Ostpreußen-Warte, Folge 01 vom Januar 1953

Ostpreußen-Warte

Folge 01 vom Januar 1953

 

Seite 1   Ein neues Jalta in Vorbereitung

Die überraschende Reise des englischen Ministerpräsidenten Winston Churchill nach den Vereinigten Staaten hat die Weltöffentlichkeit aufhorchen lassen. Die Ankündigung des Zusammentreffens Churchills mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Eisenhover fiel zeitlich mit dem Interview zusammen, das Stalin einem Vertreter der Weltpresse gab, und in diesem durchblicken ließ, dass er zu Verhandlungen über die mögliche Beilegung des weltweiten Ost-West-Konfliktes bereit wäre. Die überstürzte Reise Churchills und das Interview Stalins scheinen in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen, wenngleich dieses auch energisch abgestritten wird.

Bislang ist noch keine erschöpfende und eindeutige Verlautbarung und Begründung über den Zweck der überraschenden Amerikareise des englischen Ministerpräsidenten erschienen. Auch die „Neue Zeitung", das Organ der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland, hält sich in dieser Frage auffällig zurück. Gut unterrichtete deutsche Kreise haben aber mit verständlicher Besorgnis beobachtet, dass eine Richtung in England an Boden zu gewinnen scheint, die mit allen Mitteln den Konflikt in Korea beenden möchte und sei es durch die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, Anerkennung der sowjetischen Ostgewinne, Anerkennung des Satelitendaseins Südosteuropas und sogar durch ein „weiteres Entgegenkommen auf Kosten Deutschlands bis zur Elbe". Moskau soll als Gegenleistung sich bereitfinden, auf „weitere Expansionen zu verzichten". Inwieweit diese gefährlichen Pläne, die in den Hirnen gewisser Leute zu spuken scheinen, Gegenstand von Besprechungen und Abmachungen zwischen Churchill und Eisenhover einerseits und zwischen Stalin und Eisenhover andererseits sein werden, wird die Zukunft zeigen. Den Satz Mr. Churchills in seinen Memoiren, ihm würde „wegen der deutschen Ostprovinzen das Herz nicht brechen", sollten wir Deutschen in diesem Zusammenhang nicht ganz vergessen und uns nicht durch gegenteilige Äußerungen täuschen lassen. Im Kräftespiel der Politik sind stets alle Möglichkeiten offen . . .

Schon geistert das Wort von einem „neuen Jalta" durch den Zeitungswald und deutet auf die erwähnten gefährlichen  Pläne hin. Die Welt aber weiß heute, dass sich die „Atlantik-Charta", die Abkommen von „Potsdam und Jalta" bereits als große Lügen und als schwerwiegende Fehler, als Verbrechen, dem Millionen unschuldiger Menschen zum Opfer fielen, erwiesen haben. Ein neues Abkommen à la Jalta kann nur das alte Unrecht vertiefen und neues Unrecht schaffen auf Kosten Deutschlands.

Deshalb werden nicht nur die Heimatvertriebenen die mögliche Entwicklung aufmerksam und argwöhnisch verfolgen, sondern auch die Millionenmassen der unterdrückten Völker erheben schon heute mahnend und warnend ihre Stimme. Ein Frieden, der unter schwersten neuen Opfern erkauft werden sollte, dürfte sich sehr bald als kein echter Friede herausstellen, sondern als eine Illusion ohnegleichen. Die Folge wäre eine Entwicklung, deren Ausmaße alles Bisherige in den Schatten stellen dürfte. Darüber sollten sich die verantwortlichen Männer der westlichen Welt klar sein!

Wir deutschen Heimatvertriebenen müssen mit aller Entschiedenheit gegen derartige wahnwitzige Pläne Stellung nehmen. Den Anspruch auf die angestammte Heimat wird kein Heimatvertriebener und kein Deutscher aufgeben. Niemals werden wir uns mit dem Verbrechen von Jalta abfinden. Das sind wir schon allein aus Verantwortungsgefühl gegenüber der größeren Heimat, die Deutschland heißt, und gegenüber Europa schuldig. „

 

 

Seite 1   Berlin ein „gefährlicher“ Ort!?

Professor Horkheimer, seines Zeichens Rektor der Universität Frankfurt hat zusammen mit seinem Prorektor eine Einladung zu einer Konferenz der westdeutschen Hochschulrektoren nach Berlin mit der Begründung abgelehnt: „man möge demnächst eine zweite Konferenz an . . . einem leichter zugänglichen Ort veranstalten".

Herr Professor Horkheimer war aus einer erzwungenen Emigration nach Deutschland zurückgekehrt, um der Jugend die Freiheit des Geistes in der Unbestechlichkeit philosophischer Anschauung nahezubringen. Nun hatte er die Möglichkeit, das gepredigte Wort in die Tat umzusetzen. Die Lage Berlins ist sattsam bekannt - die Haltung der Berliner bewunderungswert, aber der Durchhaltewille könnte doch einmal erlahmen, wenn in Zukunft hochtönende Worte gepredigt werden, ohne dass die redenden Professoren den Mut aufbrächten, ein wenig Zivilcourage zu zeigen. Im Sinne aller studentischer Tradition erinnern wir daran, dass das deutsche Wort für „Professor" Bekenner heißt.

 

Seite 1   Schäffers stetige „Bedenken“

VK. Bundesfinanzminister Schäffer zeigt sich neuerdings besonders ablehnend gegenüber der regierungsamtlich verbürgten Vertriebenen- und Geschädigtenforderung auf eine hinlängliche Vorfinanzierung des Lastenausgleichsaufkommens. In der letzten Kabinettsitzung, in der dieses Thema erneut zur Debatte stand, wurden wiederum dank seiner fiskalischen „Bedenken" keine konkreten Beschlüsse gefasst. Das Kabinett begnügte sich mit der üblichen unverbindlichen Versicherung, dass „alles getan werden solle“

 

 

Seite 1   Auch das Altsparer-Gesetz „angenagt"

Kaum ist in Geschädigtenkreisen die Erregung abgeklungen, die wegen der Koalitionsanträge zur Abgabenbemessung bei den Teilgeschädigten entstanden war, da droht ein neuer Zugriff auf den Lastenausgleichsfonds: das Altsparergesetz.

Das „Altsparergesetz" war von der Bundesregierung im Herbst 1949 versprochen worden. Es sollte zunächst vor, dann gleichzeitig mit dem Lastenausgleichsgesetz verabschiedet werden; schließlich ist es bis nach dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes verschoben worden. Vor einigen Wochen nahm der Lastenausgleichsausschuss des Bundestages die Beratungen über das Altsparergesetz wieder auf. Den Beratungen wurde, da der in Aussicht gestellte Regierungsentwurf zum Altsparergesetz noch immer nicht vorlag, ein Diskussionsentwurf zugrunde gelegt, der vom wissenschaftlichen Ausschuss - Sekretär des Bundestags-Lastenausgleichsausschusses ausgearbeitet worden war. Die Bundesregierung hat darauf verzichtet, einen Regierungsentwurf zum Altsparergesetz vorzulegen. Dafür hat der Bundesfinanzminister am 3. Dezember mündlich im Lastenausgleichsausschuss des Bundestages die Regierungsauffassung vorgetragen. Bundesminister Schäffer hat im Einzelnen sinngemäß folgendes erklärt: „Bei der Gesetzesregelung handelt es sich nicht um eine „Nach-Währungsreform", sondern um Entschädigungsleistungen im Rahmen des Lastenausgleichs. Die Mittel müssen daher dem Ausgleichsfonds entnommen werden; dies sei bereits im Lastenausgleichsgesetz vorgesehen. Verluste an Altsparanlagen, deren Schuldner das Reich, die Länder, die preußischen Provinzen, die Gemeinden oder die Kommunalverbände sind, sollen im Rahmen des Altspargesetzes nicht berücksichtigt werden. Als Entschädigung empfiehlt die Bundesregierung, 10% des Reichsmark-Anspruchswertes (Kontenstandes) vom 1. Januar 1940 zu gewähren. Die Auszahlung der Altsparerentschädigung soll erst nach einigen Jahren beginnen, die Verzinsung hingegen ab sofort erfolgen. Das Verfahren müsse so einfach wie möglich gestaltet werden."

Der Lastenausgleichsausschuss des BvD/ZvD wies die Auffassung der Bundesregierung entschieden zurück, dass der Lastenausgleichsfonds die Mittel für die Altsparerentschädigung bereitstellen müsse und dass diese Auflage im Lastenausgleichsgesetz verankert sei. Im § 365 des Lastenausgleichsgesetzes steht nicht, die Mittel werden aus dem Lastenausgleichsfonds zur Verfügung gestellt," sondern „hierfür werden Mittel aus dem Ausgleichsfonds zur Verfügung gestellt“. Man kann nach Auffassung des Lastenausgleichsausschusses des BvD/ZvD für die Altsparerentschädigung Mittel aus dem Lastenausgleichsfonds nur insoweit in Anspruch nehmen, wie bei einem gleichgearteten Vertreibungsschaden oder Kriegssachschaden im Rahmen des Lastenausgleichs Entschädigung erfolgen würde. Denn Jede Deutsche Mark, die an Altsparerentschädigung darüber hinaus bewilligt würde, stellt nicht eine Lastenausgleichsleistung dar, sondern eine Geldreformmaßnahme nach Auffassung des BvD-Ausschusses müssen mithin insoweit die Geldmittel durch die Bank deutscher Länder oder aus Bundeshaushaltemitteln bereitgestellt werden.

Auch hinsichtlich der Höhe der Altsparerentschädigung kann vom Ausgleichsfonds nur so viel getragen werden, wie in einem gleichgearteten Falle ein Vertriebener als Hauptentschädigung erhalten würde. Will man höhere Altsparerentschädigungen zugestehen, so muss die Mehrentschädigung nach Auffassung des BvD/ZvD-Lastenausgleichsausschusses aus anderen Quellen als dem Ausgleichsfonds genommen werden.

Hinsichtlich des Zeitpunktes der Ausbezahlung der Altsparerentschädigung dürfen nach Auffassung des Lastenausgleichsausschusses ebenfalls nur die Lastenausgleichsprinzipien gelten. Demnach dürfte die Altsparerentschädigung nicht vor dem 31. März 1957 zur Auszahlung gelangen. Entscheidendes Gewicht hat bei den Bedenken des Lastenausgleichsausschusses jedoch der Umstand, dass nach den Planungen des Bundestagsausschusses und des Bundesfinanzministers in Betracht gezogen wird, die Zinsen auf den Altsparerentschädigungsanspruch ab sofort freizugeben. Das würde, die Pläne des Finanzministers für die Berechnung zugrunde gelegt, bedeuten, dass ab sofort jährlich ca. 160 Millionen DM aus dem Ausgleichsfonds als Zinsendienst für das Altsparergesetz ausgeschüttet werden müssten. Eine solche Regelung ist für die Geschädigten unannehmbar. Es erscheint auf keinen Fall tragbar, dass in den ersten Jahren der Laufzeit des Lastenausgleichs, in denen noch die dringendste Not der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten zu lindern ist, für derartige Zwecke Beträge in einer Größenordnung von mehr als 100 Millionen DM aus dem Ausgleichsfonds abgezweigt werden.

Im Übrigen legte der BvD/ZvD-Lastenausgleichsausschuss größten Wert darauf, dass die Vertriebenen im Altsparergesetz nicht schlechter gestellt werden als die Einheimischen. Es muss Abhilfe in den Fällen geschaffen werden, in denen für das Jahr 1940 keine Unterlagen vorhanden sind, wohl aber der letzte Kontenstand noch glaubhaft gemacht werden kann; in solch einem Falle sollte der Altsparerentschädigung von einem Teilbetrag des 1945-er Kontenstandes berechnet werden.  

 

Seite 1   „Grüne Front" gegen unsere Bauern

VK. Das Bundesvertriebenengesetz ist auf Grund der Einsprüche der parlamentarischen Vertretung des Deutschen Bauernverbandes von der Tagesordnung abgesetzt und wieder an die Ausschüsse zurückverwiesen worden. Damit tritt eine neue noch nicht abzusehende Verzögerung der Verabschiedung des Gesetzes ein. Das am schwersten betroffene Vertriebenenkontingent, das noch auf die Eingliederung wartet, sind die heimatvertriebenen Bauern. Für sie ist die Verzögerung des Gesetzes, das Verbesserungen der Flüchtlingssiedlung bringen sollte, eine schwere Herausforderung. Erst in letzter Stunde machten die einheimischen Bauern Front gegen diesen Teil des Gesetzentwurfes, obwohl sie seit Jahr und Tag in den Beratungen in den Bundesausschüssen dazu Zeit gehabt hätten, ihre Bedenken geltend zu machen. Bauern stehen gegen Bauern! Die da behielten, gegen die, die da verloren. Die Eingesessenen scheuen eine Bodenreform nach sowjetzonalem Muster wie Pest und Ungewitter. Aber sie sind gleichwohl nicht bereit, auch nur ein Minimum zu tun, um eine konstruktive und staatspolitisch wertvolle Lösung des Problems der heimatvertriebenen Bauern zu bewerkstelligen. Das „Niedersächsische Landvolk" hat den vertriebenen Bauern „Kampf bis aufs Messer" angesagt. Aber wer Wind sät, wird Sturm ernten!

Ende November v. Js. hatte das heimatvertriebene Landvolk den westdeutschen Berufsstand freundschaftlich zur Zusammenarbeit aufgefordert, getreu dem altbewährten Bauerngrundsatz der Nachbarschaftshilfe in der Not. In gemeinsamer Aktion sollten die Gemeinden verfügbares Land, erbenlose Höfe, Zupacht- und Ödland bereitstellen! Dieser Hilferuf ist nun mit Kriegsgeschrei, jahrelange Hilfsleistung der ostdeutschen Bauern als Landarbeiter mit Undank beantwortet worden. Die Argumente der deutschen Bauernverbände gegen die im BVD vorgesehenen Siedlungsmaßnahmen für Heimatvertriebene sind schwach. Sie begründen ihr Vorgehen mit der Behauptung, dass durch die Fortführung der Flüchtlingssiedlung die freie Verfügung über ihr Eigentum gefährdet sei. Sie scheuen nicht davor zurück, verdiente Fachleute der Siedlung in unsachlicher und gehässiger Form zu verunglimpfen. Schon liegen Berichte vor, dass die Bauern den Vertriebenen die Weidenutzung verbieten. Dabei ist die künstlich erregte Opposition gegen das Gesetz kurzsichtig. Wie soll z. B. ein Unterhändler für einen Auslandskredit, der auch den Einheimischen zugutekommt, ohne das Vertriebenengesetz Erfolg haben?

Wenn man dieses Gesetz aus reiner Selbstsucht zu einem Schutz- und Hilfsgesetz für die einheimischen Bauern umfälschen will, so sollte man dies offen sagen. Damit würde man östlichen Agenten ein willkommenes Stichwort geben. Es handelt sich bei den Maßnahmen des Vertriebenengesetzes um eine Hilfe, auf die die Ostbauern seit Jahren warten. Von ihrer Erfüllung hängt entscheidend, die wirtschaftliche Eingliederung, die soziale Befriedung und die Erhaltung der bürgerlichen Substanz für die künftige Ost-Rücksiedlung ab.

Die Ostbauern waren bisher als Landarbeiter eine willkommene Hilfe. Sie waren geduldig, arbeitsam, verständnisvoll und bescheiden, weil sie sich ihrem Stande verbunden fühlten. Aber Herausforderung und krasser Eigennutz lösen und lockern auch noch so feste Bande. Wer die Schafe hetzt, lockt auch den Wolf! Es ist noch nicht lange her, dass gerade in Niedersachsen, dem Hauptquartier der neuen Vertriebenenhetze, in der Erntezeit eine Streikwelle unter dem Landvolk ausbrach. Damals setzten die Provokateure bei dem arbeitenden heimatvertriebenen Volk an. Diesmal wird der Hebel bei den Arbeitgebern angesetzt. Gleichviel ob einmal Einheimische gegen Vertriebene und ein anderes Mal Vertriebene gegen Einheimische ausgespielt werden, der lachende Dritte ist immer derselbe, er sitzt jenseits der Grenze! Die deutschen Bauern aber, die sich auf diese Rattenfängerei einlassen, würden sich auf weite Sicht gesehen damit selbst zugrunde richten.

Bundestagspräsident Dr. Ehlers hat in einem Appell zur „Deutschen Hilfe" gesagt: „Wir sind ein Volk, dem Gott 10 Millionen Vertriebene vor die Schwelle gelegt hat. Wir sollten den Anruf, der darin steckt, verstehen." Das „Geschenk" des Deutschen Bauernverbandes an das vertriebene Landvolk lässt diesen Geist vermissen. Auf weite Sicht gesehen, zu eigenem Schaden.

 

 

Seite 2   Ostpreußens Freiheitskampf von 1656 – 1658

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass der erste ostpreußische Freiheitskampf in keinem Geschichtsbuch oder -Werk eingehend behandelt worden ist. Überall erwähnt man ihn immer nur mit wenigen Worten. Es handelt sich um den Kampf des Großen Kurfürsten, Preußen die Souveränität wiederzugeben, die es nach der verlorenen Schlacht bei Tannenberg im Jahre 1410 verloren hatte und sich nun fast 250 Jahre lang dem polnischen Joch beugen musste. Aber selbst fast 250 Jahre polnischer Oberhoheit vermochten es nicht, dieses deutsche Land polnisch zu machen. Geheim und leise, aber unerschütterlich fest klang die Devise: „Dies Land bleibt preußisch."

Von Bayreuth nach Preußen

Diesen harten und für Preußen so wichtigen Kampf führte Johan Georg v. Auer. Die Familiengeschichte derer v. Auer reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück, indem man ihnen die Sicherung und den Schutz der Reichshandelsstraße, die den Inn aufwärts führte über den Brenner bis Trient, anvertraut hatte.

Aber schon 1512 reitet ein Klaus v. Auer als Begleiter und Wegweiser des von Bayreuth nach Ostpreußen ziehenden jung ernannten Hochmeisters Albrecht v. Brandenburg-Bayreuth mit ihm dorthin und wird dort zunächst Hauskomptur der Feste Balga. Als Preußen dann 1525 westliches Herzogtum wird, heiratet Klaus v. Auer ein Fräulein v. Portugall, Hofdame des Herzogs Albrecht v. Preußen, und erhält als Sold für seine treuen Ordensdienste das Rittergut Pellen bei Zinten. Hier wird später, 1619, am 23. September, Johan Georg v. Auer geboren.

Feuertaufe in Holland

Als Johan Georg 18 Jahre alt war, schickte man ihn zur ritterlichen Erziehung nach Holland, wo ihn Prinz Friedrich von Oranien herzlich aufnahm. Holland kämpfte damals um seine Freiheit vom spanischen Joch, und so erhielt der junge ostpreußische Fähnrich hier seine Feuertaufe.

Fas von Gent, eine bedeutende Festung, die für uneinnehmbar galt, befand sich noch in spanischer Hand. Am 28. Juli 1644 begann die Belagerung durch Prinz Friedrich von Oranien. Der junge Auer erhielt den Befehl, mit vier anderen Soldaten den Fluss Lee zu durchschwimmen, sich an die Festung heranzuschleichen und das Tor zu erstürmen, die holländische Flagge zu hissen. Aber die Feinde entdeckten die tapferen Schwimmer und schossen auf sie. Einer der vier Kameraden neben Johan Georg wurde tödlich getroffen. Er aber schwamm unbeirrt weiter, stürmte das Tor und hisste die holländische Fahne! Seitdem nannte man ihn den „tapferen Schwimmer von Gent". Der Prinz von Oranien ernannte ihn zu seinem Kammerjunker. Es folgten unruhige Jahre. 1646 starb Johan Georgs Vater in Pellen, und musste der Sohn nun für einige Zeit in die Heimat zurückkehren, um seiner Mutter und den Schwestern beizustehen, die Zeit ihres Lebens mit zärtlicher Liebe an ihm hingen. Kaum an den Hof von Oranien zurückgekehrt, starb Prinz Friedrich von Oranien, und seine Witwe beauftragte den reisegewandten, stets mit ritterlichem Anstand auftretenden jungen Auer, die Trauerbotschaft an dem Kurfürstlichen Hof in Berlin zu bringen. Auch kannte der Kurfürst den jungen Auer schon aus gemeinsam verlebten Jugendtagen, als er selber am holländischen Hof weilte und dort um die Hand der Prinzessin Luise Henriette von Oranien warb. Nun musste er, der jungen Kurfürstin, die traurige Botschaft überbringen. Aber die Freundschaft, die der Kurfürst für den klugen, bereits Kampf erprobten Ostpreußen empfand, vertiefte sich in diesen Tagen. Der Kurfürst versprach ihm, die erste frei werdende Amtshauptmannschaft in Ostpreußen zu geben.

Die Hochzeitsglocken von Cleve

Da schlug das Herz des jungen Soldaten höher. Dann durfte er jetzt an eine Heirat denken! Längst hatte er sich schon entschieden. Er liebte die „vornehmste Kammer Jungfrau" der alten Prinzessin von Oranien: Anna Agnes v. Sevenar. Sie war innig befreundet mit der Gattin des Kurfürsten, Luise Henriette. Am 2. April erklangen die Hochzeitsglocken von Cleve. Die Trauung fand im großen Saal des Schlosses statt. In der Chronik heißt es: „in Gegenwart Sr. Kurfürstlichen Durchlaucht beiderseits und Ihrer Fürstlichen Durchlaucht Prinzessin von Oranien und der Vornehmsten des Landes."

Dann reiste das junge Paar nach Amsterdam und über See nach Ostpreußen. Am 16. Mai konnte die alte Frau v. Auer in Pellen die junge Schwiegertochter in die Arme schließen. Inzwischen hatte Auer die Weisung bekommen, sein Amt in Lyck anzutreten. Am 5. Juni brach das junge Paar dorthin auf. Amtshauptmann von Lyck

Fünf Jahre hat Auer hier seines Amtes gewaltet, und die Chronik berichtet darüber, dass er: „von allen adeligen Einsassen, sowie auch den gemeinen Untertanen aufrichtig geliebt und beständig geehrt wurde. Er hat einem jeden, der nur gerechte Sache gehabt, zu seinem Recht verholfen und das, was löblich, jederzeit voll geschätzt, das Böse aber gebührend gestraft."

Neben aller Verwaltungsarbeit blieb Auer ein immer aufmerksamer Wächter an der äußersten östlichen Grenze Preußens. Der Kurfürst hatte genau gewusst, wen er auf diesen verantwortungsbewussten Posten gestellt. Nichts entging Auers spähenden Blicken, wenn er einsam und nachdenklich weite Wege durch das Lycker hügelige Gelände ritt. Schon sehr bald hielt er es für ratsam, Soldaten zur Verfügung zu haben. Das konnte er nur, wenn er eine Freischar gründete. Und er stellte sie auf. Er musste es auf eigene Kosten tun. Das kostete ihm ein unsagbar schweres, persönliches Opfer. Er musste sein Gut Pellen, das Gut seiner Väter, an seinen Vetter Dietrich v. Auer verkaufen, um genügend Geld für die Ausrüstung der Freischar zu haben. Dietrich v. Auer hatte im Dreißigjährigen Krieg in der Schlacht bei Nördlingen ein Bein verloren.

Zwei Kompagnien Dragoner stellte Auer auf und bildete sie aus. Als er sie dann eines Tages dem Kurfürsten vorstellte, gab dieser ihm sofort von sich aus noch zwei Kompagnien dazu und beförderte Auer zum „Oberstleutnant“.

Der Kampf beginnt

Brandenburg-Preußen war mit Schweden verbündet und stand nun also im Polnisch-Schwedischen Erbfolgekrieg Polen feindlich gegenüber. Dieses zog an der ostpreußischen Grenze ein starkes Korps Tartaren unter dem Feldherrn Gonsiewski zusammen. Das hatte Auer längst beobachtet! Aber er wusste auch, dass er zu wenig Soldaten gegenüber diesem Korps hatte.

Am 6. Oktober 1656 überfielen die Tartaren Lyck. Die Stadt konnte Auer nicht halten, wie er geahnt hatte, sie wurde ein Raub der Flammen. Aber das Amtshaus auf der Halbinsel, eine Wasserburg, das hielt er volle sechs Monate mit seiner Freischar! Er hielt die Burg selbst dann noch, als die Pest in ihren Mauern ausbrach und manch bitteres Opfer forderte. Still und tapfer, in wundervollem Glauben und Gottvertrauen, stand Anna Agnes dem Gatten zur Seite. Nach sechs Monaten vergeblichen Ringens zog Gonsiewski wieder ab mit seinen Tartaren. Aber er blieb an der Grenze stehen! Lauernde Wölfe, zum Sprunge bereit!

Da wurde Auer vom Kurfürsten als „Expresser" für die Waffenstillstandsverhandlungen ernannt. Es war kein leichter Weg! Auer kannte alle seine Gefahren! Aber gehorsam und treu machte er sich auf und führte alsdann die Verhandlungen mit dem Feldherrn so geschickt, dass dieser sich bereit erklärte, in Labiau mit dem Kurfürsten zusammen zu treffen. Der Waffenstillstand wurde unterzeichnet.

Aber immer noch wollte Polen die Oberhoheit in Ostpreußen behalten.

Inzwischen wurde der Amtshauptmann von Angerburg, Hans v. Kreytzen, als Landvogt nach Schaaken versetzt, und Auer wurde zum Amtshauptmann von Angerburg bestimmt.

Der Waffenstillstand lief ab, Polen wollte Preußens Souveränität nicht anerkennen, und Gonsiewski schickte abermals seine wilden Horden ins Land! Sengend, brennend, plündernd, mordend, vergewaltigend überfielen sie auch Angerburg. Dieser zweite Tartareneinfall war noch weit grausamer und bestialischer als der erste. Die Angerburger Kirche blieb wie durch ein Wunder unversehrt. In Doben lag der alte Freiherr v. Schenk zu Tautenbrug ermordet vor der Türe seines Hauses. Aus Steinort wurde die junge Gräfin Lehndorff verschleppt. Sie schrieb später noch einmal. Man hatte sie in Konstantinopel an Juden verkauft, die ein hohes Lösegeld verlangten. Graf Lehndorff war durch die Plünderungen so verarmt, er konnte das Lösegeld nicht zahlen.

Auer und seine Dragoner kannten nicht Rast, nicht Ruh. Immer wieder mussten sie zum Kampf ausreiten. Auer ritt ihnen weit voran - einsam und nachdenklich. Seine eiserne Rüstung trug viele goldene Knöpfe, das Visier noch hochgeschlagen, hielt er das kühne, schmale Antlitz Wind und Sonne entgegen. Die Unterlippe ein wenig spöttisch verschoben, in den großen dunklen Augen aber glühte ein heiliger Ernst.

Reitend und kämpfend, die Bauern rettend, wo die Freischar zur Zeit hinkommen konnte, kämpfend für Preußens Freiheit und Ehre, für seine Souveränität - so besiegte Auer schließlich den Feldherrn Gonsieski endgültig und zwang ihn zu Friedensverhandlungen, die am 19. September 1657 in Wehlau  stattfanden.

Friedens-Parade in Königsberg

Nach den erfolgreichen Friedensverhandlungen in Wehlau bat der Kurfürst Auer, mit seinen Dragonern zur Parade nach Königsberg zu kommen. Wie da die Dragonerherzen schlugen! Der Kurfürst beförderte Auer zum Oberst, und die tapferen Dragoner machten einen so hervorragenden Eindruck auf den Landesherrn, dass er sie mitnahm in seine Mark Brandenburg und sie den Derfflingerschen Dragonern zuteilte. Die Derflingerschen Dragoner waren das erste stehende Heer in Preußen - das Fundament der späteren deutschen Wehrmacht! Oberst v. Auer aber bekam vom Kurfürsten, sechs neue Schwadronen Dragoner, die er im alten Geist erziehen sollte.

