalten, die man hinfort am roten Rock tragen durfte.

 

Durch das Vertrauen der ostpreußischen Züchter wurde Graf Lehndorff 1924 zum Vorsitzenden der Sektion für Pferdezucht im wirtschaftlichen Insterburg gewählt; auch war er Leiter der Kommission für Leistungsprüfungen von Warmblutpferden, eines Organs der ostpreußischen Landwirtschaftskammer, in welcher Eigenschaft er in enge Fühlung zum Turniersport trat.

 

Als die Früchte seiner Arbeit in Trakehnen in schönster Weise zu reifen begannen, wurde er jäh aus seinem Wirkungskreis herausgerissen. Infolge einer rein persönlichen Differenz mit dem aus der Ministerialbürokratie hervorgegangenen Oberlandstallmeister Gatermann verfügte der damalige Landwirtschaftsminister Steiger kurzfristig die Versetzung des Grafen Lehndorff nach Braunsberg, was eine unerhörte Degradierung bedeutete, nachdem er nacheinander drei Zucht- und Hauptgestüte geleitet hatte. Die Vorbereitungen zum 200 jährigen Jubiläum von Trakehnen waren eingeleitet und nun musste Graf Lehndorff wenige Monate vorher das Paradies der Pferde verlassen. Auch der einmütige Protest der ostpreußischen Züchter änderte nichts. Aber Graf Lehndorff nahm nicht den Abschied, was seine Vorgesetzten vielleicht erwarteten, sondern trat sein Amt in Braunsberg an, wo die ermländische Kaltblutzucht zu Hause war, und wirkte dort noch über drei Jahre. Am 1. Oktober 1934 beendete er mit Erreichen der Altersgrenze nach 65 ½ Jahren seine Laufbahn in der preußischen Gestütsverwaltung.

 

Im Jahre 1907 heiratete Graf Siegfried Lehndorff, Maria v. Oldenburg, die älteste Tochter des Kammerherrn v. O. auf Januschau. Aus dieser Ehe gingen fünf Söhne und eine Tochter hervor. Im 1. Weltkrieg führte Graf Lehndorff etwa ein Jahr lang eine Munitionskolonne beim Gardekorps und wurde zum Major der Reserve befördert. Ein schweres Schicksal traf ihn im letzten Kriege: ein Sohn siechte an den Folgen eines Reitunfalls dahin, der jüngste fiel als Fahnenjunker bei Maubeuge, ein anderer als Rittmeister am Ladogasee; als die Dämme brachen und die ostpreußischen Trecks der Weichsel zustrebten, holten die Russen den Januschauer Treck ein und erschossen den ältesten Sohn samt seiner Mutter und einer Anzahl weiterer Januschauer Leute. Die einzige Tochter hatte 1942 den Grafen v. d. Groeben-Ponarien geheiratet; beide warfen sich im letzten Augenblick auf ihre Pferde und erreichten in schärfster Gangart in Pr. Holland noch einen Räumungszug, der unterwegs schon von durchgebrochenen russischen Panzern beschossen wurde, wobei Graf Groeben Armschüsse erhielt. Der letzte Sohn, Dr. med. Graf Hans Lehndorff, war in der Festung Königsberg eingeschlossen und hat noch über zwei Jahre in Ostpreußen unter den Polen gelebt. Er ist der einzig überlebende Lehndorff seiner Generation, da sein Vetter aus Steinort in Verfolg des 20. Juli 1944 den Tod fand und dessen jüngerer Bruder — Erbe von Preyl — als Oberleutnant in Estland gefallen ist. Graf Siegfried Lehndorff trägt diese schweren Schicksalsschläge in vorbildlicher Haltung. Er lebt seit 1947 im Hause der Gräfin Else Görtz in Brunkensen (Hannover). Seiner alten Passion ist er treu geblieben; es vergeht wohl kein Renntag in Hannover, an dem er nicht teilnimmt; ebenso fährt er alljährlich zum Derby nach Hamburg und zu verschiedenen klassischen Rennen nach Westdeutschland. Auch ist er in den letzten Jahren wiederholt in Italien, Frankreich und England bei alten Bekannten und Vollblutzüchtern gewesen; häufig, um sich im Auftrag deutscher Züchter nach geeignetem Material umzusehen. Kommt er zu regelmäßigem Besuch nach Schloss Wittgenstein, steigt er immer noch in den Sattel und reitet stundenlang spazieren und zwar, wie er sagt, in allen Gangarten und ohne Refüsieren minderer Obstakles.

 

Während des letzten Krieges erschienen seine Erinnerungen mit dem Titel „Ein Leben mit Pferden — Ein Beitrag zur Geschichte der Pferdezucht“, aber unter den Wirren und Bomben des Zusammenbruchs wurde die Auflage bis auf geringe Reste vernichtet. Jetzt hat Graf Lehndorff das Werk neu bearbeitet und ergänzt, aber leider findet sich kein Verleger bereit, es neu aufzulegen, obwohl das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen wegen des großen fachwissenschaftlichen Wertes bereit ist, einen Zuschuss zu den Druckkosten zu geben.

 

Eine große Freude steht Graf Siegfried Lehndorff am Palmsonntag, seinem 85. Geburtstag, bevor: es wird in Bonn im Johanniterkrankenhaus, wo Graf Hans als Chirurg tätig ist, die Taufe des ersten Lehndorff-Enkels stattfinden; ein neues Reis am alten Stamm.

 

 

Seite 14   Heimatliebe – die keine Grenzen kennt / Agnes Miegels 75. Geburtstag in Bad Nenndorf.

Foto: Agnes Miegel wird von dem Sprecher der Landsmannschaft Dr. Gille herzlichst begrüßt.

Der bleibendste Eindruck der Feierstunde, die von der Landsmannschaft Ostpreußen zum 75. Geburtstag von Agnes Miegel am 9. März 1954 im Kurtheater zu Bad Nenndorf veranstaltet wurde, lag darin, dass zwei große Gemeinschaften sichtbar wurden, die sich um die Dichterin und ihr Werk gebildet haben: Einmal die Gemeinschaft der Ostpreußen, für die Agnes Miegel wie niemand anders Verkörperung heimatlichen Geistes und heimatlichen Wesens ist, zum anderen die Gemeinschaft, die im ganzen deutschen Volke, und darüber hinaus in der Welt um die ebenso begnadete wie schlichte Frau aufgewachsen ist. Dreivierteljahrhundert zeichnen sich in das Gesicht so manches Gefährten und mancher Gefährtin ihrer Jugend, aber man konnte meinen, es wäre für Agnes Miegel die Zeit stehen geblieben. Geadelt durch nicht verblühende Jugend und Schönheit, geprägt durch Unbefangenheit, Ursprünglichkeit, Wärme und Heiterkeit — so zeigte sie sich an ihrem Ehrentage, ohne Spuren einer Müdigkeit, die auf Grund vielfältiger körperlicher Belastung verständlich gewesen wäre.

 

Der Mensch und sein Werk sprachen während der Feierstunde in Bad Nenndorf so sehr für sich, dass alles dahinter zurücktrat, was Ausdruck von Freundschaft und Zuneigung war. Dichter und manche Dichterinnen, die selbst zu Namen und Gemeinde gelangt sind, saßen unter den mehreren hundert Teilnehmern. Dieser und jener war so bescheiden gegenüber der großen „Kollegin“ und der veranstaltenden Landsmannschaft, dass die Anwesenheit nicht einmal bemerkt wurde und keine Nennung in der Begrüßungsansprache des Sprechers der Landsmannschaft Ostpreußen, Dr. Gille, erfolgen konnte. Für sie nahm Alma Rogge als Vertreterin des „Freundeskreises niedersächsischer Dichter“ das Wort und brachte Glückwünsche der „Feldlerche von der Wesermarsch“ dar. Der Ehrenpräsident der Landsmannschaft Ostpreußen, Staatssekretär a. D. Dr. Schreiber, setzte seiner „Literarischen Würdigung“ die treffende Formulierung voraus, dass Agnes Miegel über den Rahmen literarischer Wertung längst hinausgewachsen ist und zur Mutter all derer wurde, die je eine Beziehung zu ihr gewannen. In Eberhard Gieseler war ein Rezitator zugegen, der aus Beherrschung des Werkes und Einfühlung in die Dichterin vortrug. Es ist nicht möglich, die Vielzahl derer zu erwähnen, die das Podium bestiegen und in Worte kleideten, was in allen Schichten des deutschen Volkes am 9. März für Agnes Miegel so stark wie nie zuvor empfunden wurde; es ist auch nicht möglich, all die großen und kleinen Geschenke zu nennen, die überreicht oder in Aussicht gestellt wurden. Hervorgehoben werden muss jedoch, dass der Niedersächsische Vertriebenenminister Schellhaus Glückwünsche namens der Landesregierung darbot und von einer größeren Zuwendung Mitteilung machte. Die Gemeinde Bad Nenndorf verlieh der berühmten Einwohnerin das Ehrenbürgerrecht, die Kurverwaltung ernannte sie zum „Ersten Kurgast auf Lebenszeit" und erschloss ihr damit die kostenlose Benutzung sämtlicher medizinischer und kultureller Einrichtungen des Staatsbades. Die Patenstadt Königsbergs, Duisburg, hatte ihren Oberbürgermeister entsandt und ließ eine Reiseschreibmaschine und einen von Ostpreußen handgewebten Wandteppich aushändigen.

