Ostpreußen-Warte, Folge 02 vom Februar 1955

Ostpreußen-Warte

Folge 02 vom Februar 1955

 

Seite 1   Jalta verhindert den Frieden. Die Grundlagen für die heutigen Spannungen in der Welt.

Das entscheidende Ergebnis der Krim-Konferenz vom 2. - 11. Februar 1945 hinsichtlich der deutschen Ostgebiete ist die eindeutige Formulierung des Schlussprotokolls, wonach die drei Regierungschefs der Ansicht sind, dass „die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückzustellen ist“. Es ist von besonderem Wert, anlässlich der zehnjährigen Wiederkehr jener Konferenz Roosevelts, Churchills und Stalins sich an diese protokollierte Entscheidung zu erinnern. Denn allzu oft ist gerade von sowjetischer Seite nachträglich behauptet worden, dass in Jalta ebenso wie einige Monate später in Potsdam die Flüsse Oder und westliche Neiße endgültig zur polnisch-deutschen Grenze bestimmt worden seien. Auch das Potsdamer Konferenzprotokoll enthält dagegen in fast wörtlicher Übereinstimmung den Beschluss, dass die polnische Westgrenze erst auf der Friedenskonferenz ihre endgültige Festlegung erfahren solle.

 

Dieser vor zehn Jahren von den damaligen drei Hauptkriegsgegnern Deutschlands gefasste Beschluss ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: einmal stellt er eine faktische, wenn damals auch nicht absichtlich gewollte Rückkehr zu der völkerrechtlichen Maxime dar, dass über eine Veränderung dieser Grenzen — wie überhaupt — nur unter Beteiligung Deutschlands verhandelt werden kann. Insofern wurde auch der Atlantik-Charta, insbesondere ihres Artikels 2, Genüge getan, welche in diesem Schlussprotokoll wiederholt und erneut als Grundlage der alliierten Politik bezeichnet wird. Zum anderen war dieser Satz des Schlussprotokolls über den Aufschub der Behandlung der Frage der polnisch-deutschen Grenze bis zur Friedenskonferenz das Ergebnis ausgedehnter Konferenzdebatten, die zwar die verschiedensten Vorschläge für den Grenzverlauf zum Thema hatten, aber lediglich Durchgangsstadien waren, zumal sie in keinem gemeinsam redigierten, also maßgeblichen Verhandlungsprotokoll niedergelegt worden sind. Wir kennen die Debatten nur aus Berichten einzelner Teilnehmer.

 

Aber diese an und für sich so bedeutungsvolle und wichtige Entscheidung des Schlussprotokolls verhüllte nur die Tatsache, dass insbesondere die westlichen Partner ihre Standpunkte gegen die weitgefassten territorialen sowjetischen Forderungen nicht durchsetzen konnten. Denn Stalin schlug die Oder und westliche Neiße als polnische Westgrenze vor, während man auf amerikanischer Seite damals an eine Abtretung Ostpreußens — ohne Königsberg, das an Russland fallen sollte —, Oberschlesiens und eines schmalen Küstenstreifens in Pommern dachte. Der britische Vorschlag nannte darüber hinaus noch Danzig und beschränkte die Abtretungen östlich der Oder nicht auf einen schmalen Küstenstreifen, sondern stellte ihren Umfang den polnischen Wünschen anheim. Beide Partner hatten auch die Frage eines „Transfers“ der Bevölkerung ins Auge gefasst, wobei die USA einen unterschiedslosen Massenaustausch ablehnten und allmähliche Umsiedlungen unter internationaler Kontrolle zulassen wollten, wogegen die britische Delegation eine vollständige Aussiedlung aller Deutschen in ihrem Programm hatte. In den Debatten lehnten beide westlichen Delegationen die Görlitzer Neiße als Grenzlinie ab, wogegen Stalin seine Forderung, bei der er sich auf die kommunistische provisorische polnische Regierung bezog, nicht wirklich aufgab. Vielmehr wollte er noch in den allgemein gehaltenen Passus des Schlussprotokolls die Hinzufügung aufgenommen haben, dass Polen zu den „alten Grenzen in Ostpreußen und an der Oder“ zurückkehren werde, was auf amerikanischen Einspruch hin unterblieb.

 

So wurden in Jalta die Grundlagen für die Spannungen gelegt, welche noch heute die Herstellung eines wahrhaften Friedens verhindern. Der sowjetische Partner erkannte den Aufschub der endgültigen Lösung dieser Territorialfrage nicht an. Die kommunistische polnische Regierung begann unverzüglich mit der Austreibung der Deutschen, welche bereits im Frühjahr 1945 — also vor der Potsdamer Konferenz — einsetzte, gleichzeitig wurden die deutschen Ostgebiete bis zur Oder und westlichen Neiße von Polen in Verwaltung genommen, wobei die folgenden Maßnahmen schrittweise auf die völkerrechtswidrige Annexion abzielten.

 

 

Seite 1   Ostpreußen und die UdSSR

Die vor kurzem durch die Presse gegangene Meldung, dass in Ostpreußen sechs Abgeordnete für die sowjetische Volkskammer in Moskau gewählt worden sind, hat die deutschen und die westlichen Gemüter kaum berührt. Man hat das zur Kenntnis genommen, wie viele Dinge, die Moskau bisher vollzogen hat. Gewiss, die baltischen Staaten sind längst in die UdSSR eingegliedert. Die bisweilen hier und da auftauchenden Proteste der Emigranten erreichen kaum noch die Ohren der westlichen Politiker. Doch soll eine deutsche Bundesrepublik, die in der westlichen Welt eine Rolle zu spielen beginnt, und deren politische und wirtschaftliche Bedeutung den Sowjets ganz offensichtlich ein Dorn im Auge ist, zu diesen Vorgängen schweigen?

 

Gewiss, wir sind noch kein souveräner Staat, wir sind ein geteiltes Volk. Doch unsere verantwortlichen Politiker haben immer zum Ausdruck gebracht, dass sie sich in ihren Handlungen stets für das gesamte Volk verantwortlich fühlen. Mit anderen Worten: auch die politische Eingliederung des deutschen Ostpreußens sollte zumindest einen moralischen Protest auslösen, wenn wir schon keinen politischen Schritt gegen dieses völkerrechtliche Vorgehen unternehmen können. Wäre es nicht angesichts der fast zehn Millionen Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik angebracht, hier eine erhebliche Weltreaktion herbeizuführen, damit unser nationales Unglück nicht in Vergessenheit gerät? Es gibt ein klassisches Beispiel für solch eine Weltreaktion: Polnische Patrioten hatten es damals erreicht, dass die moralische Entrüstung über das Unrecht, das dem „edlen, tapferen, freiheitsliebenden Volke der Polen durch die drei Teilungen zugefügt worden war“ ein eiserner Bestandteil liberaler und demokratischer Politik wurde.

 

Über dieses blühende Gebiet, ausgezeichnet durch erstklassige Pferde- und Viehzucht, ergiebigsten Getreide- und Kartoffelanbau, brach die schlimmste Katastrophe seiner 700-jährigen bewegten Vergangenheit herein. Von den 2 ½ Millionen Einwohnern der Provinz vermochte sich kaum die Hälfte vor den vorströmenden Russen westwärts in das Reich oder nach Dänemark zu retten. Milliardenwerte der über Nacht zu Bettlern gewordenen Vertriebenen sanken dahin. Die fruchtbaren Felder sind verkrautet, das dünn besiedelte Land ist nur notdürftig zum kleinen Teil bestellt. Polnische und russische Ortsnamen sollen ein urslawisches Land vortäuschen. Und heute, nach zehn Jahren, glaubt man bereits vollendete Tatsachen schaffen zu können, als wenn „Kaliningrad“, die 700-jährige ruhmreiche deutsche Vergangenheit der preußischen Residenz- und deutschen Kant-Stadt Königsberg jemals auslöschen kann!

 

Gewiss, heute ist die Saar unserem politischen Interesse näher gerückt. Doch wir sollten den oft unmerklichen Vorgängen im Osten unsere ganze Aufmerksamkeit widmen. Wir sollten uns den Blick nicht trüben lassen, wenn Völker- und Menschenrechte immer aufs Neue verletzt werden, vor allem dann nicht, wenn westliche Stimmen heute nichts mehr von solchen Grundsätzen wissen wollen und einer „friedlichen“ Koexistenz nachträumen.

 

 

Seite 1   Nur 3 Prozent der Bauern eingegliedert.

Anlässlich seines fünfjährigen Bestehens hielt der Bauernverband der Vertriebenen eine Sondersitzung in Bonn ab, an der zahlreiche Minister und Abgeordnete, Vertreter der westdeutschen Bauernverbände und Siedlungsgesellschaften teilnahmen. Auf der Festversammlung gab der Vorsitzende des Bauernverbandes der Vertriebenen, Georg Baur, einen Rückblick und Ausblick. Nachstehend veröffentlichen wir einige Ausschnitte seines Vortrages:

 

Von den rund 390 000 vertriebenen Bauernfamilien sind bisher nur etwa 3 v. H. bäuerlich eingegliedert gegenüber Zahlen von 50, 60 oder 80 v. H. in anderen Berufen. Bei aller Anerkennung des bisher Geleisteten muss festgestellt werden, dass dieses Ergebnis außerordentlich dürftig ist.

 

Für uns vertriebene Bauern war es ein neuer Hoffnungsschimmer, als die neue Bundesregierung die Vorschläge der Minister Lübke und Oberländer aufgenommen hat und einem Siedlungsprogramm zustimmte, das eine erhebliche Verstärkung und Beschleunigung der Eingliederung in die Landwirtschaft vorsah.

 

Irrgarten und Bürokratie.

Als großes Hindernis bei diesem Wettlauf mit der Zeit betrachten wir die bürokratischen Schwierigkeiten: Verwaltung und Behörden stehen ja fast nur noch über Fragebogen in Verbindung mit dem lebendigen Menschen. Fast überall steht vor dem einfachen Mann eine Mauer der Unnahbarkeit der paragraphensicheren Spezialisten, und wir ersticken unter der unaufhörlichen Flut von Ausführungsbestimmungen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisen und Abänderungsanweisungen der Verwaltung. Wer soll sich in diesem Irrgarten zurechtfinden?

 

Ich muss in voller Deutlichkeit erklären, dass dem bäuerlichen Menschen nichts so zuwider war wie die Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge. Wer kann sich überhaupt, wenn er nicht selbst Bauer gewesen ist, in die Seele eines vertriebenen Bauern versetzen und einfühlen, eines Bauern, der heute, vom Schicksal in die Großstadt verschlagen, tagtäglich den Weg antreten muss in die lärmerfüllte Fabrik — oder noch schlimmer — den immer neu deprimierenden Gang zur Stempelstelle? Er wehrt sich auch heute noch verzweifelt gegen die immer mehr um sich greifende Rentenpsychose. Man muss ihm deshalb die Möglichkeit zu eigener Mitarbeit und Selbsthilfe geben, die durch die allgemeine Reglementierungssucht heute gehemmt wird.

 

Dank an die Schweden.

Was durch Selbsthilfe und verständnisvolle Mithilfe möglich ist, zeigt am besten die Aktion des schwedischen Reichstages und der schwedischen Bauernverbände zugunsten der heimatvertriebenen Bauern, die sogenannte „Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe“. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, den schwedischen sowie auch dänischen und amerikanischen Spendern von dieser Stelle aus meinen tiefempfundenen Dank auszusprechen. Herrn Pastor Forell aber noch einmal persönlich unseren besonderen Dank!

 

Wir haben in langer, zäher Arbeit für die Eingliederung der vertriebenen Bauern und die Siedlung ganz allgemein eine Bundesgesetzgebung erreicht, mit der gearbeitet werden könnte. Die Durchführung dieser Gesetze ist Aufgabe der einzelnen Länder. Man kann mit guten Gesetzen schlechte Erfolge erzielen und umgekehrt mit schlechten Gesetzen gute Ergebnisse. Ihre Anwendung und Handhabung ist entscheidend, denn sie ist abhängig von dem Menschen mit seinem Wollen und Können, der den Willen des Gesetzgebers durchführen soll.

 

Der Lübke-Plan.

In diesem Zusammenhang muss ein Wort zu den in Vorbereitung befindlichen Gesetzen gesagt werden, die den Grundstücksmarkt lenken und die Landbeschaffung für Wehrmachtszwecke regeln sollen. Wir befinden uns in völliger Übereinstimmung mit dem Deutschen Bauernverband bei der Beurteilung der Gefahr, die der deutschen Landwirtschaft hier droht. Wie soll der sogenannte Lübke-Plan, der, kurz gesagt, eine Verbesserung der Agrarstruktur durch Hebung der Kleinlandwirtschaft auf eine lebensfähige Familienbetriebsgröße vorsieht, mit all den Wünschen nach Land in Einklang gebracht werden, wenn nicht eine Leitstelle vorhanden ist, die den Ausgleich zwischen den vielen Landforderungen und dem beschränkten Landvorrat herstellt? Diese Koordinierung halten wir auch deshalb für unerlässlich, damit nicht zwischen den Landsuchenden ein wilder Wettbewerb entfacht wird, der schließlich zu einem Preiswucher führen muss, dessen Anfänge wir bereits erleben.

 

Land an Berufsfremde.

Auch bei Kauf und Pacht am freien Markt ist nur ein kleiner Teil der Objekte, die umgesetzt wurden, an Vertriebene gekommen, dagegen leider oft in berufsfremde Hände geraten, die mehr zahlen konnten, oder, was wir für noch schlimmer halten, parzelliert wurden. Wenn heute schon für den Morgen unkultiviertes Moorland bis 300 DM gezahlt und noch mehr gefordert werden, und wenn man damit zum Beispiel die Hektarsätze bei der Bewertung verlorenen ostdeutschen Grundbesitzes vergleicht, so kann man die Verbitterung der Ostbauern verstehen, die jetzt erst die ganze Schwere des Lastenausgleichsgesetzes zu spüren bekommen und sich klar werden, welche neuen Opfer ihnen hierdurch zugemutet werden, wenn die „Entschädigung“ so bleibt wie bisher, das heißt etwa nur 4 bis 6 Prozent des Verkaufswertes, wie der letzte Bericht der Lastenausgleichsbank bestätigt.

 

Bei den Aufbaudarlehen für die Landwirtschaft, die ein besonders wichtiges Kontingent bei der Finanzierung darstellen, droht eine Kürzung. Dieselbe Gefahr winkt dem Härtefonds, soweit er der Eingliederung der Flüchtlinge aus der Sowjetzone dient. Dies ist besonders schwerwiegend, weil heute niemand wissen kann, wieviel Bauern aus der Sowjetzone noch flüchten müssen.

 

Wo bleibt die Altersversorgung?

Wir können es nicht verstehen, warum immer wieder auf Kosten der landwirtschaftlichen Eingliederung besonders der Wohnungsbau bevorzugt wird, ohne dass die Beschaffung von Wohnungen für unsere Altbauernfamilien vorwärtskommt. Die Sorge für unsere Altbauern gehört ebenso zu einer Altersversorgung, wie sie der Deutsche Bauernverband für seine Altbauern erstrebt, wofür wir volles Verständnis haben. Die Durchführung dieses Planes steht und fällt mit dem Träger, der diese Altersversorgung durchzuführen hat. Es ist also höchste Zeit, dass Bund und Länder sich darüber einigen, wer dieser Träger sein soll.

 

Korrektur der Bodenreform.

Große Enttäuschung bereitet uns die Tatsache, dass es bisher nicht gelungen ist, die im Lastenausgleichsgesetz vorgesehene Möglichkeit der Naturalabgabe zur Ablösung der Abgabeleistungen in Gang zu bringen. Der Grund hierfür scheint uns das Durcheinander bei der Durchführung der Bodenreform zu sein, deren Landabgabe selbstverständlich auf die Lastenausgleichsleistungen anzurechnen ist. Die Bodenreform ist seinerzeit von den Alliierten mit einer Diffamierung der größeren Besitzer begründet worden. Das lehnen auch die Vertriebenen ab. Dass aber im Interesse des Gemeinwohles und als Ausgleich für den Notstand der vertriebenen Bauern ebenso wie aus agrarpolitischen Gründen die Bodenreform grundsätzlich gerechtfertigt ist, wurde inzwischen auch höchstgerichtlich bestätigt.

 

Wir verlangen daher, dass die Bodenreform einheitlich in den Ländern durchgeführt wird. Dabei sollen Korrekturen einzelner Bestimmungen, die auf die Besatzungsmächte zurückgehen, Berücksichtigung finden. Hierzu gehört selbstverständlich die von uns seit je geforderte Regelung einer angemessenen Entschädigung, die dann für die Abgabeleistung nach dem LAG die Grundlage bilden soll.

 

Die Jugend — unsere Hauptsorge.

Die Schulung, Ausbildung und berufliche Förderung der Vertriebenenbilder nach wie vor unsere Hauptsorge. Die Jugend muss wissen, dass sie in eigener Sache betrogen wird, wenn man den deutschen Osten in Vergessenheit geraten lässt. Wir haben im Bundesgebiet ein ganzes Netz von Bauern- und Siedlerschulen aller Art, dabei aber viel zu wenige Plätze für die vertriebene Landjugend. Ich möchte hierzu besonders auf die Siedlerschule Katlenburg hinweisen, die eine völlig neuartige Form darstellt, nämlich die Ausbildung der weiblichen und männlichen Bauernjugend auch in allen Handwerksfertigkeiten, die ein Siedler beherrschen muss. Wer eine solche oder ähnliche Ausbildung genossen hat, muss aber auch in Zukunft bei der Zuteilung von Siedlerstellen bevorzugt werden.

 

Eine grundsätzliche kurze Stellungnahme noch zur Schadensfeststellung des Lastenausgleichs: Alle Eingliederungsmaßnahmen werden bekanntlich als Darlehen behandelt. Wie soll aber einmal der Vertriebene zu einer Entlastung seiner Wirtschaftsführung kommen, wenn nicht in absehbarer Zeit die Schadensfeststellung und die davon abhängige Entschädigung abgeschlossen wird, und zwar mit einer gerechten Bewertung, die bei der Landwirtschaft noch völlig fehlt?

 

Erhöhung des Einheitswerts dringlich.

Wir begrüßen es, dass die Parteien des Bundestages bei der ersten Lesung einen großen Teil unserer Lastenausgleichsanträge angenommen haben, können uns aber keinesfalls damit abfinden, dass der Hauptpunkt, nämlich die Erhöhung der Einheitswerte, ganz gleich, in welcher Form sie erfolgt, auf das Lastenausgleichsschlussgesetz vertagt werden soll. Tausende und aber Tausende von vertriebenen Bauern würden dann nichts mehr davon haben. Auch das Berufsvermögen der ostvertriebenen Landarbeiter muss schleunigst festgestellt werden.

 

Eine weitere Sorge für uns bildet die Entschädigung und Eingliederungshilfe für die Flüchtlinge aus der Sowjetzone. Sie kann auf die Dauer nicht abhängig gemacht werden von politischen Entscheidungen, die zeitlich nicht abschätzbar sind. Hier bedarf es grundsätzlich neuer gesetzlicher Maßnahmen. Zehn Jahre danach Das Jahr 1945 hat 700 Jahre deutscher Ostkolonisation Testlos vernichtet.

 

Zehn Jahre danach.

Das Jahr 1945 hat 700 Jahre deutscher Ostkolonisation restlos vernichtet. Zehn Jahre danach ist auch die bäuerliche Substanz dieser Bauern nahezu untergegangen.

 

Wenn wir den Rest des ost- und westdeutschen Bauerntums in der Bundesrepublik vor der Vernichtung bewahren wollen, dann müssen wir alle, die wir in dieser Sache kämpfen, uns wirklich vorbehaltlos die Hände reichen. Wohl wissen wir, dass alles nur Stückwerk ist, was hier in Westdeutschland geschieht, und dass eine wirkliche Lösung nur möglich ist durch Rückgewinnung unserer Heimatgebiete.

 

Bis dahin aber gilt es, das bisher Erreichte auszubauen und in täglicher Kleinarbeit Stein auf Stein zu setzen — immer unser Ziel vor Augen, das wir leidenschaftlich verfolgen: die Erhaltung des deutschen Bauerntums.

 

 

Seite 2   Moskau lächelt, droht und erpresst.

Der Beschluss der Sowjetregierung, den Kriegszustand mit Deutschland, und zwar — wie amtlich erklärt wurde — mit „beiden“ Teilen, der DDR wie der Bundesrepublik, zu beenden, ist durch Unaufrichtigkeit gekennzeichnet. Einmal sind die Oder-Neiße-Gebiete bewusst ausgeklammert, da sie — nach Moskauer Auffassung — „die Rechte und Pflichten (!) der Sowjetunion nicht berühren, die sich aus den bestehenden, Deutschland als Ganzes betreffenden Abkommen der vier Mächte ergeben“ (Jalta und Potsdam). Die Saar bleibt ebenfalls unerwähnt, offenbar um Frankreichs Empfindlichkeit zu schonen.

 

Im Übrigen hinkt der Beschluss um fast vierzig Monate hinter den entsprechenden Entscheidungen der Westmächte vom 19. Oktober 1951 her, denen sich inzwischen rund 50 Staaten angeschlossen haben.

 

Damals schrieb die sowjetamtliche „Tägliche Rundschau“ in Ostberlin: „Diese sogenannte Beendigung des Kriegszustandes ist kein Schritt zum Frieden; sie ist ein Schritt zum neuen Krieg. Die drei Mächte (USA, Großbritannien, Frankreich) haben den Beschluss nur zu dem Zweck gefasst, die öffentliche Meinung irrezuführen“. Sind die Männer des Kreml sehr erstaunt, wenn wir uns an ihre Auslegung gerade jetzt erinnern …?!

 

Das fast pausenlose Lächeln, das Moskau Deutschland plötzlich schenkt, erinnert an gewisse „Damen“ an dunklen Straßenecken. Wie diese „Liebe“ verheißen und die Brieftasche meinen, so meinen die Moskowiter die eigene Herrschaft, wenn sie „Frieden“ und die Wiedervereinigung den Deutschen verheißen.

 

Diese Unaufrichtigkeit geht bis in die abgefeimte Formulierung der Texte hinein. Kenner der russischen Sprache haben sogleich gestutzt, als sie in dem Versprechen „geheimer freier Wahlen unter internationaler Kontrolle“ die Vokabel „nabljudjenije“ entdeckten, die gemeinhin „Beobachtung“ heißt. Das entsprechende Wort für Kontrolle heißt „kontrolj“ und wird vom Kreml bei Fragen, die in seinem Sinn eindeutig sein sollen, stets angewender. Warum also in diesem Fall das doppelsinnig entlegene „nabljudjenije“?!

 

Warum es angewender und von der sowjetischen Presse tagaus, tagein wiederholt wird, hat die Redaktion der parteiamtlichen „Prawda“ auf die Rundfunkansprache des Bundeskanzlers vom 22. Januar gezeigt. Zunächst wurde die Öffentlichkeit der Sowjetunion wie der Satellitenstaaten (einschließlich der deutschen Sowjetzone) insofern irregeführt, als von einer Ansprache Adenauens im „amerikanischen Sender RIAS“ die Rede war (während alle deutschen Sender die Ansprache übertragen haben und RIAS sich u. a. angeschlossen hat). Zum anderen ist die Zurechtweisung des Industriellen Hermann Reusch durch den Bundeskanzler von der „Prawda“ bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, ja — fast unterschlagen worden.

 

Der außenpolitische Kommentar des russischen Parteiblattes zur Kanzlerrede erschöpft sich in Beleidigungen wie „betrügerisch“ und in einem erneuten Hinweis auf den Molotowplan der Berliner Konferenz, der nicht durchzuführen gewesen sei, „weil die Westmächte (!) den Standpunkt der Teilung Deutschlands vertraten“.

 

Seit Jahresfrist hat sich also nicht Entscheidendes in den Beziehungen der Sowjetunion zu dem deutschen Kernstaat — dem außenpolitischen Willenszentrum des gesamten deutschen Volkes — geändert. Das muss mit der erforderlichen Klarheit festgehalten werden.

 

So gesehen, ist die erste Erklärung der Bundesregierung, die das Kabinett unter Vorsitz des Vizekanzlers formuliert hat, viel zu zaghaft. Beherrscht in Bonn denn kein Mensch die russische Sprache, um die Winkelzüge um „nabljudjenije“ und „kontrolj“ sogleich aufzuklären? Und was heißt: „Der Wert dieser Erklärung (des Friedenszustandes auch mit der Bundesrepublik) wird dadurch erheblich eingeschränkt, dass die Sowjetunion sich sämtliche Rechte aus dem Viermächteabkommen, insbesondere aus den Abkommen von Jalta und Potsdam, vorbehalten hat“. Dieser Vorbehalt allein — verbunden mit den wiederholten Beleidigungen des Bundeskanzlers — macht den Wert der Erklärung vollkommen illusorisch. Jalta und Potsdam — das heißt: Vertreibung von zehn Millionen, „urpolnische Muttererde“, also Raub von ca. 114 000 Quadratkilometern deutschen Landes, d. i. 24,2 Prozent des Reichsgebietes, und eines produktiven Volksvermögens, das viele hunderte Milliarden Goldmark ausmacht.

 

 

Seite 2   „Schwere Schädigung des Westens“

Das möchte der Kreml nunmehr indirekt anerkannt wissen. Doch die „Speise“ zum Neuguss Europas ist schon im Fluss. Der Kreml wird das „Werk“, das — nach Schiller — „den Meister loben“ soll, wahrscheinlich nicht mehr verhindern können, so uns „der Segen von oben“ kommt.

 

Das haben — klarer als gewisse Westkreise, die zwischen Deutschlands „Baum“ und Moskaus „Borke“ ihre scheelsüchtig-misstrauische Politik fortsetzen möchten — die Menschen aus dem Osten erkannt. Der rumänische Exilpolitiker Gregor Gafenco warnt in seinem — von „Europapress“ verbreiteten — Kommentar den Westen: „Ein Abkommen mit der Sowjetunion, das die gegenwärtigen Eroberungen Moskaus legitimiert, wäre praktisch eine schwere Schädigung der moralischen Stellung des Westens. Denn wenn erst die Demarkationslinie „politisch“ stabilisiert wäre — wie sollte sie dem Ansturm der ideologischen Kräfte des Ostens standhalten, wenn ihr der Westen nicht mehr den Grundstock seiner Autorität entgegensetzen könnte: seinen Ordnungswillen, seinen Wunsch nach Freiheit — und den Glauben an seine Mission …?!“

 

Die in Paris erscheinende exilpolnische Zeitschrift „Kultura“ — wohl das beste Blatt, das Polen je hervorgebracht hat — beschäftigt sich mit denselben Problemen. Sie kommt zu der — für polnische Verhältnisse und Gesinnungen (an denen wir Deutsche wohl nicht ganz „unschuldig“ sind) — geradezu sensationelle Entscheidung dass es im Interesse Polens liege, „die Befreiung der Sowjetzone durch die Bundesrepublik und die Schaffung eines vereinten deutschen Staats moralisch zu unterstützen“.

 

„Kultura“ meint, wenn Deutschland und Frankreich bei der Lösung der Saarfrage auf jede Anwendung von Gewalt verzichteten, dann stehe einem politisch-militärischen Bündnis dieser beiden Länder nichts im Wege. „Das deutsch-polnische Verhältnis müsste analog diesem Beispiel geformt werden“. Denn — laut „Kultura“ — sei „das Grenz- und Territorialproblem zweitrangig gegenüber der Frage, wie man aus Polen wieder einen Staat westlicher Prägung machen kann“.

 

Stellt man all diese Äußerungen des Westens wie des zwiegespaltenen Ostens — der sowjetischen oder sowjetisierten Länder und der antisowjetischen Emigration — nebeneinander, so darf man eine weltweite außenpolitische Wirksamkeit der Bundesregierung rechtens feststellen. Mag der Kreml alle seine „Bataillone“ aufbieten, um die Verständigung des Westens zu torpedieren, mag er die griechisch-katholische, die islamische und die jüdische Religionsgemeinschaft zu Resolutionen gegen das Pariser Abkommen veranlassen, mag er die Stadtverwaltungen der im zweiten Weltkrieg zerstörten Städte wie Stalingrad zu einer Art Patenschaft mit westeuropäischen Städten anregen (wofür die Verbindungen ostdeutscher zu westdeutschen Städten offenbar das Beispiel gegeben haben) — er wird die Ernte seiner Propaganda und „Koexistenz“ Taktik nicht mehr in die Scheuer bringen.

 

Moskau lächelt  — nach Frankreich nach Deutschland . . . just wie es zweckmäßig im Sinne seiner machiavellistischen Täuschungspolitik erscheint.

 

Moskau lächelt Deutschland an. Zur gleichen Zeit droht es ihm und erpresst es. Das eine wie das andere sollte uns in unserem Kampf um Recht und Freiheit unseres Volkes und Landes in den angestammten Grenzen nicht einen Augenblick erschüttern.

 

 

 

Seite 2   Antragsfrist verlängert.

Bonn. Die ursprünglich auf den 31. Januar festgesetzte Frist für die Anträge auf Kindergeld ist bis zum 31. März 1955 verlängert worden. Die Familienausgleichskassen sind übereingekommen, die Gelder für Januar und Februar auch dann noch zu zahlen, wenn die Anträge erst im Februar oder März gestellt werden. Das Kindergeld für den Monat Januar soll Anfang dieses Monats ausgezahlt werden.

 

Die auf Grund des Kindergeld-Anpassungsgesetzes für die Rentner der Invaliden- und Angestelltenversicherung festgesetzten Kindergeldzuschläge vom dritten Kind ab, werden ohne Antrag gewährt. Nur für dritte und weitere Kinder zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr, die sich noch, auf Kosten des Rentners in Berufsausbildung befinden, sind besondere Anträge über die zuständige Rentenstelle zu stellen.

 

 

Seite 2   Hat der Kreml Angst vor uns?

New York. Die Wochenzeitschrift „Newsweek“ veröffentlichte einen Beitrag von Leon Volkow, der während des zweiten Weltkrieges Oberstleutnant in der sowjetischen Luftwaffe war und heute Mitarbeiter des Blattes für sowjetische Angelegenheiten ist. In seinem Artikel stellt Volkow hinsichtlich der Einstellung der Sowjetunion zur deutschen Wiederbewaffnung u. a. fest:

 

Warum hat Moskau so voller Schrecken auf die Aussicht einer deutschen Wiederbewaffnung reagiert? Die Antwort: Weil es diese wirklich fürchtet. Im diplomatischen Benehmen der Sowjetunion ist nichts von Getue. Sie ist genauso voller Furcht vor einem wiederbewaffneten Deutschland, wie sie es zu sein scheint.

 

Ich finde, dass viele Amerikaner dies nur zögernd glauben. Sie überlegen sich, dass ein geschlagenes, entwaffnetes Deutschland doch kaum einen solchen Schrecken für die siegreiche, voll gerüstete Sowjetunion bedeuten könnte. Und sie argwöhnen daher, dass der Kreml auf eine Art diplomatischen Trick aus ist. Diese Amerikaner argumentieren, dass Deutschland auch dann, wenn es die Art von Defensivarmee bekommt, wie sie in den Verträgen von London und Paris vorgesehen ist, eine unbedeutende Macht sein wird im Vergleich mit der Sowjetunion, die nicht nur über eine ungeheure Landarmee verfügt, sondern auch über eine Luftwaffe aus Düsenmaschinen, die in der Lage ist, Atom- und in der gleichen Weise auch Wasserstoffbomben zu befördern.

 

 

Der Schock des Blitzkrieges.

Was diese Amerikaner aber nicht wissen, ist, welch tödlicher Schrecken Sowjetrussland durch

den Blitzkrieg in den Anfangsstufen des letzten Krieges eingejagt wurde. Als Angehöriger der roten Streitkräfte zu jener Zeit sah ich dies und erlebte es. Wir Russen erlitten eine dramatische Erfahrung auf nationaler Ebene. Wir bekamen das Gefühl, dass wir kein gleichwertiger Gegner für die Deutschen waren. Und wir erholten uns auch nicht vollkommen von diesem Gefühl der militärischen Unterlegenheit, nicht einmal zur Zeit unseres größten Triumphes.

 

Wir hatten Zuversicht zur Tapferkeit unserer Soldaten und in die Fähigkeiten einiger unserer Strategen. Aber wir hielten die deutsche Armee weiterhin für etwas Übermenschliches in ihrer tödlichen Präzision.

 

Hierzu hatten wir guten Grund. Die Deutschen verfügten bei ihrem ersten Angriff über 2400 Panzer gegen 20000 Panzer der Sowjetunion. Zahlenmäßig war die deutsche Armee der roten Armee 12:1 unterlegen. Die Deutschen zögerten nicht einmal dann, ihre Angriffe zu steigern, wenn sie wussten, dass sie 3:1 unterlegen waren.

 

Die Herrscher in der Sowjetunion spiegeln nur die Meinung ihres Volkes wider und besonders die der Veteranen des letzten Krieges, wenn sie die Furcht zum Ausdruck bringen, dass Deutschland, wenn es erst einmal wieder mit der Wiederbewaffnung beginnt, erneut zur stärksten Militärmacht der Welt werden wird und zu einer Bedrohung für seine östlichen Nachbarn. Der Kreml glaubt voll und ganz, dass Deutschland, wenn es 12 Divisionen erhält bald über eine Armee von der mehrfachen Größe über ein Arsenal von Geheimwaffen und über ein geschicktes strategisches Konzept zu deren Anwendung verfügen wird“.

 

 

Seite 2   Presse-Stimmen.

Schachfigur „Volk“

Die unabhängigen „Salzburger Nachrichten“ erinnern an die Großoffensive der Sowjets vom Brückenkopf Baranow aus und schreiben:

 

„Die deutschen Gruppenwanderungen des Jahres 1945 waren nicht die ersten, aber die intensivsten unseres Jahrhunderts. Sie begannen, genau gerechnet, im Januar 1915, also vor jetzt vierzig Jahren, als die zaristischen Truppen erstmalig die deutschen Siedler hinter ihren geschlagenen Fronten evakuierten und nach Sibirien verschickten. Ihnen folgten die Vertreibungen auf Grund des Diktates von Versailles, damals allein aus Posen und Westpreußen rund 700 000 Menschen, aus Elsaß. Lothringen 130 000, aus Nordschleswig und den Deutschen Kolonien 300 000. Während des zweiten Weltkrieges wurden die Deutschen aus dem Baltikum, aus Wolhynien und Ostgalizien, aus Bessarabien, der Bukowina, aus Litauen, der Dobrudscha, der Gottschee, aus Kroatien und Serbien, Cholm und Südtirol, „umgesiedelt“, insgesamt etwa eine Million. Fast gleichzeitig liquidierte Stalin die Wolgadeutsche Republik, indem er ihre rund 400 000 Menschen über Zentralasien (Karaganda) zerstreute. Als die „Schlacht von Baranow“ begann, hatten seit damals genau vierzig Jahren rund 2,5 Millionen Deutsche ihre angestammte Heimat freiwillig oder unfreiwillig gewechselt; die ihnen folgenden 18 Millionen des Jahres 1945 mussten innerhalb eines halben Jahres zwangsweise verlassen, was ihre Ahnen in 700 Jahren aufgebaut hatten“.

 

 

Seite 2   Dr. Ottomar Schreiber gestorben.

Unerwartet starb in der Nacht zum Sonntag, den 6. Februar 1955 in München der frühere Staatssekretär im Bundesvertriebenenministerium, Dr. Ottomar Schreiber. Der Verstorbene war jahrelang Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen und wurde dann zum Ehrenpräsidenten der Landsmannschaft ernannt. Dr. Schreiber hatte sich durch seine kulturpolitischen Vorträge einen Namen gemacht, er gehörte auch der Kantgesellschaft an.

 

 

Seite 2   Gesamterhebung der Menschenverluste bei der Vertreibung.

Im Bundesvertriebenenministerium haben Mitte der Woche die Landsmannschaften zusammen mit dem DRK, den kirchlichen Hilfsstellen und Vertretern des Bundesarchivs über die Durchführung der sogenannten Gesamterhebung beraten, deren Ziel es ist, die in den Vertreibungsgebieten erlittenen Menschenverluste festzustellen. Man kam überein, zunächst die bereits vorhandenen Unterlagen aus Suchdienstaktionen und in Form von Heimatsortskarteien zusammengetragenen Materialien nach gemeinsamen Gesichtspunkten zu ordnen und dieses dann mit den durch die im Zusammenhang mit den Vertriebenenausweisen ausgegebenen Fragebogen gewonnenen Unterlagen zu ergänzen. Ein aus je zwei Mitgliedern der beteiligten Organisationen bestehender Arbeitsausschuss soll die praktische Durchführung der Gesamterhebung vorbereiten. Als Ergebnis dieser Materialsammlung werden dann „Seelenlisten“ kleinster im Vertreibungsgebiet bestandener Verwaltungseinheiten angelegt und durch weitere Befragungen schließlich die tatsächlichen Ausfälle ermittelt.

 

 

 

Seite 2   Finanzämter beschaffen Unterlagen gebührenfrei.

Gebührenfreiheit für die Beschaffung von Unterlagen wird von den Finanzämtern zur Feststellung der Ausgleichsleistungen nach dem LAG gewährt. Grundsätzlich erheben die Ausgleichsbehörden von Amts wegen alle Beweise, die für die Schadensfeststellung und Gewährung von Ausgleichsleistungen notwendig sind. Der Geschädigte ist allerdings verpflichtet, die für dieGeltendmachung seines Schadens beweiserheblichen Umstände nachzuweisen und glaubhaft zu machen.

 

Diese Auskünfte müssen die Finanzämter unentgeltlich erteilen, soweit sie von den Ausgleichsämtern hierzu im Wege der Amtshilfe ersucht werden. Es kommt jedoch häufig vor, dass  sich die Geschädigten zur Führung ihres Nachweises die Unterlagen vom Finanzamt (z. B Bescheinigung über die Höhe des Einkommens und Vermögens aus der Vorkriegszeit, Anschrift von Einheitswertbescheiden usw.) selbst beschaffen zu müssen oder dass die vorhandenen Unterlagen vom Finanzamt zu beglaubigen sind. In diesen Fällen ist bisher länderweise unterschiedlich verfahren worden. Die Ländervertreter haben nunmehr beschlossen, im Interesse einer gleichermäßigen Behandlung der Geschädigten im Verfahren nach dem Feststellungsgesetz und LAG künftig aus Billigkeitsgründen allgemein von der Erhebung von Gebühren in diesen Fällen abzusehen.

 

 

Seite 3   Foto: Blick auf die Kreisstadt Rastenburg.  Auf.: Foto — Marburg

 

 

Seite 3   Wo haben wir Heimat? Brief an einen jungen Vertriebenen. Von Dr. Gerd Schimansky.

Was ich Ihnen zu sagen habe, das ließe sich besser aussprechen als schreiben. Aber, sehn Sie, so ist das. In einer Hinsicht gehören heut alle Menschen zu den Vertriebenen oder mindestens Getriebenen. Keiner ist für den anderen da. Es treibt uns aneinander vorbei, ob wir nun wollen oder nicht. Es fehlt an Zeit, an Stille, an Geduld. Leben wir beide da nur ein paar Häuser voneinander entfernt, aber jeder für sich, ganz hingenommen von seiner Arbeit. Und wie selten wechseln wir ein Wort, ein ruhiges, nachdenkliches Wort, das uns in den Tag hinausbegleiten könnte.

 

Und so mag es denn wenigstens ein Brief sein. Nehmen Sie ihn bitte nur als den Rat eines Nachbarn, der gleich Ihnen etwas fremd umherschaut und noch nicht weiß, warum ihn das Schicksal 1000 km weiter nach Westen und gerade an diesen Ort verpflanzt hat. Sie können diesen Rat auf sich beruhen lassen, Sie können ihn auf seine Richtigkeit hin überprüfen, können ihn verwerfen — nur übelnehmen dürfen Sie ihn nicht.

 

Lassen Sie mich einfach sagen, wie ich Sie — bei den seltenen Gelegenheiten, an denen wir uns sahen — erlebt habe.