In heißer Freude nach so viel Anerkennung seiner soldatischen Leistungen, konnte Auer nun mit neuer Schwungkraft seine Arbeit fortsetzen. Jetzt galt es, den endgültigen Frieden von Bromberg vorzubereiten. In Bromberg wollten sich König Kasimir von Polen und der Kurfürst von Preußen treffen, um den Vorfrieden von Wehlau zu beschwören, Preußens Souveränität feierlich zu proklamieren. Preußen war frei!!

Am 6. November 1657 läuteten die Glocken den Frieden ein, läuteten Preußens wiedererstandene Freiheit ein!

„In gute Richtigkeit gestellet"

Auers schwerstes Opfer, das Gut der Väter verkaufen zu müssen, wurde nun durch den Kurfürsten belohnt, indem er Auer mit zwei Gütern im Kreise Angerburg belohnte: Popiollen und Gut Amt Angerburg.

Nun durfte Auer ein volles Jahr sich dem Aufbau der Stadt und seines Amtsbezirkes widmen, durfte seine eigenen Güter bewirtschaften, durfte ein stilles, inniges Eheleben führen. Er sorgte dafür, dass in seinem Amtsbezirk „alles in gute Richtigkeit gestellet wurde. Das sind nüchterne Worte der Chronik, aber doch durchleuchtet von dieses Mannes Gesinnung: unbestechlich klar und sauber, treu und gehorsam. Hart zuschlagend, wo er Böses entdeckte, hilfreich gegenüber aller menschlichen Not.

Und wieder Soldat

Schweden konnte es doch nicht verwinden, dass der Kurfürst mit Polen Frieden geschlossen hatte! So fielen im Jahre 1659 Schweden unter General Würz aus Pommern kommend, in Preußen ein und besetzten Liebstadt. Nun musste Auer sich mit seinen Dragonern abermals zum Kampfe stellen. Die Chronik schildert ihn auch hier wieder als einen Ritter ohne Furcht und Tadel. „Von Jugend auf fürchtete er sich vor keinem Feind, war jederzeit unerschrockenen herrischen Gemüts, demütig aber vor Gott." Er hat in seinem Glauben Trost gesucht und oft um Gnade gebetet für menschliche Schwächen, die er klar an sich erkannte.

Vor Liebstadt wurde seine Soldatendisziplin auf eine harte Probe gestellt. Den Oberbefehl über die bei Bischofswerder zusammengezogenen Truppen führte ein Oberst v. Schöneich, ein Mann ohne Schwungkraft, ohne Initiative. Auer stand mit seinen Dragonern an der verantwortungsvollsten Stelle und wartete auf einen klaren Befehl zum Angriff. Aber der klare Befehl wurde nicht erteilt. Da entschloss Auer sich, auch ohne Befehl mit seinen Dragonern die Stadt zu erstürmen. Es ging hart her in dem Kampf, und Auer schonte sich nicht und stand immer dort, wo die Kugeln am dichtesten einschlugen. Seite an Seite mit ihm kämpfte sein Capitainelieutenant Jakob Kuch, bis er tödlich getroffen zur Erde sank. Aber die Schweden wurden zum Rückzug gezwungen, aus Liebstadt vertrieben, die preußische Fahne gehisst. Liebstadt war frei!

Der letzte Ritt

Liebstadt war frei. Auch mit Schweden würde es zum Frieden kommen (Frieden von Oliva). Aber Johan Georg sollte ihn nicht mehr erleben. Er erbat Urlaub von Schöneich, um in Angerburg nach dem Rechten zu sehen. So ritt er noch einmal durch sein geliebtes Land. In Rössel wollte er übernachten. Und hier überfiel ihn ein schweres Fieber. Er konnte nicht mehr weiter reiten, sondern musste sich einen Wagen nehmen.

Im Morgendämmern des 18. Mai kam er in Angerburg an. Anna Agnes verhehlte es sich nicht, dass ihr Gatte schwer krank war. Sie ließ den Arzt aus Rastenburg, Dr. Tinktorius, kommen. Reitende Boten holten Medikamente aus Königsberg. Anna Agnes rührte sich nicht vom Krankenlager fort. Wie viel heiße Sehnsucht nach Frieden und nach der Arbeit des Friedens klangen ihr in den Worten ihres Gatten: „Mein Kind, wenn mir Gott zu meiner Gesundheit wird helfen, wollen wir uns der bösen Welt ganz entsagen und wohl und still leben." Anna Agnes, die so oft in Not und Tod neben ihm gestanden hatte, tröstete ihn: „Mein liebster Mann, Du hast ja Christus im Herzen." Darauf erwiderte er: „Ja, mein liebstes Kind. Und ich habe meinen Feinden vom Grunde meines Herzens vergeben und habe ein gutes Gewissen."

Vom Kirchturm schlug die Uhr. Er fragte, wie viel es geschlagen habe. „Sechs Uhr morgens, liebster Mann." Da antwortete er fröhlich: „Nun ist es genug."

Die Chronik nennt es „bei guter Vernunft" - mit klarem Bewusstsein durchschritt der tapfere Ritter das dunkle Tor des Todes, das ins Leben führt. Der Morgenglanz der Ewigkeit erfüllte das Sterbegemach.

Johan Georg v. Auer starb am 26. Mai 1659, im 40. Lebensjahr.

Der Kurfürst ließ es sich nicht nehmen, zum Begräbnis seines Freundes nach Angerburg zu kommen. „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten." (Thim. 4 V. 7.)

Johan Georg v. Auers Ehe war kinderlos geblieben, aber der Name lebte fort durch Dietrich v. Auer auf Pellen. Die Ritterrüstung stand im Gutshaus von Goldschmiede und ist wahrscheinlich 1945 vernichtet worden. Das Bild Johan Georg v. Auers ist erhalten geblieben. Sein ritterlicher Geist aber, seine reine und treue Gesinnung ist unsterblich. F. Busch

 

 

Seite 2   Agnes Miegel in Duisburg

Die Duisburger Stadtzeitschrift „Stadt und Hafen" berichtete über einen Besuch von Agnes Miegel in der Patenstadt von Königsberg:

„Am 1. Dezember las Agnes Miegel in Duisburg aus ihren Werken. Als am Tage der Königsberger im September dieses Jahres die Übernahme der Patenschaft für Königsberg (Pr.) feierlich verkündet wurde, stand Agnes Miegel bereits in unserer Mitte als gefeierter Ehrengast. Die heimatlos gewordene ehrwürdige Dichterin aus der Hafen- und Handelsstadt am Pregel sah ein Stück Heimat in der Hafen- und Handelsstadt an Rhein und Ruhr, die ihre Patenstadt geworden ist.

Darum kam Agnes Miegel am 1. Dezember wieder zu uns. Sie sprach zu ihren Landsleuten, die in Ergriffenheit dem vertrauten Wort der „Mutter Ostpreußens" lauschten, damit es ihnen Stärkung bringe; zu ihren Freunden vom Niederrhein, als ostpreußische Heimatvertriebene zwar, doch in der Armut spendend aus der reichen Fülle ihrer Werke; zu den zahlreich versammelten Schülern, denen hier aus berufenem Munde deutsche Dichtung so dargebracht wurde, dass sie es nicht vergessen werden.

Agnes Miegel gab uns einen Querschnitt durch ihre Dichtungen. In ihrer Erzählung „Mein Rhein" erinnerte sie an das Erlebnis der ersten Rheinreise ihrer Jugend. Mit Wehmut verweilte sie bei den Gedichten von der alten Stadt Königsberg, wie sie in glücklicheren Tagen die Vaterstadt und ihren Dom besungen hatte, wie sie erschütternde Worte fand für die grausige Zerstörung der Stadt, wie sie dann Abschied nahm von den entseelten Gassen, und wie sie schließlich aus dem dänischen Flüchtlingslager Grüße des Heimwehs sandte an ihre Stadt im Osten. Vor allem aber brachte uns Agnes Miegel ihre Balladen, die Balladen, die ihren Namen groß machten weit über die Heimat hinaus. Wir hörten die „Agnes Bernauerin", die „Nibelungen", die „Frauen von Nidden" und die „Ballade von der schönen Mete".

Wir danken Agnes Miegel für dieses Erlebnis. Wir danken ihr aber auch für das Wort „Auf Wiedersehen", mit dem sie die Lesung schloss. Königsbergs Patenstadt Duisburg wird Agnes Miegel bald wiedersehen."

 

 

Seite 2   Der neue Rundbrief der Albertus-Universität

Im neuen „Rundbrief" der Albertus-Universität vom 10. Dezember ergreift unsere Heimatdichterin Agnes Miegel das Wort und lässt in „Erinnerungen" das geistige Leben der alten Pregelstadt neu erstehen. Zwar sollen nach ihren eigenen Worten ihre Verbindungen „mit der Albertina nur bescheidenster Art" gewesen sein, aber sie plaudert so warmherzig von und über die Ausstrahlungen der Albertina, dass sie rechteigentlich sich selbst etwas berichtigt. „Heute erkenne ich aus eigenem Erleben, wie eine Universität schon dadurch auf die alteingesessene Bevölkerung einer Stadt einwirkt, dass sie Menschen aus anderen Gegenden in ihr Leben einfügt und durch diesen lebendigen Kontakt den besten Boden bereitet für ihre Lehren." Aus berufenerem und zugleich bescheidenerem Munde kann wohl der Albertina kaum ein derartiger „Nachruf" gewidmet werden.

 

 

Seite 3    Die älteste deutsche Bauerndorfsiedlung: Waltersdorf auf westpreußischem Boden. Von E. Wernicke, Marienwerder

 

Nach 23 Jahren war der große Preußenkrieg zwischen dem Deutschen Orden und den Prussen zu einem friedlichen Ende gelangt. Der pruzzische Landmann konnte wieder ungestört seinen Hakenpflug führen, die Pferde auf die Weide treiben und die Ernte in die Scheuern bringen.

In Preußen, dem Lande der Urwälder und der Seen, bauten derweil die Deutschen Ordensbrüder Burgen auf, predigten die Geistlichen der Bischöfe in den noch weitzerstreuten Kirchen, saßen deutsche und prussische Großgrundbesitzer hinter Palisadenzäunen und Burgwällen auf ihren weitgedehnten Gütern und ließen die unfreie Urbevölkerung für sich die kleinen Felder bebauen, trieben einige Städte im Schutze der Ordensburgen eifrig Handel. Noch rodete kein Deutscher mit Feuer, Axt und Spaten die riesigen Urwälder, entwässerte die weiten versumpften Weiden und Wiesen, regulierte den verwilderten Weichselstrom und die ihm zueilenden Flüsse.

Vier Jahre nach dem letzten Einfall der östlichen „Prussen" in das Land an der Weichsel hatte der eben berufene Bischof Heinrich seine Domherrn und die Ratsleute der Stadt auf seine Burg Marienwerder geladen, um in ihrer Gegenwart einen Staatsakt als erstem seiner Art in seinem Bistum Pomensanien zu vollziehen: Die Gründung eines deutschen Bauerndorfes.

Bruder Arnold, der Advokat des Bischofs, las der Versammlung die Urkunde darüber vor, übersetzte und erläuterte sie, der Bischof überreichte dem Lokator Walter diese „Handveste" mit den dranhängenden Siegeln.

In deutsche Sprache übersetzt verkündete die Urkunde: Wir, Bischof Heinrich und das ganze Kapitel ….. schenken dem Walter und seinen legitimen Erben das Schulzenamt in den 50 Hufen von Waltersdorf unter der Bedingung daselbst ein Dorf zu gründen. Walter und seine Rechtsnachfolger sollen in diesem Gute nach kulmischem Rechte und auf immerdar zinsfrei 9 Hufen besitzen (rund 175 ha) und innerhalb der Grenzen auf der Liebe das Fischereirecht mit kleinem Gezeuge haben.

Sollten wir an der Liebe eine Mühle errichten, werden wir sie dem Walter oder seinen Erben unter gleichen Bedingungen wie jedem anderen verpachten.

Von jeder der übrigen Hufen ist er verpflichtet für uns und unsere Kirche am Martinstage alljährlich eine ½ Mark und 2 Hühner als Zins einzuziehen.

Auch das Gericht in der Gemarkung soll er nach kulmischem Recht ausüben, davon aber uns von den aufkommenden Gebühren 2/3 abliefern. Ein Drittel darf er selbst behalten.

Die Zinszahlung beginnt 13 Jahre nach kommendem Martini.

Zeugen dieser Schenkung sind: Br. Heilrich, Propst, Br. Bartholomäus, Johannes, Heinrich, Domherrn der Kirche Marienwerder, Br Arnold, Advokat, Ludeko, Konrad und Herold, Ratsherrn von Marienwerder. Gegeben in Unserem Schlosse zu Marienwerder Anno Domini 1287 am Egidientage (1. Sept.)."

Mit der Gründung des Dorfes Waltersdorf unmittelbar vor den Toren der Bischofsburg und Bischofsstadt Marienwerder begann der Einzug deutscher Bauern in das Land jenseits der Weichsel. Dorf reihte sich bald an Dorf. Der deutsche Eisenpflug zog seine Furchen, wo vordem der menschenfeindliche Urwald nur dem wilden Getier Obdach bot, und der deutsche Landmann erntete reiche Frucht auf dem jungfräulichen Erdreich.

Ein Jahrhundert später kaufte das Domkapitel die Hufen zurück, verwandelte die Dorfmark in einen Vorwerksacker für seine Kapitelburg, und wieder 4 Jahrhunderte später ließ Friedrich der Große den Vorwerksacker an neue Einzöglinge verteilen, bis nach einem neuen Jahrhundert die Stadt Marienwerder auf Waltersdorf hinauswuchs. Nur noch der Flurname „Balzersdorf" erinnerte an das älteste deutsche Bauerndorf an der Weichsel.

Und heute? Wird ein neuer Urwald sich das Land zwischen Liebe und Weichsel zurückerobern?

 

Seite 3   Von der altostpreußischen Bienenzucht

Schon die Urbewohner Ostpreußens kannten die Bienenzucht; Pytheas berichtet bereits von einem ausgiebigen Honigverbrauch im Bernsteinlande. Die alten Prussen verstanden es sehr gut, mit Bienen umzugehen und wurden auch in späterer Zeit gern zu Beutnern oder Zeidlern gebraucht. Die Bienenwirtschaft stand im alten Preußenlande weit und breit in so hohem Rufe, dass der Orden nach der Besitznahme des Landes altpreußische Beutner nach allen deutschen Gauen, ihren Stammländern, als Lehrmeister sandte.

Während der Ordenszeit blühte ein lebhafter Honig- und Wachshandel, besonders nach den Niederlanden. Man hielt die Bienen nicht nur am Hause in sogenannten Bienengärten; die Ausbeute der wilden Völker in den Wäldern war noch ertragreicher. Die Bienen waren sich in den Wäldern selbst überlassen und erhielten höchstens durch Aushöhlen von Baumstämmen eine Unterstützung; zu geeigneter Zeit wurden die Vorräte vom Beutner gesammelt. Wenn auch der starke Winter die Bienenvölker mitunter hart mitnahm, so bevölkerte der Sommer bei der üppigen Waldvegetation, die ausgestorbenen Völker immer von neuem.

Die Waldbienenzucht war ebenso wie Jagd und Fischerei landesherrliches Regal und wurde des Zinses wegen hauptsächlich an Bauern, zuweilen aber, wie in Chelchen und Zudnochen, auch an Freie erteilt.

Das Ermland war eine besondere Pflegestätte der Bienenzucht, weil in dem geistlichen Fürstentum das Wachs als Abgabe „ad recognitionem domini" ein sehr geeigneter Gegenstand war. Als Maß diente der Stein = 40 Pfund. Hier gab es neben privaten Bienenwirtschaften ebenfalls die landesherrlichen. Die Beutner wohnten teils in den gewöhnlichen Dörfern, teils bildeten sie besondere Heide- oder Beutner-Güter, -Höfe, oder -Dörfer. Solche waren im Ordenslande z. B. Peitschendorf und Aweiden, in denen 30 - 60 Hufen nur von Beutnern besetzt waren. Wenn man bedenkt, dass eine Hufe 60 Morgen (1 Morgen 2500 qm) hatte, so kann man sich einen Begriff von der Ausdehnung machen.

Im Ermlande waren Beutnerdörfer Sombien bei Kurken, Debrong bei Gr.-Ramsau, Reussen bei Allenstein, Kudippen oder Seidelshof (Zeidlerhof), dessen Name schon genug besagt.

 

 

Seite 3   Kants Stil und Sprache

Aus dem Nachlass unseres lieben Vaters, der bis 1922 Superintendent der „Litauischen Diözese Tilsiter Niederung" war und uns im hohen Alter manchmal von seinem Studium an der „Albertina" begeistert erzählte, entdeckte ich kürzlich ein schönes Buch von Houston Stewart Chamberlain, betitelt „Immanuel Kant". Es bringt einige Gedanken über Stil und Sprache unseres größten Denkers, die in vieler Beziehung lehrreich und wertvoll sind.

„Was die hervorragende Eigenschalt des Kantschen Stiles", so schreibt H. St. Chamberlain, „ausmacht, das ist seine Klarheit. Ich weiß, manche hochgelehrte Männer und manche empfindsame Seelen werden über die Behauptung, Kant schreibe ausnehmend klar, mit den Achseln zucken. Mir genügt aber zur Bestätigung meines eigenen Gefühls das Urteil Goethes: „Nichts ist so klar wie Kant" sagte er zu Cousin und Schopenhauer gegenüber sprach er: „Wenn ich eine Seite in Kant lese, wird mir zu Mut, als träte ich in ein helles Zimmer." Hier handelt es sich um etwas höchst Eigentümliches: Goethe sagt „in ein helles Zimmer", ein Zimmer, in dem man gut sieht. Kants Stil ist nämlich reines, weißes Licht, ohne Farbe, und als solcher spiegelt er die Persönlichkeit getreu wieder. Ein Schopenhauer hat alle Farben auf seiner Palette: seine Weltanschauung ist ein Gemälde. Kant dagegen stellt sich genau dasselbe Ziel wie etwa der Vefasser eines Handbuches der Physik: die Phänome schlicht und wortkarg hinzustellen, sie zu analysieren, die Gesetzlichkeiten aufzudecken, den planmäßigen Zusammenhang nachzuweisen. Das Oratorische flößt ihm Misstrauen ein: „Die Beredsamkeit", meint Kant „,ist eine Kunst durch den schönen Schein zu hintergehen, sie vermindert die Freiheit der Beurteilung." Kant tritt für die „Trockenheit, Wachsamkeit und Kaltblütigkeit der Urteilskraft" im stilistischen Aufbau ein. Das bedeutet den grundsätzlichen Verzicht auf künstlerische Formgebung. In den Händen des Genies ergeben sich aber daraus zwei große Eigenschaften: übersichtliche Architektonik des Ganzen und scharfe fraglose Eindeutigkeit im Einzelnen. Aus diesen beiden Eigenschaften entsteht jene ungewöhnliche und eigenartige Klarheit, die Goethe für Kants Schriften bezeichnend fand, und jene „lebendige Ausdrucksweise", die Jak. Grimm an ihnen rühmt.

 

Zu einem großartigen Bau gehören fein zugehauene Quadern, und die Klarheit, von der Goethe spricht, wäre nicht zustande gekommen, wenn nicht Kant in seiner Weise auch ein Meister des Wortes gewesen wäre: des Wortes, nicht des Satzes. Denn der Satz ist bei Kant meist ungefüge und nicht selten unschön. Im Gebrauch der Wörter dagegen ist Kant ein ebenso großer Künstler wie in der Anordnung des Ganzen. Hier treffen Kant und Plato zusammen: beide gehören zu den ganz großen Sprachbeherrschern.

Eine unendliche Sorgfalt wendet Kant den Wörtern zu. Er haucht ihnen neues Leben ein und ist namentlich bemüht, philosophisch schon früher ausgeprägte Gebilde zu retten. Kant empfindet lebhaft die Vorzüge seiner Muttersprache: „Die deutsche Sprache ist unter den gelehrten lebenden Sprachen die einzige, welche eine Reinlichkeit hat, die ihr eigentümlich ist. Alle fremden Wörter sind in ihr auf immer kenntlich. Deswegen belohnt es der Mühe, darauf zu achten. Fremde Wörter verraten entweder Armut, die doch verborgen werden muss, oder Nachlässigkeit." Und so hat es Kant auch gehalten: Überall, wo es Ihm ohne Nachteil für sein Vorhaben tunlich schien, hat er deutsche Ausdrücke geprägt und hat den abgenutzten, fadenscheinigen Vokabeln der Scholastiker so viel gestaltende Lebenskraft gegeben, dass manche von ihnen seitdem in den allgemeinen Sprachschatz übergegangen sind. Walter Albrecht

 

 

Seite 3   Wolfgang Philipp, Die christlichen Kirchen In der Welt. Kesselringsche Verlagsbuchhandlung, Wiesbaden. 3,60 DM.

Dieses wertvolle Buch hat das zum Gegenstand, was man in der Theologie Symbolik oder Konfessionskunde nennt. Es ist wohl zunächst für Studierende gedacht, die auf jeden Fall großen Gewinn von dieser Darstellung haben werden. Darüber hinaus aber besitzt das Werk eine besondere Bedeutung gerade in der heutigen Zeit des Suchens nach innerem Halt und geistigem Gehalt des Daseins. Die großen Formen christlicher Frömmigkeit werden abgehandelt, jede einzelne aber nach denselben religiösen Erlebnis-Bezirken, wobei an jeder Stelle auf die entsprechende der Nachbar-Religion gewiesen wird. So entsteht als Ganzes gesehen eine christliche Glaubenslehre von besonderem Anreiz. Darüber hinaus ist nun als wichtigste Feststellung dieses Buches zu sehen, dass es dem Verfasser nicht nur gelungen ist, den ungeheuren und vielschichtigen Stoff in einer äußersten Zusammendrängung darzubieten, sondern es gelingen ihm an nicht wenigen Stellen ausgezeichnete Worte über einzelne Glaubenstatsachen, die in ihrer Konzentriertheit und Tiefe den Charakter klassischer Glaubenssätze annehmen. So wird sich dies Buch bei vielen Suchenden in seiner schlichten Einfachheit recht viele Freunde gewinnen. G. v. S.

 

 

Seite 3   Die Elbinger Hefte

Elbinger Heft („Elbinger Bilder II"), West-Verlag Essen, Herausgeber Dr. Fritz Pudor.

Eigentlich hat die Geschichte selbst zu dem Buche des in Ostpreußen seßhaft gewordenen Engländers Herslet „Treppenwitz der Weltgeschichte" sozusagen einen Anhang oder einen „Nachtrag" geschrieben.

Als Elbing 1772 „hohenzollersch" wurde, da haben die freiheitlich denkenden Elbinger Bürger mehr als einmal Zivilcourage bewiesen. Minister von Rochow bescheinigte ihnen den berühmt gewordenen „beschränkten Untertanenverstand" . . . das aber focht sie keineswegs an. Die selbstbewussten Elbinger Bürger verwahrten sich vor hundert Jahren ganz energisch gegen die Amtsenthebung der 7 Göttinger Universitätsprofessoren. Sie taten das nicht etwa, weil unter diesen “7" sich auch ein Elbinger, nämlich der in Elbing geborene Professor Albrecht, befand - sondern sie protestierten aus einer wirklich freiheitlichen Gesinnung und Einstellung heraus. Und nun will es der „Treppenwitz der Weltgeschichte", dass heimatvertriebene Ostpreußen und unter ihnen nicht wenige Elbinger eine neue Heimat in Göttingen gefunden haben und dass wir nun in der „Ostpreußen-Warte" in Göttingen selbst die Möglichkeit haben, die ausgezeichneten „Elbinger Hefte" kurz zu besprechen. Von der ersten bis zur letzten Seite dieser Schriften spürt man die saubere und zielstrebige Haltung des Herausgebers. Er hat das Recht auf den „inneren Geist" und die „sittliche Haltung" des heute oft so verkannten, „Preußentums" zu verweisen. Zu der klaren textlichen Gestaltung kommt eine Illustration, die in zügigem und kräftigem Strich, den sich nur ein Könner erlauben kann (Federzeichnungen: Moritz Graf von Schall-Riaucour), mit wenigen Umrissen das Wesen einer Landschaft oder eines Bauwerkes erkennt - einfängt und erfasst. Wir haben daher 2 Federzeichnungen herausgegriffen, um unseren Lesern damit eine besondere Freude zu bereiten (Leuchtturm im Frischen Haff und am Strand der Ostsee).

 

 

Seite 4   Die Landwirtschaft des Memelgebietes von 1920 bis 1930. Dr. Erwin Friz

Wenn auch die Folgen der deutschen Niederlage von 1918 in keiner Weise mit den Auswirkungen der Katastrophe von 1945 zu vergleichen sind, so rollte doch die Verstümmelung des Deutschen Reiches durch das Versailler Diktat nicht nur an allen Grenzen staats-und volkspolitische Probleme mit aller Schärfe auf, sondern hatte auch einschneidende wirtschaftliche Folgen. Diese Grenzverschiebungen brachten die ersten größeren Veränderungen im Staatenbild Mitteleuropas nach dem Entstehen der modernen Großraum- und Weltwirtschaft. Die meisten losgerissenen Gebiete waren längst nicht mehr wirtschaftlich unabhängig, sondern durch unzählige Querverbindungen mit der gesamten deutschen Volkswirtschaft verknüpft, so dass die neuen Grenzziehungen in bisher unbekannter Weise bestehende wirtschaftliche Zusammenhänge zerstören und neue lähmende Abhängigkeiten entstehen lassen mussten. Meist wirkte sich dies in einer Verkümmerung der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen der deutschen Bevölkerung aus. Besonders als die Versuche der neuen Staatsvölker, die angegliederten deutschen Volksgruppen politisch mundtot zu machen, immer weniger Erfolg hatten, setzten überall starke Angriffe auf das wirtschaftliche Fundament der Deutschen ein, um diese so persönlich unter Druck zu setzen und politisch gefügig zu machen.

Auch die Wirtschaft des Memellandes, besonders dessen Landwirtschaft, von der der größte Teil der Bevölkerung lebte, wurde durch die Abtrennung entscheidend in ihrer Struktur beeinflusst. Vor dem Kriege waren die landwirtschaftlichen Betriebe des Memelgebietes, die meist mittel- und großbäuerlichen Charakter hatten, aufs engste mit der übrigen ostpreußischen Landwirtschaft verbunden und hatten mit dauernd steigenden Erträgen auf dem Ackerlande, wachsenden und züchterisch verbesserten Viehbeständen, voll an deren Intensivierung und marktwirtschaftlicher Entwicklung teilgenommen. Im Bezug von Saatgut, Zuchtvieh, Maschinen, Futter- und Düngemitteln, im Absatz vor allem einer leistungsstarken Viehwirtschaft waren die Verbindungen der memelländischen Landwirtschaft mit dem übrigen Ostpreußen und Gesamtreich aufs feinste eingespielt. Diese Verbindungen wurden nun durch die Abtrennung weitgehend zerstört oder mindestens sehr erschwert und auf einen kümmerlichen „Kleinen Grenzverkehr" zurückgeworfen. Die intensive Landwirtschaft des Memellandes war jetzt auf Auslandsabsatz ihrer Erzeugnisse sowie auf Auslandsbezug ihrer Betriebsmittel angewiesen.