 

Tiefe Ergriffenheit lag über dem Raum, als Agnes Miegel am Schluss der Feierstunde selbst zur Bühne schritt und Sätze des Dankes sprach. Sie redete ihre ostpreußischen Landsleute in besonderer Herzlichkeit an, wandte sich aber auch an die Gäste aus allen Teilen Deutschlands, vor allem Bad Nenndorfs, als an ihre „Lieben Geschwister“. Und dann kamen aus ihrem Munde Worte, die einem jeden Ostpreußen, darüber hinaus jedem Deutschen gelten und ihn binden und verpflichten: „Ich liebe euch alle, die ihr hier versammelt seid, ich liebe meine neue Heimat am Deister und ich liebe das ganze deutsche Vaterland“.

 

Das nämlich ist das Entscheidende, Richtungweisende und Zukunftsträchtige, was uns Agnes Miegel durch ihre Persönlichkeit und ihre überragenden schöpferischen Gaben zu sagen hat: Heimatliebe und Heimatcharakter kennen keine Grenzen, sie erfüllen sich in der Begegnung und Befruchtung mit der Umwelt, wenn sie wurzelhaft und beständig sind — sie geben denen ein Zuhause des Geistes und der Seele; die keine Heimat haben oder sie verloren, sie bergen eine Innerlichkeit und eine Güte in sich, die niemals fragen, sondern immer nur verströmen und verschenken.

Gerhard Bednarski

 

 

Ausgabe B der Ostpreußen-Warte

Johannes Mittelstädt – Ein Siebzigjähriger. Bekannter Königsberger Journalist, Organisator des Kleingartenverbandes und Schöpfer des Seidenbaues in Ostpreußen.

Foto von Johannes Mittelstädt.

Foto: Die Kneiphofinsel mit Dom

Foto: Das moderne Postamt am Hauptbahnhof. Aufnahme: Polle

Zu Ostern dieses Jahres — und zwar am 18. April 1954, erlebt ein in weiten Kreisen Ostpreußens und darüber hinaus bekanntgewordener Journalist Johanns Mittelstädt seinen siebzigsten Geburtstag. Als gebürtiger Berliner wählte er sich Ostpreußen als seine zweite Heimat. Er hat sich dort bis zum bitteren Ende in frohem und erfolgreichem Schaffen auf mancherlei Gebiete recht wohl gefühlt.

 

Als Johannes Mittelstädt mit humanistischer Gymnasialbildung 1906 seine dreijährige Lehre als Buchhändler bei der internationalen Buchhandlung A. Asher & Co., in Berlin, Unter den Linden abgeschlossen hatte, wurde ihm ein gutes Engagement nach Bern (Schweiz) angeboten. Er aber schlug es aus und ging bewusst nach Ostpreußen. Er trat bei der Universitätsbuchhandlung Gräfe & Unzer in Königsberg/Pr., Paradeplatz, als Sortimenter ein und wurde hier einem weiten ostpreußischen Kundenkreis als Kulturpionier bekannt. Er blieb dort zwei Jahre, wo er auch seine Braut und spätere Frau Helene Reicke kennenlernte. In Königsberg begann er an der Albertina seine Studien in Volkswirtschaft, Geschichte und Literatur, um sich auf den Presseberuf vorzubereiten. Der Hauptgrund, der ihn nach Königsberg gezogen hatte, war ein Freundschaftsdienst. Er wollte seinem Schulkameraden und Lebensfreund Max Geisenheyner nahe sein. Dieser, der späterhin ein fruchtbarer Journalist und Schriftsteller und insbesondere infolge seiner Teilnahme an Eckeners Zeppelin-Weltumseglung weltweit bekannt geworden ist, war damals noch Telefon-Stenograph bei der Königsberger Hartungschen Zeitung. Diesem Freunde half Mittelstädt abends bei der Aufnahme der Nachtdepeschen.

 

So kam er auch praktisch der Journalistik näher. Im Herbst 1908 ging Mittelstädt zur weiteren Ausbildung als Volontär an die „Tübinger Chronik“ wobei er Gelegenheit fand, an der dortigen Universität seine Studien fortzusetzen. Von hier siedelte er an das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ über, wo er die Redaktion der „Stuttgarter Morgenpost“ übernahm. Ende 1909 zog es ihn nach Königsberg zurück. Auch er fand infolge seiner Vorkenntnisse Anstellung bei der Königsberger Hartungschen Zeitung und zwar zunächst als Telefon-Stenograph und Archivar, später als verantwortlicher Redakteur für den Handelsteil. In jener Stellung blieb er bis Ausbruch des ersten Weltkrieges. Diesen machte er von Anfang bis zu Ende mit.

 

Nach der Rückkehr in die Heimat nahm Mittelstädt 1919 sofort wieder seinen alten Posten als Wirtschaftsredakteur bei der Königsberger Hartungschen Zeitung, der Zweitältesten Deutschlands, ein. Er half nun am Wiederaufbau Ostpreußens, seiner Wirtschaft, einschließlich der Landwirtschaft. Die Wirtschaft im inzwischen abgeschnittenen Osten hatte damals eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen. Mittelstädt war der Erste, der als Instrument der Wirtschafts-Ankurbelung und der Warenbeschaffung die Idee einer Messe hatte und propagierte. Mitunternehmend half er als Handelsredakteur die Erste Ostdeutsche Textilmustermesse des Textilverbandes Nord-Ost in der Stadthalle durchzuführen. Diese vorher stark umstrittene Veranstaltung, die mit einem finanziellen Ertrag für den Verband von damals 60 Millionen Papier Mark (Inflationszeit) als Reingewinn abschloss, war ein durchschlagender Erfolg und die bisher weithin bezweifelte Möglichkeit der Durchführung von Messen am Platze war damit bewiesen. Daraufhin wagte es die Stadt Königsberg die Grundlagen für die Deutsche Ost Messe zu schaffen, deren Anreger und Mitbegründer Mittelstädt war. Unter dem Dezernat von Bürgermeister Karl Goerdeler, dem Referat von Stadtrat Martin Schäfer und der Direktion von Erich Wiegand, der als Spezialfachmann von der Leipziger Messe engagiert worden war, wurde Mittelstädt neben seinem Hauptamt als Wirtschaftsredakteur, Pressechef und Propagandist der Deutschen Ost Messe. Nicht weniger als 22 Mal hat er diese Funktion nebenamtlich bis 1933 ausgeübt. Er hob das Wirtschaftsblatt der DOK „Osteuropa-Markt“ aus der Taufe und regte fördernd die Schaffung des Institutes für Osteuropäische Wirtschaft an.

 

Neben der Bekleidung der verschiedensten Ehrenämter — so auch als amtlicher Berichterstatter für Obst beim Statistischen Reichsamt — war Mittelstädt ein Vorkämpfer für die 1913 eingeführte Angestelltenversicherung. Gewerkschaftlich hat er teils als Schriftführer, dann jahrzehntelang als Kassierer des Verbandes der Ostpreußischen Presse gewirkt. Mancher seiner Berufskameraden dürfte sich da seiner sozialen Gesinnung und seiner Hilfsbereitschaft in Notfällen erinnern. Als stellvertretender Hauptschriftleiter und Chef vom Dienst beim „Königsberger Tageblatt“ war er seinen jüngeren Kollegen ein väterlicher Freund und in seiner langjährigen Tätigkeit als „Briefkasten-Onkel“ erwarb er sich wegen seiner stets verständnisvollen und menschlichen Haltung das Vertrauen weitester Volkskreise und konnte sein soziales Herz in umfangreicher Weise sprechen lassen.