 

Das erste Mal, das muss schon ein paar Jahre her sein, traf ich Sie vor der Schule. Sie standen am Zaun mit einigen anderen, die etwas älter waren als Sie. Und dennoch, ohne viel von Ihnen zu wissen, empfand ich sofort: So sieht jemand aus, der die Flucht mitgemacht hat. Ich weiß nicht, was es war. Ein ernster Ausdruck in Ihrem Gesicht, ein Wissen in Ihren Augen — jedenfalls wirkten Sie neben der noch so kindlich gelösten Art der drei anderen wie jemand, der (das klingt ein bisschen gewaltig) der sein „Schicksal“ hatte, der von diesem Schicksal wie von einem Reif angerührt und befallen worden war. Wirklich, wie jener Reif in der Frühlingsnacht, von dem das Lied singt, so kann es auch schon auf einem sehr jungen Gesicht liegen. Indessen, das Wachstum geht weiter.

 

Später las ich Ihren Lebenslauf. Sie bewarben sich um eine Ausbildungsbeihilfe. „Als ich zehn Jahre alt war“, schrieben Sie, „mussten wir eines Nachts auf die Flucht gehen. Damals hörte meine Kindheit auf“. Diese Sätze werde ich so leicht nicht wieder vergessen. Wie mit einem Messer also ward durchschnitten, was Sie bislang mit dem Leben verband, alle Wurzeln rissen ruckartig ab, jede Geborgenheit zerbrach wie bei einem Erdbeben.

 

Es kam das Lager, das Massen- und Barackendasein. Dann endlich erhielten Sie dieses elende Dachstübchen hier. Die Schule war geschafft —, nicht ganz einfach für jemanden, der so viel versäumt und wohl auch vergessen hatte und der kein ruhiges Plätzchen zum Arbeiten fand. Und schließlich wurde auch die Ausbildungsbeihilfe bewilligt. Dennoch, es fehlte an allem, nicht zuletzt an Kleidung. Der Vater blieb arbeitslos. Und wo gab es noch Verwandte und Freunde? Wo waren sie geblieben? Soweit man von ihnen etwas hörte, saßen sie selber im Elend. Kurzum, Ihre Lebensmöglichkeiten waren gleichsam beschnitten.

 

Was dies bedeutet, vermag ich aus eigener Erfahrung zu sagen. Auch mir wurde der Raum meiner Kindheit — etwa vom 13. Lebensjahre an — ziemlich grausam zerstört. Und da dergleichen ja heute das Schicksal Tausender geworden ist, kann man auch erkennen, wie sich das auswirkt.

 

Hat man jemanden in seinen Lebensmöglichkeiten beeinträchtigt — und zumal einen kraftvollen, unternehmenden jungen Menschen — hat man ihn gehemmt, seine Entwicklung gewaltsam behindert, nun, dann wird er gesunderweise etwas von dem nachholen, etwas wettzumachen suchen, was ihm bislang gefehlt hat. Ein Drang, ein Hunger nach dem sogenannten Leben kann sich einstellen. Und wie macht er sich geltend? Das ist die Frage.

 

Er kann sich als ein stummer Vorbehalt kundtun, so als stünde es in einem Gesicht geschrieben: Na wartet nur, ihr! Er kann sich auch als störrischer Protest gegen die Umwelt, gegen eine Verständnis- und erbarmungslose Umwelt entladen. Oftmals aber sinkt nur eine kaum eingestandene Bitterkeit auf den Grund unserer Seele, und daraus erwächst eine Art Mutlosigkeit, eine Müdigkeit, ein Verzicht darauf, anderen noch in unbefangener Freude zu begegnen.

 

Auch hier möchte ich meinen, es sind nicht wir Vertriebenen allein, die derart am Menschen irregeworden sind, dass sie ihm am liebsten ausweichen. Hier sitzt die tiefste Arbeit unserer Zeit.

 

Was bietet uns nun der Ort, an dem wir jetzt leben? Wenig, werden Sie sagen. Die Menschen, dicht bei dicht, in den Straßen hastende Fülle, ein Wäldchen wohl noch in der Nähe, aber, das wirkt auch so, als seien alle Bäume gezählt und nummeriert. Alles ist so fertig, so zurechtgerückt so ganz, ganz andere als bei uns im Osten.

 

Und doch, glaube ich, wir übersehen manches, wenn wir so urteilen und vergleichen. Schwingt sich nicht auch hier ein weiter Horizont hinter den Häuserreihen und jenseits des Stromes dahin? Und dieser Strom selbst — ach, lassen wir uns doch ja nicht die Augen verschließen von der Not oder vom Heimweh. Es ist der Teufel, der uns hadernd leben lassen möchte.

 

Und noch eins: Es gibt hier eine Gemeinde. Es sind die gleichen Gottesdienste, die gefeiert werden, wie daheim. Das gleiche Wort, der gleiche Trost im Leben und im Sterben, sie sind uns bereitet, hier und dort.

 

Gewiss, es mögen die Menschen uns fremd bleiben. Sie sind anders als bei uns im Osten, sind schneller, tätiger, entschlossener. Aber — kennen sie einen Feierabend? Sitzen sie vor der Tür wie die unseren daheim dort saßen, ins stille Land hinauslauschend? Der Westen ist fertiger, durchgeformter. Wir leben, der Erde näher. Und davon sollten wir uns etwas bewahren, auch hier, wo uns die Industrie drängt.

 

Aber nun sind Sie jung und wollen ja nicht ruhen und träumen, sondern das Leben ergreifen, dieses Leben, das sich so arm anließ, das so bedroht war, so eingeengt wurde. Heraus also aus dieser Bedrängtheit! Aus diesem elenden Dachstübchen, und die wenige freie Zeit ausgenutzt! Ja — aber wohin nun bloß? Die Häuser sind weithin verschlossen. Da sitzen so manche Leute beharrlich in ihrem angestammten Besitz, ohne je die Tür aufzutun, wenn einer aus der Fremde kommt. Wohin also?

 

Sehen Sie, und das ist meine Frage an Sie: Wie füllen Sie die Leere aus? Was alles lassen Sie in sich einströmen, um nur ja der Heimatlosigkeit, der Ungeborgenheit zu entrinnen? Berufspläne und -sorgen, Arbeit, Arbeit, Arbeit — gut und schön. Aber der Mensch möchte mehr haben. Dies allein kann ihn unmöglich ausfüllen.

 

Wie also behält und gewinnt Ihr Leben, ja ich möchte sagen — so etwas wie eine innere Mitte? Sie sind einsam, und das Leben dünkt Sie im Grunde leer. Dem Dr. Faust, wie Goethe ihn uns vor Augen stellt, dem naht sich ja in einer verzweifelten Stunde ein überaus lockender Geist. Aber zu unsereinem wird dieser Mephistopheles vermutlich nicht kommen, um uns auf seinem Zaubermantel zu entführen, wie er es Weiland mit dem guten Faust getan hat, hinein ins Reich der schrankenlosen Wünsche und ihrer ungetrübten Erfüllung.

 

Oder sollte es doch mitunter geschehen? Widerfährt es nicht diesem oder jenem unbedachten Auswanderer, oder dem, der träumt, der nur noch einem Wahngebilde nachjagt? Wie viele von uns leben doch nur noch in der Vergangenheit oder aber in einer ersehnten Zukunft, und der Gegenwart weichen sie aus! Das aber wäre eine Art, sein Flüchtlingsdasein zu verewigen, nämlich auf eine falsche Weise und aus freien Stücken immerfort dem ausweichen, was uns nun einmal zur Aufgabe gemacht ist.

 

Da könnte sich zum Beispiel — so mir nichts dir nichts — irgendeine flotte Bekanntschaft anbahnen. Endlich tut sich die Tür zum Leben auf. Der Tisch des Glückes ist reichlich gedeckt, jetzt gilt es nur noch zuzulangen. Das ist modern. Man hat doch einen Anspruch, man hat doch ein Recht auf Liebe!

 

Verstehen Sie, warum ich gerade zu Ihnen so rede? Wer eine arme Kindheit gehabt hat, eingeengt und ausgestoßen, und wer immer nur das „Nein“ des Lebens vernahm — wie sollte nicht gerade der meinen, nun endlich müsse er sich schadlos halten, müsse sich an der Jagd nach dem Glücklich sein schleunigst beteiligen. Ach, aber es ist eine arme Jagd, deren Beute Menschen sind.

 

Fürchten Sie nicht, dass ich jetzt „moralisch“ werde. Ich sehe für Sie nicht schon Abgründe vor mir (wenngleich es auch viel ernstere und viel nähere Abgründe gibt, als Sie ahnen können). Ich meine nur, dass der junge Mann dem jungen Mädchen und dass auch das Mädchen diesem jungen Manne heut weithin auf eine allzu dürftige, allzu billige Weise begegnet. „Der Liebeskummer“, so hat einmal jemand gesagt, „ist heute eine Sehenswürdigkeit geworden“. Das heißt doch wohl: das Herz bleibt zu Hause, der ganze Mensch ist eigentlich nicht mehr beteiligt, und er sucht auch gar nicht mehr den anderen, eben als Menschen, als einen, der auch sein Schicksal hat und gewiss manche Not und Einsamkeit kennt und also doch auch unserer Hilfe bedarf, unserer Ritterlichkeit. Nein, wir beuten uns heute gegenseitig aus, nicht bloß im Arbeitsprozess. Auch Mann und Frau begegnen einander weithin freibeuterisch, eben aus jenem armseligen Anspruch heraus: Man hat doch ein Recht auf Liebe! Und das heißt: Man hat doch ein Recht auf einen anderen Menschen, den man nach Belieben verwerten kann!

 

Aber genug davon. Hinter der glitzernden Oberfläche eines Vergnügungsbetriebes, in dem Menschen bloß spielerisch ausgenutzt werden (eben nach den Worten des Schlagers: „Nur nach dem Namen frag mich bitte, bitte nicht“) — da lauert doch einzig die Not. Wirklich, diese Lebensgier, was ist sie anders als geschminkte Not, als angemalte Angst? Angst nämlich davor, es könne einem das Leben entgleiten, dieses Leben, als dessen Treibholz man sich bisweilen vorkommt, sinnlos und mit unbekanntem Ziel irgendwohin verfrachtet. Und diese bange Ahnung, es könne so sein, dass ein blindes, irres Geschick uns immer von neuem wahllos durcheinanderwirble, diese Ahnung, gipfelnd in der Kriegsfurcht, könnte sie nicht gerade uns, die Vertriebenen, befallen, die wir dies alles schon einmal erfahren haben und nun rasch noch einheimsen wollen, was wir versäumten, was zu holen ist, ehe wir aufs neue ausgeraubt werden?

 

Ach nein, ich glaube, manche unter uns haben ganz andere, haben weit köstlichere Erfahrungen gemacht. Und deshalb brauchen sie auch nicht in jenes flache Streben nach irgendeinem Betäubungs- und Beglückungsmittel auszuweichen. Selbst die unablässige Arbeit kann ja ein solches Mittel sein. Tausende haben es dankbar bezeugt, dass sie „mitten im finsteren Tag“ kein Unglück mehr fürchten brauchten. Denn, so konnten sie beten: „Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich“.

 

Nicht wahr, jedes Leben, das sich nicht im Flüchtigen verlieren möchte (und das sind nämlich die eigentlichen Flüchtlinge unserer Zeit, die sich derart im Flüchtigen verlieren), jedes Leben, das nicht bloß an den Rändern und an der Oberfläche gelebt werden möchte, es bedarf einer inneren Mitte. Jeder von uns muss ganz einfach etwas haben, woran er wirklich als ganzer Mensch beteiligt, von Herzen beteiligt sein kann. Und diese innere Mitte — sie kann sich vielleicht sehr verschieden darstellen bei diesem oder dem — wie ist sie zu finden? Das ist die Frage. Eine Frage, die Sie bitte nicht mir, sondern sich selber beantworten wollen. Denn ein ganzes Leben mag sie uns begleiten.

 

Vom Vergnügen sprachen wir schon, von jenem hastigen und blinden Einheimsen, das aller wahren Freude den Tod bereitet. Und das Geldverdienen, so notwendig es ist, kann uns diese geheime Mitte auch nicht schaffen. Ja ich gehe sogar weiter, selbst das Herdfeuer unserer Heimat, wenn es uns doch noch einmal leuchten und uns wärmen sollte – es kann unserem Erdenleben seinen letzten, seinen ewigen Sinn nicht geben. Auch die verlorene Heimat, so lieb wir sie haben, sie kann zum Götzen werden, zum Ersatzhimmel, zum Scheinparadies.

 

Es kommt auf eines an. Wie ordnen wir dies alles, nämlich die Heimat und unsere Arbeit und auch unsere Freude in der rechten Weise ein? Welchen Rang, welche Stellung hat das alles in unserem Leben? Dient es, oder herrscht es? Reißt es uns von der wahren Mitte unseres Menschendaseins fort, oder stärkt es diesen innersten Grund, aus dem heraus wir leben? Werden wir gesammelt, oder werden wir zerstreut? Existieren wir in einer flüchtigen X-beliebigkeit, nur dem Sog des Momentanen ausgeliefert, dem Druck und Zwang der jeweiligen Situation unterworfen, vom grellsten Anreiz unwiderstehlich gepackt? Oder aber bleiben — wir Menschen? —

 

Die Heimat kann einer verlieren. Wie hart das ist, wissen wir. Aber unser Menschsein dürfen wir uns nicht rauben lassen. Da liegt die eigentliche Gefahr. Denken wir doch nur an das Erlebnis derer, die in Konzentrationslagern jahrelang misshandelt wurden. Rückschauend sahen es manche von ihnen als die eigentliche Not und Gefahr jener grausigen Leiden an, dass nicht nur herzlose Wächter einen drangsalierten, sondern dass man selber sein Herz zu verlieren drohte, indem man vor Hass erstarrte oder sich in verzweifelter Abwehr nun selber das Seine rücksichtslos zu erraffen suchte. Jeder — wir sagten es schon — der im Leben beeinträchtigt wurde, den man beraubt hat, z. B. seiner Heimat beraubt hat, kann — ja, lassen Sie es mich so hart ausdrücken — selber zum Räuber werden. Der ungeliebte, der ungeborgene Mensch, der, dessen Herz nirgendwo zu Hause ist, er kann zum Freibeuter des Lebens werden.

 

Krass, viel zu krass male ich Ihnen dieses Bild. Und ich denke dabei auch gar nicht an Sie persönlich, der Sie diesen Brief empfangen. Aber rechts und links von Ihnen und oftmals gar nicht so weit entfernt, da leben andere, denen aus der bitteren Wurzel der Heimatlosigkeit die giftige Frucht eines falschen, freibeuterischen Begehrens zuwachsen könnte, sei es im Hinblick auf das andere Geschlecht oder in Bezug auf das Geldverdienen, das Geldgewinnen um jeden Preis oder irgendein betäubendes Vergnügen. Vielleicht dass sogar politische Leidenschaften daraus erwachsen können, die uns eines Tages wiederum ins wilde, scheiternde Abenteuer hineintreiben. Die Not, Vertriebene zu sein, soll uns nicht dahin treiben, dass wir uns selbst verlieren und willkürlich dahinleben.

 

Es gibt heut nicht viele Menschen, die in der Tiefe ihres Herzens noch glücklich sind. Unter Vertriebenen wie unter Einheimischen. Und wie sollten sie auch? Denn wo gibt es etwas, das sie wirklich ausfüllen könnte, auch über den flüchtigen Augenblick hinaus? Wo gibt es Menschen, die einem wahrhaft etwas bedeuten? Und zwar mehr als nur — vielleicht gute Arbeitskameraden oder Leute, mit denen man sich hier und da einlässt? Wo sind Häuser, in denen man wirklich noch zu Hause sein kann, in denen man sich aufgehoben fühlt, in denen man Freude erfährt und auch Freude bereiten kann? Wo sind die Gleichaltrigen, mit denen der Umgang lohnt?

 

Sie hätten mir, führten wir jetzt ein Gespräch darüber, sicher mancherlei entgegenzuhalten. Und niemand wäre froher als ich, wenn Sie mich widerlegen könnten und ich eben Unrecht hätte. Vielleicht war meine leise Mahnung ganz überflüssig, und Ihnen persönlich droht die Gefahr gar nicht, von der ich sprach, die Gefahr nämlich — lassen Sie es mich wiederholen, dass wir, fortgeweht von unserer Heimat, nur noch wie losgerissene Blätter existieren, dass wir den Halt, die Mitte, die innere Mitte unseres Daseins verlieren und nur noch im Flüchtigen dahinleben, im Kampf um die nackte Selbstbehauptung aufgehen, blind nach Erfolg jagen oder im Vergnügen untertauchen. Weithin ist dies das Los, das oftmals selbstgewählte Los des modernen Menschen: auf eine tief innere Weise heimatlos zu sein.

 

Wer jung ist, traut sich mit Recht etwas zu. Er meint, seiner selbst noch sicher zu sein, sich in der Hand zu haben und auch andere noch rechtzeitig in ihre Schranken weisen zu können. Indessen fehlt uns heute der bergende Schutz der Sitte, der guten Gewohnheit. Es fehlt der Halt in Familie und Nachbarschaft, zumal unter uns, die wie wir so weithin verstreut worden sind. Und wenn nun unser Leben, bei manchem äußeren Mangel, auch innerlich nicht ganz ausgefüllt ist, wenn uns bisweilen die Leere, die Langeweile überkommt — wie leicht geschieht es, dass wir Mittelpunkt und bewundert sein wollen, dass wir nur noch das „Interessante“ suchen, Wirkungen erzielen wollen und dabei —auf eine tief innere Weise unwirksam werden. Die Gefahr der Verzettelung, der Mittelpunktlosigkeit oder wie immer Sie es nennen wollen, sie droht uns allen, Älteren wie Jüngeren. Und deshalb geht es darum, die innere Heimatlosigkeit zu überwinden.

 

Hierüber wollte ich Sie bitten, einmal nachzudenken. Wie gewinnt der Mensch — ob vertrieben oder nicht — wahrhaft Heimat? Heimat vielleicht im Herzen eines anderen? Oder in einer Gemeinschaft?

 

Heimat in diesem Sinne wird nur finden, wer selber Heimat — gibt, in wessen Herz also wahrhaft Raum ist für einen anderen. Und um dies zu lernen und zu üben, braucht man durchaus nicht mit allerlei Gütern begabt zu sein.

 

Der eine nämlich, der dieser ganzen vergehenden und geängstigten Welt wahrhaft Heimat bereitet hat, der besaß nichts. Der hatte — von der Krippe bis zum Kreuz — nicht, da er sein Haupt niederlegen konnte.

 

Und damit möchte ich schließen. Wir sind hier auf dieser Erde nicht zu Hause, das steht fest. Einmal müssen wir alle und endgültig Abschied nehmen. Und dennoch leben wir nicht wie Vagabunden. Wir suchen Heimat. Wo und wie — darüber sprechen Sie vielleicht einmal mit Menschen, die Ihnen näher stehen als ich. Es gibt bestimmt solche, die Ihres Vertrauens wert sind. Und sollten Sie wirklich niemanden finden, so denken Sie an den großen Heimatlosen, der gleichwohl hinging, uns die Stätte, uns die ewige Heimat zu bereiten.

 

Und also behalten Sie Ihren guten Mut. Das Leben fängt ja erst an. Aber es entscheider sich an diesem Anfang schon so viel (oft ganz unmerklich), und ich möchte es Ihnen so herzlich wünschen, dass Sie zu einem reichen und wahrhaft erfüllten Dasein kommen und auf diese Weise Heimat finden — auch hier in der Fremde.

 

 

 

Seite 4   Ostpreußische Fastnacht

„fiert man op em Land Fastloawend,

Geit et hoch bim Bure her.

Schwienskopp gölt et denn to Möddag,

Schwarte Kielke hinderher.

On öm Fack, da ward geschockelt;

An em Balke hängt de Sääl,

On de Junges on Mergelles

Schupse söck on kriesche vääl“.

 

So beschreibt in der samländischen Mundart Dr. Karl Bink die Fastnacht seiner engeren Heimat. Am Fastenmittwoch gab es geräucherten Schweinekopf nebst Bratwurst mit „Kumst“ zum Mittagessen, als Nachspeise „schwarze Keilchen“ (Schwazsauer) und zum Nachmittagskaffee gewöhnlich Mohnkuchen. Am Nachmittag ergötzte man sich am Schaukeln in aufgehängten Pferdesielen oder in Stricken, zwischen denen unten ein einfacher Sitz aus einem Brett hergestellt war.

 

Am nächsten Tage folgte das „Biegelfest“. Unter Musikbegleitung zogen alle Knechte von Haus zu Haus und legten der Hausfrau, den Töchtern und Mägden der Reihe nach ein mit bunten Bändern, Linten und Tüchern umwickeltes Tonnenband, den sogenannten Biegel (Bügel) um Kopf und Arme. Einer von den Knechten hob dann die gebiegelte Person heraus und tanzte mit ihr. Dafür gab es Eier und Speck, woraus am Abend im Kruge ein Eierkuchen gebacken wurde, während die Mägde sich zum Tanz einfanden.

 

Im Natang'schen war es etwas anders, der Bügelmeister zog, die Tänzer einladend, durchs Dorf in den Krug. Um 12 Uhr schwang er den Bügel über jedes sich im „Schwefeltanz“ drehende Mädchen, während dessen Tänzer es aus dem Bügel hob, eine Geschicklichkeit, die gutes bedeutete. Wer sich nicht bügeln ließ, dessen Flachs geriet im nächstfolgenden Sommer nicht.

 

Die Natangerin Erminia von Olfers-Batocki hat in ihrer heimischen Mundart solches Brauchtum besungen:

 

„To Fasteldanz! To Fastelbeer!

De Kinner renne hinderher,

De Hundkes knurr' un belle!

Nu ewre Brigg, un inne Krog!

Wer danze well, de kann jenog

Im Schwelelschrett aeck drelle“.

 

In verschiedenen Gegenden des Ermlandes taten sich die Lehrbuben der Handwerker zusammen und traten als Fastnachtsnarren auf mit folgenden Versen:

 

„Guten Tag, guten Tag zum Fastnachtsleben,

der Meister soll mir auch was geben,

wir treten zu der Tür herein,

die Fastnacht soll geleiert sein,

Bomben, Kugeln und Granaten,

Bayrisch Bier und Schweinebraten,

Deutsche Rüben und Leberwurst,

Sackerment, ich habe Durst.

Wenn das meine Mutter wüsste,

wie mir's in der Fremde geht,

Schuh und Strümpfe sind zerrissen,

durch die Hosen pfeift der Wind.

Im Nadrau'schen und weiter nördlich zogen

die gabeerheischenden Personen von Haus

zu Haus und sangen:

 

„Wir kommen herein getreten,

Loop an den Linge!

Mit Singen und mit Beten,

Loop an de Linge!

De Strußklangs klinge,

De Föschkes springe,

De Dannekinder singe,

Wo öß denn den Käke?

Loop an de Linge!

Wi wölle möt ehr spräke,

Loop an de Linge!

 

De Käke steit am Füerheerd,

Se öß ok keine Grosche weert.

On schrobbt dat ganze Hus entlang.

Dort ön jennem Winke!

Doa hängt e fetter Schinke.

Dort op jennem Nagel,

Doa hängt e letter Toagel.

Dort ön jennem koppre Topp,

Doa öß e goder Schwienskopp.

Loat ons nich lang Iure,

Dat Beer ward ons versure.

Loat ons nich lang stoahne,

Wi motte wieder goahne.

Loat ons nich lang wachte,

Wi motte hier verschmachte.

Oeck stoah op enem Löllgeblatt,

De Feetkes ware ons ömmer matt.

De Schettel hefft e goldne Rand,

De Herrschaft hefft e milde Hand“.

 

Diese Verse hat auch Frischbier in den „Preußischen Volksreimen und Volksspielen angeführt.

 

In verschiedenen Bezirken des Memeldeltas wurde die Fastnacht in symbolischer Handlung durch Ausgrabung zutage gefördert. Junge Burschen versteckten oder vergruben am Abend vor der eigentlichen Fastnachtsfeier eine Flasche mit „Meschkines“ (Bärenfang) gefüllt. Am Festtage zogen die dann mit Musik, die gewöhnlich durch eine Handharmonika ausgeführt wurde, hinaus und suchten sie. Nach der Auffindung wurde die „Buddel“ an eine Stange gesteckt und zum Festorte geführt, wo sie dann geleert wurde.

 

Die masurischen Landstriche hatten ehedem gemeinschaftliche Spinnstuben und diese taten sich auch zu gemeinsamer Fastnachtsfeier zusammen.

 

Jedenfalls war die Fastnacht in der alten Heimat immer ein Fest fröhlichen Zusammenseins in der Hoffnung auf die baldige Einkehr des Frühlings. Hermann Bink  

 

 

 

Seite 4   To Hus weer alles hippscher… Von Elli Treinies-Krogh.

De Winter dä weer killer

datt knackd furts enne Beera ...

Mie riebde moal de Ogkis to

wie eck ute Scholke keem ...

 

De Sommer dä weer heeter,

du jäschd man so no Lofft ...

De Blomkis bleejde bunter

un hade bessre Dofft ...

 

De Mäkis weere weeker

un weere nich so denn ...

Se droge witte Deeker

un Grufkis anne Kenn ...

 

De Sonnke dä weer blanker,

De Himmelke spreejeld sich ...

Achott, achott mien Trutster,

watt eß ... du grienst doch nich ...?

 

 

Seite 4   Zu Hause hatte ich einen Hund. Von Elly Treinies-Krogh.

Manchmal steh ich vor dem Zwinger der herrenlosen Hunde und schau mir die verlassenen vierbeinigen Gesellen an. Wenn einmal einer darunter wäre, der dem gliche, den ich zu Hause hatte, dann würde ich ihn kaufen. Ich wäre dann nicht so alleine in der fremden Stadt. Aber welcher Hund gliche Stropp, dem geliebten? Keiner ist wie er. Wir hatten ihn natürlich auf der Flucht mitgenommen, denn wie hätten wir Stropp verlassen können. Aber als wir über das Eis des Haffes liefen und beschossen wurden, war er mit einmal fort. Wir haben lange gerufen und gepfiffen und gesucht, aber Stropp hat sich nicht wieder angefunden. Er war kein Rassehund. Ich liebe gar nicht so sehr die überzüchteten, feinen Rassehunde mit ellenlangem Stammbaum und adligen Namen. Ich liebe solche wie Stropp. In ihm waren alle Rassen vereint. Er hatte die Wachsamkeit und Klugheit eines Schäferhundes, die Anhänglichkeit eines Pudels und das Verschmitzte eines Terriers. Wir liebten ihn zärtlich und er liebte uns. Die Liebe war auf beiden Seiten voller Verständnis für einander. Ein Nachbar behauptete allerdings, Stropp ist gar kein Hund, der ist schon mehr ein Köter. Nun, Hund oder Köter, für uns war er der Klügste und Beste.

 

War einer von uns traurig, dann rührte er kein Futter an und weinte und schlich mit hängenden Ohren durchs Haus. Wir mussten schon um seinetwillen wieder fröhlich werden. War unser Herz wieder leicht, so war er sogleich wieder vergnügt und lachte mit uns.

 

Ja wahrhaftig, er konnte lachen. Dieses Hundelachen löste wieder bei uns Gelächter aus und dann freute sich Stropp so sehr, dass er sich in den Schwanz beißen musste, um seiner Freude Herr zu werden. Er hatte Freundschaften und Abneigungen unter den Menschen. Aber er bestimmte, wer sein Freund sein durfte und wen er nicht leiden mochte. Meistens stimmten seine Freundschaften mit unseren überein. Gegen Uniformträger hatte er eine angeborene Abneigung; aber auch da machte er Unterschiede. Den Gemeindediener, der nur blanke Knöpfe und eine steife Mütze hatte, knurrte er verächtlich an. Schlimmer war es schon mit dem Briefträger. Nur unser tägliches Ermahnen hielt ihn davon ab, nach des Briefträgers blankgeputzten Ledergamaschen zu schnappen. Aber schier unüberwindlich war seine Abneigung gegen jeden Gendarm. Und da er kläffte und zeterte, sobald nur ein Tschako in der Ferne auftauchte, so hatten auch die Polizisten nicht viel mit ihm im Sinn.

 

Aber eines Tages wurde das alles anders. Das war, als ein neuer Gendarm, ein Tierfreund und Hundenarr, in unserem Revier Dienst tat. Stropp verbellte ihn wie ein Wilder und seine Rückenhaare sträubten sich vor Wut. Aber der neue Gendarm trat nicht nach ihm und warf nicht nach

ihm. Er sah ihn nur freundlich an und sagte: Was Du für hübsche Augen hast, Du kleiner Luntruß und ging gemächlich weiter. Sagte ich schon, dass Stropp jedes Wort verstand? Hübsche Augen … hübsche Augen … jappte er, als er außer Atem in den Hof lief. Anderntags ging der Gendarm wieder vorbei und Stropp bellte in höchster Aufregung. „Du magst doch einen gebratenen Wurstzipfel gerne?“ fragte der Gendarm im gemütlichen Vorbeischlendern. „Ich lass ihn hier fallen, nimm ihn nachher, wenn ich fort bin … Wenn Du auch klein bist, so hast Du doch ein großes Ehrgefühl …“ Stropp nahm den gebratenen Wurstzipfel und glubte mit einem Auge, ob wir es auch sahen. Auch am Tage danach verbellte Stropp den Gendarm. Es war gar kein zorniges Bellen mehr, aber bellen musste er. „Ich verstehe, sagte der Gendarm, Du musst bellen, das bist Du Deinem Ansehen schuldig … „Nimm nachher den Markknochen, den ich hier im Grase fallen lasse“. „Du bist der sonderbarste Gendarm, der mir begegnet ist“ knurrte Stropp und nahm den Knochen. So ging es noch einige Tage. Stropp schwankte zwischen Zuneigung und Abneigung. Es hätte alles längst zum Besten stehen können, wenn es sich nicht um einen Gendarm gehandelt hätte. Ärgster Feind seit eh und jeh wollte und sollte nun zum Freunde werden? Außerdem standen wir hinter der Gardine; vor uns konnte Stropp doch nicht nachgeben. Aber er hätte nicht seinen hellen Verstand haben müssen, seine List und Verschmitztheit. Er wusste einen Ausweg. Er lief dem Gendarm bis zur Ecke entgegen, wo wir ihn nicht sehen konnten. Da bückte sich der Gendarm und kraulte ihm hinter dem Ohr. „Was Du für einen guten Geruch an Dir hast“ knurrte Stropp, „meiner Treu, keines Menschen Hände haben mir so wohl getan wie Deine …“ Der Gendarm hatte zu Hause eine Hundedame und dieser Geruch war es, der Stropp so entzückte, „meine Leute stehen hinter der Gardine, Du verstehst wohl, dass ich hier auf Dich warte …?“

 

„Ach, vollkommen verstehe ich das, Stropp! Ich war in meinem Leben niemals ohne Hund und habe mit allen, gute Freundschaft gehalten. Das Beste wäre, auch wir schlössen Freundschaft miteinander“. …“Ja, wenn Du kein Gendarm wärs“, wehrte sich Stropp. „Ach sieh nicht auf die Uniform“, sagte der Polizist. „Die Uniform ist wie ein Halsband, das Dir die Menschen anlegen. Auf das Herz kommt es an. Ob ich nun eine Uniform trage oder nicht, es ist dasselbe, ob Du ein Halsband aus Leder hast oder nur eine alte Schnur. Ich könnte Dich immer leiden“.

 

Da gab Stropp endlich nach und schloss dicke Freundschaft mit dem Gendarm. Es war ihm noch einige Tage peinlich vor uns, aber wir machten es ihm leicht und spotteten nicht darüber.

 

Als wir die Vorbereitungen zur Flucht treffen mussten, merkte er unsere Angst und Unruhe, und wurde gereizt und böse. Er fraß nicht und wich nicht einen Augenblick von unserer Seite. Wir waren so voll von unseren Sorgen, dass wir seine Not nicht merkten und wir hatten keine Zeit für ein freundliches Wort, das ihn unendlich getröstet hätte in all der Wirrnis …

 

Nun hab ich viel zu viel Zeit. Mir fallen viele Kosenamen ein: Trautsterchen . . . Besterchen . . . Duche. Aber er ist nicht da . . . Niemand ist da . . . Die Koseworte brennen mir im Herzen; ich hätte sie gerne irgendwem irgendwann gesagt.

 

 

 

Seite 4   Sie wandern stumm. Von Ursula Enseleit-Riel.

Sie brechen auf und fragen nicht warum.

Noch eine Handvoll Erde zum Geleit

Und Glockenläuten. Und das Wanderkleid

Zum letzten Mal geschmiegt an Hauses Wand

Und noch einmal die Hand ...

Dann schneller Schritt.

Ein Augenpaar voll Licht geht immer mit.

Sie wandern stumm.

 

 

 

Seite 4   Napoleon und der kluge Bürgermeister von Bartenstein. Von J. K. Beckmann.

Man schrieb das Jahr 1806. Preußen war in schwerer Not. Nachdem seine Armee bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen war, befanden sich ihre Trümmer auf dem Rückzug gen Osten, um sich dort mit den Russen zu verbünden. Napoleon rückte nach, fiel in Ostpreußen ein, und die durchmarschierenden Franzosen verhängten oft unnachsichtlich Kriegskontributionen.

 

Auch das Städtchen Bartenstein fühlte sich von dieser Gefahr bedroht. Voller Unruhe durchwanderte der Bürgermeister dort in tiefem Nachdenken sein Amtszimmer. Unablässig überlegte er. — Sicheren Nachrichten zufolge sollte bereits am nächsten Tage der Kaiser auf seinem Vormarsch die Stadt berühren. Sollte er dem Beispiel eines Ortes folgen, von dem erzählt wurde, dass er von Zahlungen verschont geblieben sei, weil seine Einwohner dem Korsen voll geheuchelter Begeisterung gehuldigt hätten? Sein aufrechter Sinn sträubte sich gegen solches Unterfangen. Andererseits erfüllten ihn Schrecken, wenn er daran dachte, dass der winzige Inhalt der Magistratskasse und die schwindsüchtigen Beutel seiner Bürger um die letzten paar Taler geplündert werden könnten. Hilflos zuckte er die Achseln. Es half kein Zaudern, der Versuch musste gemacht werden.

 

Noch spät am Abend befahl er der Bürgerschaft, sich vor dem Rathaus zu versammeln. Kurz erklärte er die Lage und machte den Vorschlag, einer nachhaltigeren Wirkung wegen, den Kaiser Französisch zu begrüßen. Das hatte nun allerdings seine Schwierigkeiten, weil außer dem Stadtoberhaupt niemand eines Wortes dieser Sprache mächtig war.

 

„Schader nichts“, meinte der pfiffige Stadtgewaltige. „Wir üben das eben ein bisschen. Ich spreche euch vor, und ihr müsst wiederholen. Passt mal auf! Wir rufen: Vive le grand Empereur Napoleon! Das bedeutet: Es lebe der große Kaiser Napoleon!“

 

Aber schon nach der ersten Probe wurde dem guten Bürgermeister klar, dass bestimmt kein Franzose aus diesem mörderischen Kriegsgeschrei auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit den von ihm so dringend erstrebten Worten heraushören würde. Im Gegenteil konnte ein derart grausiger Tumult zu gefährlichen Missverständnissen führen. Weit entfernt aber, sein Vorhaben als aussichtslos aufzugeben, kam ihm nach einigem Nachdenken der erlösende Gedanke.

 

„Nee, Kinner“, rief er den Braven in ihrem gemütlichen Plattdeutsch zu. „Passt man nochmal good opp, so geiht dat nich! Wie motten dat mal annerschrüm probieren! — Ju seggt doch auf 'ne alte Frau „ohl Wiew“, nicht wahr?“ „Joa“, riefen da alle lachend im Chor, „dat is wat anners, dat verstoahne wie!“

 

„Skat spielen tut ihr doch auch alle, wie?“ „Jawoll, Herr Burgemeester!“

 

„Wenn Ihr nun vier Buben und vier Asse in der Hand habt, was spielt ihr dann?“ „Grang, Herr Burgemeester, mischt wie Grang!“

 

„Gut. Also ohl Wiew und Grang haben wir. Nun kommt das dritte, das ist etwas schwerer, aber ihr werder das auch begreifen. Ihr kennt doch die neumodischen Petroleumlampen mit den Glaszylindern auf den Brennern. Ick segg jetzt nich Zylinder, oock nich Glasrohr, ick segg to dat Ding einfach „Lamperöhr“. Wenn ihr also diese drei Sachen ruft: „Wiew“ „Grand“ und „Lamperöhr“ und noch Napolejum hinterdrein, dann ist das so gut wie Französisch, und wenn wir dann noch Glück haben, kommen wir ohne Kriegsabgaben weg. Also dann bis morgen macht eure Sache gut!“

 

Der große Tag brach an. Der Bürgermeister hatte reitende Boten auf der Straße nach Heilsberg ausgesandt, die den Auftrag hatten, das Nahen des hohen Besuches rechtzeitig zu melden. Trotz empfindlicher Kälte standen die Männer vor den Haustüren, während die Frauen und Kinder in den Stuben hinter den mit Eisblumen geschmückten Fensterscheiben hockten und sich mühten, durch emsiges Pusten Gucklöcher für die Beobachtung des Kommenden freizuhalten. Stunden vergingen in ungeduldigem Warten. Da, endlich, kurz vor Mittag, war es soweit Im Galopp kamen die Melder über das Pflaster zum Rathaus gesprengt.

 

„Hei kömmt! — Hei kömmt! Glieks is hei vor dem Door!“

 

Kurz darauf schoben sich durch den engen Torbogen des Heilsberger Tores einige Kutschen Chasseurs zu Pferde folgten. Ein paar Ungeduldige wollten bereits mit Rufen beginnen, doch der Bürgermeister, der inzwischen mit den Ratsherren am Tor Aufstellung genommen hatte, winkte energisch ab.

 

Eine Equipage, von vier edlen Rossen gezogen, folgt. Das Verdeck ist herabgeschlagen. Langsam biegt sie in den Markt ein. Zwei Herren sitzen in den Kissen des Wagens, ein großer, schlanker Offizier in prächtiger Uniform mit Schnurr- und Knebelbart und rechts von ihm in unscheinbarer Kleidung ein mittelgroßer Mann mit Dreispitz. In seinem glattrasierten Gesicht leuchtet ein Augenpaar, dessen durchdringender Blick auf den mit abgezogenen Hüten am Wagenschlag stehenden Stadtvätern ruht, währenddessen sich ein brodelnder Menschenhaufe um das Gefährt schart.

 

Der Bürgermeister spricht in holperndem Französisch ein paar Worte der Begrüßung und ender in dem Ausruf: „Vive l'Empereur!“ Doch dann ist kein Halten mehr. Von allen Seiten stürmen sie näher und rufen, rufen, rufen. Der Kaiser greift unwillkürlich nach dem Pistolenhalfter, aber gleich darauf lässt er die Hand wieder sinken. Die Gesichter der Leute scheinen ihm nicht feindlich. Wenn er nur wüsste, was diese Rufe zu bedeuten haben?

 

„Ohl Wiew!!! Ohl Wiew!!! Speelst do ook Grang? Du Lamperöhr, ohl Lamperöhr Napolijum!!“ So wirbelt, schrillt, gröhlt und brüllt es durcheinander. Der Kaiser winkt dem Bürgermeister, lässt erneut halten.

 

„Qu'est ce que cela, Monsieur?“ fragt er in offensichtlichem Erstaunen. Der Bürgermeister antwortet.

 

„Eine Ovation, Sire! — Das Volk ist begeistert! — Sie rufen: Vive le grand Empereur Napoleon!“

 

Und jetzt, nachdem es ihm gesagt ist, hört Napoleon wirklich hier und da ein Wort von dem, was der Bürgermeister eben erklärte. Lächelnd lehnt er sich in die Polster zurück und spricht zu dem neben ihm sitzenden General einige Worte. Aber auch der Bürgermeister hat die Worte verstanden und weiß, dass er durch seinen klugen Einfall, wie es seine Absicht war, die Stadt gerettet hat.