Gefesselt an ein primitives Bauernland!

Durch den Gewaltstreich der Litauer im Jahre 1923 wurde das Memelgebiet, das bis dahin als Freistaat eine gewisse wirtschaftliche Selbständigkeit hatte, an das rückständige Litauen gefesselt. Dieses Land war vor dem Kriege ein politisch unterdrücktes, kulturell und wirtschaftlich vollkommen vernachlässigtes Grenzgebiet des russischen Reiches gewesen. Trotz aller Anstrengungen der Litauer, ihr Land kulturell und wirtschaftlich zu entwickeln, bestand bis zuletzt ein starkes Kultur- und Wirtschaftsgefälle, eine deutliche „Kulturscheide" gegenüber dem auch landwirtschaftlich hochentwickelten Memelland. Diese Unterschiede fielen bereits den bestimmt nicht in deutschem Sinne voreingenommenen Beobachtern der internationalen Sonderkommission der Botschafterkonferenz auf, die in ihrem Bericht 1923 schrieben:

„Die Ostgrenze des Memelgebiets, die frühere russisch-deutsche Grenze, stellt eine tatsächliche Scheidung ohne Übergang zwischen zwei verschiedenen Zivilisationen dar. Mindestens ein Jahrhundert trennt sie voneinander. Es ist eine richtige Grenze zwischen Westen und

Osten zwischen Europa und Asien! Hier ist die Bildung so weit fortgeschritten, dass nicht einmal unter den Dorfbewohnern, von denen eine große Anzahl litauisch und deutsch zugleich spricht, Analphabeten zu finden sind. Eine große Anzahl guterhaltener Straßen verbindet die Dörfer untereinander. Die Gebäude sind wohlgebaut und bequem. Das Land wird nach den neuesten Methoden bearbeitet. Der Kleinbesitz entfaltet sich ebenso wie der Großbesitz. Dort dagegen sind die Dorfbewohner verelendet; nur die im russischen Heer gedienten Männer haben ein wenig ungenügende Bildung genossen. Straßen sind wenig oder überhaupt nicht vorhanden. Der Bauer, der das Land nicht sauber zu halten und zu düngen versteht, lässt es zwei Jahre brach liegen, bis er es neubestellt. Die Holzbude in der er wohnt, ist klein und schmutzig."

Dieser ausländische Bericht gibt ein lebendiges Bild von den extensiven litauischen Kleinbauernbetrieben, die einen ganz geringen Aufwand an Maschinen, Düngemitteln und sonstigen zugekauften Betriebsmitteln hatten und im Wesentlichen von den kinderreichen, überaus anspruchslosen Bauernfamilien selbst bewirtschaftet wurden. Solche primitiven Betriebe können durch Absatzkrisen und hohe Betriebsmittelpreise kaum geschädigt werden, während die fortschrittlichen intensiven großen Höfe des deutschen Memellandes die laufend hohe Aufwendungen für Löhne, Versicherungen, Zinsen, Futter- und Düngemittel, Unterhaltung von Gebäuden und Maschinen hatten, auf einen regelmäßigen und ungestörten Absatz ihres hohen Marktüberschusses an Erzeugnissen unbedingt angewiesen waren.

Dieser Absatz auch der memelländischen Landwirtschaft war in steigendem Maße einseitig gebunden an die monopolartigen genossenschaftlichen Absatzorganisationen, die der litauische Staat für seine eigenen unentwickelten Kleinbauernbetriebe in eindrucksvoller Weise entwickelt hatte. Mit Hilfe dieser wirtschaftlichen Monopolstellung vor allem beim Absatz von Molkereiprodukten und Vieh, den wichtigsten Erzeugnissen der memelländischen Landwirtschaft versuchten aber die Litauer, gegenüber dem memeldeutschen Bauerntum auch politische Wünsche durchzusetzen. Die modernen litauischen Genossenschaftsmolkereien wurden mit ihren Versammlungsräumen politische Zentren des litauischen Volkstumskampfes im Memelgebiet, und die Bedingungen für die Abnahme von Milch, Vieh und Schweinen wurden immer mehr der Besuch der litauischen Schulen durch die deutschen Kinder, die Nichtbetätigung in den deutschen Parteien usw. So eroberten die Litauer mit wirtschaftlichen Mitteln einen ausschlaggebenden Einfluss in dem gewaltsam angegliederten Memelland, der ihren verständnislosen politischen Bemühungen versagt geblieben war, und die deutschgesinnte Mehrheit der memelländischen Bevölkerung kämpfte einen immer aussichtsloseren Kampf um ihre Selbstbehauptung in dem ihr immer fremdgebliebenen litauischen Staat, bis ihr sehnsüchtiger Wunsch nach einer Rückkehr in das deutsche Staats- und Wirtschaftsgebiet im Jahre 1939 Erfüllung fand.

 

 

Seite 4   Institut für Auslandsbeziehungen, gegründet als Deutsches Auslandsinstitut im Jahre 1917: „Mitteilungen" Nov./Dez. 1952, 2. Jahrg., Nr. 11/12, Stuttgart.

Dieser „erste Versuch" aus rund 40 Ländern der Erde je drei der bedeutendsten Werke des Jahres zu besprechen und zu würdigen, um damit einen Einblick in das geistige Schaffen verschiedener Völker zu geben, wird sicherlich starken Anklang finden. Im Anhang geben die wichtigsten deutschen Verlage einen Überblick über ihr bisheriges Schaffen. Dr. Dr. Franz Thierfelder, der Generalsekretär, hat mit dieser Pionierarbeit einen Weg beschritten, der zu erfreulichen Erfolgen führen wird.

 

 

Seite 4   Frisches Haff wird „Schafweide“. Die Polen wollen es trocken legen - Alter Plan frisch gewärmt

Die Polen waren schon immer leidenschaftliche Projektemacher. Als ihnen vor sieben Jahren die Weisheit der Weltverbesserer von Potsdam einen Teil Ostpreußens in die Hände gab, verkündeten sie laut, dass sie nun dieses Land so recht in Kultur bringen würden. Heute weiß alle Welt, wie kläglich die Ergebnisse ihrer Bemühungen sind. Die Reste einstigen deutschen Wohlstandes sind verwirtschaftet. Weite Strecken ehemals ertragreichen Bodens, Städte, Dörfer und Gutshöfe liegen wüst. Die aus dem östlichen Polen von den russischen Freunden verdrängten Neusiedler werden mit dem Lande nicht fertig. Sie meinen, es ruhe ein Fluch darauf, und haben keine Freude daran. Darum sinnt man in Warschau auf neue Pläne, die das Fiasko verschleiern sollen. Denn, so sagt ein sowjetisches Sprichwort: „Der Plan ist unser bester Freund!"

Das neue Projekt für Ostpreußen ist die Trockenlegung des Südwestteils des Frischen Haffs. Dieser insgesamt etwa 860 Quadratkilometer große Strandsee wird durch eine Anzahl von Flüssen mit zum Teil sehr unregelmäßigen Wassermengen gespeist. Von Süden her führen ihm Mündungsarme der Weichsel und der Nogat Wasser aus Polen zu. Durch den Elbing, die Passarge, den Frisching und den Pregel fließen die Wasserüberschüsse des ostpreußischen Oberlandes, Ermlands, Masurens und der weiten nordöstlichen Ebene in das Haff und weiter durch das Pillauer Tief ins Meer. Eine niedrige und im Durchschnitt kaum zwei Kilometer breite Dünenkette, die Frische Nehrung, trennt in etwa 60 Kilometer Länge Ostsee und Haff. Ungefähr in der Mitte seiner Längsausdehnung, bei Braunsberg, hat das Haff in einer Art Taille seine geringste Breite. An dieser Stelle soll ein Deich von der Festlandsküste bis zur Nehrung quer durch das Wasser gezogen werden, das im Allgemeinen nur drei, an wenigen Stellen bis fünf Meter tief ist. Hinter diesem Damm soll der etwas kleinere südwestliche Teil, der unter polnischer Verwaltung steht, austrocknen. Von Elbing aus soll längs der Küste ein schiffbarer Kanal an die Sperre herangeführt werden und die Hafenstadt einerseits mit dem nordöstlichen, von den Russen verwalteten Teil des Haffs verbinden und ihr andererseits mittels eines Durchstichs, durch die Nehrung den Weg zur See abkürzen. Es hat da früher schon im Mittelalter eine Öffnung bestanden, die aber, als 1510 in einer gewaltigen Sturmflut das Pillauer Tief aufgerissen wurde, versandete.

Schon rechnen sich die Polen große wirtschaftliche Vorteile aus. Das Neuland wollen sie vor allem der Weidewirtschaft nutzbar machen. Tausend Pferden, 17 000 Stück Rindvieh und 15 000 Schafen sollen die Weiden Nahrung geben, und die Ernten an Gras- und Kleeheu werden auf 60 000, an Getreide auf 50 000 Doppelzentner geschätzt. Schon wird ein Bruttoertrag von jährlich 60 Millionen Zloty errechnet, während die Investitionskosten mit 500 Mill. Zloty verhältnismäßig gering veranschlagt werden. Fürwahr, ein schönes Unternehmen für Leute, die in sieben Jahren noch nicht einmal das vorhandene Land besiedeln konnten und sich unfähig erwiesen, es zu bewirtschaften.

Wir erinnern uns übrigens, von einem ähnlichen Projekt schon einmal gehört zu haben. Es war um 1930, als der Mangel an Siedlungsland für ostpreußische Bauernsöhne und Landarbeiter den preußischen Meliorationsausschuss veranlasste, die Möglichkeiten der Landgewinnung durch Trockenlegung des Frischen Haffs zu untersuchen. Die Anregung dazu hatte das holländische Unternehmen der Austrocknung der Zuider See gegeben. Damals entbrannte eine heftige Pressefehde für und wider den Plan, für den sich neben anderen der ehemalige Oberpräsident v. Batocki-Bledau brennend interessierte. Die Warnungen der Wasserwirtschaftler gaben schließlich den Ausschlag gegen die Ausführung des Vorhabens. Sie sagten nämlich, dass man statt Neuland zu gewinnen nur einen großen, sich über das Haffufer hinweg in die Niederungen des Ermlandes und Natangens ausdehnenden Sumpf schaffen würde, so lange nicht vorher die Weichsel in ihrem ganzen Lauf und ihre großen Nebenflüsse in Polen gründlich reguliert wären. Das ist jedoch ein Unternehmen, das auszuführen den Polen trotz mancher Anläufe in tausend Jahren nicht gelungen ist. Aber schon sehen sie Schafe auf dem Grunde des ausgetrockneten Haffs weiden. Schafe sind geduldige Tiere und, wie gesagt: „Der Plan ist unser bester Freund!" mw.

 

 

Seite 4   Turnerfamilie Ost- und Westpreußen

Neujahrsgruß!

Als deutsche Turner und Turnerinnen wollen wir auch im neuen Jahr ein Wort von Friedrich Ludwig Jahn, dessen 100. Todestag wir am 15.10.1952 begangen haben, in seiner ewigen Gültigkeit uns als Richtschnur dienen lassen:

„Man kann es dem Turner nicht oft und nicht nachdrücklich genug einschärfen, dass keiner den Adel des Leibes und der Seele mehr wahren müsse, denn gerade er. Am wenigsten darf er sich, eines Tugendgebotes darum entheben, weil er leiblich tauglicher ist. Tugendsam und tüchtig, rein und ringfertig, keusch und kühn, wahrhaft und wehrhaft sei sein Wandel. Frisch, frei, fröhlich, fromm - ist des Turners Reichtum."

Wenn wir uns bei allem Denken und Handeln unter dieses Gesetz stellen, steht es gut nicht nur um uns selbst und den Deutschen Turnerbund, sondern um die Zukunft unseres ganzen Volkes. Das Losungswort der Turnerfamilie Ost- und Westpreußen für 1953 lautet daher:

Prüfe und erkenne Dich selbst! Möge das Jahr 1953 die Heimkehr unserer letzten Kriegsgefangenen und die Anbahnung einer aufrichtigen Völkerversöhnung, die Wiedervereinigung Deutschlands, eine gesunde wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung und uns allen gute Gesundheit und recht viel Freude bringen! Gut Heil! Onkel Wilhelm.

 

Das 7. Wiedersehenstreffen unserer Turnerfamilie soll vom 31.07. bis 02.08.1953 in der Landessportschule Flensburg-Mürwik veranstaltet werden. Wir veranstalten dort vom 31.07. bis 05.08.1953 einen Lehrgang für alle Altersklassen über turnerische Gemeinschaftsarbeit, Turnordnung und Punktwertung, Ausgestaltung von Turn- und Spielstunden und kulturelle Arbeit der Turngemeinschaften. Einzelheiten durch Rundbriefe an diejenigen, die es wünschen.

Das Treffen ist so gelegt, dass jeder anschließend das Deutsche Turnfest 1953 in Hamburg miterleben kann. Wer nicht an den der Turnerjugend gewidmeten ersten Festtagen in Hamburg teilnehmen will, bleibt am besten mit unseren Lehrgangsteilnehmern bis Mittwoch, den 05.08.1953 zur Erholung in Mürwik (Klein Rauschen). Aus dem Hamburger Festplan sind für uns besonders wichtig: Mittwoch, den 05.08., die Eröffnungsfeier auf dem Rathausmarkt, Donnerstag, den 06.08., die Sonderkundgebung der Ostvertriebenen und das Festspiel, Freitag, den 07.08., die Wettkämpfe der Altersturner. Sonnabend, den 08.08., das Lichtfest auf der Alster, Sonntag, den 09.08., der Festzug und die große festliche Schlussfeier. Wer mitmachen oder weitere Einzelheiten wissen will, muss sich recht bald an Wilhelm Alm in Oldenburg (Oldb.), Gotenstraße 33, wenden.

 

Seite 4   Unser Volkslied - Urzeuge der Heimat

Nur Bösartige könnten die Zugehörigkeit unserer ostpreußischen Heimat zum großen deutschen Vaterlande anzweifeln, gibt es doch urkundliche Beweise von völkerrechtlichem Gewicht in Hülle und Fülle. Aber alle diese Urkunden und Zeugnisse stellen zunächst eine rechtliche, anerkannte Zeugenschaft von Zuständen und Vereinbarungen dar, deren Handelnde nicht mehr unter den Lebenden weilen.

Lebendige Zeugen von heute und gestern sind aber wir. Unsere Stimme, unsere Augen, unser Herz können Zeugnis geben; aber den toten Dokumenten wird oft mehr Gewicht beigelegt, als ihren derzeitigen Besitzern. Und eine im Rechtsbewusstsein schwankende Zeit erkennt auch diese Dokumente kaum noch an.

Und doch gibt es noch weitere „klingende" Zeugen eigenen Volkstums. So haben „Wandervogel" und „Jugendbewegung" in Ostpreußen urtümliches Liedgut gesammelt, gesichtet und verbreitet. Mag die Arbeit jener Heimatliedkundler (Frischbier, Roese, Ziesemer, Plenzat u. a.) auch zur Zeit nicht volle Anerkennung finden, heute sind die von ihnen gesammelten Lieder und die übrigen noch geretteten Archive für uns ein Quell, aus dem wir ureigenstes Kulturgut heben können.

Das Volkslied ist und bleibt Urzeuge unserer Herkunft! In ihm klingen Stimmen aus der Tiefe unseres volklichen Daseins mit. Das echte Volkslied ist der einfältige, aber sinnvollste Ausdruck unserer, von der Heimat geprägten Wesenheit; zugleich ein lebendiger Zeuge bisher begangener Kulturwege. Mehr noch zeigt uns doch die noch junge Wissenschaft der vergleichenden Volksliedforschung, wie sehr diese echten Volkslieder ethnologische, geschichtliche, soziologische Merkmale, Bezüge und Wandlungszeugnisse tragen, die zu wichtigen Kriterien in der Menschen- und Völkerkunde geworden sind.

Was unser Liedgut zum Grenzliedgut macht, ist das besondere Kriterium unserer politischen, ethnologischen Situation; denn durch ihren Grenzlandcharakter ist es so arteigen bereichert, dass dem keine Liederlandschaft des Reiches gleicht. Mehr noch! Unsere Heimat ist Bewahrerin ältesten deutschen Liedgutes, Hüterin fremden und nachbarlichen Liedgutes, das in seinen Ursprungslanden längst verklungen ist. - Es mag darum kein Zufall sein, dass im Herzen unserer Heimat, diesem Lande des liebevollen Hütens uns vom Politischen her anvertrauter Kulturgüter, die auf verschiedenen Wegen zu uns gelangten (Einwanderung, Zugehörigkeit - Hinterlassenschaft), der Mann geboren wurde, der eine mehr und mehr aufhorchende Welt mit den Liedern aller Völker bekanntgemacht hat: Johann Gottfried Herder; in Mohrung geboren, Professor in Königsberg und in Weimar.

Herders Lebenswerk ist für die junge Volksliedforschung ebenso wie für die Sprachforschung und auch für die Wiedergewinnung einer echten Anschauung vom artbestimmten Wesen der Völker, also für die Ethnologie, gleichermaßen grundlegend und befruchtend geworden. Darüber hinaus hat er wesentlich zur Festigung der humanistischen Staatsgesinnung Preußens beigetragen, die unter dem obersten Gesetz der Pflichterfüllung an dem Ganzen sich die Bewahrung und Förderung anvertrauter Pfänder anderen Volkstums zur besonderen Aufgabe machte. Ohne vorherige Ankündigung irgendwelche, allgemeiner Menschenrechte richtete dieser preußische Staat an der Universität Königsberg Lehrstühle für litauische und masurische Volkstumsforschung ein. Es war eine gesunde, von Verantwortung bewusst gezogene Folgerung aus dem politischen Zustande dieses Landes. Es ist aber auch ein in keiner anderen ähnlichen politischen Situation Europas wiederkehrendes Beispiel wahrhaft humanistischer Gesinnung, die dem anderen Volkstum die Achtung und Wertung zollt, so wie es uns allen vom Schöpfer aller Völker her geboten wurde. –

Unter dieser Bewahrung war es möglich, dass wir noch heute die „Stimmen der Völker" unserer eigenen Heimat vernehmen können. Und sie werden Zeugnis ablegen für eine tief in ihren uralten Anfängen eingewurzelte abendländische Kultur. Ob es die „Dainas" der Memeler Niederung, die Sechstakter/Mazurka-Rhythmen der Masuren sind oder die Liedweisen aus den Quellgebieten Mitteleuropas, Volkslieder aus Lothringen oder den Piemontesischen, oder das Lied mit der böhmischen Weise, das die Gemeinde der böhmischen Brüder nach Osten trug und als köstliche Gabe ihres Volkstums der neuen Heimat schenkte, während es in Böhmen längst verklungen ist und nur als Liedthema der herrlichen Moldausinfonie von Smetana noch nachklingt.

Ob bei genauerem Hinhorchen auf die Tonalitätsmerkmale dieser klingenden Zeugen alte preußische melismatische Reste aufklingen oder die uralte Mystik der byzantinischen Modi - oder ob ein neues arteigenes Melodiewesen den schöpferischen Eigenwillen ostpreußischer Art, vor allem auch im neueren Liedgut zeigt, . . .

Immer ist es, als wenn die Jahrhunderte, Jahrtausende von Erdenjahren und Völkerkunden, von Landschaft und Mensch zusammenklingen in diesem Lied, diesem ostpreußischen Volkslied, das nun mit uns aus der Heimat gezogen kam, wieder auf Wanderung begriffen, nun aber nicht zu gründen und zu pflanzen, sondern zu zeugen und zu streiten für das angeborene Heimatrecht seines ostpreußischen Liedergartens.

Wenn uns unter der globalen Erschütterung aller Rechtsbegriffe anscheinend alle Möglichkeiten entzogen werden, unserer Heimatlosigkeit zu steuern, unsere Erde wieder zu fordern, suchen wir nach Dokumenten, die uns als eingeborene Bürger unserer Heimat nachweisen. Wie aber und worin künden wir von dem unzerstörbaren Lebensbezug, der uns mit unserer Heimat verbindet, auch wenn wir auf andere Sterne vertrieben würden? - Welch lebendiges, urrechtlich verbürgtes Zeugnis unseres angestammten Erbes besitzen wir in den Volksliedern unserer Heimat! Jeder von uns trägt seine Landschaft in Wesenszügen an sich; er kann sein Ursprungsland nicht verleugnen. Sofern er Heimat hat, ist er durch sie geworden, wie er ist. Und was seine Erde zu ihm rauscht, flüstert, singt und in tausend Klängen, Rhythmen und Lauten zuraunt, formt sich ihm zum Liede, zum Liede der Heimat. Und hat eine eigene Weise wie kein anderes Land; und wenn es aussagt, was Menschenherz bewegt, sei es Freude oder Leid, immer singt darin seine Erde, sein Land, das ihn gebar und ihm das tausendfältige Leben offenbarte. Herbert Wilhelm!

 

 

Seite 5   Das Ende im Brückenkopf Ostpreußen. Hans-Henning Podzun

Nachstehend veröffentlichen wir aus der Broschüre „Weg und Schicksal der 21. Infanterie-Division" eine vollständige Darstellung der Kämpfe bis zum Schluss im Brückenkopf Ostpreußen. Hans-Henning Podzun, der Herausgeber der Schriftenreihe „Die Deutschen Divisionen von 1939 bis 1915" gibt hier aus eigenem Erleben ein anschauliches Bild der schicksalhaften Kämpfe um unsere Heimat. Das Gebiet zwischen Weichsel und Alle war der Friedensraum für die ostpreußische 21. Inf. Div. Die Städte Elbing, Braunsberg und Preußisch-Eylau, Marienburg und Marienwerder, Deutsch Eylau, Osterode und Mohrungen waren die Standorte dieser Division. Das Bild des Deutschritters als Divisionszeichen begleitete die Angehörigen, die vor allem aus Ost- und Westpreußen, aus dem Rheinland und aus Westfalen stammten, in sechs schweren Jahren durch alle Schlachten, in denen die Division schwerste Opfer bringen musste.

Auf dem Gelände des einstigen Truppenübungsplatzes Stablack kommt die 21. Infanterie-Division für eine kurze Nacht zur Ruhe, dann beginnt der Angriff auf Paustern entlang der Straße nach Landsberg, rechts eingesetzt das G.R. 45, in der Mitte G.R. 24 und links das GR. 3. Als nächstes Angriffsziel gilt Wotterlack, wo Leutnant Jessen vom Pionierbataillon fällt. Aus der Linie Schönborn-Lotterfeld schwenkt die Division nach Südwesten gegen die Mehlsacker Stadtheide vor. Hier kommt es in den Tagen vom 15. bis zum 18. Februar zu sehr verlustreichen Waldgefechten, wobei um die Försterei ein besonders harter Kampf geführt wird. Der Stab des Regiments 45 unter Oberstleutnant v. Reuter muss nach heftigen Nahkämpfen den Gefechtsstand aufgeben. Die Kämpfe in diesem Forst werden besonders dadurch erschwert, dass jetzt auch die einzelnen Teile der Division untereinander die Verbindung verlieren und mehr oder minder auf eigene Faust Bewegungen ausführen müssen, um den Gefahren der völligen Einschließung und Vernichtung zu entgehen. Häufig, besonders in der Nacht, ist es den einzelnen Gruppen kaum möglich, den eigenen Standpunkt zu ermitteln und die größere Lage zu klären. Die widerspruchsvollen Aussagen der im Wald versteckt sitzenden Zivilisten, die zum Teil mehrfach hintereinander befreit und vom Russen wieder gefangengenommen werden, tragen zu der allgemeinen Verwirrung noch bei. Überall stoßen Einheiten der Division plötzlich auf eingebrochene Feindteile, die zwar in Massen, aber doch auch in gewisser Unsicherheit vorgestoßen sind. Eigene Gegenstöße haben allgemein nur vorübergehenden Erfolg, die einzelnen Kampfgruppen müssen sich allein und meist ohne Funkverbindung herauszuschlagen suchen.

Zu neuen, schweren Kämpfen kommt es nördlich des Walschtals, besonders bei Layß, Wilknitt und Perbanden. Am 20. Februar muss der Stab des G.R. 3 aus seinem Gefechtsstand bei Wohlau durch die Fenster ausbrechen, als die Russen die Eingänge besetzten. Das der Division neu hinzugeführte Sturmregiment des AOK 4 kann keine wesentliche Erleichterung bringen. Von Linie zu Linie müssen die kleinen Gruppen der Regimenter auf neue, notdürftig vorbereitete Stellungen zurückgenommen werden, immer wieder werden Füsiliere, Pioniere, Artilleristen und Versorgungstruppen infanteristisch eingesetzt. Fast jeder Tag bringt eine Wiederholung des vorherigen: Am Morgen Artillerie- und besonders Granatwerferfeuer auf die vordere dünne Linie, die nachts in aller Eile von den wenigen verbliebenen Offizieren und Unteroffizieren mit den Überlebenden des Vortages gebildet wurde. Die Ersatzmannschaften, die in der Nacht zugeführt werden, bedeuten meist nur eine zahlenmäßige Verstärkung, da sie auf die Anforderungen ihres neuen, infanteristischen Einsatzes in der Mehrzahl gar nicht vorbereitet sind und bereits am Morgen einer bisher völlig ungewohnten Situation gegenüberstehen müssen. Gegen Mittag, wenn sich die Geschütze der Panzer Jägerabteilung und der 14. Kompagnien verschossen haben oder ausgefallen sind, brechen die ersten russischen Panzer durch, von denen die Stalin-Panzer nur schwer ernsthaft zu treffen sind. Die noch einsatzfähigen Sturmgeschütze werden an die Brennpunkte geworfen, doch am Nachmittag ist meist von einer durchgehenden Front nicht mehr die Rede. Die Träger des Kampfes sind dann die Gefechtsstände und einzelne Stützpunkte, in denen die vorgeschobenen Beobachter der Artillerie ausharren. „Ich wünschte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!“ wird zum geflügelten Wort in diesen Tagen, denn nur mit Mühe können sich diese Stützpunkte bis zur Dunkelheit halten. In der Nacht geht es dann meist wieder ein Stück zurück in neue, oft noch ungünstigere Stellungen. Wieder müssen die Abschnitte erkundet und besetzt werden, wieder verlegen die Nachrichtenmänner mit zusammengesuchten Drähten ihre Leitungen zu den neuen Gefechtsständen, wieder bemühen sich die Funker mit ihren überlasteten Geräten um eine Verständigung, wieder werden Feuerpläne und Stellungsskizzen gezeichnet, die von den übermüdeten Meldern zum nächsthöheren Stab gebracht werden müssen. Außerdem muss die Truppe in der Nacht versorgt werden, denn bei Tage ist daran nicht zu denken. Post wird so gut wie gar nicht mehr verteilt, von den Empfängern wären auch nicht mehr viele zu erreichen. Die Hauptfeldwebel und Schreiber, die mit den Feldküchen nach vorn kommen, bemühen sich, die Namen der Toten und Vermissten des Tages zu erfahren und festzuhalten; die Waffenmeister versuchen, die letzten Maschinengewehre wieder in Gang zu bringen. Alle diese und hundert andere Maßnahmen müssen möglichst ohne jeden Lichtschein von statten gehen, denn ständig kreisen russische Nachtbomber über dem Abschnitt. Viel zu kurz sind die kalten Nächte, zum Schlafen bleibt selten Zeit, und am Morgen beginnt der neue Tag mit neuen Angriffen. Die gleichbleibend klaren Tage geben den russischen Schlacht- und Bombenflugzeugen beste Einsatzmöglichkeiten, dagegen sind deutsche Flugzeuge fast nie mehr zu sehen.