 

Im ersten Weltkrieg hatte Mittelstädt, insbesondere bei seinem Aufenthalt in Nordfrankreich und Belgien den Segen einer kleinen eigenen Scholle für das arbeitende Volk erkannt. Deshalb wandte er sich seit 1920 aus Idealismus und sozialem Interesse — immer ehrenamtlich — der damals aufblühenden Schrebergartenbewegung zu. Zunächst drückte er in den Hungerjahren der Nachkriegszeit nicht weniger als 10 000 Einwohnern Königsbergs in einer Selbsthilfeaktion den Spaten in die Hand und gründete neben 12 um die Festung herumliegenden sogenannten Grabeland-Vereinen, die das Land nur auf ein Jahr verpachtet erhielten, auch Kleingarten-Dauerkolonien. So entstanden mit der Zeit 22 solcher Anlagen, die er als Organisator auf Beruf und Neigung zum Kleingartenverband Königsberg zusammenschloss, und in der Provinz Ostpreußen insgesamt 54 Kolonien, die er nach seinen Musterstatuten auf politisch und religiös neutraler Grundlage zum Provinzialverband Ostpreußen zusammenfasste. Reicher Segen entstand aus diesen Kleingartenanlagen für den kleinen Mann. In der Schrebergartenvereinigung Klein-Amalienau in Königsberg (an der Luftschiffhalle und am Fürstenteich), die auf 70 Morgen 365 Gärten umfasste, deren Mitbegründer und späteres Ehrenmitglied er war, legte Mittelstädt selbst einen aus mehreren Parzellen bestehenden Versuchsgarten an, den er eigenhändig bearbeitete. Hier verbrachte die Familie glückliche Stunden. Die schnellen Fortschritte und die Ausbreitung des Kleingartengedankens über die ganze Provinz wären wohl nicht möglich gewesen, wenn Mittelstädt damals nicht ein besonderes Propaganda- und Pflege-Rüstzeug in Form einer regelmäßig erscheinenden Beilage in der Tagespresse zur Verfügung gestanden hätte. Neben seiner Hauptarbeit für die ostpreußische Wirtschaft redigierte er die Beilage des „Königsberger Tageblatts“ „Das Grüne Ostpreußen“ und als organisatorisches Spezialblatt jahrelang das Monatsblatt „Der Ostpreußische Kleingärtner und Kleinsiedler“.

 

Obwohl selbst Autodidakt im Gartenwesen, führte Mittelstädt sein Forscherdrang an Boden und Pflanzenwachstum zu ausgedehnten Kenntnissen, nicht nur botanischer und biologischer Art, um die ihn mancher Berufsgärtner hätte beneiden können. Im Obstbau Ostpreußens dürfte er wohl als einer der besten Kenner von Obstsorten zu gelten haben. Bei seinen Spezialstudien für Düngung und Bodenverbesserung durch Anwendung von Urmineralien und bei seinen Versuchen mit der Mitschurinschen Chitaika, mit der Sojabohne und anderen mandschurischen Ölpflanzen führte ihn sein Interesse auch zur Maulbeere, die entscheidend und .richtungweisend für sein ferneres Leben werden sollte. Für die Maulbeerpflanze und die Probleme darum ist Mittelstädt wohl einer der besten Kenner und Spezialisten dieser noch vielverkannten Pflanze geworden. Die Maulbeere nämlich mit ihren eiweißhaltigen Blättern ist die Futtergrundlage für die Aufzucht von Seidenraupen. So kam Mittelstädt mit dem Seidenbau in enge Berührung. Schon in der Inflationszeit bemühte er sich mit, auch für den armen Mann wertbeständige Güter zu schaffen und so propagierte er in seinen Blättern die Seidenkokon-Erzeugung auf deutschem und ostpreußischem Boden. Das brachte ihm damals viele Meinungsgegner ein. 14 Jahre lang musste er „als Narr“ herumlaufen, bis seine Bestrebungen auch von der damaligen Landwirtschaftskammer und von der Landesbauernschaft Anerkennung fanden. So musste er seine These des Gedeihens der Maulbeere auch in Ostpreußen, ja gerade in Ostpreußen, durch die Tat der wohlgelungenen Aufzucht von Seidenraupen mit Seidenkokons erster Güte in der Laube seines Schrebergartens unter Beweis stellen. Auf diese Weise kam er, sozusagen ungewollt, zur Praxis. Nach seinen organisatorischen Erfolgen als berufener Landesfachgruppenvorsitzender erhielt Mittelstädt sodann mitten im zweiten Weltkrieg den ehrenvollen Auftrag, die Gesamtleitung des deutschen Seidenbaues für das damalige Großdeutsche Reich zu übernehmen. Nur schweren Herzens wechselte er von Königsberg nach Berlin hinüber, wo er als Geschäftsführender Präsident der Reichsfachgruppe Seidenbauer im Reichsverband der deutschen Kleintierzüchter die Geschicke bis zum Zusammenbruch, zuletzt in Celle (Hann.), der Urzelle des deutschen Seidenbaues, leitete.

 

Bei Kriegsende wurde Johannes Mittelstädt nach Sachsenhausen bei Oranienburg verschlagen, wo er heute noch wohnt. Hier wurde er nach Erledigung verschiedener nachkriegsbedingter Arbeiten Landwirtschaftlicher Sachbearbeiter bei seiner Gemeinde. Die Gemeindeverwaltung war auf einem Grundstück untergebracht, das zufälligerweise einen starken Maulbeerbestand aufwies. Da war es kein Wunder, wenn Mittelstädt und seine Frau diese Gelegenheit nutzten und sofort wieder mit dem praktischen Seidenbau begannen. Hierdurch erwarben sie sich Stoffe und Mittel für zusätzliche Ernährung. Aus sozialen Gründen sorgte Mittelstädt sodann dafür, dass der Seidenbau im Volke wieder Aufnahme fand und dass sich die Behörden für die Sache fördernd interessierten. Er arbeitete zunächst ehrenamtlich am Ort, im Kreis, im Land, um dann in Berlin wiederum hauptamtlich an der Spitze der neuen Organisation des Seidenbaues gestellt zu werden.

 

Der Jubilar mit seinen siebzig Jahren und seine Frau erfreuen sich noch guter Rüstigkeit und gedenken noch weiter wie all die Jahre bisher durch Ausnutzung der vorhandenen Maulbeerhecken praktischen Seidenbau zu treiben und am Lebensabend diejenigen ihrer Interessen zu verfolgen, die ihnen zeitlebens am Herzen gelegen haben. Es versteht sich von selbst, dass sich ostpreußische „Umsiedler“, die samt der Heimat all ihr Hab und Gut verloren haben und die von Grund auf ohne Außenhilfe wieder von vorn beginnen mussten, nur in bescheidenen Verhältnissen leben können. Während sie mit ihrem in Berlin tätigen Sohn Heinz ständige Verbindung haben, ist ihr zweiter Sohn Hans-Werner, Hartung seit den Abschlusskämpfen in Ostpreußen im Januar 1945 verschollen. Vielleicht erinnert sich noch mancher der ostpreußischen Landsleute des Jubilars und seiner Familie. Über Gruß und Lebenszeichen (durch die Redaktion) würden er und seine Frau sich recht freuen.

 

 

 

50-jähriges Jubiläum der Sportvereinigung Prussia-Samland.

Die Sportvereinigung Prussia-Samland Königsberg/Pr. begeht in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum. Aus diesem Anlass wird dieser weit über die Grenzen Ostpreußens bekannt gewordene Rasensportverein am 1. und 2. Mai 1954 in Hamburg ein großes Wiedersehenstreffen für die ehemaligen Mitglieder im Restaurant „Feldeck“, Feldstraße (Straßenbahnhaltestelle Sieveking Platz) begehen. Sportliche Wettkämpfe sind aus verständlichen Gründen nicht vorgesehen, aber schon jetzt haben sich aus allen Teilen Deutschlands viele alte Mitglieder, die vorbildlich von dem letzten Vereinsführer; Bruno Romahn, zusammengehalten werden, zur Teilnahme gemeldet. Am 2. Tag ist eine Autobusfahrt in den Sachsenwald vorgesehen. Alle alten Prussia-Samländer, die noch nicht erfasst werden konnten, melden sich bei Herrn Bruno Romahn, (24a) Hamburg 39, Heidberg 19.