 

Wieder setzt sich das Gefährt in Bewegung, und freundlich grüßend fährt der Kaiser in langsamem Schritt über das zu damaligen Zeiten recht holprige Straßenpflaster dem Stadtausgang zu zur Straße nach Preußisch-Eylau, wo die französische Armee am 8. Februar empfindlich geschlagen wurde.

 

Noch lange Zeit später aber war „Du Lamperöhr!“ in jener Gegend ein gern und häufig gebrauchtes Schimpfwort.

 

 

Seite 4   Bertelsmann gründere Lexikon-Auskunftsdienst.

10 Jahre lang Auskünfte von A bis Z für die Käufer des Bertelsmann-Lexikons.

 

Einen Lexikon-Auskunftsdienst, der jedem Besitzer des vierbändigen Bertelsmann-Lexikons auf die Dauer von 10 Jahren zur Beantwortung von Anfragen zur Verfügung steht, hat der Verlag C. Bertelsmann in Gütersloh dieser Tage gegründer.

 

„Keine Frage ohne Antwort!“ heißt die Devise des Bertelsmann-Lexikons, dessen vierter Band am 1. April erscheinen wird. Die vier Bände des Werkes umfassen rund 100 000 Stichwörter aus allen Wissens- und Lebensgebieten. Aber auch das größte Lexikon ist begrenzt in seinem Umfang und in der Auswahl der Stichwörter. Um jeden Käufer des Werkes über jedes Gebiet so genau zu informieren, wie er es wünscht, um hochaktuelle Ereignisse, die erst nach Erscheinen des Lexikons eintreten, berücksichtigen oder im Lexikon nicht behandelte Spezialthemen oder praktische Fragen beantworten zu können, wurde der Lexikon-Auskunftsdienst des Bertelsmann-Verlages ins Leben gerufen.

 

 

Von der Archäologie bis zur Zoologie, von den Einzelheiten über die arabische Alchemie bis zu den Zutaten für eine Bouillabaisse oder einen fotografischen Entwickler, vom Ratschlag für richtiges Benehmen in einer bestimmten Lebenslage bis u den Waffen der Steinzeitmenschen wird der Auskunftsdienst alle Anfragen eingehend beantworten. Literaturangaben, auch von ausländischen Quellen, für alle Gebiete der Wissenschaft werden von den Spezialisten des Auskunftsdienstes ebenso bearbeitet wie Unterlagen für Reden und Artikel oder Materialsammlungen für Schulaufsätze.

 

Diese im deutschen Lexikonwesen einmalige Neuerung bietet jedem Besitzer des Bertelsmann-Lexikons die Möglichkeit, sich jederzeit über die jüngsten Ereignisse und den neuesten Stand des Wissens zu unterrichten. Sein Lexikon kann also auch nach Jahren nicht veralten, es bleibt immer aktuell.

 

 

 

Seite 5   Eltern suchen ihre Kinder

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer Ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg – Osdorf, Blumkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939, Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

 

Gesucht werden aus:

 

Allenstein, ehemalige Adolf-Hitler-Straße 6: Horst Thurann, geb. 12.02.1934. und Renate Thurann,  geb. 31.10.1938 in Leegebruch bei Berlin, von ihrer Großmutter Gertrud Thurann, geborene Klaus.

 

Braunsberg, Königsberger Str. 62: Waltraut Manthey, geb. 24.07.1937, und Rosemarie Manthey, geb. 03.10.1941. von ihrem Onkel: Adolf Manthey. Die Kinder wurden zuletzt mit ihrer Mutter in Stutthof gesehen. Sie werden vermutlich von dort die Flucht mit einem Schiff fortgesetzt haben.

 

Budwethen, Kr. Tilsit: Brigitte Baumgart, geb. 09.08.1937. und Doris Maier, geb. 10.09.1940 in Tilsit, von ihrer Mutter: Eva Maier, geborene Baumgart, geb. 19.11. 1913.

 

Canditten-Schatzberg, Kr. Preußisch-Eylau: Bruno Sohn, geb. 28.04.1936 in Canditten-Schatzberg, von seinen Eltern: Franz Sohn und Helene Sohn.

 

Friedrichswalde, Kr. Samland: Christel Kallweit, geb. im Oktober 1938, und Erwin Kallweit, geb. im Juli 1941, von ihrer Tante: Frieda Knöfler.

 

Gallingen, Kr. Bartenstein: die Geschwister Ilse Schulz, geb. 23.03.1935 in Gallingen, Reinhold Schulz, geb. 12.02.1937 in Gallingen, und Helmut Schulz, geb. 21.09.1938 in Bartenstein, von ihrer Tante: Amanda Gottschalk, geborene Schulz, geb. 04.09.1902.

 

Gamsau, bei Legden, Kr. Samland: Erika Bierkandt, geb. 02.01.1935. und Günther Bierkandt, geb. 03.03.1940 in Gamsau, von ihrer Tante: Margarete Padlowski, geborene Bierkandt. Die Mutter. Helene Bierkandt, soll auf der Flucht verstorben sein.

 

Glommen, Kr. Preußisch-Eylau: Hannelore Welz, geb. 19.04.1940 in Glommen, von ihrer Schwester: Erika Welz, geb. 14.08.1941.

 

Habichtswalde, Kr. Labiau: Manfred Gennat, geb im Februar 1939 in Habichtswalde, von seiner Tante: Luise Hasler, geborene Gennat. Manfred Gennat soll mit seiner Großmutter Amalie Runge, geborene Flügel, nach Litauen gegangen sein.

 

Königsberg, Altroßgärtner Kirchenstr. 10 - 11: Sabine Krause, geb. 24.0.1941 in Königsberg, von ihrem Vater: Franz Krause.

 

Königsberg, Juditter Allee 59 - 61: Günther Herzigkeit, geb. 06.09.1936 in Königsberg von seinem Vater: Franz Herzigkeit, geb. 25.03.1904. Günther wurde zuletzt im Internierungslager Brackupöhnen bei Gumbinnen gesehen.

 

Königsberg, Hans-Sagan-Straße 96: Günther Zachrau, geb. 01.09.1936, von seiner Mutter: Martha Zachrau, geborene Kaschub. Günther ging zusammen mit dem Kind Vera Beyer nach Litauen. Er wurde im Herbst 1947 in Schaulen (Litauen) gesehen.

 

Memel, Otto-Böttcher-Str. 20: Irmtraut Schimkat, geb. 22.03.1933. von ihrer Mutter: Grete Schimkat, geb 26.04.1914. Irmtraut Schimkat kam im August 1944 nach Danzig in ein Krankenhaus.

 

Nassenfelde, Kr. Elchniederung: Edeltraut Pubsatzkies, geb. 16.02.1934 in Seckenburg. Edeltraut geriet mit ihrer Pflegemutter Lucie Friedritz am 2. Februar 1945 in Gefangenschaft und wurde am 6. März 1945 in Obelitten bei Königsberg von ihrer Pflegemutter getrennt.

 

Neu-Mickelnick, Kr. Rastenburg: Anneliese Reck, geb. 29.10.1941 in Neu-Mickelnick, von ihrem Vater: Rudolf Reck, geb. 20.10.1909. Anneliese wurde am 27.01.1945 in Neu-Mickelnick von ihrer Mutter getrennt. Vermutlich hat der Großvater, Gustav Anker, sich des Kindes angenommen.

 

Nonnenhausen bei Zinten, Kr. Heiligenbeil. Fritz Bergien, geb. 11.02.1939 in Groß-Rosersdorf, von seinem Vater: Friedrich Bergien. Fritz Bergien wurde auf der Flucht am 17. Februar 1945 auf dem Haff verwunder und in das Kriegslazarett  Heiligenbeil eingeliefert.

 

Ober-Alkehnen, Kr. Samland: Helmut Schwarz, geb. etwa 1937, von seinem Bruder: Karl Schwarz, geb. 27.12.1922.

 

Schirwindt, Kr. Schloßberg. Bergstr. 11: Elfriede Neumann, geb. 25.09.1936 in Schirwindt, von Ida Schwitzer, geborene Kairat.

 

Sonnenborn, Kr. Mohrungen: Elisabeth Reißner, geb. 18.05.1943 und die Brüder Hans-Joachim Reißner und Peter-Werne Reißner, von ihrer Tante: Anna-Luise Thiel, geb. Reißner.

 

Trentitten, Kr. Samland; Gisela Gösch, geb. 25.06.1934 und Fritz Gösch, geb. 15.07.1935 in Trentitten, von ihrem Vater: Walter Gösch, geb. 09.07.1909

 

Wiedenau, Kr. Gerdauen: Fredi Schemmerling, geb 18.12.1938 und Arno Schemmerling,  geb. 02.02.1940 in Wiedenau, von ihrer Mutter: Ella Grün, verwitwete Schemmerling, geb. 26.08.1912.

 

Wizajny, Kr. Sudauen: Silvia-Franziska Himmler, geb. etwa 1939 in Riga, und Heinz-Peter Himmler, geb. etwa 1942 in Heilbronn, von ihrem Bruder: Egon Himmler, geb. 28.07.1927.

 

In einem besonderen Nachforschungsfall wird eine Frau Marta Nowakowska, welche sich auch Else oder Marta Lenzner, nannte, aus Mielau (Südostpreußen) gesucht. Sie hat vermutlich in Mielau, Neidenburger Str. 33 oder Langenstraße 16, gewohnt.

 

Adelshof, Kr. Tilsit-Ragnit: Peter Kröhnert, geb. 06.06.1941 in Adelshof, von seinem Vater: Otto Kröhnert, geb. 25.01.1899 Peter befand sich im Dezember 1944 in Heinrikau, Kreis Braunsberg.

 

Agern, Kreis Tilsit-Ragnit: Helmut Guddat, geb. 17.07.1933 in Schillen, von seiner Mutter: Gertrud Guddat, geborene Rundrus, geb. 13.04.1912. Helmut ist im Herbst 1947 nach Litauen gegangen.

 

Augirren, Kr. Tilsit-Ragnit: Gerhard Schimmelpfennig, geb. 14.08.1938, von Paula Schimmelpfennig, geborene Gaigalat, geb. 01.09.1920

 

Berneiten, Kr. Tilsit; Hildegard Girrulat, geb. 05.04.1936 in Neuhof, von ihrem Vater: Artur Girrulat, geb. 07.01.1909. 

 

Eistrawischben, Kr. Tilsit: Brunhilde Dilba, geb. 22.05.1936. und Brigitta Dilba. Geb. 14.05.1944 von ihrer Mutter: Meta Dilba, geborene Saurin, geb. 02.02.1907.

 

Götzendorf, Kr. Wehlau. Waisenhaus: Hans Panzer, geb. 20.05.1940 in Königberg, von seiner Mutter: Erna Hawacker, geborene Panzer, geb. 15.12.1917.

 

Haselberg. Krei Schloßberg, Schillfelderstr. 1: Albert Schwarz, geb. 05.02.1934 und Gerda Schwarz, geb. 10.05.1938 in Haselberg, von ihrer Schwester: Lydia Schwarz, , geb. 16.04.1923.

 

Hüttenfelde, Kr. Tilsit, bei Albert Frank: Ursula Berger, geb. 21.04.1933 in Waldau, von ihrem Vater: Otto Berger, geb. 27.09.1906.

 

Insterbrück, Kr. Tilsit-Ragnit: Renate Mayer, geb. 20.08.1943 in Insterbrück, von ihrem Vater: Fritz Meyer, geb. 07. 05.1893.

 

Insterburg-Espendamm, Boelckestraße: die Zwillinge Doris Lange und Christel Lange, geb. 24.12.1940, von ihren Großmüttern: Marie Lange und Luise Dannies. Die Kinder sollen sich in Stolp (Pommern) aufgehalten haben.

 

Königsberg: Karin-Roswitha Bressem, geb. 25.04.1943 in Königsberg, von ihrer Großmutter: Frau Keiluweit. Das Kind flüchtete mit seiner Mutter, Elli Bressem, geborene Keiluweit, aus Königsberg. Der Zug wurde beschossen, wobei die Mutter ums Leben kam. Karin soll dann von einem Bekannten der Kindesmutter, einem Otto Anton, Hermann, einer Roten-Kreuzschwester übergeben worden sein, die es mit nach Westdeutschland nehmen wollte. Welche DRK-Schwester erinnert sich an den Vorfall und nahm sich des Kindes an?

 

Langengrund, Kr. Sensburg: Helmut Quandt, geb. 09.12.1937 in Georgenthal, von seiner Mutter: Anna Quandt, geborene Segler, geb. 28.12.1898.

 

Groß-Lemkendorf, Kr. Allenstein, bei Familie Sonneck oder Sonnwald: Karin Neumann, geb. 09.04.1942 in Berlin-Neukölln, von Gertrud Neumann, geborene Schulz, geb. 09.12.1922.

 

Nalegau, Post Taplacken: Horst Schalko, geb. 29.03.1934, von seinem Vater: Ernst Schalko, geb. 01.12.1904.

 

Neustadt, (Ostpreußen), Erziehungsheim: Hans-Georg Demski, geb. 27.10.1935 in Insterburg, von seiner Mutter: Frieda Demski, geborene Hennig, geb. 21.02.1910.

 

Paterswalde über Wehlau: Günter Prengel, geb. 08.04.1942 in Paterswalde, von seinem Vater: Karl Prengel, geb. 04.11.1899. Günter wurde am 06.03.1945 beim Bombenangriff auf Saßnitz (Rügen) von Sanitätern unverletzt in Sicherheit gebracht.

 

Peitschendorf, Kr. Sensburg: die Geschwister, Hans Gerhard Langenheim, Helga Langenheim und Wolfgang Langenheim, von Gertrud Wolff.

 

Podensbach, Kr. Treuburg: Ruth Laskowski, geb. 05.10.1937, und Else Laskowski, geb. im Dezember 1944 in Sensburg, von ihrem Vater: Paul Laskowski, geb. 28.09.1906.

 

Satticken, Kr. Treuburg, Post Kiöwen: Eckehard Lange, geb. etwa 1939, von seiner Tante: Hildegard Albe, geborene Wrobbel. Das Kind wurde im August 1947 von Frau Else Albe an die Lagerleitung Quarantänelager Kirchmöser (Havel), Kr. Jerichow II. abgegeben.

 

Tilsit, Bismarckst. 3: HanneloreMatschulat, geb. 30.05.1941 in Tilsit, von ihrem Vater: Paul Matschulat, geb. 26.11.1910.

 

Tilsit, Bismarckstr. 3: Hannelore Matschulat, 23.12.1934 in Königsberg, von ihrem Onkel: Arthur Tobias.

 

Tilsit, Blücherstr. 63: Dieter Karschubat, geb. 09.12.1938 in Nogathau, von seinem Vater: Gustav Kaschubat.

 

Alt-Kainen, Kr. Heiligenbeil: Erika Lufter, geb. etwa 1935/1937, von ihrem Bruder: Günther Kohn, geb. 30.12.1934 in Alt-Kainen

 

Groß-Lautersee, Kr. Angerapp: Herbert Meier, geb. etwa 1934 in Groß-Lautersee, von Lina Jessat, geborene Cysewski. Herbert Meier hatte noch eine etwa 1940 geborene Schwester, die ebenfalls vermisst wird

 

Grünheim, Kr. Gerdauen: Magdalena Pehl, geb. 27.05.1935, von ihrem Onkel: Gustav Pehl, geb. 24.09.1887

 

Hohenstein, Kr. Osterode, Schulstraße: Edith Grabowski, geb. 24.07.1939, von ihrem Vater: Otto Grabowski, geb. 12.01.1908

 

Haselberg, Kr. Schloßberg, Schillfelder Str. 4: Vendela-Hildegard Ring, geb. etwa 1934, von Margarete Martinsohn, geborene Heyster

 

Königsberg, Katholische-Kirche-Str. 1/2: Georg Kanditt, geb. 23.08.1936 in Königsberg, von seinem Vater: Erich Kanditt, geb. 26.08.1911

 

Königsberg, Lieperweg 41: Manfred Hortian, geb. 09.03.1936 in Königsberg, von Irmgard Hortian, geb. 27.09.1916

 

Königsberg, Schleiermacherstr. 7: Karin Schulz, geb. 06.01.1940 in Königsberg, von ihrer Mutter: Edith Schulz, geborene Buttkus, geb. 22.09.1908. Karin ging zusammen mit ihrem Bruder Frank-Günter Schulz, geb. 12.07.1931, bei Laukischken verloren.

 

Königsberg, Wiesenstr. 11: Horst Schwenzfeier, geb. 06.01.1939 in Königsberg, von seiner Mutter: Hildegard Wall, geschiedene Schwenzfeier. Horst ging Weihnachten 1947 nach Litauen. Er nennt sich vielleicht auch Horst Wall.

 

Königsberg, Yorkstr. 93: Klaus Bernhardt, geb. 19.05.1935 in Königsberg, von seiner Mutter: Anna Bernhardt, geborene Neumann, und von seinem Bruder Günther Bernhardt, geb. 15.12.1933. Klaus Bernhardt befand sich 1945 in Bartenstein, Ostpreußen im Kinderheim

 

Mauern, Kr. Labiau, Kinderheim: Ursula, genannt Uschi Langanke, geb. 18.09.1942 in Preußisch-Eylau, von ihrem Vater: Franz Langanke, geb. 15.12.1908. Ursula befand sich Anfang 1948 noch im Kinderheim Mauern. Die drei bereits zurückgekehrten Geschwister Werner Langanke, Margot Langanke und Adolf Langanke berichten, dass zu dieser Zeit noch deutsches Personal im Heim war.

 

Pfalzrode, Kr. Goldap: Margarete-Elisabeth Schuklat, geb. 22.12.1939. und Edith Frika Schuklat, geb. 09.11.1940 in Pfalzrode, von ihrem Vater: Albert Schuklat, geb. 02.09.1891

 

Pobethen, Kr. Samland: Margitta Gotthardt, geb. etwa 1943 in Königsberg, von ihrem Onkel Alfred Preuss, geb. 25.04.1908

 

Rosental, Kr. Lötzen: Manfred Wnuck, geb. 19.03.1937 und Gerhard Wnuck, geb. 20.10.1938 in Rosental, von ihrem Vater: August Wnuck, geb. 16.07.1900. Die Mutter der Kinder, Anna Wnuck, geborene Skodda, wird auch noch gesucht

 

Rotenfelde, Kr. Sensburg, bei Familie Bombe: Hannelore Freder, geb. 02.05.1939 in Sensburg, von ihrer Tante: Else Bulka, geborene Freder

 

Sensburg, Bergstr. 1: Hartmut, genannt Hardl Todzi, geb. 24.09.1939 in Sensburg, von seinem Bruder: Reinbold Todzi, geb. 15.10.1925. Hartmuts Mutter, Wilhelmine Todzi, geborene Marzinowski, wird auch noch gesucht

 

Doblienen. Post Neufrost. Kr. Elchniederung: Elly Welsch. geb. 11.02.1940, von ihrer Großmutter: Anna Grams, geborene Welsch. Das gesuchte Kind Elly Welsch wohnte mit seiner Pflegemutter Ida Jares in Doblienen beim Landwirt Wilhelm Huhn.

 

 

Seite 5   Aus den Landsmannschaften.

Stärkung des gesamtdeutschen Willens zur Wiedervereinigung.

In seiner Eröffnungsansprache zur letzten Mitgliederversammlung der Flensburger Ostpreußen forderte der 1. Vorsitzende, Schulrat a. D. Babbel, die Stärkung des gesamtdeutschen Willens zur Wiedervereinigung. Dieser Wille aber, so sagte er, dürfe sich nun nicht mehr in Worten erschöpfen. Praktisches Handeln müsse ihm folgen. Wenn der deutsche Osten dem Abendland erhalten bleiben solle, dann müsse die Bundesregierung dieses Problem auch „endlich in aller Öffentlichkeit ansprechen“. Die Wappen der ostdeutschen Heimat sollten deshalb nicht nur in der Flensburger Heimatstube als ständige Mahner an der Wand hängen, sondern auch endlich ihren Platz im Deutschen Bundestag finden.

 

Den Hauptvortrag des Abends hielt Stadtrat Eginhard Schlachta (MdL). Das Thema lautete: „Heimatvertriebene und Kommunalpolitik“. Ausgezeichnet verstand es der Redner seine aufmerksamen Zuhörer davon zu überzeugen, dass die Gemeindewahlen im neuzeitlichen Leben keinesfalls dritt- oder viert-rangige Angelegenheiten seien, an denen der denkende Bürger uninteressiert vorübergehen könne, sondern ein Ereignis, das dem Einzelnen oft in seinem engsten Lebenskreis besonders anginge und dem deshalb die Aufmerksamkeit jedes echten Staatsbürgers und die sorgfältigsten und rechtzeitigen Vorarbeiten der politischen Parteien gehören müssten. Eingehend beschäftigte sich der Redner mit der Frage, ob man heute noch auf der kommunalen Ebene dem unabhängigen Kandidaten den Vorzug vor dem parteigebundenen geben sollte. Im weiteren Verlauf seines Vortrages setzte sich der ausgezeichnete Redner mit speziellen Flensburger Fragen auseinander. Zum Schluss seines Vortrages dankte Stadtrat Schlachta den Herren Babbel, Sander und Schneider für die in den Jahren von 1951 geleistete Arbeit in der Flensburger Ratsvertretung.

 

Der 3. Vorsitzende, Bocian, gab die geschäftlichen Mitteilungen. Büroleiter Rietenbach konnte neue Mitteilungen zum LAG machen. Alle Redner wurden durch reichen Beifall belohnt. Armoneit

 

 

Lübbecke/Westfalen.

Die Landsmannschaft der Ostpreußen, Danziger und Westpreußen hielt ihre erste Zusammenkunft im neuen Jahre im „Lübbecker Hof“ ab. In seiner Neujahrsansprache betonte der Sprecher Hardt, Rektor a. D., die Wünsche der Landsmannschaften: Die Erhebung zu Körperschaften des öffentlichen Rechts und eine Vertretung im Bundesrat, natürlich ohne Stimmrecht. Danach wurden die neuen Vereinssatzungen besprochen und einstimmig angenommen.

 

Der heimatlich-besinnliche Teil des Abends wurde von unseren Damen ausgefüllt. Frau Pieper führte uns in ihrem Vortrag zu unserer kürzlich verstorbenen ostpreußischen Heimatdichterin Erminia von Olfers - Batocki, deren großes und erfolgreiches Schaffen nur unserer geliebten Heimat galt. Der Vortrag wurde durch mehrere Gedichte der Verstorbenen umrahmt, in denen die Kraft der ostpreußischen Erde uns allen spürbar wurde.

 

Frau Görke und Frau Czapla trugen in heimatlicher Mundart Humorvolles vor und ernteten viel Beifall. Eine kleine Fastnachtsfeier wurde für den Monat Februar in Aussicht genommen.

 

 

Seesen a/Harz.

Die Fastnachtsveranstaltung der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen war wie üblich recht gut besucht und nahm unter der Konference von Werner Pasenau - Stauffenburg einen sehr eindrucksvollen und amüsanten Verlauf. Sehr starker Beifall war die verdiente Anerkennung für die heiteren Vorträge aus der Feder ostpreußischer Humoristen und für gesanglich - musikalische Darbietungen der Landsleute Charlotte Lux und Willi Lux, Lina Fahlke, Emil Dlugokinski, Willi Blaesner und Sander- Münchehof, Dora Steinhoff und H. Steinhoff. Der bekannte Humorist und Charakterdarsteller Herbert Lehmann erntete wahre Beifallsstürme. — Im Mittelpunkt des Heimatabends am 5. März wird ein Lichtbildervortrag von Mittelschullehrer Karl-Heinz Budinskistehen mit dem Thema „700 Jahre Königsberg“.

 

 

Bad Gandersheim.

Eine Fastnachtfeier in altpreußischem Stil wird die Gruppe Seesen der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen am Mittwoch, 16. Februar, im Festsaal des „Prinz Wilhelm“ gestalten. Heitere musikalische Vorträge und Rezitationen aus der Feder der ostpreußischen Humoristen Fred Endrikat, Robert Johannes, Marion Lindt, Dr. Lau und Wilhelm Reichermann — verbunden durch eine Konference von Werner Pasenau-Stauffenburg — werden dem Heimatabend das Gepräge geben.

 

Zum Kreisobmann der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen wählten Delegierte der örtlichen landsmannschaftlichen Gruppen gelegentlich einer Arbeitstagung in Seesen den Schulrat a. D. Papendick.

 

 

Verein heimattreuer Ost- und Westpreußen zu Hannover.

Am Sonnabend, dem 19. Februar 1955 finder in der Gaststätte „Heidebrink“ um 19.30 Uhr unser diesjähriges Masken- und Kappenfest statt. Kein Maskenzwang. Die beste Maske wird prämiiert. Teilnehmerpreis für Mitglieder einschließlich des Vereinsgroschens und Rückfahrt 0,60 DM, für Gäste 2,-- DM. Die Gaststätte ist mit der Straßenbahnlinie Nr. 7 bis zur Endstation (Fasahnenkrug) zu erreichen. Für die Rückfahrt haben wir einen Sonderwagen der Ustra und einen Omnibus angemietet. Der Sonderwagen fährt über Listerplatz— Neues Haus —Aegidientorplatz — Humboldtstraße—Goetheplatz zur Glocksee, der Omnibus über Vahrenwalderplatz (erster Halt) — Hainholz zum Leinhäuserbahnhof.

 

Ein Vorverkauf finder werktäglich außer Samstag in der Zeit von 17.30 bis 19.30 Uhr bei den Landsleuten Wilhelm Hellwig, Bödekerstr. 7, Franz Binger, Holbeinstr. 2 und Olga Dauter, Böttcherstr. 9, statt.

 

 

Seite 5   Kapitalabfindungen Ehefrauen.

Nach § 78a Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in der Fassung vom 07.08.1953 kann eine Kapitalabfindung auch Witwen mit Anspruch auf Rente gewährt werden. Bei der jetzigen Fassung dieser Gesetzesvorschrift ist es nicht möglich, sie auch auf Ehefrauen Verschollener anzuwenden, die nach § 52 Abs. 1 des Gesetzes Rente erhalten. Um den Ehefrauen Verschollener, die aus menschlich anerkennenswerten Gründen eine Todeserklärung des verschollenen Ehemannes ablehnen, schon vor der in Aussicht genommenen Erweiterung des Personenkreises durch Änderung des Gesetzes den Erwerb oder die wirtschaftliche Stärkung eigenen Grundbesitzes oder den Erwerb grundstücksgleicher Rechte zu ermöglichen, können Darlehen bis zur Höhe der für eine vergleichbare Witwe nach dem BVG in Betracht kommenden Kapitalabfindung bewilligt werden. Die §§ 72 bis 79 BVG und die dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften gelten entsprechend.

 

 

Seite 5   Turnerfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen.

Den Februargeborenen, den Faschingskindern, zum Geburtstage herzlichste Glückwünsche! Runde Zehner habe ich diesmal nur drei ermittelt.

 

Am 17.02.1955, wird Siegfried Tamoschat (Marienwerder) 40 Jahre;

 

am 16.02.1955, Olli Walther geborene Wiechmann (KMTV) Kbg.) 50 Jahre und

 

am 22.02.1955, Hermann Heenes (KMTV Kbg.) 60 Jahre alt.

 

Ihnen gilt für das nächste Jahrzehnt unser ganz besonderer Glückwunsch und Gruß!

 

Der Weihnachtsrundbrief 1954 konnte wegen Anschriftenänderung nicht zugestellt werden an:

 

Hans-Joachim Albrodt, (Insterburg),

 

Otto Bahr, (Tgm. Danzig),

 

Alice Baumeister, (KMTV),

 

Hans-Joachim Brock, (Dzg.-Langf.),

 

Heinz Bruder, (Dzg.Heubude),

 

Rudi Bullien, (Tilsit),

 

Vally zum Busch, (Zoppot),

 

Marie-Luise Erl, (Tilsit),

 

Felix Eschner, (TuF Danzig),

 

Hans Erich Exner, (KMTV),

 

Dr. Peter Faerber, (KTC Kbg.),

 

Eberhard Fehlauer, (TuF Danzig),

 

Georg Foth, (Zoppot),

 

Erna Frowerk-Marschewski, (Zoppot),

 

Willi und Frau Gau, (KTC Kbg.),

 

Erika Gräber, (Dt.Eylau),

 

Walter Hentschel, (KMTV),

 

Heta Hoehl, (Rößel),

 

Walter Hoffmann, (TuF Dzg.),

 

Elisabeth KieburgThienert, (KMTV),

 

Herbert Kitzler, (Dzg.-Neufw.),

 

Horst Klatt, (TuF Dzg.),

 

Martha Kortykowski, (Allenstein),

 

Paul Kowalke, (Dzg.-Neufw.),

 

Ruth Krüger-Drechsler, (Elbing u. a.),

 

Hans Meyer, (Insterburg),

 

Fritz Nagel, (Insterburg),

 

Gertrud Palinski-Brandies, (FrTV Dzg.),

 

Otto Pallentin, (KMTV),

 

Gerhard Poschmann, (Tilsit),

 

Wilhelm Preuschoff, (Dzg.-Neufw.),

 

Anni Raap-Hochmut, (KMTV),

 

Hella Rabien, (KTC Kbg.),

 

Christel Rauner-Semkat, (KMTV),

 

Fritz Reichardt, (KTB Kbg.),

 

Eugen Schütt, sen. (TuF Dzg.),

 

Siegfried Schwartzkopff, (Pr.-Eylau),

 

Eva Stoll-Bludau, (KMTV),

 

Manfred Weiß, (KTC Kbg.),

 

Kurt Wendt, (Dzg.-Langf.),

 

Otto Wilhelm, (Dzg.-Neufw.),

 

Rudolf Wilhelm, (Dzg.-Neufw.),

 

Waltraut Zitelmann, (Marienburg).

 

Wer die neuen Anschriften kennt, teile sie bitte mit an: Wilhelm Alm, Oldenburg (Oldb.).

 

Zum Anschriftenverzeichnis vom 15.02.1954 ist ein Nachtrag mit sämtlichen Änderungen und Zugängen seit dem Erscheinen im Druck und voraussichtlich Ende Februar lieferbar. Portofreie Zusendung gegen Unkostenbeitrag von 0,35 DM. Bestellungen erbittet Wilhelm Alm, Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33. Das Hauptverzeichnis ist ebenfalls noch vorrätig und wird bei Neubestellungen einschl. Nachtrag für 1,80 DM Unkostenbeitrag geliefert.

 

Die 700-Jahrfeier der Stadt Königsberg Pfingsten 1955 in Duisburg bietet Gelegenheit zu Sondertreffen der Königsberger Turnvereine. Um einen geeigneten Versammlungsraum bereitzustellen, hat die Stadt Duisburg, Amt für Stadtwerbung und Wirtschaftsförderung gebeten, dass die Vereinsbeauftragten bis zum 10. Februar bei ihr die geplante Veranstaltung mit Angabe der zu erwartenden Teilnehmerzahl anmelden. Von Turn- und Sportvereinen haben sich nach der letzten Veröffentlichung bisher angemelder: ASCO, Prussia-Samland, VfK und KMTV 1842. Onkel Wilhelm

 

 

Seite 6 und 8   Ein ostpreußischer Geistlicher / Sein Werden und sein Wirken. Der eigene Lebensweg geschildert von D. Matthias Lackner, Geheimer Konsistorialrat. (4. Fortsetzung und Schluss)

 

Mittel zu Unterstützungen standen dem Verein in genügender Weise zur Verfügung. Es bestanden eine Reihe Legate für Arme und Kranke, deren Zinsen die Geistlichen verteilen durften, auch waren ihnen aus der Kirchenkasse Mittel für diesen Zweck zugewiesen. Und gerade durch den Verein und seine Wirksamkeit wuchsen ihm neue Mittel zu.

 

Ein Mitglied des Vereins war die Gattin eines Kurators der Albrechtstiftung, nämlich Frau Kloth. Durch sie lernte der Gatte die gesegnete Wirksamkeit des Vereins kennen und stellte im Kollegium der Stiftung den Antrag, die namhaften Überschüsse der Stiftung nicht wie bisher selbst zu verteilen, sondern durch den Krankenverein verteilen zu lassen, dem die Nöte doch besser bekannt seien. Das geschah und geschieht noch. In der ersten Zeit verfügte mein Verein über die ganze namhafte Summe und hat sie gewissenhaft verteilt. Da aber neben ihm ähnliche Vereine durch die anderen Geistlichen begründet wurden, haben wir die Mittel gleichmäßig geteilt. Und so geschieht es wohl noch.

 

Als Kreisschulinspektor.

Ich komme jetzt zu den Nebenbeschäftigungen, die mich während meiner Diakonenzeit noch vielfach in Anspruch nahmen. Zuerst war es die Töchterschule des Fräulein Lorck und ihrer Nachfolgerin Fräulein von Hasenkamp, die mit vier Stunden wöchentlich mich in Anspruch nahm. Es waren Religionsstunden in der ersten Klasse, aber auch Stunden im Deutschen. Meine Töchter waren mit unter meinen Schülerinnen, und das bestimmte mich, solange in dieser Arbeit zu bleiben, bis meine Töchter die Schule verlassen konnten. Gern habe ich diese Stunden gegeben, hatte rechte Freude daran. Mit der Disziplin hatte ich nie Not. Auch mit den beiden Vorsteherinnen habe ich mich gut verstanden. Sie hatten nur das Wohl ihrer Schülerinnen im Auge und haben mir hohe Achtung und Verehrung abgenötigt. Im vollen Frieden bin ich von der Schule geschieden, weil meine Zeit anderweitig in Anspruch genommen wurde.

 

Mir wurde nämlich die Kreisschulinspektion über den Landkreis Königsberg I (Süden) durch den zuständigen Regierungs- und Schulrat angeboten. Ich schwankte bezüglich der Annahme und wandte mich an meinen Universitätsfreund Kahler, der seit Jahren schon eine Kreisschulinspektion führte, und bat um Mitteilung seiner Erfahrungen in diesem Amt, ob befriedigende oder enttäuschende. Launig antwortete er: „Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Sterblichen zu teil, auch einem Kreisschulinspektor nicht“. Aber er riet doch zur Annahme, schon um dieses wichtige Amt der Kirche bzw. ihren Geistlichen zu erhalten. Ich nahm also an und habe dieses Amt zwanzig Jahre geführt. Mir oblag, die sämtlichen Schulen des Bezirks jährlich einmal zu revidieren und darüber an die Königliche Regierung zu berichten, ob ein Lehrplan vorhanden sei und ein Stoffverzeichnis, ob beides vom Lehrer beachtet werde und das vorgeschriebene Ziel erreicht, ob der Schulbesuch ein regelmäßiger sei und gewissenhaft kontrolliert würde. Es handelte sich um siebenunddreißig Schulen der neun Landgemeinden des Bezirks und um die jetzt zur Stadt Königsberg gehörigen damaligen Landschulen von Ponahrt, Hufen und Liep. Ich habe mich der Revision gerne unterzogen, jedes Mal in Begleitung des zuständigen Ortsschulinspektors. Sein Urteil über Lehrer und Kinder war besonders wertvoll und bestimmend, da er es durch tägliche Beobachtung der Schüler und des Lehrers gewonnen hatte. Außerordentliche Revisionen habe ich mehrfach während des Sommers, aber auch im Winter in Begleitung der Regierungsschulräte Siegert und Tarony vorgenommen, auch nahm ich regelmäßig an den Lehrerkonferenzen in Waldau teil, besuchte auch die Privatkonferenzen meiner Lehrer in den einzelnen Schulen hin und her und habe auch viermal eine Kreislehrerkonferenz mit den Ortsschulinspektoren und Lehrern in meinem Konfirmandensaal abgehalten.

 

 Mit meiner Niederlegung der Kreisschulinspektion hörte für den Landkreis Königsberg die geistliche Kreisschulinspektion auf, und es trat ein Kreisschulinspektor im Hauptamt ein.

 

 

Superintendent In Schaaken.

Mittlerweile war ich Superintendent der Diözese Schaaken geworden, im Jahre 1890. Die dortigen Geistlichen kamen mir anfangs nicht freundlich entgegen. Sie hatten zwar nichts gegen meine Person, aber das Verfahren der Behörde bekämpften sie, nämlich dass ihnen ein Superintendent nicht aus ihrer Mitte, sondern aus einer benachbarten Diözese gegeben wäre. Ich ließ mich dadurch nicht stören oder in meinem Verhalten bestimmen, sondern tat meine Schuldigkeit, als ob alles in bester Ordnung wäre. Es gelang auch in verhältnismäßig kurzer Zeit, namentlich durch Fortsetzung des wissenschaftlichen Kränzchens, das mein sehr beliebter Vorgänger Horn ins Leben gerufen hatte, und durch brüderlichen Verkehr die Opposition völlig zu beseitigen und ein freundliches Zusammenarbeiten zu ermöglichen. Die Kränzchen fanden bei mir wie bei den Amtsbrüdern umschichtig statt. Teilnahmen auch die Pfarrfrauen und Pfarrtöchter. Nur das war Grundsatz, dass über eine wissenschaftliche oder praktische Frage ein Referat gehalten werden müsste, woran sich dann eine eingehende Besprechung knüpfte. Die Frauen nahmen daran natürlich nicht teil. Niemals habe ich bei diesen Zusammenkünften mit meiner Familie gefehlt. Und das hatte mir und namentlich meiner Frau die Herzen so gewonnen, dass es sehr schwer wurde, aus diesem lieben Kreise zu scheiden. Aber es musste nach fünf Jahren geschehen, denn es trat eine völlige Neuordnung der Diözesen ein. Schaaken als Diözese verschwand, es wurde mit Königsberg II zusammengelegt und erhielt einen eigenen Superintendenten aus der Diözese mit dem Wohnort Quednau. Mir wurde die Superintendentur über Königsberg I (Süd) übertragen, mit der ich schon länger als Kreisschulinspektor verbunden war, und ich habe das Ephorenamt hier noch zehn Jahre weitergeführt bis Ende 1905, wesentlich in derselben Weise wie in Schaaken, auch mit demselben Erfolge. Die wissenschaftlichen Kränzchen wurden fortgesetzt und erfreuten sich großer Beliebtheit bei den Geistlichen und ihren Familien. Gern denke ich an meine Superintendentenzeit zurück und an den Segen, der mir und meiner Familie dadurch zuteil geworden ist.

 

Zur Niederlegung der Superintendantur bestimmte mich mein Eintritt in das Königliche Konsistorium und die damit verbundene Arbeit. Durch das Wohlwollen des Konsistorialpräsidenten Freiherrn D. von Dörnberg wurde ich als Ersatz für den heimgerufenen Konsistorialrat Schlecht dem Evangelischen Oberkirchenrat vorgeschlagen, und dieser berief mich anfangs 1898 in die kirchliche Provinzialbehörde. Obgleich ich damals schon in vorgerücktem Alter stand, habe ich doch noch achtzehn Jahre in der Behörde bleiben und mitarbeiten dürfen, bis Ende des Jahres 1915. Ich fühlte dort mich gleich heimisch und wohl im Kollegium, denn die Mitglieder waren mir seit langem bekannt und auch befreundet. Von Theologen nenne ich den Generalsuperintendenten Braun, meine alten Freunde D. Pelka, D. Jacoby, D. Eilsberger, Militäroberpfarrer D. Heine, weiter die Juristen Posega, Hildebrandt, von Kries, Krause. Durch Tod trat freilich bald ein Wechsel ein, für Pelka D. Eschenbach, für Jacoby D. Benrath, für Heine Bock, für von Dörnberg D. Kähler. Aber das änderte meine Stellung im Kollegium nicht.

 

 

Mitglied des Konsistoriums.