Dieser Ablauf der Tage findet eine längere Unterbrechung, als die Front südlich von Hanswalde zum Stehen kommt. Nach Gegenangriffen bei Lütkenfürst, wo Hauptmann Ecker verwundet wird, kann eine verhältnismäßig günstige Stellung bezogen werden. Doch die Ruhe in diesen ersten Märztagen ist bedingt durch die Erschöpfung des Gegners, der seine Angriffsverbände neu gruppieren muss und auch wieder schwere Artillerie heranzieht. Die feindlichen Bereitstellungen können kaum nachhaltig bekämpft werden, fünf bis zehn Schuss sind zu wenig für Fahrzeugkolonnen und Marschabteilungen, die ohne Schwierigkeiten auszumachen sind. Auch die eigenen Vorbereitungen für den kommenden Einsatz werden wieder mit gewohnter Intensität getroffen. Alle Maßnahmen finden jedoch ihre Beschränkung in der unzureichenden Ausrüstungs- und Munitionslage. Der Mangel an erfahrenden Infanteristen macht sich besonders bemerkbar. Die Kämpfe am Nordenburger See und an der Alle, bei Reddenau und Eichen, in den Wäldern zwischen Landsberg und Mehlsack, bei Layß und Perwitten, Wilknitt und Wohlau, Weißels und Perbanden, um Hasselberg und Gottesgnade, um Klein-Lütkenfürst und hundert andere Ortschaften und Gehöfte haben alle Einheiten stark ausgehöhlt. Selbst eine größere Zuführung von gut ausgebildetem Ersatz und bester Bewaffnung könnte den Divisionen in diesem Kessel nicht mehr die alte Kampfkraft wiedergeben. Das Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, lastet schwer auf allen Soldaten. Das Schicksal der 6. Armee in Stalingrad tritt wieder deutlich vor allen Augen. Für die höheren Stäbe und alle diejenigen, die sich durch Abhören von Nachrichten noch einen gewissen Überblick über die Gesamtsituation verschaffen können, ist die moralische Belastung besonders drückend. Täglich zeichnen sich an allen Fronten neue Zusammenbrüche ab, der Feind stößt bereits gegen das Herz Deutschlands vor. Schon die Durchführung der Ardennenoffensive musste als endgültiger Beweis dafür gewertet werden, dass von einer Führung auf politischem und militärischem Gebiet nicht mehr die Rede sein kann. Das Festhalten an Kurland bedeutet eine derart schwerwiegende Schwächung für die Front in Ostpreußen, dass sich das Ostheer, vor allem die Zivilbevölkerung, im Stich gelassen fühlen muss. Der häufige Wechsel in der Besetzung der hohen Kommandostellen, die groteske Übertragung von Befehlsgewalten auf Parteiführer, schockiert auch den jüngsten Fahnenjunker. Der mechanisch wiederkehrende „Führerbefehl", dass die jeweils bezogene Stellung endgültig gehalten werden müsse, wird von den meisten nur noch mit verständnislosem Kopfschütteln aufgenommen. Wenn trotz aller ernüchternden Erkenntnisse die Frontkommandeure in diesem Kessel immer wieder neue Riegel aufbauen, wenn sich einzelne Kampfgruppen trotz des Gefühls, „verheizt" zu werden, immer noch mit aller Erbitterung wehren und wenn die rückwärtigen Dienste bei der totalen Luftüberlegenheit des Gegners nach wie vor die Versorgung der Truppe aufrechtzuerhalten suchen, so steht ihnen allen ein Ziel vor Augen: die Frist zu verlängern, die der unsagbar leidenden Zivilbevölkerung und den vielen Verwundeten noch die Möglichkeit zum Abtransport nach Westen geben kann. Dieses Ziel allein gibt den Kämpfen die Härte, den Opfern ihren Sinn. Außerdem lebt in den Soldaten noch die alte Scheu vor dem Schicksal, in russische Gefangenschaft zu fallen. Als ein alter V.B. der 13./45 bei Hasselberg schwer verwundet wird und keine Möglichkeit mehr sieht, den Russen zu entgehen, richtet er zuletzt seine Pistole gegen sich selbst. Andererseits mehren sich die Fälle, vor allem in den kommenden Kämpfen bei Heiligenbeil, dass sich kleinere Gruppen, um ihre Verwundeten geschart, vor körperlicher Erschöpfung und unter dem Eindruck der vorzüglich geleiteten Feindpropaganda den Russen ergeben.

Stärkere Luftangriffe am 11. März deuten auf den Beginn des neuen Angriffs hin. Zwanzig Minuten lang trommeln am folgenden Morgen die feindlichen Batterien und Granatwerfer auf die Stellungen zwischen Rödersdorf und Lütkenfürst. Dann tönt am Schwerpunkt in die schlagartig einsetzende Stille ein Lautsprecher mit der Platte. „Davon geht die Welt nicht unter". Der Stimme von Zarah Leander folgen wieder die bekannten Sprüche, die jetzt aber doch einen anderen Klang haben als einst bei Leningrad oder Pleskau: „Kameraden der 21. Division, der Krieg ist hoffnungslos verloren, kommt zu uns, Decke und Kochgeschirr mitbringen . . ."; die überall umherliegenden Flugblätter versprechen das ungefährdete Überlaufen. Doch die in weiten Mänteln anstürmenden Russen werden unter Feuer genommen, noch hämmern einzelne Maschinengewehre. In Höhe der Bataillonsgefechtsstände versteift sich die Abwehr. Von den Höhen im Hintergelände bei Hanswalde feuern die letzten Pakgeschütze, die V.B.s der Artillerie fordern die begrenzten Rationen an und nutzen jeden einzelnen Schuss auf höchstmögliche Weise aus. Doch der vordere Graben geht bald verloren, der schon geschilderte Ablauf des Tagesgeschehens ist auch diesmal nicht aufzuhalten. Zu wirklichen Durchbrüchen kommt es im Abschnitt der 21. Division aber in keinem Falle. Das Absetzen wird immer wieder durch einzelne Stützpunkte gedeckt, die sich besonders lange behaupten.

Aus den Riegelstellungen bei Hanswalde geht es an den folgenden Tagen in nordwestlicher Richtung nach Herzogswalde und weiter in die Stellungen an der Autobahn westlich von Deutsch-Thierau. Die Infanterieregimenter sind jetzt schon so weit geschwächt, dass sie Panzerangriffe aus eigener Kraft kaum noch abwehren können. Wo die Division keine schweren Waffen einsetzen kann, kommt es meist zu feindlichen Einbrüchen. Auch das wichtige Straßenkreuz bei Bilshöfen ist nicht zu halten. Am 16. März stehen die Regimenter 3 und 45 ohne jede Verbindung zu Nachbarn im Kampf um Rehfeld, wo die 2./A.R. 21 unter Oberleutnant Schulte bis zur Vernichtung ihrer Geschütze russische Panzer abwehrt. Eine Batterie nach der anderen wird in diesen Tagen zum Panzerbeschuss eingesetzt, die überlebenden Kanoniere werden in die Reihen der Infanteristen aufgenommen. Bis zur Dunkelheit wird Rehfeld gehalten. Ostwärts der Straße stehen Hauptmann Wittwer und Oberleutnant Kappis mit den Resten ihrer Bataillone ohne sichere Nachrichtenverbindung zu Oberstleutnant von Reuter, fast alle Melder und Ordonanzoffiziere werden auf dem Wege durch das Dorf verwundet. Den Westteil der Ortschaft verteidigen die Reste des Rechts eingesetzten G.R. 3, das jetzt von Major Beuttel geführt wird, dessen Gefechtsstand sich in der Bahnstation befindet. In Marschkolonnen rücken russische Infanterieeinheiten bei klarem Sonnenschein von Südwesten her gegen das Dorf vor. Von Süden rollen einzelne Panzer heran, darunter ein Stalin, dessen Besatzung sich noch nicht die Mühe gemacht hat, den weißen Tarnanstrich zu entfernen. Am Nachmittag gehen die ersten Teile des Ortes nach Häuserkämpfen verloren, am Abend vernichtet Hauptmann Schwanitz, der Kommandeur des II./G.R. 3, im rechten Abschnitt einen Panzer im Nahkampf. Der Einbruch des Gegners ist nicht mehr aufzuhalten Leutnant Rudnick sichert durch einen schwachen Riegel das Ausweichen in die neuen Stellungen bei Thomsdorf, wo Major Wendig fällt. Auch nach Zuführung des G.R. 912, dessen Kommandeur sofort ausfällt, kann die neue Stellung nur schwach besetzt werden. Doch in den nun folgenden Kämpfen in der Jarftschlucht und nördlich davon wird wieder besonders hartnäckig Widerstand geleistet. Das Pionier-Bataillon 21, jetzt unter Hauptmann Besch, dem Nachfolger von Major Glogner, wird schwer getroffen; auch Oberfeldwebel Pütschmann, in der  ganzen Division wohlbekannt, fällt hier und an der Schwedenhöhe Oberleutnant Raabe. Die Stützpunkte finden durch Anlehnung an die Bunker der einst hier gelegenen Stäbe und Versorgungstruppen verhältnismäßig günstige Deckungsmöglichkeiten. Ein längeres Halten kann es auch hier nicht mehr geben. Am 22. März verläuft die HKL über den Südostteil des Flugplatzgeländes von Heiligenbeil, das für die nächsten Tage zum Schauplatz des chaotischen Geschehens wird. Ununterbrochen greifen Schlachtflugzeuge die Schützenlöcher und MG-Stände an, die auf dem völlig freien Feld nicht zu tarnen sind. Die Gefechtsstände liegen in den Munitionsbunkern, deren Ausgänge teilweise zur Feindseite zeigen. Hochbomber werfen aus dem sonnig blauen Himmel ihre Bombenteppiche auf die Feuerstellungen und Versorgungswege. Am Abend des 24.03. kommt die Front in Abschnitt des GR. 45 in Bewegung; die vordere Linie kann weder durch den Einsatz von Teilen des I./912 unter Hauptmann Zwing noch durch das Vorgehen einer Offiziersgruppe zurückerobert werden, wobei Oberleutnant Schulte vom A.R. 21 unter einer MPi-Garbe fällt. Der Morgen zieht mit ungewöhnlich dichten Nebeln herauf, die Orientierung ist anfangs so gut wie unmöglich. Auch der Gegner ist stark behindert, durch laute Kommandos muss er die einzelnen Gruppen zusammenhalten. Die russischen Laute sind schon bald an den verschiedenen Stellen hinter den alten Linien zu hören. Viele Posten werden an diesem Morgen überrascht und gefangengenommen. In den Bunkern und Schachtanlagen sowie in den Kellern der Kasernen fallen an diesem Tage Hunderte, die den verschiedensten Formationen angehören, darunter auch Zivilisten, in Gefangenschaft. Am Südwestrand des Platzes hält Leutnant Kirsch vom G.R. 3 mit einer Handvoll unter Verwendung der dort gestapelten Faustpatronen die Angreifer ab, die im Schutz eines stehengebliebenen Güterzuges den Hallenkomplex erreicht haben. Am Abend finden sich die Reste der Regimenter im Graben vor den Luftwaffenkasernen und ostwärts davon.

In den nun folgenden Kämpfen bei Gut Bregden und Steindorf. Foliendorf und Kahlholz gibt es keine Trennung mehr in die einzelnen Einheiten, kaum noch zu denen anderer Divisionen. Die drei Grenadierregimenter der Division haben zusammengenommen nicht mehr die Feuerkraft eines Bataillons. Die Verluste seit dem Angriff bei Lütkenfürst sind nicht mehr zu übersehen. Wieder sind, geradeso wie ein halbes Jahr vorher bei Walk, zwei Regimentskommandeure gefallen: Oberstleutnant v. Kalm, der stets frohgemute und einfallsreiche Kommandeur des G.R. 24, und Major Beuttel, der Senior der Infanterieoffiziere, dessen herzliche Frische in all den Jahren stets so wohltuend empfunden wurde. General Götz wird in diesen Tagen zur Verteidigung von Berlin abberufen und nimmt auch Hauptmann Kroeg mit. Oberst Hilgendorff hat nicht mehr viel von der alten 21. Division zu übernehmen.

Am 23. März war erstmalig die Rede davon, dass die 21. Division vielleicht doch noch zur Einschiffung und zum Abtransport käme, obwohl ein Führerbefehl solche Absichten grundsätzlich verbot. Die Reste des Pionierbataillons sind nördlich von Rosenberg zum Bau von Landungsstegen eingesetzt, die bei dem flachen Haffwasser das Anlegen der Boote ermöglichen sollen. Mehrfach wird die Arbeit durch Bombeneinschläge zunichtegemacht, immer neue Stege müssen unter großen Anstrengungen errichtet werden, ohne dass sie später von der Division überhaupt benutzt werden. Schon die erste Einschiffung erfolgt noch weiter nördlich bei Foliendorf. In der Nacht zum 25.03. hatten die Regimenter und Divisionseinheiten den Befehl erhalten, jeweils einen Offizier und 29 Mann dorthin in Marsch zu setzen, „damit ein Stamm für die Neuaufstellung der 21. Division in Mitteldeutschland gerettet werde". Selbst zu dieser Zeit ist es also noch möglich, dass derartige Phrasen bis zu den Fronttruppen weitergegeben werden. Die nächtliche Einschiffung dieser Gruppen erfolgt mit großer Verzögerung und in erschreckender Unordnung. Die Gruppe des G.R. 45, die als letzte an Bord gehen soll und wegen der Bombeneinschläge achtzig Meter vom Steg entfernt in Deckung liegt, wird ebenso wie ein Teil des G.R. 24 zurückgelassen; übervoll besetzt legt das Schiff plötzlich vom Ufer ab. Zu dieser Stunde fällt noch Hauptfeldwebel Kosel, aus vielen Schlachten durch seine Einsätze um die Versorgung, der vordersten Linie bekanntgeworden. Nicht allein die Feindeinwirkung auf den immer kleiner werdenden Kessel ist für die katastrophalen Zustände verantwortlich zu machen, schlechte Befehlsgebung einzelner Stellen und Disziplinlosigkeiten bei zersprengten, kampfungewohnten Formationen wirken sich verheerend aus. Die Reste der noch verantwortungsbewusst geführten Teile, zu denen sich Soldaten der verschiedensten Einheiten gesellen, schließen sich eng zusammen und bleiben auch in den letzten Riegelstellungen weiter am Feind. Die erfahrenen Soldaten wissen, dass sie dort noch einen gewissen Einfluss auf den Ablauf des Geschehens haben, während am scheinbar rettungverheißenden Strand zwischen Rosenberg und Balga das von Panik durchwehte Chaos wütet, das den einzelnen erbarmungslos verschluckt. Dieser Strand ist ein einziges „Dünkirchen". Die Verwundeten liegen stellenweise, besonders bei Rosenberg, zu Hunderten ohne jeden Schutz beisammen, während der Gegner unerbittlich den Küstenstreifen zerstäubt. Nachts gibt der unter Leuchtfallschirmen und im Mondlicht glitzernde Wasserrand den Bombern, die längst nicht mehr einzeln, sondern in Verbänden und manchmal sogar mit ausgesetzten Bordlichtern anfliegen, eine vorzügliche Orientierung. Einige Hauptverbandsplätze arbeiten unbeirrt weiter und Teile des Ortes nach Häuserkämpfen verloren, können noch für viele Verwundete den Abtransport durchsetzen, doch unzählige bleiben zurück.

Am 27. März ist es schon etwas ruhiger in dem von Menschen brodelnden Kessel geworden. Viele sind darin umgekommen oder an seinen Rändern in Gefangenschaft geraten, ein Teil hat doch noch den Weg über das Haff gefunden. Die seltsamsten Wasserfahrzeuge werden hier gebaut. Die ausgedehnten Fahrzeugfriedhöfe werden nach alten Benzinkanistern abgesucht, von den zersplitterten Scheunen der letzten Gehöfte werden alle größeren Teile gerissen. In einer einzigen Sekunde ist oft die fieberhafte Arbeit von Stunden zunichtegemacht, wenn neue Bombensplitter in die Kanister fahren und die Flöße auseinanderreißen. Das Gewehrfeuer kommt von Stunde zu Stunde näher. Viele Trupps finden nicht mehr die Zeit, Kanister auf ihre Dichte und die Flöße auf Tragfähigkeit zu überprüfen; sie stoßen vom Ufer ab, um möglichst noch bei Dunkelheit den acht bis zwölf Kilometer weiten Weg über das Haff hinter sich zu bringen, denn mit Anbruch des Tages sind die ersten Flieger zu erwarten, die sich ein Vergnügen daraus machen, die hilflos treibenden mit Bordwaffen unter Feuer zu nehmen. Den Motorbooten, die in der Nacht und bei Morgengrauen noch viele Haffschiffer aufsammeln und vor dem Untergang retten, gebührt hohe Anerkennung wie überhaupt allen Landungsponieren, die unter dem Befehl von General Henken bei diesen Absetzbewegungen eingesetzt sind. Auf dem Festland liegen immer noch einzelne Riegel am Feind und decken den Rückzug, wobei General Hufenbach, zu Beginn des Ostfeldzuges Kommandeur des III./45, in der Linie seiner letzten Männer fällt. Hauptmann Kappis hält mit 25 Mann die Burgruine von Balga. Noch in den letzten Stunden lehnt er die Aufforderung eines Parlamentärs zur Übergabe ab, vertrauend auf eine Zusage des Generals Müller. Das Durchhalten wird belohnt, mit einem Sturmboot werden die Männer herausgeholt.  Am 29. März verebben die letzten Kämpfe bei Kahlholz.

 

 

Seite 6   Der Eissegler. Eine Geschichte aus Masuren. Von Herkus Sudau.

Kauer war von Jugend auf, ein Eissegler gewesen. Die Leute aus der Stadt und den Dörfern am großen See erzählten sich von ihm - und tolles Zeug manchmal. Er liebte seinen Schlitten sehr, auf dem in eckigen Buchstaben das rätselhafte Wort GRU stand, und noch mehr den Wind und das Eis. Wenn in den Frostnächten die Eisdecke des großen Sees zersprang, fuhr er aus dem Schlafe auf und horchte hinaus in die Weite. Er erinnerte sich noch oft, dass er schon als Junge in solchen Frostnächten schlecht schlief und den Morgen kaum erwarten konnte. Dann stand er früh auf, und sein erster Gang war zu den hohen Fichten auf dem Berge, von dem er den ganzen See fast übersehen konnte, und dann spähte er hinauf zu den Gipfeln der Kiefern, ob sie sich genug im Winde bewegten.

Die Leute aus dem Dorf redeten viel von ihm, aber es geschah nur heimlich und im Stillen. Sie sahen ihn, wenn sie an Markttagen die lange Fahrt über das Eis machten, - und die Pferde bäumten sich hoch auf, wenn er wie ein leibhaftiger Schrecken im Schneegestöber über die blanke Fläche fegte. Sie schnaubten und zitterten, bis das polternde Dröhnen unter der Eisdecke in der Feme verklungen war. Die Bauern wussten nicht recht, was sie davon halten sollten, ob es der „Urok", der böse Geist, war oder sonst was Gespenstisches.

Eintönig zogen die Schlitten mit einem hellen, dünnen Bimmeln die lange Strecke schnurgerade weiter. Wenn man in der Ferne inmitten der weißen Einsamkeit verhielt und aus der Weite diesem spielzeugartigen, winzigen Schlittenzug zusah, fühlte man sich bedrückt und nicht mehr in der Wirklichkeit. Es schien so, als ob diese blendende Schneeweite mit seltsamer Macht alle Bewegung zur Ruhe zwang. So langsam kroch dies winzige Fahrzeug-Spielzeug über das riesige Eis. Nur das taktmäßige Pinken der Schlittenglocken trug die reine Winterluft herüber. Aber je näher man kam, desto lebendiger wurde dieser seltsame Marktschlittenzug. Die Bauern sprachen jedoch kaum ein Wort, sie fassten nur manchmal fester in die Zügel, als ob sie etwas Ungewisses erwarteten. Und erst, wenn sie wieder sicheren Boden unter den Füßen hatten und das hallende Dröhnen unter den Pferdehufen verklungen war, löste sich die Spannung der Fahrt, und sie wurden aufgeräumt und hatten alles Bedrückende hinter sich gelassen.

Aus den schwarzen Küchen aber und unter den Strohdächern kam es wieder hervor, und bald war ein heimliches Reden und Raunen unter den Leuten von einem ruhelosen Ertrunkenensegler oder einem Saufaus, der die Bauern auf dieser langen Fahrt über das Eis schreckte und in Eislöcher treiben wollte mit Schlitten und Pferden . . . Und wenn der Eissegler einmal in den Dorfkrug kam, um sich nach eisiger Fahrt zu erwärmen, dann wurde das leise Reden zu einem erregten Zischeln und Blickwechseln. Die Mütter holten ihre Kinder von der Straße, und die Knechte banden die Pferde fester. In ihrer Ungewissheit und ihrem Misstrauen beobachteten ihn die Leute mit einem heimlichen Grauen.

Einmal war es im Dorfe für die ganze Einwohnerschaft beinahe zu einem Skandal gekommen. Ein „Grommatker", einer jener fanatischen Prediger dieser Sekte, wollte die Leute gegen den Eissegler aufbringen mit Gestikulieren und Wortgebärden, um diesen vermeintlichen, eingebildeten Teufel des Sees, dem er alles Unglück im Dorfe zuschrieb, zu verjagen. Nur der Wirt des Gasthauses, der über das Treiben des verwirrten Geistes lachte, schützte den Segler und machte es den Leuten klar, dass sie beschämt mit ihren Knütteln nach Hause gingen. Der unheimlich gewordene Gast blieb ruhig und enthielt sich allen Spottes. Aber wenn er das Dorf verließ, spürte er, wie eine eigenartige Beengung sich von ihm löste und am entschwindenden Ufer zurückblieb. Kauer war wohl zu lange im Dorf geblieben. Er glaubte schon, er habe sich mit dem Winde verrechnet, der ihn in diesem Frühjahr besonders zu narren schien. Aber dann frischte der Wind doch auf, und als Knauer an der Kirche hinunter zum See ging dämmerte es schon leicht . . .

Der Schlitten trieb rasch und leise über die dunkle Spiegelfläche dahin. Die Uferumrisse verschwanden hinter dem zunehmenden Sausen der Fahrt und der hereinbrechenden Nacht. Da stieg auf einmal etwas dunkel auf und erhob sich heimlich vom unsichtbaren Horizont, leise und nur spürbar wie etwas Gespenstisches. Schleichend zog es sich an den Uferrändern entlang und kam beklemmend über den ganzen Himmel. Drohender und mächtiger nahte es, dass der große See ein Teich zu werden schien und der Schlitten ein verschwindendes, winziges Windspiel. Es drohte ihn zu überholen. Das ferne Brausen war zu einem pfeifenden Zischen geworden. Mit atemraubenden, dumpfen Stößen jagte es hinter dem Schlitten her ..

Kauer lag still am Steuer. Es war sonst ruhig um ihn. Nur in seinen Ohren war dies brausende Tönen, und ab und zu polterten die Kufen laut über das splitternde Eis und rauschten zischend auf, wenn es durch eine Wasserlache ging. Er ließ den Schlitten mit vollem Zeug ins dunkle Grau der weiten Fläche fegen, mit vollem Wind in eine befreiende Weite hinein. Wollte dies Summen in den Ohren nicht aufhören, oder war es das Zischen der Kufen? Die Hand an der Pinne zitterte leicht, wenn die Kufen über Schollen und Risse sprangen. Der Blick haftete durchdringend im Dunkel . . .

Da, auf einmal war es da, es hatte ihn eingeholt! Direkt vor dem gestrafften Vorsegel zeigte sich der böse Blick, nicht für einen Augenblick, nein, er blieb. Kauer zögerte nicht, er hielt genau darauf zu und duckte sich unter das Segel wie vor einem plötzlichen Zugriff. Ein Windstoß warf den Schlitten mit Wucht seitlich vom Winde. Kauer gab mit der Pinne nach. Die Kufen schnitten singend über das glasharte Eis und holperten dumpf polternd über Spalten und festgefrorene Schollen. Eine schwarze Blänke fegte dicht vorbei. Den Segler durchzuckte es. Er riss die Steuerkufe nach der Seite, der Schlitten flog herum, und das Groß-Segel knatterte im Wind und zerrte tückisch an den Verspannungen. - Der Schlitten stand still. - Das böse Gesicht am Vorsegel war verschwunden! . . . Kauer trat steif aufs Eis. Er fuhr mit dem Handschuh über die Stirn: dicht vor ihm gurgelte offenes Wasser und fraß nagend an der Eisdecke. Er schaute sich um. Der Schlitten stand auf einer Eiszunge. Sonderbar hohl dröhnte das Eis unter seinem Tritt, und schluckend gluckste das Wasser am Rande des Eises, wenn er sich bewegte. Es war die berüchtigte Stelle an jener vorspringenden Landecke, die schon manchem erprobten Segler die letzte Fahrt bestimmt hatte. Soweit also hatte er sich in der kurzen Zeit abtreiben lassen, bis an die offene Wasserscheide! Oder hatte diese sich bei dem trügerischen Frühjahrswetter schon so weit geöffnet? Hatte der Sturm das Eis inzwischen so weit aufgerissen?

Da trat der Mond hinter den Wolken hervor und ließ das hohe Ufer sehen mit dem dunklen Tannenwalde. Kauer maß zweifelnd mit den Augen die Entfernung herüber zur offenen Bucht, zweifelnd und zögernd, bis er endlich den Großbaum umlegte und den Schlitten anschob. Tastend kreuzte er im Dunkeln gegen den Wald auf. Der Wind musste sich ganz gedreht haben. Da erschienen endlich in der Ferne die blinkenden Lichter der Stadt, und mit vollem Zeug jagte der Schlitten wieder über die schwarze Eisfläche des großen Sees.

Am andern Tage war Markttag, und die kleine Stadt wusste bald, was geschehen war, und alle Leute, die es in der Zeitung lasen, waren erregt. „Aufwiegelung durch einen berüchtigten Grommatker – folgenschweres Nachspiel. Weil der verwirrte Geist mit seelischer Quälerei sein Weib in den Tod getrieben – sie verirrte sich auf dem See und geriet in eine Wuhne -, wiegelt er das Dorf gegen einen vermeintlichen Schuldigen auf, den „Eissegler“, und überfällt aus Rache den Krug, in dem die Eissegler gewöhnlich einkehren. Der Gastwirt schwer zugerichtet. Das Schlimmste vom Gemeindevorsteher verhütet."

Kauer nahm diese Nachricht sonderbar ruhig auf. Es war ihm, als hätte er sie schon lange gewusst, und er versuchte sich zu besinnen, wann dieses Geschehen zum ersten Male sein Bewusstsein gestreift hatte. Mit einer tastenden Handbewegung aber wischte er sich die grübelnden Gedanken aus der Stirn und suchte mit den Augen den See, der heute über Nacht fast ganz vom Eise aufgegangen war . . .

Die Stadtbewohner wurden gegen Kauer nicht misstrauisch. Sie schreckten zwar leise auf, wenn sie ihm unversehens auf Spaziergängen begegneten, um den Eisgang auf dem See zu beobachten, diese gewaltige Veränderung der Natur. Ihre Gefühle gegen den Eissegler waren ein Gemisch von Bewunderung und Mitleid, und sie bestätigten sich, als er in einer stürmischen Frühlingsnacht ertrank.