 

 

 

25 Jahre Sportclub Viktoria.

Der Sportclub Viktoria Königsberg Pr. veranstaltet voraussichtlich am 15. Juli 1954 anlässlich seines 25-jährigen Bestehens ein Wiedersehenstreffen aller Vereinsmitglieder nebst Angehörigen in Lauterberg/Harz. Um eine freie Unterkunft zu gewährleisten, nimmt schon jetzt Sportskamerad Erich Pofalla, (20b) Lauterberg/Harz, Anmeldungen entgegen. Ebenso ist der Genannte für jeden Vorschlag bezüglich „Die Veranstaltung“, dankbar. Um nun noch den letzten fehlenden Sportkameraden zu registrieren, ist es notwendig, dass jeder seine genaue Anschrift mitteilt. Angehörige von gefallenen Vereinsmitgliedern sind herzlich willkommen. Niemand darf sich ausschließen. Alles Weitere wird in diesem Heimatblatt berichtet werden.

 

 

 

Ausgabe B der Ostpreußen-Warte

 

Heinz Hannemann gestorben. Foto.

Am 4. März 1954, verstarb im Alter von 44 Jahren der Inhaber der weit über die Grenzen hinaus bekannten Firmen R. Behle & Co. K.G. Frankfurt am Main, und G. R. Hannemann, Spiel und Sport, Königsberg/Pr., Kneiphöfsche Langgasse 18, Kai 11.

 

Herr Hannemann wurde am 15.07.1909 in Königsberg geboren. Er übernahm bereits in jungen Jahren die Leitung seines väterlichen Unternehmens in Königsberg, das im Jahre 1860 von seinem Großvater gegründet wurde. Er gehörte einer der bekanntesten Patrizier-Familien Königsberg an, deren letzter männlicher Nachkomme er war.

 

Nach dem ersten Weltkriege blieb auch das alte Fachgeschäft in der Kneiphöfschen Langgasse von der Wirtschaftskrise nicht verschont, aber die beiden Brüder Georg und Heinz Hannemann — der erstere verstarb schon im Jahre 1934 — haben das Haus in wenigen Jahren wieder zur Blüte gebracht. Er verlor seinen Vater, und in den Wirren des zweiten Weltkrieges auch seine Mutter, und als er selbst 1945 aus dem Kriege kam, musste er in Königsberg alles zurücklassen.

 

Er kam nach Frankfurt, wo ihn sein väterlicher Freund, Herr Ernst Behle, der immer in enger Verbindung mit dem Hause Hannemann stand, als letzten Nachkommen des Hauses Hannemann, wie einen Sohn aufgenommen hat. Er stellte ihm in der härtesten Zeit uneingeschränkt seinen Namen und seine Geschäftsräume zur Verfügung. Heinz Hannemann war nach dem Kriege der erste Spielwarenhändler, der in Nürnberg und den anderen Spielwarenzentren zum Einkauf kam. Seiner neuen Firma gab er den Zusatz „Das alte Fachgeschäft mit jungen Geist“. Ratlos und unermüdlich war er tätig, aus fast allen Ländern der Erde hat er Ideen herangeholt und er war überall, auch im Auslande beliebt. Im Hause Behle in der Kaiserstraße trafen sich in den letzten Jahren viele Persönlichkeiten des In- und Auslandes und er ließ nichts unversucht, auch Menschen,

die mit der Branche nicht verwandt waren, dafür zu interessieren.

 

Er war ein rechter Freund der Jugend, wie oft war er der Weihnachtsmann für viele, im Westen und im Osten, insbesondere für die ärmsten unter den Kindern, für solche, die kein Elternhaus hatten.

 

Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass Herr Hannemann mit seinem Weitblick sich eifrig um den Im- und Export hochwertiger Spielzeuge bemühte und dass er Mitbegründer eines solchen Unternehmens war. Die Firma Behle verliert in ihm einen außerordentlichen Fachmann, aber auch einen sozial und fortschrittlich denkenden und handelnden Freund und Berater.

 

Der Verstorbene stand einer alten Tradition vor, die von seiner Gattin, Frau Elisabeth Hannemann, und von seinem Sohn, Herrn Günter Hannemann, in seinem Geiste weitergeführt wird.

 

 

 

Landsleute bitte herhören!

Aus der Zahl der hier eingegangenen Berichte über vermisste Arbeitskameraden geht hervor, dass ein Teil unserer Landsleute an der Suche interessiert ist. Je weiter wir nun von der Kapitulation 1945 abrücken, desto schwerer werden die Nachforschungen. Helfen wollen wir nun einmal den Angehörigen von Vermissten, und es ist notwendig, unsere Bitte namens dieser nochmals auszusprechen, uns jeden Hinweis mitzuteilen.

 

 Wir danken für die Berichterstattung der folgenden Landsleute:

 

Frau Therese Fischer,

 

Magd. Matz,

 

Alfred Eisenblätter,

 

Erna Völker,

 

Fritz Bastian,

 

Lisa Knoll,

 

Hedwig Stein.

 

Wir suchen und wer berichtet:

 

Tischlermeister Franz Mann (Kunstsammlung der Stadt Kbg. 1. Schloss),

 

Stadtinsp.-Anwärter Siegfried Ader,

 

Frau Maria Arndt (Spark.),

 

Rudi Ankermann (zuletzt Ltn. b. Genes. Komp. Braunsberg),

 

Stadtamtm. Aßmann,

 

Spark.-Buchhalter Aland,

 

Kurt Alisat und Frau Magda (Heizer b. Herderschule),

 

Reg.-Ob.-Bauinsp. Kurt Bieler u. Frau Helene,

 

Wilhelm Barkhorn (St.-O.-B. Insp.-Hafen),

 

Erich Bartsch (Stiftung),

 

St.-Sekr. Albert Benson,

 

Fritz Bartsch (Druckerei),

 

St.-Insp. Behrendt,

 

St.-Insp. Gustav Boß,

 

St.-Sekr. Friedr. Borawski,

 

St.-Insp. Kurt Gerhard Barschkies,

 

St.-Insp. Kurt Bischoff,

 

Schlosser Alfred Behrendt. (K. W. S.),

 

Straßenreiniger Herbert Bartsch,

 

Frau Margarete Bolius (Pauperhausplatz 5),

 

Angest. Elfriede Bubbel (Wi. A.),

 

Die Hafenangestellten:

Bönig, Banuscha, Bock, Buckbesch, Bartsch;

 

Walter Behr (Plan. Amt),

 

Fürsorg, von Bruchhausen (Ges. Amt),

 

St.-Sekr. Gottfr. v. Bouillon,

 

Edwin Borchert (Beton u. Mauerbau, zuletzt gesehen worden Bunker Brauerei Devau),

 

Hermann Buttgereit und Toni Buttgereit (Kaplanstraße 23/24),

 

Angest. Karl Buttler,

 

Straßenbahnführer August Bartsch V,

 

Fritz Böhnke (Feuerlösch),

 

Sophie Becker geb. Götz (Wi. Amt),

 

Karl Braag und Otto Bolz (Fuhrgesch.),

 

Bote Horst Braunsberger (Messamt),

 

Barkowski (Stiftung),

 

Architekt Bitthausen und Architekt Bröcker (Hochb. Amt),

 

Techn. Brakmann (Hochb.),

 

Mag. Baurat Otto Basold,

 

Gartenarb. Albert Böhnke,

 

Walter Bräsil (Wohlf.-Amt),

 

St. O. Insp. Karl Burkowski.

 

Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten, -Angestellten und -Arbeiter (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1.

 

Vorder-Anger 11 und Alter Graben 34

 

Die letzten Eigentümer der Grundstücke Vorder-Anger 11 und Alter Graben 34 werden gebeten, sich schriftlich bei der Patenstadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg, zu melden. Es liegen Grundstücksunterlagen für sie vor.

Stadt Duisburg Auskunftsstelle Königsberg

 

 

Königeberger Nachrichten.

Stadtverwaltung Königsberg (Pr)

Die in der Patenstadt Duisburg wohnenden ehemaligen Angehörigen der Stadtverwaltung Königsberg (Pr.) und der städtischen Betriebe und ihre Ehefrauen treffen sich zu einem geselligen Beisammensein am Sonnabend den 8. Mai 1954, um 19.30 Uhr, in Duisburg, Gesellschaftshaus Societät, Mülheimer Straße 35 (in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs). Die in der Umgebung Duisburgs wohnenden Kollegen und ihre Ehefrauen, die am Abend eine günstige Rückfahrmöglichkeit haben, werden gebeten, daran teilzunehmen. Etwaige Rückfragen bei Kollegen Munk, Duisburg, Felsenstraße 91b.