Mein Dezernat war folgendes: Die Bearbeitung der Visitationsrezesse und Berichte aus acht Diözesen des damaligen Regierungsbezirks Gumbinnen, die sämtlichen Konfirmandensachen, die jährlichen Vorlagen für die Verhandlungen der Kreissynoden und die Bescheide darauf, die Bibelsache und Missionssache, die evangelischen Stationsschulen im katholischen Ermland und die damit verbundenen Reisen. Natürlich oblag mir auch, an den Plenarsitzungen an jedem Mittwoch teilzunehmen, wie an Disziplinaruntersuchungen gegen kirchliche Beamte, was Gottlob nur selten vorkam.

 

Ungemein dankbar bin ich für die Erfahrungen in der kirchlichen Provinzialbehörde. Mein

Blick hat sich erweitert. Ich sah es nun, mit welcher Gewissenhaftigkeit und Treue, auch mit welcher Gerechtigkeit und Wohlwollen die kirchlichen Angelegenheiten von der Behörde bearbeitet wurden, so dass ich mit hoher Achtung gegen die leitenden Präsidenten und gegen die Mitglieder des Kollegiums erfüllt worden bin. Ich zähle meine Erfahrungen bei den Verhandlungen des Konsistoriums während der achtzehn Jahre zu den schönsten, die ich in meinem Amtsleben habe machen dürfen. Noch nach meiner Emeritierung im Pfarramt blieb ich dreiviertel Jahre Mitglied des Konsistoriums, bat aber gegen Ende 1915 um meine Entlassung, die dann auch in Gnaden erfolgte. Durch das besondere Wohlwollen des Konsistorialpräsidenten, Wirklichen Geheimen Oberkonsistorialrats D. Kähler, sind mir noch bei meinem Abgang von dem Pfarramt wie beim Scheiden aus dem Konsistorium zwei hohe Orden verliehen: Der Kronenorden II. Klasse und der Rote Adlerorden II. Klasse, die unteren Stufen dieser Orden hatte ich schon vorher erhalten.

 

 

Doktor der Theologie.

Endlich komme ich noch auf meine Tätigkeit an der Universität als Lehrer der litauischen Sprache. Nie hätte ich gedacht, dass die Kenntnis der litauischen Sprache, die ich mir mühelos in meiner Kindheit durch den Umgang mit Litauern aneignete, mir so viel Freude und auch materielle Vorteile bringen würde. Schon bei der Schilderung meiner Universitätszeit habe ich erwähnt, dass mir durch die Zuweisung des litauischen staatlichen Stipendiums von 600 Mark jährlich eine wesentliche Hilfe zu Teil wurde. Und diese Hilfe habe ich nicht nur während meines dreijährigen Studiums genossen, sondern noch ein weiteres Jahr zwischen dem ersten und zweiten theologischen Examen. Als Stipendiat war ich verpflichtet, an den Übungen des litauischen Seminars teilzunehmen. Diese leitete damals Professor Kurschat, der die litauische Sprache wunderbar beherrschte, auch ein Blatt, gut litauisch geschrieben, den Keleiwis, herausgab. Sein Unterricht in der litauischen Grammatik war ausgezeichnet und hat uns sehr gefördert. Auch sonst, beim Lesen der litauischen Bibel, des litauischen Gesangbuches, der litauischen Agende, des Donaleitis, hat er sich alle Mühe gegeben und uns zu fördern gesucht. Wir waren auch so weit gekommen, dass einige von seinen Seminarmitgliedern während seiner Abwesenheit den Keleiwis redigieren, andere ihn in der Predigt vertreten konnten. Ich war auch genügend in der Kenntnis der litauischen Sprache geschult, so dass ich, als er seine Tätigkeit wegen Altersschwäche niederlegte, ohne Bedenken die Leitung des litauischen Seminars übernehmen konnte und es nun schon dreiunddreißig Jahre leite. Als Lektor der litauischen Sprache bin ich auch mit der Universität und namentlich mit der theologischen Fakultät in Verbindung geblieben. Und diesen Beziehungen verdanke ich wohl zumeist meine Ernennung zum Lizentiaten und zum Doktor der Theologie und bin dafür dankbar.

 

 

Hervorragende Geistliche in Stadt und Land.

Hervorragende Geistliche habe ich in meinem langen Amtsleben bei verschiedener Gelegenheit in Stadt und Provinz nicht wenige kennen gelernt; ich verzichte aber auf den Versuch, sie alle zu nennen, das möchte doch nicht gelingen, auch könnten sich die Nichtgenannten verletzt fühlen, was ich vermeiden möchte. Ich nenne nur meine fünf Generalsuperintendenten: Moll, Carus, Pötz, Braun, Schöttler. Zwar habe ich noch einen sechsten kennen gelernt, den tiefsinnigen Sartorius, den Verfasser der „Heiligen Liebe“, der mich auch auf dem Gymnasium zu Gumbinnen in der Religion geprüft hat; aber er starb bald nach meiner Übersiedelung nach Königsberg, so dass ich ihn nicht als meinen Generalsuperintendenten ansehen kann. Die fünf vorher Genannten waren wohl in mancher Hinsicht verschieden, aber begabt waren sie alle, hatten auch eine hervorragende Predigtgabe, so dass sie jedes Mal um ihre Kanzel eine zahlreiche Hörerschar sammelten. Das hatte nicht etwa die Folge, dass die Parochialkirchen schwachen Besuch hatten, im Gegenteil, wo der Ortspfarrer mit der Gemeinde Fühlung hatte, verließ sie ihn nicht, auch wenn der Generalsuperintendent predigte. Ostpreußen ist ja gesegnet durch regen kirchlichen Sinn. Neuanziehende Geistliche aus anderen Provinzen freuen sich über den regen Kirchenbesuch. Und diesen kirchlichen Sinn zu erhalten und zu kräftigen, haben unsere Generalsuperintendenten viel beigetragen und haben selbst davon reichen Segen gehabt.

 

Zwei weitere Geistliche nenne ich, einen aus Königsberg, den alten Kahle vom Altroßgarten, Großvater unseres Kahle, und den alten Moltheimer Pfarrer Heinersdorff. Beide hatten das seltene Charisma erhörlichen Betens. Sie zogen durch ihre einfachen, schlichten aber gesalbten Worte jeden Hörer mit hinein in ihren Gedankengang, zwangen ihn mitzubeten, und keiner ging dabei leer aus. Aber welch inniger Verkehr mit dem lebendigen ewigen Gott muss bei solchen Männern vorausgegangen sein, bis sie auf diese Höhe gelangten.

 

Endlich nenne ich unter den bedeutenden Männern zuletzt, aber nicht als den letzten, meinen verehrten Lehrer, Professor Dr. Cosack am Löbenicht. Ich halte ihn mit vielen meiner Kommilitonen für den bedeutendsten Prediger, den ich kennen gelernt habe. Trotzdem hatte er einen schwachen Kirchenbesuch. Er gab sich alle Mühe, verteilte alljährlich vor dem ersten Advent ein Blatt mit den Predigttexten für das ganze Jahr, erwartete, dass sich die Gemeinde den jedesmaligen Text vorher ansehen würde und so vorbereitet sei für die Predigt. Und die das taten — und das war immerhin eine ansehnliche Zahl —, hatten großen Gewinn und wuchsen sichtlich in christlicher Erkenntnis. Aber die Masse tat es nicht und blieb bald seiner Predigt fern. Bei Cosack bildete sich infolgedessen eine gewisse Verachtung des großen Publikums aus. Er suchte nicht die Masse zu gewinnen, sondern nur die Treuen, und das gelang ihm. Als eifriger Erforscher der ostpreußischen Kirchengeschichte gab er eine Reihe von Arbeiten aus diesem Gebiet heraus, wie z. B. über Michael Stifel, den Freund Luthers, der in Ostpreußen drei Pfarrstellen verwaltet hat. Cosacks Schriften und Vorträge geben Zeugnis von einem sehr umfassenden Quellenstudium. Viele seiner Hörer hingen ihm an wie einem geistlichen Vater und haben ihm noch nach seinem Tode gedankt.

 

 

Mitglied der Generalsynode.

Auch eine reiche synodale Tätigkeit ist mir seit Einführung der Synodalordnung zuteil geworden und hat meine Zeit und Kraft vielfach in Anspruch genommen. Zwar an den ersten drei Provinzialsynoden konnte ich nicht teilnehmen, denn ich war nicht gewählt; aber in die vierte kam ich durch königliche Ernennung hinein und bin seit der Zeit ständiges Mitglied geblieben, bin auch von der Provinzialsynode in die Generalsynode gewählt und gehöre ihr noch als Mitglied an. An den Arbeiten der Provinzialsynode habe ich mich lebhaft beteiligt, stand auch während längerer Zeit an der Spitze der Kommission zur Förderung christlicher Liebeswerke und habe jedes Mal den Bericht der Synode erstattet.

 

Die jetzigen Parteien oder Gruppen haben sich erst nach und nach gebildet. In der ersten Synode saß man geordnet nach Diözesen aber schon in der zweiten traten die Unterschiede hervor und es bildeten sich drei Gruppen, die positive Union, die konfessionelle und die liberale Gruppe. Weitaus die stärkste Gruppe in unserer Provinzialsynode war die Gruppe der positiven Union. Sie ward gegründet am 23. November 1873 auf Grund eines Programms, welches in der Sitzung selbst die Geistlichen Krukenberg und Schieferdecker entworfen hatten und das lautete:

 

1. Wir stehen auf dem Grunde der Apostel und Propheten, da Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Eckstein ist.

 

2. Wir halten dafür, dass es keinen andern Grund gibt, auf welchem die Kirche aufgebaut werden kann.

 

3. Die reformatorischen Bekenntnisschriften als das teure Erbe unserer Väter, halten wir aufrecht, weil sie diesen Grund der Schrift gemäß darlegen und bezeugen.

 

4. Da sowohl die lutherischen als auch die reformierten Symbole denselben einen Grund bezeugen, sind sie nicht kirchentrennend.

 

5. Insofern die reformatorischen Bekenntnisse unter sich abweichen, begründen sie berechtigte Eigentümlichkeiten, die bestimmt sind, einander in heilbringender Weise zu ergänzen.

 

6. In diesem Sinne bekennen wir uns zur positiven Union und fühlen uns berufen, die Einheit unserer evangelischen Landeskirche zu pflegen und zu fördern gegenüber den Gefahren, welche derselben drohen; einerseits, wenn man die Sonderbekenntnisse zur Grundlage von Sonderkirchen macht, andererseits, wenn man den Grund der reformatorischen Bekenntnisse verlässt.

 

Dieses Programm fand die Billigung der ganzen Gruppe der positiven Union in der ersten Synode und wurde von allen unterschrieben. Ich nenne nur die Namen, die beim Entwurf in einer Privatsammlung schon darunter standen: Dr. Schrader, Provinzialschulrat, v. Goßler, Oberlandesgerichtspräsident, Neumann-Posegnik, v. Batocki-Bledau, v. d. Goltz, Professor, Dembowski, Waisenhausdirektor, Kahle, Superintendent, Pelka, Lackner, Krukenberg, Schifferdecker.

 

 

Die Gruppenverhältnisse.

In den ersten ostpreußischen Provinzialsynoden war die Gruppe der positiven Union die weitaus stärkste, zählte von den 120 Mitgliedern 80, und daneben hatte sich nur noch eine konfessionelle Gruppe und eine liberale Gruppe mit je 20 Mitgliedern gebildet. Ähnlich waren die Gruppenverhältnisse auch in der ersten Generalsynode. Aber dort teilte sich bald diese Mittelpartei, und die eine Seite nannte sich mit unserem Namen positive Union, die andere Evangelische Vereinigung. Wir in Ostpreußen hielten Namen und Programm fest, mussten aber zur Unterscheidung uns die ältere Gruppe der positiven Union nennen. Im Wesentlichen sind die Gruppenverhältnisse in Ostpreußen auch so geblieben. Auf der letzten Provinzialsynode waren die beiden Gruppen der positiven Union gleich stark, zählten je zirka 50 Mitglieder, die konfessionelle zählte 20 und die liberale nur 2. — Tiefere Unterschiede sind meines Dafürhaltens zwischen den beiden Gruppen der positiven Union in unserer Provinz nicht vorhanden. Das war auch von den Mitgliedern auf beiden Seiten anerkannt.

 

Die akademische Lehrfreiheit hat die achte ordentliche Ostpreußische Provinzialsynode in ihrer dritten Sitzung am 6. November 1896 behandelt. Anlass gab ein Antrag der Konfessionellen, der aber sofort auch von der jüngeren Gruppe der positiven Union aufgenommen und unterschrieben wurde, dahingehend, dass das Kirchenregiment Mittel und Wege finden werde, um in stärkerem Maße als bisher der Staatsregierung gegenüber den Anspruch der Kirche auf die Berufung gläubiger Professoren für die theologischen Fakultäten zur Geltung zu bringen. Der Antrag fand williges Entgegenkommen und hatte schon die Majorität der Synode für sich, nämlich siebenundsechzig Unterschriften. — Unsere Gruppe hatte Bedenken, wollte sich auch nicht sogleich entscheiden. Ihr kam der Präses entgegen, setzte auf den folgenden Tag eine neue Sitzung an, in der dieser Antrag nochmals behandelt werden sollte, und schlug eigenmächtig als Referenten Jamrowsky und als Korreferenten mich vor. Keineswegs war ich darüber erfreut, wusste ich doch, dass es mich eine schlaflose Nacht kosten würde. Aber ablehnen wäre Feigheit gewesen. Ich setzte mich also abends heran an den Entwurf der Rede, änderte und änderte nochmals, bis ich gegen Morgen, etwas zusammengestellt hatte, das allenfalls passieren konnte, und damit begab ich mich in die Synode. Jamrowski hielt seine Rede klar, besonnen, ganz im Sinne der Antragsteller und erntete ungeteilten Beifall. — Ich setzte ein bei den Worten des Antrages: „um im stärkeren Maße als bisher der Staatsregierung gegenüber den Anspruch der Kirche zur Geltung zu bringen“. Diesen Passus konnten wir nicht gut heißen; er enthält einen scharfen Tadel gegen die kirchliche Oberbehörde. Zur Illustration gebrauchte ich das Beispiel: Wenn ich einem Landrat gegenüber die Erwartung ausspräche, dass er in stärkerem Maße als bisher seine Pflicht täte, so wäre das eine Beleidigung, die sich keiner gefallen lassen würde. Aber dem Evangelischen Oberkirchenrat wollen sie das bieten, ohne zu wissen, was er alles in dieser Hinsicht getan hat. Da können wir nicht mit, wollen es auch nicht. — Wie evangelische Gebundenheit an die Schrift und evangelische Freiheit in der Theologie zu vereinigen ist, sei ein Problem, das durch den Antrag nicht gelöst werde. Es sei überhaupt nur zu lösen durch lebendige Persönlichkeiten. Die Freiheit der evangelischen Forschung und die innerliche Gebundenheit an die Schrift sei ein Widerstreit, der immer und immer wiederkehren werde, solange es eine evangelische Theologie gibt. Er ist nicht zu lösen von der Theologie oder doch nur in einer Weise, wie es keiner von uns wollen würde. Innerhalb der Persönlichkeit habe Luther den Widerstreit in glänzender Weise gelöst, innerlich ganz gebunden an seinen Herrn und Heiland Jesum Christum habe doch er an der Schrift eine freie Kritik geübt. So nennt er einen Brief des Neuen Testaments, den Jakobusbrief, eine stroherne Epistel. Er irrt darin, aber das tut seinem Ansehen keinen Abbruch. Also die freie Forschung muss bleiben, wenn sie auch bisweilen irrt.

 

Der vom Referenten unterstützte Antrag enthalte eine unbegründete Zensur, sei auch keineswegs eine Stärkung des Kirchenregiments gegenüber der Staatsregierung. Ich erwarte Beweise zur Begründung dieser Fassung. Wenn aber die Beweise nicht erbracht werden, dann erwarte ich, dass man den Antrag mit so unbegründetem Vorwurf zurückziehen werde. — Das Kirchenregiment hat in dieser Hinsicht seine Pflicht getan, wie aus der Korrespondenz zwischen dem Evangelischen Oberkirchenrat und dem Vorstande der Generalsynode hervorgeht, abgedruckt in den Verhandlungen der Generalsynode von 1894 Seite 643. — Auch gibt es noch positive Professoren genug, und die junge Generation unserer Geistlichen ist größtenteils positiv, trotzdem sie durch die liberale Schule hindurchgegangen sei. Ich beantrage also, den zweiten Teil des Antrages so zu ändern, dass ein Tadel des Kirchenregiments darin nicht enthalten ist. Auch ich erntete vollen Beifall meiner Gruppe, aber bei der Abstimmung blieben wir doch in der Minorität.

 

Neben meiner mannigfachen amtlichen Tätigkeit hatte ich auch Gelegenheit, mich in wissenschaftlicher und geselliger Hinsicht zu betätigen. Mit Pelka, Roquette, Jacoby, Saran begründeten wir ein wissenschaftliches Kränzchen, dem sich später anschlossen Eilsberger, Kretschmir, von Hase; wir traten regelmäßig alle vierzehn Tage zusammen umschichtig bei den Mitgliedern. Einer, nicht der Wirt, hatte die Verpflichtung, Leitsätze zu einer wissenschaftlichen oder praktischen Frage aufzustellen und sie in das zirkulierende Kränzchenbuch einzutragen. An diese Leitsätze, welche zuerst vom Referenten vorgetragen und eingehend begründet wurden, knüpfte sich die Besprechung, und das Für und Wider wurde mit großer Energie und Lebhaftigkeit behauptet und verteidigt. Verletzt fühlte sich niemand, auch der nicht, dessen Anschauung allseitig bekämpft und abgewiesen wurde. Dieses Kränzchen hat zweiundzwanzig Jahre bestanden und hat seine Mitglieder in mannigfacher Weise gefördert, auch einander genähert. Das Buch mit den Leitsätzen war zu einem stattlichen Bande angewachsen, wo es geblieben ist, weiß ich nicht. Der letzte Berichterstatter muss es bei sich haben liegen lassen; aber meine Nachforschungen waren erfolglos.

 

Großen geselligen Verkehr haben ich und mein Haus nie gehabt. Wohl wurde einmal der Versuch gemacht, gesellig regelmäßig bei den befreundeten Familien zusammen zu kommen, auch etwas Bestimmtes vorzunehmen, Dramen mit verteilten Rollen vorzulesen, auch unsere Frauen und Töchter sollten daran teilnehmen. Es kam auch wirklich an einigen Abenden zur Ausführung im Hause des Generalsuperintendenten Moll, den sein Schwiegersohn Saran nebst seiner Tochter zugezogen hatte. Moll las mit, las den Haupthelden in solcher gewinnenden Art, dass wir ihm alle dankbar waren. Wohl kam es mehrmals zu solchen Vorlesungen, aber sie hörten doch bald auf und mussten aufhören, weil wir alle anderweitig zu sehr beschäftigt waren.

 

Der sonstige gesellige Verkehr meines Hauses beschränkte sich auf die Verwandten in der Stadt und auf die intimsten Familien aus der Zahl der Geistlichen und der theologischen Professoren. Die Bewirtung blieb immer einfach.

 

In den letzten Jahren meines Pfarramtes sind mir zwanzig Vikare zur Ausbildung vom Konsistorium überwiesen. Die ersten zehn davon wohnten noch nicht in meinem Hause, sondern kamen nur jeden Vormittag für drei bis vier Stunden in mein Haus und lernten hier Kirchenbücher führen, Auszüge aus ihnen fertigen, schriftlich mit der Aufsichtsbehörde verkehren, weiter wohnten sie dem Konfirmandenunterricht bei, auch dem sonntäglichen Hauptgottesdienst wie den Bibel- und Missionsstunden, begleiteten mich bisweilen nach dem Friedhof, um zu sehen, wie ein christliches Begräbnis gestaltet werden solle. Ihre Predigten entstanden unter meiner Aufsicht und Mitwirkung. Das war gewiss alles recht und gut und genügte doch nicht. Sie lernten das evangelische Pfarrhaus und seinen Geist nicht kennen, konnten auch innerlich nicht von diesem Geist erfasst werden, wenn sie ihn nicht schon mitbrachten. — Anders wurde es mit den letzten zehn Vikaren, die in meinem Hause wohnen mussten und so ganz zur Familie gezogen wurden. Sie unterstanden meinem dauernden Einfluss, nahmen an den Hausandachten teil, ja mussten sie auch wohl selber halten, wenn ich zu Visitationen verreist war. Sie unterstanden auch dem Einfluss meiner Frau, der es gegeben war, ihr Vertrauen in kurzer Zeit zu gewinnen. Sie trat ihnen in mütterlicher Weise nahe, nahm teil an ihren Sorgen und suchte auch erziehlich auf sie einzuwirken. Und sie haben manches von ihr gelernt, nicht bloß in Bezug auf gesellschaftliche Formen, sondern auch für ihre innere Entwicklung. Ich suchte die jungen Leute innerlich zu vertiefen, dass sie in die Gewalt Jesu kämen. Wenn das gelang, war ich befriedigt. Sie bedurften dann meiner Unterweisung nicht weiter. Ein innerer Lehrer hatte die Vollendung übernommen. Menschlich geurteilt gelang das bei einigen. Sie sind treue und eifrige Geistliche geworden und wirken im Segen.

 

Auch eine weitere Einrichtung, oder soll ich sagen „Sitte“, brachte mich und meine Familie in Verbindung mit jungen Leuten beiderlei Geschlechts, nämlich der sogenannte Freitisch. Er scheint freilich aufgehört zu haben. Früher war es anders. Bedürftige Studenten wie bedürftige Lehrer- und Beamtentöchter haben Jahrzehnte hindurch an einigen Tagen der Woche bei mir zu Mittag gegessen. Meine Frau glaubte nicht genug getan zu haben, wenn sie an diesen Tagen für ein besonders kräftiges und reichliches Essen sorgte, sondern sie nahm sich auch sonst ihrer an, besuchte sie in ihren Wohnungen und kümmerte sich auch um ihre Garderobe. Das geschah besonders bei den Freunden unserer Söhne, unter denen es außerordentlich begabte, aber auch außerordentlich dürftige gab. Diese durften jederzeit zu uns kommen, nicht nur an den Freitischtagen, sondern alle Tage. Und sie kamen, Vor- und Nachmittag, kamen nicht nur in unsere Stadtwohnung, sondern auch in die Sommerfrische nach Cranz und den Hufen, und meine Frau wusste trotz des beschränkten Raumes immer Platz zu schaffen für fröhlich harmloses Zusammensein. Manche dieser Freunde unserer Söhne sind Freunde unseres Hauses fürs Leben geblieben.

 

Den Bericht über mein Leben und Erleben schließe ich mit einer kurzen Schilderung meines fünfzigjährigen Jubiläums, das am 5. Februar 1914, dem Tage meiner Ordination vor fünfzig Jahren, im großen Saale des Deutschen Hauses unter großer Teilnahme der Altstädtischen Gemeinde, des Konsistoriums, der Universität und der theologischen Fakultät der hiesigen Geistlichkeit, zahlreicher ehemaliger Konfirmanden und vieler Freunde und Gönner stattfand. Acht Ansprachen sind an mich gehalten. Sehr freundliche Worte sind mir dabei gewidmet, die weit über mein Verdienst hinausgingen. Auch sind mir vom Pfarrer Laudien namens der Altstadt und vom Professor Joost namens der ehemaligen Konfirmanden wertvolle Geschenke überwiesen. Ich habe versucht, in längerer Rede allen herzlich zu danken, und ich danke meinem Gott und Heiland mit dem Bekenntnis des Erzvaters:

 

„Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an Deinem Knechte getan hast“.

 

 

 

Seite 7   Mit Mann und Ross und Wagen ...

„Indessen draußen Wagen auf Wagen der Treck sich vorüberschiebt, als drücke ihn eine unsichtbare Faust vorwärts durch diese silbergrau glänzende, öde und leere Schneewildnis, Wagen und Menschen und Pferde und Ochsen, und der Wind reißt an den leinenen Dächern der Fahrzeuge, es knattert und knarrt, das Knarren aber kommt von den Rädern, die über den Schnee hinknirschen und Lasten über sich haben, an denen sie eigentlich zerbrechen müssten. Und wie es nun heran ist, das wandernde Dorf, da hebt der Offizier oben im Turm des wartenden Wagens, vom Schnee umwirbelt, die Hand und legt sie grüßend an den Mützenrand, und die wenigen Männer zwischen den Wagen gehen und die Pferde und die Zugochsen begleiten, und die paar Frauen, die dicht hinter den Wagen gehen mit gesenkten Häuptern und tief herabgezogenen Tüchern, blicken kaum auf und grüßen wieder, wortlos, und manche nur mit den Augen, dieser und jener auch, indem er den Peitschenstiel schwenkt, und wenn sie etwas gerufen haben sollten, so nimmt doch der Wind, der unablässig hinter ihnen herjagende Wind, ihnen die Worte vom Mund und übertönt mit seinem grellen Singen und Pfeifen die menschlichen Stimmen. Es dauert nicht lange, der unsichtbare Druck ist so stark, dass die Wagen fast wie auf Kufen dahinzugleiten scheinen, und da der Weg hier obendrein etwas Gefälle hat, so macht es den Eindruck, als bewegte sich alles in einer sonderbaren schleichenden Hast vorwärts. Wie sollen die Menschen noch Zeit finden, auf das zu achten, was sich rechts und links von der Straße abspielt, auf den eisernen Wagen zum Beispiel, der nur darauf wartet, dass der Treck ein Ende hat und die Straße wieder frei wird für die Fahrt nach Osten?

 

Was hat dies noch miteinander zu tun? — fragt sich der Offizier, während er dem langsam im Schneetreiben verschwimmenden Wagenzug nachblickt. Laut aber sagt er, den Turmdeckel über sich schließend und den Fuß von den eisernen Krampen wieder auf den Boden des Wagens setzend:

 

Mit Mann und Ross und Wagen — Er vollendet den Satz aber nicht. Es ist ein Vers, und wer diesen Vers kennt, der muss ja auch die zweite darauf folgende Zeile kennen, vielleicht kennt der Gefreite sie, der Funker, der vorne neben dem Fahrer seinen Platz hat und sich eben flüchtig nach dem Kommandanten umblickt. Er kennt ihn wirklich, jedenfalls hört der Kommandant, dass der junge Mensch im Tonfall eines Schülers, der ein Gedicht aufsagt — und es ist ja auch noch ein Schüler, er ist bei Kriegsausbruch vom Gymnasium weg zur Truppe gekommen — das auch auf einen Winterfeldzug, auch auf den Untergang einer großen Armee im Ostland gemünzte Zitat vollendet:

 

Mit Mann und Ross und Wagen

Hat sie der Herr geschlagen.

 

Er hört es, aber er erwidert nichts. Die Männer sind wieder auf ihren Plätzen, sie sind noch schweigsamer, als sie bisher gewesen sind. Nur einer von ihnen, der hinter dem Funker sitzt, knurrt, als gelte es, einen Alpdruck loszuwerden, vor sich hin das unvergleichliche Schimpfwort, mit dem sie Elend und Unglück und Gefahr und Angst und Ekel und Überdruss von sich zu wälzen gewohnt sind, die universale Formel für alles, was die menschliche Fassungskraft zu übersteigen droht: Verdammte Scheiße!

 

Und da er seinen Kameraden offenbar aus der Seele gesprochen hat, so findet sich dann auch noch einer, sein Nachbar zur Linken, der ein Wort hinzufügt, von dem er vielleicht kaum noch weiß, woher es genommen ist, auch ein Zitat, ein Stückchen christlicher Liturgie — Amen, sagt er, und fährt sich selber gleich darauf mit der Hand über den Mund, während der Ladeschütze mit einem Blick über die Schulter weg nach hinten, wo der Kommandant sitzt, ihn auf das Ungebührliche dieser Ergänzung hinweist:

 

Das lass aber nicht unsern Pastor hören.

 

Der hat es nicht gehört. Er hat schon wieder die Karte vor sich, und er kann es nicht verhindern, dass das Auge den Weg verfolgt, den der Treck noch vor sich hat, bis dahin, wo sie heute früh gehalten haben. Und er malt es sich, seiner Phantasie flüchtig die Freiheit gönnend, aus, dass dort jemand ist, der das tut, was sie als Soldaten nicht haben tun können, der nicht bloß zuschaut, sondern zugreift und sorgt, dass sie die unseligen Wanderer in ihre Hütten aufnehmen, solange, bis auch sie zum Wanderstab greifen.

 

Und noch einmal auf ihrem Marsche werden die fünf Männer in ihrem Wagen genötigt, auszuweichen. Die wenigen Toten, an denen sie vorüberkamen, die waren ihnen nicht im Wege, die hatten die Wanderer schon beiseite geräumt, und der Schnee hatte die Leichname weich gebettet und dichter eingehüllt, als sie es mit Tüchern und Linnen vermocht hätten. Hier und da war noch der menschliche Umriss, eine schwache Wölbung zu sehen, streckte ein Toter den Fuß oder die Hand aus der weißen Decke hervor, als wartete er darauf, dass jemand käme und ihn aufweckte. Aber sie fuhren daran vorüber, sie hatten keine Zeit für die Toten, sie zählten sie nicht, sie hatten so viele Tote in all den Jahren des Krieges gesehen, darüber gerieten sie nicht mehr in Erstaunen. Es war nur wichtig, dass keine Leichname im Wege lagen, dass sie eine glatte Fahrt hatten. Um eines Toten willen können sie mit ihrem schweren Wagen keinen Bogen machen und von der Straße weichen und aussteigen und ihn beiseiteschaffen. Wenn der Sommer kommt und die Sonne scheint, dann wird man ihn schon finden und ihm ein anständiges Grab schaufeln. Jetzt ist der Schnee der Totengräber und versieht sein Amt, man muss es sagen, behutsam und gründlich. Nein, die Toten waren kein Hindernis auf der Fahrt, aber noch einmal ruft der Leutnant von seinem Beobachtungsposten aus: Achtung! Es mochte eine gute halbe Stunde seit ihrer Begegnung mit dem Treck vergangen sein, die Unruhe im Wagen hatte sich wieder gelegt, der Motor brummte, die Bewegung ging weiter, und der Schnee blieb auch bei seinem eigensinnigen Geschäft. Ab und zu sagte jemand ein Wort, aber es war nichts, worauf man hätte eingehen können, es waren die kleinen hilflosen Sätze, mit denen wir uns bestätigen, dass wir da sind, wenn um uns das Schweigen zu groß wird.

 

Sie haben wieder ein Dorf hinter sich gelassen, es schien noch bewohnt zu sein, aber keine Menschenseele war ihnen begegnet, als schliefe hier alles am lichten Tage, so war es, oder als hätte der Schnee das Leben der Menschen und Tiere erstickt. Sie sprachen davon, aber sie vergaßen es gleich wieder“.

 

(Dieser Auszug ist dem Roman „Winlergewitter (824 Seiten, Ganzleinen, DM 18,60) von Kurt Ihlenfeld, Eckart-Verlag, Witten und Berlin, entnommen.)

 

 

Seite 7  Eine Zeichnung von Robert Budzinski, Marburg/Lahn, Kirchspitze 5. Notenblatt mit Text. Der Heimat zugewandt. R.B.1953. 2 Strophen.

 

Auf allen meinen Wegen ich dir entgegen geh, mein Land du Heimatland so voller Wunden. Am Abend nein am Morgen dein leuchtend Bild ich seh, dich suchend bis ich endlich dich gefunden! Die Woge steigt und fällt dann im Wandel ihrer Zeit. So  wird sich auch noch wandeln mein Leid einmal in Freud, wenn endlich, endlich ich dich hab gefunden!

 

Und wenn die Wege wären so weit als nein die Welt, ich würde sie mit wunden Füßen wandern. Und fänd ich dann im Heimathaus der Eltern Aug‘ nicht mehr, ich fäng gewiss davon im Aug‘ der andern! Die Woge steigt …

 

 

Seite 7   Schwedischer Arzt befreite Königsbergerin aus Sowjetgefangenschaft.

Die menschliche Bravourtat des Arztes Dr. Sven Allersborg ist in Schweden in aller Munde. Er hat eine deutsche Frau aus sowjetischer Gefangenschaft befreit und ihr damit höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. Frau Frieda Geißler, 44 Jahre alt, einst in Königsberg zuhause, begreift es noch immer nicht ganz, dass sie jetzt frei ist und sich bei Dr. Allersborg zunächst einmal gründlich erholen darf, bevor sie die Heimreise nach Westdeutschland antritt.

 

Wie mehrere seiner Kollegen hatte der schwedische Arzt eine Einladung der Russischen Akademie erhalten, in Moskau an einem Erfahrungsaustausch über bakteriologische Forschungen teilzunehmen. Da es das Fachgebiet des auch wissenschaftlich tätigen Arztes war, sagte er zu. Zwischen den elf Konferenztagen machte er verschiedentlich Abstecher in die Vororte Moskaus und sah bisweilen Baukolonnen bei der Arbeit zu.

 

„Eines Tages“, so erzählt er, „kamen mir zwei bleiche Frauen entgegen, deren Gesichter von harten Entbehrungen gezeichnet waren. Sie schoben eine Karre Baukies. Plötzlich brach die eine zusammen und taumelte mir mit letzten unsicheren Schritten in die Arme.

 

Ich hakte sie fest unter und wollte mit ihr gleich zu einem russischen Arzt gehen, dessen Schild ich in der Nähe gelesen hatte, da liefen zwei Posten mit aufgepflanzten Bajonetten herzu und schrien mich an: „Frau freilassen, sonst tot!“

 

Aber es blieb mir noch Zeit, nach Frieda Geißlers Namen, Personalien und Lagernummer zu fragen. Dann wurde sie mir aus den Armen gerissen“.

 

Viermal versuchten Moskauer Stellen Dr. Sven Allersborg mit Achselzucken und Ausreden abzuspeisen. Schließlich sagte ein hoher Funktionär:

 

„Was geht Sie diese Deutsche an? Sie hat zwölf Jahre zu arbeiten, dann kann sie nach Hause fahren. Wollen Sie sie etwa adoptieren?“

 

Dr. Allersborg erwiderte entschlossen:

 

„Jawohl, wenn es nicht anders geht, werde ich diese Frau adoptieren!“

 

Der Funktionär war verblüfft. Der Schwede wurde am nächsten Tag wiederbestellt und musste eine Urkunde unterschreiben, dass er für Frieda Geißler gutsage und garantiere, dass sie nicht mehr gegen die Sowjetunion „hetze“. Als die Reise nach Stockholm zurückgehen sollte, übergaben ihm zwei MWD-Offiziere die neu eingekleidete Deutsche auf dem Bahnhof.

 

Heute sieht Frieda Geißler schon wieder gesünder aus. Dass der schwedische Arzt so viel für sie als eine unbekannte Frau tat, hat ihr den Glauben an das Gute auf dieser Welt zurückgegeben.

 

 

Seite 7   Der Danziger Lachs und seine Qualitäten: Goldwasser, Kalmus, Krambambuli und sonstige Liköre. Plauderei von Hermann Bink.

Da warf ich neulich einen Blick ins Schaufenster einer Feinkost- und Wahlhandlung und entdeckte wie einen Gruß aus dem deutschen Osten die altbekannten Vierkantflaschen des echten doppelten Danziger Lachses von der „Anno 1598 gegründeten“ und berühmten „Branntwein & Likör-Fabrik von Isaac Wedling Wwe. & Eidam Dirck Hekker“, und brachte dabei in Erfahrung, dass dieses altrenommierte Haus jetzt Niederlassungen in Berlin und in der Mainstadt Frankfurt errichtet habe.

 

Was gut ist, hält sich und überdauert die Wandlungen der Zeit. So auch der Danziger Lachs, der auf den Flaschenetiketts als Symbol und Wahrzeichen prangt. Aber was hat ein Fisch mit den Likören zu tun, wird der Fernstehende fragen.

 

In jener Zeit, als mit der Destillation begonnen wurde, hatten die Häuser noch keine Nummern, sondern führten Namen von Personen, Tieren, Blumen oder sonstigen Sinnbildern. Und das Haus der Likörfabrik führte als Wappen eben den Lachs, der heute, wie ehedem gleich als Schutz- und Warenzeichen gilt, weil geschäftstüchtige Spekulanten versucht haben, die Erzeugnisse nachzuahmen.

 

Aber keine Sorge, das wahre Geheimnis der Mixturen bleibt der Ursprungsfirma gewahrt. Der Laie kommt ins Staunen, wenn er nur von einem Teil der Likörsubstanzen erfährt, als da sind: Wacholderbeeren, Zitronenschalen, Koriander, Kardamomen, Nelken, Rosenblätter, Zimt, Muskat, Enzian, Galgant-, Alantwurzel, Bitterklee, Tausendgüldenkraut, Kalmuswurzeln und dergleichen Dinge mehr.

 

So konnten denn auch die verschiedensten Likörmarken entstehen und ihren berechtigten Namen führen: Cordial, Kalmuss, Ratafia, Cordamom, Kurfürstlicher Magenbitter, Nägelcken, Steinbrech und Krambambuli, „Lillien Komfallgen“ und nicht zu vergessen das „Goldwasser“.

 

Das letztere Produkt, ein besonders gut mundender Süßlikör, den auch die Damenwelt besonders „ins Herz geschlossen hat“, ist farblos und ihm ist eine geringe Menge von zu Flittern verriebenem Blattgold zugefügt.

 

Die Überlieferung weiß zu berichten, dass dieses Erzeugnis die Entdeckung eines Apothekers sein soll. Schon möglich; denn die „Kräuterköche“ und „Mörserknechte“, wie sie spottweise genannt werden, verstehen sich ja von jeher bis heute noch auf Schnapsspezialitäten. Die Ursache soll so gewesen sein: Zur Zeit einer fremden Truppenbesatzung verlangte ein geldgieriger Kommandant die Lieferung von Gold, und da von diesem Edelmetall wenig vorhanden war, versuchte besagter Apotheker, Gold durch allerlei Zusammensetzungen herzustellen. Bei seinen Versuchen erfand er zwar nicht das Gold, aber das Wasser dazu, welches durch reißenden Absatz eben zu Gold wurde und daher den Namen „Goldwasser“ erhielt.

 

Schon Lessing kannte diesen herrlichen Tropfen, und in seinem Lustspiel: „Minna von Barnhelm“ lässt er den Offiziersbedienten fragen: „Das muss ich sagen: gut, sehr gut! — Selbst gemacht, Herr Lirt?“ Und er erhielt die Antwort: „Behüte, veritabler Danziger, echter, doppelter Lachs!“

 

Etwas sonderbar mutet der Name: „Lillien Komfallgen“ an. In der plattdeutschen Mundart des Ostens bezeichnet man heute noch unter „Löllje Komfalje“ die Maiglöckchen, und so war der Hauptbestandteil des Getränks eben die zartduftende Maiblume.

 

„Krambambuli“ ist unsterblich geworden und in die Literatur eingegangen; der Dichter Christoph Friedrich Wedekind hat 1745 diesem etwas polnisch klingenden Namen ein Poem gewidmet, welches mehr als hundert Strophen enthält.

 

So sangen einst die Studenten zu ihrem Kommers:

 

„Krambambuli, so heißt der Titel,

Womit dich ein Starost beehrt;

Du bist das süße Labungsmittel,

Das Danziges Officin gewährt.

Halb klingst du deutsch, halb popolsky,

Recht majestätisch Krambambuli.“

 

Starost war ehedem ein vornehmer polnischer Edelmann, der im Besitz eines Kronkehen war und Gerichtsbarkeit ausübte. Vielleicht war so ein Starost auch der Urheber der „Goldwasser“-Erfindung. Heutzutage üben die Starosten als polnische Beamte wieder Recht in Danzig aus.

 

Krambambuli, ursprünglich die Bezeichnung für einen bestimmten Likör, wurde in der Studentensprache später der Ausdruck für geistige Getränke überhaupt.

 

Die fünfzehnte Strophe des Liedes richtet sich an den Handel:

 

„Ihr, die ihr mit Likören handelt

Und ihr Geschlechtsregister schreibt,

In Montpellier hat sich's verwandelt,

Weil man's in Danzig höher treibt;

Setzt in die Genealogie

Den Großpapa Krambambuli.“

 

„Trink ihn mäßig, aber regelmäßig“, also mit Verstand, heißt die Devise, damit der Genuss auch der Gesundheit bekömmlich ist:

 

„Trinkt Wasser, wie die Bürstenbinder,

Reist nach Pyrmont und Schwalbach zu:

Mein Danziger treibt viel gelinder,

Befördert Dauung, Schlaf und Ruh';

Was soll die mineral'sche Brüh — —

Gesunder ist Krambambuli.