 

 

Seite 6   60. Inf.-Div. (mot). - Danzig

300 ehem. Angehörige des Dzg. I. R. 120 und eine Reihe von Kameraden auch der anderen Teile der in ihren Anfängen in Danzig entstandenen 60. I. D. mot. trafen sich in Witten. Der vielen nicht mehr unter uns weilenden Kameraden wurde vor allem in einer würdigen, schlichten Feier am Ehrenmal gedacht. Beide Tage lief die Suchaktion nach Vermissten - 84 Vermisstenschicksale konnten geklärt werden. Eine Hilfsstelle zur Arbeitsbeschaffung für stellenlose Kameraden wurde zum Anlaufen gebracht. Die ganze Veranstaltung wurde überstrahlt von restloser Harmonie und wahrer Kameradschaft von Menschen, die in guten und schweren Zeiten unerhörte gemeinsame Erlebnisse hatten und sich fürs Leben aneinander gebunden fühlen.

Zum Schluss wurde von Vertretern aller Verbände der Division ein größeres und allseitiges Treffen im Oktober 1953 in Witten beschlossen. Die nun schon bewährten und erfahrenen Kräfte vom I. R. 120 fanden sich bereit, auch dann wieder die Vorbereitungen durchzuführen.

Für die einzelnen Formationen haben folgende Kameraden es übernommen, soweit nicht schon geschehen, Adressen zu sammeln und allmählich engeren Zusammenhalt innerhalb ihrer Teile herzustellen:

Div.-Stab: Dr. Hans Werner Giesecke. Frankfurt/M., Bundenweg 1,

I. R. 92: Wilhelm Buddenberg, (23) Gr. Ringen, Krs. Bentheim,

I. R. 120: Hans Schilling, Dortmund, Lübkestr. ?,

A. R. 160: Dr. Gerd Hillger, Bremen, Bismarckstraße 42,

A. A. 160: Fürst zu Dohna-Schlobitten, (17 b) Grenzach/Baden,

Pz. Jäg. Abt. 160: Dietrich Goldbeck, Brackwede. Westf., Quelle 9,

Krd. Schtz. B. 160, M. G. Btl. 9: Karl Bäu, Arolsen/Waldeck, Kaulbachstr. 3,

Pi. 160: Dipl-Volkswirt Hans Ullrich Schmidt-Jüngst, Bonn. Heerstr. 2.

N. A. 160: A. v. Harten, Neumünster/Holst., Sedanstr. 18.

Dinafü. 160: Dr. W. Gruihn, Hamm/Westf., Südring 8.

San. Dienste: Dr. Steiner. Stadoldendorf über Holzminden.

Angehörige dieser Formationen werden gebeten, Verbindung mit den genannten Kameraden aufzunehmen und zu halten. Spenden für die Veranstaltung im Oktober 1953 sind jederzeit nicht nur willkommen, sondern sehr erwünscht und einzuzahlen auf das Postscheckkonto Hamburg Nr. 156074 des Kameraden Friedrich Schlicht, (24a) Hamburg 11, Dovenfleet 36. Diese Beträge sollen zur Deckung von Unkosten, vor allem aber auch zur Reiseermöglichung unbemittelter Kameraden dienen. Wenn 1952 etwa 300 Kameraden erschienen waren, so müsste es möglich sein, im Oktober 1953 wenigstens 1000 zu sammeln mit dem gleichen Ziel: erfolgreiche Förderung der Suchaktion nach Vermissten, Arbeitsbeschaffung für stellungslose Kameraden, Pflege der alterprobten Kameradschaft. Hans Leinveber, (22b), Ludwigshafen-Rh.Oggersheim, Klosterweg 2a

 

 

Seite 6   Donnernd brausten Bronzekufen über das Eis. Von W. Freiherr v. Ungern-Sternberg, Kiel

In Ostpreußen liegt ein Gewässer, das in der Zeit, da Baumeister Frost die blauen Augen Masurens in spiegelnde Eisflächen verwandelt, zur Kampfstätte eines einzigartigen sportlichen Wettbewerbes wurde: des Eissegelns! Auf dem stillen Schwenzait-See bei Angerburg trat dann frohes, pulsierendes, echt nordische Leben ein. Aus allen Richtungen, von nah und fern, kamen sie. um am Steuer ihrer rasend dahinschießenden dreikufigen Yacht, im steifen Winde und schneidender Kälte den Lorbeer zu gewinnen, der dem Sieger winkte.

Das Eissegeln ist, der schnellste motorlose Sport und dazu der männlichste, der auf Erden in Erscheinung trat, sind doch schon Eisyachten mit über 140 Stundenkilometern Fahrt gestoppt worden! - Bei solch einem Rasen über die starre, blinkende Fläche wird ja an die Nerven das Höchstmaß an Anspannung gestellt, denn blitzschnelles Handeln, hoher Mut und Einsatz der ganzen Person sind Vorbedingung zum Erfolge. Dieser Sport ist, bezüglich der in ihm liegenden Gefahren, nur mit dem Bobfahren zu vergleichen; aber die Rennbahnen der Eisyachten sind keine künstlich gebauten und hier waren es die weiten, gefrorenen Seen Masurens und die Männer hatten auch den Kampf gegen alle Schwierigkeiten des Geländes und der Witterung aufzunehmen. Gleich dem Wassersegeln wurde der vollste Einsatz von Körper und Geist sowie ein kühler Kopf verlangt. Bei diesem geht der Wettkampf nach festen Regeln vor sich, beim Eissegeln jedoch sind außerdem unvorhergesehene Rechenaufgaben im Hundertkilometertempo zu lösen! –

Im Februar 1939 ging auf dem Schwenzait-See das größte Rennen vonstatten, das Europa bis dahin gesehen hatte. Es war die 10. deutsche Eissegelwoche, verbunden mit den deutschen Meisterschaftsringen. Es wurde die Meisterschaft der Konstruktion in der freien 15 qm-Klasse und die Meisterschaft des Führenkönnens in der internationalen Eintypklasse, in der alle Yachten gleich waren, ausgetragen. Hierbei entschied nur das Können der aus Steuer- und Schotmann bestehenden Mannschaft. 48 Fahrzeuge lagen im Rennen. Bald neben, bald hintereinander, in ständigen Positionskämpfen, oft in gefährlichster Nähe am Wendepunkte. Dreimal ging es in Dreieckskurs von je 5 km, in sausender Fahrt, wobei die Kufen der Windseite sich durch den gewaltigen Druck im Segel hoch in die Luft erhoben. Nur die Geschicklichkeit der Fahrer verhindert ein Kentern mit all seinen üblen Folgen.

Außer den Meisterklassen starteten 27 Yachten der 12 qm-Klasse. Ferner wurden in zwei Klassen die Mannschaftswettbewerbe ausgetragen Endlich kamen auch die „Piraten" zu ihrem Recht. Das waren jene ostpreußischen Jungen, die ihre Schlitten selbst gebaut und seit Jahren dazu gehört hatten. Sie, die sozusagen schon mit dem richtigen Instinkt für das Eissegeln das Licht der Welt erblickt hatten, bildeten den hoffnungsvollen Nachwuchs dieses Sports.

Die messerscharfen Kufen schnitten tausendfach das Eis. Auf der herrlich gelegenen Jägerhöhe wurden die Mengen der Zuschauer so von dem flutenden Licht, welches der See zurückstrahlte geblendet, das sie mit ungeschützten Augen kaum diese eigenartige Kampfarena mit den hinreißenden, in atemloser Spannung verfolgten Phasen des Ringens verfolgen konnten.

Die deutsche Meisterschaft der Führer gewann der Königsberger Tidick mit seinem „Spuk", während Tepper-Angerburg deutscher Meister in der Klasse der Konstruktion wurde. –

Nun liegt der Schwenzait-See, wie alle Masurischen Gewässer, verlassen da. Nur der Wind und der von ihm getriebene Schnee singen dort ihre eintönigen, klagenden Lieder über das entschwundene wagemutige Treiben deutscher Männer und Jünglinge. - Uns blieb nur die Erinnerung.

 

Seite 6   Präsident Kühne bestätigt

Der vom Kabinett zum Präsidenten des Bundesausgleichamtes ernannte Ministerialdirigent im Bundesfinanzministerium Dr. Kühne, wurde vom Bundesrat ohne Diskussion bestätigt.

 

Seite 7   Bildhauerkunst in Ostpreußen. Aufn.: Pohle

Der aus dem Jahre 1606 stammende Altaraufsatz stand in der alten Altstädtischen Kirche, die im Jahre 1826 auf dem Kaiser-Wilhelmplatz abgerissen wurde. Später wurde der Altar in der neuen Altstädtischen Kirche an der Poststraße wiederaufgestellt. Die herrlichen Holzschnitzereien wurden durch Bemalung und reiche Vergoldung zu einzigartiger Wirkung gebracht.

Bildstreifen unten: Pregelpartien zwischen Lutherkirche und Dom

 

 

Seite 7   Erinnerungen an die Zimmermannschule. Von Otto Stange, Berlin

Foto: Rektor Jährling

Im Herbst 1906 kam ich zur Schule. Es war die Städt. 5. Knaben-Volksschule auf dem Haberberg. Das rote Haus Oberhaberberg 18 sah nicht anders aus als die Nachbarhäuser in der Haberberger Schulstraße und die zahlreichen Kasernen, die zwischen dem Brandenburger Tor und dem Friedländer Tor auf dem Haberberg anzutreffen waren. 1914 wurden die Schulklassen nach den Baracken Neue Dammgasse 35/36 umquartiert und noch in den Jahren des ersten Weltkrieges wurde an der Ecke Oberhaberberg / Haberberger Schulstraße ein Umbau der alten Schule fertig mit neuzeitlichen Einrichtungen, hellen und freundlichen ausreichenden Räumen für die immer größer werdenden folgenden Jahrgänge der 5. Knaben-Volksschule. Auf dem Schulhof zwischen den Nachbargebäuden wurde eine Doppelturnhalle im Neubau errichtet.

Ich erinnere mich gern der Lehrer, die an unserer Schule tätig und im besten Sinne der Worte Erzieher und Kameraden waren. In ihrer strengen Art erkannten wir den Begriff einer Lebensordnung, die noch aus der Gesinnung und dem Geist vorangegangener Jahrzehnte geprägt war. Mit dem Rektor Arthur Jährling, geb. 21.09.1863, gest. 17.07.1941, verband mich über die Schulentlassung hinaus ein herzliches Treueverhältnis und der Schriftwechsel über Raum und Zeit bis zu seinem Ableben. Von ihm stammt auch der historische Rückblick auf ein Jahrhundert des Weges unserer Schule, der in mühevoller Arbeit nach dem Studium des Stadtarchivs aufgezeichnet wurde. Er war der Inhalt des Festvortrages aus Anlass der Jahrhundertfeier im Jahre 1919. Ich habe ihn damals in Schreibmaschinenschrift angefertigt und auch eine Durchschrift aufbewahrt, die nun als die einzige Niederschrift auch im Jahre 1945 verloren ging.

Die 5. Knaben-Volksschule war nach den Urkunden eine kirchliche Stiftung eines wohlhabenden Königsberger Bürgers, namens Zimmermann. Nach ihrem Stifter wurde die 5. Knaben-Volksschule in Zimmermann-Schule umbenannt. Sie war zugleich die Stammschule aller Haberberger Schulen. Sie wurde errichtet, um jungen Studenten und Geistlichen der evangelischen Pfarrkirche auf dem Haberberg Gelegenheit zu geben, Unterricht zu erteilen. Die Schüler haben wohl auch bei kirchlichen Veranstaltungen mitgewirkt. Zeitweise war die Schule wegen geringer Beteiligung und aus Mangel an Geld geschlossen. Im Laufe späterer Jahre, wurde ein kostenfreier Unterricht für weniger bemittelte Kinder und ein bezahlter Unterricht für die Kinder wohlhabender Eltern, eingeführt. Aus den sich wiederholenden Aufteilungen der Schülergruppen entstanden weitere Schulen auf dem Haberberg und auch die Mittelschule auf dem Alten Garten. Nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurden sie städtische Schulen.

Rektor Jährling war ein begeisterungsfähiger Turnlehrer. (Er gehörte unter anderen dem „Königsberger Turnlehrer-Verein" an und als Gründer dem „Königsberger Männergesangverein", der ihn später in seinem Ruhestand zum Ordner wählte.) Turnen und Singen (unter Leitung des Lehrers Bohn, Organist an der Lutherkirche auf dem Viehmarkt) waren unsere Lieblingsfächer. Auf dem Gebiet der Leibesübungen hatte die Schule einen Vorrang. Auch eine 4-tägige Schulwanderung mit mehreren Lehrern zu Beginn der Sommerferien 1913 in die Umgebung des Stablack im Kreise Pr. Eylau und nach Creuzburg haben wir nicht vergessen. Als im gleichen Jahre die Vorbereitungen für den Festtag des 15. Juni (25-Jahrfeier aus Anlass des Regierungsantritts Kaiser Wilhelm II.) getroffen wurden, stellte unsere Schule drei Vorturner für das Einüben der damals allgemein bekannten „Leipziger Freiübungen", die bei dem Leipziger Turnfest der DT gezeigt wurden. Meine Schulkameraden Elf und Glaser und ich wanderten so etwa ein halbes Jahr von einer Turnstunde der Nachbarschulen zur anderen. Wir hatten nur noch die 10 mal 8 Takte der Leipziger Freiübungen im Kopf. Als der große Festtag stattfand, kletterten wir auf einen 3 Meter hohen Vorturnerstand auf dem Spielplatz vor dem Friedländer Tor. Die Massenvorführung „unserer" Freiübungen wurden ein festliches Ereignis.

Eine andere schöne Erinnerung möchte ich an dieser Stelle noch festhalten. Im Sommer 1912 war es, als das Kasperle-Theater bei uns Jungen groß im Zuge war. Wir hatten selbsthergestellte Puppenköpfe, die auch „getauscht" wurden. Und eines Tages kam das Kasperlespiel auch in die Schule. Nicht etwa von Amts wegen! Wir hatten Gelegenheit, an einem Wochentag nachmittags in den Schulräumen unsere Schularbeiten zu machen. Es war gerade ein Aufsatz dran, der aus dem Schmierheft ins „Reine" übertragen werden sollte. Wie ein unsichtbarer Gedanke verbreitete sich an diesem Tage die Abrede, unsere Puppenköpfe und auch eine Kasperlebühne mitzubringen. Um 3 Uhr nachmittags ging es los mit einer Spielbegeisterung, die uns den eigentlichen Zweck der Zusammenkunft vergessen ließ. Um 6 Uhr klopfte es an der Klassentüre. Wir hatten sie sicherheitshalber und eingedenk unseres unerlaubten Vorhabens, von innen geschlossen. Sofort wurde uns der Ernst der Stunde bewusst. Da wir uns natürlich nicht meldeten, musste der Hausmeister annehmen, dass wir mit unseren Arbeiten schon lange fertig waren. Wir aber bekamen es mit der Angst zu tun und schrieben nun in einer halben Stunde den Aufsatz ins „Reine". Die Abrechnung erfolgte 8 Tage später bei der Rückgabe der Aufsatzhefte durch den Klassenlehrer. Für die Handschriften waren nur die Noten „mangelhaft" und „ungenügend" vermerkt. Das war für unsern Lehrer ein Rätsel und für uns - ein großes Geheimnis. Wir bekamen durchweg den Rohrstock zu kosten. Keiner verriet die Ursache der „unglaublichsten" Handschriften. Einige Jahre später, bei der Geburtstagskaffeetafel des Rektors, habe ich dann im Einverständnis mit meinen Klassenkameraden das Geheimnis preisgegeben . . .

Schon 1911 gründete Rektor Jährling an seiner Schule einen Jugendklub, dem auch ältere ehemalige Schüler angehörten. Er war Mitglied des „Jungdeutschlandbundes" und nahm auch an dem großen Treffen des Bundes 1912 auf dem Galtgarben teil. 1915 traten die Älteren geschlossen in die staatl. „9. Jugendkompanie". Rektor Jährling wurde unser Kompanieführer. Das Res.-Infanterie-Regiment Nr. 3 übernahm die Patenschaft und stellte Offiziere und Unteroffiziere für die vormilitärische Ausbildung der Jugend. 1919 wurden die Jugendkompanien aufgelöst. Wir gründeten auf Anregung von Rektor Jährling den „Verein der Jugendfreunde". Die Zimmermannschule und ihr Lehrerkollegium blieben uns verbunden. Rektor Jährling übergab mir die Leitung des Vereins. Er wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Dem an Lebensjahren ältesten Jugendfreund, Oberbahnhofsvorsteher i. R. Rechnungsrat August Hahn, geb. 23.12.1846, wurde als ehemaliger Schüler die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Viele Väter ehemaliger Schüler traten dem Verein bei. Das rege turnerische Leben, die Heimabende im Jugendheim der Schule, die Musik- und Gesangübungsabende, Wanderungen, Besichtigungen und Ausflüge vereinten allwöchentlich an mehreren Abenden und sonntags mehr als 100 junge Menschen. Wir beteiligten uns wie einst der Jugendklub an den Rundenspielen im Schlagball, an Staffelläufen, Wettkämpfen und turnerischen sowie festlichen Jugendveranstaltungen, u. a. auch oft im Städt. Jugendheim auf dem Sackheim. Unseren Eltern und zahlreichen Freunden auf dem Haberberg boten wir zwei Mal im Jahre einen „Fröhlichen Abend" in der Doppelturnhalle und im Saal des Tragheimer Gemeindehauses. Aus dieser Vereinigung ehemaliger Zimmermann-Schüler ist später der „Verein für Leibesübungen" hervorgegangen.

Als Rektor Arthur Jährling schon im wohlverdienten Ruhestand lebte, erhielt ich 1931 einen Brief von ihm aus dem Baubüro der Kreuzkirche. Als tätiges Gemeinderatsmitglied hat er sich auch um den Neubau dieser Kirche auf der Plantage verdient gemacht. 1936 ist er nach Allenau bei Friedland und später vor Beginn des zweiten Weltkrieges nach Rastenburg Ostpreußen umgesiedelt. Alterserkrankungen warfen ihn oft auf das Krankenlager. 1940 erreichte ihn durch mich die Mitteilung von dem Heldentod unseres Gustav Petrusch, der als Oberleutnant und Kompaniechef einer schweren Verwundung erlag. Im Folgenden Jahre nahmen seine Kräfte weiter ab, eine hinzutretende Lungenentzündung konnte er nicht mehr überwinden. In gottesgläubiger Ergebenheit und in der Gesinnung wahrhafter Vaterlandsliebe ist er im Juli 1941 verschieden und auf einem Erbbegräbnisplatz in Buddern Kreis Angerburg beigesetzt.

In den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges war die Zimmermann-Schule Wehrmachtsheim. Die Schulklassen waren auf Räume der Haberberger Nachbarschulen verteilt. Zum 125. Jahrestag der Gründung sandte ich der Schule einen Festgruß und als Gabe eine Sammlung von Not- und Erinnerungsscheinen aus dem Abstimmungsjähr 1920. Der Schulleiter war sehr verwundert. Er war wohl auch nach wiederholtem Wechsel erst kurze Zeit im Amt und hatte noch keine Kenntnis von der altehrwürdigen Geschichte unserer Schule. Und wenige Monate darauf teilte unsere Zimmermann-Schule auf dem Haberberg das grausame Schicksal ihrer Stadt Königsberg Pr. und der ostpreußischen Heimat.

 

 

Seite 8   An alle Burgschüler!

Gelegentlich der Durchreise des Studienrats Jopski zur Olympiade nach Helsinki trafen sich in Hamburg ehemalige Burgschüler. Sie beschlossen, die Tradition der Burgschule, die in 6 Jahren auf ihr 300-jähriges Bestehen zurückblicken würde, zu pflegen. Zu diesem Zwecke wurde in Hamburg, z. T. nach Unterlagen von Oberstudienrat Lange, eine Kartei ehemaliger Schüler und Lehrer errichtet, die nun ca. 570 Namen erfasst. Zugleich bemüht man sich um die Errichtung eines Archivs und die Zusammenstellung einer Chronik der Burgschule. Es sollen auch jährliche Treffen stattfinden.

Das Echo auf den ersten Aufruf war bereits erfreulich. Eine erhebliche Zahl von Fotografien ist zur Reproduktion zur Verfügung gestellt worden, so eine Innen- und mehrere Außenaufnahmen der Schule, je ein Bild des Lehrerkollegiums aus den Jahren 1934, 1924 und 1905, des Abiturientenjahrganges 1938 (0I) (Bewer, Staats, Hundsdörfer, Thomasius, Wormit, Bojahr, v. Roenne, Dujat u. a.), ein solches der 5 a (September 1938) mit Klassenleiter Schumann, zwei Aufnahmen von Dr. Schulz und je eine von Dir. Mirisch und Studienrat Grohnert, Weitere Bilder der Quinta 1938/39 (Hellmuth Schulz u. a.), der Abiturienten der Oberrealschule 1932 sind angekündigt. Alle Bilder können gegen Voreinsendung von DM 1,-- von stud. rer. pol. Erich Böhm, Hamburg 26, Ritterstr. 126 bezogen werden (Postscheckkonto: Erich Böhm, Hamburg 692 51).

So erfreulich das schon Erreichte ist, so wird doch um regere Mitarbeit aller ehem. Angehörigen der Schule gebeten. Zur Vervollständigung der Kartei ist jeder Name und jede Anschrift, für die Zusammenstellung der Chronik jede Episode, für die Errichtung des Archivs jedes Bild- und Urkundenmaterial notwendig. Es wird auch um Zusendung von Klassenlisten gebeten, auch wenn der heutige Wohnsitz der Aufgeführten nicht bekannt ist. Ohne Mitarbeit weitester Kreise kann das gesteckte Ziel nicht erreicht werden. Verschiedentlich wurde die Frage an uns gerichtet, ob wir nicht einen Beitragssatz erheben wollten. Dies soll nicht sein, doch steht es jedem frei, bei der Bestellung von Bildern den erforderlichen Betrag nach eigenem Ermessen zu überschreiten.

Von dem angekündigten Treffen 1952 wurde abgesehen, da sich unsere Arbeit noch zu sehr in Fluss befindet und bisher zu wenig Ergebnisse vorlagen. Das erste Treffen soll in diesem Jahre stattfinden. Es soll versucht werden, hierfür auch eine Reihe von Damen und Herren des ehem. Kollegiums zu gewinnen. - Bis dahin wird um rege Mitarbeit aller gebeten.

 

 

Seite 8   Erich Reichel erzählt: Von unseren Rathäusern. Die Wappensammlung im Altstädtischen Ratskeller.

Die Rathäuser bildeten wie in vielen Städten des Reiches, so auch in unsere. Heimat zumeist den Mittelpunkt der ganzen Stadt. Ihr Rang wurde ihnen nur dort streitig gemacht, wo eine Burg, ein Schloss oder eine Kirche sich über das Dächergewirr erhoben. Weil aber das alte Ordens-Herzogs- und Königsschloss das unbestritten hervorragendste Bauwerk unserer Vaterstadt war, wie auch der Dom, so hatte die Provinzhauptstadt nur ein bescheidenes Rathaus, das mit denen etwa in Danzig oder Thorn keinen Vergleich aushielt. Das hatte aber tiefere Gründe. Die Ordensburg Königsberg wurde anno 1255 errichtet. Unter ihrem Schutze entstand nicht eine Stadt, sondern eine Gruppe von drei Ansiedlungen, von denen die älteste unter dem Namen „Altstadt" im Jahre 1286, der „Löbenicht" im Jahre 1300 und der „Kneiphof" im Jahre 1327 mit Stadtrechten beliehen wurden. Vierhundert Jahre hindurch haben diese drei Städte schlecht und recht nebeneinander bestanden, bis sie im Jahre 1724 durch eine Kabinettsorder vom 13. Juni durch König Friedrich Wilhelm I. zu der einheitlichen „Stadt Königsberg" verschmolzen wurden. Königsberg hatte damit nicht nur ein Rathaus, sondern deren gleich drei auf einmal.

Von diesen Rathäusern muss das „Kneiphöfische" zuerst erwähnt werden. Anno 1695 - 97 erbaut, erhielt es seinen Treppenvorbau zu Anfang des 18. Jahrhunderts und in der Zeit kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde es in seinen Innenräumen wiederhergestellt. Diese Räume dienten vornehmlich Repräsentationszwecken. (Die Stadtverwaltung war im Stadthaus untergebracht.) Die Fassade des genannten Rathauses wird jeder Königsberger kennen. An der linken Treppenseite war ein eiserner Halsring befestigt, der einstmals Straffälligen um den Hals gelegt wurde, die eine derartige Anprangerung „verdient" hatten.

Der Aufgang zu den Repräsentationsräumen, unter anderem zum „Empfangszimmer des Oberbürgermeisters", trug zu beiden Seiten wertvolle Holzbildhauerarbeiten, an den Wänden hingen lebensgroße Gemälde der Könige Preußens. Der dem „Oberbürgermeisterzimmer" gegenüberliegende Saal galt mit seiner Stuckdecke als besondere Sehenswürdigkeit.

Das „Löbenichtsche Rathaus" trat kaum in Erscheinung. Es diente in der Neuzeit dem Verlagsunternehmen der „Königsberger Hartungschen Zeitung" und des „Königsberger Tageblatts". War das etwas abseits auf der Kneiphofinsel liegende Rathaus auch den Königsbergern wohl bekannt, beherbergte es doch in seinen Räumen das Stadtmuseum mit dem Kantzimmer und vielen anderen Sehenswürdigkeiten, so stand das „Altstädtische Rathaus“auf dem „Altstädtischen Markt" im besonderen Blickfeld aller Königsberger.

Wer erinnert sich nicht dieses Marktplatzes, der in den Zeiten der Vergangenheit neben dem Roßgärter Markt die Hauptrolle spielte. Der „Neue Markt", der „Heumarkt", der „Viehmarkt" verloren in neuester Zeit an Bedeutung. Lediglich der „Altstädtische Markt" und die berühmte „Fischbrücke" behielten ihren „Wert". „Königsberger Handelsfrauen" haben „Weltruf". Da war wohl die „Schneidersche" die berühmteste am Roßgärter Markt. Ob sich die „Pohlmannsche" mit dem Mundwerk der ersteren messen konnte, bleibt dahingestellt. Eilt der Blick in die Vergangenheit, dann sieht man die mehr oder weniger dicken Handelsfrauen vor ihren Körben und im Winter über ihren Kohlentöpfen sitzen und mit „wohllautender" Stimme ihre Waren, ihre Obst- und Gemüsesorten anbieten. Wehe den jungen „Madammkes", die den „Achtehalber" zu teuer fanden! –

Doch vergessen wir darüber nicht das Rathaus. Es stand würdevoll in einer Umgebung, die noch keine Warenhäuser kannte. Bis zum ersten Weltkrieg beherbergten die oberen Räume die damalige Handelshochschule sowie Kunstwerke aus städtischem Besitz, und - eine Zeitlang die Standesämter. Zu besonderer Bedeutung kern das „Altstädtische Rathaus" als der Inhaber der alten und angesehenen Weinhandlung Czygan Nachfolger, der Weinhändler Herrmann Backhaus, die Kellerräume von der Stadt übernahm und in ihnen den schon früher in Betrieb gewesenen Ratskeller zu neuer Blüte und Ansehen brachte.