 

 

Wer weiß es?

In unserem Artikel in Nr. 3 vom März über „Hans von Sagan — der wackere Schuhmachergeselle“ hieß es: „An einem Eckladen des Alten Gartens war als ein Wahrzeichen ebenfalls Hans von Sagan figürlich verewigt“.

Dazu schreibt uns Herr Architekt Albert Heske aus Freiburg:

„Meinem Wissen nach befand sich dieses Wahrzeichen jedoch an dem linken Eckhaus Haberberger Neue Gasse — Ecke Unterhaberberg, in dem ein Papiergeschäft war. Vielleicht ist einer unserer Leser in der Lage, diese Frage endgültig zu beantworten?!

 

 

 

Familienname unbekannt

Ende Februar/Anfang März 1945 verstarb im Kriegsgefangenenlager Molotowsk ein Unbekannter. Er war ledig und angeblich der Sohn eines Bahnhofsvorstehers in Königsberg. (Nr. 190.)

 

Ende Februar 1945 verstarb im Kriegsgefangenenlager Molotowsk ein Unbekannter, der etwa 1900 geboren ist. Er war angeblich Schneidermeister aus Königsberg, verheiratet, trug einen Spitzbart, hatte graumeliertes Haar und war etwa 1,64 m groß. (Nr. 182.)

 

Leser, die glauben, dass ihnen die vorstehend beschriebenen unbekannten Kriegsgefangenen bekannt sind, werden gebeten, sich an den Suchdienst München, Infanteriestraße 7a, Abt. Dokumentationszentrale für Kriegsgefangene, unter Angabe der Nummer zu melden.

 

 

Körte-Schülerinnen!

Essen. Die ehemaligen Körte-Schülerinnen treffen sich am Sonntag, 11. April 1954, ab 11 Uhr im Cafe Wysk, Hollestraße, Haus der Technik (dicht am Hauptbahnhof). Meldungen umgehend an Oberstudienrat Klingenberg, (22a) Essen, Billrothstraße 20.

 

 

Die „Brudermordkeule“

In unserem Artikel „Zur Brudermordkeule“ am Kneiphöfschen Rathause zu Königsberg in der Märzausgabe hatten sich zwei sinnentstellende Fehler eingeschlichen. Die Bildunterschrift muss richtig lauten: „Gerichtsplatz mit Baum und Schranken“.

 

Im vorletzten Absatz heißt es richtig: Wie Hammer — in Ostpreußen die Kriwule, gewundene Stäbe — wurde auch die Keule zur Ladung in der Gemeinde herumgeschickt...

 

 

Wir gratulieren

Ihren 75. Geburtstag feierte am 27.03.1954:  Frau Vally Scheutz, aus Königsberg, Hintertragheim 3. Frau Scheutz lebt seit der Zerstörung Königsbergs und ihres Heimes im Jahre 1944 in Huddinge in Schweden. Ihr Gatte starb dort 1946. An ihn werden sich viele Ostpreußen erinnern. Hat er doch in 45 Jahren tausenden Unfallverletzten und Kriegsversehrten In der Hoeftmannschen Klinik wieder zu ihrer Gesundung verholfen.

 

Am 28. März 1954, feierte der Lehrer i. R. Hans Fiedler, aus Königsberg, Luisenallee 50b seinen 81. Geburtstag. Herr Fiedler war 41 Jahre Lehrer im Kreise Treuburg und zuletzt in Erbental 26 Jahre. Er erfreut sich noch bester Gesundheit und lebt jetzt in Landkirchen a. Fehmarn.

 

Am 5. April 1954, feiern Abt.-Leiter i. R. Eugen Reuser und Frau Elise, geb. Thiede, aus Königsberg, jetzt Salzgitter-Lebenstedt, Am Bauerngraben 4, das Fest der goldenen Hochzeit.

 

Das Abitur bestand am 3. März  1954, Klaus Kohlbach. Sohn des Dr. W. Kohlbach aus Königsberg bzw. Heiligenbeil. Jetziger Wohnsitz: Hannover - Langenhagen. Ernst – Roscher-Straße 8.

 

 

Wer betreibt Suchdienst?

Wenn von „Suchdienst“ gesprochen wird, denkt man gewöhnlich an das Deutsche Rote Kreuz, weil im Zusammenhang mit den Heimkehrertransporten aus Russland in Presse und Rundfunk diese Betreuungsarbeit des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene, Zivilverschleppte und Inhaftierte mit Recht gewürdigt wird.

 

Außerdem ist das RoteKreuz auch noch für den sog. Kindersuchdienst zuständig und hat dafür in Hamburg-Osdorf eine Kartei.

 

Die Nachforschung oder der Suchdienst nach den im Jahre 1950 amtlich registrierten Zivilvermissten obliegt dagegen ausschließlich den Heimatortskarteien der Kirchlichen Wohlfahrtsverbände, die außerdem noch den umfassenden Privat- oder Allgemeinen Suchdienst nach Zivilvermissten betreiben.

 

Obwohl die beiden Einrichtungen in bestem Einvernehmen zusammenarbeiten, scheint es im Interesse einer noch rascheren und kostensparenden Auskunftserteilung angebracht, auf die Kompetenzabgrenzung dieser Stellen hinzuweisen.

 

Die zwölf Heimatortskarteien des Bundesgebietes, die nach volksgruppenmäßigen oder landsmannschaftlichen Gesichtspunkten aufgebaut sind, haben die Heimatvertriebenen nach ihrem früheren and jetzigen Wohnsitz erfasst.

 

Darin liegt auch der Schlüssel zu den vielen Erfolgen der Heimatortskarteien, weil sie die Möglichkeit haben, durch Befragung von Nachbarn den Suchantrag auch dann positiv zu erledigen, wenn über den Gesuchten zunächst keine kartelmäßigen Unterlagen vorhanden sind.

 

Den Wert dieser Einrichtung haben auch die staatlichen Behörden erkannt, die sich ihrer in immer stärkerem Maße bedienen und um Amtshilfe ansprechen.

 

Die Heimatortskarteien werden durch die Zentralstelle der Heimatortskarteien, München 15, Lessingstraße 1, nach außen vertreten.

 

 

Seesen a. Harz

„Der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir“, wir das Motto einer eindrucksvollen Feierstunde der Landmannschaft Ost- und Westpreußen zum 150. Todestag des unsterblichen Königsberger Philosophen Immanuel Kant — In der Diskussion zu dem sehr beifällig aufgenommenen Vortrag von Reg.-Rat z. W. Augustin über „die Verdrängung des menschlichen Persönlichkeitswertes durch die fortschreitende Industrieentwicklung“ stellte Hilfsschullehrer Fenske besonders den Standort der landsmannschaftlichen Kulturarbeit in ihrer Bedeutung für die innerliche Vertiefung zum harmonischen Zusammenklang Körper — Geist — Seele heraus. — Der nächste Heimatabend am 3. April 1954, ist dem 75. Geburtstag der Dichterin Agnes Miegel gewidmet. Die Buchhandlung Lippold, stellt dazu die Werke Agnes Miegels aus.

 

 

Eine tapfere Ostpreußen-Frau.

Die Russenherrschaft in der Provinzhauptstadt erlebt von Margarete Raabe.

4. Fortsetzung

Am 23. Oktober abends brachte man mir den ersten Brief von meinem Mann, meine Freude darüber kann ich nicht in Worten ausdrücken, immer wieder und wieder habe ich ihn gelesen und versucht, alles Mögliche zwischen den Zeilen herauszufinden. Nun lag ich da, krank und Elend, und sah keine Möglichkeit, der schrecklichen Lage zu entfliehen. Ich sagte mir immer vor: Wem der Herr ein Kreuze schickt, hilft er es geduldig tragen.

 

Nach ungefähr 3 ½ Wochen holte mich wieder die Russenfrau in ihren Haushalt, ich konnte noch nicht richtig stehen, aber ich sollte nur wenig arbeiten und im Übrigen auf ihren Haushalt aufpassen. Ich, der sie so oft Diebstahl vorgeworfen, musste nun aufpassen.

 

Allmählich wurde ich gesünder, und daher wurde mir die Arbeit wieder reichlicher zugeteilt. Ich musste viel Holz sägen, und zwar schon morgens wenn es noch dunkel war und die Sterne am Himmel standen. Aber sägen konnte ich besser als hacken, ich konnte nun einmal das Holz nicht entzweischlagen. Während des Sägens kam mir oft das Lied in den Sinn, welches ich mir von Anfang bis Ende und dann wieder von Anfang vorsang:

 

Dort unten in der Mühle . . .