 

Schlüg' Eisenbart, der Krankheitsstürmer,

Noch jetzo seine Bühnen auf,

Du wärst sein mächtigster Beschirmer,

Halb Deutschland brächtest du in Lauf:

Ich wett: er rief: cum emphasi,

Ihr Leute, kauft Krambambuli!“

 

Die „Opulentissima Prussiae urbs ac mercatorium emporium“, wie es unter einem Stich Danzigs aus dem Jahre 1572 steht, „die prächtigste Stadt Preußens und der Stapelplatz der Kaufleute“, fiel mit klaffenden Wunden dem Slaventum in die Hände und damit auch das Haus des „Lachses“, welches zu einem Wahrzeichen des Ostraumes geworden war, wie es im Liede heißt:

 

„Wie jeder, der nach Rom hinreiset,

Fürnehmlich den Pantoffel küsst;

So wird, wie Danzigs Chronik weiset,

Das Haus im Lachs zuerst begrüßt:

Wie mancher hält da nicht Revue

Vorm General Krambambuli!“

 

Heinrich von Kleist hat im „Zerbrochenen Krug“ und Kügelgen in seinen „Jugenderinnerungen“ den Erzeugnissen des Lachses ein Denkmal gesetzt, und was solch weise Männer der Vergangenheit erprobt haben, ist für unser Heute nicht zu schlecht!

 

 

Seite 8   Ein verdienstvoller ermländischer Historiker. Dr. Adolf Poschmann 70 Jahre alt.

Am 2. Januar konnte Oberstudiendirektor i. R. Dr. Adolf Poschmann, einer der angesehensten Historiker Ostpreußens, sein 70. Lebensjahr vollenden. Einer wohlhabenden Bauernfamilie des katholischen Ermlandes entstammend, die nachweislich seit 1530, also mehr als 400 Jahre auf der gleichen Scholle (in Komainen im Kirchspiel Heinrikau, zwischen den Städten Wormditt und Mehlsack gelegen) gesessen hat, hat er sich stets mit besonderer Liebe der Aufklärung und Darstellung ländlicher Verhältnisse angenommen. Das zeigte schon seine Erstlingsarbeit über „Die Siedlungen der Kreise Braunsberg und Heilsberg“, mit der er an der Universität Königsberg zum Dr. phil. promovierte. Es folgten sorgfältige statistische Untersuchungen über den Pferde- und Viehbestand des Ermlandes sowie mehrere Aufsätze über die sehr eingehende Landesaufnahme, die die Beamten Friedrichs d. Gr. bei der Einverleibung des alten Fürstbistums Ermland in die preußische Monarchie (1772) angefertigt haben. Gerade dieser Zeit nach 1772, also der neueren Geschichte seiner Heimat galt in erster Linie sein Interesse. Der Umgestaltung der Verwaltung, die die neue preußische Ära in den ermländischen Städten mit sich brachte, sowie der Einrichtung preußischer Garnisonen im Ermlande widmete er wiederholt eine eingehende sorgfältige Bearbeitung.

 

Andere Themen seiner historischen Forschung hingen mit seiner dienstlichen Stellung zusammen. Nachdem Poschmann schon bald nach dem philologischen Staatsexamen an die Deutsche Auslandsschule in Madrid berufen worden war (während des ersten Weltkrieges wirkte er öfter als Vertreter der Deutschen Botschaft in Spanien bei kulturellen Veranstaltungen mit), wurde er 1925 Direktor des staatl. Gymnasiums in der ermländischen Stadt Rößel, dessen Leitung er mit einer Unterbrechung von wenigen Jahren bis zur Vertreibung 1945 beibehielt. Diese amtliche Tätigkeit lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Vorläufer der ihm anvertrauten Lehranstalt und veranlassten ihn zu umfassenden Arbeiten über das mittelalterliche Kloster der Augustiner-Eremiten und das 1632 gegründete Jesuitenkolleg in Rößel. Das bot ihm die Grundlage für die „Geschichte der Stadt Rößel“, die er zu deren 600-jähriges Jubiläum 1937 herausgab; man darf dieses Werk wohl die best-fundierte Geschichte einer ostpreußischen Kleinstadt nennen. Ähnliches gilt von Poschmanns „Geschichte der Stadt Seeburg“, die dem gleichen äußeren Anlass ihre Entstehung verdankte.

 

Bei der Flucht nach Dänemark verschlagen, übernahm er dort die Organisation des Schulwesens für die in Lagern lebenden ostdeutschen Heimatvertriebenen und übte auch das reichlich unangenehme Amt eines Lagerrichters aus. Nach Westdeutschland zurückgekehrt, erhielt er die Leitung des Gymnasiums in Rüthen (Westf.), wo er auch nach seiner Pensionierung noch bis heute weiterhin Unterricht erteilt.

 

Neuerdings hat Poschmann zwei gut gelungene Bildstreifen über das Ermland zusammengestellt und den Begleittext dazu in leicht fasslicher Form geschrieben. Er ist zurzeit das Dienstälteste Mitglied im Vorstand des Ermländischen Geschichtsvereins (seit 1919) und gehört zugleich seit Jahren der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung an, in der sich alle aktiv tätigen Heimatforscher des alten Preußenlandes zu gemeinsamer Arbeit zusammengefunden haben. Daher beteiligt sich auch Poschmann (wie schon früher) wiederum mit zahlreichen Beiträgen an der von dieser Kommission erneut zur Veröffentlichung vorbereiteten „Altpreußischen Biographie“, die von allen für das öffentliche und kulturelle Leben Ost- und Westpreußens bedeutsamen Persönlichkeiten Lebensbilder in gedrängter Kürze bringt.

 

Stets hat der Jubilar die freie Zeit, die ihm neben seiner verantwortungsvollen dienstlichen Tätigkeit geblieben ist, in erster Linie in den Dienst seiner ermländischen Heimat gestellt! ihre Geschichte zu erforschen und der Öffentlichkeit bekanntzumachen, ist ihm immer Herzensanliegen gewesen. Möge uns im Interesse dieser heute so besonders wichtigen Aufgabe seine Arbeitskraft noch recht lange erhalten bleiben! Dr. habil. Hans Schmauch

 

 

Seite 8   Joseph von Eichendorff und die Marienburg.

Dass der Dichter Joseph K. B. Freiherr von Eichendorff, der romantische Sänger der schlesischen Wälder und Berge, der am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz in Oberschlesien geboren wurde, auch enge persönliche Beziehungen zu Danzig und Westpreußen gehabt hat, wird nur den besonderen Eichendorff-Verehrern bekannt sein. Nach seinen dichterisch so fruchtbaren Studentenjahren, nach des jungen Dichters freiwilligem Waffendienst während der Befreiungskriege, war der Jurist in den preußischen Verwaltungsdienst gegangen, hatte inzwischen geheiratet und sein Amt führte Eichendorff 1820 als Regierungs- und Oberpräsidialrat nach Danzig. Er ist nicht sonderlich froh über diese Versetzung nach Norddeutschland gewesen und hat daraus auch gar kein Hehl gemacht. Dennoch waren die ersten drei Jahre, die er in Danzig lebte und in denen er das Weichselland kennenlernte, für den Dichter ein Gewinn. Seine Freundschaft zu dem verdienst- und geistvollen Oberpräsidenten Theodor von Schön brachte ihm viele Anregungen und von Schön war es auch, der ihn für die mustergültige Verwaltungspraxis, aber auch für die geistige Welt des Deutschen Ritterordens interessierte, dessen Burgen und Dome als steinerne Zeugen im ganzen Preußenland den Romantiker stark beeindruckten.

 

Eichendorff wurde später nach Königsberg und dann in eine Ministerialstellung nach Berlin berufen. Aber der Verwaltungsdienst füllte ihn nicht aus, und es war wiederum Theodor von Schön, dem es durch Fürsprache gelang, 1840 Eichendorffs ehrenvollen Abschied aus dem Staatsdienst zu erwirken.

 

In Danzig und Königsberg bearbeitete Eichendorff auch in seinen Mussestunden nicht nur zahlreiche Erzählungen, Dramen und Gedichte, er verfasste auch geschichtliche Epen und beschäftigte sich mit literaturhistorischen Themen. Zu einem großen Teil entstand in Danzig seine berühmt gewordene Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Von besonderer Bedeutung für Westpreußen aber war sein Buch „Die Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ordensritter der Marienburg“, das er von 1840 bis 1844 auf Veranlassung seines Freundes von Schön schrieb. Er hat damit die Wiederherstellung des historischen Ordenshochschlosses nicht wenig gefördert und über die Grenzen Preußens bekannt gemacht.

 

Ein ihm kongenialer Geist, der damals kaum zwanzigjährige Max von Schenkendorf, der ostpreußische Dichter der Befreiungskriege, hatte schon bald nach dem unglücklichen Kriege von 1806 zusammen mit der Königin Luise und dem Baumeister Gilly König Friedrich Wilhelm III. für den Gedanken gewonnen, die damals als Militärmagazin dienende und vom Verfall bedrohte Marienburg wiederherzustellen. Die Befreiungskriege hatten es zu einer Verwirklichung dieses Planes nicht kommen lassen und erst 1817 konnten auf Initiative des Oberpräsidenten von Schön die Wiederherstellungsarbeiten an der Burg „als eines so vorzüglichen Denkmales alter Baukunst“ beginnen. Als 1843 der damalige Wiederaufbau, der von den Vorstellungen der Romantiker, zu denen auch Eichendorff zählte, stark beeinflusst war, seine Einweihung erfuhr, zeigte sich das Ordensschloss nicht in seiner ursprünglichen Gestalt. Den eigentlichen Baustil des Ordens wiederhergestellt zu haben, ist das Verdienst von Geheimrat Steinbrecht, der von 1881 als Schlossbaumeister der Marienburg wirkte. Dennoch soll Eichendorffs Anteil am Wiederaufbau der Marienburg nicht vergessen sein, der noch in den letzten Jahren vor seinem Tode Danzig und Westpreußen besuchte.

 

 

Seite 8   75. Geburtstag von Schulrat Babbel. Mit Foto.

Am 21. Januar 1955 vollendete Schulrat a. D. und Ratsherr Fritz Babbel, wohnhaft in Flensburg, Stuhrs-Allee 15, sein 75. Lebensjahr.

 

Dem vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Manne, der trotz seiner Jahre noch durch zahlreiche Ehrenämter dem öffentlichen Leben stark verbunden ist, wurden an seinem Ehrentag zahlreiche und herzliche Wünsche aus allen Kreisen der Bevölkerung unserer Stadt zuteil. Aber nicht nur die Flensburger und besonders die Heimatvertriebenen unter ihnen konnten eines hochverdienten und verehrten Mitbewohners ihrer Stadt gedenken, sondern darüber hinaus wurden dem so rüstigen und liebenswürdigen alten Herren viele gute Wünsche aus allen Teilen Deutschlands für das neue Lebensjahr zuteil. Denn — wer war und ist denn Fritz Babbel?

 

 

Am 21. Januar 1880 als zweiter Sohn einer ostpreußischen Lehrersfamilie in Bialla, Kreis Treuburg, geboren, erhielt schon der 19-jährige in dem ihm aus dem Vaterhaus vertrauten Beruf seine erste Stellung. Mittelschullehrer-, Rektor-, Turn- und Schwimmlehrerprüfung und dazu die des Fechtmeisters in Berlin waren die Stationen auf dem Weg zum Lehrer an der Turnlehrerbildungsanstalt in Berlin. Das Studium der Naturwissenschaften ging den Anstellungen als Seminarlehrer, Oberlehrer und Leiter der Lehrerbildungsanstalt in Friedland (Ostpreußen) voraus. 1922 wurde Fritz Babbel Schulrat, zunächst in Pilkallen, später in Pr. Eylau und dann in Königsberg. Hier hat er auch als Dezernent in der Schulabteilung der Regierung gewirkt, bis er bald nach 1933 erneut seinen Schulratsposten übernahm, den er bis zum bitteren Ende, der Flucht vor den Russen im Januar 1945, innehatte.

 

Bald nach diesem schwersten Schicksalsschlag seines Lebens sah es Schulrat Babbel als ganz selbstverständlich an, mit ungebrochenem Mut seine ostpreußischen Landsleute zu sammeln und aufzurichten, ihnen zu raten und zu helfen, wo er nur konnte. So wurde er der Begründer der Flensburger Landsmannschaft Ostpreußen und deren 1. Vorsitzender. Dieses Ehrenamt hat er seit nunmehr fast 10 Jahren inne. In dieser Eigenschaft hat er in ungezählten Versammlungen stets unverzagt den festen Glauben und den Willen zur Rückkehr in die Heimat vertreten. 1948 als einer von drei Vertriebenen-Vertretern in die Flensburger Ratsversammlung und in mehrere Ausschüsse gewählt, gehört der Repräsentant der Flensburger Ostpreußen auch der 1951 gewählten Ratsvertretung an, in der er sich als stellv. Fraktionsvorsitzender der WDF und Vorsitzender der Ausschüsse für Leibesübungen, für Vertriebene und für gewerbliches Schulwesen erneut hohe Verdienste um das Gemeinwohl und keinesfalls nur das der Vertriebenen erwerben konnte. Im Landesverband des Deutschen Städtetages ist Schulrat a. D. Babbel heute Vorsitzender des Kultur- und Jugendausschusses und gehört als solcher dem Vorstand an.

 

Weit über das kommunalpolitische Gebiet hinaus aber ist der 75-jährige in ganz Deutschland durch ein umfangreiches pädagogisches und turnerisches Schrifttum und besonders durch sein Wirken in der Deutschen Turnerschaft bekannt geworden. Er ist heute noch Mitglied des Hauptausschusses, also der Bundesrepräsentant des Deutschen Turnerbundes. Er hat hier alle Ehrenämter bekleidet, vom Vorturner bis hinauf zum Kreisvertreter des Kreises I Nordosten (Ost-, Westpreußen und Regierungsbezirk Bromberg). 1946 gründete er, fern seiner ostpreußischen Heimat, die Turnfamilie Ostpreußen-Danzig-Westpreußen. So ist der Jubilar, dessen aktiver turnerischer Betätigung ein schwerer Unfall bereits im Jahre 1908 ein viel zu frühes Halt gebot, heute noch der Sprecher und Vater dieses Kreises, dem er über Jahrzehnte hinaus in unübertroffener Treue vorgelebt hat.

 

Mögen dem verdienstvollen Flensburger Ostpreußen noch viele schöne Lebensjahre bei bester Gesundheit beschieden sein! Wünschen wir ihm, dass er — soweit es seine Kräfte erlauben — auch künftig seine reichen Lebenserfahrungen noch in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen vermag. Wünschen wir aber auch dem Geburtstagskind insbesondere, dass sein größter Herzenswunsch, dessen Verwirklichung ein Großteil seiner Arbeit galt und gilt, noch zu seinen Lebzeiten Erfüllung findet: die friedliche Rückgewinnung seiner geliebten Heimat Ostpreußen für ein in Freiheit wieder vereinigtes deutsches Vaterland!

 

 

Seite 9   Bier-Ulkiges aus Alt-Königsberg

Im alten Königsberg gab es einstmals recht viele Privatbrauereien, daneben aber auch eine Klosterbrauerei, die den Raum in der früheren Bollen- und Bulatengasse einnahmen. Die spätere Klostergasse war angrenzend. In der Ober- mit der Unterbergstraße verbindenden Löbenichtschen Kirchenstraße waren noch bis zum Untergang Königsbergs die alten schönen Mälzenbräuerhäuser erhalten.

 

In der Zeit vor der großen Reformation wollten die Mälzenbräuer den bisherigen Bierpreis von zehn auf elf Pfennige erhöhen. Für sich allein aber, ohne dass sich das Kloster an der Preissteigerung beteiligte, wollten und konnten sie diesen Schritt nicht wagen. Merkwürdigerweise erklärte sich jedoch der Abt des Klosters mit ihrem Plan nicht einverstanden. Trotzdem gaben sie ihre Hoffnung nicht auf, sondern wurden nur noch fleißigere Kirchenbesucher, ließen ziemlich viel Messen lesen, schenkten für die Kirche Kerzen und kostbare Geräte und trugen ihre Frömmigkeit auf alle mögliche Weise zur Schau. Als sie der wohlgefälligen Werke genug getan zu haben glaubten, warfen sie sich in ihren Sonntagsstaat und begaben sich zum Kloster. Der Beredtste unter ihnen sollte in wohlgesetzter Rede um die Zustimmung der Bierpreiserhöhung bitten. Nachdem sie im Vorzimmer ihre Stirn mit Weihwasser benetzt hatten, traten sie mit großen Verbeugungen ins Zimmer des Abtes. „Gelobt sei Jesus Christus“, sprachen alle feierlich im Chore. „Das Klosterbier kostet zehn Pfennige in Ewigkeit, Amen“, antwortete lächelnd der Abt und entließ die Verblüfften unverrichteter Dinge.

 

Einst hatten die Kneiphöfer alle Jahre am Himmelfahrtstage im Schloss ein Fest mit Essen, Trinken und Musik, das „Schmeckbier“ genannt, wobei sie denn auch so schmeckten, dass man sehr viele Teilnehmer nach Hause führen oder tragen musste. Der Sage nach war es ein Vermächtnis des Schuhmachergesellen Hans von Sagan.

 

Gregor Rummelaff, ein behäbiger und humorvoller Bierbrauer Königsbergs, maßte sich im Jahre 1588 an, über das Frische Haff in seiner größten Bierpfanne nach Danzig zu rudern. Man hielt diese Prahlerei für ein Ding der Unmöglichkeit und schloss Wetten auf vierzigtausend Gulden dagegen ab.

 

Am 11. August unternahm Rummelaff, mit reichlichem Mundvorrat versehen, die Fahrt im Braukessel und ruderte den Pregel stromabwärts, durchmaß das Frische Haff, lenkte in die Nogat ein und kam bis Danzig, wo er nach einer Woche wohlbehalten eintraf. Dort wurde der Brauer begeistert empfangen, das seltsame Fahrzeug wurde im Triumph durch die Gassen Danzigs getragen, und der Rat der Stadt richtete ihm zu Ehren unter Trompeten- und Paukenschall ein Festmahl aus.

 

In den „Brauerei-Anekdoten“ (Leipzig 1931) ist ein Hymnus in B-Dur von der alten Ordensstadt am Pregel angeführt:

 

Begeisterung für Deutschlands edlen Gerstensaft veranlasste einen Wirt in Königsberg zu folgendem Lob des Bieres in B-Dur: „Brauchbare Bierbrauerburschen bereiten beständig bitteres, braunes bayrisches Bier, bekanntlich besonders billiges Bedürfnis begnügsamer, brüderlich beisammenbleibender Bürger. Betörte bierfeindliche Bacchusbrüder behaupteten bisweilen bestimmt, bayrisches Bier berausche bald, befriedigte bloß Bauern, beraube besseren Bewusstseins, beschränke blühende Bildung, begründe breite Bäuche, befördere blinden Blödsinn! Begeistert Bacchus selber, bleibt beim Besseren! Besingt Burgunder, Bordeaux, Brausewein, beschimpft boshaft bayrisches Bier. Biedere Biertrinker! Bevor Beweise besseres bewähren, bleibt beigesellt beim braunen Becherblinken, bleibt bayrische Bierfreunde beim bayrischen Bier-Bernecker!“ Hermann Bink

 

 

Seite 9   Zwei Fotos: Zweimal Königsberger Schlossturm: das linke Bild zeigt das stolze Wahrzeichen unserer Vaterstadt, wie wir es in lieber Erinnerung behalten haben, das rechte Bild wurde nach der Bombardierung Königsbergs aufgenommen. Nur die rauchgeschwärzten Mauern vom Schloss blieben übrig, aber erst nach der Belagerung 1945 erlitt der Turm schwere Beschädigungen. Wie berichtet, steht jetzt nur noch der Turm zur Hälfte, nachdem die Sprengungsversuche eingestellt worden sind.

 

 

Seite 9   Neun Jahre Anschriftensammelstelle.

Am 1. Februar 1955 kann die Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistrats-Beamten, -Angestellten und -Arbeiter auf eine neunjährige, ehrenamtliche Tätigkeit zurückblicken. Im Februar 1946 setzte die Anschriftensammlung, Kameradschaftshilfe und der Suchdienst ein. 1947 trat dann die Anschriftensammelstelle erstmalig vor die Öffentlichkeit und mit Erstaunen mussten die damaligen ehemaligen Mitarbeiter feststellen, dass auch sehr viele Königsberger diese Anschriftensammelstelle sofort in Anspruch nahmen, in dem Glauben, dass wir im Besitze vieler wichtiger Unterlagen wären, was leider nicht der Fall war. Auf Grund einer mit 30 000 Neuanschriften versehenen Königsberger Liste konnten wir vielen Landsleuten einen Schritt weiterhelfen. Die Arbeitskameraden Stadt-Oberinspektor Otto Mirbach, 1. Sparkassendirektor Georg Ludat, Stadtinspektor Wilhelm Schneider, Stadtamtmann Märzhäuser, Masch.-Schlosser Ernst Rosteck, Stadtinspektor Friedrich Mollowitz, Stadtinspektor Günther Gerber, Stadtinspektor Artur Kohn, Stadt-Oberinspektor Katschinski usw., waren diejenigen Arbeitskameraden, die Neuanschriften usw. von Arbeitskameraden der ins Leben gerufenen Anschriftensammelstelle zur Verfügung stellten. Und wie viele gaben uns mit der Zeit wertvolle Hinweise? Ihnen allen gebührt der Dank derer, die durch die Anschriftensammelstelle zum gewünschten Ziel gelangten. Die vielen Dankesbriefe waren immer unser schönster Lohn für die ehrenamtliche Tätigkeit.

 

An dieser Stelle wollen wir noch mit Dankbarkeit an all unsere ehemaligen Personalsachbearbeiter denken, die selbstlos, soweit es ihnen möglich war, Dienstbescheinigungen gegeben haben, so dass manche Not schnellstens behoben werden konnte. Dank sei auch unseren vielen Stadtamtsvorstehern gesagt, die in schwierigen Fällen Bescheinigungen erteilt haben. Ohne Personalunterlagen konnte diese Hilfe fast allen Arbeitskameraden zuteilwerden. Ohne irgendeinen Zuschuss wickelte sich in all den Jahren der Geschäftsgang ab. War es nun ein Wunder, wenn späterhin, als die Posteingänge immer größer wurden, wenn viele Mitarbeiter der vielen Portokosten usw. zurücktraten? Der von uns gebildete Mitarbeiterstab fiel daher praktisch auseinander und nur wenige haben ihre Opferbereitschaft bis zum heutigen Tage bekundet. Die Förderung unseres Zusammenhalts war mit einer unserer Hauptaufgaben. Politische Auseinandersetzungen wurden in unseren Reihen nicht geduldet, im Gegenteil, wir haben geholfen, wo wir nur irgendwie konnten. 1947 berichtete nach persönlicher Rücksprache Stadtinspektor Wilhelm Schneider und Dienststellenleiterin Edith Justus erstmalig über viele in der Heimatstadt zurückgebliebenen Arbeitskameraden. Groß war die Zahl der Toten und Verschollenen, die pflichtgemäß bis zur Besetzung und darüber hinaus in Königsberg verblieben waren. Die Angehörigen konnten somit von uns sofort benachrichtigt werden. Wenn wir nun noch all die Namen nennen wollten, die 1948 und 1949 von Königsberg kamen und uns wichtige Nachrichten über vermisste Arbeitskameraden brachten, dann würde dies zu weit führen. Doch eine Arbeitskameradin, die erst Ende 1948 von dort kam, muss von allen Berichterstattern im Hinblick auf unser neunjähriges Bestehen genannt werden. Es ist Elisabeth Schadlowski, die bis zum heutigen Tage immer wieder uns Hinweise usw. über Lebende, Vermisste und Verstorbene Arbeitskameraden gerade in schwierigen Suchfällen gab. Durch ihre Mitarbeit nahm sie hunderten von Suchenden nach ihren Angehörigen die Ungewissheit. Ihr sei von uns an dieser Stelle besonderer Dank gesagt. Was wäre unser Suchdienst ohne all die vielen kleinen Berichterstatter usw.? — Und wie viele Arbeitskameraden fehlen noch? —

 

Nun sei noch unserer lieben Ostpreußen-Warte mit Beilage Königsberger Neue Zeitung gedacht, die stets hilfsbereit durch die unentgeltlichen Veröffentlichungen unserer Artikel die Verbindung unter uns wieder herstellen. Arbeitskameraden, die das Blatt noch nicht halten, wird empfohlen, dies nun nachzuholen. Auch erwarten wir, dass alle, die sich mit uns verbunden fühlen, ihre Werbung für dies Heimatblatt fortsetzen. Der Bezugspreis ist so niedrig gehalten, dass jeder die Bestellung aufgeben kann.

 

Für weitere Aufgaben der Anschriftensammelstelle soll der Ausschuss auf mehrere Neumitglieder ergänzt werden. Arbeitskameradinnen und Arbeitskameraden, die unentwegt ehrenamtlich mithelfen wollen, über viel freie Zeit verfügen und auch zu finanziellen Opfern (Porto, Papier, Reisen usw.) bereit sind, werden gebeten, uns dies mitzuteilen. Ihre Wahl erfolgt bei unserer nächsten Zusammenkunft.

 

Am 12. Februar 1955 wird unser Berufskamerad Stadt-Obersekretär i. R. Julius Keller, jetzt wohnhaft (13b) Reutlingen, Kruppstraße 16, 82 Jahre alt. Wir gratulieren unserem „Schnauzchen“ aufs herzlichste und wünschen ihm noch einen recht langen Lebensabend.

 

Unsere besten Geburtstagswünsche senden wir auch unserem Arbeitskameraden Stadtrat i. R. Paul Wolff und Frau (28. und 16. Februar 1955).

 

Unser Arbeitskamerad Stadtdirektor Erich Becker, Tecklenburg (früher Königsberg, Passage 4) hatte am 27.  1955 Geburtstag. Auch ihm gelten unsere besten Wünsche.

 

 

Nach Mitteilung unseres Landmanns Rektor Fritz Kollwer, jetzt Rektor der evangelischen Blankeschule in Nordhorn, ist Ingenieur Horst Kollwer , Leiter des Wasserwerkes Neuendorf (Königsberg) 1945 tödlich überfahren worden.

 

Arbeitskameraden des genannten Wasserwerkes, die von ihm immer eine Dienstbescheinigung haben wollen, wenden sich bitte an: Für Angestellte der Wasserwerke: Anna Schiel, (16) Wiesbaden, Emserstr. 7; für Arbeiter der Wasserwerke: Ernst Radewald, (24) Hamburg 34, Bei der Martinskirche 5I.

 

Unser Arbeitskamerad Fritz Küssner (Sparkasse) ist am 8. Oktober 1941 in Königsberg verstorben. Wir werden das Andenken an unsere Verstorbenen stets in Ehren halten.

 

Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass bei allen Anfragen usw. Rückporto beizufügen ist. Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistrats-Beamten, -Angestellten u. -Arbeiter, (16) Biedenkopf, Hospitalstraße 1.

 

 

 

Seite 9   Verein für Körperübungen e.V. Königsberg i. Pr.. Liebe VfKer und Freunde des VfK! Unser Bundestreffen 1955 findet am Pfingstsonntag 1955 im Rahmen der 700-Jahrfeier der Stadt Königsberg Pr. in Duisburg statt. Lokal und Zeitfolge wird durch Bundesbrief bekanntgegeben. Ich bitte alle VfKer mit ihren Angehörigen an der Jubiläumsfeier unserer Heimatstadt und an unserem Bundestreffen teilzunehmen. Damit jeder VfKer in den Besitz der nächsten Rundbriefe kommt, bitte ich mir etwaige Anschriftenveränderungen sofort bekanntzugeben. Die Anmeldungen für unser Bundestreffen bitte ich bis spätestens 1. April 1955 bei mir abzugeben. Bei der Anmeldung bitte ich die benötigten Quartiere zu melden. Beim Versand unseres Weihnachts-Rundbriefes 1954 sind zirka 50 als unbestellbar zurückgekommen. Alle VfKer, die dieses Rundschreiben nicht erhalten haben, wollen mir ihre neue Anschrift sofort angeben.

 

Mit landsmannschaftlichen und VfK-Grüßen Euer Franz Schierwagen, Benthe über Hannover, Waldstraße, Haus 112

 

 

Sondertreffen in Duisburg.

Vereinigung ehem. Königin-Luise-Schülerinnen. Anmeldung an Frau Käte Bode, Frankfurt a. M., Wiesenau 6.

 

 

Nachruf!

Die Spielvereinigung ASCO-Königsberg Pr. beklagt den Tod zweier sehr alter und verdienter Sportler:

 

Herrn Tolckmitt, der seit 50 Jahren dem ASCO angehörte und

 

Herrn Dr. Becker, der Ehrenmitglied des ASCO und viele Jahre im Vorstand und auch Vorsitzender war. Dr. Becker war erst 1947 aus Königsberg gekommen.

 

 

 

Seite 10   Wie die Albertina entstand.

Der letzte Hochmeister des Deutschen Ritterordens, Herzog Albrecht I. von Brandenburg, hatte am 8. April 1525 den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umgewandelt und regierte seither (08.04.1525 - 20.03.1568) als erster Herzog in Preußen. Nach den unruhigen Zeiten, die der Niedergang des Ordens für das Land zwischen Weichsel und Memel mit sich gebracht hatten, widmete er sich ganz dem inneren Aufbau seines Landes. Viele Dorf- und Kirchenschulen entstanden zu seiner Zeit im Preußenland, Künstler und Wissenschaftler rief der Herzog nach Königsberg. Bei dem Domprediger Johannes Brismann, dem ersten bedeutenden evangelischen Theologen in der Herzogsresidenz, traf ein Brief Martin Luthers ein, in dem dieser ihm riet, vermehrte Sorge für die Errichtung von Schulen zu tragen. Seinen Vorstellungen bei Herzog Albrecht ist es zu verdanken, dass dieser eine Kathedralschule und ein Archipädagogium stiftete. Ebenso entstand auf Anregung von Johannes Brismann der sogenannte Partikular. Aus diesem entwickelte sich 1544 die erste Hohe Schule Preußens, die Universität Königsberg, die nach dem Landesherrn „Albertina“ genannt wurde. In unmittelbarer Nähe des Ordensdomes stellte das Domkapital an der Nordostecke des Stadtteiles Kneiphof den Bauplatz für die neue Hochschule zur Verfügung. Ein Jugendfreund des Herzogs, Georg von Polentz, der in den Orden eingetreten war, als Albrecht am 14.02.1511 dessen Hochmeister wurde, war 1519 Bischof des Samlandes geworden. Zusammen mit dem Bischof von Pomesanien, Erhard von Queis, huldigte dieser letzte katholische Bischof des Samlandes am 28.05.1525 dem neuen weltlichen Herzog und bekannte sich zur Lehre Luthers. Als erster evangelischer Bischof des Samlandes heiratete Georg von Polentz, der wie von Queis kein Theologe, sondern Jurist war, im gleichen Jahre Katharina von Wetzhausen, die in Natangen große Liegenschaften besaß. Er war es auch, der an der Gründung der Albertina entscheidend mitwirkte. Er stellte die Geldmittel zur Gründung und ersten Unterhaltung der neuen Universität zur Verfügung und übereignete die Bischofsburg von Fischhausen mit ihren Ländereien dem Herzog. Aus diesen herzoglichen Domänen wurden in den ersten Anfängen der Albertina nicht nur die Mittel für die Besoldung der Professorenschaft, sondern auch die Lebensmittel für das der Hochschule angeschlossene Speisehaus für Lehrer und Studierende gewonnen.

 

Während Georg von Polentz vom Herzog zum Konservator der neuen Stiftung ernannt wurde, dem die Aufsicht über Rektor, Senat und die akademische Gerichtsbarkeit übertragen wurde, wurde Domprediger Dr. Johannes Brismann, der am 27.11. 523 die erste Predigt nach Luthers neuer Lehre im Dom zu Königsberg gehalten hatte, Vizekanzler der Universität. Auf Brismanns Vorschlag übertrug Herzog Albrecht dem aus Brandenburg an der Havel stammenden Georg Schuler, der sich Georg Sabinus nannte, das Amt des ersten Rektors der Albertina. Sabinus, den man seiner großen Gelehrsamkeit wegen später „Lehrer Deutschlands“ nannte, war ein Schwiegersohn des Reformators Philipp Melanchthon. Sabinus hat sein Rektorat an der Albertina bis 1555 versehen und starb 1560 in Frankfurt a. d. Oder.

 

Das alte Gebäude auf dem Kneiphof hat der Albertina bis 1862 als Heim gedient, in ihm wirkte auch Immanuel Kant. Dann beherbergte es die Stadtbibliothek. Die neue Universität, die von 1844 bis 1862 nach Stüler'schen Entwürfen im Stile italienischer Renaissance am Paradeplatz erbaut wurde, hat bis Ende 1945 das hohe Geisteserbe der Albertina treu bewahrt.

 

Und der Geist der Alma Mater Albertina erwies sich auch nach der Zerstörung der Universität und nach der Austreibung ihrer Bürger als so lebendig, dass er auch in Westdeutschland ein sprechendes Zeugnis fand: Seit 1950 erscheint in Göttingen, vom „Göttinger Arbeitskreis“ herausgegeben, der Albertus-Universität zu Königsberg/Preußen, womit sich die altehrwürdige Albertina nach wie vor am Geistesgespräch der Gegenwart beteiligt und ihren Beitrag leistet zu Forschung und Lehre.

 

 

Die Alberten von Königsberg.

Zur Erinnerung an die Stiftung der Albertus-Universität zu Königsberg war nach einem Entwurf ihres ersten Rektors Georg Sabinus ein großes Siegel aus Messing, das einen Durchmesser von ca. 80 Zentimetern hatte, geprägt worden. Es zeigte ein Brustbild Herzog Albrecht I. im Harnisch mit geschultertem Schwert. Es erhielt zunächst seinen Platz an der Brüstung des Studentenchores im Königsberger Dom. Als dieser Chor später abgebrochen wurde, hing das Messingschild bis in die letzte Zeit über der sogenannten Albrecht- oder Professorentüre in der Nordwand des Domes, die hinter den Professorensitzen direkt in den Dom hineinführte. Nach diesem Siegel wurden kleine Anstecknadeln gefertigt, die Alberten, die nach einer alten, schönen Sitte den ostpreußischen Abiturienten von ihren Freunden an die Rockaufschläge gesteckt wurden, als Zeichen, dass sie die Reife für die Albertina erworben hatten. Wie viele junge Ostpreußen haben vor Jahren stolz ihre Alberten getragen unter dem roten Samtstürmer, die sie auswiesen als angehende Schüler der Alma Mater Albertinae.

 

 

Seite 10   Königsberger Suchdienst.

Georg Behrend, geb. 11.08.1892, Reichsangestellter, früher Juditten, Gottschedstr. 37. Seit Januar 1945 vermisst. War bei Landesschützen-Ers.Batl. I. 2. Komp. Pr. Holland.

 

Friedrich Bork, geb. 1895, Kraftfahrer bei der Stadtverwaltung, früher Schönfließer Allee 30 und Ehefrau Auguste Bork, geborene Friese. Ehemann 1944 in Bromberg, seitdem vermisst.

 

Kurt Brien, geb. 08.11.1926 in Kolbnicken, früher Ziegenweg (Speichersdorf) 10. Seit Februar 1945 in Pillau vermisst. Gesucht von den Eltern.

 

Gustav Faust, geb. 19.12.1891 in Schönbaum Kreis Friedland, früher Besselstr. 15 I.

 

Helene Gellsun, geborene Rösenick, geb. 05.07.1895 in Königsberg, früher Am Ausfalltor 19.

 

August Grutz, geb. 17.10.1892, früher Aweiden. Bauarbeiter bei der Fa. Oppermann, seit 1947 in Königsberg vermisst.

 

Gustav Günther, geb. 21.07.1886 in Rathenow Kreis Westhavelland, Dipl. Opt., früher Lutherstraße 5 und Charlotte Günther (Ehefrau).

 

Helene Hennig, geborene Niederstraßer, geb. 27.10.1875. früher Ratshof. Richterstr. 16.

 

August Hollstein, geb. 19.11.1891 in Uderwangen, Schneider beim Heeresbekleidungsamt Königsberg und Ehefrau Berta Hollstein, geborene Eisenblätter, geb.01.05.1888, früher Sackheimer Mittelstraße 22.

 

Alfred Huwe, geb. 13.08.1907 in Seeburg Kreis Rößel, Hochbau-Ing. bei Gustav Buhrke, früher Tapiauer Str. 4 II. Vermisst seit Februar-März 1945 in Königsberg.

 

Josef Kempowski, , Eisenbahn-Inspektor, früher Jägerstraße 38.

 

Erich Kirche, geb. 16.03.1911, früher Kaporner Straße 21a.

 

Bruno Konietzko, geb. 15.02.1912, Lok.-Führer, früher Ostendorffstr. 3. Seit 1944 vermisst.

 

Alfred Friedrich Kreß, geb. 16.02.1898, Generalvertreter Habero-Tabakfbr., früher Tragh. Pulverstraße 22 I.

 

Friedrich Alban Kreß, geb. 09.02.1858, früher Altersheim Waldau.

 

Johanna Kusch, geborene Reinhardt, geb. 02.06.1860, früher Alter Graben 8.

 

Erwin Lutkat, früher Kolwstraße 14.

 

Karl Mölter, geb. 04.11.1888, Reichsbahnobersekr., Güterbahnhof Ponarth, früher Karschauer Straße 36 und Ehefrau Ida Mölter, geborene Doliva, geb. 17.11.1887. Vermisst seit Januar 1945 in Königsberg.

 

Julius Neubauer, geb. 17.01.1866, Schuhmachermeister, früher Kreuzstraße 38/39.

 

Paul Nieswand, geb. 31.12.1912, früher Karl-Baer-Straße 1 II.

 

Heinrich Paun, Hilfsarbeiter beim Heereszeugamt Ponarth, früher Karschauer Straße 32 und Ehefrau Emma.

 

Fritz Petrat, geb. 11.01.1890. Damenschneidermeister, früher Heumarkt 12 II. War in Ballieth eingesetzt. Letzte Nachricht vom 04.03.1945

 

Christel Petrat, (gesch. Hüwels), geb. 15.12.1922, Postangestellte, später DRK-Schwester in der Chirurgischen Klinik, früher Heumarkt 12 I wohnhaft. Vermisst seit 06.04.1945

 

Gustav Rösenick, geb. 1900. früher Ponarth und Ehefrau Hildegard Rösenick.

 

Julius Rostock, früher Sternwartstr. 7, sowie Ehefrau Elisabeth Rostock, geborene Schiemann und Söhne Walter Rostock, Willy Rostock, Ewald Rostock und Erich Rostock.

 

Ernst Schipper, geb. 07.06.1903, früher Gebauhrstraße 45. Vermisst seit 1945, gesucht von seinem Sohn Heinz Schipper.

 

Georg Schipper, geb. 12.12.1923 in Brasdorf, früher Gebauhrstr. 45, war in Italien Soldat, kam 1944 in Gefangenschaft nach Canada, seit dem keine Nachricht. Gesucht von seinem Bruder Heinz.

 

Käte Stachowitz, geb. Schettler, geb. 17.06.1894, früher Am Stadtwald 16, und Sohn Heinz Stachowitz, geb. 07.03.1925.

 

Marta Stropeit, geb. 14.07.1895 und Töchter Hildegard Stropeit, geb. April 1923, und Gerda Stropeit, geb April 1924, früher Alter Graben 8.

 

Kurt Taudien, Maurerpolier bei Firma Raukuttis, früher Kohlhof. Straße 1058, Nr. 10 I.