Die mehrere hundert Jahre alten Kellerräume wurden erneuert, ein größeres altes Fass (allerdings nicht zu vergleichen mit denjenigen des ehrwürdigen und weit berühmten Blutgerichts) wurde in der Nähe des Einganges aufgestellt. In einem Nebenraum wurde ein bis dahin in Königsberg und Ostpreußen unbekanntes „Wappenzimmer" eingerichtet. Ein Freund des Hauses Backhaus stellte den größten Teil seiner Wappensammlung zur Verfügung, vornehmlich Wappen der deutschen Bundesstaaten, der Königreiche, Großherzogtümer, Herzogtümer und Fürstentümer, sowie der freien Städte, gleichmäßig gerahmt in Schwarz und Gold. Hinzu kamen später die Wappen der Provinzen Preußens, die von den Landeshauptleuten freundlicher Weise zur Verfügung gestellt worden waren. Dass auch eine verhältnismäßig große Anzahl ostpreußischer und reichsdeutscher Städte vertreten waren, dass ferner Familien ebenfalls ihre Wappen stellten, lag darin begründet, dass die Sammlung sich steigender Anerkennung erfreute. Der „Verein für Familien- und Wappenkunde" hielt in dem Wappenzimmer seine Sitzungen ab, wie denn auch gerade in diesem Raum des Ratskellers kleinere Gesellschaften oft und gern tagten, so auch ein Stammtisch unter Führung eines alten Kapitäns zur See, dessen Adjutant (sozusagen!) der ältere Haudegen Major der „Heiligen Barbara" Österreich war. Das Wappenzimmer wurde schließlich eine kleine „Sehenswürdigkeit" unserer Vaterstadt.

Ja - man saß gut in den Räumen des Ratskellers. Ratskellerplatten (zu einer Mark), „Ratslertöpfe" (1,50) gab es und dazu einen „Backhaus", Oppenheimer Krötenbrunnen oder „Sackträger".

Der alte Backhaus ist tot, seine Familie ausgestorben und das Gästebuch des Hauses verbrannte im Feuersturm eines Luftangriffes. Der alte „Ritter der Heiligen Barbara" hatte einmal in dieses Gästebuch eingetragen:

„Ein Fechter, ein echter, rauft nicht.

Ein Trinker, ein echter, sauft nicht!" –

So sollten wir es heute in der Fremde weiterhalten . . .

 

 

Seite 8   Königsberger Suchdienst

Gesucht werden folgende vermisste Königsberger:

1.     Altenberg, Alma, geb. 25.10.1889. früher Liep, Bozener Weg, gesucht von ihrer Schwester;

2.     Bergau, Rudolf, geb. 01.03.1896, Fleischermeister, früher Hindenburgstraße 46, gesucht von seinem Bruder;  

3.     Blaasch, Heinz, geb. 25.01.1921. früher Sackheim. Mittelstraße, gesucht von seinem Vater;

4.     Dagott, Franz, geb. 31.12.1866. Rentner, früher, Weidendamm 43;  

5.     Gleick, Albert, geb. 27.04.1889. früher Rothenstein, Amselweg. gesucht von seinem Sohn;

6.     Goltz, Willy, geb. 27.05.1880. Stadtbauoberinspektor, seit April 1945 verschollen, gesucht von seiner Ehefrau;  

7.     Hellwig, Hertha, geb. 27.08.1878, Rentenempfängerin, früher Reichardtstraße 3. seit Februar 1945 vermisst, gesucht von ihrem Sohn;  

8.     Hendewerk, Georg, geb. 10.07.1887, gesucht von seinem Bruder; 9.

9.     Jakubeit, Willi, geb. 14.12.1897, Kaufmann, früher Sackheim, gesucht von seiner Schwester;

10.  Klein, Günther, geb. 17.12.1934. früher Yorkstraße 28, im März 1946 ins Waisenhaus gegeben, gesucht von seinem Vater;

11.  Knuth, Kurt, geb. 06.02.1898, Maschinenschlosser, früher Straße der SA 19 und Sprindgasse 7, seit 28.01.1945 vermisst, gesucht von Ehefrau und Sohn;  

12.  Korsch, Anna, geb. 06.09.1876. Hebamme im Ruhestand, früher Tragh.. Kirchenstraße 9, vermisst seit 06.02.1945, letzte Meldung aus Danzig-Neufahrwasser, Friedrichallee 6 (oder Friedrichwalder Allee 6);

13.  Loewedanz, Ernst, geb. 15.04.1888, Steinschläger und Steinsetzer, früher Besselstr. 17, gesucht von seiner Ehefrau;

14.  Lorek, Eva, geb. 11.08.1902. früher Mitteltragheim 37 und Walterstraße 7;  

15.  Lutter, Franz, geb. 08.04.1895, früher Vorstadt Langgasse 67, vermisst seit 08.02.1945, gesucht von seiner Ehefrau;  

16.  Dr. Maatz, Albrecht, Oberlandesgerichtsrat, früher Wartenburgstraße 16. seit der Kapitulation vermisst (war schwer verwundet), gesucht von seiner Ehefrau;  

17.  Pawlowski, Paul, geb. 10.08.1892. Schneidermeister beim Heeresbekleidungsamt Rothenstein, seit 04.01.1945 vermisst, gesucht von seiner Ehefrau;

18.  Penkwitt, Otto, geb. 07.12.1894. Lagerverwalter bei Lange & Meyer. Lastadie. früher Artilleriestraße 12, seit 1945 vermisst, gesucht von seiner Ehefrau;  

19.  Pokirn, Hermann, geb. 01.07.1885, Oberlokomotivführer, früher Turnerstraße 6. vermisst seit 20.04.1945, gesucht von Ehefrau und Tochter;  

20.  Rettig (oder Rettich) Ernst, früher Dinterstraße 1;  

21.  Rieck, Max, geb. 06.09.1905, früher Rothenstein-Reiherweg 38, vermisst seit Januar 1945, gesucht von seiner Ehefrau;  

22.  Scherhans, Ewald, geb. 12.02.1910, Arbeiter beim Stadt. Gartenamt. vermisst seit Dezember 1944, gesucht von seiner Ehefrau;

23.  Schönke, Hermann, früher im Außendienst des KWS tätig, Ratshof, Kaporner Straße 21 a, vermisst seit Weihnachten 1946, gesucht von seinem Sohn;

24.  Wermke, Erna, geb. 23.01.1920. früher Siedlung Abbau Lauth, wird gesucht von ihrem Schwager;  

25.  Werner, Emil, geb. 28.01.1900 oder 1901, früher Holzstraße 10/12, gesucht von August Rehberg;

26.  Wiese, Erna, früher Friedländer Straße 4, soll nach dem Ural verschleppt worden sein, gesucht von ihrem Ehemann;

27.  Winter, Margarete, früher Unterhaberberg 12 a, gesucht von ihrem Bruder;  

28.  Wolff, Paul, früher Mischner Weg 10/11;  

29.  Wunder, Günter, geb. 08.11.1925, früher Friedemannstraße 20, in Russland vermisst, gesucht von seinem Vater;

Auskünfte und Hinweise erbittet die Stadt Duisburg, Auskunftstelle Königsberg (Pr.).

 

Seite 8   Landsleute, bitte herhören!

Wir wünschen an dieser Stelle allen Arbeitskameradinnen- und Kameraden ein gesundes und gesegnetes Neues Jahr. Gleichzeitig danken wir allen Landsleuten für die frohen Wünsche zum Weihnachtsfeste. Es ist uns unmöglich, jedem einzelnen persönlich zu danken, um nicht unsere Portokasse zu gefährden. Über so viel Verbundenheit zur Anschriftensammelstelle haben wir uns doch gefreut.

Nachdem das Jahr 1953 begonnen hat, ist es notwendig, schon heute auf unser 5. Magistratstreffen in Duisburg hinzuweisen, damit jeder sein Vorhaben daran teilzunehmen, auch richtig vorbereiten kann. Unser Sondertreffen wird mit dem 2. Königsberger Treffen in Duisburg verbunden. Voraussichtlich findet dieses in den Sommerferien statt, damit mehr Schulen für Massenquartiere zur Verfügung stehen. Das Tagungslokal und den Tag des 2. Königsberger Treffens wird uns die Patenstelle Kbg.-Pr. in Duisburg rechtzeitig bekanntgeben. Wir treffen uns bereits am Vorabend, 18 Uhr, in unserem Lokal, d. h. alle diejenigen, die bereits am Samstag eintreffen und ihre Einkäufe getätigt haben, begeben sich dorthin, wo dann am Sonntag, 15 Uhr, unser eigentliches Sondertreffen stattfindet. Am Montag 9 Uhr wird der Besuch des Duisburger Zoos und Aquariums durchgeführt. Nachmittags bei schönem Wetter, allgemeiner Hafenrundgang. Abends gemeinsamer Kino- oder Theaterbesuch. Zur Ausgestaltung unseres Sondertreffens am Sonntagabend werden ehrenamtlich Vortragskünstler aus unseren Reihen gesucht. Wer von uns stellt die gewünschte Kapelle? Zum Druck gemeinsam gesungener Lieder werden jetzt schon entsprechende Texte entgegengenommen. Wer diese zusammenstellen will, der melde sich! All diese Vorbereitungen erfordern Zeit! Erwünscht ist, dass jeder seine Teilnahme an diesem Treffen anzeigt. Gewünscht ist diesmal das Zusammensein mit den Arbeitskameradinnen und -Arbeitskameraden der K. W. S. usw. Ansonsten treffen sich ab Montag und Dienstag alle Landsleute 18 Uhr immer in unserem Sondertagungslokal. Und nun auf zum 5. Sondertreffen und 2. Königsberger Massentreffen nach Duisburg. Vergessen Sie bitte nicht, ihren Freunden und Bekannten schon heute klarzumachen, dass die Patenstadt Duisburg uns 1953 erwartet.

Auf unsere Bitte hin. uns ein Foto des verstorbenen Arbeitskameraden Stadtamtmann Paul Schulz zu übermitteln, ist bis jetzt niemand nachgekommen. Wert wird vor allem auf die Aufnahme des Nachmittagsausfluges des Ernährungsamtes (St. Amt 17) gelegt. Arbeitskameradinnen und -Kameraden sucht doch bitte einmal in Euren Bilderkästen nach diesem Bilde. Ein oder der andere Kamerad muss doch ein solches herübergerettet haben. Auf Wunsch wird diese Aufnahme zurückgereicht. Erfüllt diesen sehnlichsten Wunsch der Witwe des Verstorbenen!

Ein großer Teil unserer Gefolgschaftsmitglieder hat noch nicht Ihre Anschrift nach hier und in Duisburg mitgeteilt. Wie oft müssen die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Anschriftensammelstelle auf Anfrage der einzelnen Regierungen die Antwort erteilen: „… betreffender Arbeitskamerad hat sich hier nicht gemeldet". Wir wollen doch nur helfen, soweit es in unseren Kräften steht. All den vielen Anfragenden zur Kenntnis, dass die Königsberger Notgemeinschaft vorerst noch nicht von unserer Patenstelle in Duisburg ins Leben gerufen worden ist. Das „Wie" und „Aber" soll noch geklärt werden.

Mit Bedauern haben wir festgestellt, dass man die für Weihnachten in Aussicht gestellten ausländischen Sachspenden an arme Königsberger nicht in Angriff genommen hat. um wenigstens etwas Not zu lindern. Die Dankbarkeit armer, kranker Arbeitskameraden in der Ostzone, würde bei der Betreuung anderer armer Königsberger genauso zum Ausdruck kommen, wie wir es mit Genugtuung erfahren durften. Wir bitten all die ehrenamtlichen Helfer, die sich für einen Ortsgruppenwerbeleiterposten bereit erklärt haben, noch Geduld zu haben, bis eine endgültige Lösung getroffen worden ist. Unsere nächste Ausschussmitgliederzusammenkunft findet in Siegen statt. Besondere Einladungen dazu werden rechtzeitig versandt. Niemand darf diesmal fehlen. Gemeinsame Fahrt nach Freudenberg/Siegerland ist vorgesehen.

Und nun unser Suchdienst. Wieviel Angehörige leben noch in der Ungewissheit? Fast allen uns angezeigten Suchwegen sind wir nachgegangen. Mit dem Ableben einer großen Anzahl Arbeitskameraden ist insofern zu rechnen, weil verschiedene Transportschiffe untergegangen sind, ohne dass eine Passagierregistrierung vorgenommen worden ist. Nur die Überlebenden solcher untergegangener Schiffe könnten Auskunft geben, soweit sie sich auf den Namen einzelner besinnen könnten. Viele fehlen von uns und doch klärt sich so oft manch schwieriger Suchfall. Wir bringen die Namen der Gesuchten immer wieder zur Veröffentlichung und wie dankbar sind wir den Landsleuten für jeden Hinweis.

Wertvolle Angaben im verflossenen Monat machten uns:

Kreisoberinspektor Thermann,

Lehrerin Frl. Christel Papendick

Armin Rose.

Hans Detter,

Lehrer Adomeit,

Arbeiter Gudett.

Frieda Laskien

Berta John,

Arthur Krohm,

Heinz Tempeau,

Margarete Bandowski,

Robert Thom,

Alfred Muß,

Charlotte Dombrowsky

Unseren Arbeitskamerad Ernst Braumann bitten wir aufgrund seiner Angaben, um die Anschriften städtischer Arbeiter. Wir suchen die Neuanschrift von Stadtoberinspektor August Langankv (soll nach Düsseldorf verzogen sein).

Wir suchen und wer berichtet?

St. Insp. Rusch.

St. Ob. Insp. Rehberg,

Frau Gertrud Reimann,

Angestellte Rauchwetter (Will.)

St. Sekr. Konrad Rogowski,

St. Ob. Sekr. Julius Rieck.

Verw. d. Altersheim Waldau.

Richard Renner

St. Insp. Bruno Radtke,

Angest. Rieß (St.A. 49).

Bibliothekarin Reger

Emil Reiß (K. W. S.),

Schwester Erna Ricklinkat (St. Kr. Angest.)

Lagerverwalter Wilhelm Radatz (K. W. S.),

Schlosser Reuter (Hafen).

Frau Charlotte Ritter,

Kartograph Karl Rau

Herta Reith (W.A.),

Frau Renner, geb. Kretschmann (W.A.)

Arbeit. Rippke.

Ritter (Hafen),

Arb. Eug. Ruthkowski (Gasanst.)

Vollz. Ob. Sekr. Franz Reimann.

Oberinsp. der Fuhrges. Ramminger und Roßack und Ruhr.

Straßen Hilfsaufseher Roose.

St. Ob. Insp. Seemann

St. Insp. Sarakewitz und Frau.

St. Insp. Karl Sellmer

Frau Spanndöck (St. A. 49),

Obergärtner Erich Sprung.

St. Ob. Insp. Skibitzki.

Brückenwärter Seikowski,

Lehrer Saretzki.

Amtsgehilfe Spitz

St. Insp. Otto Sahm,

Kammermusiker Kurt Sachs und Frau Else

Arbeiter Sabrowski (Hafen).

Lehrer Bruno Singer,

Lehrer Walter Sand.

Verw. Sekr. Oskar Salomon (Straß. Bauamt)

Verw. Lehrling Sobotzki und Eltern,

St. Ob. Insp. Schimmelpfennig,

Stadtrevisor Schmidt,

St. Sekr. Hermann Schwarz,

Speichermeister Karl Schirmacher,

Angest. Schwenteck.

Garteninspektor Schäfer,

Verw. Gehilfe Gustav Schwarzrock (Wi.A.),

Brückenwärter Heinrich Schrade,

Angest. Ellen Schultz,

St. Insp. Alfred Schusterius (gestorben?),

Kranführer Schlemminger (Hafen).

Heizungskontrolleur Horst Schwarz,

Verw. Ob. Insp. Schimke.

St. Insp. Schimmelpfennig,

Telegr. Insp. a. D. Paul Schmolski,

Antonie Schmolski (Schrötterstr. 40),

Schwibbe (Hafen),

Schmischke (Hafen).

Schöttke (Hafen),

Arbeiter Schirmacher (Hafen),

Wilhelm Schmidt (Pumpwerk),

Artur Schmidt (Pumpwerk Ratshof).

St. Insp. Kurt Schröder,

Mag Schulrat Max Schimkat,

Leiterin Helene Schmidtke (Wi. A. Sackh.),

Betr. Ing. Herbert Schneider,

Straßenaufseher Hermann Schlemming,

Lehrerin Frieda Schlemminger (Volksschule Krausallee)

Lehrerin Frieda Schneider,

Angest. Schäfer (Wi. A.).

Meister der Feuerschutzpolizei Schink,

Arbeiter Gustav Sahm.

Gartenarbeiter Kurt Schenk.

Fritz Stange (Druckerei),

Stenotypistin Frau Stolzenberg geb. Lofski,

Witwe Lotte Steffenhagen.

Otto Steinke

Maria Steinbacher (Wi. A.).

Arbeiter Steinhöfer (Hafen).

Steindorf Fürsorgerin Dora Steckel.

Spark. Angest. Hans Stallbaum,

Kutscher Gustav Stiemer (Fuhrges.),

St. Insp. Stenier (Bauamt),

Hochbau Techn. Waldemar Steiner.

Weitere Namen in der nächsten Ausgabe dieses Heimatblattes. Allen Arbeitskameraden wird mit Rücksicht auf unseren Suchdienst zur ehrenamtlichen Pflicht gemacht, dafür zu sorgen dass die Ostpreußen-Warte B von allen Königsbergern gelesen wird. Rückporto ist bei allen Anfragen beizufügen.

Unsere Arbeitskameradin Charlotte Dombrowsky (Personalamt) danken wir an dieser Stelle für die Papierspende. Wahrlich es fiel uns nicht leicht die Bitte um Papier und Briefumschläge auszusprechen. Leider ist der Schriftverkehr gewaltig angestiegen und wir erhalten von niemand eine finanzielle Unterstützung Unsere Arbeit ist eine ehrenamtliche, außerdem dürfen wir persönlich das viele Porto tragen.

Es haben sich gemeldet, resp. deren Adresse ermittelt wurde:

Witwe des Spark. Kassierers Friedr. Albin,

Witwe des Angestellten Walter Braesch,

Angest. Margarete Bandowski (St.A. 17),

Rev. Gärtner Albert Ehlert,

Gartenarbeiter Fritz Großmann,

Gartenarbeiter Herbert Gabriel,

Frau Maria Gawlick (Herderschule),

Karl Hildebrandt (Feuerlöschpolizei),

Angest. Fritz Harder (Hafen),

Angest. Margrit Ködel,

Rektor Fritz Kollwer (Herderschule),

Brandmeister Kurt Klein II

Frau Helene Lachs (Familienunterhalt),

Frau Anna Lange (Fuhrges.),

Witwe des St. Insp. Otto Leppack,

Angest. Otto Neumann,

Angest. Herbert Polesch (Hafen),

wissenschaftl. Lehrerin Christel Papendick,

Witwe des Studienrats Erich Pokar,

Richard Poitschke (Gartenamt)

Witwe d. Maschinenmeist. Robert-Emil Poerschke,

Angest. Otto Rohde (St. A. 17),

St. Insp. Herbert Rahn,

Rektor Dr. Hans Siebert (Fahrenheidschule)

Hausangestellte Erna Schiedler (St. Kr. Anst.),

Gartenarbeiter Robert Thom.

Wer kennt Edwin Borchert, geb. 17.12.1897, seit Februar 1945 beim Volkssturm in Devau (Brauereikeller) Von Borchert fehtl jede Spur. Wer sprach ihn zuletzt und wo blieb er ab?

Anschriftensammelstelle der Königsberger Magistratsbeamten. – Angestellten und –Arbeiter (16) Biedenkopf – Hospitalstraße 1

 

 

Seite 9   Der Zintener Aufruhr 1724 – 1725. Ein Kulturbild aus einer ostpreußischen Kleinstadt zur Zeit des Soldatenkönigs, Friedrich Wilhelm I. Von Heinrich Lenz, Röhrkasten/Bückeburg

Der Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., übte ein strenges Regiment, und jeder wurde zum Gehorchen angehalten. Es musste schon etwas Ungewöhnliches geschehen, um die Volksseele „zum Kochen“ zu bringen. Dazu hatte die Amtstätigkeit des Bürgermeisters Johann Decker (1712 – 1724) reichlich das Ihre beigetragen. 14 Jahre lang hatte er die Bürger, namentlich nach dem großen Brande 1716, schikaniert wo er nur konnte, und selbst mit dem Rat der Stadt, zu dem außer ihm noch der Stadtrichter, der Kämmerer und die beiden Ratsverwandten gehörten, verstand er sich nicht. Die Beschwerden gegen ihn häuften sich zuletzt so sehr, dass er am 7. Februar 1724 noch vor Beendigung einer gegen ihn schwebenden Untersuchung sofort „officio suspendiert" wurde („damit er hinfort nicht weiteren Schaden anrichten könne").

Es war daher nicht verwunderlich, dass die neue Bürgermeisterwahl die gesamte Bürgerschaft auf die Beine brachte denn der König hatte den ostpreußischen Städten das Recht verliehen, sich ihre Magistratsperson selber wählen zu dürfen. Schon bei der letzten Besetzung des Stadtrichteramtes durch Friedrich Reimer waren mancherlei Schwierigkeiten entstanden, so dass R., der sich auch zum Bürgermeisteramt gemeldet hatte, mit keinen allzu großen Sympathien rechnen durfte. Man gedachte aber die Bürgerschaft zu überrumpeln und gab deshalb die Wahl erst eineinhalb Stunden vorher bekannt. Darüber entstand am 9. Juni eine gewaltige Empörung, die recht bedrohliche Formen annahm und fast in einen allgemeinen Aufruhr ausartete. Eine exemplarische Bestrafung (pro publico) schien daher am Platze. Der König ließ sich Bericht erstatten, befahl die Sache auf der Stelle zu untersuchen, „die Rädelsführer gleich beim Kopfe zu nehmen und unter sicherem Gewahrsam zur dortigen Fronfeste zu bringen". Der Advokat Fisci als Mandatarius ließ darauf die Hauptbeteiligten, den Schmied Daniel Isenheim, den Kürschner Christoph Laudien und den Krüger Daniel Bartsch in das Corps de Guarde (Schilderhaus) stecken, weil sie in den Bürgerturm auf dem Tor nicht füglich konnten gebracht werden, und am 17. Juli wurden sie durch den Balgaschen Amtskämmerer nach der dortigen Schlossfronfeste gebracht. Zinten war damals Garnisonstadt und der hiesige, die Garnison kommandierende Offizier. Kapitain Conrad Grieben, von dem hochlöblichen Finckenstein'schen Rgt. hatte, nachdem der Mandatarius Fisci schon vorausgefahren, den Haupträdelsführer Joh. Bartsch, „so doch sehr gravieret und der sich dem Magistrat gröblich widersetzet", als er sich bei ihm als Soldat gemeldet, zum Soldat angenommen, vor versammelter Mannschaft auf dem Marktplatz schwören lassen. Der neu gewählte Bürgermeister Reimer und der Rat beschwerten sich darüber bei dem Könige, „weil der Kapitain dadurch den Cursum justicial hemmet und sich verbotenermaßen in Polizei- und Justizsachen menget" und bitten, der König möge befehlen, dass der Kapitain ihn losgibt „damit sie vor dem gottvergessenen Menschen gesichert würden, weil keine Magistratsperson des Lebens sicher oder zum wenigsten an Ehren ungekränkt von diesem Desparanten und osotischen Bartsch bleibe". Auch ging ein Bericht von Königsberg an den Bartsch ab. in dem es heißt: „wie es in Zinten fast zur Gewohnheit werden will, dass die Bürger sich daselbst höchst ungebührlich gegen ihre Obrigkeit aufführen und deren Urteil von Abschieden nicht parieren, deshalb auch den gleichmäßig ungebührlichen Bürger Canditt, der schon zu ein Viertel-jährlicher Festungsarbeit verurteilt, zur wirklichen Exekution zu bringen“. Ebenso unterstützte die Regierung das Gesuch des Zintener Rats bei dem Oberst des Regiments v. Billerbeck, Bartsch freizugeben, damit ihm der Prozess gemacht werden könne

Oberst von Billerbeck berichtete dem König, dass er den Kapitain angewiesen habe, Bartsch dem Fisci zur Untersuchung auszuliefern, wegen „des enormen Verbrechens und später ihn dann dem Kapitain zum Dienen auszuliefern. Gleichzeitig bittet er, die Sache nicht an das Hof- und Halsgericht in Königsberg zu verweisen, damit der Prozess nicht solange dauere." Darauf befahl der König, die Sache zu beschleunigen, damit die Leute nicht in ihrer Wirtschaft ruiniert werden möchten. So wurde denn Bartsch an den Finckenstein'schen Auditeur (Militärrichter) nach Königsberg geschickt, und Fisci konnte nun ohne ihn die Untersuchung beginnen. (Es war noch eine Reihe anderer Bürger angeklagt: Michael Neumann, Joh. Stegl, Carl Alkenbrecher. Michael Grütz, Christoph Bauduhn, Chr. Engel, Wedel. David Schirrmacher, Andreas Junghahn, Hans Jakob, Schöning, George Mattern und Joh. Schiel.) Nach der Untersuchung Fiscis erschien aber das Vergehen der zuletzt aufgeführten 14 Bürger in einem milderen Lichte. Das Urteil lautete folgen- (hier fehlt Text).

Nachdem auf den in der Kirche geschehenen Vortrag der das Wort führende Stadtälteste Neumann mit der Gemeinde aus der Kirche auf den Kirchhof gegangen (der Kirchhof lag damals direkt um die Kirche herum) die Stimme der Bürgerschaft eingeholet, auf eine Schreibtafel aufgeschrieben und dem Amtsschreiber (ad protokollum) in die Feder diktiert und hier nächst die anwesende Rats-Membra ihre vota gleichfalls von sich gegeben gehabt, woraus aus dem Protokoll nicht deutlich zu ersehen (d. h. der im Protokoll niedergelegte Rechtsfall), dass die meisten Stimmen auf den gewesenen Stadtrichter Reimer gefallen, und dennoch dieser zum Bürgermeister erkoren, welches dann den denunzierten Tumult veranlasst und Gelegenheit gegeben, dass die meisten Bürger, als der Bürgermeister schwören sollen, mit dem Geschrei: „Wir wollen ihn nicht", aus der Kirche gelaufen, also mögen nach diesen und anderen in Actis vorhandenen Umständen, dass die Inquisiten sich auf ihre vorhin freigestellte Wahl berufen und bei ihrem Rechte zu conservieren gesuchet, dieselben denen Rechten nach als keine Aufrührer und Rebellen angesehen, noch deshalb zu der darauf gesetzten Strafe gezogen werden, sondern sie werden (es folgen obige Namen) soweit entbunden und losgesprochen.