 

Ich sah die Säge, die Tanne, den Wanderer vor mir, kurz, ich durchlebte das Lied, und wenn ich damit fertig war, war auch der Baumstamm durchgesägt.

 

So kam der 24. Dezember heran. Meine Gedanken wanderten in die deutsche Heimat, sie sahen den geschmückten Christbaum, sie sahen die Menschen durch tiefen Schnee (wie wir es in der Kastanienallee taten) zur Christmette gehen. Mir erstrahlte kein Christbaum, ich musste Holz sägen. Ich sah während des Sägens immer wieder nach dem Himmel; Stern an Stern wölbte er sich über mir, ich suchte den Stern von Bethlehem und konnte ihn nicht finden. Traurig senkte ich den Kopf zum Holzstamm nieder und sagte mir „Für dich scheint kein Stern von Bethlehem“. Nach Arbeitsschluss fand ich auf unserer Stube einen Tannenstrauß und ein Zettelchen, auf dem zu lesen stand: „Liebe Frau Raabe, trotz Not und Tod dennoch einen Weihnachtsgruß! Ihre Elisabeth Marold“.

 

Am 1. Weihnachtsfeiertag wurde ich morgens geweckt und musste wieder Holz sägen. Es war sehr früh, nach deutscher Zeit 5 Uhr, die Sterne standen noch klar und dicht am Himmel. Ich suchte wieder vergeblich den Stern von Bethlehem. Da fiel mir ein, obwohl mein Mann am Heiligen Abend das Lied: „Heilige Nacht, du sinkest nieder“ gesungen haben mochte? Ich versenkte mich so in dieses Lied, dass ich die Zeit und ihre Trostlosigkeit vergaß.

 

Eines Tages musste ich wieder mit dem 15-jährigen Russenjungen Holz sägen und auch die Baumstämme auf den Sägebock legen. Der eine war so dick und schwer, dass ich ihn nicht heben konnte. Ich mühte und mühte mich, aber der Stamm rührte sich nicht. Da wurde der Russenjunge sehr wütend, mit den Fäusten drohend beschimpfte er mich, ich verstand nur das Wort: „Germania, Germania“. Als die Russenfrau mich eines Tages beim Holzsägen wegstieß, legte ich die Säge weg und ging in mein Quartier. Ich fühlte mich am Ende meiner Kräfte, ich glaubte nicht mehr weiter zu können. Nachdem ich mich beruhigt hatte, ging ich zur russischen Ärztin, Natascha mit Namen. Sie gab mir Stopf- und Näharbeit in Mengen und sagte, solange ich für sie arbeite, bekäme ich auch das Essen bei ihr. Nach einigen Tagen bemerkte ich eines Morgens auf dem Hofe große Aufregung. Die „Schirnabrowka“ wird geschlachtet, hieß es. Schirnabrowka war die wertvollste Kuh in Norkitten und die schlachten? Nein, da stimmt etwas nicht, sagte ich zu Fräulein W. Die Kuh muss notgeschlachtet werden. Und so war es, der Kuh war ein großes Stück Rübe im Schlund stecken geblieben. Man fand sie sterbend vor. (Auch das zu erwartende Kälbchen war kaputt). Nun merkte ich die Gefahr, der ich entronnen war. Hätte ich die Kuh besorgt, dann hätte ich ihren Tod verschuldet, was hätte man dann wohl mit mir als der Deutschen gemacht! Ich musste erkennen, dass der Schutzengel wieder rechtzeitig eingegriffen hatte.

 

Bis zum 9. Januar ernährte ich mich mit Näharbeit. Am 10. Januar fing ich wieder mit Haushaltsarbeiten an, ich war bei Serafina, der Freundin von Linda. Dort hatte ich neben der Hausarbeit hauptsächlich ein ¾ Jahre altes Kind zu betreuen. Die Mutter arbeitete einen Teil des Tages auswärts. Jeden Morgen ging ich, wenn es noch vollkommen dunkel war, zur Arbeitsstelle, um erst am späten Abend gegen 10 Uhr oder noch später nach Hause zu kommen. Der Tag mit seinen 16 Stunden war unendlich lang. Wie war ich froh, wenn ich endlich meine Russenjacke ergreifen und nach Hause gehen konnte. Auf dem Wege schaute ich nach dem Mond und den Sternen, meistens blieb ich stehen, um den gestirnten Himmel zu bewundern, immer hörte ich dann meinen Mann singen: „Am liebsten betracht' ich die Sterne“, überhaupt habe ich der Zeit, die ich auf dem Land verbrachte, den Mond täglich betrachtet, ich lebte mit ihm und verfolgte sein Zu- und Abnehmen, da habe ich wohl fast täglich gedacht: wievielmal wird er noch zu- und abnehmen, ehe ich zu meinem Mann kommen werde“.

 

Einige hundert Meter von der Arbeitsstelle entfernt lebte in einem Siedlungshäuschen eine deutsche Familie, Frau Marold, die Frau des Direktors der Königsberger Blindenanstalt mit ihrem über 70 Jahre alten Bruder, der Apotheker gewesen war, dessen Tochter und einer Verwandten mit deren 13-jährigem Töchterchen. Ihr Mann war im Februar auf der Flucht erfroren, ihre beiden Söhne gefallen. Frau Marold verpflegte gleichzeitig den dortigen deutschen Arzt, einen jungen Hamburger, der in der Sowjose als Feldscher arbeiten musste. Wenn ich mehrere Tage kaum eine deutsche Stimme gehört hatte und es gelang mir, etwas früher mit der Arbeit fertig zu werden, dann machte ich gern einen kurzen Besuch bei Fr. Marold. Es durfte aber niemand merken, dass ich zu den Deutschen ging. Ich lief dann wie gehetzt durch den tiefen Schnee, klopfte an das Fenster und rief leise: „Frau Marold“. Ein freudiges „Ja, Frau Raabe“ antwortete mir und gleichzeitig wurde die nach allen Schikanen verrammelte Haustür geöffnet. Wie groß war dann die Freude, besonders wenn ich etwas mitgebracht hatte, ein Stückchen erspartes Brot oder einige Bonbons, die ich anstelle von Zucker zum Tee erhalten hatte. Unsere Unterhaltung drehte sich hauptsächlich um die Gerüchte, die unter den Deutschen wegen der Heimkehr kreisten.

 

Der Winter war außergewöhnlich streng. Das war, als hätten die Russen den Sibirienwinter nach Ostpreußen gebracht. Das erschwerte das Leben und machte es noch härter, als es ohnehin schon war. Die Deutschen, die draußen arbeiten mussten, verfügten bei weitem nicht über die halbwegs notwendige Kleidung, dazu kam die mangelhafte, nicht ausreichende Ernährung, das Besorgen des Holzes wurde schwer und schwerer. Der Erfrierungs- und Hungertod hielten gemeinsam reiche Ernte, ganze Familien wurden hingerafft. Das Elend wurde immer größer, auch die russischen Familien litten unter der Härte des Winters und der Lebensmittelknappheit. In der Familie, in der ich arbeitete, gab es monatelang keine Kartoffeln, auch das Brot war knapp. Jeden Tag wurde eine Wassersuppe mit etwas Graupen und wenig Sauerkohl gekocht, das Brot wurde hauptsächlich unter die Familienmitglieder verteilt, für mich reichte es nicht. Da stand der Hunger mir täglich erbarmungslos, riesenhaft zur Seite. Der Hunger und die Not wurden auch täglich in der mir befreundeten Familie größer. Bei der Mutter des 14-jährigen Mädels Irene, Frau Becker, zeigten sich zuerst die Merkmale der ungenügenden Ernährung sie war stark geschwollen, schleppte sich aber weiter zur Arbeit. Der alte Herr versah den Posten eines Nachtwächters. Das war auch eine harte Beschäftigung bei der starken Kälte. Am Tage ging er mit Irene Holz besorgen. Da habe ich einmal ein erschütterndes, nie zu vergessendes Bild gesehen. Der Schnee lag tief, aber es schneite weiter, als wolle es nie mehr aufhören; da sehe ich vor einem Handschlitten, der mit Holzstämmen beladen war, einen alten Mann und daneben ein schmächtiges Mädchen mit Stricken angespannt. Beide ziehen in gebückter Haltung, mit traurigen Gesichtern, den Schlitten durch den tiefen Schnee.