 

Auskünfte und Hinweise erbittet die Stadt Duisburg, Auskunftsstelle Königsberg.

 

 

Johannisburg.

Im Zuge der Grenzland-„Bereinigung“ werden gegenwärtig sämtliche Häuser der Gemeinde Schwiddern nach gründlicher Plünderung für die Sprengung vorbereitet. Auch dieser Ort soll dem Erdboden gleichgemacht wenden.

 

 

Seite 10   Bertelsmann-Verlag verkündete Novellen-Preisausschreiben.

Zur Beteiligung an einem Novellenpreisausschreiben, für das drei Preise im Gesamtwert von 6000,-- DM zur Verfügung stehen, hat der Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh, alle deutsch sprachigen Autoren aufgefordert. Es sollen solche Arbeiten ausgezeichnet werden, die die spezifische Eigenart der Novelle in Inhalt und Form gegenüber Erzählung und Roman zeigen. Einsendeschluss ist der 30. Juni 1955, das Ergebnis soll am 1. Dezember 1955 verkündet werden. Die Entscheidung über die Preisverteilung liegt bei einer Jury, der Joachim Günther, Berlin, Dr. Paul Hühnerfeld. Hamburg, Dr. Johannes Pfeiffer, Hamburg-Volksdorf und ein Vertreter des Bertelsmann-Verlages angehören.

 

Für die beste Novelle wurde ein Preis von 3000,-- DM ausgesetzt, der zweite Preis beträgt 2000,--, der dritte 1000,-- DM. Die drei preisgekrönten Manuskripte werden 1956 im Rahmen der Reihe „Das Kleine Buch“ veröffentlicht. Der Umfang der einzureichenden Novellen, die noch unveröffentlicht sein müssen, soll zwischen 43 und 64 Schreibmaschinenseiten betragen. Ein Merkblatt mit den Bedingungen kann beim C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh, angefordert werden.

 

 

Seite 10   Im Königsberger Stadttheater. Von Herbert Meinhard Mühlpfordt.

 

12. Dezember 1809.

Schon lange vor dem festgesetzten Beginn füllte sich allmählich der festlich geschmückte, große, fast 1600 Personen fassende Theatersaal. Frohe Menschen, auf deren Gesichtern eine erwartungsvolle Feierlichkeit lag, drängten sich an den Garderoben und in den Gängen und kauften Theaterzettel, auf denen fettgedruckt zu lesen war: „In Gegenwart des Königs und der Königin Majestäten“. Sie fluteten in den vornehmen, amphitheatralisch gestalteten Raum hinein, dessen in Rot, Gold und zartgetöntem Weiß leuchtende Ränge höchst feierlich auf das weite Parkett herabsahen.

 

Mitten von der Decke hing der große „Lüster“ mit 32 Argond'schen Lampen, mit Spiritus gespeisten Beleuchtungskörpern, welche die neueste und hellste Errungenschaft auf diesem Gebiet darstellten, herab, und diese Lichtfülle tauchte den hohen Raum in festliche Helligkeit.

 

Wie in einem Bienenschwarm summte es aufgeregt durch den Saal: die Damen waren nach neuestem Pariser Schnitt gekleidet in eleganten Empirekostümen mit dem unter die Brust hochgezogenen Gürtel, von dem die seidenen Gewänder schönfließend niederwallten; die Herren waren in schmucken, mit blitzenden silbernen oder polierten Stahlknöpfen verzierten blauen, braunen oder grünen Fräcken und seidenen geblümten Westen; alle blickten immer wieder aus dem Parterre hinauf zur Königsloge, deren, wie ein griechischer Tempel auf korinthischen Säulen ruhender Kuppelbau die schöngeschwungene Balkenlinie des ersten Ranges in der Mitte edel unterbrach.

 

An der Wand des mächtigen Raumes im Seitengang zu den Parterresitzen standen zwei Männer in lebhaftem Gespräch. Der eine, ein schon alter Mann Anfang Siebzig, in unauffälligem, hechtgrauen, aber elegant geschnittenem Frack, das weiße Haar an den Schläfen zu Lockenrollen gedreht, glattrasiert, wie die Mode es der Zeit vorschrieb, einen ironischen Zug um den feinen geistreichen Mund, sagte: „Nun ist es endlich doch wieder soweit! Ich hätte nicht geglaubt, dass man unser neues Stadttheater so schnell wieder aufbauen würde. Wie feierlich wurde es doch am 9. März 1808 im Beisein der königlichen Familie mit Mozarts Oper „Titus“ eröffnet! Man spielte bis der unselige Brand vom ersten Julius vorigen Jahres das ganze Gebäude nebst allen Requisiten bis auf die Ringmauern vernichtete“.

 

„Und dann ist es noch schöner erstanden, als vor dem Brande“, bestätigte lebhaft der Angeredete“. Es war ein Glück, dass der Bau gegen Feuer versichert war! Die Versicherungsgesellschaft hat prompt die hohen Summen bereitgestellt, so sauer es ihr angekommen gewesen sein mag! Jedenfalls haben Sie ganz recht, Herr Kriegsrat, wir können stolz sein, in unserem neuen Schauspielhause nun endlich ein würdiges Musenheim zu haben. Der Geheime Regierungsrat und Baudirektor Valerian Müller hat unsere geliebte Vaterstadt durch einen auch architektonisch wohlgeratenen Bau verschönt“.

 

„Ich kann mir nicht helfen, mein noch der Schönheit des Rokoko verschworener Geschmack kann sich mit dem kastenartigen Bau, der von vornherein auf jede dekorative Schönheit verzichtet und allein den geradlinigen Klassizismus anerkennt, nicht recht befreunden“, erwiderte der Kriegsrat Johann George Scheffner, ehemals Freiwilliger im Siebenjährigen Krieg, langjähriger Freund Hippels und oftmals Gast der Tafelrunde des vor fünf Jahren verstorbenen Immanuel Kant.

 

Sein Gegenüber, auch ein Schüler des großen Philosophen, war der bekannte Buchhändler Friedrich Nicolovius, der in dem ehemaligen Geßlerschen Palais in der Junkerstraße seine wohlbekannte, von der geistigen Elite der Stadt nach Kanters Tode eifrig besuchte Buchhandlung und seinen rühmlich bekannten Verlag hatte. Und in dieser seiner Eigenschaft als Verleger wusste er von dem alten Kriegsrat vieles, was mancher Königsberger nicht ahnte; so mancher hätte dem alten Herrn eine gewisse anonyme Schrift nicht zugetraut.

 

„Nun“, sagte er, „wenn erst der Fries in Basreliefs, der sich unter dem Dach um das Gebäude ziehen soll, fertig ist, so wird unser Stadttheater schon ganz anders wirken. Und die halbrunden, bis zum First durchgehenden, von dorischen Säulen getragenen hohen Nischen in den beiden Ecken an der Hauptfront nach dem plätschernden Fließ und dem Königsgarten hin sind doch wirklich eine prächtige Belebung des ganzen Baues. Auch werden Sie, verehrter Herr Kriegsrat, nicht abstreiten können, dass etwas Weltstädtisches darin liegt, wenn vor der südlichen Eingangsfront drei Equipagen gleichzeitig vorfahren!“

 

„Gewiss, gewiss“, gab der Kriegsrat Scheffner lächelnd zu, „der Geheimrat Müller hat sich schon alle Mühe gegeben, nach Friedrichs Gillys Entwürfen im neuen Stil der neuen Zeit das Beste zu schaffen, und das Innere hier“ — er ließ seine Augen im Raume, der sich immer mehr und mehr füllte, umherschweifen, — „ist wirklich großzügig, würdig und schön. Wie gewaltig ist die Proeceniumsöffnung — wie ich hörte 40 X 39 Fuß! Und wie vornehm ist die Königsloge zwischen die Ränge eingebaut! Doch es wird Zeit, dass die Majestäten kommen —„. Er zog eine zierliche goldene Rokokouhr mit blau emailliertem Zifferblatt aus der Uhrtasche und ließ das feine Glöckchen des kostbaren Chronometers repetieren.

 

„Das Orchester stimmt ja schon eifrig seine Instrumente“, sagte der Buchhändler auf die vor der Bühne versammelten Musiker weisend, „es ist merkwürdig, dass Direktor Schwarz die ‚Fanchon‘ heute wieder hervorgeholt hat — wir hörten sie vor 4 Jahren schon, ein Jahr nach der Berliner Uraufführung im jetzigen Konzert- und Gesellschaftshaus am Kreytzen'schen Platz —.

 

„Nun, das ist doch klar, lieber Freund“, sagte der Kriegsrat Scheffner, „abgesehen davon, dass unsere Königin diese Oper sehr schätzen soll, ist sie doch auch als Huldigung für die Majestäten nicht ungeeignet —„. Er lächelte sein etwas faunisches Lächeln. „Zudem lebt doch der Komponist, der Hofkapellmeister Himmel, jetzt hier in Königsberg beim Hofstaat, und der wird schon dafür sorgen, dass seine Oper nicht unter den Tisch fällt!“

 

„Wurde Himmel nicht der Nachfolger unseres Königsberger Landsmannes, des unvergesslichen Komponisten und Hofkapellmeisters Johann Friedrich Reichardt?“ fragte Nicolovius. „Gewiss, anno 95 trat der genialische Reichardt von seinem Amte, wohl mehr nolens, als volens, zurück — er pflegte das Ross der Freimütigkeit oft ohne Zaum und Sporen zu reiten — und das soll nicht immer gut tun —. Jetzt lebt er in Giebenstein“, entgegnete Scheffner.

 

„So, so“, erwiderte der Buchhändler, „was aber den Kapellmeister Himmel betrifft, so lese ich in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung begeisterte Berichte über sein hiesiges Wirken, die ihn richtig in den Himmel heben“. Er lachte. „Im Übrigen soll er ja aber alle Genüsse des Lebens mitzunehmen verstehen — besonders die des Gottes Bacchus —.

 

„Wohl auch die der Venus“, nickte der alte Kriegsrat, maliziös lächelnd, „ja — er wird sich bald zu Grunde richten, wenn er so weiter macht — der Geheimrat Varnhagen von Ense nannte ihn neulich einen ‚wüsten Sonderling' —. Er machte eine nachdenkliche Pause.

 

„Hat übrigens nicht der so fruchtbare August von Kotzebue das Textbuch zur ‚Fanchon' geschrieben?“ nahm Nicolovius den Faden des Gespräches wieder auf. „Doch, doch — sehen Sie — und Herr von Kotzebue hat hier ebenfalls keinen geringen Einfluss und sorgt für seine literarischen Kinder — da brauchen Sie sich also wirklich nicht zu wundern, lieber Freund, dass die ‚Fanchon' uns auch heute wieder erfreut.

 

Scheffner wollte noch etwas sagen, doch im selben Augenblick hörte man Rufe „Der König —- die Königin — die Majestäten kommen —.

 

Wie auf Kommando erhoben sich alle die eleganten Kavaliere, alle die schönen Damen in ihren Festgewändern von ihren Plätzen und alle Köpfe im Parkett richteten sich, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, aufwärts zur hellbeleuchteten Königsloge, in die nun seiner blauen Uniform, den Zweispitz in der weißbehandschuhten Hand, König Friedrich Wilhelm III. eintrat. Er ließ seiner noch immer in jugendlicher Anmut und Schönheit strahlenden Gemahlin Luise, die in großer Robe, das reiche Diadem im Blondhaar, neben ihm schritt, galant den Vortritt.

 

Jubelrufe begrüßten das Königspaar, das Theater durchbrausend; freundlich mit gewinnendem Lächeln neigte die schöne Königin immer wieder ihr Haupt; würdevoll und gemessen dankte auch der König für die Huldigung seines treuen Volkes, mit dem er sich eins wusste gegen den Eindringling, den Eroberer Europas, den französischen Tyrannen. —

 

Hinter dem Königspaare füllten Offiziere in blitzenden Uniformen, ordensgeschmückt, die Loge; der Kommandant der Festung Königsberg sowie der vom König hochgeschätzte Oberpräsident Hans von Auerwald saßen zu Seiten des Königspaares, hinter ihnen hohe Würdenträger und die Adjutanten.

 

Derweilen hatten die Theaterbesucher ihre Plätze wieder eingenommen — kein Sessel, kein Stuhl in dem ganzen großen Raum war leer geblieben, denn das erst vor kurzem neu erstandene Haus wollte doch jeder Königsberger gesehen haben!

 

Dann, während das Summen und Zischeln erstarb, setzte rauschend die Musik ein und die Ouvertüre zu Friedrich Heinrich Himmels Oper ‚Fanchon‘ das Leiermädchen erklang. Dann ging der Vorhang hoch.

 

Das nach französischem Vorbild aus bestehender Pikanterie und geschraubter Empfindsamkeit von Kotzebue geschickt zusammengebraute Stück mit Himmels gefälligen Melodien zog heiter und tändelnd an Auge und Ohr der Zuschauer vorbei —. Als aber in dem hübschen Kalenderliede des Abbe, von dem sonoren Bass des braven Darstellers gesungen, die Schlussworte: „Doch wenn das Herz den Reim diktiert, steht im Kalender Luise“ erklangen, da brach ein frenetischer Jubel aus, rauschendes Händeklatschen erscholl und wie ein Mann erhob sich das ganze Parterre zu erneuter stürmischer Kundgebung zu der leidgeprüften geliebten Königin, die dort oben in der würdigen Königsloge strahlend schön und glücklich lächelnd saß und nun ihren Königsbergern, die sie in den zwei Jahren ihres, von den Franzosen erzwungenen Aufenthaltes im Schloss und in dem einfachen Landhaus in Luisenwahl lieben gelernt hatte, immer wieder dankend zunickte. —

 

Ach, keiner der in dieser Festvorstellung Anwesenden ahnte, dass ein Jahr später Preußens Königin nicht mehr unter den Lebenden weilen und nicht mehr die Befreiung von französischer Knechtschaft sehen würde. –

 

Aber der Brauch blieb seit diesem Tage für die nächsten 25 Jahre bis zur Wiederverheiratung Friedrich Wilhelms bestehen: Jedes Mal, wenn wieder die Worte dieses Liedes erklangen wurden sie von einem Tusch begleitet, das Publikum erhob sich und brachte ein Vivat aus auf das Andenken an seine über alles geliebte schöne Königin. — Fortsetzung folgt

 

 

Seite 11 und 16    Hugo Kaftan: Der große Kurfürst und sein Generalmarinedirektor.

Des Kurfürsten Regierung.

Foto: Denkmal des Großen Kurfürsten am Leuchtturm von Pillau. Aufn. Max Löhrich

 

Unter den Hunderten von weltlichen und geistlichen Kurfürsten, die während eines halben Jahrtausend auf die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingewirkt haben, hat nur ein einziger von seinem Volk und von der Geschichte den Beinamen „der Große“ zugebilligt erhalten: Friedrich Wilhelm, Markgraf und Kurfürst von Brandenburg, Herzog von Preußen usw.

 

Zu Berlin im Stadtteil „Köln an der Spree“ am 16. Februar 1620 geboren, kam er am 1. Dezember 1640 zur Regierung. Er folgte dem Kurfürsten Georg Wilhelm, der seit Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges als deutscher Fürst, als Mensch und als Regent, eine schwankende und unselbständige Rolle gespielt, sein Land zum Tummelplatz der Kaiserlichen und der Schweden gemacht und sein Heer vernachlässigt hatte. Was die Vorfahren des Kurfürsten in mühsam zähem Ringen in der Mark aufgebaut, wurde im Dreißigjährigen Krieg fast restlos zerschlagen: Das Land verwüstet und die Städte verbrannt, Mord, Plünderung und Pest hatten Wohlstand, Lebensfreude und jeden Unternehmungsgeist gebrochen.

 

Eine Generation von Menschen war im Dreißigjährigen Krieg herangewachsen, die den Frieden nicht kannten, die sich in unglaublichen Wirrnissen zurechtfinden mussten, denen der Krieg alles geraubt hatte; die Fried- und Ziellos herumzogen, von einer unendlichen Sehnsucht erfüllt, aus dieser Heimat- und Ruhelosigkeit erlöst zu werden, durch einen Menschen, dessen Persönlichkeit stärker wäre, als sie alle. — Der Kurfürst Friedrich Wilhelm wurde die beginnende Erfüllung dieses Traumes. Die Kraft seiner überragenden, reinen Persönlichkeit schuf aus dem ohnmächtigen und zersplitterten Länderfetzen Brandenburg das Fundament des preußischen Staates. Sein Wille machte aus abenteuernden, plündernden raubenden Landsknechten brandenburgisch-preußische Soldaten. Sein politischer Scharfblick erkannte mit voller Klarheit die Notwendigkeit einer Flotte und eigener Kolonien. Und wenn er auch hier im Kampf gegen den Handel und die Börsen aller Länder zuletzt unterliegen musste, so stand er doch schon an der Grenze seiner Zeit. Es war kein Leben der Erfüllung, welches ihm beschieden war. Er durfte nur die Grundmauern legen, und mit starkem Glauben auf die Zeit vertrauen, die später sein Werk vollenden sollte. Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte beim Friedensschluss am 6. August 1648 aus dem Dreißigjährigen Kriege gerettet: die Mark Brandenburg, das noch in Lehnsabhängigkeit von Polen stehende Herzogtum Preußen, Hinterpommern, die Gebiete Magdeburg und Halberstadt, Minden, die Grafschacht Ravensberg und das Herzogtum Kleve. Die Empfindungen des deutschen Volkes nach dem Westfälischen Frieden (1648) brachte der Dichter Paul Gerhardt mit seinem Kirchengesang am trefflichsten zum Ausdruck:

 

„Wohlauf und nimm nun wieder dein Saitenspiel hervor!

O Deutschland, singe Lieder in vollem hohem Chor!

Das drückt uns niemand besser in unser Herz und Seel hinein,

als ihr zerstörten Schlösser und Städte voller Schutt und Stein,

ihr Gräber voller Leichen und blut'gem Heldenschweiß

der Helden, deren gleichen auf Erden man nicht weiß“.

 

Zur Charakterisierung jener Zeit: Im Anschluss daran noch den Spruch eines zünftigen Landsknechtes:

 

„Wahr dich, wehr dich, du junges Blut,

dass keiner dir Gift in die Adern tut.

Alles ist Torheit, alles verrinnt:

das Geld, das wie Feuer im Beutel brinnt,

die Liebe, die dir den Herzschlag stockt,

die Trommel, die dich zum Teufel lockt,

die Fahne, die dir zum Sturme flattert,

die Schönheit, die dir die Pest verblattert,

die Dirne, die dir den Schnabel leckt,

das Ross, das dir unterm Leibe verreckt,

der Pfaffe, der dir den Himmel verspricht,

der Henker, der dir die Knochen zerbricht,

der Wein, der dich zum Narren macht,

der Würfel, der auf das Kalbfell kracht.

Alles ist Torheit, nichts ist, was ganz echt!

Nur eins bleibt Wahrheit: Der aufricht' Landsknecht“.

 

Die Belehnung mit dem Herzogtum Preußen durch die Polen — Oktober 1646 — erhielt der Kurfürst nur unter sehr lästigen Bedingungen. Er musste nämlich erstens nicht nur dem katholischen Gottesdienst mehr als vorher den Vorrang einräumen, sondern auch seinen eigenen Glaubensgenossen, den Calvinisten, die öffentliche Ausübung ihrer Religion verweigern und durfte zweitens nur den Katholiken und den Bekennern der Augsburgischen Konfession öffentlichen Gottesdienst gestatten und Ämter übertragen. Ferner ward ihm die Verpflichtung auferlegt, in den preußischen Festungen Memel und Pillau nur solche Befehlshaber einzusetzen und zu dulden, welche dem König von Polen gefallen würden.

 

Weil die Stände zu verblendet waren, dem Kurfürsten dasjenige zu erlauben, was durch die Verhältnisse nun einmal notwendig geworden war, so musste Friedrich Wilhelm Zwang gebrauchen, wobei er dann freilich nach dem bestehenden Rechte durchaus nicht fragte, um ein Heer zu schaffen und eine Monarchie zu errichten. Noch im Jahre 1646 betrug sein stehendes Heer höchstens 8000 Mann; 1651 war es schon auf die doppelte Zahl gestiegen, und 1655, als die Schweden nach Westpreußen vordrangen, hatte er bereits 26 000 Mann und 72 Kanonen, also eine Macht, die in jenen Zeiten sehr ins Gewicht fiel.

 

Er hatte aber auch zwei tüchtige Männer zur Seite: Otto Christoph von Sparr, der früher kaiserlicher Feldzeugmeister gewesen war, richtete des Kurfürsten Artilleriewesen ein und stand den Festungsbauten vor; Georg Derfflinger, der als Generalmajor im schwedischen Heere gedient hatte, führte den Oberbefehl über seine Reiterei. Derfflinger, 1606 geboren, war von geringer Herkunft; doch war er niemals Schneidergeselle, wie gern erzählt wurde. Im Kampfe gegen die Schweden (1677) als bei der Beschießung Stettins Kirchen und Schulen, sowie der durch seine schöne Bauart berühmte Marienturm zerstört wurden, hingen die Bürger der Stadt zur Verhöhnung Derfflingers das riesengroße Bild eines Schneiders an der Marienkirche auf.

 

Dem dogmatischen Gezänk zwischen Lutheranern und Reformierten wollte der Kurfürst durch Religionsgespräche und durch ein Edikt, in dem er das Streiten und Schmähen auf der Kanzel untersagte, ein Ende machen. Unter den widerspenstigen Geistlichen in der Mark, die sich mehrfach weigerten, das Edikt anzunehmen, befand sich auch der Liederdichter Paul Gerhardt, der 1667 seines Amtes enthoben wurde. Die Angabe, dass Gerhardt nach seiner Entlassung das berühmte Lied „Befiehl du deine Wege"“verfasst habe, ist irrig. Wohl aber dichtete er um diese Zeit jenes andere: „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ mit dem Vers: „Kein Hungern und kein Dürsten, kein Armut und kein Pein, kein Zorn des großen Fürsten soll mir ein Hindrung sein“.

 

Am rücksichtslosesten verfuhr der Kurfürst mit den Ständen des Herzogtums Preußen als ihm die souveräne Herrschaft über dieses Land erst Von Schweden, dann von Polen, eingeräumt worden war. In Preußen waren weder die Städte noch der Adel mit der Änderung zufrieden; sie fürchteten, der Kurfürst werde die Souveränität als unumschränkte Macht auffassen. Zudem war das Land vom Kriege hart mitgenommen und wurde vom Kurfürsten mit kaum erschwinglichen Auflagen heimgesucht: der Adel mit Grundsteuern, die Städte, vor allem Königsberg, mit Accisen. Auch waren sie unzufrieden mit den Bestimmungen, die Friedrich Wilhelm zu Gunsten seiner reformierten Glaubensgenossen getroffen hatte. An der Spitze der Unzufriedenen stand unter den Adligen der Generalleutnant Albrecht von Kalkstein, unter den Bürgern der kraftvolle Schöppenmeister von Königsberg, Hieronymus Rohde. Der Sohn des Rohde ging nach Warschau, wo er vom polnischen König gut aufgenommen wurde, und mit allem Eifer gegen den Kurfürsten wirkte. Da ließ der Kurfürst im Oktober 1662 den Vater, den Schöppenmeister, unvermutet zu Königsberg in seinem Hause militärisch umzingeln und auf das Schloss bringen; er blieb als angeblicher Hochverräter in Haft, erst in Kolberg, dann in Peitz, wo er, ohne jemals um Gnade zu bitten, nach 16 Jahren starb. Nach Rohdes Verhaftung wurde mit den Ständen eine „Assekuration“ vereinbart und den Ständen immerhin noch einige Rechte bestätigt.

 

Im Oktober 1663 nahm der Kurfürst zu Königsberg in Gegenwart polnischer Bevollmächtigter feierlich die Huldigung entgegen, wobei er auf einem mit rotem Samt bedeckten Throne saß.

 

Der Sohn Albrechts von Kalkstein wurde wegen fortgesetzten Ungehorsams zu ewiger Gefangenschaft verurteilt, aber nach einem Jahr in Freiheit gesetzt, wobei er (1668) Urfehde schwur und auf seinen Gütern zu bleiben versprach. Da er nun gleichwohl nach Warschau ging und hier, als geschehe es im Namen der preußischen Stände, heftig und ungeziemend gegen den Kurfürsten auftrat, begehrte dieser von dem damaligen König von Polen, Michael Wisnowieczki, Kalksteins Auslieferung. Kalkstein war kürzlich zum Katholizismus übergetreten und glaubte umso eher in Polen Schutz zu finden. Der preußische Gesandte Brandt ließ ihn aber zu sich bringen, in einen Teppich wickeln und über die Grenze schaffen. Die heftigen polnischen Vorstellungen an den Kurfürsten aber hatten keinen Erfolg: Kalkstein wurde 1671 in Memel vor Gericht gestellt und als Eidbrüchiger, Fälscher und Hochverräter enthauptet.

 

In Friedrich Wilhelm sehen wir den wahrhaft großen Fürsten, den Mann, der mit seinem Wahlspruch „Mein fürstlich Regiment soll Volkes Sache sein und nicht meine private!“ genau die gleiche Gesinnung bekundete, wie später sein großer Urenkel Friedrich II., der sich „den ersten Diener seines Staates“ nannte. Des Kurfürsten „Aufruf an den ehrlichen Deutschen“ wurde durch das „Theatrum europaeum“ in alle Welt getragen und ließ weit über die eigenen Grenzen hinaus fremde Fürsten und Völker aufhorchen. Hier aus diesem berühmten Aufruf nur einige Sätze:

 

„Siehe an dein Vaterland, es ist gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein dermaßen ausgesogen, dass von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr übrig ist als ein Skelett. Gedenke daran, dass du ein Deutscher bist! —

 

Was sind Rhein, Elbe, Oderstrom anderes als fremder Nationen Gefangene? Was ist unsere Freiheit und Religion anderes, als dass Fremde damit spotten?“

 

 

Krieg mit Schweden und Schlacht bei Fehrbellin (1675).

Im Oktober 1674 hatte nicht nur der schwedische Gesandte das brandenburgische Lager verlassen, sondern es waren auch schwedische Truppen „als Verbündete der Franzosen“ nach Pommern übergesetzt worden. Von Wolgast aus zogen nun die Schweden im Januar 1675 in die Mark Brandenburg ein und nahmen dort Quartier.

 

Die Schweden hatten anfangs im Ganzen gute Mannszucht gehalten; bald nachher aber fuhren sie da fort, wo sie im Dreißigjährigen Kriege stehen geblieben waren.

 

So erhob Wrangel, ohne dass er mit dem Kurfürsten in Kriegszustand sein wollte, die landesherrlichen Steuern für schwedische Rechnung, schrieb schwere Kontributionen aus und befestigte viele haltbare Punkte, wie Stargard und Landsberg.

 

Er ließ auch Herden von Vieh wegtreiben, errichtete Magazine von requiriertem Getreide und veranstaltete Werbungen im fremden Lande; endlich übte er auch auf das Andringen des französischen Gesandten offene Gewalttat, indem er das Schloss Löcknitz beschießen und einnehmen ließ.

 

Doch hielt er immer noch eine leidliche Disziplin; als er aber erkrankte und sein Stiefbruder, der Generalleutnant Waldemar Wrangel, das Kommando erhielt, übten die verwahrlosten und nicht bezahlten Soldaten den schändlichsten Unfug.

 

Zugleich bedrohten die Schweden damals die Festung Spandau und eroberten Havelberg; auch setzten sie sich mit dem Herzog Johann Friedrich von Hannover in Beziehung, der insgeheim mit Frankreich verbündet war. Überall hatten sie mit dem erbitterten Landvolk der Altmark zu kämpfen, welches in Rotten herbeizog und Fahnen mit der Inschrift trug: „Wir sind Bauern von geringem Gut und dienen unserm Kurfürsten mit unserm Blut“.

 

Diese Bauern warfen an der Elbe Schanzen auf und hinderten die Schweden, bei Werben über diesen Fluss zu gehen. In diesem Augenblick eilte der Kurfürst selbst zur Rettung seines Landes herbei.

 

Am 23. Juni 1675 brach er, von den Generalen Derfflinger, Görzke, Lütke und dem Landgrafen von Hessen-Homburg begleitet, mit 5600 Reitern, 1000 Musketieren, drei Zwölfpfündern und zehn Regimentsstücken von Magdeburg unter strömendem Regen nach dem auf einer Havelinsel gelegenen Rathenow auf. Unterwegs erfuhr er, dass der Anführer des dort einquartierten schwedischen Regiments, Wangelin, nichts von seiner Annäherung wisse oder ahne.

 

Er nahm am 25. Rathenow beim ersten Tagesanbruch, dieses Regiment nebst seinem Obersten und seinen Offizieren gefangen. Von Rathenow aus drängte er sich zwischen den Feldmarschall Karl Gustav Wrangel, welcher mit 3000 Mann bei Havelberg lag, und den General Waldemar Wrangel, der mit dem übrigen Heere bei Brandenburg stand.

 

Eine Schlacht wollte der Kurfürst erst dann liefern, wenn sein Fußvolk, dass ihm von Magdeburg her nachfolgte, angekommen wäre; als er jedoch erfuhr, dass die beiden schwedischen Heere, welche von seinem Herannahen Kunde erhalten hatten, sich nicht mehr über Nauen sondern auf einem Umwege über Fehrbellin vereinigen würden, beschloss er, den General Waldemar Wrangel eilig anzugreifen, ehe die beiden Brüder sich vereinigt hätten.

 

Er tat dies, obgleich er nur etwa 7000 Mann bei sich hatte und das von ihm angegriffene schwedische Heer 11 000 Mann stark war, am 28. Juni 1675 in der Nähe von Fehrbellin (am Zusammenfluss der beiden Rheinarme) und trug einen vollständigen Sieg davon.

 

Man erzählt, dass in dem Treffen der Kurfürst selbst, weil er den Feinden durch sein Pferd, einen Schimmel, kenntlich war, das Leben verloren haben würde, wenn nicht sein Stallmeister Frohen, welcher merkte, dass auf den Kurfürsten gezielt werde, ihm sein Pferd gegeben und dadurch die Kugeln auf sich gezogen hätte. Romantische Geschichten aus dem Gewühle der Schlacht sind immer verdächtig: Die Wahrheit ist lediglich, dass Froben bei der Verfolgung des Feindes an der Seite des Kurfürsten von einer feindlichen Kugel niedergestreckt wurde.

 

Die Schweden verloren bei Fehrbellin und auf dem Rückzüge zwar nur 4000 Mann; ihr Heer löste sich indes nach der Schlacht fast gänzlich auf, da es großenteils aus geworbenen Deutschen bestand und diese jetzt andere Dienste nahmen.

 

Das wichtigste Ergebnis der Schlacht bestand aber darin, dass durch diesen Sieg über das schwedische Heer, welches bis dahin für das beste in Europa gegolten hatte, der Ruhm des brandenburgischen oder des nachherigen preußischen Heeres gegründet wurde.

 

Der Ruhm des Kurfürsten stieg hoch; die Klugheit und Raschheit seiner Anordnungen, die Pünktlichkeit und Energie, mit welcher sie ausgeführt worden waren, erhoben den Zug von Franken bis Rathenow und den Kampf bei Fehrbellin zu den ruhmwürdigsten deutschen Kriegstaten.

 

Neben dem Marschall Derfflinger wurde der Prinz von Homburg wegen seines raschen Angriffes und seiner Ausdauer gepriesen, obwohl der Kurfürst ihn wegen seiner Übereilung getadelt haben soll. Dem Obersten Henning verlieh Friedrich Wilhelm auf dem Schlachtfelde den Adel mit dem Namen von Treffenfeld.

 

Da die Schlacht bei Fehrbellin zunächst der Befreiung des ungerechterweise angegriffenen Vaterlandes galt, so blieb sie stets in volkstümlichem Andenken, und der Jubel, der den Kurfürsten bei seinem Einzug in Berlin empfing, war groß und aufrichtig. Nach diesem Siege des Kurfürsten wagte endlich auch der Deutsche Reichstag die Schweden für Reichsfeinde zu erklären.

 

Dänemark und Brandenburg aber besetzten diejenigen deutschen Provinzen Schwedens, auf welche sie alte Ansprüche hatten oder zu haben glaubten. Der Kurfürst drängte die Schweden bei Stralsund zurück und eroberte Wolgast, die Dänen besetzten Wismar.

 

Den Beinamen des Großen erwarb sich der Kurfürst durch den glorreichen Sieg von Fehrbellin 1675. Noch im gleichen Sommer erschien in einer Straßburger Druckerei ein „Neues Lied“, das da anhub: „Der große Kurfürst zog mit Macht . . .“ und das mit der köstlich naiven Anmerkung versehen war: zu singen im Ton von „Gustavus Adolfus hochgeboren!“

 

Der Große Kurfürst zog mit Macht,

um Frieden zu erlangen.

Bald kam der Schwed aus Mitternacht,

durch Frankreichs Geld getrieben,

mit seiner Lapp- und Finnenmacht,

ließ sehr viel Bosheit üben

in dem Kur- und Brandenburger Land

mit Kirchenraub und plündern.

Es ward verjaget Mann und Weib;

das Vieh ward durchgeschossen.

Man macht es, dass nichts überbleib, —

das vielen sehr verdrossen.

Bis das zuletzt der große Held

sich plötzlich eingefunden

und seinem Namen in der Welt

noch höher aufgebunden“.

 

Schaffung einer brandenburgisch-preußischen Kriegsflotte.

Den Mangel einer Kriegsflotte hatte der Kurfürst schon früher bei seinen kriegerischen Unternehmungen gegen die Schweden schmerzvoll empfunden, so während des nordischen Krieges (1655 - 1660) und im Kampfe um die von den Schweden besetzten dänischen Inseln (1658).

 

Damals war es der ehemals holländische Admiral von Lier gewesen, der noch während des Feldzuges Friedrich Wilhelm eine Denkschrift überreichte, welche die Gründung einer deutschen Reichsmarine unter dem Kurfürsten als Reichsadmiral vorsah.

 

Machte auch die Entwicklung der Dinge diesen groß angelegten Plan später zuschanden, so hatte der Kurfürst doch 1657 schon den Grundstock für eine brandenburgische Flotte geschaffen. Es waren dies drei Schiffe, die vornehmlich den Schutz Pillaus übernehmen und hier für Seeunternehmungen zur Hand sein sollten. Wie bescheiden war dieser Anfang. Die Flotte setzte sich zusammen aus einem bei Memel gestrandeten Schiff, der „Clevische Lindenbaum“ genannt, das als Strandgut abgebracht worden war, der Leibjacht des Kurfürsten und einem angekauften Schiff, der „Churfürst von Brandenburg“. Das Kommando erhielt der Obrist zu Ross Johann von Hille als erster Schiffskommandeur.

 

Ende Mai 1657 lief die Flotte von Pillau aus, zwei Schiffe nach Kolberg, das dritte nach Kopenhagen. Zum ersten Mal zeigte sich die kurbrandenburgische Flagge, der rote Adler, auf See.

 

Diese erste Flotte, die später um einige Schiffe vermehrt, an Unternehmungen gegen die Schweden im Haff beteiligt gewesen war, hatte jedoch nur kurzen Bestand. Schon im Jahre 1670 waren die letzten Schiffe mit Ausnahme der Leibjacht verkauft.

 

Der Gedanke einer Kriegsflotte sollte aber alsbald wieder aufleben, wie Sie gleich hören werden. Fortsetzung folgt

 

 

Seite 12   Glatties / Von Wanda Wendlandt

„Da kommt Mutter Loneit -- aber was ist denn los mit ihr? — Sie humpelt ja am Stock!“ Unsere Jüngste reißt die Haustür auf und stürzt ihr entgegen. „Wöllkomm, mien Dochterke! Jao — good, dat du mi entjejen kömmst — so so, nu laot mi man mienem Aorm öm diene Schullerkes lejje, denn war eck dat woll schaffe — so hau — ruck — de Stufes hoch — oi!! Herrjemersch nä! wat jeiht dat schwaor! — Jao mien Dochter, Se ware ook noch e böske helpe motte — vleicht e böske nachschuwe — na bloß e groot Gottesjlöck, dat Ju unde anne Eerd waohne un nich undre Dack undre Ookels! Oih!“ Ächzend lässt Mutter Loneit ihre behäbigen Massen in den großen Sorgenstuhl fallen, den die Jüngste ihr sorglich zurechtgeschoben hat. „Scheendank ook, mien Schaopke! Jao, du böst jao ook mien Best, mien truutst Marjellke! — Jao, dat sejj eck man, mien Dochter: Ohl Mönsch ohl Mästhuupe — stöjst äwre Tuhn, böst op ander Sied!“ — Aower dat kömmt ook bloßig von dat, dat kein Ehrfurcht nich mehr ös önne Welt!“ — „Aber was ist denn los mit Ihnen, Mutter Loneit? Ist es wieder der olle Hexenschuss in der Hüfte, der Sie so oft plagt?“ — „Dat ook — dat ook, mien Dochter — aower dat nich alleen! Aower nu laote Se mi man doch erscht mi uutplingre, denn war eck Ju dat aller vatelle.

Scheendank, mien Dochterke — scheendank ook! Wenn du nu noch wullst mi miene ohle Ponsorre opschneere un uttehne helpe — so so — un nu noch e Paor ohle awjelejjte Wusches söke, weil mi doch de ohle Scho so kniepe — weil mi doch de Been so jeschwolle ös als wenn he Junge krieje sull — jao jao, mien Dochter, eck sejj bloßig: Wenn de Onjlöck op eenem luurt un partu önne Naosch rön wöll, dao helpe keine leddre Böxe nich! —

 

Dao bringst du mi jao aower e Paor feine Pampusche anjeschleppt, Dochterke, de sön jao so tuh-tuh-warmke wie se de ohl Paobst nich bäter hebbe kann — du bedeenst mi joa rein, als wenn eck de Sultan perseenlich si! — Dat ös noch dat Beste an Enne, mien Dochter, dat Se Ähre Kinder noch ön ohl Zucht un Vemahnung optehne un ön Ehrfurcht: Vor einem grauen Haupte sullst du aufstehn un sullst die Alten ehren! Denn eck sejj man: Alle Onjlöck kömmt bloßig von dat, dat kein Ehrfurcht nich mehr ös önne Welt!! — Aower nu ös mi all so kuschelich wi e Kluck oppe Nest — nu dank eck ook välmaohl — nu huck eck ook all so preislich wie e Pascha oppe Schoot von sien dickst Haremsdaom!“ — „Sitzen Sie nun wirklich behaglich, Mutter Loneit? — Dann will ich nur schnell Kaffeewasser aufsetzen und dann müssen Sie uns erst erzählen, was Ihnen zugestoßen ist!“

 

„Herrjemersch nä — wenn ehner nu schpieltähne wöll, denn kann he jao sejje: Huck oppe Naosch denn rennt di kei Muus rön! Aower eck sejj man: Dat ös kein Ehrfurcht nich mehr önne Welt! — Wenn eck so denk, wi dat so weer, wi eck noch jung weer: Unkelke heet dat bloßig un Tantke und Heere Se, mussde wi sejje un Knieckskes musste wi maoke un Dienersch un de Muul mussde wi hohle, wenn söck de Grote vatellde un nich muusig kunn wi ons maoke. — Wenn eck noch so denk: Dao hadd wie e ohl Großohm, dat weer e Unkel von ons Mutterke, de waohnd dicht bi e Körch un wi mussde ömma dao vabie, wenn wi önne School jinge, ömma dicht an sienem Jäwelfönster vabie. Un dao huckd he denn ömma un nehm de Paraod aw, denn he weer dao all old un kunn nich mehr väl dohne. Wi jesejjt, dao huckd he denn anne Fönster un kickd rut — un passd niep op, dat wi Kinder em ook de Tied bode, de Marjelles möt e deep Knicks und de Junges orndlich dem Pudel awjeräte — un weh dem, wo dat maol vajäete hadd: „Haddst wol Sparling undre Motz!“ schömpd he denn, wenn he dem zaosterd möt sienem kromme Haokestock. Denn sienem kromme Haokestock dem hadd he ömme bi söck und dem hung he anne Fönsterkramp all als e Maohnung, vär alle Ooge to sehne, wenn he anne Fönster huckd. Denn krieje kreej he ons ömma, siene Ooges weere noch scharp un vajäte deed he ook nuscht, un wi mussde jao aller bi em gaohne, denn he maok jao de Schlorres vär ons alle un de mussde wi jao anpasse. Na eck, eck jrößt em jao nu ömma, eck kickd oll ömma, ob he wedder anne Fönster huckd, nich so sehr ut Angst var sienem Zaoster, denn eck hadd jao noch nuscht nich möt dem jekreeje, nä! Aower he hadd feine Äppels önne Gaorde un Bommasch undre Koppkösse un eck hadd all väl von disse to schmecke jekräje, un he hadd mi all väle Maol de Backes un mienen glatte Schetel puscheit.