Doch dass letztere, weil sie gegen die Obrigkeit nicht den nötigen Respekt gezeigt, die Unkosten dieses Prozesses mit 117 fl. 10 Gr. 12 Pf. tragen, wovon Isenheim, Laudien, Bartsch und Schröter zwei Drittel, Neumann, Michael und Peter Grütz aber ein Drittel bezahlen, dem Amtshauptmann ihren Exzess abzubitten schuldig und dem Bürgermeister alle gebührende Ehrerbietung und Gehorsam erweisen müssen. Die beiden Advokaten des Hof- und Halsgerichts: der Advokat Schönwald erhält für die Verteidigung 4 Thaler und der Advokat Schulz 6 Thaler von ihren Clienten, für die Vorspannpferde 3 Thaler 6 Gr. etc. Im Ganzen 11 Thaler, 60 Gr. Innerhalb dreier Wochen sollten diese Kosten vom Amt eingetrieben werden. Allein das ging nicht so schnell, denn der Bürgermeister war nicht imstande, die Bürger exequieren, d. h. pfänden, zu lassen, und er wollte dazu sogar die Garnison in Anspruch nehmen. So entstanden viele Schreibereien, die noch bis zum März 1726 fortdauerten. Da schrieb denn zuletzt der König am 16. März d. J. dem Magistrat zu Zinten: „dass wir solches von Euch selbst und in Sonderheit von Dir dem Bürgermeister durch das Amt exekutive beitreiben lassen und Euch solchergestalt zu dem schuldigen Gehorsam anhalten werden." Nun bezahlten sechs Bürger, da aber noch 46 Thaler. 3 Gr. von zwölf Bürgern zu bezahlen übrig blieben, wurde über den Bürgermeister Exekution verhängt, und es half diesem nichts, dass er am 27. April 1724 an den König schrieb und ihn bat, ihn wider Gewalt und Unrecht zu schützen und vor Reisen und Kosten zu bewahren. Es wurden ein Korporal und zwei Soldaten zur Beitreibung der Kosten abkommandiert, und die zwölf Bürger mussten die ordnungsmäßige Verpflegung übernehmen und dem Unteroffizier 15 Gr. und jedem Soldaten 7 ½  Gr. täglich bezahlen, bis die Schuld getilgt war. Bartsch war unter die Soldaten gegangen und wurde vom Kommandeur geschützt, obwohl er ein Vermögen von 200 fl. besaß und in der Lage gewesen wäre, bezahlen zu können. Für die fehlenden Unkosten hielt sich das Hof- und Halsgericht an den Bürgermeister, so dass dieser trotz seiner Wahl keine reine Freude hatte.

Durch den westfälischen Frieden zu Osnabrück und Münster 1648 waren dem Großen Kurfürsten Kleve, Mark und Ravensberg zugesprochen worden. In der Mark lag die Stadt Schwerte/Ruhr, die schon auf eine 1000-jährige Vergangenheit blickt Vielleicht steht eine chronologische Nachricht der Stadt Schw. in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Zintener Aufruhr 1724/25, denn am 25. August 1726 wurde dort durch Befehl des Königs Friedrich Wilhelm I. die freie Ratswahl abgeschafft und damit die demokratische Selbstverwaltung zerschlagen. An der Spitze der Stadt stand hinfort ein vom König ernannter Magistrat von sechs Mitgliedern.

 

Seite 9   Prof. Dr. Götz von Selle 60 Jahre alt. Mit Foto.

Professor Dr. Götz von Selle, geb. am 28. Jan. 1893, entstammt einer preußischen Familie. Er studierte in Kiel, Berlin und Göttingen Geschichte, Theologie und iranische Philologie. Seit 1928 war er im Bibliotheksdienst tätig, wurde 1938 Honorar-Professor in Göttingen, 1939 in Königsberg erster Bibliotheksrat und Honorar-Professor für mittlere und neuere deutsche Geistes- und Bildungsgeschichte. Seit 1946 lebt er in Göttingen im Ruhestand. Er betreut hier das Archiv der Universität Göttingen und die Meldestelle für Ostdeutsche Universitäten, eine Gründung Kurator Hoffmanns, die sich mit allen Fragen der Angehörigen vertriebener Hochschulen befasst. Prot. v. S. ist Vorstandsmitglied des Göttinger Arbeitskreises, Mitglied der Gesellschalt der Freunde Kants - im Jahre 1949 war er Bohnenkönig - und Redaktor des vom Göttinger Arbeitskreis herausgegebenen Jahrbuchs der Albertus Universität zu Kbg./Pr. Er veröffentlichte u. a.: „Die Georg-August-Universität in Göttingen", „Die Albertus-Universität in Königsberg i. Pr.", „Deutsches Geistesleben in Ostpreußen", „Immanuel Kant und das „Preußenbrevier". Alljährlich Weihnachten versendet er den von Kurator Hoffmann begründeten „Rundbrief der Albertus-Universität Königsberg“ an alle ehemaligen Angehörigen der Universität. Im Frühjahr 1953 erscheint zur 1000-Jahrfeier der Stadt Göttingen sein Buch über Wesen und Geschichte der Universität Göttingen. Außerdem arbeitet er an einem größeren Werk über die geistigen Grundlagen des Preußentums.

Die „Ostpreußen-Warte“ wünscht ihrem langjährigen Mitarbeiter und treuen Freunde von Herzen alles Gute und spricht die Hoffnung aus, dass es Prof. Dr. von Seile noch recht lange vergönnt sein möge, sein umfassendes Wissen auch weiterhin in den Dienst der Heimat und ganz Ostdeutschlands zu stellen.

 

 

Seite 9   Wir gratulieren

Ihren 90. Geburtstag feiert am 25. Januar 1952, Frl. Agnes Koschinsky, früher wohnhaft in Königsberg Pr., Lobeckstraße 22/23, jetzt Borsum 147 über Hildeshelm Wir wünschen unserer Leserin von ganzen Herzen alles Gute.

 

 

Seite 9   Richard Schirrmann und das Schulwandern. Mit Foto.

Nach Abschluss eines achttägigen Wanderführerlehrganges im Jugendhof Steinbach/Eifel wandte sich der Gründer des deutschen Jugendherbergswerkes, Richard Schirrmann, Grävenwiesbach in einer Eingabe an den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Bitte, das Schulwandern nach Kräften zu fördern. Die Lehrgangsteilnehmer vertraten nach lebendiger Aussprache die Ansicht, dass die Schulwanderungen keinesfalls durch Omnibusfahrten ersetzt werden dürften. Etwa zur Verfügung stehende Mittel sollten ausschließlich für „Fußwanderungen" bestimmt werden.

Die Verdienste unseres Landsmannes Schirrmann fanden, wie bereits berichtet, sichtbare Anerkennung in der Verleihung des Großkreuzes zum Verdienstorden durch den Bundespräsidenten. Die Arbeit des Gründers des deutschen Jugendherbergswerkes erfasst nun immer weitere Kreise. Das Verständnis wächst und es wäre wirklich zu begrüßen, wenn nicht zuletzt die Lehrkräfte dafür Sorge tragen würden, dass die Freude am Wiederentdecken verborgener Schönheiten der engeren und weiteren Heimat behutsam gepflegt wird. Omnibusfahrten geben wohl die Möglichkeit, ein bestimmtes Ziel schnellstens zu erreichen, aber gar zu leicht fahren die Teilnehmer im 100 km-Tempo an verborgenen Winkeln vorbei, die vielleicht nicht minder „lohnend" gewesen wären.

Richard Schirrmann hat übrigens die „Warte" gebeten, allen seinen treuen Freunden seinen Dank für die vielen Zuschriften zu übermitteln, die anlässlich der Jahreswende bei ihm einliefen, aber auch den Dank für zahllose Glückwünsche, die sich anlässlich der Verleihung des Großkreuzes häuften.

„Liebe Landsleute!

Allen Freunden und Bekannten, die mir zur Verleihung des Großkreuzes zum Verdienstorden an meinem 78. Geburtstag Grüße und Glückwünsche zugehen ließen, danke ich auf diese Weise herzlichst. Bitte entschuldigt den späten Dank und dass ich nicht jedem einzeln geantwortet habe. Aber ich war den ganzen Sommer und Herbst fast unausgesetzt auf Vortragsfahrten für das Jugendherbergswerk unterwegs und fand beim besten Willen keine Zeit zu antworten. Ein gesegnetes neues Jahr! Mit landsmännischem Gruß Euer Richard Schirrmann." Grävenwiesbach im Taunus.

 

 

Seite 9   Prof. Dr. Szidat 60 Jahre alt

Am 31. Dezember 1952 beging der ostpreußische Parasitologe Professor Dr. Lothar Szidat seinen 60. Geburtstag. Wie vielen Wissenschaftlern bot sich ihm 1945 in Deutschland kein Platz zur Fortführung seiner wertvollen Arbeiten. Er folgte deshalb einem Angebot der argentinischen Regierung und ist heute an dem Institut Bernardino Rivadivia tätig, das als Forschungsstelle der Max Planck-Gesellschaft ähnelt. Szidat war seit 1920 Assistent des Königsberger Zoologen M. Braun und begann 1925 in Rossitten (Kur. Nehrung) mit seiner Forschungstätigkeit. 1933 wurde er zum Direktor des Institutes für Schädlingsforschung der Universität Königsberg ernannt und erhielt 1936 eine Dozentur für Parasitologie. Seit 1939 war er a. o. Professor. Er hat im Rahmen der internationalen Wissenschaft sein Fach hervorragend ausgebaut und durch seine Veröffentlichungen gerade in einer Zeit, als die Parasitologie in Deutschland fast völlig zum Erliegen gekommen war, stärkste Beachtung und Anerkennung gefunden. Die Landwirtschaft, Fischerei, Hydrobiologie und Limnologie sowohl als auch die Human- und Veterinärmedizin verdanken ihm wichtige Entdeckungen. Sein Beitrag zur Faunistik und Biologie des Kurischen Haffes war z. B. einer der ersten Versuche, ein so ausgedehntes Strandgewässer in seiner Gesamtheit zu erfassen. Die Bearbeitung der Lungenwurmseuche hat der Landwirtschaft Millionenschaden vermieden und praktisch die Seuche beseitigt. Sein mit Wiegand herausgegebenes Lehrbuch über die Wurmkrankheit der Menschen in Mitteleuropa hat bisher noch nicht Ebenbürtiges erhalten und in der Trematodenforschung wurde die Fahrenholz-Szidatsche Regel zur Grundlage.

 

 

Seite 9   Die Asco-Familie gratuliert...

Die außerordentlichen Verdienste Herrn Prof. Finks als Vorsitzender des CSO und des Asco sind allen Königsbergern geläufig. War er doch einer jener selbstlosen Sportpioniere, die idealistisch den Rasensport förderten und zu jeder Stunde mit Rat und Tat in selbstloser Kameradschaft still und unermüdlich dienten.

Als Arzt hat er weit über die Grenzen Königsbergs hinaus einen guten Namen gehabt. Er hat die schweren Jahre unter russischer Besatzung tapfer durchgestanden und nach seiner Umsiedlung in der Ostzone mühsam eine neue Existenz aufgebaut. Prof. Fink, Ehrenmitglied des Asco und Träger der goldenen Ehrennadel, feiert nun seinen 70. Geburtstag. Über den eisernen Vorhang hinweg und über die „Grenzen" gehen die besten Wünsche. Mögen ihm und seiner Familie noch viele und glückliche Jahre beschieden sein!

 

Seite 9 Landsmann A. Klee gestorben

„Papa Klee", wie der Landesgeschäftsführer des „Ostpreußenbundes EV. in Bayern" allgemein genannt wurde, ist nach kurzer schwerer Krankheit in einem Münchener Krankenhaus verstorben.

Er hat weit über die Reihen der Landsmannschaft hinaus allgemein Achtung und Verehrung genossen. So gab ihm denn eine besonders große Trauergemeinde am letzten Tage des alten Jahres das Geleit. „Vater Klee" ruht nun im Münchener Waldfriedhof aus von einem langen, arbeitsreichen Leben.

 

Seite 9  Gärtner Pötschkes Gartenbuch

Das reich bebilderte Gartenbuch bringt bei 144 Seiten Text eine Fülle wertvollster Anregungen für Kleingärtner und Gartenfreunde. Diese kurzen Fingerzeige werden ergänzt durch kleine kulturpolitische Betrachtungen. Da auch der Abschnitt „Schädlingsbekämpfung" mit ganz besonderer Sorgfalt behandelt wurde, geht der kleine Band weit über den Rahmen hinaus, der vielleicht als „Eigenreklame" empfunden werden könnte. Die Auflage von 100 000 Stück ermöglicht einen Verkaufspreis von nur 80 Pfennigen. Die Anschaffung der Schrift ist zu empfehlen.

 

Seite 9   Länderkarte „Deutsche Heimat im Osten" Georg Westermann-Verlag

Diese Karte von den deutschen Ostgebieten (Format 63 mal 71 cm mit 23 Nebenkarten, gefalzt 2,40 DM und auf Leinen 14,— DM. auf Leinen mit Stäben 18,50 DM) verzeichnet sämtliche Orte über 2000 Einwohner. Die Nebenkarten geben einen genauen Überblick über Geschichte und Wirtschaft des Ostraumes, über die Verteilung der Konfessionen, über Bevölkerungsdichte, über die Mundarten usw. Das Kartenmaterial berücksichtigt die Grenzen von 1918 und 1937, ist grafisch sauber gestaltet und farblich gut getönt, so dass die Karte gerade für Schulzwecke besonders geeignet sein dürfte. Damit ist aber ihr besonderer Wert für jeden Heimatvertriebenen bereits unirissen und betont

 

Seite 9   Foto: Der älteste Zintener Bürger feiert Geburtstag

Konrektor i. R. Heinrich Lenz begeht am 25. Januar 1953 seinen 85. Geburtstag. Lange Jahre hatte er einst die von ihm selbst aufgebaute Bücherei in Zinten geleitet. Seine „Geschichte der Stadt Zinten" ist ein Musterbeispiel für sorgsame und gründliche Heimatforschung. Diese Freude am Forschen und Verzeichnen heimatgeschichtlicher Vorgänge entsprang einer echten Verbundenheit mit der Heimatstadt und deren Bevölkerung. So war Herr Lenz zum Beispiel begeistertes Mitglied des dortigen Gesangvereins, dessen Ring für 25-jährige Sangestreue er noch voller Stolz trägt.

 

 

Seite 10   Lorbas in Ägypten. Von Maud Günther Liederwald (früher Königsberg/Pr., jetzt Kairo)

Eigentlich sind es ja drei „Lorbasse", von denen hier erzählt werden soll: Lorbas, der Vater, Ita, die Mutter, und Hexe, die Tochter. Vielleicht errät es der geneigte Leser, dass es sich in diesem Fall nicht um zweibeinige, sondern um vierbeinige Lorbasse handelt, und zwar sind es unsere drei schwarzroten Rauhaardackel, die mit uns aus der kalten Heimat in den sonnigen Süden zogen. Wir starteten von Frankfurt/Main - die Dackel in von Herrn Ruhnau-Triangel (früher Kreis Samland) gefertigten Transportkisten - mit der SAS Richtung Kairo. Unterwegs hörten Herrchen und Frauchen auf den Zwischenstationen München und Mailand, als das dröhnende Lied der Propeller vorübergehend verstummte, laut und heiser die empörten Stimmen der kleinen Krummbeine, die sich diese Luftreise nicht erklären konnten.

In Mailand, wo die Passagiere per Bus zur Stadt zum Abendessen befördert wurden, wollte ich vorher meine Hundchen noch schnell ausführen, doch wurde meine Bitte wegen Zeitmangel abgeschlagen. Der Bordmonteur führte alle Drei während unserer Abwesenheit aus und fütterte sie. Bis auf den heutigen Tag ist es mir noch ein Rätsel, wie er die wilde Gesellschaft zurück in ihre Kisten bugsiert hat. Und weiter ging die Reise über den langsam in Dunkelheit versinkenden „Stiefel" Als gegen 5 Uhr (4 Uhr mitteleuropäischer Zeit) die Sonne blutrot im blaugrauen Dunst über Alexandrien aufging, sahen wir auch bald darauf, soweit die Wolkendecke aufriss, die gelbe Wüste mit Karawanenstraßen, flachdachigen maurischen Häusern und grünen Palmenhainen unter uns liegen. Langsam und behäbig wie eine Nachtmotte rollte die Maschine zwanzig Minuten später auf dem an der Wüste gelegenen Flugplatz von Kairo aus. Wieder hörten wir die heiseren Stimmen unserer Lorbasse, und nun konnte uns, nachdem Gepäck und Dackel zur Zollabfertigung ins Flughafengelände gebracht wurde, nichts mehr davon abhalten, unsere Hände durch die Gitterstäbe der Käfige durchzustecken, damit die kleine Gesellschaft merkte, dass auch wir die Reise über Land und Meer mitgemacht hatten.

Durch einen ägyptischen Geschäftsfreund meines Mannes gelang es uns, die Hunde sofort ohne die drohende Quarantäne zu unserem Ziel, der Gartenstadt Maadi (Vorort von Kairo) mitzunehmen. Im Garten unserer deutschen Pensionswirtin wurde mit den Lorbassen erstmal ausgiebig Wiedersehen gefeiert. Kaum waren wir fünf Minuten dort, so wälzte sich Lorbas bereits glücklich im Grase und zwar auf der Hinterlassenschaft eines Milans (großer Raubvogel, die auf den Eukalyptusbäumen nisten und nicht geschossen werden) und hatte seiner Ansicht nach nun erst den richtigen orientalischen Geruch. Leider war ich gegenteiliger Ansicht und ein energisches Bad machte ihn wieder salonfähig. Ita, die Stammmutter, die uns bereits 9 Jahre lang durch Dick und Dünn begleitete, aus der ostpreußischen Zucht von Frau von Dörnberg-Weydehnen, streckte zufrieden alle Viere in die Luft, während Hexe, das Marjellchen, mir nicht von der Pelle wich aus Angst, Frauchen könnte sich unbemerkt in noch weitere unbekannte Fernen verlieren.

Nachdem wir die ersten Wochen unseres Hierseins in der Pension mit unseren Krummbeinern teils Freud teils Leid erregten - zum Glück war unsere Wirtin selber tierlieb und hatte Verständnis für die Dackelei - gelang es uns in der großen Auswahl von Wohnungen eine nach hiesigen Gesichtspunkten geeignete (nicht zu sonnig, nicht zu niedrig und vor allem luftig) zu mieten, und sofort fühlten sich die Lorbasse heimisch und nahmen auf den inzwischen per Schiff eingetroffenen Möbeln (ein Dackel will ja bekanntlich hoch hinaus in seiner Mischung von Winzigkeit und Größenwahn) Platz. Der reichlich fünf Monate dauernde Sommer bei einer Temperatur von zeitweise 42 Grad im Schatten, der ewige blaue Himmel (es regnet nur spärlich in unserer Gegend im Winter) machte besonders unserem dickpelzigen Lorbas zu schaffen. Zweimal wurde er deshalb geschoren, und er schämte sich, während ihn seine beiden Damen in diesem Zustand ganz interessant fanden. Lorbas wusste jedoch bald einen kühlen Platz und zwar in dem mit Ziegeln ausgemauerten Kamin. Der allgemeinen Jagdpassion konnten unsere drei Schwarzen nur in bescheidenem Maß frönen, wenn wir mit ihnen nach Sonnenuntergang, d. i. hier kurz nach halbsieben Uhr, in die nahe gelegene Wüste gingen. Dort wurde eifrig nach Springmäusen gebuddelt, sehr flinken gelben Tieren, in der Größe einer Ratte mit großen schwarzen Kugelaugen, die wie der Blitz aus den noch nicht von Hundenasen besetzten Löchern fuhren und wie Miniaturkängurus davonhüpften. Da die Wüste am Anfang bereits mit Strauchwerk und Bäumen bepflanzt ist, so kommt unser Lorbas niemals wie jener Hund in der Wüste aus dem Witzblatt in Bedrängnis.

Wenn es dann im November ganz allmählich mit absinkenden Temperaturen auf den Winter zugeht, dann fängt es an, in den großen, z. T. nur mit Fliesen belegten Zimmern kalt zu werden. Eine Heizung gibt es außer dem Kamin und einem bescheidenen stinkenden Petroleumofen nicht. Da wir Ostpreußen aber immer für die Gemütlichkeit sind, so wird jeden Abend ein gewaltiges Feuerchen aus Holz im Kamin angezündet. Behaglich liegen unsere Lorbasse davor und oftmals so dicht, dass wir glimmende Holzstückchen aus ihrem Pelz sammeln müssen. Während wir mit Freunden aus der kalten Heimat ab und zu ein Grogchen verkasematukeln von wegen der inneren Bewärmung, fliegen unsere Gedanken über Land und Meer, zu duftenden Kiefernwäldern, zum Bernsteinstrand unserer geliebten Ostsee, zum Wunderland der Kurischen Nehrung mit ihren Elchen, Speckflundern und Breitaalen - zum einmaligen Zauber unserer unvergessenen Heimat.

Die Lorbasse bewegen im Schlaf die Läufe und Rute, stoßen ab und zu Mieflaute aus: ob auch sie vom Fuchs- und Dachsbau, von Hasen und Rehen, vom deutschen Wald träumen?

 

 

Seite 10   „Zwischenspiel in Ruhstädt“ Elisabeth Schaudinn. Verlag: Ernst Kaufmann, Lahr/Baden.

In ihrem ersten Roman „Zwischenspiel in Ruhstädt" schildert die ostpreußische Dichterin Elisabeth Schaudinn die Jahre nach dem Zusammenbruch. Die Menschen und die Ereignisse sind natürlich, herzlich und mit viel Humor dargestellt. Es tut wohl, in diesem Buche das Leben einmal heiter und freundlich betrachtet zu sehen. „Marianne Rohrmoser", die Hauptgestalt des Romanes, hat ihre ostpreußische Heimat verloren und nun in der alten Propstei in Ruhstädt eine erste Zuflucht gefunden. Die alte Propstei ist jetzt Bauernhof und dank der Gutmütigkeit und dem liebevollen Verständnis seiner Besitzer, Vater Menges und seiner Tochter Fanny, vollgepfropft mit Flüchtlingen. Klar und treffend werden die Menschen charakterisiert. Im Mittelpunkt dieses bunten Lebens der Vertriebenen und der Einheimischen steht Frau Marianne mit ihren drei Kindern. Alles, was wir aus den ersten Jahren nach dem Kriege selbst kennen lernten, wie „Hamstern" und „Holzsuchen", alle Nöte eines engen Aufeinanderwohnens, Klatsch und Neid, aber auch Mitleid und nachbarliche Hilfe rollen vor unseren Augen ab.

Mariannes vermisster Mann kehrt aus der Gefangenschaft zurück. Die Probleme der schon früher erschütterten Ehe Mariannes mit Michael Rohrmoser, dem Krafttypus und Weiberhelden, stehen wieder in ihren Herzen auf. Marianne hatte in der Zwischenzeit Anton Deggenberger, den Organisten am Dom zu Erlach kennengelernt und in ihm einen Menschen gefunden, der sie verstand und bei dem sie geborgen war. Aber Marianne fühlte, dass das Leben einen tieferen Sinn hat als die Erfüllung ihrer eigenen Sehnsucht. Sie weiß, dass ihr Mann sie jetzt braucht, gerade jetzt braucht.

Als sie mit ihren Kindern zum Mann und Vater zieht, der eine Wohnung und Arbeit gefunden hat, denkt sie mit Wehmut an das „Zwischenspiel in Ruhstädt" zurück. Sie spürt, wie lieb sie die Menschen und das geborgene Leben in Ruhstädt gewonnen hatte.

 

 

Seite 10   Wir gratulieren

Frau Martha Fleischmann aus Graudenz, Westpr., jetzt bei ihrem Sohn. Rb.-Obersekretär Hans Fleischmann in Seesen a. H., Jasperstr. 1311 wohnhaft, vollendete am 2. Dezember 1952 in vorzüglicher körperlicher und geistiger Frische ihr 70. Lebensjahr.

 

Seite 10   Unsere Buchbesprechung. Willy Kramp: Die Jünglinge

Willy Kramp, Die Jünglinge, Deuerlichsche Verlagsbuchhandlung. 14. bis 23. Tsd. 1952, 13,80 DM.

Es ist schön, dass dieses gute Buch wiedeT erschienen ist. Vielleicht wird sein tiefer Sinn heute noch deutlicher sichtbar, wie damals, als es vor etlichen Jahren zum ersten Male die Menschen beschäftigte, die es anging, und von denen es handelte. Heute ist diese Situation noch viel augenscheinlicher geworden. Denn das was Ostpreußen zu sagen hat, das jüngste Ostpreußen, das freilich sich seiner Wurzelkraft bewusst ist, dieses Ostpreußen ist heute in seiner Sprache sehr viel klarer vernehmbar, als noch vor einem Jahrzehnt.

Es ist keineswegs eine literarkritische Feststellung, wenn man sagt, dass man es bei den „Jünglingen" mit einem ostpreußischen Roman zu tun hat. Das wäre nur eine sehr oberflächliche Bemerkung. Die Dinge liegen tiefer. Natürlich ist das Buch ohne den ostpreußischen Grund, auf dem es steht, undenkbar. Aber die hohe Künstlerschaft, die sich hier entfaltet, schafft in voller Originalität - geschult an bestem deutschen geistigen Gut - ein Werk, das in die seelischen Tiefen jener Menschen hinabführt, in denen ostpreußisches Wesen sich darstellt. Aus dem ostpreußischen Temperament anscheinend unvereinbarer Gegensätze formt sich hier dieses spezifische Leben, das so wichtig ist für die Gesamtheit des Daseins. Welch prächtige Gestalten vermag der Verfasser etwa in dem alten Dönitz oder der Mutter Adelheid zu schaffen, Menschen, die den Ausgleich ihres Lebens fanden. Wie überzeugend wirkt der Pfarrer, auch er eine Gestalt, die in dieser Art nur jenem Boden entstammen kann. Seine Kinder verschärfen diese Unausgeglichenheit wie die Gegenspieler ebenfalls die Kräfte der Bewahrung aus der älteren Generation in eine neue Welt hinüberführen. Das ist alles mit einer bewundernswerten Kunst gestaltet, mühelos gestaltet, so sieht es aus. Aber alles Bedeutende hat die Spuren der Mühe abgestreift.