 

Eines Tages fiel der alte Herr, als er sich wärmend am Ofen stand, ohnmächtig um, Hunger und Kälte. -

Ich hätte so gern helfen wollen, aber wie? Ich sparte mir täglich ein Stückchen von meinem Brot ab und brachte es am Abend einmal für einen, das andere Mal für den andern meiner Freunde. Es konnte ja nichts nützen, es war kaum ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Fortsetzung folgt.

Fortsetzung folgt

 

 

Seite 15   Familienanzeigen

Gerhard Werner Ortwin. Regina ist glücklich: Ihr Brüderchen ist da. Wir danken Gott von Herzen dafür. Edith Rave, geb. Allenstein. Albert Rave. Rottenburg a. N., den 24. Februar 1954, Metzelplatz 7. Früher: Ludwigswalde, Ostpreußen, Kreis Samland.

 

Wir erfüllen hiermit die schmerzliche Pflicht, von dem Ableben meines geliebten Mannes und meines treu sorgenden Vaters: Heinz Hannemann, Inhaber der Firmen R. Behle & Co., KG und G. R. Hannemann, Königsberg, Preußen, Kenntnis zu geben. Sein Leben war ausgefüllt mit rastloser Arbeit und Sorge um das Wohl seiner Familie. Elisabeth Hannemann. Günter Hannemann und Angehörige. Frankfurt am Main, den 4. März 1954, Raimundstraße 143

 

Am 19. März 1954 entschlief im 77. Lebensjahr nach schwerem, mit Geduld ertragenem Leiden mein geliebter Mann, unser guter treuer Vater, Schwiegervater und Großvater, der Frauenarzt Dr. med. Fritz Müller - früher: Königsberg Preußen – In tiefer Trauer: Susanna Müller, geb. Hermann. Dr. med. H.-Peter Mueller und Frau Trudy, geb. Raff. Dorothea Benn, geb. Müller und Dr. jur. Ernst-Victor Benn. Ernst Müller-Hermann und Frau Ruth, geb. Fien. Heinz-Dietrich Müller. Dr. med. Georg-Friedrich Müller und 9 Enkel. Berlin-Nikolassee, Albiger Weg 16. Belmont (Mass.) USA. Essen-Bredeney. Bremen. Summit (N. J.) USA

 

Am 15. März 1954 entschlief nach einem arbeits- und segensreichen Leben im 73. Lebensjahr mein innig geliebter Mann, unser lieber Vater, Großvater, Schwiegervater, Bruder, Schwager und Onkel, Rechtsanwalt und Notar Joseph Reiner. Sein Leben war Liebe und Fürsorge bis zuletzt. In tiefer Trauer: Ilse Reiner, geb. Kurschat. Wolfgang Reiner, Ingenieur, Solingen. Anneliese Reiner, geb. Goßmann. Dr. Joseph Reiner, Rechtsanwal. Ursula Reiner, Gerichtsassessor, Ludwigsburg bei Stuttgart. Ursula Reiner, geb. Krueger. Dr. Gerda Reiner, geb. Frühling, Woltwiesche über Braunschweig. Margarethe Fellehner, geb. Reiner, Marburg und fünf Enkelkinder. Itzehoe-Tegelhörn, im März 1954, Buschkamp 7b. Früher: Lötzen, Ostpreußen, Gartenstraße 1

 

Suchanzeigen

Suche meine Geschwister Marta Orgaß, geb. 05.07.1908 und Franz Orgaß, geb. 30.08.1902, beide aus Klawsdorf, Kreis Rößel. Nachricht erb. an Paul Orgaß, Uedelhoven über Blankenheim-Eifel.

 

Gesucht wird Frau Anna Naujokat, aus Schloßberg, Lascherstraße, von Frau Frida Bölke, geb. Habedank, aus Sandhöhe, Kreis Schloßberg, Ostpreußen. Jetzige Anschrift: Pröbsten 11, Kreis Fallingbostel, Hannover.

 

Achtung! Angerburger! Suche meine Frau Elise Grinda, geb. Dombrowski, geb. 14.07.1906, wohnhaft in Rothof (Angerburg). Nach ihrer letzten Nachricht soll sie Anfang Februar 1945 auf der Flucht zusammen mit zwei anderen Frauen in Petershagen bei Kolberg in einem Bauernhaus gerastet haben. Wer weiß etwas über ihr Schicksal? Nachricht erb. an Otto Grinda, 13b) München 19, Siegenotstr. 1

 

Achtung! Betrifft Rentensache des Schneidergesellen Fritz Liedtke, früher Königsberg/Pr., Vogelweide 6. Wer kennt ihn und weiß, dass er von 1910 - 1913 und von 1918 - 1921 bei einem Schneidermeister gearbeitet hat und von 1914 bis Ende 1918 Soldat war. Nachricht erbittet: Emil Braun, jetzt Dortmund, Uhlandstraße 135.

 

Wer kennt Herbert Hartmann, geb. 06.05.1900 in Gogolin O/S., wohnhaft in Königsberg/Pr., zuletzt Rhesastraße 3 IV bei Familie Wickmann. Hartmann war Gefr. bei einer Heeres-Nachrichtenabtlg. und im Osten Russlands eingesetzt. Vielleicht können Heimkehrer über seinen Verbleib berichten. Nachr. erb. an Frau Eugenie Krüger geb. Hartmann, Frankfurt a. M., Finkenhofstraße 18 ptr.

 

Zwecks einer Rentensache suche ich Zeugen von Angehörigen des ehem. Füsilier-Rgts. Graf Roon 33, Maschinengewehr-Komp., Gumbinnen (Ostpreußen), Dienstjahre 1913 - 1918. Ferner suche ich aus Königsberg (Ostpreußen) folgende Familien Naujok, Spurfeld, Both. Zuletzt wohnhaft Neudamm sowie Paul Görigk und Eva Görigk, Königsberg, Rippenstraße. Mitteilung erbittet Bernhard Kilian, Celle, Rosenhagen 3.

 

Ich suche Straßenbaufirma Hermann Klammt, Königsberg/Pr.; ferner: Straßenmeister Zimmermann, Reichenberg, Krs. Heilsberg; Lagermeister Robert Spill v. Heeresverpflegungs-Amt Heilsberg, wohnhaft früher Neuhof bei Heilsberg; Dienststellenleiter: Gustav Habel, früher wohnhaft Heilsberg, Bartensteinerstraße Nr. 3, zwecks Rentenangelegenhedt für Anton Graw, Ettenheim, Austr. 2, Kreis Lahr, Baden-Wg., früher: Langwiese, Krs. Heilsberg.

 

Achtung, Russlandheimkehrer! Wer kann Auskunft geben über meinen Sohn, Feldwebel Gerhard Hecht, geb. 12.09.1917 in Lyck, Blücherstraße 2, Feldpostnummer 05 794. Letzte Anschrift: 2. Gren.Ersatz-Batl. 400, Allenstein/Ostpreußen. Bei den letzten Kämpfen in Ostpreußen um Gilgenburg dabei gewesen. Nachr. erbeten an seine Mutter Frau L. Hecht, Lyck/Ostpreußen, Blücherstr. 2, jetzt: Bad Wiessee, Oberbayern, Seestraße 18.

 

Achtung, Heimkehrer! Welcher Kamerad kann mir Auskunft geben über meinen Vater Fritz Bardeck, geb. 23.07.1889, wohnhaft in Gr.-Allendorf, Krs. Wehlau. Wurde auf der Flucht in Pommern von Russen verschleppt. Mitte März 1945. Ferner Bruder Willi Bardeck, geb. am 23.04.1921, zuletzt in Stalingrad vermisst. Feldp.-Nr. 27 077 B. Um Nachricht bittet Frau Liesbeth Giebel, geb. Bardeck, Hameln/Weser, Hamelwehr 100.

 

Ich suche meine Tochter, Frau Marta Föhn, geb. 15.12.1914, wohnhaft Tilsit (Ostpreußen). Nachricht erb. Frau Helene Liedtke, Eilensee 43 über Kreiensen, früher: Königsberg.

 

 

Seite 16   Unsere Masurischen Seen. Von Ella Falkner.

Großes Foto: Die Perle unserer masurischen Seen: Der Niedersee mit der Königsinsel.

Zwei Fotos: Der Beldahnsee in der Nähe des Kurhauses Niedersee (Rudczanny) Blick von der Terrasse des Kurhauses auf den Niedersee. Aufn.: Archiv.