 

Aower eenmaol, eck weer knapp vonne School tohuus un de Mutterke wull mi graods de Munschelmoos äwre Kartoffel scheppe, dao keem doch de Ohm anjepuust rod wie e Stormlatern, rött de Där op un schnuuwt ons Mutterke an: „Justine“, ons Mutterke heet Justine, aower sonst säd he bloßig ömma Tine un bloßig wenn he doll boßig weer, säd se Justine, „Justine — du vajättst de rechte Zucht un Vamaohning bi dine Kinder!“ Ons Mutterke weer so vaschrocke un vaschichert, dat se gaonuscht to sejje wussd un bloßig fraog: „Wi meene Se dat, Ohmke? „Na“, pust he rut, „dien Auguste dao“ (sonst säd he ömma Gustke op mi!) „de Marjell jeiht doch knarsch an mienem Fönster vabie un jrößt nich e maol!“ — „Wat?“ säd ons Mutterke un maok grote Oogek, „wat sejje Se dao, Ohmke? — Ons Guste, sejje Se? — Ohmke, dat kann eck foorts nich glowe? — Wenn Sie jesejjt hadde, de Kadel — dat ös di nu so e dreebastje Lorbaß jeworde, dao helpt kein Schömpe und kein Tachtel nich, de kömmt nu önne Ossejaohre! Aower ons Guste?! — Marjell, wat ös di denn bloßig önjefalle — oddersch wat ös di nich önjefalle? — Aoh Mutterke“ fang eck nu an to plinse, „eck kunn doch dem Ohmke gaonich terkicke — he huckd doch gaonich anne Fönster!“ — „Jao aower eck häw di jesehne, miene Ooges sön noch ömma scharp, dao kannst du di driest op valaote — eck kann Ju ock niep bekicke, wenn eck önne buterschte Eck hindre Kachel huck!“ „Wat? Se häbbe hindre Kachel jehuckd, Ohmke?“ fraogd ons Mutterke. „Jao, eck häw hindre Kachel jehuckd un dao keem dien Auguste knarsch väbie, kiekd dreebastig önne Fönster un jrößd nich!“ — „Un Se hebbe nich anne Fönster jehuckd?“ „Nä, eck häw dao nich jehuckd — aower mien Haokestock häwd anne böwerschte Kramp jehaonge un dwars äwre Fönsterscheibe“. „Aower dao kunn de Guste se doch ook gaonich sehne, Ohmke!“ — „Mi bruukt se denn jao ook gaonich to sehne! Wenn dao mien Stellverträder ös, denn häwt de krätsche Marjell ook mienem Stellvaträder de jebierende Achtung to erwise un em de Ehr antodohne un to jröße, akraod als wenn eck sölwe dao huck!“

 

„Jao jao Kinder — dat weere noch Tiede! Dao weer noch Achtung önne Welt un Ehrfurcht! Aower hiedjedaogs?!“ — „Na, Mutter Loneit, es gibt doch aber auch heute noch Kinder, die recht ordentlich erzogen werden —„ „Na dat wöll eck jao nunook nich ganz und partu awstriede, mien Dochter! Eck säd jao all, möt Enne Kinder, dao jeiht dat jao — no on mien Naowersche, de maokt söck jao ook alle Möj und höld em vonne Straoß wech un priestert möt em röm und häwd em ömma öm söck röm to bammle, dat dat nu all e ganz wittnäs'je Spirrhack ös. Aower jröße deiht de un op Maneere holt de Naowersche ook. Jistre vatellt se ons: Dao häwe se önne School e nie Stock dorchjenaohme bi et Lese un natierlich häwd ehr Achim wedder am beste lese kunnd, ganz ohne Staohmre häwt he dem nie Stöck runder jelese, bät he an ihn Stell jekaome ös — dao häwt he nich wieder jeläse. „Nanu“, häwt de Lehrer jeseggt, „warum liest du denn nicht weiter? Es ging doch bisher so gut — warum stockst du denn plötzlich?“ — „Jao“ häwt de Achim jesejjt, „ich kann das schon lesen — aber meine Mutter hat mir verboten, schlechte Wörter in meinen Mund zu nehmen!“ — „Na aber was hast du denn bloß? — Ich kann in meinem Buch doch keine schlechten Wörter finden — was steht denn da in deinem Buch? — Nun lies doch mal weiter!“ Ud dao häwd denn de Achim wieder jeläse — un ganz rasch häwt he dat jelese, weil em dat so jeschämt häwd: „Der Herr Kaplan wurde durch das starke Po — chen seiner Köchin geweckt“.

 

Kinder Kinder, wat ook hiedjedaogs all alles önne Leseböker steiht — dao had wi jao ön ons Jugend noch gaokein Aohning nich von jehadd. — Aower eck sejj man bloßig, dat kömmt alles von dat, dat kein Ehrfurcht nich mehr ös önne Welt! Eenet titt ömma dat Andre nach söck — denn wo Waoter ös, da ös ook Wind, säd jen Matros un leet bi et Pösse eenem strieke —

 

Aower nu ös mi mien Muul all ganz dreej von dem väle Schabbre un nu ward Enne Kaffee ok all jenooj dorchjetaoge sön, mien Dochter! Un nu war eck man erscht dem alle Achtung und Ehre andohne, denn „Jedes zu seiner Zeit!“ predigt ons Pfarr vergangne Sinndag. Um wenn eck denn noch Junem feine Glomsflaode alle jebihrende Ehre un Achtung erwiesen haben war — denn eck weet ömma noch, wat söck jeheert! — denn war eck wider vatelle!“

 

 

Seite 12   Landbriefträger Ernst Trostmann erzählt. (19)

Liebe ostpreißische Landsleite!

Nu is ja endlich mal e bissche Winter, wenn auch nich so doll wie bei uns zu Haus, wo wir manchmal gar nich so schnell zittern konnden, wie es fror und einer bis ieber Kniee im Schnee rumstolzieren tat. Das war die Zeit wo die Pferdchens angespannt wurden, und denn ging es mit Heidi und Klingeling quer durche Landschaft, in Schafspelze eingepummelt und mit e Pdelmitz aufem Kopp. Das war das Scheenste vonnem ganzen Winter, und wenn einer dann richtig durchgehubbert wieder zu Haus kam, denn schmeckd der Grog oder der Gliehwein noch emal so gut. Das spierd einer orndlich, wie er ihm durchem Kadawer rennen tat bis inne Spitzzeh. So machd auch der Gallinat mal e Schlittenfahrt mit seine Frau und hädd dazu dem Herrn Lehrer mit seine Gemahlin eingeladen. „Se is nich „gemahlen“, sagd der Herr Lehrer immer, „sondern von Natur so scheen“, aber der Gallinat war e Mann mit heehere Bildung, denn er hädd de Landwirtschaftliche Winterschul in Insterburg besucht und außerdem bei e 12er als Ulan gedient. Deshalb wussd er, was sich geheert. Inzwischen war das Leben weiter-, und seine Haare aufem Kopp ausgegangen, und wenn er beim Verscheenerungsrat reinkam, denn sagd der all immer ganz von allein „Rasieren und Staubwischen“, worauf denn der Gallinat bloß grinsen und nicken tat, denn er war maulfaul. Im Winter trug er denn immer e besonders große Pudelmtz. Seine Beine steckden meist in Reitbixen, dass einer all von weitems sehen konnd, dass er einem gedienten Ulan vor sich hädd. Die Bixen saßen so stramm, dass er meist Angst hädd, sich zu bicken. Jedenfalls ging es nu einem Sonntagnachmittag los nach Karalene, wo se beim Gerlach orndlich einem gegne Wirmers nahmen. Es wurd später und später und diestrer und diestrer, denn es war geradzig Neimond. E Latern hädden se natierlich nich mit. Es war auch nich neetig, denn damals war e Automobil oder e Schosseefloh noch e Sehenswirdigkeit, und de „weiße Mäuse“ waren noch nich geboren. Bei dem hohen Schnee konnd außerdem heechstens e Pferd durchkommen, aber nich e Töff-Töff, manchmal auch noch de Insterburger Kleinbahn; I. K. B. stand auf die Wagens, und das hieß: Ich kippe bald. Und wer als Fußgänger unterwegens war, der wurd auch nich iebergefahren, denn er herrd ja von weitems all de Glockens vonnes Schlittche. Gegen elf Uhr abens ging es denn wieder zurick. Der Gallinat knalld mitte Peitsch, und es war auch alles ganz scheen, bis se von Nei-Stobingen abbiegen mißden und hinterm Fenselau innem Hohlweg kamen. Es war, wie gesagt, stockediester, und mit eins stand der Schlitten schief und kippd um, so dass aller sich im Schnee kullerden. Das war natierlich kein großes Unglick nich, damit missd einer immer rechnen. Aber dem Gallinat seine Bixen platzden bei die Gelegenheit auf, so dass er mit eins hinten Beiluft hädd. De Frau Lehrer pusd und lachd, und wie se mitte Händ irgendwo Halt suchd, kriegd se dem Gallinat seine blanke Hinterfront zu zergrabbeln. Eins, zwei Mal puscheid se ihm ganz zart und vorsichtig und denn sagd se: „Herr Gallinat, verkiehlen Se sich man nich, Se haben Ihre Pudelmitz verloren!“ Von die Zeit an trug der Gallinat keine Reitbixen nich mehr, aber dem Spitznamen Pudelmitz wurd er das ganze Leben nich mehr los. Dem andern Tag missden die Kinder inne Schul einem Aufsatz ieber „Die Freiden des Winters“ schreiben. Noch schlimmer ging es dem Ernst Peischan mit dem dicken Knust am Kopp. Se wissen ja sicher noch, wo immer singen tat: „Auf die Alm, da giebt kein Sind“. Der hädd emal aus Versehen zwei Hiehner im Sack gesteckt, wo ihm gar nich geheeren taten. Erst wollden se ihm anzeigen, aber denn wurd beschlossen, ihm aufe andre Art zu kurieren. Se taten ihm inne Gastwirtschaft einladen und tankden ihm auf, dass er aus alle Knopflöcher ieberlief. Und denn, wie er nich mehr geradaus kicken konnd, fingen se an, mit frische Eier auf seinem Knust zu zielen. Klatsch, klatsch ging es in eine Tur, und das Gelbe von die Eier kleckerd vom Kopp runter iebers Gesicht aufem Schlips und aufem Schemisett. Zuletzt sah er aus, als wenn er ebend auße Senkgrub geklettert war. In die Verfassung stellden se ihm vorem Spiegel, und da kickd er mit verglaste Augen und konnd sich gar nich ieber die gelbe Farb beruhigen. Aber Hiehner hat er nich mehr geklaut. Was war das damals fier e gemietliche Zeit, besonders aufes Land! Was wurden da nich fier Spaßchens gemacht, besonders im Winter, wenn nuscht zu tun war! Jetz is alles unsicher und aufgeregt. Kemmt de Aufristung oder kommt se nich? Der eine redt so und der andere so, und keiner weiß nich genau, wer recht hat. Ich hab immer bloß dem großen Wunsch, dass nich wieder wo de Flinten losgehen. Iebrigens hat der Willuweit wieder emal geschrieben, aber nich wegen die Aufristung, sondern weil er mir einem neien Witz mitteilen wolld. Er is so dämlich, dass einer entweder vor Lachen zerplatzt oder ieberhaupt nich lachen kann. Heeren Se zu: Beim Herr Rechtsanwalt Dr. Maus drickt e Katz aufem Klingelknopp. E junges Mädchen kommt raus, sieht de Katz und sagt verlegen: „Der Herr Rechtsanwalt is keine Maus nich, er heisst bloß so!“ Darauf die Katz: „Ja, meinen Sie, ich bin e Katz? Ich seh bloß so aus!“ Was sagen Se dazu? Da weiß ich einem besseren: In eine Gastwirtschaft kommt ein Herr und bestellt sich was zu essen. Er kriegt Nudelsupp, Fleisch und Salat. De Supp und das Fleisch ißt er auf, dem Salat stoppt er sich inne Ohren. Am nächsten Tag macht er es genauso. Da denkt der Ober, er hat e Verricktem vor sich und erzählt es dem Chef. „Ganz einfach“, meint der, „geben Se ihm morgen Spinat“. Und richtig, er kriegt, wie er wiederkommt, Suppe, Fleisch und Spinat Die Suppe und das Fleisch ißt er auf, dem Spinat stoppt er inne Ohren. Nu wird dem Chef die Sache zu dumm. Er geht zu dem Herr und sagt ganz heeflich: „Entschuldigen Sie, aber warum haben Sie dem Spinat inne Ohren gesteckt?“ „Ja“, meint der Gast, „Sie haben mir ja keinen Salat nich gegeben!“ Und nu noch einem: „Verzeihen Sie“, sagt ein Herr inne Straßenbahn zu seinem Nachbar, „wie spät ist es?“ Der kickt auf seine Armbanduhr und sagt: „Dienstag“. „Vielen Dank“, meint da der erste, „denn muss ich ja anne nächste Haltestell aussteigen!“ Nu bin ich richtig innes Witzeerzählen reingekommen, das war auch e scheene Winterbeschäftigung in Ostpreißen. Lachen is ja gesund, und wenn Se auch e paar gute Witze auf Lager haben, denn schreiben Se mir mal. Andre Leite wollen auch lachen. Schicken Se Ihre Briefchens ruhig anne „Ostpreußenwarte“ fier Herrn Trostmann, denn krieg ich se bestimmt. De Post is ja sehr findig, auch wenn ich nich mehr dabei bin. Fierem besten Witz hab ich einem Preis ausgesetzt, aber was das is, wird noch nich gesagt, das soll e Ieberraschung sein. Inne März-Ausgabe kriegen Se alles zu lesen, auch dem preisgekrönten Witz. Es kann natierlich auch e Erlebnis aus die Heimat sein, de Hauptsach is, einer muss dabei richtig von Herzen lachen können. Also man ran! Unter die Ostpreißen stecken so viele Spaßvögel, und einer soll ja seinem Licht nich unterm Hektoliter stellen. Ich will nu meinem neien Flichtlingsausweis beantragen. Dreimal hab ich all Anlauf genommen, aber bei die viele Fragen, wo einer da beantworten soll, is mir grien und blau vore Augen geworden, dass ich es immer wieder aufgab. „Wann sind Se geboren und warum?“ „Wo wohnten Sie am 30. Juni 1942, und falls nei, warum nich?“  Es fehlt blos noch Halsweite und Handschuhnummer a) bei der Geburt, b) bei der Einsegnung, c) bei Kriegsausbruch, d) zurzeit. Sagen Se doch selbst, missen es immer gleich hunderte Fragen sein? Was kost das fier Papier und fier Zeit, dem ganzen Schmetter durchzulesen. Es is wirklich wahr, wir versinken in Akten, und inzwischen geht einer nachem andern schlafen, besonders wir alte Rentners, und statt dass wir vonnem Lastenausgleich endlich was Orndliches spieren, wird uns was gehustet. Ob wir nich einem Rentnerstreik anfangen? Das is doch jetz modern. Vleicht einem Hungerstreik? leberlegen Se sich das mal zwischendurch und lassen Se sich herzlich grießen — in ostpreißisdie Treie — von Ihrem alten Ernst Trostmann Landbriefträger z. A.

 

 

Seite 12   Immer gemietlich!

Der August Schneidereit aus Neu-Stobingen

fuhr mitte Bimmelbahn nach Insterburg.

Er wolld dem Schwestersohn e Happche Schmeckwurst bringen,

Weil er noch malgeschlacht hädd zwischendurch.

Er huckd, dem kalten Knösel mange Lippen,

De Wurst im Schuhkartong, mit Band beschniert,

Und wolld gerad e bissche iebernippen,

Da kam e fremder Kerdel reinspaziert.

Der war in Tammowischken eingestiegen

Und hädd e großem Koffer inne Hand,

Er ging de Leite aufes Land betriegen

Mit Schuhwichs, Schreibpapier und Fitzelband.

„Mensch, Fritz, wo kommst Du her, du alter Sinder?

 

Wie lang hab ich dir nu all nich gesehn?

Was machen deine Frau und deine Kinder?

Du häddst doch frieher Sticker acht bis zehn!“

So redt er los mit Hände und mit Fiesse,

„Dass ich dir traf! Ich bin direkt beglickt!

Und nu bestell zu Haus man scheene Grieße,

Mein lieber Fritz!“ -- Der August huckt und kickt –

 

„Ich muss nu raus, wir sind in Pieragienen“,

Und rietz, da hoppsd er auch all außem Zug. —

Jetzt fing der Ernst Padeffke an zu grienen:

„Na August, nu war auch all meist genug!

Was hat der sich da bloß zurechtgedrechselt?

Du hast nich Frau, nich Kind, du heißt nich Fritz.

Der hat dir ganz bestimmt mit wem verwechselt,

Vleicht hädd er auch all einem untre Mitz.

Was sagst dem Dusel das nich gleich beizeiten,

Und wenn er foorzig äußern Anzug fällt?“

„I, Mensch, ich fang mir doch nich an zu streiten,

Da weiß nie keiner nich, wer recht behält!“ L. B.

 

 

 

 

Seite 13   Eltern suchen ihre Kinder.

Tausende ostpreußische Eltern und Angehörige suchen noch immer ihre Kinder, die seit der Vertreibung aus der Heimat verschollen sind. Wer Auskunft geben kann, schreibe bitte sofort an den Kindersuchdienst Hamburg - Osdorf. Blomkamp 51 unter Angabe von Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Ort des Kindes sowie die gleichen Angaben der Angehörigen und ihre Heimatanschrift von 1939, Landsleute, helft mit, das Schicksal der Vermissten aufzuklären.

Schwerfelde, Kr. Insterburg: Walter Strasser, geb. 07.01.1933 und Erwin Strasser, geb. 22.03.1934, von ihrer Mutter: Emma Warlies, geborene Tillwick, geschiedene Strasser. Walter und Erwin Strasser waren 1947 in Litauen

 

Tilsit, Hindenburgstr. 43: Annemarie Haupt, geb. 29.01.1936 in Tilsit, von ihrer Mutter: Else Haupt, geborene Hertel, geb. 25.11.1904

 

Trappen, Kr. Tilsit-Ragnit: Alfred Bublat, geb. 11.11.1935 in Trappen, von seinem Vater: Gustav Bublat, geb. 15.03.1909. Alfred soll in Falkenstein im Vogtland bei einer Frau Bedtke gewesen sein und ist von dort 1945 unbekannt verzogen

 

Venedien, Kr. Mohrungen: Peter Walter, geb. 04.05.1941 in Tilsit, von seiner Tante: Anna Albrecht. Die Mutter Herta Walter, geborene Niederstrasser, war Lehrerin in Venedien

 

Bollendorf, Kr. Rastenburg: die Geschwister Siegfried Bahlke, geb. 18.10.1937, Helga Bahlke, geb. 27.02.1938 und Heini Bahlke, geb. 26.04.1941 in Bollendorf, von ihrer Mutter: Martha Bahlke, geb. 10.04.1910

 

Georgenthal, Kr. Insterburg: Ilse Reschke, geb. 21.06.1939 in Seedranken, von Else Rose, geb. 29.11.1910

 

Gumbinnen, General-Litzmann-Str. 10: die Geschwister Erika Rothkamm, geb. 15.10.1933, Peter Rothkamm, geb. 1939, Irene Rothkamm, geb. 08.09.1936, und die Zwillinge Eckhard Rothkamm und Helmut Rothkamm, geb. 1941, von Ruth Modregger, geborene Gosda

 

Gumbinnen, Kasernenstraße 6: Arno Thiel, geb. im Mai 1939 in Gumbinnen, von Ursula Stemminger, geborene Vosgerau.

 

Hallenfelde, Kr. Goldap: Lilli Ignadowitz, geb. 17.08.1935, von Margarete Dellbach, geborene Kutz.

 

Insterburg Luisenstraße 3: Karl-Heinz Rosner, geb. 15.11.1934 in Birkenhof, von seiner Tante Ursula Rose.

 

Justerhöh, Kr. Tilsit: Hans Gernhuber, geb. 24.06.1934 in Kaugischkehmen, von Franz Kaukars, geb. 15.06.1899.

 

Kaporn bei Groß-Heidekrug, Kr. Samland: Bruno Krüger, geb. etwa 1933 bis 1935, Horst Niestal, geb. etwa 1933/1934, und Bruno Plep, geb. etwa 1933 34, von Heinz Schulz, geb. 19.03.1932.

 

Königsberg, Friedländerstr. 6: Irmgard Schön, geb. 07.12. 936 in Königsberg, von ihrer Tante: Anna Barth, geborene Schön, geb. 06.05.1906.

 

Königsberg, Friedmannstr. 17: Peter Balk, geb. 22.04.1941 in Königsberg, von seiner Mutter Elsa Balk. Peter befand sich auf dem Dampfer „Memel“, der am 30.01.1945 von Swinemünde auf eine Mine lief und unterging. Die Mutter und drei Geschwister wurden von den Schiffen „Mosel“ und „Uerdingen“ gerettet. Es wird angenommen, dass das Kind Peter Balk, geb. 22.4.1941, von einem anderen Schiff aufgenommen wurde.

 

Königsberg, Haberger Neue Gasse 24: die Geschwister Hilde Oltersdorf, geb. 15.10.1933, Harry Oltersdorf, geb. 1936 und Irene Oltersdorf. Ingrid Oltersdorf und Brigitte Oltersdorf, von ihrem Vater: Fritz Oltersdorf, geb. 25.07.1896.

 

Königsberg, Ponartherstr. 62: die Geschwister Max-Dieter Wölk, geb. 09.05.1937, Heinz-Günter Wölk, geb. 07.06.1939. Marga-Gisela Wölk, geb. 05.10.1941, und Jürgen-Lothar Wölk, geb. 28.12.1942, von ihrer Schwester Hildegard-Traute Wölk, geb. 08.10.1929 in Königsberg.

 

Königsberg, Schnürlingstr. 20: Hans Specht, geb. 02.01.1936 in Königsberg, von Franziska Radtke, geborene Specht, geb. 01.11.1888.

 

Königsberg-Schönfließ: Gerhard Stadie, geb. 28.08.1939 in Königsberg, von seiner Tante Anna Schröter, geborene Stadie.

 

Korschen, Kr. Rastenburg: Arno Wormuth, geb. 17.09.1939 in Korschen, von seinem Vater: Albert Wormuth, geb. 22.01.1894.

 

Mühlhausen, Kr. Preußisch-Eylau: Heinz Romahn, geb. 17.07.1937. von Christa Ehlers, geborene Romahn, geb. 13.07.1923.

 

Ortelsburg: Alfred Schallevon, geb. etwa 1937, und Gisela Schallevon, geb. etwa 1938, von ihrem Bruder Eduard Schallevon.

 

Preußisch-Holland, bei Familie Noack: Hans-Otto Richter, geb. 02.06.1933 in Berlin-Charlottenburg, von seiner Mutter Irma Deja, geborene Dannhof, geschiedene Richter.

 

Preußisch-Holland, Marktplatz 12: Reinhard Zastrau, geb. 06.03.1937 in Liebstadt, von Kurt Zastrau, geb. 03.05.1917.

 

Rastenburg, Georgstr. 45: Alfred Pohl, geb. 01.03.1933 in Rastenburg, von Frieda Gensing, geborene Pohl.

 

Sackeln, Kr. Tilsit-Ragnit: Erwin Urschat, geb. 09.06.1934 in Sackeln von seinem Onkel Ernst Kieselbach, geb. 21.11.1914.

 

Allenstein: Ernst Friese und Lieselotte Gerda Friese, geborene Dobring, von ihrer Tochter Ingrid Friese, geboren am 03.03. 1941.

 

Heiligenbeil, vermutlich Donauring 35: Otto Löper und Edith Löper, geborene Gerull, von ihren Kindern Helga Löper, geb. 18.02.1941 und Marlene Löper, geb. 30.10. 1942.

 

Insterburg: Lieselotte Bönig, geb. 1938, von Ihrem Bruder Günther Bönig, geb. 10.02.1937 in Insterburg. Lieselotte Bönig war zuletzt bei einer Frau Heinke in Ziesar, Kreis Jerichow, und soll mit dieser nach Westdeutschland verzogen sein.

 

Vermutlich Königsberg: die Mutter und sonstige Angehörige von Waltraut Borchert, geb. 24.12.1938 in Königsberg. Waltraut soll eine Schwester Edith und einen Bruder Werner haben.

 

Königsberg, Barbarastraße: Elsbeth Maria Krüger, geborene Stobbe, geb. 28.09.1911 in Juditten, von ihrer Tochter Karin Marianne Stobbe, geb. 31.01.1944. Frau Elsbeth Maria Krüger war im Jahre 1944 in Königsberg oder Umgebung im Arbeitseinsatz bei der Reichsbahn. Sie soll noch im Jahre 1947 in Königsberg. Barbarastraße, bei ihrer Mutter, Maria Stobbe, gewohnt haben.

 

Königsberg, Fritzener Weg: Angehörige für den Knaben Klaus Reinhard Tiedtke oder Tridtke. Er ist etwa 1943 oder 1944 geboren und wird beim Kindersuchdienst unter der Kenn-Nr. 01 232 geführt.

 

Königsberg, Mittelanger 29 oder Gebauerstr. 2: Gustav Pettkus, geb. 12.10.1908, und Erna Pettkus, geborene Schukat, geb. 05.10.1918, von ihrer Tochter Heide Pettkus, geb. 23.11.1939.

 

Königsberg, Mühlhauser Straße 15: Otto Friedrich Half, geb. am 27.07., Geburtsjahr nicht bekannt, und Emma Eva Half, geborene Bachert, geb. 04.02., Geburtsjahr nicht bekannt, von ihrer Tochter Erika Half, geb. 28.04.1934 in Königsberg.

 

Königsberg, Steilestraße 2a: Familie Sieg, von Artur Sieg, geb. 15.12.1935 in Königsberg. Außerdem sucht Artur einen Herrn Luther, der in Königsberg, Tipoltstraße, gewohnt hat.

 

Königsberg-Seligenfeld, Richtenberger Weg: Paul Ring, geb. etwa 1914 in Braunsberg, von seinem Sohn Georg Ring, geb. 31.08.1941 in Königsberg.

 

Ober-Eissein, Kreis Tilsit-Ragnit- oder aus Uszpelken, Kreis Heydekrug. Ruth Rochelmeyer, von ihrem Sohn Peter George Rochelmeyer, geb. 06.05.1942 in Tilsit.

 

Ortelsburg oder aus Tapiau: Angehörige von Edith Sender, geb. 11.09.1937 in Tapiau.

 

Osterode (Ostpreußen), Bergstr. 3, bei Schneidermeisler Max Schmeling: Käthe Scharafin, geb. etwa 1924, von ihrer Tochter Ursula Scharafin, geb. 05.12.1944 in Osterode. Die gesuchte Mutter, Käthe Scharafin, soll Hausgehilfin bei dem Schneidermeister Max Schmeling gewesen sein.

 

Paradies, Kreis Mohrungen: Emma Schermuksnis geborene Burschat, geb. etwa 1904, von ihren Kindern Helmut Schermuksnis, geb. 1933, Günther Schermuksnis, geb. 1934, und Rudi Schermuksnis, geb. 12.06.1941 in Insterburg.

 

Ragnit, Kreis Tilsit-Ragnit: Erna Meta Szameitat, geb. am 12. 5. 1921, von ihrer Tochter Inge Szameitat, geb. 07.02.1941.

 

Schönwalde, Post Kuggen, Kreis Samland: das Ehepaar Wohlert, von seinem Pflegesohn Erwin Horch, geb. 08.07.1940. Erwin Horch sucht ebenfalls noch seine Geschwister Siegfried Horch und Edith Horch.

 

Eltern und Angehörige für ein etwa 1940 geborenes Mädchen, das Agathe Skambracks, Kambrach oder Kannbare heißen soll. Vermutlich stammt das Mädchen aus Ostpreußen. Es will sich erinnern, zwei Brüder, Werner und Richard, gehabt zu haben. Agathe Skambracks, Kambrach oder Kannbare hat beim Kindersuchdienst die Kenn-Nr. 01 230.

 

Allenburg, Kr. Wehlau, Herrenstraße 182, bei Schiemann: Eckhardt Foth, geb. 15.08.1937 in Königsberg, und Ingrid Foth, geb. 19.06.1939 in Königsberg, von ihrem Vater Werner Foth, geb. 20.02 .1915.

 

Allenburg, Kr. Wehlau, Wehlauer-Tor-Straße 168, Helmut, Braunsberg, geb. 01.10.1934 in Allenburg, von seinem Bruder Richard Braunsberg, ,geb. 12.09.1926.

 

Aweyden, Kr. Sensburg: Karl Koyro, geb. 1944 in Borkenwalde, von seiner Mutter Friedel Volgenau,  verwitwete Koyro. Karl Koyro soll 1945 im Waisenhaus in Sensburg gewesen sein.

 

Vom Gut Dietrichsdorf, Kr. Neidenburg: die Geschwister Waltraut Grondzewski,  geb. 20.02.1933. Walter Grondzewski, geb. 12.07.1935, Horst Grondzewski, geb. 11.11.1937, Inge Grondzewski, geb. 26.08.1940, und Werner Grondzewski, geb. 12.02. (Geburtsjahr nicht angegeben) in Dietrichsdorf, von ihrem Großvater Gustav Grondzewski, geb. 06.01.1883

 

Eichtal, Kr. Treuburg: Hildegard Kownatzki, , geb. 08.02.1937, von ihrem Vater Otto Kownatzki,  geb. 06.06.1900.

 

Groß-Engelau, Kr. Wehlau: Fritz Lemke, geb. 14.03.1936 und Liesbeth Lemke, geb. 12.04.1937, von ihrem Vater Fritz Lemke, geb. 05.06.1897.

 

Gedwangen, Kr. Neidenburg: Charlotte Lissek, geb. 08.08.1933, Elfriede Lissek, geb. 05.11.1934 und Heinz Lissek,  geb. im Dezember 1938 in Gedwangen, von ihrem Vater Julius Lissek, geb. 01.09.1895.

 

Grünlinde, Kr. Wehlau: Helmuth Dietrichkeit, geb. 28.09.1935 in Preislauken und Erwin Dietrichkeit, geb. 12.07.1941 in Grünlinde, von ihrem Vater Franz Dietrichkeit.

 

Herzogsau, Kr. Neidenburg: Helmut Greszek, geb. 05.02.1935, Lothar Greszek, geb. 12.06.1938 und Ditmar Greszek, geb. 28.01.1941, von ihrem Vater Ludwig Greszek, geb. am 03.12.1903.

 

Kailehnen, Kr. Tilsit-Ragnit: Ida Aschmann, geb. 12.12.1934 in Pucknen, von ihrem Vater Albert Aschmann, geb. 22.02.1893.

 

Kersten bei Breitenstein, Kr. Tilsit-Ragnit: Willi Walter, geb. 20.05.1937 in Kersten, von seiner Mutter Minna Walter, geborene Fischer, geb. 28.02.1900. Willi Walter soll angeblich im Februar 1945 von Bromberg nach Elsendorf bei Nauendorf, Kreis Bromberg, und später in ein Lager in Lebsno-Grunowo, Kr. Lobsenz, gekommen sein.

 

Königsruh, Kr. Treuburg: Helga Bieberneit, geb. 23.02.1934 und Horst Bieberneit, geb. 04.01.1940, von ihrem Vater August Bieberneit, geb. 01.08.1891. Helga und Horst befanden sich Ende Januar 1945 in Bischofsstein.

 

Muschaken, Kr. Neidenburg: Horst Dibowski, geb. 04.12.1934 in Ullechen, von Otto Dibowski, geb. 26.10.1899.

 

Ortelsburg, Lenzillerweg Nr. 15: Waltraut Lessow, geb. 14.03.1938 in Ortelsburg, von ihrer Schwester Hildegard Lessow, geb. 27.03.1931.

 

Petersdorf, Kr. Wehlau: Helmut Költzsch, geb. 14.03.1934 in Wilkendorf. Kr. Wehlau, von seiner Mutter Johanna Költzsch, geborene Ziblinski.

 

Pollwitten, Kr. Mohrungen: Christa Ott, geb. 07.05.1941 in Danzig-Langfuhr und Erwin Ott, geb. 25.10.1942 in Pollwitten, von ihrem Vater Hermann Ott, geb. 24.07.1904.

 

Pomedien, Kr. Wehlau: die Geschwister Hannelore Matthe, geb. 10.11.1934 in Groß-Plauen, Werner Matthe, geb. 22.05.1936 in Dudeln. Siegfried Matthe, geb. 22.04.1939 in Pomedien, Manfred Matthe, geb. 1941 in Pomedien und Heinz Matthe, geb. 20.02.1943 in Pomedien, von ihrem Vater Karl Matthe, geb. 23. Januar 1905.

 

Schiewenau, Kr. Wehlau: Elsbeth Höpfner, geb. 1934 und Christel Höpfner, geb 1940, von ihrem Vater Friedrich Höpfner, geb. 01.12.1901.

 

Siemienau, Kr. Neidenburg: Ernst Dworak, geb. 06.03.1934 in Neidenburg, von seinem Vater Adolf Dworak, geb. 17.05.1889. Ernst Dworak erkrankte auf der Flucht und wurde in Könitz von einem Militärlazarettzug übernommen, der nach Bayern fahren sollte.

 

Tapiau, Kr. Wehlau, Bergstraße 2. bei Auguste Wolff: Lothar Dehn, geb. 27.06.1936 in Berlin, von seiner Mutter Helene Dehn, geb. 22.061915.

 

Tapiau, Kr. Wehlau, Rentenstraße 12: Eva Edelgard Grunwald, geb. 31.10.1933 in Legitten, und Günter Grunwald, geb. 08.02.1935 in Legitten, von ihrer Schwester Charlotte Kriehn, geborene Grunwald.

 

Tilsit, Milchstraße 35: Dieter Saunus, geb. 25.02.1940, von seinen Eltern Kurt Saunus, geb. 06.08.1900 und Ella Saunus, geborene Brahmann.

 

Tapiau, Kr. Wehlau, Krankenhaus: Heinz Wannoff, geb. 25.02.1934, von seiner Pflegetante Martha Jabs, geborene Kraemer, geb. 28.10.1909.

 

Ukta, Kr. Sensburg: Walter Werner, geb. 23.05.1933 in Freimarkt, Adolf Werner, geb. 1936 und Leo Werner, geb. 1939, von ihrer Schwester Josefa Dreyer, geborene Werner, geb. 17.08.1919.

 

Wehlau, Oppenerstraße 9a: Olepp Eva, geb. 05.07.1936 und Elsa Olepp, geb. 23.01.1938 und deren Mutter, Elsa von Behr. Frau Olepp ist zuletzt mit ihren beiden Töchtern im Lager Taplacken, Kr. Wehlau, gesehen worden.

 

Weinsdorf, Kr. Mohrungen: Helga Hafke, geb. etwa 1939 in Weinsdorf, Herbert Hafke, geb. etwa 1941 in Weinsdorf, und Horst Hafke, geb. etwa 1942 in Weinsdorf, von ihrer Großmutter Dorothea Knoblauch, verwitwete Hafke, geborene Liedtke, geb. 19.12. 1880.

 

Burdungen, Kr. Neidenburg; Willi Rohmann, geb. 16.09.1935, von seiner Schwester Lotte Rohmann, geb. 25.08.1934 in Burdungen.

 

Dachsrode bei Moptau, Kr. Wehlau: Harry Dittkrist, geb. 10.06.1934, und Gitta Dittkrist, geb. 10.09.1942 in Dachsrode, von ihrem Onkel Walter Dittkrist, geb. 18.10.1910.

 

Dietrichsdorf, Kr. Neidenburg: die Geschwister Waltraut Pajewski, geb. 14.09.1936, Helga Pajewski, geb. 30.01.1937 und Rüdiger Pajewski, geb. 23.10.1940 in Dietrichsdorf, von Anna Pajewski, geb. 26.04.1916.

 

Rohmanen, Kr. Ortelsburg: Hans-Jürgen Gollan, geb. 18.02. 36 in Rohmanen, von seiner Mutter Gertrud Köhler, verwitwete Gollan. Hans-Jürgen Gollan wurde am 20. Januar 1945 auf dem Bahnhof in Ortelsburg verwundet und kam in das Ortelsburger Lazarett, dessen Chefarzt Doktor Pleines war.

 

 

 

Seite 13   Heimkehreraussagen über Zivilgefangene.

 

Allenstein: die Angehörigen der Frau Allmuth, geb. etwa 1908. Ärztin.

 

Insterburg: die Angehörigen der Frau Ballendat, geb. etwa 1910.

 

Insterburg: die Angehörigen des Schlossers Gerhard Bauer, geb. etwa 1925.

 

Königsberg: die Angehörigen des Herrn Amon, weitere Angaben fehlen, vermutl. ehemals Sekretär der Landeshauptmannschaft.

 

Schupöhnen, Post Grünhoff über Königsberg: die Angehörigen des Vorname unbekannt, Landwirts Baumgard oder Baumgarth, geb. etwa 1887.

 

Kreis Mohrungen: die Angehörigen des Landarbeiters Willi Bach, geb. etwa 1926, ledig.

 

Kreis Samland: die Angehörigen der Hedwig Bauer, geb. etwa 1923.

 

Tilsit: die Angehörigen des Landwirts, Vorname unbekannt, Skerwiteitis, geb. etwa 1890,

 

Ostpreußen: die Angehörigen des Oskar Rütteis, geb. etwa 1897.

 

Gesucht werden aus Pommern:

 

Ostpreußen: die Angehörigen des katholischen Geistlichen Josef Bauksdit.        

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Martha Boll, geb. etwa 1908.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Maria Borchert, geb. etwa 1895.

 

Königsberg: die Angehörigen der Jutta Betus, geb. etwa 1912.

 

Königsberg: die Angehörigen des Postarbeiters Erwin Blank, geb. etwa 1922.

 

Königsberg: die Angehörigen der Frau Anna Britter oder Brittner, geb. etwa 1897.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Frau Buchholz, geb. etwa 1908.

 

Ostpreußen: die Angehörigen der Erika Buchholz, geb. etwa 1923.

 

Trakseden (Memelgeblet): die Angehörigendes Molkereiarbeiters, Vorname unbekannt Bazillus, geb. etwa 1900.

 

Allenstein: die Angehörigen der Frau Eichler,

 

 

Seite 13   Heimkehrer-Aussagen über Vermisste. Wer kennt die Angehörigen?

Heimkehrer haben beim Suchdienst Aussagen über Vermisste gemacht. Die Angehörigen dieser Vermissten konnten bisher nicht ermittelt werden. Erkennen Sie aus den nachstehend aufgeführten Personalangaben einen der Vermissten und können Sie Auskunft über dessen Angehörige geben? Helfen auch Sie, die Angehörigen ausfindig zu machen. Jede zutreffende Meldung bedeutet ein geklärtes Vermisstenschicksal! Geben Sie Ihren Hinweis zur Auffindung der Angehörigen bitte unverzüglich unter Angabe der Befragungsnummer der Liste (jeweils am Ende der Suchanzeige) an das Deutsche Rote Kreuz, Suchdienst München, Abt. Nachforschungsstelle für Webrmachtsvermisste München 13, Infanteriestraße 7a.