Das ganze Buch ist von einer wundersamen Kraft durchleuchtet. Es ist einmal davon die Rede, als sei alles durchsichtig, als scheine etwas Höheres in das Dasein hinein. Das gilt von dem Buche überhaupt, sich steigernd wird diese Eigentümlichkeit gegen den Schluss hin stärker bemerkbar. Das ist jene Klarheit der Lebensführung, die ostpreußisch ist, die mit so großer Sicherheit im menschlichen Wesen leben kann, damit, die Welt ihr wahres Gesicht zurückbekommt". Im Grunde ist es so einfach, was dieses Leben trägt, und doch wieder so schwer. „Ich habe immer gewusst, dass Gott mich liebt, das war mein ganzes Geheimnis." So sagt es die ostpreußische Gutstochter. Es ist die Weisheit dieses schönen und tiefen Buches. Es bleibt nur eines übrig, Willy Kramp herzlich zu danken. Prof. G. Selle

 

Seite 10   Suchdienst der Heimatortskartei für Ostpreußen

Wenn Ihnen über den Verbleib der Gesuchten etwas bekannt ist, geben Sie bitte direkt Nachricht an die Heimatortskartei für Ostpreußen - (24 b) Neumünster, Postfach 178,

Es werden gesucht:

491 Lötzen. Bahnhof, Bogatz, Erich, geb. 11.04.1913, Lok.-Heizer, gesucht von Bogatz, Helene

462 Lötzen, Stadtrandsiedlung, Bogdam, Julius, geb. 22.02.1890, Arbeiter, ges. von Bogdam, Emilie

493 Lötzen, Drewski, Paul, geb. 04.06.1882, Kaufmann, ges. von Drewski, Elma

494 Lötzen, Geldak, Maria, geb. Robak, geb. 29.09.1891, gesucht von Broszio, Bertha

495 Lötzen, Gerlach, Luise, geb. Klein, geb. 30.03.1901, gesucht von Gerlach, Herbert

496 Lötzen, Hermann, Ida, geb. Wensak, geb. 28.01.1898, ges. von Wonsak, Marta

497 Lötzen, Herrmann, Max, geb. 30.01.1914, Arbeiter, ges. von Herrmann, Marie

498 Lötzen, Hoffmann, Erna, geb. Stach, geb. 17.11.1919, ges. von Stach, Johann

499 Lötzen, Hölzner, Hildegard, geb. 04.09.1922, ges. von Hölzner, Max

500 Lötzen, Kapowski, Bernh., geb. 15.08.1894, Schornsteinf., ges. von Stock, Hedwig

501 Lötzen, Koslowski, Auguste, geb. Kühn, geb. 05.11.1882, ges. von Kühn, Johanna

502 Lötzen, Krüger, Otto, geb. 16.11.1900, Landwirt, ges. von Krüger, Ewald

503 Lötzen, Kulschewski, Ewald, geb. 04.06.1895, Journalist, gesucht von Schlegelmilch, Erika

504 Lötzen, Kuschmierz, Frieda, geb. Oröning, geb. 23.01.1912, gesucht von Oröning, Elise

505 Lötzen, Küßner, Luise, geb. Bogdam, geb. 20.03.1899, gesucht von Bogdam, Emilie

506 Lötzen, Litzner, Ella, geb. August, geb. 19.02.1902, ges. von Volkmann, Paul

507 Lötzen, Majora, Irmgard, geb. 12.03.1930, Verkäuferin, gesucht von Majora, Luise

508 Lötzen, Artilleriestr. Mattiszig, Gertr., geb. Danneberg, geb. 22.07.1913, gesucht von Bsturrek?, Gertr.

509 Lötzen, Bäckerstr., Matzeschke, Margarethe, geb. 16.07.1873, Gutsrendant, ges. von Feders

510 Adlersdorf, Lötzen, Zielinski, Luise, geb. Paschkowski, geb. 18.04.1918, ges. von Wolf, Frieda

511 Allenbruch, Lötzen, Kosziol, Friedrich, geb. 16.02.1899, ges. von Föste, Emma

512 Allenbruch, Lötzen, Lindenau, Gustav, geb. 24.10.1886, Landwirt, ges. von Lindenau, Ernst

513 Allenbruch, Lötzen, Nittka, Christel, geb. 13.04.1927, ges. von Nittka, Johann

514 Allenbruch, Lötzen, Nittka, Gertrud, geb. 18.03.1921, ges. von Nittka, Johann

515 Antonsdorf, Lötzen, Bastian, Edith, geb. 15.12.1913, ges. von Nolte, Frieda

516 Antonsdorf, Lötzen, Rauser, Berta, geb. 02.05.1924, Haustochter, ges. von Rauser, Wilhelmine

517 Antonsdorf, Lötzen, Rauser, Erna, geb. 01.10.1925, ges. von Rauser, Wilhelmine

518 Antonsdorf, Lötzen, Strojek, Marie, geb. Nowosatko, geb. 27.02.1880, ges. von Strojek, Fritz

519 Antonsdorf, Lötzen, Ungerberg, Erna, geb. 06.01.1924, gesucht von Hildebrandt, Margarethe

520 Gerthen, Rößel, Bergmann, Johannes, geb. 27.08.1857, Schuhm., ges. von Bergmann, Joh.

521 Gerthen, Rößel, Bordihn, Berta, geb. Behlau, geb. 12.12.1887, gesucht von Heinrich, Martha

522 Gerthen, Rößel, Gerigk, Bernhard, geb. 04.02.1904, Landwirt, gesucht von Gerigk, Josef

523 Gerthen, Rößel, Lingnau, Valentin, geb. 05.02.1903, Landwirt, ges. von Lingnau, Ida

524 Gerthen, Rößel, Thiel, Franz, geb. 01.08.1891, Lehrer, gesucht von Thiel, Hildegard

525 Glockstein, Rößel, Hollstein, Andreas, geb. 14.09.1885, Magazinarb. gesucht von Hollstein, Anna

526 Glockstein, Rößel, Hoppe, Franz, geb. 26.12.1903, Arbeiter, ges. von Hoppe, Hedwig

527 Glockstein, Rößel, Kähler, Anton, geb. 12.02.1925, Arbeiter, gesucht von Liedtke, Rosa

528 Glockstein, Rößel, Liedtke, Franz, geb. 12.02.1925, Arbeiter, ges. von Liedtke, Rosa

529 Glockstein, Rößel, Masuch, Maria, geb. Hoppe, geb. 07.10.1910, ges. von Hoppe, Herbert

530 Karwen, Sensburg, Karpa, Albert, geb. 24.03.1898, Bauer, ges. von Benk?, Erich

531 Karwen, Sensburg, Karpa, Friedrich, geb. 23.02.1884, Landwirt, ges. von Karpa, Richard

532 Karwen, Sensburg, Kurreck, Wilhelm,geb. 02.01.1875, Landwirt, Soboll, Hildegard

533 Karwen, Sensburg, Schwetzer, Ilsetraud, geb. 16.04.1923, ges. von Schwetzer, Jakob

534 Karwen, Sensburg, Widdermann, Mathilde, geb. Schröter, ges. von Beckmann, Auguste

535 Kerslen, Sensburg, Fischer, Frieda, geb. 15.02.1929, ges. von Fischer, Heinrich

536 Kersten, Sensburg, Zimmermann, Leo, geb. 10.05.1917, Bauer, ges. von Zimmermann, Klara

537 Kleinort, Sensburg, Chill, Martha, geb. Pidde, geb. 23.03.1898, ges. von Knerlen, Emma

538 Krummendort, Sensburg, Domscheidt, Adolf, geb. 13.05.1892, Bauer, ges. von Domscheidt, Rich.

539 Krummendorf, Sensburg, Grzywatz, Maria, geb. Spekowius, geb. 25.03.1896, gesucht von Neumann, Hans

540 Krummendorf, Sensburg, Lingnau, Gerhard, geb. 27.08.1883, Landwirt, ges. von v., d. Ropp, Hildeg.

 

Welche Schaffner der Königsberger Kleinbahn waren mit meinem Mann, Walter Schwarz, geb. 07.01.1896 (beinbehindert), aus Arnau bei Kbg., Lager Königsberg-Rothenstein, im Mai 1946 zusammen? Nachricht erbittet Frau Konstanze Schwarz. Haldern, Kr. Rees (Rhld.).

 

Thierfeldt, Bugenie, geb. Zieske aus Cranz, Bahnhofstraße, wird gesucht von Olga Mielke, geb. Dirksen, Hannover-Vinnhorst, Friedr.Ebert-Straße 1.

 

Thiel, Konrad, Gefr. d. R.-Gren.-Ers. u. Ausb.-Batl. 493, 2. Kp. oder Ers.- u. Ausb.-Komp. 491 Dt-Eylau, Hindenburgkaserne. Heimatanschr.: Kassensekretär, Heilsberg. Herbert-Norkus-Straße. Letzte Nachr. Januar 1945 aus Dt.-Eylau. Hauptfeldw. war Grühn, Lehrer, Gr.-Lemkendorf, Stabsarzt war Dr. Brockmann. Einsatz wahrscheinlich Rundumverteidigung Dt.-Eylau. Wer weiß etwas über Konrad Thiel oder über den Verbleib seiner Einheit? Welcher Kamerad oder Dt.-Eylauer Bürger kann Auskunft über den Einsatz dieser Einheiten machen. Nachr. erb. Arthur Thiel-Bonn, Ritterhausstraße 2.

 

Ermländer! Welcher Heilsberger oder Knipsteiner Einwohner kann Auskunft über das Schicksal des Oberstraßenmeisters a. D. Theodor Thiel, Heilsberg, Herbert-NorkusStraße, früher Medien und Neuhof, geben. Wer hat ihn tot gesehen oder im Juni 1946 mit weiteren Verstorbenen an der kath. Kapelle in Knipstein beerdigt? Wer von den Knipsteinern weiß, dass er sich bei Königsmann aufgehalten hat und kennt Zeugen, die das oben Gesagte bekunden können? Nachrichten, die vergütet werden erb. Arthur Thiel, Bonn, Ritterhausstraße 2.

 

Wer kann Auskunft geben über das Schicksal von Waldemar Bersuch, geb. 23.07.1916, vermisst seit Januar 1943 bei Stalingrad, Obergefr., Feldpost-Nr. 17184 B aus Kbg. (Pr.), Cranzer Allee 113 II. r. Nachr.' erb. Georg Bersuch, Hilwartshausen über Kreiensen.

 

Wer kenn Auskunft geben über meinen Vater, Kaufm. und Landwirt Franz Kiwall, Kabienen, Krs Rössel, geb. 14.01.1881. Mein Vater wurde im April 1945 von den Russen mitgenommen. Er kam nach Rössel. Von dort fehlt jede Spur. Nachr. erb. Frau Ilse Knizia, Ramlingen über Lehrte, Kreis Burgdorf (Hannover).

 

Gesucht werden General Stahl und Frau, wohnhaft Kbg./Pr. Tragheim, Studienassessor Reimann u. Frau, wohnhaft Kbg./Pr., Zeppelinstraße, und Marie Brories, geb etwa 1900 in Fischhausen, wahrscheinlich 1940 verheiratet, Name des Ehemannes unbekannt. Nachr. erb. Direktor Richard Schmidt, Münster-Gremmendorf (Westfal) Paul-Engelhard-Weg 5 I.

 

Achtung! Ermländer! Gesucht werden Händler Rudolf Nieswandt und Frau aus Raunau, Kreis Heilsberg (Ostpr.) und Gastwirt Josef Block und Frau Klara, geb. Rambock, aus Sperwatten bei Raunau, Krs. Heilsberg. Nachr. erb. Frau Ella Winkelmann, Meisenheim a. Glan, Schloßplatz.

 

 

Seite 11  Todesanzeigen

Am 16. Dezember 1952 entschlief plötzlich, fern ihrer geliebten Heimat Ostpreußen, mitten aus ihrer Liebe zu uns und ihrer Arbeit, meine liebe Frau, unsere Mutter, meine Schwester, Großmutter, Schwiegermutter, Tante und Schwägerin, Frau Hedwig Nikolaiski, geb. Czibulinski, im 62. Lebensjahre. Es trauern um sie: Siegfried Nikolaiski, Oberfachschulrat a. D. Wolfgang Nikolaiski, Hauptmann a. D. und Frau Annemarie geb. Fritzsche. Sigrid Nikolaiski. Eckhard Nikolaiski cand. ehem. und Christa Hecht. Gustav Czibulinski u. Frau Anni geb. Michel. Neffen und Nichten. Frankfurt (Main) Schumannstr. 65. Die Trauerfeier hat am 20. Dezember in Frankfurt/M. stattgefunden.

 

Und hast du keine Heimat auf Erden mehr, so hast du im Himmel doch eine hoch und hehr.

Fern ihrer geliebten Heimat Königsberg (Pr.) entschlief am 1. Dezember 1952 nach schwerem, mit großer Geduld ertragenem Leiden, meine gute Mutter, Louise Kohn, geb. Pahlke, im Alter von 82 Jahren. In tiefer Trauer: ihre einzige Tochter: Margarete Kohn. Borstel-Hohenraden (Quickborner Straße) Kr. Pinneberg (Holst.)

 

Seite 12   Saujagd in Alt-Sternberg

Foto: Ein Hauptschwein. Aufn. Gallasch

Foto: Oberförsterei Kl. Naujock

Ostpreußischer Winter 1941/42! Forstamt Alt-Sternberg! 26 Grad Kälte! Ein verhältnismäßig „warmer" Tag in jenem Winter! Oberforstmeister Kramer gab nach Begrüßung bekannt: „Es werden geschossen, erstens an Rotwild, Kahlwild mit Ausnahme führender Stücke; ferner schlecht veranlagte Hische, Ib und IIb; zweitens an Schwarzwild, alles mit Ausnahme führender Bachen und beschlagener Bachen; (ich kratzte mich hinter den Lauschern; sprich mal einer an bei flüchtigen Sauen, ob die Bache beschlagen ist oder nicht); also Entschluss bei mir: du schießt heute überhaupt nicht auf Schwarzwild); drittens an Raubwild, Fuchs.“ Oh, das machte ich gerne, den flüchtigen Fuchs mit der Kugel.

Auf den Hauptschneisen war der Schneepflug gegangen, sehr schön, aber nun hatten sich hohe Schneewälle aufgetürmt, die die Schneisen bedeutend schmälerten und die Übersicht einengten. Also sehr fix ansprechen und noch fixer schießen! So und anderes denkt man, wenn man dankend angestellt wird. Wind? Ja, der ist gut hier auf Vorlage. Herrlich dieses Anblasen; fern ganz fern, rein und weich. Aber Mundstück gleich wieder in die Hosentasche, sonst frieren die Lippen hernach am Horne fest!

Die Treiber sind gegangen. Auf dem Haken fällt ein Schuss. Sehr angenehm! Die Treiben sind groß. Donnerwetter, die Kälte kriecht doch an einem hoch. Hilft nichts! Stehenbleiben wie die Mauer! Die Augen gehen von rechts nach links, von links nach rechts. Heiliges Kanonenrohr! Sauen links von mir, schräg vorwärts im Bestande; aber ich bleibe ruhig: Du schießt ja heute nicht auf Sauen! Erstes Stück, zweifellos grobe Bache! Bitte sehr, bis du beschlagen, meine Süße?? Na, zieh hin in Frieden! Dahinter folgt ein, nein, mir fehlt der Ausdruck, ein Bär; nein ein Klavier! Kreuzmillionen, himmelkruzitürken. Wo ist mein Vorsatz geblieben? Ach, du heiliger Hubertus, keusche Diana und alle sieben Nothelfer dazu, wer kann da ernst bleiben? Sogar das Gewaff ist zu sehen; wenn das der Fall ist, gibts keinen Zweifel mehr: Ein Hauptschwein! Der Weg zur Hölle ist mit Vorsätzen gepflastert. Also, weg mit den Vorsätzen und hinein ins selige Himmelreich höchster Weidmannsfreuden. Schon überfällt die Bache die Schneise, der Keiler ihr nach in gewaltiger Flucht - man glaubt es gar nicht, dass solch ein Koloss sich so hoch in die Luft schnellen kann -, da peitscht der Knall meiner Doppelbüchse durch den Winterwald. Hinter und über dem Keiler stürzen Schneemassen wie dichter weißer Qualm zusammen. Da ich nichts mehr fortbrechen höre, müsste er hinter dem Schneewall ja wohl liegen. Das Treiben wird abgeblasen. Oberforstmeister Kramer tritt zu mir: „Worauf haben Sie geschossen?" „Auf eine Sau." - „Führende oder beschlagene Bache?" - „Beides! Nein, Spaß bei Seite, auf ein Keilerchen!" - „Woran erkannten Sie ihn?" - „An den Gewehren!" - „Na, na!" Also hin. Im Graben, unter Schnee begraben, liegt ein Stück Schwarzwild, es schlägelt noch etwas, ich gebe den Fang mit dem Weidblatt. Das Haupt ist noch nicht zu sehen. „Ach, der Treiber da, bitte, ziehen Sie mal das Stück auf den Weg!' Der zieht und zieht und sagt: „dem Kret ist mich zu schwer." Also noch zwei Mann ran! Schließlich packen wir alle an; nun ists geschafft. Und nun der Basse auf seine rechte Seite vorschriftsmäßig gestreckt auf der Schneise liegt, verschlägts doch allen den Atem. Darauf gabs ein Händeschütteln und Weidmannsheil-Wünschen, wie's eben nur bei den prachtvollen, geraden, aufrichtigen, Schussneid nicht kennenden, ostpreußischen Jägern der Fall sein konnte. Der Oberforstmeister überreichte selbst den Bruch, den ich glückstrahlend, tief bewegt, entgegennahm, mit aus tiefstem Herzen kommenden: „Weidmannsdank!" Erich Gallasch.

 

Aus den Landsmannschaften Seesen a. Harz.

- Fast 200 Ost- und Westpreußen wohnten der tiefinnigen Adventsfeier bei, die nach dem Entwurf von Schulrat Papendick durch die Sprecher Bruno Scharmach, Lieselotte Donnermann und Richard Papendick in einer feinsinnig abgestimmten literarisch-musikalischen Folge unter Mitwirkung der Organistin Else Kross den Zauber der Weihnacht in der verlorenen Heimat erstehen ließ und echte Vorweihnachtsfreude entfachte, die sich dann im anschließenden gemütlichen Beisammensein u. a. auch in einer Verlosung von Königsberger Randmarzipan fortsetzte. - Für die 90 Kinder der Jahrgänge 1939 - 1950 wurde eine Weihnachtsfeier veranstaltet. –

 

Rotenburg: Über 300 Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen nahmen an der Vorweihnachtsfeier, teil, die im großen Saal des „Lüneburger Hofs" stattfand. Nach der Begrüßung und dem Gedenken der noch in unserer Heimat verbliebenen Landsleute, durch die Sprecherin Frau Holweck, wechselten Gedichte, gemeinsam gesungene Lieder, sowie Darbietungen der Singegruppe der Landmannschaft, ab.

Unser Landmann Pfarrer Rabstein, früher Deutschendorf, gab allen Anwesenden die rechte vorweihnachtliche Besinnung mit auf den Weg. Eine gemeinsame Kaffeetafel, an den mit Tannengrün und Kerzenschein geschmückten Tafeln beschloss diesen Abend.

 

Seite 12   Kriegsschicksal dreier Uhren

Die älteste Uhr, die ich besaß und als Familienkleinod hütete, hatte einmal einem französischen Kapitän gehört, der im Stabe des Kaisers Napoleon Dienst tat. Als dieser sich 1812 aufmachte, um die Russen in ihrem weiten Lande anzugreifen, bezog er beim Grafen Alexander von Dohna-Schlobitten in Finkenstein vor dem Überschreiten der preußischrussischen Grenze noch einmal Winterquartier. Auch der Kapitän wohnte den Winter über in dem zwischen See und Hochwald so schön gelegenen Ort, freilich nicht im gräflichen Schloss; denn dazu „reichte" sein militärischer Rang „nicht aus". Er hatte in einem der kleinen sauberen Wohnhäuser des Dorfes Quartier bezogen. Dieses Bürgerhaus bewohnte mein Ururgroßvater, der als Drechsler- und Tischlermeister in der Hauptsache mit laufenden Arbeiten in dem großen Schloss beschäftigt war. Auch Napoleon bestellte sich den Meister, um sich einen schweren Eisenriegel vor seine Schlafzimmertür anbringen zu lassen. Am Fensterrahmen musste mein Ahne einen eisernen Ring befestigen, an dem stets eine aufgerollte Strickleiter hing, an der der Kaiser in den Park und von dort in den Wald flüchten konnte. So war auch jener damals mächtigste Mann Europas inmitten all seiner Soldaten jeden Augenblick um sein Leben besorgt. Sein Kapitän dagegen fühlte sich im Hause seiner einfachen Wirtsleute wohl und sicher. Sonst hätte er nicht, als im Frühsommer 1813 endlich der Marsch in das russische Reich begann, seiner Quartierfamilie eine kostbare silberne Uhr als Abschiedsgeschenk überreicht. Eine Uhr in jenen Zeiten war etwas anderes als 100 Jahre später. Nur die gräfliche Familie und vielleicht noch der „Herr Pfarrer" besaßen damals eine solche Taschenuhr als seltene Kostbarkeit. Von Generation zu Generation wurde die Uhr in hohen Ehren gehalten. Nur an ganz besonderen Festtagen holte mein Vater sie aus seinem Schreibtisch hervor, damit wir Kinder das mit bunter Porzellanmalerei verzierte Zifferblatt bewundern konnten. Der Krieg 1914 - 1918 konnte ihr nichts anhaben, erst 1945 brach auch über sie das Unheil herein. Sie lag wohl verwahrt im Schreibtisch des schönen Kaminzimmers unserer Danzigerwohnung. Wenige Tage nach dem Einzug der Sieger sind Militär-Lkw's vor unserem Haus vorgefahren. Alles was uns Jahrzehnte umgab und mit vielen Erinnerungen verknüpft war, fand mitsamt der silbernen Uhr des französischen Kapitäns an jenem Tag einen neuen Besitzer und eine neue Heimat irgendwo weit im Osten. Wird man unsere Uhr auch so in Ehren halten? Als „Andenken" an die Plünderung und Zerstörung der schönen, stolzen Hansestadt Danzig? — — —

Meine zweite Uhr war eine goldene Herrenuhr, die meine Mutter als junges Mädchen meinem Vater am Verlobungstag schenkte. Von diesem Tage an hat die Uhr meinen Vater bis zu seinem Sterbetag begleitet. Immer wieder hat er die Uhr an seinem letzten Tag verlangt, um das Räderwerk noch einmal aufzuziehen, obwohl es eben erst geschehen war. Als wenn er dadurch glaubte, auch sein Leben noch um einige Stunden verlängern zu können. Nach des Vaters Tod schenkte meine Mutter die „Verlobungsuhr" ihrem ältesten Sohne, damit sie nun mich von Tag zu Tag mit der gleichen Treue begleiten sollte. Ich aber hatte immer Furcht, sie einmal beim Sport oder sonst wie in dem viel unruhigeren Leben meiner Generation zu verlieren. So kam es, dass Vaters goldene Uhr in einem Samtkästchen einen Ruheplatz neben der silbernen Uhr des Kapitäns erhielt. Nur alle paar Wochen erwachte sie aus ihrem Dornröschenschlaf und wanderte m meine Feiertagsweste, wenn ich meine geliebte Mutter in dem alten Haus unserer Kinder- und Jugendjahre besuchte. Wie konnten auch im hohen Alter ihre Augen noch jugendlich leuchten, wenn sie ihre Verlobungsuhr am Herzen ihres Sohnes immer noch unablässig die Stunden zeigen sah. Dieses Symbol der Liebe und Treue zwischen meinen Eltern wollte ich retten, als ich als Letzter der Familie nur wenig Stunden Zeit hatte, von Heim und Heimat nach menschlichem Ermessen für immer Abschied zu nehmen. In einem kleinen Koffer zusammen mit Urkunden und Fotografien fand auch Vaters Uhr hier einen Platz. Wir verließen Gotenhafen in einem kleinen Vorpostenboot, während die Geschütze des Linienschiffs im Hafen die russischen Stellungen beschossen. Dann kam die furchtbare Nacht, in der unser Vorpostenboot Nr. 315 auf der Höhe von Leba ein eisiges Grab in den Fluten der Ostsee fand, am 12. März 1.30 Uhr. Vielleicht liest ein Matrose, der meinen kleinen Lederkoffer doch noch rettete, diese kleine Geschichte! Vielleicht wird er mir Nachricht geben, was aus der Verlobungsuhr meiner Eltern und aus meinen Zeugnissen, die mir so fehlen, geworden ist!

Die dritte meiner Uhren war bescheiden und billig. Sie überstand die gefahrvolle, dunkle Nacht des 12. März 1944, sie blieb mir auch bei meiner Gefangennahme am 2. Mai 1945 in Holstein, weil ein echter britischer Gentleman mich nach Pistolen und Dolchen abtastete. Und sie hielt mir auch am 23.10.1945 die Treue, als eine 10-köpfige Räuberbande auch unser ärmliches Heimatlosenasyl im einsamen Forsthaus nach letzten irdischen Gütern durchstöberte. Meine bescheidene Nickeluhr fand in dieser Nacht nicht den Gefallen des Bandenführers. Mit verächtlichem Grinsen schleuderte er die kleine Uhr an der Kette „Gold gab ich für Eisen" auf den Strohsack der Flüchtlinge zurück. Der goldene Trauring war schon eher eine Beute für routinierte Räuber!

Die silberne Uhr meiner Ahnen und die goldene Uhr meiner Eltern sind verloren. Zu gleicher Zeit wie die sonnige, weite Heimat am Wasser und Wald, wie das feste, große Haus meiner Jugendzeit, das die beste und treueste aller Mütter am Tage bevor die Sieger einmarschierten unter sich begrub. Wenn morgens im Osten die Sonne ihre ersten Strahlen heraufsendet, sind sie mir wie ein Gruß aus jenen fernen, verlorenen Jahren des Glücks und der Geborgenheit. Das wehe Herz aber schlägt immer weiter, weil es muss, genauso wie die kleinen Räder meiner letzten bescheidenen Uhr, die mich in die Armut und das Elend begleitete. H. Raffel

 

Bei den Ost- und Westpreußen

„Die Heimat - das sind die Menschen" stellte der Vorsitzende der Berchtesgadener Vereinigung der Ost- und Westpreußen in seiner Ansprache im Hotel Stiftskeller fest, und gab damit die Deutung dafür, warum gerade in den Kreisen der Heimatvertriebenen der Wunsch nach Zusammenschluss so groß ist. Dass die in das Berchtesgadener Land verschlagenen Ost- und Westpreußen, zu denen in letzter Zeit auch Pommern und Brandenburger gekommen sind, hier eine zweite Heimat haben finden können, dazu haben in starkem Maße auch die einheimischen Menschen beigetragen, die Verständnis für die Lage der Vertriebenen gezeigt haben. Wenn in der Erinnerung die Glocken vom Königsberger Dom, von St. Marien in Danzig, von den Kirchtürmen in Stettin erklingen, dann wollen sie uns mahnen. Frieden zu machen mit uns und der Umwelt, die Heimat nicht zu vergessen und nicht die Pflicht, deren Bedeutung der große Kant von Königsberg aus der Welt ins Gewissen prägte.

Die Jugendgruppe hatte in Sprechchören, Liedern, Einzelstimmen das Geschehen der Weihnacht nach Worten der Bibel gestaltet. Dann wurden mit entsprechenden Sprüchen drei Kerzen entzündet: Für das deutsche Volk, für die Gefallenen, für die in der Heimat Verbliebenen und für die Gefangenen.

Eine gemeinsame Kaffeetafel vereinte die vielen Gäste, der Weihnachtsmann erschien und schließlich gab es eine große Lotterie, bei der jedes Los einen Treffer brachte. Die Preise waren Spenden, für die der Vorsitzende besonderen Dank aussprach. Er dankte ferner Oma Sturmhoefel, Fräul. Neiß und Herrn Banasch, die sich um das Gelingen der Feier besonders verdient gemacht hatten. Worte des Abschieds wurden an den früheren Vorsitzenden der Vereinigung, Herrn Kruppa gerichtet, der ein neues Arbeitsfeld in Rosenheim gefunden hat. Mit besten Wünschen für ein gesegnetes Neues Jahr fand die harmonische Feier ihren Abschluss.

 

Seite 12   Foto: Achtung! Wer kennt dieses Kind? Jürgen Tengler, geb. 9. Dezember 1940 in Königsberg, soll angeblich mit seiner Großmutter, Frau Gertrud Hoffmann, geb. Mikloweit und seinem Onkel Erich Mikloweit in einer Kleinstadt bei Hannover sein. Alle Nachforschungen waren bis jetzt vergeblich. Nachricht wird erb. an Frau Luise Tengler. Lüdenscheid/Westf. Knapperstraße 47.

 

Foto: Suche meinen Bruder Schütze Johannes Guss, geb. 07.07.1892 in Berlin-Schöneberg, eingezogen v. Wehrbez.-Komm. Königsberg im August 1944 zum Landesschützen-Batl. I nach Pr.-Holland (Elbing) Feldpostnummer 02299, später 23370, letzte Nachricht März 1945 aus Pillau, Kaserne „Großer Kurfürst“, Auffangstab Major Schulz, war verwundet. Nachricht erb. Charlotte Schmidt, Berlin-Friedenau, Südwestkorso I. rechts, West-Berlin, Unkosten werden gern vergütet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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