Wir sind wie Perlen, die sich zu einem köstlichen Geschmeide zusammenschließen, oft so klein, dass sie jeden Vorgang in ihrer Umgebung getreulich widerspiegeln, oft so unendlich groß, dass man das gegenseitige Ufer nur als schmalen Pinselstrich am Horizont erblickt. Immer aber sind sie klar und rein, gebettet in grüne Fluren, umkränzt von blütenreichen Hügeln, oder am Rande steiler Berge, die ihre Schluchten bis tief ans Wasser senken. Manchmal schmiegt sich der Waldgang dicht um den dunklen Spiegel, und scheu eilt das Reh von der Tränke in das nahe Gebüsch. Ein tiefer Frieden nimmt uns hier gefangen und eine bezaubernde Stille, die allein durch das eintönige Rattern einer fernen Sägemühle unterbrochen wird. In den Buchten tummeln Libellen über leuchtenden Wasserrosen, während Bekassinen und stolzbeinige Strandläufer im Schilf nach Beute suchen. Aus den Lüften schallt der Heroldsruf der Kraniche gleich einer silbernen Trompete zu uns herab. Regungslos liegt das Wasser da. Nur die Stichlinge flüchten blinkend vom Ufer. Und springt einmal ein größerer Fisch, von einem Verfolger gestellt, hoch auf, dann gleitet eine ringförmige Welle, sanft verebbend, wie ein Hauch über die schimmernde Fläche. Oft taucht wie ein Smaragd eine Insel aus der Flut, mit hellem Birkengrün und Fichtendunkel. Eine Schar wilder Enten zieht über sie hinweg.

 

Schauerlich schön und packend ist es, solch einen See sich wild aufbäumend bei dem zerstörenden Gewittersturm zu betrachten, wenn 20 Meter hohe Fichten wie Streichhölzer geknickt werden, wenn abgedrehte Stämme mit zerzausten Wipfeln durch die Luft wirbeln, wenn Gewitter hineintastend in die dunklen Gründe, Signale aus den Wolken brechen und hinter flammenden und ersterbenden Horizonten sich immer wieder verborgenes Erz rührt! Wehe dem Kahn, der, einer Nussschale gleich, auf dem schwarzen Wogenmeer treibt, wenn die obersten Wolkensäume glühen vom Widerschein fließenden Feuers und weiße Glut in gezacktem Strahl die Bäume zerschmettert! Wie eine Erlösung kommt endlich der Regen hernieder, über dampfenden Tälern reckt wieder der Wald seine Krone in den sich erhellenden Himmel. Da stehst du nun, du kleiner Mensch, in dieser großen Landschaft und empfindest zum ersten Male das starke Zusammengebunden sein mit der Natur in Schönheit und Schwere.

 

Und will dein Herz nur Ruhe und Frieden haben, dann fahre hinaus nach Upalten, dem kleinen Helgoland, das leuchtend auf der blaugrauen Flut des Mauersees ruht. Hier kannst du in dem stillen Ulmendom dem Gesang der Vögel lauschen, kannst bei Sonnenauf und -untergang den wilden Schwan seine silbernen Linien ziehen sehen und dem Taumelflug des Reihers folgen, der sich am Spätsommerabend ins Schilf stürzt. — Oder fahre nach Steinort, der waldumrauschten Halbinsel, die in Moor und üppigem Pflanzendickicht in den See mündet.

 

Wunderschön ist auch eine Talfahrt auf dem diamantenen Gewässer der Murawa hinab nach Crutinnen. Ohne Ruderschlag gleitet das Boot durch ein so dichtes Laubdach, dass wir erleichtert aufatmen, als sich an der Biegung eine weitere Strecke des Wasserlaufes erschließt. Auf dem weißen fassbaren Grund schauen wir das urwüchsige Leben kraftvoller, Millionen Keime tragender Natur aus nächster Nähe. — Nicht vergessen wollen wir den Niedersee bei Rudczanny mit seinen bewaldeten Inseln, die auf dem klaren Wasser gleich leuchtenden Edelsteinen schwimmen. Von unendlichem Zauber ist das Spiel, das Licht- und Wolkengebilde in die Flut tragen. Ein Sonnenuntergang an einem solchen See wird zum Erlebnis, wenn mit rotgoldenen Reflexen der sinkende Sonnenball sich auf der Flut wiegt und die dunklen Waldkulissen, die in violettem Widerschein leuchten, mit zackigen Schatten tiefblau im Wasser stehen. Blasse Strahlen zucken über Weg und Steg, immer dunkler kommts aus den Tiefen gekrochen, Nebel hüllen die Bucht in dichte Schleier, und schon liegt das gegenseitige Ufer in Nacht, die gespenstisch und körperlos über die Flut zieht.

 

 

Seite 16   „Kopernikus, der große Sohn des polnischen Volkes“

Der Titel der an allen Schulen und Universitäten der Sowjetzone verteilten Schrift trägt den vielsagenden Titel: „Was hat uns Kopernikus, der große Sohn des polnischen Volkes, zu sagen?“ Herausgeber der Broschüre ist die Ostberliner „Gesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland“.

 

Es lohnte sich nicht, auch nur ein Wort zu diesem Thema zu sagen, wenn es sich nur die sattsam bekannte These von der polnischen Volkszugehörigkeit des großen Astronomen handelte. Aber es geht um mehr. Nach Veit Stoß, nach Chopin, Beethoven und Friedrich Ludwig Jahn, soll nun auch Kopernikus einziehen in das östliche Walhalla der „fortschrittlichen Revolutionäre“ und der „Vorkämpfer einer wahrhaft sozialistischen Weltfriedensbewegung“. Wir lesen darum auch wörtlich: „Der große Arzt und Domherr von Frombork (gemeint ist Frauenburg in Ostpreußen), der geniale Astronom hat uns mehr hinterlassen als eine wissenschaftliche Lehre … Kopernikus leitete vom Osten Europas die größte progressive Umwälzung ein, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte. Die Klasse jedoch, die damals aufstrebend und fortschrittlich war und der die Lehre des Kopernikus diente, die Bourgeoisie, ist heute reaktionärer geworden. Mit allen Mitteln versuchen die westlichen Ideologen . . . eine neue Bevormundung der Wissenschaft durch die Religion durchzusetzen ... Die Machthaber unserer Zeit würden sehr gerne noch heute erklären, dass die Erde im Mittelpunkt der Welt ruht und jeden bestrafen, der dies leugnet . . Aber was der Inquisition nicht gelang, das wird auch den Ideologen imperialistischer Welteroberungskriege nicht gelingen. Das Beispiel des Kopernikus als Bahnbrecher einer wahrhaft fortschrittlichen Wissenschaft in kompromissloser Auflehnung gegen die Autorität der Kirche ist „heute aktueller denn je“.

 

Soweit also zeitgemäße Prädikate, wie sie im Augenblick in der Sowjetzone an der Tagesordnung sind. Peinlich nur, dass das Ansehen des „großen Polen“ im gleichen Maße abnimmt, in dem wir uns etwa von seiner ostpreußischen Wirkungsstätte in Richtung Osten bewegen. Wir denken dabei vor allem an die berühmte Kopernikus-Erinnerungsstätte auf Schloss Heilsberg im Ermland. Sie überstand vor acht Jahren alle Kämpfe und Wirren schadlos. Bis im Februar 1946 plötzlich die wertvollen Sammlungen und Erinnerungsstücke über Nacht von Sowjetsoldaten verladen wurden und verschwanden. Vergeblich blieben die Rückgabebemühungen Warschaus, vergeblich auch die Vermittlungsversuche der Westalliierten. Moskau hatte auf alle Anfragen nur eine Antwort: Bei Rückführung der während des Krieges im Heilsberger Schloss eingelagerten Bibliothek der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften seien wertvolle Bände abhandengekommen. Die so entstandenen Lücken habe man aus den Beständen des Kopernikus-Museums ergänzt. Von der Kopernikus-Erinnerungsstätte in Heilsberg, das heute Lidzbark heißt, blieb nur der Name übrig.

 

Es ist keineswegs so abwegig, dass eine neue Auswertung der Kopernikus-Sammlung durch Leningrad oder Kiew noch bevorsteht. Da Kopernikus mit Vornamen Nikolai hieß, kann erwartet werden, dass der große Gelehrte als einer der Stammväter des Weltproletariats und Volksrusse erscheint. „Bannerträger im Kirchenkampf“ ist er laut sowjetzonaler Version ja schon heute.

Egon Baumbach

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