 

Cuhnehnen (Ostpreußen): die Angehörigen von Kurt Pulver, geb. 15.07.1905, III/5826.

 

Der Gegend von Königsberg: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Peters, geb. etwa 1925, III/55824.

 

Königsberg, Gartenstraße Schönfließ: die Angehörigen von Franz Puschke, III/11800.

 

Tempelburg (Ostpreußen): die Angehörigen von Herbert Trundelberg, geb. 1908, Obergefreiter, III/81746

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Peters, geb. etwa 1906, Oberfeldwebel, III/33294.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Karl Theike,  geb. etwa 1912/1913, war bei der Feldgendarmerie, III/16682.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Tscherbakowski, geb. etwa 1890, Beruf: Landwirt, III/18659.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Alfred Mannerheim, geb. etwa 1911, III/20135.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Friedrich Kaiser, geb. in Ostpreußen, verheiratet, Landwirt, Gefreiter beim Regiment 301 der 206. Division — A/3683

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Hans Kolin, geboren etwa 1910, verh., aktiver Offizier, Leutnant beim Gren.-Rgt. 21 oder 55 —A/3728

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Bruno oder Paul Schinkowski, zuletzt bei der 290. Inf.-Div. — C/1155

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von Hermann Wrobel, verh., SS-Unterscharführer bei der 7. Komp. SS-Panzergrenadier-Rgt. 38 — A/5741

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Ziznianskae,  — A/3320

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Gustav Bleile, geb. 1910, von Beruf Schreiner, B 8304.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von Gerhard Dannenberg, geb. etwa 1914, verheiratet, 1 Kind (geb. 1944), Oberfeldwebel, B 8307.

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von Ludwig Dohn, geb. etwa 1903/1905, Unteroffizier, von Beruf vermutlich Landwirt, zuletzt bei einem Ers.-Batl. der Artillerie, B 7982.

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Ehlert, Oberleutnant und Kompagniechef, Feldpostnummer 09185, A 6187.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Eibuschat, , geb. etwa 1905, Unteroffizier, von Beruf vermutl. Landwirt, zuletzt bei Inf.-Regiment 1048, A 9824.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Grigul, geb. etwa 1891, Stabsfeldw., zuletzt Feldp.-Nr. 41269, A 6361.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Grompert, geb. etwa 1910/1912, Oberleutnant: die Ehefrau war im Harz evakuiert, B 845.

 

Vermutlich Ostpreußen: die Angehörigen von Alfred Grundke, geb. 1909, A 6993.

 

Ostpreußen: Die Angehörigen von Josef Herkel, geb. etwa 1914, Obergefreiter. C 1679.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Juckschad, geb 1908 /909, Feldwebel, C 1305.

 

Ostnreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Kansk oder Kasiske, geb. etwa 1910, Leutnant. Berufssoldat, A 7180.

 

Ostpreußen: die Angehörigen von: Vorname unbekannt, Kowalewski, geb. etwa 1912. Maschinengewehrschütze, zuletzt bei der Marineartillerie auf Hela eingesetzt, B 8743.

 

Ostnreußen: die Angehörigen von Max Kronkowski, geb. etwa 1920/1921, Obergefreiter, zuletzt bei einem Eisenbahn-Panzerzug, C 1571.

 

 

Seite 13   Gefallene und gestorbene Wehrmachtsahgehörige.

Anfragen und Mitteilung zu dieser Liste sind unter Angabe des Namens und Vornamens des Gemeldeten (zweiter Name in der Suchmeldung) an den Suchdienst München, Rundfunkauskunft München 13, Infanteriestraße 7a, zu richten.

 

Hulda Saborowski, , aus Adersdorf, Kr. Lötzen, für Fritz Saborowski, geb. 14.01.1902 in Adersdorf.

 

Mathilde Znita, aus Altmertinsdorf über Allenstein, für Herbert Znita, geb. 25.02.1924 in Sterkrade.

 

Familie Zimmermann, aus Angerburg, Neuer Markt 18, für Karl Zimmermann, geb. 17.05.1921 in Angerburg.

 

Luise Pitsch, aus Barsen bei Heiligenbeil, Post Perwitten?, für Pitsch, geb. 22.07.1906 in Barsen.

 

Mathilde Zywotek, aus Blaskowizny, Kr. Suwalki, für Adolf Zywotek, geb. 24.07.1910 in Blaskowizny.

 

Familie Przywarra, aus Buchenhagen, Kr. Sensburg, für Gustav Przywarra, geb. 10.07.1921 in Buchenhagen.

 

Franziska Zyskowski, aus Burgfelde, Kr. Goldap, für Josef Zyskowski, , geb. 25.04.1911 in Wolka.

 

Karl Saborosch, aus Charlottenhof bei Liebemühl, Kr. Osterode, für Paul Saborosch, geb. 26.10.1906 in Seewalde.

 

Gustav Müller, ,aus Domäne Fuchshof bei Königsberg, für Helmut Müller, geb. 12.02.1923 in Rudolfshammer.

 

Wisia Zajankowski, aus Dorf Daschowoe, Kr. Bialystok, für Nikolai Zajankowski, geb. 03.07.1920 in Sanjaki.

 

Herbert Sänger, aus Freimühlen-Würsitz, für Helmut Sänger, geb. 15.02.1925 in Freimühlen.

 

Robert Zurawski, aus Ganglau, Kr. Allenstein, für Josef Zurawski, geb. 28.01.1927 in Ganglau.

 

Familie Zwarski, aus Ganglau, Kr. Allenstein, für Josef Zwarski, geb. 28.01.1927.

 

Adolf Müller, aus Gehland, Kr. Sensburg, für Kurt Müller, geb. 04.07.1925 in Gehland.

 

Karl Gritzan, aus Gneisthöhe b. Rhein, Kr. Lötzen, für Emil Schieweck, geb. 12.03.1915 in Wathlingen.

 

Alice Meier, aus Göttchendorf, Kr. Pr.-Holland, für Reinhard Meier, geb. 22.01. 926 in Göttchendorf.

 

Familie Zunk, aus Goldap, Angerburgerstraße 35, für Herbert Zunk, geb. 09.08.1910 in Berlin.

 

Familie Schuga, aus Gorlau-Freyersdorf, Kr. Lyk, für Helmut Schuga, geb. 31.12.1925 in Gelsenkirchen.

 

Marianne Zdrojewski, aus Gr.-Koschlau, Kr. Neidenburg, für Bronislaus Zdrojewski, geb. 07.11.1913 in Wompiersk.

 

Wilhelm Zwardin, aus Gumbinnen, Goldaperstraße 62, für Fritz Zwardin, geb. 12.11.1921 in Gumbinnen.

 

Ernst Zydait, aus Haffwerder-Labiau, für Günther Zydait, geb. 16.01.1923 in Haffwerder.

 

Hermann Müller, aus Hasselberg. Kr. Heiligenbeil, für Herbert Müller, geb. 10.02.1924 in Gr.-Hasselberg.

 

Emil Weyland, aus Heinrichshofen, Kr. Sensburg, für Kurt Weyland, geb. 01.05.1926 in Heinrichshofen.

 

Berta Meyer, aus Insterburg, Cäcilienstraße 3, für Heinz Meyer, geb. 19.10.1915 in Berlin.

 

 Maria Zacharzewski, aus Jägersdorf, Kr. Neidenburg, für Gustav Zacharzewski, geb. 14.04.1907 in Jägersdorf.

 

Luise Przywarra, aus Julienhöfen, Kr. Sensburg, für Bruno Przywarra, geb. 14.10.1922 in Wosnitzen.

 

Herr Weber, aus Klaukendorf bei Allenstein, für Herbert Müller, geb. 13.04.1895 in Kl.- Neuhof.

 

Anna Zilius, aus Kleeheusen, Kr. Tilsit-Ragnit, für Hans Zilius, geb.06.08.1891.

 

Familie Müller, aus Königsberg, Barbarastraße 52, für Günther Müller, geb. 09.11.1928.

 

Hermann Müller, aus Königsberg, Zuckinstraße 19. für Gerhard Müller, geb. 08.05.1925 in Königsberg.

 

Albert Maier, aus Kreuzlingen, Alpstr. 7, für Edwin Maier, geb. 16.04.1922 in Kreuzlingen.

 

Herta Septinus, aus Memel, Schlewiestraße 18. für Rudolf Franz Septinus. geb. 25.01.1914.

 

Monika Serowski, aus Menden, Kr. Allenstein, für Anton Serowski, geb. 18.01.1904 in Menden.

 

Marta Sakorins, aus Mikut-Krauleiden. Post Neustubbern. Kr. Tilsit, für Georg Sakorins, geb. 03.08.1896 in Stumbragirren.

 

Else Zühlke, aus Raventin. Kr. Pr.-Eylau, für August Zühlke, geb. 24.08.1894.

 

Paul Sender, aus Reussen. Kr. Allenstein, für Otto Sender, geb. 21.12.1927 in Reussen.

 

 

Seite 14   Schulrat Joseph Schwarz – 75 Jahre alt. Mit Foto.

Am 13. März 1955 begeht Schulrat Joseph Schwarz — Stuhm Rößel seinen 75. Geburtstag.

 

Der Jubilar, ein echter Ermländer, wurde in Reimerswalde, Krs. Heilsberg geboren. Nach Besuch der Braunsberger Präparanden-Anstalt und des Lehrerseminars war er ab 1901 zunächst einige Jahre im Volksschuldienst tätig. Unermüdlich war er im Streben nach wissenschaftlicher, vor allem psychologisch-pädagogischer Weiterbildung. In jahrelanger Vorbereitung und nach Besuch entsprechender Bildungsstätten in Königsberg, Leipzig, Greifwald und Berlin legte er die Mittelschullehrerprüfung sowie Rektorprüfung in Königsberg, ferner die Werklehrerprüfung am Staatlichen Werklehrerseminar in Berlin ab.

 

Schon 1905 war er als Lehrer bzw. Vorsteher an der Präparandenanstalt in Braunsberg, anschließend dortselbst am Lehrerinnenseminar und seit 1911 als Rektor an der kath. Knabenschule tätig. 1921 erfolgte seine Ernennung zum Schulrat, zunächst für den Kreis Stuhm, später für den Kreis Rößel. Von 1938 bis zur Vertreibung (1945) wirkte er im Schuldienst Breslaus.

 

Sein schulpraktisches Können, Klarblick für jeweilige Gegebenheiten, seine Toleranz und strenge Sachlichkeit in dienstlichen Obliegenheiten sicherten ihm jederzeit und überall Achtung und Wertschätzung sowohl bei den Schülern wie auch der Lehrerschaft. Schulische Tätigkeit war ihm stets Herzensbedürfnis, und so widmet er sich auch noch im Ruhestand privatunterrichtlicher Arbeit. Als schwerster Schicksalsschlag seines Lebens traf ihn das Hinscheiden seiner herzensguten Frau am 01.09.1953.

 

Seitdem verlebt er in stiller Zurückgezogenheit in München (Sieboldstr. 970) bei guter Gesundheit seine wohlverdienten Ruhestandsjahre. In seinem unermüdlichen Streben nach beruflicher Vervollkommnung ist Schulrat Schwarz der jungen Generation ein leuchtendes Vorbild. Wir wünschen dem betagten Geburtstagskind noch viele Jahre in bester Gesundheit und körperlicher und geistiger Frische.

 

 

Seite 14   Wir gratulieren! Flensburger Ostpreußenfamilie.

Im Monat Februar 1955 werden die nachstehend aufgeführten Geburtstagskinder der Ostpreußenfamilie in Flensburg 70 und mehr Jahre alt.

 

Am 01.02.1955:  Frau Marie Scheffel, geb. Langheit, Kloster zum heiligen Geist. Früher: Königsberg (Pr.), Schrötterstr. 80, 80 Jahre alt.

 

Am 02.02.1955: Frau Julie Ignath, Lager Kielseng, 77 Jahre.

 

Am 02.02.1955: Herr Paul Schesnack, Husumerstraße 21. Früher: Königsberg (Pr.), Steile Straße 14a, 74 Jahre.

 

Am 02.02.1955: Frau Anna Skibba, Adelbylund, Angelsunderweg 4, 72 Jahre.

 

Am 10.02.1955: Frau Ida Broszeit, Lager „Zur Exe“. Früher: Striegengrund, Kreis Insterburg, 75 Jahre.

 

Am 10.02.1955:  Frau Maria Graw, Blücherlager. Früher: Krickhausen, Kreis Wormditt, 79 Jahre.

 

Am 11.02.1955: Herr Max Zmodzin, Adolf-Menzel-Weg 26. Früher: Tapiau Ostpreußen, Tannenbergstraße 13, 83 Jahre.

 

Am 12.02.1955: Frau Wilhelmine Grahl, Rote Str. 24, 83 Jahre.

 

Am 14.02.1955: Herr William Boje, Apenrade (Dännemark), Ramsharde 22, 82 Jahre.

 

Am 16.02.1955: Frau Elise Liebe, Friesische Str. 89. Früher: Pillau, Ostpreußen, Hindenburgstraße 5, 74 Jahre.

 

Am 19.02.1955: Herr Albert Birth, Stuhrsallee 19. Früher: Braunsberg, Poststraße 15. 77 Jahre.

 

Am 19.02.1955: Frau Christine Doering, Mühlenholz 25, 82 Jahre.

 

Am 20.02.1955: Frau Emilia Hildebrandt, Schiffbrücke 66. Früher: Königsberg, Magisterstraße 34. 80 Jahre.

 

Am 19.02.1955: Frau Margot Matthiae, Altersheim DRK, am Bahnhof. Früher: Königsberg, Preußen, Dohnastraße 11a, 73 Jahre

 

Am 22.02.1955: Herr Friedrich Ragnit, Osterallee 85. Früher: Fauledin, Kreis Wehlau. 75 Jahre

 

Am 23.02.1955: Frau Clara Braun, Marienhölzungsweg 34. Früher: Eydtkau, Herzog-Albrecht-Straße 4. 73 Jahre

 

Am 25.02.1955: Frau Marie Kriesch, Ostseebadweg 45. Früher: Allenstein. 74 Jahre

 

Am 28.02.1955: Frau Luise Oesterheld, Südergraben 13. Früher: Wormditt, Adolf-Hitler-Straße 37. 72 Jahre

 

Am 28.02.1955: Frau Gertrud Schulz, Am Lachsberg, 80 Jahre

 

Am 29.02.1955 bzw. 01.03.1955: Frau Helene Feders, Friesische Straße 88. Früher: Lötzen, Gymnasialstraße 3. 75 Jahre

 

Die Flensburger Ostpreußenfamilie, insbesondere der Vorstand gratuliert seinen Geburtstagskindern auf allerherzlichste und wünscht ihnen einen gesegneten und ruhigen Lebensabend. Armoneit.

 

Frau Theodora Schellhammer, aus Allenstein, Ostpreußen, jetzt bei ihrem Schwiegersohn Wilhelm Dziersk in Seesen, Harz, Lange Straße 16 wohnhaft, wird am 20. März 1955, 77 Jahre alt.

 

Frau Maria Schibalski, Ehefrau des Pfarrers Franz Schibalski, aus Neuhausen, Ostpreußen, beide jetzt wohnhaft in Bornhausen 2, über Seesen, Harz, wird am 9. März 1955, 70 Jahre alt.

 

75 Jahre alt wird am 18. Februar 1955 der Schneidermeister Franz Butzke, aus Königsberg, Preußen, wo er viele Jahre Vorsitzender der Meisterprüfungskommission für Ost- und Westpreußen war. Er wohnt jetzt mit seiner Ehefrau in (22a) Opladen, Düsseldorfer Straße 128

 

 

Seite 14   Die Wölfe kommen.

Verlassene, verödete Dörfer und Städte, kaum noch befahrbare Straßen, verwilderte Wälder, weite Brachfelder, über die der Schneesturm rast — das ist Ostpreußen im Jahre 1955: „Neu-Sibirien“. Sibirisch nicht nur das. Durch dasselbe Ostpreußen, auf dessen Straßen im unglückseligen Winter 1944/1945 die Trecks der Flüchtlinge nach Westen zogen, heulen zehn Jahre später die Wölfe. Nicht ein paar Einzelgänger. Unzählige Rudel, meist 30 bis 40 Tiere, brachen aus der Rominter Heide ein. Polnische Stellen sprechen von 500 Wölfen, andere Beobachter schätzen die Zahl höher.

 

An jedem Nachmittag verlässt ein beschleunigter Personenzug den Warschauer Nordbahnhof. Vollgestopft mit Parteifunktionären, Studenten, Schülern, Wehrschutzlern. In Kreideschrift an der Zugwand: „Wir jagen die Wölfe!“ Ziel der Fahrt ist Ortelsburg. Der dort eingerichtete „Jagdstab“ der umfangreichen polnischen Wolfsjagdaktion untersteht dem „Staatskommissariat für die Wolfsbekämpfung“.

 

Rund 10 000 Freiwillige und Strafgefangene, verstärkt durch Abteilungen der Garnisonen Angerburg, Lötzen, Arys, Ortelsburg und Lyck, rücken Tag für Tag in die Johannisburger Heide. Hier, nahe der Grenze zum sowjetisch verwalteten Nord-Ostpreußen, laufen die Wolfsrudel ihre stärksten Angriffe:

 

Auf dem Staatsgut Königsruh bei Treuburg rissen die Wölfe in einer Nacht zwölf Pferde und sieben Kühe.

 

Zwischen Arys und Lyck verschwanden spurlos zwei Gespanne der landwirtschaftlichen Genossenschaft. Man vermutet: Opfer der Wölfe.

 

Befehl des Bezirksrichters von Arys: Gesamte Polizeimannschaft auf Wolfsjagd! Unmöglich ist es geworden, die Postwagen und -schlitten heil durchzubringen.

 

Anordnung der Eisenbahnverwaltung: Gesamtes Zugpersonal einschließlich Lokführer werden bewaffnet. Zur Abwehr der ausgehungerten Rudel, die selbst die Bahndämme bedrängen und die langsam fahrenden Züge anspringen.

 

Natürlich versuchen alle amtlichen Stellen, die drohende Gefahr zu vertuschen. Aber solche Meldungen sprechen für sich:

 

Der Woiwode von Allenstein zahlt 100 bare Zloty für jeden erlegten Wolf.

 

Alle Ortschaften sind verpflichtet, täglich „Lageberichte“ an einen „Wolfswarndienst“ durchzugeben.

 

Bei Goldap wurden drei Leitwölfe erlegt, der stärkste war 135 Zentimeter lang!

 

Kolchosbauer Stanislaus Stawiskycs aus Rogallen wurde ausgezeichnet, weil er — unbewaffnet! — 24 Wölfe erlegte. Ostpreußen 1955 — Land der Wölfe . . .

 

 

Seite 14   Suchanzeigen.

Otto Bewer, geb. 06.11.1899, Maschinenbaumeister aus Kreuzingen, Elchniederung. Zuletzt Wohnung: Plölmen (Polen). Eingesetzt beim Befestigungsbau Königsberg. Er soll im Lager Stablack und ab Juni 1945 in Pr.-Eylau als Zivilgefangener gewesen sein, und in seinem Beruf gearbeitet haben. Im September 1945 soll mein Mann gestorben sein, wer war mit meinem Mann dort zusammen, und wer hat ihn tot oder schwer krank gesehen. Für Jede Nachricht wäre ich sehr dankbar. Frau Erna Bewer (13b) Gempfing über Neuburg/O.

 

Gesucht werden: Familie Kurt Stumm, Fleischerei, Ortelsburg. Adolf-Hitler-Platz 36; Herr Rich. Gerlach, Ortelsburg, AdolfHitler-Platz 34. und Schwägerin Fräulein Käte Krauß, Fahrrad-Radio-Geschäft, Otrelsburg; Fräulein Elfriede Butzke, RAD Ortelsburg (war verlobt mit einem Herrn Drescher); Fräulein Käte Becker, BDM-Führerin, gewohnt bei Familie Rosowski, Ortelsburg, Adolf-Hitler-Platz 34. und Rektor Borchert und Tochter Christel (bis 1945 Organist an der kath. Kirche in Ortelsburg). Wer kann über die Gesuchten, Auskunft geben, bzw. weiß ihre Anschriften? Nachr. erbeten an Frau Olga Rosowski, geb. Goldbach, früher: Ortelsburg Adolf-Hitler-Platz 34. Jetzt Essen-West. Thalstraße 23.

 

 

Seite 15   Familienanzeigen.

Die glückliche Geburt unseres ersten Kindes Sabine zeigen in dankbarer Freude an: Gertrude Pfeifer, geborene Lehmann, Göttingen, Weender Straße 12 und Rudi Pfeifer, Göttinen. Früher: Landsberg, Ostpreußen. 3. Februar 1955

 

Haidflüh, den 10. Januar 1955, Post Schönau – Schwarzwald. Nach langem, schwerem, mit unendlicher Geduld ertragenem Leiden, hat es Gott dem Allmächtigen gefallen, unsere inniggeliebte, stets treubesorgte Mutter, Schwiegermutter und Großmutter, unsere liebe Schwester, Schwägerin und Tante, Frau Elisabeth Klein, geborene von Detten Witwe des, ihr in die Ewigkeit vorangegangenen, Universltätsprofessors Dr. jur. Peter Klein, zu sich zu nehmen. Die selig Entschlafene starb nach einem selten erfüllten Leben, gestärkt durch die Heilmittel der röm. kath. Kirche, im Alter von 74 Jahren. Namens der untröstlichen Hinterbliebenen: Erich Georg Klein, Landwirt in Haidflüh. Martha Klein, geb. Klinger, Haidflüh. Maria Theresia Klatt, geb. Klein, Mönchen-Gladbach. Paul Klatt, Generalleutnant a.D., z. Zt. noch in russischer Kriegsgefangenschaft. Elisabeth Doerenkamp, geb. Klein, Berlin-Grunewald. Peter Doerenkamp, Kaufmann, Berlin-Grunewald. Edith Schiller, geb. Klein, Berlin-Grunewald. Ullrich Klein-Ellersdorf, Dramaturg, Stuttgart. Pia-Maria Klein-Ellersdorf, geb. Knapp. Schwester Erna Gillmann, Haidflüh und zwölf Enkelkinder. Die Beerdigung fand in Stuttgart auf dem Steinhaldenfriedhof am Donnerstag, den 13. Januar 1955, um 15 Uhr statt.

 

Nach Gottes heiligem Willen ging am 20.01.1955 unser geliebter Vater, Schwiegervater und Großvater, der Rittergutsbesitzer Max Hoth – Garbeningken, Major a. D., im 91. Lebensjahr von uns. Der Inhalt seines arbeitsreichen Lebens war Treue und unermüdliches Wirken für seine Familie und unsere geliebte Heimat. Wir brachten ihn am 24.01.1955 auf dem Stadtfriedhof in Göttingen zur letzten Ruhe. Sabine Hoth. Erika Bruch, geb. Hoth. Gerd Bruch. Martin, Christian, Albrecht und Armin. Frankfurt/M.-Nied, Oeserstraße 122.

 

Am 20. Dezember 1954 starb, versehen mit den Gnadenmitteln der katholischen Kirche, mein geliebter Mann, unser guter Vater, Schwiegervater, Großvater, Urgroßvater, Bruder, Schwager und Onkel, P. Josef Romanski,  im Alter von 82 Jahren. In stiller Trauer: Maria Romanski und Kinder, Köln/Kalk, Remscheider Straße 63. Früher: Bischofsburg in Ostpreußen.

 

Fern der geliebten Heimat entschlief am 2. Januar 1955 plötzlich und unerwartet unsere geliebte Gattin und Mutter, Frau Auguste Arndt, geborene Götz. Früher Groß-Trakehnen — im Alter von 64 Jahren. In tiefer Trauer: Wilhelm Arndt, Gatte. Frieda Kern, geb. Arndt. Paul Arndt. Erwin Arndt.

Lackenhäuser (Bayer. Wald) Hagen/Westfalen, Hannover

 

 

Seite 16   Beginnender Kampf gegen die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen für Flüchtlingskinder.

Sehr aufschlussreiche Ausführungen zu obiger Frage wurden in einer Auschusssitzung des Landeslehrervereins Lippe, G. E. W. gemacht. Ich zitiere nach der Presse:

 

„Auch das Problem der Beihilfen für Flüchtlingskinder, die höhere Schulen besuchen, wurde berührt. Man müsse anstreben, dass Beihilfen nur dann gezahlt würden, wenn die Tatsache befriedigender Leistungen gegeben sei. — Der Ausschuss beschloss, im dargelegten Sinne der Schulabteilung bestimmte Vorschläge zu unterbreiten“. — Und „Dr. Bieber“ macht auf Fehlleitung öffentlicher Gelder bei der Gewährung von Erziehungsbeihilfen für Flüchtlinge aufmerksam, die ihre Kinder zur höheren Schule schicken. Er empfiehlt, innerhalb des Landesverbandes einheitlich zu handeln“.

 

Wo hat Herr Dr. Bieber durchgreifende Erfahrungen mit der Fehlleitung öffentlicher Gelder in dieser Beziehung gemacht und in wieviel Fällen? Über die Gewährung von Beihilfen entscheiden doch besondere Ausschüsse, die nach gesetzlichen Bestimmungen arbeiten. Und, es scheint so, als ob man dort nicht weiß, dass es nicht nur Ausbildungsbeihilfen für ostvertriebene Kinder, sondern auch für einheimische Kinder gibt. Kennt man dort nicht den Bundesjugendplan und das Bundesversorgungsgesetz?

 

Und — es gibt ja auch amtliche Statistiken für Schulfragen, und die besagen, dass ostvertriebene Kinder trotz Flucht, schlechtester Ernährung und erbärmlichen Wohnverhältnissen zu fast 50 Prozent über den Klassendurchschnitt stehen.

 

Und — wie will man die Begabung und die späteren Leistungen von Kindern feststellen, die in eine mittlere oder höhere Schule aufgenommen zu werden wünschen?

 

Schreiber dieser Zeilen hat in seinem Leben fast 5000 Kinder in Volks- und Mittelschulen aufgenommen und ebenso viele ins Leben oder in weiterführende Schulen entlassen und hat oft gesehen, wie die Besten einer Klasse im Leben versagten. Und immer ist er mit Zagen heran gegangen, wenn er Aufnahmeprüfungen für Mittelschulen abhielt, oder wenn er Kinder den Weg in eine höhere Schule wies.

 

Wer ist so vermessen, immer richtig ein Kind beurteilen zu wollen, was in ihm steckt und was aus ihm wird. Das kann nur mit einiger Sicherheit — Fehlprozente sind immer abzuziehen — im mehr-monatlichem Laufe des ordnungsmäßigen Schulunterrichts geschehen.

 

Und — heute werden die Kinder der Volksschule, — wenn sie in die Sexta einer höheren Schule kommen wollen, einer Aufnahmeprüfung unterzogen, die oft 3 Tage dauert.

 

Weiß man nicht, dass selbst große Leute Examensfurcht haben, nervös werden und in der Prüfung vor Aufregung alles vergessen haben, was sie sonst wussten? Ist es da verwunderlich, wenn 10 oder 11 Jahre alte Kinder auch solch ein Prüfungsfieber haben, selbst wenn sie alles wissen, was verlangt werden kann.

 

Oder glaubt man mit Tests weiterzukommen?, mit Sicherheit eine Begabung festzustellen?

 

Erwachsenen, sowie Kindern erst recht, muss man ja zunächst beibringen, wie Testfragen behandelt werden müssen. Kann man von Kindern als Begabungsmaßstab das zur Ausfüllung der Testfragen nötige Denken schon verlangen? W. Hardt, Lübecke/W.

 

 

Seite 16   Bahnhof Russkinaja meldet sich nicht.

Heinrich Eisen: Bahnhof Russkinaja meldet sich nicht. Roman, 480 Seiten. Lanzenreiter Verlag Frankfurt a/M. DM 13,80.

 

Wenn wir im Kriege die Wehrmachtberichte hörten oder lasen, wenn wir erfuhren, wie unsere tapferen Verbände in die Weite des russischen Raumes vorstießen, Dörfer und Städte überrannten, ganze Armeen einkesselten und vernichteten, oft in einem Tempo, das uns den Atem raubte, dann haben wohl nur wenige von uns überlegt, was für eine gigantische Organisation erforderlich war, um die kämpfende Truppe laufend und ausreichend mit allem Notwendigen zu versorgen: Reserven, Waffen, Munition, Brennstoff, Sanitätsmaterial, Verpflegung usw., um nur das Wichtigste zu nennen. Die Hauptlast dieser Riesenaufgabe trug die Eisenbahn. Aber jede Organisation steht und fällt mit den Menschen, in diesem Falle also mit den blauen und grauen Eisenbahnern, die mit unzulänglichen Mitteln unter stetem Einsatz ihres Lebens zerstörte Bahnanlagen und Brücken wieder instand setzten, ohne eine ausreichende Versorgung mit Lokomotiven und Kohlen den Betrieb wieder in Gang brachten, die ungeheuren Schwierigkeiten des russischen Winters meisterten, um der kämpfenden Front über tausende von Kilometern alles Notwendige zuzuführen. Wahrlich, der Wehrmachtbericht hätte diese unvorstellbaren Leistungen, diese Einsatzbereitschaft jedes einzelnen, diesen Heldenmut immer wieder mit größter Anerkennung melden müssen, denn sie waren die Voraussetzungen des Siegesmarsches an der Front. Der Eisenbahner tat seine Pflicht, und mehr als das, nicht um eines amtlichen Lobes willen, er tat sie für Deutschland. In der zermürbenden Kleinarbeit des Tag- und Nachtbetriebes, mit, ungeschulten Hilfskräften, im Kugelregen der Partisanen, ständig von Bomben und Minen bedroht, auf einsamen Blockstellen und Bahnhöfen wuchs er über sich selbst hinaus und machte immer wieder möglich, was unmöglich zu sein schien.

 

In diesen harten und erbarmungslosen Kampf führt uns der ausgezeichnete Roman von Heinrich Eisen, der damit dem deutschen Eisenbahner ein Denkmal des Dankes setzt. Es ist mehr als ein Roman, es ist ein geschichtliches Dokument, dabei voller Spannung von der ersten bis zur letzten Seite. Freud und Leid dieser harten Jahre werden wieder lebendig, wir lernen Menschen kennen, die wir nicht mehr vergessen können, und überall blitzt der Humor auf, den unsere Eisenbahner trotz allem nie verloren haben und den sie brauchten, um bestehen zu können. Russkinaja existiert nicht auf der russischen Landkarte, der Name steht als Symbol für viele tausende Bahnhöfe und Strecken, auf denen die Helden der stählernen Straßen arbeiteten, kämpften und starben. Wer als Eisenbahner draußen war, wird immer wieder feststellen: „Ja, so war es!“ Jeder aber, der das Buch liest, wird mit tiefer Dankbarkeit und Bewunderung für die Männer aus der Hand legen, denen es gewidmet ist.

 

 

 

Seite 16   Der Remter. Blätter ostdeutscher Besinnung.

Die Schriftenreihe „Der Remter“, herausgegeben von dem Vorsitzenden des Ostkirchenausschusses, Oberkirchenrat Gülzow, erscheint nunmehr in zweimonatiger Folge als Zeltschrift im Verlag „Der Remter“, Hannover, Andreasstraße 2 A—IV. „Der Remter“ hat sich die Aufgabe gestellt, Meinungen und Gegenmeinungen über das Ost-Westproblem deutlich werden zu lassen und will drängende Gegenwartsfragen immer neu aufgreifen. Die Zeitschrift will dabei ohne jede konfessionelle Enge einen Beitrag evangelischer Prägung zu Gegenwartsfragen leisten, deren weltweite Bedeutung das Schicksal im Osten wie ein Blitz erhellt hat. Ostdeutsche Besinnung ist ihm nicht nur Klärung der sozial- und heimatpolitischen Probleme der Vertriebenen. Der Remter will darüber hinaus helfen, die Erfahrungen aus Flucht und Vertreibung fruchtbar werden zu lassen.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers des „Remters“ veröffentlichen wir auf Seite 3 einen Beitrag aus dem Januarheft von Dr. Gerd Schimansky: „Wo haben wir Heimat? Brief an einen jungen Vertriebenen“.

 

Die wertvolle Zeitschrift bringt stets eine Fülle hervorragender und anregender Beiträge, auch feuilletonistischer Art. Wir wünschen der Zeitschrift einen großen Leserkreis.

 

 

Seite 16   Altes ostpreußisches Spottlied.

Ei, willst du mit, so komm, so komm!

komm mit mir nach Danzig herein,

all da, wo die Pomuchelsköpfe sein.

Ei, willst du mit, so komm.

 

Ei, willst du mit, so komm, so komm!

komm mit mir nach Albing herein,

Allda, wo die Pottaklatscher sein.

Ei, willst du mit, so komm.

 

Komm mit mir nach Schippenbeil herein,

allda, wo die Erbsenschmecker sein.

Komm mit mir nach Gerdauen herein,

allda, wo die Saubader sein.

 

Komm mit mir nach Wehlau herein,

allda, wo die Aalenstecher sein.

Komm mit mir nach Insterburg herein,

allda, wo die Bärenleiter sein.

Komm mit mir nach Tilsit herein,

allda, wo die Pareeskenmacher sein.

Komm mit mir nach Memel herein,

allda, wo die Sandhase sein.

Komm mit mir nach Königsberg herein,

allda, wo die Glumsnickel sein.

Ei, willst du mit, so komm, so komm!

Komm mit mir nach Fischhausen herein,

allda, wo die Miggepritscher sein,

ei, willst du mit, so komm.

 

 

Seite 16   Die Nachtmännlein von Allenstein. Von Georg Joh. Fr. von Hassel.

Vor alters schon in Allenstein,

da huschte, nachts türaus, türein,

treppauf, treppab, ganghin, gangher

in jedem Haus es kreuz und quer

der Köchin über Topf und Teller,

dem Wirt um Glas und Fass im Keller,

dem Schneider über Tuch und Wat,

dem Schuster über Pech und Draht,

dem Meßner vom Altarbehang,

dem Glöckner längs dem Glockenstrang,

im frommen Schlaf dem Priester schier

um Rosenkranz und um Brevier

und vor des Ratsherrn Himmelbett

um Schaube, Krause und Barett.

Das wispert, pispert, schlurft und schleicht;

doch den Gestrengen störts nicht leicht.

Was schiert ihn auch der Spuk der Nacht?

Er hat bei Tag genug gewacht,

im Rathaus über Recht und Fug,

im Ratsgewölbe hinterm Krug.

Drum dass ihm keins den Schlummer stört!

's wär' unerhört, schier unerhört!

Sein Eh'gespons mit feinem Ohr

fährt ein- und abermal empor

und horcht hinein in Nacht und Graus,

bis sich's verliert in Nachbars Haus.

Und Neubegierde nagt sie spät

und plagt sie früh und fragt sie stet:

„Was geht im Haus hier nächtens um?

Wes ist der Stimmlein fein Gesumm?

Warum sich's meinem Blick nicht zeigt,

was neidisch mir die Nacht verschweigt?“

Und nächster Nächte — horch! — im Saal

huscht's abermal — und abermal.

„Nun ist's genug! Was auch erscheint,

das dunkle Rätsel lös ich heint!“

 

Drum als sich wieder senkt die Nacht,

im Lehnstuhl hockt das Weib und wacht,

stützt in die Hand das Angesicht,

starrt durch die Finger, rührt sich nicht

und horcht auf jeden Glockenschlag,

Ob’s noch nicht Mittnacht werden mag.

Und zwölfe schlägts, leis‘ geht die Tür,

ein Völklein Wichte kommt herfür

von Männlein klein und klein von Frau’n,

gar lieb und drollig anzuschau’n.

Die Herrlein, stolz im langen Bart

Und Zipfelhut und Zwergenart,

geleiten höfisch und geplant

ihr Dämchen an gespitzter Hand;

die Wichtelfrau'n, voll Sittsamkeit

im Haubenschmuck und Schleppenkleid,

wie Rosenknospen im Erblüh'n

in schämig-holder Anmut glüh'n.

Und wie sie wandeln Schritt für Schritt,

ein magisch Leuchten wandelt mit,

Es schlingt, beglückt im frohen Bund,

sich Paar auf Paar im Zirkelrund.

Da — plötzlich schwebt's den Saal entlang

mit weichem Aeolsharfen Klang;

es wiegt im Lied die Wundermär'

in süßen Harmonien her.

Das wirkt wie lustig Zauberspiel

auf jedes Wichtels Frohgefühl:

Die drallen Glieder biegen sich,

die prallen Mieder wiegen sich,

und eh' ein Odem noch verweht,

sich alles rings im Tanze dreht.

Wie leicht der Wicht das Füßchen schwingt

und anmutsvoll die Bogen schlingt!

Wie hold das Haupt die Schöne neigt,

wie rot es ihr ins Bäckchen steigt!

 

Wie tief sich Blick in Blick versenkt

und süß sich Kuss auf Kuss verschenkt! –

Des Ratsherrn Weib mit gier’gem Blick

Trinkt sich nicht satt am Märchenglück,

sie möcht’s mit off’nem Aug‘ erspäh’n,

nicht heimlich durch die Finger seh’n.

Sanft sinkt die Hand auf ihren Schoß

Und gibt den Blick ihr frei und bloß

Wie zaubrisch ist’s und wunderschön,

dies Wichtelspiel im Lustgetön!

Wie wird ihr Herz so wonnig weit

Ach, wem, in solche Welt versenkt,

in solcher Märchenseligkeit!

Nur eine Stunde würd‘ geschenkt,

nicht unvollkomm'nen Glücks ein Schein, -

in Lieb' und Fried' ein stetig Sein! —

Ein heiß Begehr schwillt die Brust;

sie streckt die Arme nach der Lust

und klatscht vor Jubel in die Händ'. –

Und — jäh sind Tanz und Lied zu End'.

Erschrocken hängt im Wichtelarm

der bleichen Tänzerinnen Schwarm;

aus Männeraugen, voll von Glut,

dräut böser Blitze Zorneswut.

„Verraten sind wir! Rächt die Schmach,

die schnöd' der Nacht Geheimnis brach!“

So zürnt der Wichtemänner Chor,

und Fäuste recken sich empor.

Vor Schrecken starr, des Ratsherrn Weib

verrührt kein Glied am ganzen Leib,

blickt stier ins wildbewegte Rund

und bringt kein Wort aus ihrem Mund.

Da tritt ein Wicht an sie heran,

mit weißem Bart ein alter Mann:

„Was nur der Nacht ward anvertraut,

hast du mit Menschenaug' erschaut;

 

du hast mit blödem Menschenblick

entweiht des Dunkels stumm Geschick,

der Weltennacht geheim Gescheh’n

hat ungestraft kein Mensch geseh’n.

Der Schuld die Sühne bringts auch du!

Drum sag ich: Schließ die Augen zu!“

Ein grauer Schatten sinkt herab,

wird schwarz und düster wie das Grab,

und finster ist es ringsumher.

Des Ratsherrn Weib sieht niemand mehr,

hört nur, wie’s huscht zur Tür hinaus,

wie Lust und Laut vergeht im Haus;

ein letzt Geräusch, ein ferner Hall, -

nun totenstille überall.

Man sieht nichts mehr, man hört nichts mehr.

Dem Weibe wird's zu Sinn so schwer;

es wankt, es schwankt, greift taumelnd um

und sinkt zu Boden, kraftlos, stumm. ---

Der Ratsherr fand im Morgengrau

in Ohnmacht kauernd seine Frau.

Wohl hat er liebend sie gepflegt,

mit treuer Sorge sie umhegt;

wohl ist vom wirren Traum der Nacht

ihr die Besinnung aufgewacht;

wohl schlägt sie auf das Augenlid,

noch schlummermatt, noch traumesmüd.

Doch trüb und glanzlos stiert ihr Blick

ins Tageslicht, ins Wehgeschick:

Die Sterne drin erloschen sind

zu ew‘ger Nacht; das Weib ist — blind---

 

Von alters her in Allenstein,

da huscht es nachts hausaus, hausein;

wohl haben’s Hunderte gehört;

den Spuk zu schau’n hat keins begehrt.

Inhaltspezifische Aktionen